Dieses „Kirche sein und Kirche werden“ kann in Partnerschaften konkrete Gestalt annehmen. Deutsche Kirche und Gemeinden wurden seit 1962 in die Geschehnisse in der Diözese Cajamarca verwickelt bzw. sie haben sich aus christlicher Verantwortung darauf eingelassen. Es wurden intensive Beziehungen zu den Menschen von Cajamarca und christlichen Gemeinschaften aufgebaut. Es wurde sichtbar, was Weltkirche sein kann. Aus dieser Beziehung können sich die deutschen Gemeinden nicht mehr heraus stehlen, wollen sie den Anspruch, katholische Gemeinde zu sein, nicht aufgeben. Dies ist umso wichtiger in einer Zeit, in der eine andere Form von „universeller Kultur und Religion“ immer mehr in das Bewusstsein der Menschen eingeprägt wird - in Deutschland wie in Peru.

Gemeindepartnerschaften können einen Rahmen bilden, in der die lebensnotwendigen Alternativen zur alles beherrschenden Globalisierung (im neoliberalen, auf Finanzmärkte hin ausgerichtetem Sinn) aus dem Geiste Christi heraus eingeübt und gelebt werden können. „Jede Partnerschaft zwischen Gemeinden oder Verbänden hier und dort, sei es in direkten Beziehungen, sei es im Kontakt internationaler Hilfswerke, arbeitet strikt an einer solchen Katholizität und damit gleichzeitig an einer Globalisierung, die im religiösen Bereich die Sehnsucht nach Gott offen hält und die im sozialen Bereich von den jeweils Armen und Bedrängten her das gesamte Handeln organisiert. Je mehr sich eine solche kirchliche Vernetzung mit der Leidensgeschichte der Menschen und in ihnen mit dem in der Geschichte lebenden Christus (vgl. Mt 25,31-46) ereignet, desto mehr wird die Kirche eine Intensivierung des eigenen Lebens und der eigenen Identität, aber auch eine Vertiefung des eigenen Leidens erreichen“ (27).
In dem folgenden Beispiel wird deutlich, was damit gemeint ist. Es weist auf wirtschaftliche Zusammenhänge hin und zeigt konkrete Handlungsperspektiven für deutsche Partnergruppen.

d, 1) Ein Beispiel praktizierter Partnerschaft: Solidarität mit Rosalia (28)

„Rosalia ist acht Jahre alt. Sie kann nicht zur Schule gehen, weil es in ihrer Umgebung keine Schule gibt. Ihr bleibt der Zugang zu dem versperrt, was (auch) zu einem menschenwürdigen Leben gehört: ausreichende Ernährung und sauberes Wasser, Gesundheitsvorsorge, Ausbildung, Anerkennung. Zudem drückt sie eine schwere Last: sie hat bereits 1.270 Dollar Schulden gemacht und sie muss ‚ihren Gürtel immer enger schnallen‘, um wenigstens die Zinsen bezahlen zu können. In ihrer Umgebung gibt es einen Staudamm, der 800 Millionen Dollar gekostet hat und mit deutscher ‚Hilfe‘ und von deutschen Firmen gebaut wurde. 20.000 Campesinos wurden vertrieben, damit weiter unten in der Wüste Reis angebaut werden kann. Doch von diesem hochwertigen Reis wird Rosalia nie etwas zu essen bekommen, denn er wird ausschließlich für den Export angebaut.

Es kann hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden, wer wem und warum welche Kredite gegeben und wer davon profitiert hat. Festzuhalten ist, dass die Armen nie etwas von diesen Krediten gesehen haben, sie aber die Kosten der Verschuldung tragen müssen. In mehr als fünfzig Ländern haben sich deshalb Tausende von Organisationen zur ‚Kampagne Erlassjahr 2000‘ zusammengeschlossen, mehr als 1.300 Gruppen allein in Deutschland. Die Kampagne erinnert an die Tradition des biblischen Jubel- und Erlassjahres, in dem den verarmten Schuldnern in Israel alle Schulden erlassen und das Ackerland zurückgegeben wurde. Die katholische und evangelische Kirche haben sich weltweit an die Spitze dieser Bewegung gestellt. Der Papst: ‚So werden sich im Geiste der Bibel die Christen zur Stimme aller Armen der Welt machen müssen, indem sie das Jubeljahr als eine passende Zeit hinstellen, um sich für einen erheblichen Erlass der internationalen Schulden einzusetzen‘ (29). Auch der Ökumenische Rat der Kirchen hat anlässlich des Jubeljahrs ‚zur Befreiung der verarmten Völker aus dem Würgegriff der Schulden‘ aufgerufen. ‚Die sozialen, politischen und ökologischen Kosten der Schuldenkrise, die auf die Ärmsten abgewälzt werden, können nicht länger hingenommen und müssen ausgeglichen werden.’

Bekanntermaßen haben alle Banken die Schulden Steuer sparend schon abgeschrieben. Auch haben die armen Länder schon weit mehr an Zinsen bezahlt als die jeweilige Summe ihrer Auslandsschuld - und trotzdem sind die Schulden aller armen Länder in den letzten zehn Jahren um 50 % angestiegen. Die Deckung der menschlichen Grundbedürfnisse und die Achtung der Rechte der Mehrheit der Bevölkerung in den armen Ländern müssen Vorrang erhalten vor der Forderung, die Schulden zu bedienen und zurückzuzahlen. Den Armen kann nicht das allen Menschen verheißene ‚Leben in Fülle‘ vorenthalten werden. Um nicht nur (meist korrupte) Regierungen zu entlasten, setzen sich vor allem die Kirchen für die Schaffung von Gegenwertsfonds ein.

Das bedeutet: Einem Land, etwa Peru, werden von Deutschland z.B. hundert Millionen Dollar Schulden gestrichen. Peru verpflichtet sich dafür, vierzig Millionen Dollar in soziale und ökologische Projekte zu investieren. Die deutsche Regierung ist nach Verhandlungen bereit, entwicklungspolitische und kirchliche Gruppen bei entsprechenden Projekten in den armen Ländern mitwirken und mitbestimmen zu lassen. So hat auch eine kleine Gruppe die Chance, direkt bei der Investition von vierzig Millionen Dollar zugunsten der Armen mitzureden - eine einmalige Chance angesichts des sonstigen Gefühls der Ohnmacht, an weltwirtschaftlichen Strukturen zugunsten der Armen etwas ändern zu können! Unterschriftenaktionen, entsprechende Information der Öffentlichkeit und die Mitarbeit der Gemeinden sind ein erster Schritt, um den Armen zu helfen. Denn die Armen wollen nicht nur Almosen, sie wollen Gerechtigkeit!

Für Rosalia eröffnen sich damit neue Perspektiven. Neben den materiellen Verbesserungen ist es für sie eine große Ermutigung zu erfahren, dass kirchliche Gruppen sich für ihr Leben, ihre Probleme und ihre Hoffnungen interessieren. Dies gibt ihr Kraft, von einer besseren Welt, in der alle Menschen das Brot miteinander teilen, nicht nur zu träumen, sondern sich auf den Weg dahin zu machen“.

d, 2) Der Rahmen und der Anspruch von Partnerschaften

Die Partnerschaft von deutschen Partnergemeinden mit Gemeinden der Diözese Cajamarca ist notwendigerweise geprägt oder gar abhängig von den jeweiligen kirchlichen Strukturen in Cajamarca und in Deutschland selbst (30).

  1. Jede Partnerschaft zwischen Kirchengemeinden verwirklicht sich notwendigerweise innerhalb eines bestimmten Rahmens und innerhalb kirchlicher Strukturen. Zugleich lebt sie von ganz konkreten Personen. Konflikte zwischen Person und Institution sind unausweichlich.
  2. Partnerschaft verwirklicht sich innerhalb zweier lokaler Kirchen, die in sehr unterschiedlichen Wirklichkeiten und historischen und sozialen Kontexten leben. Von daher entstehen sehr unterschiedliche Interessen und Optionen. Wenn es aber nicht möglich wäre, einen echten Dialog zu etablieren, seinen Glauben und das Brot zu teilen und einen gemeinsamen Weg zu suchen, dann wäre auch katholische Kirche nicht möglich.
  3. 3. Die Fragestellung wird verschärft, wenn man die Campesinos als die „Hirten von Bethlehem“ versteht. Gerade die Ausgeschlossenen standen im Zentrum der Verkündigung und Praxis von Jesus. Nach den Kriterien der Mächtigen existieren die Ausgeschlossenen nicht. Die Christen der reichen Länder repräsentieren aber in ihrer Mehrheit die abendländische Zivilisation - von der Conquista bis zur aktuellen Weltordnung.
  4. 4. Zwischen den Kirchengemeinden des Nordens und des Südens gibt es einen weiteren Unterschied: in Deutschland sind die Hauptakteure der Partnerschaft Laien, in Peru ist dies umgekehrt. Partnerschaften sind in Deutschland Laienbewegungen. Laien verwalten das Geld, sie organisieren sich demokratisch und es herrscht eine institutionalisierte Transparenz. Dies kann man aber nicht von vielen peruanischen Kirchengemeinden sagen.
  5. Um einen wahrhaften Dialog zu etablieren ist es notwendig, dass der Reiche die Fähigkeit entwickelt, den Armen als solchen wahrzunehmen. Das bedeutet, die Ursachen der Armut zu erkennen und mit den Armen gegen alle Ungerechtigkeit zu kämpfen. Dies erfordert eine persönliche Umkehr (Bekehrung) und eine sehr tiefe Spiritualität, die es ermöglicht, in dem Armen das Antlitz Christi zu erkennen. 
  6. Gelebte Partnerschaft ist konstitutiv für das Volk Gottes, sie ist das sichtbare Zeichen einer sonst nur abstrakt gedachten (nicht wirklich erlebten) Weltkirche: einer Gemeinschaft, in der Arme und Reiche an einem Tisch sitzen und gemeinsam das Brot des Lebens essen. Eine solche Gemeinschaft in Partnerschaft ist das Sakrament einer wahrhaft universellen, d.h. katholischen Kirche:
  7. Partnerschaft ist das Sakrament des Volkes Gottes.

e) Fazit: Gemeinden in Deutschland und in Peru - gemeinsam auf dem Weg

Einige am Beispiel von Cajamarca gemachte Beobachtungen lassen sich generalisieren und in folgender Form zusammenfassen (Stichwort „Weltkirche“):

  • Das Zweite Vatikanische Konzil gab den Kontakten zwischen den armen und den reichen Kirchen einen entscheidenden Impuls. Den inhaltlichen Rahmen bildeten hier besonders die Aussagen des Konzils über das Volk Gottes und die Kirche als Kirche für die Armen. Alle beteiligten Partnergemeinden mit Cajamarca berufen sich auf diesen Rahmen.
  • Im Kontakt mit der Kirche in Peru zeigt sich von Anfang an das Problem der Kommunikation, der Frage nach den Ansprechpartnern (z.B. zuerst Bischöfe?) und das Problem der Einmischung (nur Geld - ohne Kontrolle - schicken, Solidarität in politischen Fragen?).
  • Deutsche Hilfswerke leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Erneuerung der Kirche in Peru und zum Entstehen einer einheimischen Kirche.
  • Die ersten Kontakte von Hilfswerken, Gemeinden und Diözesen liefen nahezu ausschließlich über meist deutsche Priester und über Bischöfe und hingen damit wesentlich von deren jeweiligen Optionen und Präferenzen ab. Einzelne Personen waren entscheidend.
  • Konkret in Cajamarca: Die persönliche Entscheidung von Alois Eichenlaub, nicht mit Bischof Mendoza in Abancay, sondern in Cajamarca zu arbeiten, war mit entscheidend für den gelungenen kirchlichen Neuanfang in Cajamarca. Seine Entscheidung für Cajamarca lenkte in der Folge deutsche Hilfe schwerpunktmäßig nach Cajamarca.
  • Konkret St. Martin, Dortmund: Entstehen einer Patenschaft erst durch Zufall, nachträglich dann aber Motivation und Zielsetzung durch direkten Kontakt, Bestätigung durch das Konzil und durch kirchliche Hilfswerke. Zusammen mit dem Bischof von Cajamarca konnte eine deutsche Gemeinde zur Erneuerung der Kirche in Cajamarca beitragen. Sie trat in einen Lernprozess ein: Entdecken einer weltweiten Verantwortung, theologisch und ökonomisch.
  • Deutsche Priester als „Geschenk des Glaubens“ für die armen Länder spielten eine sehr wichtige Rolle - ein Beispiel von Weltkirche.
  • Eine einheimische Kirche in Peru ist zumindest punktuell vor allem durch die engagierte Arbeit ausländischer Priester entstanden.
  • Die deutsche Kirche ist spätestens seit 1962 massiv in Entwicklungen innerhalb der peruanischen Kirche verwickelt, sie hat sich eingemischt und kann nicht davon ablassen. Vielmehr eröffnet sich daher die Chance, mit den armen Kirchen zusammen einen neuen Weg zu gehen, der die eigene Umkehr ermöglicht.
  • Weltkirche werden heißt, von den lokalen und armen Kirchen her, z.B. von der andinen Kirche ausgehend, ein globales Netz der Solidarität zu knüpfen, um auf diese Weise der Welt eine befreiende Alternative aufzuzeigen, bzw. das Evangelium zu verkünden.
  • Die Verkündigung der Botschaft Jesu vom Reich Gottes erfordert angesichts der globalen Verhältnisse eine weltweite Kirche, die alternative Strategien entwickelt und bezeugt.

Für die Kirche insgesamt geht es darum, ob es ihr gelingt, zu einer glaubhaften und kämpferischen Alternative zu den herrschenden Gesetzmäßigkeiten zu werden und damit zu ihren Wurzeln zurückzukehren. „So stellt sich die Frage: Was globalisiert die Kirche mit ihrer weltweiten Dimension? Bildet sie darin eine vom Evangelium her authentische und, wenn es sein muss, alternative Globalisierungsperspektive zu jenen rasanten Globalisierungsprozessen im Produktions-, Absatz- und Informationsmarkt mit jenen ‚Gesetzmäßigkeiten’, die insgesamt nicht ohne Grund als Ursachen dafür diskutiert werden, dass weltweit Millionen von Menschen aus eben diesen Prozessen ausgegliedert und von daher für überflüssig erklärt werden. Die herrschenden Legitimationen, die menschliches Leben rechtfertigen, kommen immer weniger Menschen zugute, nicht nur in der südlichen Hälfte der Erde, sondern zunehmend auch im Norden“ (31).

In einer Partnerschaft finden potenziell alle diese verschiedenen Aspekte zusammen. Partnerschaft kann daher als Modell bzw. als Konkretisierung von Weltkirche dienen, machbar und erlebbar für alle. Weltkirche wird in der gelebten Beziehung zwischen einer reichen und armen Gemeinde konkret und praktisch erfahrbar - praktikabel und machbar am jeweils konkreten und alltäglichen Ort, sei es in der Gemeinde sei es in einem persönlichen Engagement. 

Sie ist weltkirchliche Katechese und allgemeine Glaubenskatechese.