Theologie
Theologie
Aus der Perspektive der ehemals Kolonisierten ist die Theologie der Befreiung eine Abkehr von der Theologie der abendländischen Christenheit, die im Kontext der „Sieger“ (Eroberer) formuliert und verkündet wurde.Sie ist eine Umkehr hin zu den biblischen Wurzeln und entstanden aus dem Glauben der Ausgegrenzten an einen befreienden Gott. Sie ist gewiss nicht ohne Irrtümer, und sie braucht Unterstützung - aber keine Belehrungen „ex catedra“. Wie kann man theologisch vorgeben, die Stimme der Armen zu hören (den Ruf Gottes), wenn die Armen, mit denen sich Jesus Christus identifiziert, selbst nicht als Subjekte in dieser Theologie vorkommen? Und wie christlich, von Jesus dem Christus her entwickelt, statt von abstrakten Begriffen einer altgriechischen Philosophie, ist eine solche Theologie?
Die Speisung der Fünftausend (Mt 14, 13-21)
Im Zentrum der Botschaft Jesu steht die Verkündigung der Herrschaft Gottes, die jetzt und mit ihm beginnt. In der Herrschaft Gottes gelten ganz andere Gesetze, nämlich Liebe und Gerechtigkeit. Dies ist mit dem, was in unserer Welt geschieht, völlig unvereinbar. Denn in der „alten Welt“ herrschen die Gier nach Gold und Geld. Wen kümmert es da, wenn das einfache Volk bis aufs Blut geschunden wird, wenn es unter die Räuber fällt und selbst die „Frommen des Tempels“ ungerührt an den Opfern dieser politischen und wirtschaftlichen Strukturen (die von den Mächtigen zu ihrem Vorteil genau so eingerichtet wurden) vorbeigehen, weil sie nur um ihr eigenes Heil besorgt sind?
Zum 90. Geburtstag von Gustavo Gutiérrez
- unter Berücksichtigung einiger Aspekte, die in „offiziellen“ Würdigungen oft zu kurz kommen.
"Theologie ist für mich wie das Schreiben eines Liebesbriefes an Gott, an die Kirche und an die Menschen selbst".
1. Der Mensch Gustavo Gutiérrez und sein Glaube
Gustavo Gutiérrez, geboren am 8. Juli 1928 im Zentrum von Lima, stammt aus einer Familie indigener Herkunft. Seit seiner Kindheit litt er unter einer schweren Knochenmarkentzündung (Osteomyelitis), die ihn über sechs Jahre lang an einen Rollstuhl fesselte. Auch nachdem das Schlimmste überstanden war, litt er Zeit seines Lebens unter dieser Krankheit und deren Folgen. Trotz seiner Krankheit und der prekären Situation seiner Eltern (untere Mittelschicht) durfte er das Gymnasium besuchen. Wie er selbst sagte, hatte ihn seine Krankheit - oft große Schmerzen und wochenlang ans Bett gefesselt - schneller reifen lassen. Bereits als Schüler widmete er sich der Poesie und der Mystik. Besondere Aufmerksamkeit weckten in ihm die Schriften von Blaise Pascal und von dem Schriftsteller und Ethnologen José María Arguedas (Peru).
Weiterlesen … Zum 90. Geburtstag von G. Gutierrez und J.B. Metz
Die bestehende Situation als geschichtliche Ausfaltung dieser Ursünde
„Das Nein zum Anderen ist die einzig mögliche Sünde; es ist die `Sünde der Welt`, die Ursünde. (…) Geschichtlich und real gesehen nimmt die Sünde seit dem 15. Jh. die konkrete Gestalt des Neins des nordatlantischen Zentrums zum Indio, Afrikaner, Asiaten, zum Landarbeiter, zum Außenseiter an“.[29] Der Europäer erobert die ganze Welt und sieht dies als legitime Ausfaltung seines Ich, seiner Welt und seiner Kultur an (siehe europäische Philosophie). Er leugnet damit die anthropologische Andersheit (z.B. den Indio) und die absolute Andersheit (Gott). Er bestätigt dadurch sich selbst und seine abendländische Zivilisation als „Gott“. Er erklärt seine Welt zur Welt schlechthin und erhebt die Herrschaft des Menschen über den Menschen zur „natürlichen Ordnung“ (Aristoteles). Das führt zu einer Spaltung der Welt in Herrscher und Beherrschte – in solche, die die Zivilisation und die Kultur besitzen und solche, denen man dies erst alles beibringen muss (bestenfalls). Die Anderen, andere Kulturen, andere Rassen, die „Barbaren“, schlägt man entweder tot oder man versucht sie mit Gewalt in die eigene, nämlich die europäisch christliche Welt zu integrieren. Im Namen Gottes, der in Wirklichkeit der von den „Fürsten dieser Welt“ geschaffene Gott war, in dem sie sich selbst anbeten konnten, zogen sie aus, die “Wilden“ zu zivilisieren und zu missionieren. Und weil dies im Namen Gottes geschah, im Namen der einzigen, der christlichen Zivilisation, fühlten sie sich nicht schuldig, sondern im wahrsten Sinne des Wortes als „Heilsbringer“. Falls sich der Heide nicht missionieren lassen wollte, durfte man ihm den Krieg erklären und zur Hölle schicken.
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