50 Jahre Theologie der Befreiung in Deutschland: 1972 - 2022
Im SS 1972 hatte sich in Frankfurt, St. Georgen der erste "Studienkreis Theologie der Befreiung" in Deutschland gebildet, noch vor Erscheinen der deutschen Ausgabe des Buches "Theologie der Befreiung" von Gustavo Gutiérrez. Er wurde von lateinamerikanischen Mitstudenten (Doktoranden, mit konkreten Erfahrungen aus LA) initiiert und getragen. Einzige deutsche Mitarbeiter waren Christian Herwartz (Obdachlosenpriester in Berlin*) und ich. Pater Semmelroth und Pater Grillmeier waren konstruktiv-kritische Begleiter. Es ging vor allem um die Frage: was ist neu, gar revolutionär? Und was bedeutet dies für die bisherige „weiße“ und imperiale (d.h. „griech.-röm. Kirche“) und die Theologie des „christlichen Abendlandes“ - auch und gerade in Bezug zu der befreienden Botschaft der Propheten und von Jesus? Dies geschah in besonderer Weise in Auseinandersetzung mit Metz, Moltmann, etc. Karl Rahner, öfter zu „Besuch“ in St. Georgen, hat zwei Mal am Treffen des Arbeitskreises teilgenommen und hat uns ermutigt (obwohl nicht mit allem einverstanden).
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Bereits seit 1963 zeichneten sich in der Diözese Cajamarca die Umrisse einer befreienden Pastoral ab, die zu einer Kirche der Befreiung führten - eine arme Kirche inmitten der Ausgestoßenen und aller, die unter die Räuber fallen. Eine solche Praxis der Befreiung führte dann u.a. zu den Beschlüssen von Medellín (1968) und dann zu einer neuen Theologie, die erstmals aus der Perspektive der Opfer die biblische Botschaft neu entdeckt und neu deutet. Es ist eine prophetische Kirche, die die herrschenden Missstände anklagt und die eine neue Zeit verkörpert, in der alle Menschen - weil Kinder Gottes mit einer unantastbaren Würde - das haben und sein werden, was sie für ein Leben in Würde und in Fülle brauchen. An dieser Entwicklung in Cajamarca waren auch Deutsche beteiligt. Dies soll hier exemplarisch am Beispiel von Pfr. Alois Eichenlaub aufgezeigt werden.
"...Diese Erneuerung betrifft sowohl das äußere Gewand der Kirche wie Strukturen, Organisationsformen und Kirchenrecht, als auch die Art der Evangelisierung, das Entdecken der eigentlichen Botschaft Jesu und deren Relevanz für die Situation, in der die heutigen Menschen leben. Erst muss sich die Kirche selbst erneuern, um nach außen, in die Gesellschaft hinein, ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Die Erneuerung der Kirche ist möglich, wenn sie die Anforderungen von außen wahrnimmt und sie als konstruktive Herausforderung begreift. Kommt es erst einmal zu einem Dialog zwischen außen und innen, dann verändert sich auch die Kirche. Die Kirche kann nur Veränderungen anstoßen, wenn sie sich selbst verändert...
.....Die neue Evangelisierung bestand darin, die Botschaft Jesu in den Mittelpunkt zu stellen und sie zu leben. Es kann gezeigt werden, wie es trotz der Hindernisse zu einem Aufbruch kommen konnte und die fest gefügte Ordnung aus den Fugen zu geraten schien. Auf dem geschilderten religiösen und gesellschaftlichen Hintergrund erscheint dieser Aufbruch als ein Wunder, vergleichbar mit dem Auszug aus Ägypten oder der Brotvermehrung. ...Es wird zudem eine Alternative zur herrschenden Globalisierung sichtbar: die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Weltkirche, die von den Armen her die herrschenden Götzen entlarvt und zeichenhaft einen „neuen Himmel und eine neue Erde“ durch ihre Praxis als Gemeinschaft der Jünger Jesu verkündet."