Die Speisung der Fünftausend (Mt 14, 13-21)

Im Zentrum der Botschaft Jesu steht die Verkündigung der Herrschaft Gottes, die jetzt und mit ihm beginnt. In der Herrschaft Gottes gelten ganz andere Gesetze, nämlich Liebe und Gerechtigkeit. Dies ist mit dem, was in unserer Welt geschieht, völlig unvereinbar. Denn in der „alten Welt“ herrschen die Gier nach Gold und Geld. Wen kümmert es da, wenn das einfache Volk bis aufs Blut geschunden wird, wenn es unter die Räuber fällt und selbst die „Frommen des Tempels“ ungerührt an den Opfern dieser politischen und wirtschaftlichen Strukturen (die von den Mächtigen zu ihrem Vorteil genau so eingerichtet wurden) vorbeigehen, weil sie nur um ihr eigenes Heil besorgt sind?

Jesus hat uns durch seine Worte und Taten gezeigt, wie dieses neue Zusammenleben der Menschen aussehen könnte und welche Prioritäten dabei gesetzt werden. In vielen Gleichnissen, Heilungen und Bildworten erklärt er uns seine Botschaft und wer er ist. Er geht zu den Aussätzigen und führt sie in die Gemeinschaft zurück, vergibt Zöllnern und feiert Mahlgemeinschaften mit den Ausgestoßenen und allen, die in den Augen der Frommen jener Zeit verdammt waren. Diese Festmähler sind ein Zeichen dafür, dass in der beginnenden neuen Zeit alle Schranken aufgehoben sind, alle sind zum gedeckten Tisch einzuladen und allen wird das Brot und der Wein des Lebens gereicht. Deutlich wird dies auch in dem Wunder der Brotvermehrung. Das Wunder von der Speisung der Fünftausend ist das einzige Zeichen, das in allen vier Evangelien erwähnt wird (Mt 14,13-21; Mk 6,34‑44; Lk 9,10-17). Es hat deshalb eine beispielhafte Bedeutung.

Jesus hat Schauwunder als „Beweis“ seiner Sendung (Messias) strikt abgelehnt, vielmehr geht es ihm um eine völlig neue Einstellung. Die vielen Menschen, die Jesus zuhörten, waren hungrig geworden, manche hatten Vorräte dabei, andere nichts. Jesus forderte die Jünger auf, alle ihre Vorräte mit den Menschen zu teilen und diejenigen, die etwas übrighatten, teilten mit denen, die nichts hatten. So wurden alle satt. Sie hatten ja die Botschaft Jesus gehört, ließen sich bewegen - ihr Herz war gerührt - und entdeckten so ihren Not leidenden Nächsten. Die Zeichen der Herrschaft Gottes gelten heute genauso wie damals. Leben wir wirklich in einer so verschiedenen Zeit wie damals? 

Selbst seine Jünger haben ihn immer wieder missverstanden. „Schick doch diese Menschen weg, sie sollen sich selbst essen kaufen!“ sagen die Jünger! Und Jesus: „Gebt IHR ihnen zu essen!“ Denn er sah die Not der Menschen und litt mit ihnen. (Maria von Magdala hätte diese Not wohl auch gesehen). Und was tun wir als seine „Jünger und Jüngerinnen“? Es wird z.B. eine Überfülle an Nahrungsmitteln produziert und weggeworfen, während täglich weltweit Tausende verhungern. Es würde für alle reichen, wenn es den Menschen - und allen voran den Christen - gelingen würde, viel mehr solcher Zeichen der Herrschaft Gottes zu setzen. Es wird zwar nie die vollkommene Gerechtigkeit auf Erden geben, dies ist ein Geschenk Gottes, aber Jesus sagt uns: „Beginnt schon mal, macht euch auf den Weg in die neue Zeit, ich bin bei euch“. Er gibt uns die Kraft und den Mut, uns für eine gerechtere, eine friedvollere, eine menschlichere Welt einzusetzen. Es hängt an jedem von uns Einzelnen, wie diese Welt und unser aller Leben in Gemeinschaft aussehen wird. Jesus will uns nicht als staunende Betrachter wunderbarer Zaubereien, vielmehr traut er uns zu, die Welt zu verändern. Er geht uns auf diesem Weg voraus. Er ist die Erfüllung aller Verheißungen Gottes, der Messias ist gekommen und er ist mitten unter uns! Und was anderes feiern wir eigentlich im Abendmahl bzw. in unseren „heiligen Messen“?

Eucharistie (Abendmahl): Sakrament der Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit Gott

Wir feiern zusammen die Eucharistie. Wir gedenken des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Wir sagen Dank dafür, dass Jesus uns durch seine Hingabe ein neues Leben ermöglicht und uns den Weg zeigt. Wir nehmen in dieser Feier die endgültige Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott vorweg. Das ist unser Ziel, unsere Berufung. Das biblische Bild dazu: Hochzeitsmahl, Tischgemeinschaft mit denen, denen ansonsten der Zugang zum Tisch und damit zum Brot des Lebens verwehrt wird. Dies ist das zentrale Sakrament unseres Glaubens. Kennzeichen dieser Tischgemeinschaft ist das Miteinanderteilen von Brot und Wein, d.h. all dessen, was wir zum Leben brauchen. Die Jünger von Emmaus erkennen den auferweckten Christus erst, als er mit ihnen das Brot teilt. In einer Gemeinde, in der das geschieht, ist der lebendige Christus gegenwärtig, es ist Auferstehung spürbar, neues Leben.

Globale Bedeutung - Kirche als Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus als Messias glauben.

Nachdem die Menschen alles untereinander geteilt hatten, waren alle satt und es waren sogar noch 12 Körbe voll übriggeblieben. Die 12 Körbe stehen für das gesamte Volk Gottes. Denn die Gemeinde Jesu Christi sind nicht nur wir, als Ortskirche. Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Christus glauben. Alle Menschen sind zum Tisch des Herrn. Wir können hier nur wirklich Eucharistie feiern, wenn wir das im Namen der gesamten Kirche, der Gemeinschaft aller Gläubigen in aller Welt tun. Wir leben aber in einer Welt, in der 1/8 der Menschheit 7/8 aller irdischen Güter für sich allein verbraucht - ja diese sogar mit Gewalt an sich reißt. Wir leben gleichzeitig in einer Welt, in der alle Güter für alle Menschen bei weitem ausreichen würden. Wie können wir uns aber gemeinsam mit denen an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrigbleiben, die von unserem überreich gedeckten Tisch fallen? Wir können nicht miteinander Eucharistie feiern, während oder falls wir gleichzeitig bemüht sind, unseren schon üppig gedeckten Tisch noch üppiger zu decken – und dafür in Kauf nehmen, dass immer mehr Menschen verhungern. Christlicher Glaube zeigt sich darin, dass wir im Namen Gottes und in der Nachfolge Jesu das Brot, die Früchte der Erde, unser Leben miteinander teilen. Das bedeutet Umkehr, sich auf den Weg machen und sich für ein Leben in Würde für alle Menschen einzusetzen. Und dies ist keine Utopie! Dies nicht für möglich zu halten hieße, dass Jesus umsonst gestorben ist und dass Gottes Schöpfung in einer Katastrophe enden wird.

In der 1. Lesung (Jes 55, 1-3) wird passend zum Evangelium die Deutung einer Fülle des Lebens für alle schon vorweggenommen: Wasser und Wein für alle, Getreide (Brot) und alle Speisen in Fülle – und dies alles ohne Bezahlung! „Hört auf meine Botschaft und ihr werdet leben. Denn ich schließe einen ewigen Bund mit euch“. So die Worte des Propheten Jesaja. Im EKD-Text geht es um die Heilung eines Blinden. Wer Jesus als Messias erkennt, dem gehen die Augen auf und er wird geheilt!     

Eine befreiende Erinnerung

In den meisten der etwa 200 Comunidades („Indiogemeinden“) der Pfarrei Bambamarca (Diözese Cajamarca, Peru) wurden regelmäßige Versammlungen abgehalten und priesterlose Gottesdienste gefeiert, in einigen Regionen wöchentlich, in anderen monatlich und nicht notwendigerweise an einem Sonntag. Ein solcher Gottesdienst dauerte 4 - 6 Stunden. Die Familien brachten je nach Möglichkeit Essen und Trinken mit. Gesang, Begrüßung, Grund des Zusammenseins, Rückblick und Ausblick auf gemeinsame Aufgaben, Hören der Frohen Botschaft und das Sprechen über das Gehörte im Lichte der eigenen Sorgen und Hoffnungen gehörten zum „Inventar“ des Treffens. Höhepunkt war das gemeinsame Mahl. Alle hatten schon zu Beginn ihre mitgebrachten Speisen (manchmal war auch an Ort und Stelle gemeinsam gekocht worden) auf ausgebreitete Tücher oder Ponchos abgelegt. Der oder die Leiterin und Katechetin der Gemeinde nahm nach einer Einführung ein Brot, zeigte es allen und sprach die Worte, die Jesus im Abendmahl sprach. Wenn wir das alles miteinander teilen als Zeichen für all das, was wir für ein Leben in Würde brauchen, dann ist Jesus mitten unter uns und wir werden selbst zu „Brot und Wein“ für andere. Danach ging das Fest weiter und es endete mit einem gemeinsamen Segen. Ein solcher Gottesdienst wurde als Krönung dessen verstanden, was im Alltag gelebt wurde: Leben und arbeiten, säen und ernten in Gemeinschaft, Beistand für Kranke und Bedürftige, usw. Die Gegenwart des Auferstandenen wurde leibhaftig erfahren.

Ein Gleichnis unserer Welt, so wie sie ist?

Das aktuelle Jahresthema bei „nachhaltig predigen“ ist „Vulnerabilität“ (Verletzbarkeit). Was aber verletzt die Würde des Menschen mehr, als nichts zu essen zu haben (u.a.)? Daher ein Gleichnis aus unserer Zeit, das die weltweite Realität auf den Punkt bringt:

Die Hazienda umfasst 120 km². Sie liegt in einem grünen Tal in den Anden, mit viel Wasser und fruchtbaren Weiden. Dort weiden Zuchtstiere für die Stierkämpfe in Lima und wird Kaffee für den Export angebaut. Die Randzonen der Hazienda, gegen die Berge hin liegen brach, sie zu bewirtschaften, lohnt sich nicht. Noch weiter, die steilen und steinigen Bergabhänge hinauf, wohnen etwa 3.000 Campesinos (Indios). Ihnen stehen pro Familie etwa 1 ha zur Verfügung. Das reicht nicht zum Leben. Weil sie keinen Ausweg wissen, beschließen sie, auf einem Teil des brachliegenden Landes der Hazienda Kartoffeln anzupflanzen. Kurz vor der Ernte erfährt der Grundeigentümer davon. Er fordert eine Militäreinheit an, die sofort angreift. Sie eröffnet ohne Vorwarnung aus zwei Hubschraubern heraus das Feuer. 6 Menschen werden getötet, 21 schwer verletzt, zusätzlich werden auch die Kartoffelfelder zerstört. Der Bischof schaltet sich ein, will Anklage erheben, aber ohne Erfolg. Denn - so die Begründung - die Campesinos haben die Eigentumsrechte verletzt und der Staat hat die Pflicht, das Eigentum zu schützen. Und der Bischof und seine Mitarbeiter werden als Kommunisten bezeichnet, die sich mit Gesetzesbrechern solidarisieren. (So geschehen 1977 während meiner Arbeit als „agente pastoral“ in der Pfarrei Bambamarca, Diözese Cajamarca, Peru).  

Diese Strukturen wurden im Zuge der Eroberung Amerikas geschaffen und bestehen im Prinzip bis heute. Die vorkolonialen Kulturen Amerikas kannten kaum Hungersnöte. Sie hatten eine hoch entwickelte Landwirtschaft, die der Grundversorgung der eigenen Bevölkerung diente. Die koloniale Landwirtschaft dagegen dient zuerst den Interessen der Kolonialherren. Im Grundsatz hat sich bis heute nichts geändert. Denn warum nimmt der Hunger ausgerechnet in den ländlichen Gebieten der Welt in den letzten 3 Jahren wieder zu? Die fruchtbarsten Gebiete in Lateinamerika werden für den Anbau von Exportgütern, z.B. Soja und Mais für Viehfutter, genutzt. Überall in den armen Ländern, wo große Agro- und Chemiekonzerne tätig werden, wächst der Hunger, kleinbäuerliche Existenzen werden zerstört, Böden und Wasser werden vergiftet. Und auf unseren üppig gedeckten Tischen landen, möglichst billig, immer mehr Produkte aus aller Welt. Und vor lauter Angeboten wissen wir oft gar nicht mehr, was wir denn noch essen können…!

Dr. theol. Willi Knecht, Diözese Rottenburg-Stuttgart, 26. 06. 2019 (Fronleichnam)

Beitrag zu: www.nachhaltig-predigen.de, eine ökumenische Initiative der ev. Landeskirchen und kath. Bistümer.

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Nachtrag (26. Juni 2019): Papst Franziskus deutet berühmte Wundererzählung: (auf katholisch.de) Jesus hat kein Brot vermehrt – er lehrte Menschen zu teilen. Auch sollten sie teilen und nicht für sich selber anhäufen, mahnte er. In der Erzählung von der sogenannten Brotvermehrung, die am Fronleichnamsfest gelesen wird, komme das Wort "vermehren" gar nicht vor, so Franziskus auf dem Platz vor der Kirche "Santa Maria Consolatrice" (Maria Trösterin). Jesus habe aus fünf Broten nicht 5.000 gemacht; im Bibeltext gehe es allein um die Worte "brechen, geben, austeilen".

Wörtlich sagte Franziskus: "Es ist wichtig: Jesus betreibt keine Magie, er verwandelt die fünf Brote nicht in fünftausend, um dann zu sagen: 'Verteilt sie jetzt.'" Stattdessen würde Jesus beten, die Brote segnen und beginnen, sie im Vertrauen auf den Vater zu brechen. "Und diese fünf Brote gehen nicht mehr aus. Das ist nicht Magie, es ist Vertrauen auf Gott und auf seine Vorsehung."

Dagegen werde überall sonst nach Vermehrung des Gewinns und nach Umsatzsteigerung gesucht. "Aber zu welchem Zweck? Zum Geben oder zum Haben? Zum Teilen oder zum Anhäufen?", fragte das Kirchenoberhaupt. Die "'Ökonomie' des Evangeliums" hingegen vermehre durch Teilen; "sie befriedigt nicht die Gefräßigkeit der Wenigen, sondern sie gibt der Welt Leben".