Vielfach haben die großen deutschen Hilfswerke Misereor, Adveniat und Brot für die Welt eine sozialpastorale Arbeit in den armen Ländern erst ermöglicht. Die finanzielle Unterstützung deutscher Christen ermöglichte in vielen Ländern und Diözesen eine Arbeit und eine Verkündigung, die den Menschen Hoffnung schenkte und neue Perspektiven aufzeigte (10). Die Hilfswerke legten im Laufe der Zeit in ihrer Selbstdarstellung und Praxis immer mehr Wert darauf, dass es ihnen weder nur um finanzielle Unterstützung noch nur um die Rettung der Seelen geht, sondern um eine integrale Entwicklung: Entwicklung nicht nur im ökonomischen Sinne, sondern um ein Mehr an einer Gerechtigkeit, die ihr Fundament in der Bibel hat. Bei der Beschreibung der Arbeit Bischofs Dammerts und dem Entstehen einer befreienden Pastoral in der Diözese Cajamarca dürfen daher die Anteile der Hilfswerke an der Entwicklung dieser beispielhaften Sozialpastoral in der Diözese Cajamarca und speziell in Bambamarca nicht unerwähnt bleiben. Bereits am 24. 9. 1963 stellte Bischof Dammert einen Antrag an Adveniat. Er bat um Unterstützung für seinen Pastoralplan, Priestergruppen in abgelegene Zonen zu schicken und gleichzeitig Laienkatecheten auszubilden. In Bambamarca gab es kein Pfarrhaus, die vorherigen Pfarrer lebten alle komfortabel in privaten Häusern. Die drei neuen Priester waren in „einer menschenunwürdigen Unterkunft zur Miete in einer primitiven Wohnung mit zwei Räumen untergebracht“ (aus dem Antrag). Versammlungsräume, Schulungszentren usw. gab es erst recht nicht. In einer Antwort an „Sr. Exzellenz, den hochwürdigsten Herrn José Dammert Bellido, Bischof von Cajamarca“, schreibt Bischof Hengsbach weitsichtig: „Ich halte das Pastoralprogramm für den Einsatz von Priestergruppen und die Ausbildung von Laienkatecheten für sehr wichtig“. Aus den Spendengeldern der deutschen Katholiken aus der Adveniat - Kollekte 1962 wurden 100.000 DM für den Neuanfang in Bambamarca zur Verfügung gestellt. Das war der Beginn einer langen Beziehung.

In einem Brief an Misereor im Oktober 1965 schreibt Bischof Dammert: „Seit nunmehr rund zwei Jahren darf ich in meiner Diözese die großzügige Hilfe der deutschen Katholiken erfahren, die es mir erlaubte, ein Pilotprogramm in Bambamarca zu starten. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieses Programm ein erstmaliger Versuch innerhalb Perus ist, das sich fast ausschließlich auf die Erziehung des Campesinos, d.h. des Landbewohners richtet. Dank des deutschen Fachpersonals konnte schon in den ersten Anfängen ein gewisser Erfolg erzielt werden, der die Grundlage zu weiteren Hilfsgesuchen bot“ (11).

Im konkreten Beispiel der Diözese Cajamarca und besonders der Gemeinde Bambamarca wird deutlich, dass deutsche Hilfswerke beim Aufbau einer erneuerten Kirche im Geiste des Konzils einen entscheidenden Beitrag leisteten. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es in der Beziehung der Kirche von Cajamarca mit den Hilfswerken auch zu teilweise erheblichen Meinungsverschiedenheiten und auch gegenseitiger Verärgerung kam. Das lag daran, dass Dammert nicht nur die üblichen Dankesbriefe schrieb, sondern mit sachlichen Argumenten die Hilfswerke in die Pflicht nahm und auf einem eigenen Weg bestand. Typisch für diese oft unbequeme Haltung ist folgende Aussage: „Was Misereor und ‚Brot für die Welt’ geben, ist für mich eine Rückgabe dessen, was die Industriestaaten uns an Rohstoffen nehmen. Ich habe da keinerlei Skrupel, Aber ich wiederhole: nur Geld geben ist keine Lösung. Es führt nicht zur Veränderung der Haltung, die wir so sehr wünschen“ (12).

Sehr früh wies Dammert auf die Ungerechtigkeiten der Weltwirtschaft und auf die Verantwortung der reichen Länder hin. Nach Dammert haben die armen Länder nur dann eine Chance, wenn es in den reichen Ländern selbst zu grundlegenden Veränderungen kommen würde. Besonders unangenehm war für die deutsche Kirche, dass Dammert auf der historischen Verantwortung der Europäer und der europäischen Kirche bestand. Er zog eine direkte Linie von der Zeit der Eroberung zu den aktuellen weltwirtschaftlichen Strukturen, die nach Dammert darauf angelegt sind, die armen Länder weiterhin in Abhängigkeit zu halten. Seine Verknüpfung der weltweit ungerechten Strukturen mit dem biblischen Prinzip der Gerechtigkeit erwies sich als ein Stachel im Fleisch einer reichen Kirche in einer reichen Gesellschaft. Seine Aussagen sind heute angesichts einer fortschreitenden Globalisierung aktueller denn je. Vom Deutschen Caritasverband wurde er gebeten, eine Ergänzung zur Synodenvorlage „Entwicklung und Frieden“ zu formulieren. In Bezug auf die Hilfe für die armen Länder antwortet er am 8. 4. 1976. „Diese Form der Hilfe stellt keine Großzügigkeit dar, es handelt sich nicht um ein Werk der Barmherzigkeit, sondern es ist eine Wiedergutmachung für die vergangenen und gegenwärtigen Ungerechtigkeiten. Es ist eine Wiedergutmachung für den Kolonialismus der vergangenen Jahrhunderte, für die miserablen Löhne der Minenarbeiter, der geringen Preise für die Produkte der armen Länder. Das Erbe des Kolonialismus, die Zerstörung von uralten Systemen und Strukturen, die Zerstückelung ganzer Kontinente durch künstliche Grenzen, die unmenschliche Ausbeutung und Sklavenarbeit etc. ist ein Zustand der Sünde, der von Generation zu Generation andauert. Er erfordert eine Übernahme der Verantwortung für die Vergangenheit. Das biblische Konzept der Gerechtigkeit hat auch seine Gültigkeit für die interkontinentalen Beziehungen“ (13).

Bischof Dammert setzte sich stets mit Fragen der Weltwirtschaft auseinander, weil er wusste, dass weltwirtschaftliche Prozesse konkrete Auswirkungen für die Menschen, besonders für die Ärmsten seiner Diözese, haben (14). Sah er zu Beginn seiner Amtszeit die ausländische Hilfe eher als moralische Verpflichtung der Wiedergutmachung an den ausgebeuteten Völkern, so nahm bei ihm gegen Ende seiner Amtszeit der Gedanke einer Partnerschaft immer mehr Raum ein und er entdeckte immer wieder neue Facetten von Partnerschaft.

In Cajamarca machte man sich bald Sorgen darüber, dass mit der Hilfe eine bestimmte Kirchenpolitik und auch eine bestimmte politische Weltanschauung durchgesetzt werden sollte. Dammert wurde dabei von seinen meist deutschen Mitarbeitern unterstützt, oft musste er diese auch mäßigen. Aus einem Schreiben deutscher Mitarbeiter an Dammert nach einem Heimatbesuch: „Die Kirche in Deutschland erlebt einen Rechtsschwenk. Die AGEH, Adveniat und DED sagen, dass ihre Arbeit neutral und nicht politisch sein darf. Sie glauben tatsächlich, dass ihre Programme nichts mit Politik zu tun haben. Es gibt wieder vermehrt vorkonziliare Haltungen“ (15). Besonders in den siebziger Jahren kam es zu einer lebhaften Diskussion und einem regen Briefwechsel zwischen Cajamarca und deutschen Organisationen. Einen Höhepunkt fand die Auseinandersetzung um das Glaubensbuch Vamos Caminando im Zusammenhang mit der Theologie der Befreiung. Man fürchtete in Cajamarca, nun vor allem von Adveniat nicht mehr unterstützt zu werden.

Dammert schreibt in einem Brief an einen deutschen Mitarbeiter: „Die Wende nach rechts vor allem in den Hilfsorganisationen kommt wohl daher, dass zuletzt die Angst vor dem Kommunismus zugenommen hat. Man glaubt mit Eimern voller Weihwasser, den Brand löschen zu können“ (16). Zum Glück haben sich die Befürchtungen von Dammert und seiner Mitarbeiter als übertrieben herausgestellt. Dammert selbst rückte seit den achtziger Jahren von seiner These einer generellen Verurteilung der reichen Länder aus geschichtlichen und aktuellen weltwirtschaftlichen Gründen ab. Die Unterstützung durch deutsche Christen sah er nicht mehr nur als Zurückzahlung vergangener und aktueller Schul-den, sondern er entdeckte vor allem in der Praxis der Partnergemeinden, dass hinter deren Bemühen meist ein echtes spirituelles Bedürfnis sowohl nach Solidarität mit den Armen als auch nach einer Umkehr in Deutschland steht.

Im Zusammenhang mit der Frage nach den weltkirchlichen Beziehungen der Diözese Cajamarca taucht ein Problem auf, das sich zumindest für Bischof Dammert als ein Problem darstellte: Bei dem Aufbau einer andinen Kirche war er ausgerechnet auf den Einsatz von ausländischen Mitarbeitern angewiesen. Dammert begründet den Einsatz von Ausländern vor allem damit, dass für eine Übergangsphase zu wenig fachlich ausgebildetes einheimisches Personal zur Verfügung steht. Als größtes Hindernis beklagt er, dass peruanische Fachkräfte aufgrund ihrer Erziehung, Herkunft und langer Traditionen oft nicht bereit oder fähig sind, den tiefen Graben zwischen ihnen und den Indios zu überwinden. Sie würden lieber in der großen Stadt oder an der Küste leben und arbeiten. „Dagegen eröffnet die Mitarbeit europäischen Personals, gebührend vorbereitet, unerwartete Horizonte, so wie ich es selbst in meiner Diözese mit der aufopfernden Arbeit der deutschen Sozialarbeiterinnen erlebt habe, ebenso wie mit der Mitarbeit eines Priesters aus der Diözese Speyer“ (17). Einen weiteren Grund für die Notwendigkeit ausländischer Mitarbeit sieht Dammert in der bisherigen Haltung der einheimischen Kirche, der wenig an einer Mitarbeit von Laien und auch „wenig an der Bildung des einfachen Volkes gelegen war“ (18).

Der peruanische Soziologe Mario Padrón bestätigt in einer Untersuchung im Auftrag Dammerts, dass ausländische Mitarbeiter, immer vorausgesetzt, dass sie auch wirklich mit dem Volk leben, eine weitaus größere Akzeptanz bei den Campesinos erreichen - und damit auch eine nachhaltigere Wirkung - als peruanische Fachkräfte (19). Das grundsätzliche Problem in diesem Zusammenhang sieht Dammert darin, dass die erste Evangelisierung keine Wurzeln geschlagen hatte und daher eine einheimische Kirche bisher nicht entstehen konnte. Daher war er - vorübergehend - auf ausländische Hilfe, personell und materiell, angewiesen. „Wenn wirklich die erste Evangelisierung Wurzeln geschlagen und eine einheimische Kirche gegründet hätte, könnte man sich diese jetzt selbst überlassen. Aber eine Kirche, die nur schwache Strukturen besitzt ohne Basis, würde sich auflösen, oder es bleiben nur Pseudo-Kirchen. Leider hat man Jahrhunderte lang schlecht gepflanzt und die Pflanzen hatten keine Wurzeln oder sind schief gewachsen. Man muss immer von neuem säen. Ich glaube nicht, dass die lateinamerikanische Kirche sich allein genügt, sondern eher, dass sie, allein gelassen, alles verlieren würde“ (20).

So stand Bischof Dammert vor dem Dilemma, dass er einerseits mit aller Macht eine einhei-mische Kirche aufbauen wollte, andererseits aber für dessen Realisierung auf Hilfe von außen angewiesen war. Er stellte daher sehr hohe Anforderungen an die ausländischen Mitarbeiter, Priester und Laien. Vor allem hatte er großes Misstrauen gegenüber vom Ausland importierten Modellen: „Die ausländischen Missionare kommen nicht nach Lateinamerika, um einem heidnischen Volk das Evangelium zu verkünden, sondern um die einheimische Kirche zu stärken“ (21).

Dieser Vorgabe mussten sich alle ausländischen Mitarbeiter unterordnen - was in der Regel kein Problem war, da diese im Fall der Diözese Cajamarca eben aus diesen Gründen nach Cajamarca kamen und mit Dammert zusammen arbeiten wollten. Falls nötig, sagte er dies auch sehr deutlich, so bei einer Absage an ein spanisches Missionsteam der Franziskaner, das ihm einige Missionare nach Cajamarca schicken wollte und deren Zielvorstellungen er kannte: „In aller Aufrichtigkeit muss ich Ihnen sagen, dass ich keine Einladung an das Missionsteam ausgesprochen habe, denn dies ist nicht die ‚Hilfe’, die ich brauche. Ich habe weder ein Interesse an Statistiken der Sakramentenspendung (eine Erfindung des Teufels zur Beruhigung der Gewissen) noch an hübschen Predigten, nach denen die Leute dann sagen, welch schöne Worte doch der Padrecito findet (‚wie schön hat er geredet!’), um danach in ihrer Ignoranz weiter zu leben. Das ist ein Beruhigungsmittel, das kein Problem löst“ (22).  Dennoch betont er, dass ausländische personelle Hilfe notwendig ist. Er stellt an das ausländische Personal folgende Bedingungen:

  1. „Es müssen fähige Menschen sein, die Probleme ihrer Berufung zum Priestertum und affektiv-emotionale Probleme gelöst haben und über eine apostolische Erfahrung verfügen.
  2. Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, sich mit Demut und Flexibilität dem Dienst der geistigen Erneuerung des Kontinents hinzugeben.
  3. Die Hilfe darf keine Bedingungen enthalten, sie darf keine ausländischen Modelle überstülpen wollen und sie muss bereit sein, die hier vorhandenen Werte zu entdecken und zu fördern.
  4. Man muss sich rechtzeitig zurückziehen können, um den Erfolg der geleisteten Arbeit nicht zu gefährden. Dann hat man die Befriedigung eines wahrhaften Dieners des Herrn“ (23).

Obwohl Bischof Dammert mit „seinen“ ausländischen Priestern überwiegend positive Erfahrungen machte, kannte er doch auch die etwas andere Realität in anderen Diözesen. Er reagierte geradezu allergisch gegen alle Versuche, von Europa oder den USA her den Weg der Kirche in Peru bestimmen zu wollen. Seine Skepsis kommt beispielhaft im folgenden Text zum Ausdruck: „Die Arbeit mit den Campesinos ist sehr langwierig, denn hier trifft das Wort zu, dass einer aussät und der andere erntet. Ich glaube, dass der größte Fehler war, dass ausländische Priester eine zu schnelle ‚Bluttransfusion’ für die geschwächte lateinamerikanische Kirche machen wollten, indem sie Programme verwirklichen wollten, die in ihrem Land Erfolg hatten. Es fehlte die Tugend der Campesinos, die Natur und die Umgebung zu beobachten, zu warten, dass das Weizenkorn keime und reife gemäß dem ihm eigenen Rhythmus und ihn nicht mit künstlichem Dünger zu überschütten. Deswegen kann ich weder übermäßige Erfolge noch Misserfolge nennen, denn 16 Jahre sind eine sehr kurze Zeit, zumindest in der tausendjährigen andinen Kultur. Ich treffe zweifellos einen Reifeprozess in den Campesinos an, mit denen pastoral gearbeitet wurde, trotz der Fehler, die es vor allem in der ersten Phase gab. Hauptursache der religiösen Ignoranz war das Fehlen einer christozentrierten Verkündigung. Es gibt noch viel zu tun“ (24).

Nach Dammert heißt „Weltkirche werden“ eben nicht, dass alle Welt wie Europa bzw. Kirche nach europäischen Maßstäben weltweit aufgebaut wird. Dies ist in den vergangenen Jahrhunderten geschehen und daher gab es eben keine lateinamerikanische oder afrikanische Kirche, sondern überall nur die immer gleichen Kopien einer europäischen, römischen Kirche, die letztlich eine weiße Kirche war, weil sie im Gefolge der Eroberung daherkam. Eine weltweite Kirche, die eine Alternative zur herrschenden Globalisierung werden will, muss dagegen von den Rändern her entstehen, aber nicht in ähnlich ausschließender Weise wie dies umgekehrt bisher vom Zentrum her geschah. Diese Ränder stellen sich in sehr unterschiedlicher Weise dar und sie sind farbig und sehr bunt. Die Einheit einer solchen Weltkirche besteht darin, dass alle zusammen ein Bild (Mosaik) ergeben, das als Bild eine klare Botschaft hat: mit Jesus den Beginn einer neuen Zeit verkünden, in der die Menschen gemeinsam das Brot brechen und im Frieden mit der Schöpfung und allen Geschöpfen leben (25).

Bischof Dammert sieht eine große Aufgabe und Herausforderung darin, diese Kirche zu bauen und als Kirche von Cajamarca dazu einen Beitrag zu leisten: „Eine Herausforderung besteht darin, dass wir unsere Glaubens- und Pastoralerfahrung der gesamten Weltkirche mitteilen können. Mit anderen Worten: wie können wir mehr und mehr katholische Kirche werden? Dabei ist zu fragen, ob die weltkirchlichen Strukturen dieser Herausforderung entsprechen. Ich denke, dass unsere armen Kirchen innerhalb der Weltkirche immer noch nicht ganz gleichberechtigt sind. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir wegen unserer anders-artigen Kultur, wegen der anderen Glaubenserfahrung de facto diskriminiert werden. Katholische Kirche ist schon seit Beginn des Evangeliums als multikulturelle Kirche angelegt. Dieser Punkt beinhaltet, dass wir eine kontextuelle Kirche sein müssen. Wir müssen in dem ganz konkreten, sozialen und politischen Kontext Kirche sein und Kirche werden“ (26).

d) Partnerschaften