....Kirchengemeinden des Nordens sind existentiell in diesen Kontext der Abhängigkeit und der Gewalt verwickelt. Im Kontext einer Partnerschaft jedoch bietet sich den deutschen Partnergemeinden (und deutsche Kirche insgesamt) die Möglichkeit eines Auswegs aus der Sackgasse. Sie können den Teufelskreis einer zugleich wachsenden Verelendung auf der einen Seite und einer wachsenden Bereicherung einiger Weniger auf Kosten der Mehrheit auf der anderen Seite durchbrechen. Dies wäre eine österliche Erfahrung: durch die Auferstehung Jesu wird der Teufelskreis des Todes und der Macht sündhafter Strukturen durchbrochen und neues Leben ermöglicht. In dem sie das Brot mit den „Indios dieser Welt“ brechen, können christliche Gemeinschaften des Nordens auf den Weg des Volkes Gottes zurückkehren und in den Armen Jesus als ihren einzigen „Herrn“ erkennen. Eine so verstandene Partnerschaft ist das sichtbare Zeichen dafür, dass der Bruch zwischen den Menschen auch innerhalb der Kirche überwunden werden kann. „So gesehen stellt sich die Kirche in erster Linie als jenes Volk Gottes dar, das in der Geschichte fortführt, was Jesus endgültig als Gegenwart Gottes unter den Menschen besiegelt hat“. (Ellacuría, Ignacio: Die Kirche der Armen, geschichtliches Befreiungssakrament).
Die Kirche von Cajamarca und ihre Beziehungen zur Weltkirche. Eine lokale Kirche in der globalen Gemeinde Jesu Christi – das Volk Gottes gemeinsam auf dem Weg.
Dieses Thema, in seiner speziellen Ausgestaltung als Partnerschaft, stand im Mittelpunkt unserer Studie. Die wichtigsten Ergebnisse wurden im Sammelband zur Studie bereits veröffentlicht. Die Studie ist in dieser Form einzigartig. Sie geht im Unterschied zur Studie von Gabriel/Nuscheler u.a., die ein möglichst breites Spektrum erfasst, eher in die Tiefe und untersucht die Beziehungen von lokalen Teilkirchen in allen ihren Dimensionen; es wird möglichst tief gebohrt und entsprechend kommt im Unterschied zu anderen Untersuchungen vieles ans Tageslicht, positiv wie negativ. Vor allem spielt bei den bisherigen Untersuchungen die ekklesiologische Bedeutung der Partnergruppen als konstitutives Element für Kirche und Theologie kaum eine Rolle. (F. Nuscheler/K. Gabriel/S. Keller/M.Treber: Handeln in der Weltgesellschaft: Christliche Dritte-Welt-Gruppen. Praxis und Selbstverständnis, Mainz 1995. Ebenso: N. Treber/W. Burggraf/N. Neider (Hrsg.): Dialog lernen. Konzepte und Reflexionen aus der Praxis von Nord-Süd-Begegnungen, Frankfurt/M. 1997. Vgl. auch: L. Weckel/M. Ramminger, Dritte-Welt-Gruppen auf der Suche nach Solidarität, Münster 1997.
Alle genannten Untersuchungen wie auch unsere Studie haben aber ein gemeinsames Ergebnis, das von F. Weber so zusammengefasst wird: „Die Tatsache, dass Solidaritätsgruppen gar nicht so selten ‚nur am Rande’ von Pfarrgemeinden geduldet werden und mit ihren entwicklungspolitischen und weltkirchlichen Projekten und Anliegen in Liturgie und Gemeindeleben viel zu wenig zur Sprache kommen, müsste mit Diözesanleitungen und den Hauptamtlichen in der Seelsorge ernsthaft hinterfragt werden“. (Weber, Franz: Werkstatt Reich Gottes, S. 328.) In der Fußnote zu diesem Zitat schreibt Weber: „Die Schlussfolgerung der bekannten Studie von F. Nuscheler und anderen hat leider in kirchlichen Kreisen viel zu wenig Beachtung gefunden“. Und er zitiert die Hauptaussage der Studie: „Die Dritte-Welt-Gruppen ... machen auf ihre Art - gelegentlich am Rande oder schon außerhalb der Kirche - eine ‚pastorale Drecksarbeit’ - dazu noch ehrenamtlich und mit hohem Zeit- und Energieeinsatz: sie sind Sauerteig einer gelebten Solidarität und Antriebskräfte eines Bewusstseinswandels in den Ego-Gesellschaften des Nordens, ohne den die Eine solidarische Welt nicht entstehen kann“.
Unsere Studie und diese Arbeit gehen aber noch einen Schritt weiter. Sie stellt die These auf, dass ohne eine Umkehr der reichen Kirchen und das Suchen nach einem gemeinsamen Weg mit den „Indios dieser Welt“ und von deren Situation und Glauben ausgehend, katholische Kirche nicht möglich ist. Wie aber soll Umkehr möglich sein, wenn sich christlicher Glaube und Spiritualität selbst in den Kerngruppen der Gemeinden immer mehr verflüchtigen? Und falls (?) kirchliche Behörden die pastoralen Herausforderungen der Zeit und einer globalen Gesellschaft nicht erfassen - von wem und mit wem soll denn dies alles geschehen? An dieser Stelle werden einige Ergänzungen zu den im Sammelband zur Studie vorgelegten Beobachtungen im Bezug auf weltkirchliche Beziehungen und Partnergemeinden gemacht, die im Zusammenhang zu diesem Abschnitt stehen (im Sammelband vgl. insbesondere die Beiträge von E. Klinger, O. Fuchs, W. Knecht). Zuerst aber wird an die Anfänge der weltkirchlichen Kontakte erinnert, weil sie exemplarischen Charakter haben.
a) Die Beziehungen der Diözese Cajamarca zu Deutschland (Entstehungszeit, die entscheidende Rolle von Pfr. Alois Eichenlaub aus Herxheim, Diözese Speyer)
Der erste Kontakt mit Europa fand bereits 1532 statt. Darüber ist bereits viel gesagt worden. Dieser Hintergrund darf aber nicht außer Acht gelassen werden. Und danach wurde die Kirche von Cajamarca wie alle Diözesen in Lateinamerika nach europäischen Vorgaben geleitet. Bis zur Amtszeit von Bischof Dammert sind weder auf der Ebene der Diözese noch einzelner Pfarreien Kontakte nach Deutschland bekannt. Es waren bis 1962 keine deutsche Priester in Cajamarca tätig und auch sonst keine nichtspanische Missionare. Die Vorfahren von Bischof Dammert stammen väterlicherseits aus Deutschland (vgl. seine Biographie). Seine deutsche Herkunft spielte aber keine Rolle bei der ersten Kontaktaufnahme mit Deutschland.
Diese Kontakte ergaben sich eher zufällig über zwei seiner Priester, Alois Eichenlaub (Diözese Speyer) und Pedro Bartolini. Alois Eichenlaub kam 1962 als Fidei-Donum-Priester nach Cajamarca. Eigentlich war er für die Diözese Abancay vorgesehen, er stand schon vor der Ausreise nach Peru in Kontakt mit dem damaligen Bischof von Abancay, Alcides Mendoza. Bischof Mendoza stammt aus Abancay. Auf der ersten Konzilsperiode 1962 war er mit 34 Jahren der jüngste Bischof der Weltkirche. Der junge Bischof sprach auf seinen wiederholten Besuchen in Deutschland immer wieder von der Notwendigkeit von Reformen in der Kirche. Er schilderte sehr anschaulich die pastorale Situation in seiner Diözese, den Mangel an Priestern und die damit verbundene mangelnde pastorale Betreuung der Menschen. Mit dem jüngs- ten Bischof der Weltkirche wollte Misereor ab 1961 ein Pilotprojekt starten, das als Vorbild für ganz Peru gedacht war. Man glaubte in Bischof Mendoza den geeigneten Bischof dafür gefunden zu haben, jung und dynamisch, voller neuer Ideen und offen für die Anliegen des beginnenden Konzils. Die Diözese Speyer wollte das Patronat über die Diözese Abancay übernehmen, weil in Abancay bereits Ordensschwestern aus Speyer (St. Ursula) waren. Bereits im März 1961 beginnt ein intensiver Briefkontakt zwischen Bischof Mendoza und Alois Eichenlaub. Bischof Mendoza versprach sich sehr viel von dem Patronat. Alois Eichenlaub sagte später, dass er Bischof Mendoza die Ausreise nach Peru verdankte, weil dieser sich für ihn eingesetzt hatte und weil der Kontakt zwischen Speyer, Abancay und Misereor dank des dynamischen Bischofs für die Zukunft viele Möglichkeiten eröffnete.
Erst einmal in Abancay, verschafft sich Alois Eichenlaub rasch ein Bild über die soziale und pastorale Lage in Abancay, die er in dieser Härte nicht erwartet hatte. Bischof Mendoza hatte nie darüber geschrieben. In einem ersten Bericht, gleichzeitig der erste Rundbrief nach Deutschland, dem noch viele weitere folgen und aus denen später die „Informationen aus Cajamarca“ hervorgehen sollten, schreibt er am 7. 9. 1962 aus Abancay: „In der ganzen Diözese gibt es nur 19 Priester, davon 12 Amerikaner aus Boston; 29 Pfarreien sind ohne Priester und sind zum Missionsgebiet erklärt, d.h. sie werden einmal im Jahr, mehrere Gebiete nur alle fünf Jahre von irgendeinem Pfarrer besucht. Nahezu das gesamte Land gehört Großgrund- besitzern, die Durchschnittsgröße der Hazienden liegt bei 5.000 ha, die ‚Quetschua - Indianer‘ arbeiten auf deren Gütern und kennen kein Geld (‚Entlohnung‘ in Naturalien). 1962 sterben 70% aller Neugeborenen, es gibt keine Milch! Etwa ein Drittel der Bevölkerung wandert in ihrer Not ab nach Lima, in die Elendsviertel, in denen dann noch die moralische Not dazukommt, die Entwurzelung“.
Alois Eichenlaub sieht in dieser Situation eine dramatische Herausforderung und Verpflichtung der Kirche. Als Priester und als Mensch ist er zutiefst davon überzeugt, inmitten des vorgefundenen Elends die Botschaft von der Würde aller Menschen als Kinder Gottes verkünden zu müssen. Doch der Bischof wollte ihm offensichtlich Ämter und Aufgaben übertragen, die ihn genau vor dieser Wirklichkeit schützen sollten. Der Bischof sprach zwar immer wieder von Reformen und einem Aufbruch in der Kirche, er sprach aber nicht von der Not der Menschen, er schien diese noch nicht einmal sehen. Stattdessen hatte Alois Eichenlaub zufällig Bischof Dammert in Lima kennen gelernt. In Bischof Dammert fand er einen aufmerksamen Zuhörer seiner Ideen und Vorstellungen und umgekehrt war Bischof Dammert von Alois Eichenlaub und dessen Elan und Vorstellungen einer erneuerten Kirche beeindruckt.
Bischof Mendoza hatte inzwischen auch seine ersten Zweifel an Alois Eichenlaub bekommen. Denn der Bischof hatte ihm angeboten, als Kaplan des wichtigsten Schwesternkonvents der Stadt täglich drei Messen zu lesen und sonst praktisch als Sekre- tär des Bischofs arbeiten zu dürfen - aus der Sicht des Bischofs eine besondere Auszeichnung für den Ankömmling. Der Neue wollte sich aber auf keinen Fall als Sekretär des Bischofs hauptsächlich in dessen Residenz aufhalten und sich auch sonst nur innerhalb der etablierten Kreise der Stadt bewegen, denn deshalb hätte er nicht seine Heimat verlassen. Umso enttäuschter war der Bischof, dass Alois Eichenlaub dieses großzügig gemeinte Angebot ablehnte und lieber auf dem Land und mit den Ärmsten arbeiten wollte. Ein weiterer Wunsch von Alois Eichenlaub war, in einem Team zu arbeiten. Ende November 1962 hat er über einen Freund in Lima erfahren, dass sich Dammert und Mendoza auf dem Konzil geeinigt haben, dass „Alois für einige Monate nach Cajamarca gehen sollte, denn Dammert wollte dort etwas ganz Neues anfangen“.
Bischof Mendoza bot Bischof Dammert an, Alois Eichenlaub für den Neubeginn in Cajamarca auszuleihen. Er sollte ab und zu in Cajamarca aushelfen, um dort die jungen Priester zu orientieren. Ende 1962 kam Alois Eichenlaub nach Cajamarca und sollte bis heute dort bleiben. Über ihn liefen dann die ersten Kontakte der Diözese Cajamarca nach Deutschland (erste Rundbriefe seit 1962). Nachdem die Entscheidung bereits gefallen war, dass Alois Eichenlaub in Cajamarca bleiben würde, schrieb Mendoza auch noch einmal an Caritas Freiburg: „Pater Eichenlaub war von Anfang an für unsere Diözese bestimmt; leider habe ich schon von Anfang an bemerkt, dass er irgendwie beeinflusst war, um nicht weiter in Abancay zu arbeiten. Zufällig hatte ich in Rom ein Gespräch mit dem Bischof von Cajamarca geführt und habe dem Bischof die Aushilfe von Pater Eichenlaub zeitweilig angeboten, bis ich die von P. Eichenlaub gewünschten Bedingungen zum Arbeiten geschaffen hätte: Bedingungen, die mir schon zeigten, dass es unmöglich wäre, dass er bei uns arbeitete“. (Brief an Frau Dr. Böhle, vom 5. August 1963). Aus diesem und weiteren Briefen an Misereor, Speyer und Caritas wird deutlich, dass sich Bischof Mendoza in einem Dilemma befand: einerseits konnte er sich eine Zusammenarbeit mit Alois Eichenlaub nicht mehr vor- stellen, andererseits fürchtete er mit Recht, dass mit dem Verzicht auf ihn auch der Plan von Misereor und von Speyer, die Diözese Abancay zu einem Pilotprojekt und Zentrum deutscher Hilfe auszubauen, gegenstandslos werden könnte.
Der folgende Ausschnitt eines Briefes von Dammert an Misereor deutet die verschiedenen Sichtweisen, Maßstäbe und Erwartungen an, die zu Beginn und teils bis heute an die weltkirchlichen Kontakte gestellt wurden. Dammert schreibt am 18.4.1963 in einem vertrauens- vollen Brief an Frl. Jörissen, Misereor, über die Position von Mendoza: „Die Bedingung und Erwartung von Mendoza für die Mitarbeit der Deutschen war, dass sie in der traditionellen Linie (Verwaltung der Sakramente, Almosen verteilen, Kranke pflegen etc.) arbeiten, aber nicht, dass sie die Probleme von Grund auf angehen. Die Andenbevölkerung ist laut Mendoza nicht fähig, etwas Neues zu akzeptieren, sie wollen immer nur das Gewohnte und Almosen! Deshalb ist er auch froh, dass Alois nach Cajamarca geht, weil er nur die gewohnte Seelsorge stören würde. Der Bischof von Speyer kann so etwas nicht verstehen, auch Misereor nicht“. Dammert sorgt sich im Folgenden um die generelle Hilfe für Peru, denn Misereor hat wohl Abancay als Pilotprojekt für Peru vorgesehen, und wenn dieses scheitert, könnte dies das Ende jeder Hilfe für Peru bedeuten. Im selben Brief fährt er fort: „Es ist internationale Übereinkunft, zuletzt besprochen in Lima, dass die Pläne für eine erneuerte Pastoral etc. nur in den Diözesen gestartet werden sollen, deren Bischöfe dazu bereit sind, neben Cajamarca z.B. auch Ayaviri mit Bischof Metzinger. Misereor würde es gut anstehen, wenn es sich, bevor es Programme startet, vor Ort über die Gegebenheiten informieren würde, z.B. einen Beauftragten für Peru ernennen, der sich in Zusammenarbeit mit peruanischen Stellen nach den besten Möglichkeiten der Hilfe umsieht“. (Archiv Dammert im IBC, Lima).
Bereits an dieser Stelle, d.h. schon bevor sich deutsche Hilfswerke in Peru engagiert haben bzw. in der ersten Planungsphase, werden Probleme sichtbar, die auf große Spannungen und auf fundamental andere Sichtweisen hindeuten. Misereor, hier stellvertretend für die deutsche Kirche, knüpft die materielle und pastorale Hilfe eng an die einheimischem Bischöfe und deren Optionen, ohne zu berücksichtigen, dass diese Optionen - de facto! - möglicherweise in völligem Widerspruch zu den Zielsetzungen von Misereor stehen. Am Beispiel von Bischof Mendoza bedeutete dies konkret, dass man nahezu blind dessen Worten als Bischof vertraute, ohne sich ernsthaft um dessen pastorale und theologische Prioritäten in der Praxis zu kümmern oder sie überhaupt wahrnehmen zu können oder zu wollen. Dabei geht es nicht darum, einem Bischof bewusste Täuschung zu unterstellen, sondern der Bischof glaubte fest daran, dass mit dem Beginn des Konzils auch in seiner Diözese „die Fenster aufgemacht und ein neuer Wind den alten Muff vertreiben würde“ (aus einem Brief des Bischofs an Alois Eichenlaub).
Die Praxis in seiner Diözese deutete aber eher darauf hin, dass er das Konzil und das Anliegen von Johannes XXIII. missverstanden hatte und er davon ausging, dass das Konzil die Bischöfe ermutigen würde, die kirchliche Autorität und die bisherigen Prioritäten der Kirche in immer unruhiger werdenden Zeiten zu stärken und diese kirchlichen Prinzipien auf zeitgemäßere Art zu verkünden und ihnen somit eine neue Geltung zu verschaffen. Er hatte zu Recht darauf gehofft, dass durch die neu geknüpften Kontakte und die Anwesenheit deutscher Missionare und Entwicklungshelfer nun auch eine Menge Geld in seine Diözese fließen würde. Misereor verstand dagegen den Aufbruch der Kirche auf eine Weise, die dem Konzil gemäß war (u.a. Arbeit mit den Ärmsten), sah aber völlig davon ab, dass ein solcher Aufbruch nur möglich war mit Menschen, die von einem entsprechenden Geist erfüllt waren und ein Bischof nicht „per se“ ein solcher Mensch sein musste.
Auffällig ist auch, dass Dammert schon zu Beginn der Beziehung mit Deutschland darauf hinweisen musste, dass sich jede Hilfe aus dem Ausland zuerst an den Gegebenheiten vor Ort, und dazu zählen auch die zur Verfügung stehenden Personen, auszurichten habe.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass von der jeweiligen Option her betrachtet, die Wirklichkeit und damit die pastoralen und sozialen Notwendigkeiten völlig anders oder gar entgegengesetzt wahrgenommen werden können. Denn die jeweilige Option zeigt sich ausschließlich oder vorrangig in der Praxis. Die Sprache und Begriffe können identisch sein, doch man meint etwas von Grund aus Verschiedenes. Übersieht man dies oder wird es nicht berücksichtigt, dann ist die Gefahr groß, dass man zwar meint, die gleiche Sprache zu sprechen (z.B. „Erneuerung der Kirche“, „Evangelisierung“ etc.), aber in Wirklichkeit völlig gegensätzliche Standpunkte vertritt. Die Wirklichkeit stellt sich von verschiedenen Standpunkten und Optionen aus betrachtet je anders dar.
Bischof Mendoza war bis 2003 Erzbischof von Cusco. Nach seiner Zeit in Abancay wurde er zuerst Militärbischof und 1982 wurde er als Nachfolger von Luis Vallejos zum Erzbischof von Cusco ernannt. 1986 war er es, der maßgeblich an dem Zustandekommen der Partnerschaft der Erzdiözese Freiburg mit der peruanischen Kirche beteiligt war. (Pressemitteilung im „Konradsblatt“ - Freiburger Diözesanzeitung - am 30. 9. 2001: „Alcides Mendoza Castro (73), Erzbischof von Cusco in Peru, hat sein 50-jähriges Priesterjubiläum gefeiert. Erzbischof Oskar Saier gratulierte dem peruanischen Oberhirten, der die älteste Diözese Perus seit 43 Jahren leitet und damit der weltweit am längsten amtierende Bischof ist. Oskar Saier dankte dem Jubilar für seine Begleitung der Freiburger Perupartnerschaft und lud ihn gleichzeitig zur Feier des 175-jährigen Bestehens des Erzbistums Freiburg am 1. Mai kommenden Jahres ein“. Anmerkung Red.: In der Pressenotiz ist ein Fehler enthalten, denn Bischof Mendoza wurde erst 1982 Erzbischof von Cusco, er ist aber seit 43 Jahren Bischof: 1958 - 2001).
In einer ersten Bilanz nach einem Jahr der Freiburger Perupartnerschaft stellte Weihbischof German Schmitz (Lima) 1987 fest, dass sich überproportional viele peruanische Opus - Dei - Pfarreien um eine Partnerschaft mit deutschen Gemeinden bemüht hätten, weil sie als erste die Chance einer Partnerschaft im Sinne von Mendoza erkannt hatten.
Die erste Verbindung einer deutschen Kirchengemeinde mit der Diözese Cajamarca war noch zufälliger entstanden. Pedro Bartolini aus Cajamarca hielt sich seit Anfang 1961 zu ergän- zenden Studien in Rom auf und wurde von dort zu einer Urlaubsvertretung und zur Erholung über Sommer nach Deutschland geschickt und geriet zufällig in die Gemeinde St. Martin, Dortmund. Dort fasste er Vertrauen zu dem damaligen Pfarrer von St. Martin, Fritz Hermann und dessen Vikar Richard Rademacher. Anfang 1963 kehrte Bartolini auf Wunsch von Bischof Dammert nach Cajamarca zurück, wo er mit zwei anderen Priestern die Arbeit in Bambamarca aufnahm. Fritz Hermann (verstorben am 12. 12. 1983) schreibt im Rückblick über die Anfänge der Partnerschaft mit Bambamarca:
„Wir hatten uns bei unseren nicht vorhandenen Spanischkenntnissen und seinem mangelhaften Latein im wesentlichen mit lateinischen Infinitiven ... verständigt. Aber wir hatten doch wohl einen einigermaßen Vertrauen erweckenden Eindruck bei ihm hinterlassen. Denn auf dem Wege Rom - Frankfurt - New York - Lima - Cajamarca - Bambamarca machte er einen Abstecher nach Dortmund und unter Übergabe einiger mit dem Petersdom und anderen römischen Merkwürdigkeiten versehener Aschenbecher bat er schlicht und einfach um Hilfe. Wir, Richard Rademacher und ich, meinten, Gott könne auch mit kitschigen Aschenbechern winken und bald liefen Dollarschecks, zunächst in winziger, dann in steigender Höhe, monatlich an Pedro, ohne dass wir zunächst so ganz begriffen, was mit dem Gelde geschah.
Eines Tages erschien Alois Eichenlaub, der eine Art rechter Hand von Bischof Dammert geworden war. Er schlug vor, das Geld an Bischof Dammert zu leiten, der besser übersehen könnte, was seinem Projekt Bambamarca dienlich sei. Wir erfuhren dann auch, was alles so drin war, eine Pastoral, die dem ganzen Menschen diente und uns Neuthomisten .. zunächst spanisch bzw. lateinamerikanisch vorkam. Aber das haben wir erst langsam begriffen und gelernt: Alphabetisierung, Schulung der jungen Mädchen in einfachen Dingen wie Hygiene für sich und die Säuglinge, die Haushalts- führung, die Webtechnik; Gründung einer Genossenschaft, aber auch Heranbildung von Katecheten, die in Kleinansiedlungen eine Menge pastoraler Arbeit tun können. .... Seit Alois Eichenlaubs erstem Besuch wurden die Kontakte stärker und uns ging auf, dass wir nicht nur helfen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe leisten mussten; dass wir nicht nur durch milde Gaben unser mehr oder weniger schlechtes Gewissen entlasten konnten, sondern dass uns das Ganze etwas anging, uns mehr beanspruchte, als eine anonyme Gabe für Adveniat oder Misereor - womit nichts gegen diese Hilfswerke gesagt werden soll“.
Vikar Rademacher wurde 1963 Pfarrer in der Gemeinde Hl. Kreuz, Castrop-Rauxel und nahm die Kontakte zur Diözese Cajamarca in seine neue Gemeinde mit. Diese beiden Pfarreien in Dortmund und Castrop-Rauxel sind bis heute eine wesentliche Stütze der Partnerschaft mit Cajamarca. St. Martin, Dortmund wurde zur zentralen Anlaufstelle für fast alle nachfolgenden Kontakte kirchlicher Gruppen und Kirchengemeinden, die mit der Diözese Cajamarca und Bi- schof Dammert in eine Beziehung eintreten wollten. Vor allem die aus den Rundbriefen von Alois Eichenlaub hervorgegangenen „Informationen aus Cajamarca“ (seit 1969) wurden zur ersten Informationsquelle über die Aufbrüche in der Diözese Cajamarca.
b) Fidei-Donum-Priester
Ein nicht zu unterschätzendes Element für das Selbstverständnis der Kirche als Weltkirche, der Katholizität der Kirche, ist das Entsenden deutscher Priester und Missionare in alle Teile der Welt. Anfänglich wurde dies sogar als das entscheidende Zeichen der neu entdeckten Weltkirchlichkeit gesehen. Alois Eichenlaub war einer der ersten deutschen Diözesanpriester, die in etwa zeitgleich mit dem Entstehen von Misereor und Adveniat und im Rahmen der ebenfalls neu übernommenen Patenschaften deutscher Diözesen für einzelne Missionsländer als Priester in ein solches Missionsland“ gehen wollten. (Im November 2002 auf Heimaturlaub nennt er in einem Interview mit der „Rheinpfalz“, am 27. 11. 2002, die Gründe für seinen damaligen Entschluss „in die Mission“ zu gehen: „Für meinen Schritt gab es zwei Gründe: Johannes XXIII. hat in der Enzyklika „Fidei Donum“ die Bischöfe aufgefordert, auch Weltpriester aus ihren Diözesen in die dritte Welt zu schicken, vor allem in die lateinamerikanische Kirche. ... Das kam auch meinem Kindheitswunsch entgegen, einmal fremde Länder zu sehen. Peru war nicht tiefgreifend evangelisiert. Auf meinen Wunsch hat mich der Diözesanbischof freigestellt. Ich war begeistert, weil ich spürte: Das ist meine Berufung. Mein Leben erhält einen tieferen Sinn“. (Anm. Redaktion: Die genannte Enzyklika stammt von Pius XII.).
Die Idee der deutschen Diözesen war, den Priestermangel in den Missionsländern durch großzügige Aushilfen zu überbrücken, als Zeichen der Solidarität mit den jungen Kirchen. 1959 war Misereor gegründet worden,1961 Adveniat. In der damaligen Zeit war in den Ländern des christlichen Abendlandes noch die Auffassung verbreitet, dass die Entsendung von Missionaren die dringlichste Aufgabe sei, um den Kirchen in den armen Ländern zu helfen. Der Priestermangel in den armen Ländern war das entscheidende Motiv für die Entsendung von europäischen Missionaren. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass über entwicklungspolitische Zusammenhänge, z.B. Fragen nach den Ursachen der Armut, nur vereinzelt nachgedacht wurde. So stellen es heute zumindest die ersten ausgesandten Priester im Rückblick fest; eine entsprechend entwicklungspolitische Diskussion hatte noch nicht stattgefunden.
Andererseits war es in der Zeit vor dem Konzil selbstverständliche Meinung, dass die unterentwickelten und zum großen Teil noch „heidnischen“ Länder darauf angewiesen waren, vom christlichen Abendland aus missioniert zu werden, auch wenn es in den Missionsländern zunehmend Überlegungen gab, neue Wege zu beschreiten, da die bisherige Praxis ja gerade zu der Situation geführt hat, die nun als Mangel empfunden wurde. Dabei wurde - damals selbstverständlich - ausschließlich an Priester gedacht, wenn es darum ging, das Evangelium in aller Welt zu verkünden. „Vor 40 Jahren machte eine Gruppe deutscher Weltpriester einen Neuanfang und kam in verschiedene lateinamerikanische Länder. Es waren Fidei-Donum-Priester, die großherzig Antwort auf den Aufruf des Papstes gaben, ihre Heimat zu verlassen, um in Diözesen zu dienen, die nach Sprache und Kultur in einer ganz anderen Welt lebten. Sie waren Pioniere einer neuen Mission, die mit der Zeit eine Doppelspur hinterließ, einerseits bei denen, die auszogen, als auch andererseits bei jenen, die sie empfingen“. (Bischof Jorge Jiménez, Generalsekretär des CELAM, in einem Grußwort zu dem Buch: „..und sie machen einander reich“, eine Chronik der Fidei Donum Priester. Redaktion Enrique Rosner, Quito 1998.)
In der Enzyklika „Fidei Donum“ von Papst Pius XII. (21. 4. 1957) und noch mehr im Zweiten Vatikanischen Konzil (Lumen Gentium 23 bzw. 2. Kap. Nr. 10) wurde die Gesamtverantwortung der Bischöfe und Priester für die Weltkirche - damals im Sinne des Missionsauftrags an die Jünger - herausgestellt und angemahnt. In der Fidei Donum Chronik schreibt Enrique Rosner (ebd. S. 35): „Warum deutsche Priester nach Lateinamerika? Um dem chronischen katastrophalen Priestermangel abzuhelfen! Das war die erste Motivation zur Ausreise oder zur Entsendung nach dem Zweiten Weltkrieg. Südamerikanische Bischöfe bettelten um Priester. Es entstand ein ‚Handel’ um Priesteraushilfen. Damals blieb alles noch dem Zufall überlassen und entsprach der Privatinitiative der einzelnen“. Von Emil Stehle, damals Geschäftsführer von Adveniat, stammt die Idee, die in Lateinamerika tätigen Weltpriester nach dem Rundschreiben von Pius XII. nun „Fidei-Donum- Priester“ zu nennen (1971).
Wie Alois Eichenlaub ging es auch vielen anderen deutschen Priestern nicht zuerst darum, den Priestermangel in den Missionsländern zu lindern. Es ging ihnen nicht zuerst darum, die Zahl der Priester in Lateinamerika zu erhöhen, sondern vielmehr ging es ihnen um eine neue Orientierung der gesamten Pastoral und der Seelsorge aufgrund der dortigen Gegebenheiten. Von Löwen aus, wo er sich auf seine Aufgabe in Peru vorbereitete, schreibt Alois Eichenlaub am 19.11.1961 an Mitbrüder und Kurskollegen, dass nur solche Leute in die „Mission“ gehen sollten, die mit den Menschen vor Ort die Probleme erkennen, analysieren und bereit sind, neue Wege zu gehen. Darin ist er sich mit vielen seiner Kurskollegen einig, er fährt fort: „In den letzten Jahren wuchs der Kontinent Amerika um 45 Millionen Menschen. Trotz größter Anstrengung ist im gleichen Zeitraum die Zahl der Priester nicht gewachsen. Was tun? Nur eine Neuorientierung vom Zentrum her, von unseren Prinzipien her, kann helfen: die verantwortliche Mitarbeit von Laien, nicht nur in der ‚Katholischen Aktion’, sondern direkt mit priesterlichen Aufgaben wie Taufe, Beerdigung, Unterricht, Kommunionausteilung, Liturgie außer der Hl. Messe - vielleicht sogar Beichte im Sinne der Urkirche - kann zu einer Erneuerung führen. Das sind Fragen ans kommende Konzil“. (Privatarchiv Alois Eichenlaub).
Andere Priester sahen und sehen ihren Einsatz in den Missionsländern anders. Das hängt mit den verschiedenen Auffassungen vom Priestertum, der Rolle der Kirche in der Welt etc. ab. Im Mai 1999 berichtet Alois Eichenlaub in einem Rundbrief von einem Treffen der Fidei-Donum-Priester in Ekuador, in dem die Mehrzahl der deutschen Priester den großen Priestermangel in Lateinamerika beklagt und einige, darunter Prälat Spelthahn von Adveniat, die Lösung des Problems darin sehen, verstärkt deutsche Priester für eine Arbeit in Lateinamerika zu gewinnen: „Spelthahn von Adveniat insistierte auf der Notwendigkeit, Propaganda zu machen für Nachfolger für uns in Lateinamerika. Mit anderen Worten: es sollte alles geschehen, damit die klerikale Kirche nicht ausstirbt. Auch einige der Kollegen drängten auf dasselbe“.
An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Arbeit deutscher Priester - ob auf diese oder jene Weise - in den armen Ländern erheblich zum Bewusstsein von der Einen Welt und der Kirche als weltweite Gemeinschaft der Gläubigen beigetragen hat, sowohl in den armen als auch den reichen Ländern. Dies gilt umso mehr, wenn man die Rückwirkungen dieser Arbeit auf die jeweiligen Heimatpfarreien bzw. Heimatdiözesen dieser Priester mit berücksichtigt.
c) Kirchliche Hilfswerke
Vielfach haben die großen deutschen Hilfswerke Misereor, Adveniat und Brot für die Welt eine sozialpastorale Arbeit in den armen Ländern erst ermöglicht. Die finanzielle Unter- stützung deutscher Christen ermöglichte in vielen Ländern und Diözesen eine Arbeit und eine Verkündigung, die den Menschen Hoffnung schenkte und neue Perspektiven aufzeigte. Die Hilfswerke legten im Laufe der Zeit in ihrer Selbstdarstellung und Praxis immer mehr Wert darauf, dass es ihnen weder nur um finanzielle Unterstützung noch nur um die Rettung der Seelen geht, sondern um eine integrale Entwicklung: Entwicklung nicht nur im ökonomischen Sinne, sondern um ein Mehr an Gerechtigkeit.
Auch bei der Beschreibung der Arbeit Bischofs Dammerts und dem Entstehen einer befreienden Pastoral in der Diözese Cajamarca dürfen die Anteile der Hilfswerke an der Entwicklung dieser beispielhaften Sozialpastoral in der Diözese Cajamarca und speziell in Bambamarca nicht unerwähnt bleiben. Hier ist besonders Caritas, Freiburg, zu erwähnen. Bereits am 24. 9. 1963 stellte Bischof Dammert einen Antrag an Adveniat. Er bat um Unterstützung für seinen Pastoralplan, Priestergruppen in abgelegene Zonen zu schicken und gleichzeitig Laienkatecheten auszubilden. In Bambamarca gab es kein Pfarrhaus, die bisherigen Pfarrer lebten alle komfortabel in privaten Häusern. Die drei neuen Priester waren in „einer menschenunwürdigen Unterkunft zur Miete in einer primitiven Wohnung mit zwei Räumen untergebracht“ (aus dem Antrag). Versammlungsräume, Schulungszentren usw. gab es erstrecht nicht. In einer Antwort an „Sr. Exzellenz, den hochwürdigsten Herrn José Dammert Bellido, Bischof von Cajamarca, schreibt Bischof Hengsbach weitsichtig: „Ich halte das Pastoralprogramm für den Einsatz von Priestergruppen und die Ausbildung von Laienkatecheten für sehr wichtig“. Aus den Spendengeldern der deutschen Katholiken aus der Adveniat - Kollekte 1962 wurden 100.000 DM für den Neuanfang in Bambamarca zur Verfügung gestellt. Das war der Beginn einer langen Beziehung....
In einem Brief an Misereor im Oktober 1965 schreibt Bischof Dammert: „Seit nunmehr rund zwei Jahren darf ich in meiner Diözese die großzügige Hilfe der deutschen Katholiken erfahren, die es mir erlaubte, ein Pilotprogramm in Bambamarca zu starten. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieses Programm ein erstmaliger Versuch ist innerhalb Perus, das sich fast ausschließlich auf die Erziehung des Campesinos, d.h. des Landbewohners richtet. Dank des deutschen Fachpersonals konnte schon in den ersten Anfängen ein gewisser Erfolg erzielt werden, der die Grundlage zu weiteren Hilfsgesuchen bot“.
Im konkreten Beispiel der Diözese Cajamarca und besonders der Gemeinde Bambamarca wird deutlich, dass deutsche Hilfswerke beim Aufbau einer erneuerten Kirche im Geiste des Konzils einen entscheidenden Beitrag leisteten. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es in der Beziehung der Kirche von Cajamarca mit den Hilfswerken auch zu teilweise erheblichen Meinungsverschiedenheiten und auch gegenseitiger Verärgerung kam.
(Eine Würdigung der Arbeit der Hilfswerke ist hier nicht das Thema, ebenso wenig eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Inhalten, Zielsetzungen und Methoden der Hilfswerke, die ihrerseits sich ebenfalls unterscheiden. Die Hilfswerke aber tragen wesentlich dazu bei, Weltkirche zu werden. Ihre Arbeit ist Ausdruck praktizierter Weltkirchlichkeit.)
Das lag daran, dass Dammert nicht nur die üblichen Dankesbriefe schrieb, sondern mit sachlichen Argumenten die Hilfswerke in die Pflicht nahm und auf einem eigenen Weg bestand. Typisch für diese oft unbequeme Haltung ist folgende Aussage: „Was Misereor und ‚Brot für die Welt’ geben wird, ist für mich eine Rückgabe dessen, was die Industriestaaten uns an Rohstoffen nehmen. Ich habe da keinerlei Skrupel, Aber ich wiederhole: nur Geld geben ist keine Lösung. Es führt nicht zur Veränderung der Haltung, die wir so sehr wünschen“. (Interview mit Dammert, von Rosemarie Bollinger im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt vom 6. 11. 1977.)
Sehr früh wies Dammert auf die Ungerechtigkeiten der Weltwirtschaft und auf die Verantwortung der reichen Länder hin. Nach Dammert hatten die armen Länder nur dann eine Chance, wenn es in den reichen Ländern selbst zu grundlegenden Veränderungen kommen würde. Besonders unangenehm war für die deutsche Kirche, dass Dammert auf der historischen Verantwortung der Europäer und der europäischen Kirche bestand. Er zog eine direkte Linie von der Zeit der Eroberung zu den aktuellen weltwirtschaftlichen Strukturen, die darauf angelegt sind, die armen Länder weiterhin in Abhängigkeit zu halten. Seine Verknüpfung der weltweit ungerechten Strukturen mit den biblischen Prinzip der Gerechtigkeit erwies sich als ein Stachel im Fleisch einer reichen Kirche in einer reichen Gesellschaft. Seine Aussagen sind heute angesichts einer immer mehr fortschreitenden Globalisierung aktueller denn je.
Vom Deutschen Caritasverband wurde er gebeten, eine Ergänzung der Synodenvorlage „Entwicklung und Frieden“ zu formulieren. In Bezug auf die Hilfe für die armen Länder antwortet er am 8. 4. 1976. „Diese Form der Hilfe stellt keine Großzügigkeit dar, es handelt sich nicht um ein Werk der Barmherzigkeit, sondern es ist eine Wiedergutmachung für die vergangenen und gegenwärtigen Ungerechtigkeiten. Es ist eine Wiedergutmachung für den Kolonialismus der vergangenen Jahrhunderte, für die miserablen Löhne der Minenarbeiter, der geringen Preise für die Produkte der armen Länder. Das Erbe des Kolonialismus, die Zerstörung von uralten Systemen und Strukturen, die Zerstückelung ganzer Kontinente durch künstliche Grenzen, die unmenschliche Ausbeutung und Sklavenarbeit etc. ist ein Zustand der Sünde, der von Generation zu Generation andauert. Er erfordert eine Übernahme der Verantwortung für die Vergangenheit. Das biblische Konzept der Gerechtigkeit hat auch seine Gültigkeit für die interkontinentalen Beziehungen“.
In Cajamarca machte man sich bald Sorgen darüber, dass mit der Hilfe eine bestimmte Kirchenpolitik und auch eine bestimmte politische Weltanschauung durchgesetzt werden sollte. Dammert wurde dabei von seinen meist deutschen Mitarbeitern unterstützt, oft musste er diese auch mäßigen. Aus einem Schreiben (15.12.1973) deutscher Mitarbeiter am Dammert nach einem Heimatbesuch: „Die Kirche in Deutschland erlebt einen Rechtsschwenk. Die AGEH, Adveniat und DED sagen, dass ihre Arbeit neutral und nicht politisch sein darf. Sie glauben tatsächlich, dass ihre Programme nichts mit Politik zu tun haben. Es gibt wieder vermehrt vorkonziliare Haltungen“. Eine solche Aussage ist als Schlaglicht zu verstehen und nicht zu verallgemeinern, aber in Cajamarca wurde die Kommunikation mit den Hilfswerken und mit staatlichen Stellen (u.a. DED) so wahrgenommen. Besonders in den siebziger Jahren kam es diesbezüglich zu einer lebhaften Diskussion und einem regen Briefwechsel.
Einen Höhepunkt fand die Auseinandersetzung um das Glaubensbuch Vamos Caminando im Zusammenhang mit der Theologie der Befreiung (vgl. das Kapitel über Bambamarca). Man fürchtete in Cajamarca, nun vor allem von Adveniat nicht mehr unterstützt zu werden. (Die Auseinandersetzungen und deren Hintergründe, z.B. die Rolle von Bischof Hengsbach, Adveniat, und des Studienkreises „Kirche und Befreiung“ können hier nicht thematisiert, sollen aber wenigstens genannt werden). Dammert schrieb am 29. 11. 1979 an einen deutschen Mitarbeiter: „Die Wende nach rechts in den Hilfsorganisationen kommt wohl daher, dass zuletzt die Angst vor dem Kommunismus zugenommen hat. Man glaubt mit Eimern voller Weihwasser, den Brand löschen zu können“. Zum Glück haben sich die Befürchtungen von Dammert und seiner Mitarbeiter als übertrieben herausgestellt.
Dammert selbst rückte seit den achtziger Jahren von seiner These einer generellen Verurteilung der reichen Länder aus geschichtlichen und aktuellen weltwirtschaftlichen Gründen ab. Die Unterstützung durch deutsche Christen sah er nicht mehr nur als Zurückzahlung vergangener und aktueller Schulden, sondern er entdeckte immer mehr, vor allem dann in der Praxis der Partnergemeinden, dass hinter deren Bemühen meist ein echtes spirituelles Bedürfnis sowohl nach Solidarität mit den Armen als auch um eine Umkehr in Deutschland steht.
Im Zusammenhang mit der Frage nach den weltkirchlichen Beziehungen der Diözese Cajamarca taucht ein Problem auf, das sich zumindest für Bischof Dammert als ein Problem darstellte: Bei dem Aufbau einer andinen Kirche war er ausgerechnet auf den Einsatz von ausländischen Mitarbeitern angewiesen. Gleichzeitig wirdanhand der Fragestellung von Dammert deutlich, wie denn letztlich Weltkirche zu verstehen ist. Bischof Dammert begründet den Einsatz von Ausländern vor allem damit, dass für eine Übergangsphase leider zu wenig fachlich ausgebildetes einheimisches Personal zur Verfügung steht. Als größtes Hindernis beklagt er aber immer wieder, dass peruanische Fachkräfte aufgrund ihrer Erziehung, Herkunft und langer Traditionen oft nicht bereit oder fähig sind, den tiefen Graben zwischen ihnen und den Indios zu überwinden. Sie würden lieber in der großen Stadt oder an der Küste leben und arbeiten. „Dagegen eröffnet die Mitarbeit europäischen Personals, gebührend vorbereitet, unerwartete Horizonte, so wie ich es selbst in meiner Diözese mit der aufopfernden Arbeit der deutschen Sozialarbeiterinnen erlebt habe, ebenso wie mit der Mitarbeit eines Priesters aus der Diözese Speyer“. (Dammert: Brief an Misereor, Oktober 1965).
Einen weiteren Grund für die Notwendigkeit ausländischer Mitarbeit sieht Dammert in der bisher traditionellen Haltung der einheimischen Kirche, der wenig an einer Mitarbeit von Laien und auch „wenig an der Bildung des einfachen Volkes gelegen war“ (ebd.). Der peruanische Soziologe Mario Padrón bestätigt in einer Untersuchung im Auftrag Dammerts, dass ausländische Mitarbeiter, immer vorausgesetzt, dass sie auch wirklich mit dem Volk leben, eine weitaus größere Akzeptanz bei den Campesinos erreichen - und damit auch eine nachhaltigere Wirkung - als peruanische Fachkräfte. (Padrón, Mario: Informe DEIS. Cajamarca 1969. Über die Rolle ausländischer Mitarbeiter an der jeweiligen Entwicklung bzw. die Rolle peruanische Fachkräfte wird bis heute oft sehr emotional diskutiert. Es passt nicht zur entwicklungspolitischen und befreiungstheologischen Korrektheit, dass reiche Ausländer entscheidende Anstöße für das Selbstbewusstsein der Armen geben könnten. Auch hier ist es ratsam, dieses Urteil den Campesinos selbst zu überlassen und die sozialpastorale Praxis in den sozialen Brennpunkten Perus zu prüfen).
So stand Bischof Dammert vor dem Dilemma, dass er einerseits mit aller Macht eine einheimische Kirche aufbauen wollte, andererseits aber für dessen Realisierung auf Hilfe von außen angewiesen war. Er stellte daher sehr hohe Anforderungen an die ausländischen Mit- arbeiter, Priester und Laien. Vor allem hatte er großes Misstrauen gegenüber vom Ausland importierten Modellen: „Die ausländischen Missionare kommen nicht nach Lateinamerika, um einem heidnischen Volk das Evangelium zu verkünden, sondern um die einheimische Kirche zu stärken“. (Dammert : La présence des missionnaires étrangers dans le Perou. Antwort am 16. 11. 1973 auf eine Umfrage des Institut de missiologie, Fribourg, Suisse, zur Mitarbeit ausländischer Missionare in Peru.)
Dieser Vorgabe mussten sich alle ausländischen Mitarbeiter unterordnen - was in der Regel kein Problem war, da diese im Fall der Diözese Cajamarca eben aus diesen Gründen nach Cajamarca kamen und mit Dammert zusammen arbeiten wollten (vgl. Alois Eichenlaub). Falls nötig, sagte er dies auch sehr deutlich, so bei einer Absage an ein spanisches Missionsteam der Franziskaner, das ihm einige Missionare nach Cajamarca schicken wollte und deren Zielvorstellungen er kannte: „In aller Aufrichtigkeit muss ich Ihnen sagen, dass ich keine Einladung an das Missionsteam ausgesprochen habe, denn dies ist nicht die ‚Hilfe’, die ich brauche. Ich habe weder ein Interesse an Statistiken der Sakramentenspendung (eine Erfindung des Teufels zur Beruhigung der Gewissen) noch an hübschen Predigen, nach denen die Leute dann sagen, welch schöne Worte doch der Padrecito findet (‚wie schön hat er geredet!’), um danach in ihrer Ignoranz weiter zu leben. Das ist ein Beruhigungsmittel, das kein Problem löst“. (Brief vom 21. 6. 1966 an Padre Javier Arzuaga, OFM, auf dessen Anfrage vom 21. 6. 1966).
Dennoch betont er, dass ausländische personelle Hilfe notwendig ist. Er stellt an das ausländische Personal u.a. folgende Bedingungen:
- „Es müssen fähige Menschen sein, die Probleme ihrer Berufung zum Priestertum und affektiv-emotionale Probleme bereits gelöst haben und über eine apostolische Erfahrung verfügen.
- Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, sich mit Demut und Flexibilität dem Dienst der geistigen Erneuerung des Kontinents hinzugeben.
- Die Hilfe darf keine Bedingungen enthalten, sie darf keine ausländischen Modelle überstülpen wollen und sie muss bereit sein, die hier vorhandenen Werte zu entdecken und zu fördern.
- Man muss sich rechtzeitig zurückziehen können, um den Erfolg der geleisteten Arbeit nicht zu gefährden. Dann hat man die Befriedigung eines wahrhaften Dieners des Herrn“.
"Aus dem Artikel „Sacerdote extranjero”, nicht veröffentlicht, Mai 1969); in einem Brief an das BMZ am 2. 11. 1969 wiederholt und erweitert er die genannten Kriterien im Hinblick auf Entwicklungshelfer (dieser Brief wurde vom damaligen Minister Erhard Eppler am 25. 2. 1970 ausführlich und wohlwollend beantwortet). Dem Brief an das BMZ legt er u.a. ein Zitat des Bischofs von Mallorca, Jesús Enciso, bei, der Dammert im April 1962 gesagt hatte: „Die Priester die Lateinamerika braucht sind diejenigen, die wir selbst am nötigsten hätten, das heißt die Besten“: Dammert fährt fort: „Man soll nicht diejenigen schicken, mit denen man nichts anzufangen weiß oder die Probleme verursachen oder die keine besonderen Fähigkeiten haben“.
Obwohl Bischof Dammert mit „seinen“ ausländischen Priestern überwiegend positive Erfahrungen machte, kannte er doch auch die etwas andere Realität in anderen Diözesen. Er reagierte geradezu allergisch gegen alle Versuche, von Europa oder den USA her den Weg der Kirche in Peru bestimmen zu wollen. Seine Skepsis wird kommt beispielhaft folgenden Text zum Ausdruck: „Die Arbeit mit den Campesinos ist sehr langwierig, denn hier trifft das Wort zu, dass einer aussät und der andere erntet. Ich glaube, dass der größte Fehler der war, dass die ausländischen Priestereine zu schnelle ‚Bluttransfusion’ für die geschwächte lateinamerikanische Kirche machen wollten, indem sie Programme verwirklichen wollten, die in ihrem Land Erfolg hatten. Es fehlte die Tugend der Campesinos, die Natur zu beobachten und die Umgebung, zu warten, dass das Weizenkorn keime und reife gemäß dem ihm eigenen Rhythmus und ihn nicht mit künstlichem Dünger zu überschütten. Deswegen kann ich weder übermäßige Erfolge noch Misserfolge nennen, denn 16 Jahre sind eine sehr kurze Zeit, zumindest in der tausendjährigen andinen Kultur. Ich treffe zweifellos einen Reifeprozess in den Campesinos an, mit denen pastoral gearbeitet wurde, trotz der Fehler, die es vor allem in der ersten Phase gab. Hauptursache der religiösen Ignoranz war das Fehlen einer christozentrierten Verkündigung. Es gibt noch viel zu tun“. (Umfrage von 1978 zur Vorbereitung auf Puebla, 1978).
Nach Dammert heißt „Weltkirche werden“ eben nicht, dass alle Welt wie Europa wird bzw. Kirche nach europäischen Maßstäben weltweit aufgebaut wird. Dies ist in den vergangenen Jahrhunderten geschehen und daher gab es eben keine lateinamerikanische oder afrikanische Kirche, sondern überall nur die immer gleichen Kopien einer europäischen, römischen Kirche, die letztlich eine weiße Kirche war, weil sie im Gefolge der Eroberung daherkam. Eine weltweite Kirche, die eine Alternative zur herrschenden Globalisierung werden will, muss dagegen von den Rändern her entstehen, aber nicht in ähnlich ausschließender Weise wie dies umgekehrt bisher vom Zentrum her geschah. Diese Ränder stellen sich in sehr unterschiedlicher Weise dar und sie sind farbig und sehr bunt. Die Einheit einer solchen Weltkirche besteht darin, dass alle zusammen ein Bild (Mosaik) ergeben, das als Bild eine klare Botschaft hat: mit Jesus den Beginn einer neuen Zeit verkünden, in der die Menschen gemeinsam das Brot brechen und im Frieden mit der Schöpfung und allen Geschöpfen leben.
(Vgl. den Artikel von E. Klinger im Sammelband zur Studie, dort u.a.: „Sakrales und Profanes hat einen humanen Sinn. Das Leben und die Lebensräume sind der Ort, an dem sie sich begegnen und durchdringen. Das Zweite Vatikanum entwickelt mit dieser Zuordnung eine globale Konzeption kirchlicher Tätigkeit. Denn es bescheinigt dem sozialen Handeln pastorale Bedeutung und verankert umgekehrt die Pastoral im sozialen Auftrag. Partnergruppen haben somit eine programmatische Basis im Zweiten Vatikanum. Es leitet dazu an, die Prozesse einer wachsenden Globalisierung aller Bereiche des Lebens auf dieser Grundlage zu betrachten und aus der eigenen Erfahrung zu bewerten. .. Kirche vor Ort ist selber Kirche und die Universalkirche ist immer Kirche, die an einem Ort existiert. Die globale Welt fordert inhaltlich die Katholizität heraus. Die katholische Kirche steht im Zeitalter der Globalisierung vor dem Problem ihrer Katholizität. .. Sie hat auf dem Zweiten Vatikanum die institutionellen Voraussetzungen für sie geschaffen; denn es sagt von der Kirche, dass sie eine Gemeinschaft der Gottes- und der Nächstenliebe ist, ein messianisches Volk, das Volk Gottes in Christus, das sich auf den Weg durch die Geschichte befindet und die Menschheit in eine Familie Gottes umgestalten will“ (ebd. S. 228, 229).
Bischof Dammert sieht eine große Aufgabe und Herausforderung darin, diese Kirche zu bauen und als Kirche von Cajamarca dazu einen Beitrag zu leisten: „Eine Herausforderung besteht darin, dass wir unsere Glaubens- und Pastoralerfahrung der gesamten Weltkirche mitteilen können. Mit anderen Worten: wie können wir mehr und mehr katholische Kirche werden? Dabei ist zu fragen, ob die weltkirchlichen Strukturen dieser Herausforderung entsprechen. Ich denke, dass unsere armen Kirchen innerhalb der Weltkirche immer noch nicht ganz gleichberechtigt sind. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir wegen unserer andersartigen Kultur, wegen der anderen Glaubenserfahrung de facto diskriminiert werden. Katholische Kirche ist schon seit Beginn des Evangeliums als multikulturelle Kirche angelegt. Dieser Punkt beinhaltet, dass wir eine kontextuelle Kirche sein müssen. Wir müssen in dem ganz konkreten, sozialen und politischen Kontext Kirche sein und Kirche werden“. (Santo Domingo - Herausforderung an die Kirche Lateinamerikas“; 91. Deutscher Katholikentag in Karlsruhe, Forum am 18. 6. 1992.)
Auf dem Katholikentag bekam Dammert viel Beifall für diese Worte. Doch ist klar, dass dies von den kirchlichen Strukturen abhängt, d.h. zuerst von Kurie und Bischöfen, die diese Strukturen erhalten wollen. Dies hängt wiederum von einem bestimmten Kirchenverständnis ab (vgl. die Auffassung von Kirche, wie sie Bischof Simón verkündet).
d) Partnerschaften
Dieses „Kirche sein und Kirche werden“ kann in Partnerschaften konkrete Gestalt annehmen. Deutsche Kirche und deutsche Gemeinden wurden seit 1962 in die Geschehnisse in der Diözese Cajamarca verwickelt bzw. sie haben sich aus christlicher Verantwortung darauf einge- lassen. Es wurden intensive Beziehungen zu den Menschen von Cajamarca und christlichen Gemeinschaften aufgebaut. Es wurde sichtbar, was Weltkirche sein kann und sein muss. Aus dieser Beziehung können sich die deutschen Gemeinden nicht mehr herausstehlen, wollen sie den Anspruch, katholische Gemeinde zu sein, nicht aufgeben. Dies ist umso wichtiger in einer Zeit, in der eine andere Form von „universeller Kultur und Religion“ immer mehr in das Bewusstsein der Menschen eingeprägt wird - in Deutschland und in Peru.
Gemeindepartnerschaften können einen Rahmen bilden, in der die lebensnotwendigen Alternativen zur alles beherrschenden Globalisierung aus dem Geiste Christi heraus eingeübt und gelebt werden können. „Jede Partnerschaft zwischen Gemeinden oder Verbänden hier und dort, sei es in direkten Beziehungen, sei es im Kontakt internationaler Hilfswerke, arbeitet strikt an einer solchen Katholizität und damit gleichzeitig an einer Globalisierung, die im religiösen Bereich die Sehnsucht nach Gott offen hält und die im sozialen Bereich von den jeweils Armen und Bedrängten her das gesamte Handeln organisiert. Je mehr sich eine solche kirchliche Vernetzung mit der Leidensgeschichte der Menschen und in ihnen mit dem in der Geschichte lebenden Christus (vgl. Mt 25,31-46) ereignet, desto mehr wird die Kirche eine Intensivierung des eigenen Lebens und der eigenen Identität, aber auch eine Vertiefung des eigenen Leidens erreichen“. (Fuchs, Ottmar: Auf dem Weg zu einer lokal und global geschwisterlichen Kirche. In: Lebendiges Zeugnis 55 (2000) 219-227. O. Fuchs spricht hier von einer Globalisierung im Zusammenhang mit universalem Glauben und Weltkirche, während ich gerade dies vermeiden möchte um Missverständnisse zu vermeiden.)
Die Partnerschaft von deutschen Partnergemeinden mit Gemeinden der Diözese Cajamarca ist notwendigerweise geprägt oder gar abhängig von den jeweiligen kirchlichen Strukturen in Cajamarca und in Deutschland selbst. Diese Problematik wurde bereits in dem Artikel „Anspruch und Realität“ im Sammelband behandelt. Als Ergänzung dienen einige weitergehende Überlegungen, die auf dem Fidei Donum Treffen in Lima im März 2002 von mir vorgetragen wurden. (Fidei - Donum - Treffen vom 27. - 6. 3. 2002 in Chaclacayo, Peru. Thema: Partnerschaft. Obwohl alle Priester im Auslandseinsatz es in ihrer Arbeit mit Beziehungen zur Heimatkirche, mit Spenden, Kommunikation und Partnerschaft zu tun haben, ging es zum ersten Mal auf einem solchen Treffen um dieses Thema. Ich wurde zu diesem Treffen als Referent eingeladen, um über die Ergebnisse der Studie über die Partnerschaften zu referieren und zu diskutieren. Das Thema stieß auf großes Interesse und es kam zu fruchtbaren Diskussionen und zum Austausch auch konträrer Auffassungen, die im Sinne eines echten Dialogs bestritten wurden. Im Vorfeld hatten Prälat Spelthahn von Adveniat und Prälat Wolfgang Sauer, Freiburg, darauf gedrängt, mich auszuladen, doch die Verantwortlichen von Fidei - Donum, darunter der heutige Nachfolger von Spelthahn, bestanden auf der Einladung).
Von dem Forum Solidaridad Peru (FSP), Lima, wurde ich gebeten, die folgenden Gedanken für einen Artikel (auf Spanisch) des FSP zur Verfügung zu stellen. Eine Veröffentlichung des Artikel wurde aber kurzfristig zurückgezogen, weil kirchenpolitisch zurzeit nicht opportun. (Dies kann als ein Beispiel für die erwähnte Besonderheit dieser Arbeit gesehen werden, das zu sagen, was in Lima z.Z. nicht gesagt werden kann; vgl. Besonderheiten dieser Arbeit in der Einleitung). Zur Zeit dieser Niederschrift befand sich Gustavo Gutiérrez im Exil in Lyon, "vertrieben" von Kardinal von Lima, Cipriani. Das FSP ist eng mit dem Instituto Bartolomé de Las Casas liiert. Es dient ausländischen „Misioneros“ (Ordensleute, Laien, Priester) als Plattform, den Gedanken der Weltkirche zu vertiefen und zu einem besseren Verständnis zwischen den „Ländern des Nordens und des Südens“ beizutragen. Im Rahmen seiner Möglichkeiten ist das FSP ein Lichtblick in der kirchlichen Szene Perus und daher von großer Bedeutung.
Folgende Punkte konnte ich in Lima 2002 vortragen (hier nur als Aufzählung der Stichworte):
- Jede Partnerschaft zwischen Kirchengemeinden verwirklicht sich notwendigerweise innerhalb eines bestimmten Rahmens und innerhalb bestimmter kirchlicher Strukturen. Zugleich lebt sie aber von ganz konkreten Personen. Konflikte zwischen Person und Institution sind unausweichlich.
- Partnerschaft verwirklicht sich innerhalb zweier lokaler Kirchen, die in sehr unterschiedlichen Wirklichkeiten und historischen und sozialen Kontexten leben. Von daher entstehen sehr unterschiedliche Interessen und Optionen. Wenn es aber nicht möglich wäre, einen echten Dialog zu etablieren, seinen Glauben und das Brot zu teilen und einen gemeinsamen Weg zu suchen, dann wäre auch katholische Kirche nicht möglich.
- Die Fragestellung wird verschärft, wenn man die Campesinos als die „Hirten von Bethlehem“ versteht. Gerade die Ausgeschlossenen standen im Zentrum der Verkündigung und Praxis von Jesus. Nach den Kriterien der Mächtigen existieren die Ausgeschlossenen nicht. Die Christen der reichen Länder repräsentieren in ihrer Mehrheit die abendländische Zivilisation - von der Conquista bis zur aktuellen Weltordnung, die das Blut der gewaltsam arm gemachten Völker aussaugt.
- Um einen wahrhaften Dialog zu etablieren ist es notwendig, dass der Reiche die Fähigkeit entwickelt, den Armen als solchen wahrzunehmen. Das bedeutet, die Ursachen der Armut zu erkennen und mit den Armen gegen die Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Diskriminierung zu kämpfen.
- Dies erfordert eine persönliche Umkehr (Bekehrung) und eine sehr tiefe Spiritualität, die es ermöglicht, in dem Armen das Antlitz Christi zu erkennen.
- Zwischen den Kirchengemeinden des Nordens und des Südens gibt es einen weiteren Unterschied: in Deutschland sind die Hauptakteure der Partnerschaft Laien, in Peru ist dies umgekehrt. Partnerschaften sind in Deutschland Laienbewegungen. Laien verwalten das Geld, sie organisieren sich demokratisch und es herrscht eine institutionalisierte Transparenz. Dies kann man aber nicht von vielen peruanischen Kirchengemeinden sagen.
e) Theologische Begründung von „weltweit Kirche werden“
In einer Kommunion zwischen zwei christlichen Gemeinschaften ist Jesus der Christus mit ihnen auf dem Weg. Das Symbol dieser Wegegemeinschaft ist das Brotbrechen und Teilen. Die Jünger von Emmaus erkennen ihren unbekannten Weggefährten als den auferstandenen Christus, als dieser mit ihnen das Brot bricht. Gemeinsam sich auf den Weg machen, all das miteinander teilen, was der Mensch braucht um in Würde leben zu können und die gemeinsame österliche Erfahrung der Gegenwart Gottes sind das Fundament des christlichen Glaubens und des „Kircheseins“, der universellen Gemeinschaft der Jünger Jesu.
Das Volk Gottes konkretisiert und realisiert sich zum einen Teil in einer lokalen Kirche, einer Kirchengemeinde, zum anderen Teil in der gelebten Beziehung mit einer Gemeinschaft in jenem Teil der Welt, in dem die Mehrheit der Kinder Gottes ausgeschlossen sind und wo sie gewaltsam daran gehindert werden, das Leben in Fülle zu haben. Kirchengemeinden des Nordens sind existentiell in diesen Kontext der Abhängigkeit und der Gewalt verwickelt. Im Kontext einer Partnerschaft jedoch bietet sich den deutschen Partnergemeinden die Möglichkeit eines Auswegs aus der Sackgasse. Sie können den Teufelskreis einer zugleich wachsenden Verelendung auf der einen Seite und einer wachsenden Bereicherung einiger Weniger auf Kosten der Mehrheit auf der anderen Seite durchbrechen. Dies wäre eine österliche Erfahrung: durch die Auferstehung Jesu wird der Teufelskreis des Todes und der Macht sündhafter Strukturen durchbrochen und neues Leben ermöglicht. In dem sie das Brot mit den „Indios dieser Welt“ brechen, können christliche Gemeinschaften des Nordens auf den Weg des Volkes Gottes zurückkehren und in den Armen Jesus als ihren einzigen „Herrn“ erkennen. Eine so verstandene Partnerschaft ist das sichtbare Zeichen dafür, dass der Bruch zwischen den Menschen auch innerhalb der Kirche überwunden werden kann.
„So gesehen stellt sich die Kirche in erster Linie als jenes Volk Gottes dar, das in der Geschichte fortführt, was Jesus endgültig als Gegenwart Gottes unter den Menschen besiegelt hat“. (Ellacuría, Ignacio: Die Kirche der Armen, geschichtliches Befreiungssakrament. In: Mysterium Liberationis - Band I, S. 761.). Partnerschaft ermöglicht Jesus nachzufolgen.
Eine solche Partnerschaft ist Ökumene in seiner ursprünglichen Bedeutung. Die eigentliche Spaltung zwischen Christen besteht darin, dass einige Christen auf Kosten anderer Christen leben, mehr noch: das herrschende weltweite Wirtschaftssystem hat seine Wurzeln im christlichen Abendland und wird (auch) von Christen bis heute aufrechterhalten. Der Bruch innerhalb der menschlichen Gemeinschaft und der Menschen mit Gott ist ein Skandal. Es ist die originäre und die Todsünde schlechthin, sie tötet auch konkret. Eine ökumenische Bewegung in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes ist in ihrem Kern das, was Kirche ausmacht: die Gemeinschaft des Volkes Gottes, das den Ruf Gottes hört und aus der Sklaverei Ägyptens und des Mammons aufbricht, die das Unrecht anklagt und Gerechtigkeit verkündet, die auf dem Weg das Brot miteinander teilt und die Gegenwart Gottes feiert. Partnergemeinden können und müssen Wegbereiter dieser ökumenischen Bewegung sein. Sie sind die Keimzellen einer erneuerten Kirche. Die Einladung Jesu an den gemeinsamen Tisch annehmen und das Brot des Lebens konkret miteinander teilen ist konstitutiv für das Volk Gottes. Eine solche Tischgemeinschaft ist das Symbol (Zeichen, Sakrament) der einen universellen Kirche, die normalerweise nur als etwas Abstraktes wahrgenommen und kaum erfahren und gelebt werden kann. In einer Partnerschaft kann man dagegen leben, erfahren und verwirklichen, was katholische Kirche sein will. Eine solche Kommunion ist das Sakrament einer wahrhaft katholischen Kirche, sie ist das Sakrament des Volkes Gottes auf dem Weg.
Die Gläubigen und Kirchengemeinden in den Ländern des Nordens sind mehrheitlich Mitglieder der Mittelklasse. Sie kennen keinen Hunger und kein Elend und sie identifizieren sich in der Regel mit der Gesellschaft, in der sie leben. Sie haben ein existentielles Interesse am Funktionieren dieses Systems, denn es bietet ihnen Sicherheit und viele Bequemlichkeiten mehr.
Eine Option für die Armen bedeutet für die Kirchengemeinden des Nordens:
- Die Armen als Opfer einer globalen Ordnung erkennen, ihre Stimme hören und mit ihnen gehen. Eine Umkehr („Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe“) ist die Bedingung, um in dem Armen das Antlitz des gekreuzigten Jesus zu erkennen.
- Analyse und Infragestellen des Kontextes, in dem man lebt: das Wirtschaftssystem, die Ursachen des weltweiten Elends; erkennen seiner persönlichen Verwicklung
- Die Götter dieser Welt im Lichte des Glaubens als Götzen denunzieren, die den Tod bringen und den Gott des Lebens verkünden, indem man Leben ermöglicht; zumindest aber Stimme derer sein, die keine Stimme haben.
- Sich von den Armen evangelisieren lassen. Sie sind es, die uns die Bedeutung der Botschaft Jesu erschließen. Es ist keine Schande, sich von den Armen den Weg Gottes weisen zu lassen. Gott ist mit ihnen auf dem Weg, weil sie unterdrückt sind. Für die Reichen bedeutet mit den Armen sein, Gottes Nähe und Gegenwart zu erfahren, die in einer derart materialistisch (kapitalistisch) geprägten Gesellschaft sonst nur sehr schwer zu erfahren ist (es sei denn, man "steigt aus").
Einige am Beispiel von Cajamarca gemachte Beobachtungen lassen sich generalisieren und in folgender Form zusammenfassen (Stichwort Weltkirche):
- Das Zweite Vatikanische Konzil gab den Kontakten zwischen den armen und den reichen Kirchen einen entscheidenden Impuls. Den inhaltlichen Rahmen bildeten hier besonders die Aussagen des Konzils über das Volk Gottes und die Kirche als Kirche für die Armen. Alle untersuchten Partnergemeinden berufen sich auf diesen Rahmen.
- In diesem Zusammenhang ist die fast zeitgleiche Gründung und die Bedeutung der deutschen Hilfswerke zu stellen. Im Kontakt mit der Kirche in Peru zeigt sich dabei von Anfang an das Problem der Kommunikation („gemeinsame Sprache“, z.B. „Erneuerung der Kirche“), der Frage nach den Ansprechpartnern (zuerst Bischöfe?) das Problem der Einmischung - im Sinne der Vorgaben der Geldgeber oder auch dem Prinzip der völligen Eigenständigkeit der Partner in Peru, im positiven wie negativen. Deutsche Hilfswerke leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Erneuerung der Kirche in Peru und zum Entstehen einer einheimischen Kirche.
- Die ersten Kontakte (Hilfswerke, Gemeinden, Diözesen) liefen nahezu ausschließlich über meist deutsche Priester und über Bischöfe und hingen damit wesentlich von deren jeweiligen Optionen und Präferenzen ab. Einzelne Personen waren entscheidend.
- Konkret in Cajamarca: Die persönliche Entscheidung von Alois Eichenlaub, nicht in Abancay, sondern in Cajamarca zu arbeiten, war mitentscheidend für den gelungenen kirchlichen Neuanfang in Cajamarca. Seine Entscheidung für Cajamarca lenkte in der Folge deutsche Hilfe schwerpunktmäßig nach Cajamarca.
- Konkret St. Martin, Dortmund: Entstehen einer Patenschaft erst durch Zufall, nachträglich dann aber Motivation und Zielsetzung durch direkten Kontakt, durch Konzil und Hilfswerke. Zusammen mit dem Bischof von Cajamarca konnte eine deutsche Gemeinde zur Erneuerung der Kirche in Cajamarca beitragen. Sie trat in einen Lernprozess ein, der Rückwirkungen auf die eigene Situation mit einschloss: Entdecken einer weltweiten Verantwortung, theologisch und ökonomisch.
- Deutsche Priester als „Geschenk des Glaubens“ für die armen Länder spielten auch anderswo und überhaupt eine sehr wichtige Rolle - ein Beispiel von Weltkirche (auch - obwohl nur potentiell - ausländische Priester in Deutschland).
- Eine einheimische Kirche in Peru ist zumindest punktuell vor allem durch die engagierte Arbeit ausländischer Priester entstanden.
- Die deutsche Kirche ist spätestens seit 1962 massiv in Entwicklungen innerhalb der peruanischen Kirche verwickelt, sie hat sich eingemischt und kann nicht davon ablassen. Vielmehr eröffnet sich daher die Chance, mit den armen Kirchen zusammen einen neuen Weg zu gehen, der die eigene Umkehr ermöglicht.
- Weltkirche werden heißt, von den lokalen und armen Kirchen, z.B. der andinen Kirche ausgehend, ein globales Netz der Solidarität zu knüpfen, um auf diese Weise der Welt eine befreiende Alternative aufzuzeigen, bzw. das Evangelium zu verkünden.
Für die Kirche insgesamt geht es darum, ob es ihr gelingt, zu einer glaubhaften und kämpferischen Alternative zu den herrschenden Gesetzmäßigkeiten zu werden und damit zu ihren Wurzeln zurückzukehren. „So stellt sich die Frage: Was globalisiert die Kirche mit ihrer weltweiten Dimension? Bildet sie darin eine vom Evangelium her authentische und, wenn es sein muss, alternative Globalisierungsperspektive zu jenen rasanten Globalisierungsprozessen im Produktions-, Absatz- und Informationsmarkt mit jenen ‚Gesetzmäßigkeiten’, die insgesamt nicht ohne Grund als Ursachen dafür diskutiert werden, dass weltweit Millionen von Menschen aus eben diesen Prozessen ausgegliedert und von daher für überflüssig erklärt werden. Die herrschenden Legitimationen, die menschliches Leben rechtfertigen, kommen immer weniger Menschen zugute, nicht nur in der südlichen Hälfte der Erde, sondern zunehmend auch im Norden“. (Fuchs, Ottmar: Auf dem Weg zu einer lokal und global geschwisterlichen Kirche. In: Lebendiges Zeugnis 55 (2000) 219-227.
In einer Partnerschaft finden potenziell alle diese verschiedenen Aspekte zusammen. Partnerschaft kann daher als Modell bzw. als Konkretisierung von Weltkirche dienen, machbar und erlebbar für alle. Weltkirche wird in der gelebten Beziehung zwischen einer reichen und armen Gemeinde konkret und praktisch erfahrbar - praktikabel und machbar am jeweils konkreten und alltäglichen Ort, sei es in der Gemeinde sei es in einem persönlichen Engagement. Sie ist weltkirchliche Katechese und Glaubenskatechese.