Vorbemerkung:
Die Gemeinde St. Georg nimmt seit 1993 eine wichtige Rolle in der Koordination der Partnerschaftsgruppen ein[1] („Ulmer Treffen“). Sie hat von Beginn an den Gedanken der Partnerschaft in den Mittelpunkt gestellt, der Gedanke der Partnerschaft war sogar zuerst und dann erst wurde die „passende“ Gemeinde dazu gesucht. Am Beispiel dieser Gemeindepartnerschaft werden Höhen und Tiefen der Partnerschaft einer reichen „entwickelten“ Gemeinde mit einer armen „unterentwickelten“ Gemeinde exemplarisch sichtbar. Eine besondere Rolle spielen die Veränderungen in der Partnergemeinde nach dem Bischofs- und Richtungswechsel in Cajamarca und die Reaktion der Gemeinde St. Georg. Die Gemeinde St. Georg kommt hier selbst zu Wort. Der Beitrag wurde angeregt durch die Studie und bezieht sich daher in einigen Stellen auf die Fragen im Fragebogen an die Gemeinden. Die Gliederung (Themen) lehnt sich ebenfalls an den Fragebogen an.
Die folgenden Ausführungen sind nicht zuerst an Theologen gerichtet, es geht nicht zuerst um Ausgewogenheit, um ein Abwägen und Bedenken aller Argumente, sondern um gelebte Praxis und reales Gemeindeleben auf der Basis einer Option mit den Armen, wie sie sich in der Zusammenarbeit mit den Partnern entwickelt und konkretisiert hat. Die literarische Gattung des Artikels erinnert eher an die Apostelgeschichte oder das Evangelium nach Matthäus (Ideal der Matthäus - Gemeinde). Sie entspricht auch dem, wie Menschen in den Partnergemeinden über ihren Glauben sprechen (siehe auch Vamos Caminando) und orientiert sich nicht zuerst an Kriterien einer scheinbaren Wissenschaftlichkeit (Objektivität). Sachliche Berichte gehen nahtlos über in Glaubensbekenntnisse.
Fundamente des Glaubens und Zielvorstellungen von Gemeinde sind der gemeinsame Horizont, unter dem sich die Partnerschaft entwickelt hat bzw. wie sie aussehen könnte. Die Realität in St. Georg bleibt weit hinter diesen Zielvorstellungen zurück, sie ist wie in anderen Gemeinden auch zuweilen bedrückend und wenig ermutigend. Gerade deswegen ist es notwendig, sich immer wieder der „Quelle des gemeinsamen Glaubens“ zu versichern, das Ziel immer wieder neu sich zu vergegenwärtigen und sich vom Beispiel der ersten Christen und der Praxis in den Partnergruppen inspiriert, sich auf den gemeinsamen Weg zu machen. Der Artikel ist als ein leidenschaftlicher Appell zu verstehen, die Armen nicht im Stich zu lassen und nicht die Einheit mit ihnen aufzukündigen.
1. Entstehungsgeschichte
Im ersten Brief vom 18. 2. 1982 an die Gemeinde St. Georg schreibt Lorenzo Vigo[2], Pfarrer von San Pedro, Cajamarca (u.a.): „Die Pfarrei San Pedro wurde 1793 von Franziskanern gegründet, speziell für die Indiomission im umliegenden Land. Zwar sind seither praktisch alle Indios getauft und damit katholisch, doch vom wahren Christentum haben sie wenig erfahren. Für sie bedeutet Christentum: den weißen Herren gehorchen, hohe Steuern bezahlen, ihre eigene Kultur und Sitten vergessen, Angst haben vor dem weißen Gott. …
Die Pfarrei umfasst heute über 40.000 Katholiken, in der Mehrzahl Indios auf dem Lande. Um diesen Menschen das wirkliche Christentum zu bringen, ein Christentum der Befreiung, der Freude, der Gerechtigkeit für alle Kinder Gottes und der Liebe, brauchen wir noch die Hilfe (materiell und geistig, als Gefühl der Solidarität) der Christen aus den reicheren Ländern. Vor allem benötige ich Mitarbeiter, Katecheten, vielleicht auch Diakone, die es auszubilden gilt. Dazu müssen viele Kurse abgehalten werden, aber auch Kurse über Hygiene, Alphabetisation, Landwirtschaft, Bewässerung usw. Aber nicht nur die materielle Hilfe, auch allein die Tatsache zu wissen, dass Christen in einem fernen Lande uns dabei helfen wollen, unser Schicksal in unsere eigenen Hände zu nehmen und uns auf den Weg der Befreiung zu machen, gibt uns Hoffnung und Mut trotz aller Widernisse anzufangen. Christus selbst wird uns beistehen, denn wo sich Christen gegenseitig helfen, da ist Christus mitten unter ihnen“.
Der Brief des Pfarrers von San Pedro wird zum „Programm“ der beginnenden Gemeindepartnerschaft zwischen St. Georg, Ulm und San Pedro, Cajamarca. Als 1979 die viele Jahre dauernde und sehr teure Renovierung der Pfarrkirche St. Georg beendet war, rief der Pfarrer die Gemeinde dazu auf, nun auch über die Grenzen der Pfarrei hinaus zu schauen und sich den Nöten und Problemen der Weltkirche zu öffnen. „Wir haben nun viel Geld in Steine investiert, nun sollten wir aber in Menschen investieren“. Ein Missionsarbeitskreis wurde gegründet. Mehr oder weniger zufällig kam man an einige Adressen in Indien, Mexiko und Argentinien heran, an die man das Geld schicken konnte. Natürlich war dies auf die Dauer nicht befriedigend.
1980 zog in die Gemeinde St. Georg ein ehemaliger „Entwicklungshelfer“[3], der gerade von einem vierjährigem Einsatz in Peru (Diözese Cajamarca) zurückkam. Er wurde vom Pfarrer gezielt angesprochen und zur Mitarbeit in der Gemeinde und speziell im Missionsausschuss eingeladen. Die Berichte, Erfahrungen und noch lebendigen Kontakte des neuen Mitarbeiters nach Cajamarca bewogen den Missionsarbeitskreis, statt der bisherigen Geldüberweisungen an verschiedene Adressaten nun eine gezielte und auf Dauer angelegte Beziehung zu einer konkreten Gemeinde in Cajamarca zu wagen. Durch den bereits bestehenden persönlichen Kontakt zu dem Pfarrer von San Pedro konnten im Vorfeld der beginnenden Partnerschaft bereits einige wichtige Grundsatzfragen geklärt werden. Dazu gehörten das Bewusstsein eines gemeinsamen Verständnisses von Pastoral, gemeinsame Zielsetzungen und erste Absprachen über die Methoden, um diese Ziele zu erreichen. Das Ergebnis war der oben zitierte Brief des Pfarrers von San Pedro an die Gemeinde St. Georg. Lorenzo Vigo war damals der einzige peruanische Pfarrer in der Stadt Cajamarca, der willens und fähig war, eine neue Arbeit auf dem Land mit den Campesinos und den Armen am Stadtrand, die über das rein karitative hinaus geht, zu beginnen oder zumindest nicht zu behindern. Nicht zuletzt deswegen wurde er auch „auserwählt“. Im Mai 1982 beschloss der Kirchengemeinderat (KGR) von St. Georg einstimmig, eine Gemeindepartnerschaft mit San Pedro anzustreben.
Aus einem Bericht des Arbeitskreises: „Eine große Hilfe war der bereits bestehende persönliche Kontakt zu einer peruanischen Gemeinde. Dieser persönliche Kontakt erleichtert vieles, ist aber nicht Voraussetzung. Wir wollten mit einer Gemeinde in Kontakt treten, die bisher sonst noch keine Kontakte zum Ausland hatte, bisher nicht materiell unterstützt wurde und in der keine Europäer arbeiten. Außerdem ist darauf zu achten, dass keine Wohlfahrtsinseln entstehen, damit einheimische Priester nicht voller Neid auf die großen Werke ihrer Mitbrüder sehen und sich selbst als ausgeschlossen oder minderwertig fühlen, weil sie ihren Leuten nicht so viel bieten können wie die Ausländer“.
Von Beginn an war nicht nur an eine enge Zusammenarbeit des Arbeitskreises mit dem KGR geplant, sondern der Kreis (in der Folge: Ausschuss MEF) verstand sich als von der Gemeinde beauftragte und voll verantwortliche Ausschuss in Sachen Partnerschaft sowie in den nun offiziell so aufgezählten Themen „Mission, Entwicklung und Frieden“. Von Anfang an stand der Pfarrer von St. Georg voll hinter der Partnerschaft, was die Entwicklung des Partnerschaftsgedankens und dessen Integration in die Gesamtgemeinde erheblich erleichterte. Er brauchte nicht erst mühevoll überzeugt zu werden. In unseren Gemeinden geht nicht viel, wenn der Pfarrer eine wichtige Initiative nicht unterstützen will oder gar dagegen ist. Erstrecht ist eine Gemeinde - Partnerschaft ohne die auch nur zumindest passive Duldung des deutschen Pfarrers weniger tragfähig (aber nicht ausgeschlossen).
Umgekehrt konnte in San Pedro ebenfalls bereits im Vorfeld geklärt werden, dass eine eventuell entstehende Partnerschaft nicht allein vom Pfarrer abhängen würde und dass befähigte Mitarbeiter gewonnen werden konnten. Durch die erwähnten Kontakte konnte auch sichergestellt werden, dass auf Diözesanebene bewährte Mitarbeiter des Bischofs und der Bischof selbst „zur Not “ mithelfen würden. Zumindest sollte der einheimische Bischof Bescheid wissen und wenn möglich positiv auf die Partnerschaft reagieren. Dies war bei Bischof Dammert der Fall. Gibt es in der potentiellen Partnergemeinde weitere Ansprechpartner, die mit dem Gedanken einer Gemeindepartnerschaft bereits etwas anfangen können, dann ist das Gelingen einer Partnerschaft eher wahrscheinlich.
In St. Georg fügten sich einige wichtige äußere Umstände glücklicherweise zu einem guten Fundament für eine Partnerschaft: bereits bestehende persönliche Kontakte, Ansprechpartner außer dem Pfarrer; gleiche Zielsetzungen; Kennen der pastoralen und sozialen Problematik; Gemeinde und Pfarrer ziehen an einem Strang. Selbstverständlich kann aber auch eine Beziehung, die unter günstigsten Voraussetzungen entstand, in die Brüche gehen und umgekehrt kann eine Beziehung, die nahezu keine Voraussetzungen mitbrachte, sich prächtig entwickeln. Wie auf den „Ulmer Cajamarcatreffen“ im Austausch mit Partnergemeinden deutlich wurde, sind gerade diejenigen Gemeinden, bei denen von Anfang an viele Voraussetzungen für das Gelingen einer Partnerschaft fehlten, heute eher in Gefahr „auszutrocknen“, um so mehr bei sich häufenden Schwierigkeiten und Veränderungen in den Partnergemeinden.
2. Motivation und theologische Grundlage der Partnerschaft
Die Antwort des Ausschusses auf die entsprechende Frage aus dem Fragebogen: „Von Beginn an stand der Gedanke der Verkündigung, Evangelisierung und Mission auf die hiesige Gemeinde hin im Vordergrund. Wir leben nicht nur in der Einen Welt, in der wachsender Reichtum und wachsendes Elend sich gegenseitig bedingen, sondern wir gehören auch zur Einen Kirche Jesu Christi, glauben mit den Campesinos an den gleichen Gott und lesen das gleiche Evangelium. Nach diesem Evangelium erweist sich Gott als ein Anwalt der Armen und Verstoßenen, mehr noch: die in Armut und Unterdrückung Gehaltenen werden selig genannt, weil Gott auf ihrer Seite steht und ‚nun alles anders werden wird‘. Wenn wir uns nun erzählen lassen oder sogar selbst miterleben dürfen, wie verachtete Indios mit Jesus Christus in diese neue Zeit aufbrechen, dann haben auch wir als Reiche (und als reiche Ortskirche) die Chance, den Weg zu Gott und in eine neue Zeit zu finden. Wenn Gott den Armen besonders nahesteht und umgekehrt (nicht, weil sie moralisch besser oder frömmer wären, sondern weil sie unterdrückt werden), ist echte Partnerschaft mit diesen Armen ein Geschenk Gottes an uns, dann können auch wir Gottes Nähe erfahren. Aber so wie sich die Armen ihres Standpunkts bewusst geworden sind (als Opfer von Geschichte, Wirtschaft und Politik), so müssen auch wir wissen, wo wir stehen (als Nutznießer der ungerechten Verteilung). Weil zudem die Armen einen direkteren Zugang zur Botschaft Jesu haben, das Evangelium so viel unmittelbarer erfahren, können wir von ihnen lernen, was das Evangelium auch für uns heute bedeuten kann. Heerscharen von Theologen, Religionslehrern und die geballte Macht kirchlicher Verkündigung von oben, scheinen dies nicht (mehr) leisten zu können“.
Aus einem Positionspapier der Gemeinde St. Georg zu Beginn der Partnerschaft (1982): „Partnerschaft heißt, sich gemeinsam auf den Weg machen, den Weg aus der Sklaverei - durch die Wüste - in das Gelobte Land, das dem Volk Gottes verheißen wurde. Während es für unsere Partner klar ist, was damit gemeint ist, bedeutet dies für uns, danach zu fragen, welche Götter uns versklaven, welche Götzen wir anbeten, was uns daran hindert aufzubrechen, dem Ruf Gottes zu folgen und alles hinter uns zu lassen. Oder meinen wir gar schon am Ziel zu sein (im Gelobten Land, in der Kirche als Heilsinstitution, die ihren Mitgliedern qua Mitgliedschaft, Kult oder Amt das Heil garantiert)? Liegt unser Problem - und das ist unser Elend - nicht darin, dass wir vielleicht gar nicht wissen, wohin und warum wir uns auf den Weg machen sollen? Und kommen wir quasi nicht als ‚Bekehrte‘ zur Welt, (als Kind bereits durch die Taufe erlöst) warum also umkehren? Die unterdrückten und verachteten Indios wissen um den Ursprung und das Ziel ihres Aufbruchs. Sich mit ihnen auf den Weg machen heißt, den Kern der Botschaft Jesu, ja Jesus als Christus und Heiland neu zu entdecken. Es heißt besonders auch lernen zu hören. Könnte es nicht sein, dass Gott heute vorrangig erfahrbar wird im Hinhören auf die, denen die Fülle des Lebens geraubt bzw. vorenthalten wird? Ist vielleicht ihr Schrei nach Brot und Gerechtigkeit das Wort Gottes an uns“?
Natürlich konnte sich nicht die Gemeinde St. Georg als Ganzes mit diesen Gedanken befreunden, sie sind auch als Zielvorstellungen gedacht. Wenn man dagegen solche Ziele als völlig weltfremd und utopisch bezeichnet, muss man sich fragen lassen, an wen und an was man letztlich glaubt. Leichter verständlich - und dies ist auch als erster Schritt leichter zu vermitteln - sind folgende Gründe für eine Partnerschaft, wie sie dann in St. Georg formuliert wurden und wofür in der Gemeinde für die Partnerschaft geworben wurde:
Es kommt auch zu Enttäuschungen. Aus einem ersten Rückblick 1985 (geschrieben auf Anfrage von Domkapitular Zwingmann, Freiburg[4]): „Was hat sich in den letzten drei Jahren in St. Georg entwickelt bzw. verändert? San Pedro ist fest im Bewusstsein der Gemeinde verankert. Viele Mitglieder der Gemeinde haben sich betreffen lassen und sind sensibler geworden für die Probleme unserer Partner in San Pedro, sensibler aber auch dafür, wie wir hier als Gemeinde leben bzw. leben sollten, wo wir vielleicht auf dem Holzweg sind und was uns fehlt, um eine lebendige, prophetische und missionarische Kirche zu sein. Die Spenden haben stark zugenommen, auf etwa 30.000 DM im Jahr. Spenden sind zwar nicht das Kriterium, sagen aber doch etwas über den Zustand einer Gemeinde aus. Bemerkenswert ist, dass die Spenden für Adveniat und Misereor gleichzeitig nicht abgenommen, sondern zugenommen haben. Trotz zunehmender Spenden, Informationen, Neugier und Interesse, gibt es noch folgende Hauptschwierigkeiten für unsere Arbeit:
Generell kann man sagen, dass unsere Gemeinden noch ein Missionsverständnis haben, das durch das II. Vatikanum und erstrecht durch neuere Entwicklungen völlig überholt ist“.
3. Gestalten der Partnerschaft (Kommunikation, Besuche, wer Partner mit wem)
Beim Sondieren, ob die Voraussetzungen einer Partnerschaft mit San Pedro gegeben waren, wurde in folgender Reihenfolge vorgegangen (in Bezug auf mögliche Ansprechpartner): Erste Gespräche mit dem Ortspfarrer über die grundsätzliche Möglichkeit einer Zusammenarbeit - Suche nach potenziellen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern (Fachkräfte) - erste Kontakte zu Comunidades und zu einigen noch lebenden Landkatecheten, die in der Aufbruchphase in den 60er Jahren Diözesankurse besucht haben, dann aber allein gelassen wurden - Möglichkeit der Einbindung in diözesane Strukturen - erneutes Gespräch mit dem Pfarrer und mit der Zusage, eine Partnerschaft zu versuchen, da die Voraussetzungen gegeben sind - Information der eigenen Gemeinde mit anschließendem Beschluss zur Partnerschaft - Information an den Bischof von Cajamarca - Information der eigenen Diözese (Referat Weltkirche).
Von Beginn an war dem dortigen Pfarrer bewusst, dass er als Pfarrer nicht die Gelder verwalten wird, was er auch von sich aus nicht wollte. Ein qualifiziertes Komitee sollte die Spenden verwalten und Rechenschaft abgeben - vor allem den entstehenden Gruppen in San Pedro. Die entstehenden Gruppen sollten von Anfang an die Hauptakteure sein. Alle Gruppen und interessierte Einzelpersonen, selbstverständlich auch Pfarrer und Bischof, sollten über alle eingehenden Gelder Bescheid wissen. Mit der Zeit sollte ein Kirchengemeinderat entstehen - als offizielle Vertretung der Gemeinde auch der Ansprechpartner der Partnerschaft - in dem gewählte Vertreter aller Gruppen vertreten sind. Und so geschah es.
Nach vielen Einladungen entschloss man sich, für 1986 den ersten Besuch einer Gemeindedelegation vorzubereiten. Aus einer Ankündigung für die Gemeinde zu Beginn des Jahres 1986: „Um das Vertrauen zu festigen, möchte eine Delegation der Pfarrei in diesem Sommer, nachdem wir schon mehrfach eingeladen wurden, nach Peru fliegen, um unsere Partnergemeinde zu besuchen. Dieser Besuch, so hoffen wir, kann zu einer großen Vertiefung der Partnerschaft führen. Durch die vielen neuen und dann persönlichen Kontakte wird die Arbeit des Ausschusses auf eine breitere Basis gestellt werden können. Durch die direkte Konfrontation mit dem Leben und Glauben der Campesinos wird die Reise zu einer echten Pastoralfahrt, ja zu einer Wallfahrt. Sinngemäß nach Leonardo Boff: Wenn wir dem lebendigen Christus begegnen wollen, genügt es nicht nach Rom zu pilgern oder die Stätten des Hl. Landes zu besuchen, sondern der lebendige (!) Christus ist eher anzutreffen in einer peruanischen Landgemeinde. Als Vorbereitung für diese Reise werden wir ein halbjähriges Peruseminar durchführen, nicht nur für die Teilnehmer, sondern offen für alle Interessenten. Inhaltlich werden wir uns an den Misereormaterialien ausrichten, die dieses Jahr Peru zum Schwerpunkt haben. Gerade auch in der Fastenzeit soll die Vorbereitung auf die Begegnung mit unserer Partnergemeinde ein inhaltlicher, spiritueller Schwerpunkt sein“. Die Reisegruppe bestand dann aus elf Teilnehmern (KGR-Vorsitzende, Mitglieder des KGR und des Ausschusses, Pfarrer, Vikar, Gemeindereferentin). Eine so große Gruppe wird nur dann nicht zur Belastung für die Partner, wenn der Besuch in der Partnergemeinde inhaltlich und organisatorisch bestens vorbereitet wurde. Im Vorfeld kam es auch zur Diskussion, ob es für die Partner nicht besser wäre, die Reisekosten den Partnern zu spenden, statt selbst zu reisen. Doch ein Besuch Bischof Dammerts 1985 in Ulm beseitigte die Zweifel. Der Bischof bestätigte, dass Fragen wie Gerechtigkeit, Begegnung, Austausch usw. nicht eine Frage des Geldes, sondern des Hörens, des Lernens und des gegenseitigen Respekts auf gleicher Ebene sind. Dies wurde dann auch von den Partnern im Nachhinein so bestätigt.
Eine lange diskutierte Frage war, welche Geschenke man den Partnern (Campesinos, Frauengruppen, Pfarrei als Institution) mitbringen sollte. Man entschied sich für die Osterkerze, einen Kelch, den der Gemeindepfarrer zu seiner Primiz erhalten hatte, einige Fotoalben mit Fotos von Pfarraktivitäten, Bilder für die einzelnen Kapellen und Versammlungsräume usw. Der „Reiseleiter[5]“ konnte vor Ort die Gruppe überzeugen, beim Besuch der einzelnen Campesinogemeinschaften nichts mitzunehmen, weder Geschenke noch eigene Verpflegung (trotz stundenlangen Weges in die Berge). Die Campesinos erfuhren so zum ersten Mal, dass sie den reichen Europäern etwas schenken konnten, dass diese sogar auf sie angewiesen waren, weil sie buchstäblich mit leeren Händen kamen und sich von den Campesinos beschenken ließen. Die Campesinos, die sehr symbolisch denken, werteten dies als einen Vertrauensbeweis. Aus Fremden wurden Freunde - nicht weil diese Geld schickten, sondern weil sie sich „ausgeliefert“ und das „tägliche Brot“ geteilt haben - und sei es auch nur für einen Tag. Als Grundregel gilt bis heute in St. Georg, dass generell keine individuellen Geschenke gemacht werden. Ebenso werden alle materiellen Absprachen und Verpflichtungen sowohl hier als auch dort stets gemeinsam und damit öffentlich getroffen. So kam es nur vereinzelt zu Betteleien oder unrealistischen Forderungen an die Besucher. Die Besucher wurden immer auch als Stellvertreter der Gemeinde St. Georg angesehen und nicht als individuelle Wohltäter.
4. Projekte
Aus dem ersten (nicht angeforderten) Rechenschaftsbericht über die Arbeit in der Pfarrei San Pedro, auch von Pfarrer Lorenzo Vigo unterschrieben, an die Gemeinde St. Georg 1983: „Dank der Hilfe von St. Georg konnten wir im September 1982 zum ersten Mal einen Arbeitsplan für das nächste Jahr aufstellen, da nun erstmals auch die Mittel vorhanden sind, um schon lange gewünschte Vorhaben und Wünsche in die Tat umsetzen zu können. Von Oktober 1982 bis Juni 1983 wurde folgendes getan:
Es wurde auch bereits mit einigen landwirtschaftlichen Selbsthilfegruppen begonnen, so z. B.: Wiederaufforstung in einigen erosionsgeschädigten Gebieten (bisher über 1.400 Pinien angepflanzt); Anlegen von Terrassen zum Schutz des Bodens und zur Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion (in Anlehnung an die Tradition); Herstellung von Naturkompost und erstes Planen von zukünftigen Bewässerungskanälen... . Die finanzielle Hilfe ist nicht zuerst dazu bestimmt, unsere Armut ertragen zu können, sondern sie dient vielmehr dazu, unsere Armut zu überwinden. Dies wollen wir erreichen durch die Rückbesinnung auf die biblische Botschaft als ‚Gute Nachricht‘ gerade für die Armen, durch ein Anregen von christlichen Basisgemeinschaften und durch Schaffen der äußeren Rahmenbedingungen (Personal, Kurse, Räumlichkeiten etc.)“.
Aus zwei Gründen dieser längere Auszug: Er zeigt erstens beispielhaft die Prioritäten auf (allerdings fehlen noch die Frauengruppen). Er weist zweitens aber (indirekt) darauf hin, dass erst mit Entstehen der Partnerschaft eine kontinuierliche Arbeit auf dem Land und dann auch mit Frauengruppen begann. Im Jahre 1983 war Pfarrer Lorenzo Vigo bereits 25 Jahre als Pfarrer von San Pedro tätig und Bischof Dammert war seit 21 Jahren Bischof von Cajamarca.
5. Auswirkungen der Partnerschaft auf die eigene Gemeinde:
(Aufgezeigt in zwei Beispielen: Gemeindeerneuerung - Umgang mit Konflikten, Besuche)
a) Gemeindeerneuerung: Von Beginn der Partnerschaft an ging es dem Missionsausschuss darum, Impulse für eine sich stets erneuernde Gemeinde zu geben. Es ging nicht um Nachahmung peruanischer Erfahrungen, sondern um eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf die Praxis Jesu, der Apostel und der ersten Christen, so wie sie uns in der Bibel von der Kirche überliefert sind. Die Erfahrungen in der Partnergemeinde können dabei helfen, ausgehend von unserer Situation unsere eigenen Erfahrungen mit der befreienden Botschaft zu machen. Denn so wie in den Campesino-Gemeinden die eigene Realität analysiert, im Lichte der Bibel gedeutet und dann die entsprechende Praxis entwickelt wurde, so sind auch wir - Gemeinde und Einzelne - aufgefordert zu überlegen, wie die befreiende Botschaft Jesu in unserem Leben, Umwelt und Gesellschaft wirksam werden kann (nach Analyse und deren Deutung).
1986, nach dem ersten Gemeindebesuch bei der Partnergemeinde, war der Wunsch in einigen Gruppen der Gemeinde sehr stark, konkrete Schritte für einen neuen Aufbruch in unserer Gemeinde zu überlegen. Eine Gemeindeerneuerung wurde geplant. Zu dieser Zeit gab es auch auf Diözesanebene (Seelsorgereferat) die ersten Versuche, Gemeinden für die Idee einer Gemeindeerneuerung zu gewinnen, sie zu beraten und mit ihnen ein Modell zu erstellen. Hauptziel der diözesanen Bewegung war, Laien zu bestärken, die Bibel mehr in den Mittelpunkt zu stellen und die Gemeinde zu motivieren, den Weg von einer passiven „konsumierenden Servicegemeinde“ hin zu einer aktiven mündigen Gemeinde entschiedener zu gehen. Diese Ziele stimmten auch mit dem Anliegen von St. Georg überein. Also entschloss man sich, das Angebot der Diözese anzunehmen und das sogenannte „Rottenburger Modell der Gemeindeerneuerung“ auszuprobieren.[6]
Doch in der Vorbereitungsphase stellte sich bald heraus, dass die Erfahrungen der Gemeinde keine Rolle spielen sollten und dass es um die Erprobung eines an Schreibtischen erdachten Modells ging. Es entstand auch der Eindruck, dass das diözesane Modell dazu dienen sollte, für die ehrenamtliche Mitarbeit von Gemeindemitgliedern deshalb zu werben, weil sonst das „Modell Kirche“, wie es in der Vergangenheit funktionierte, nicht mehr weiter existieren kann - also nicht aus inhaltlichen, sondern aus strukturellen und das System konservierenden Gründen. Die von außen gekommenen Mitarbeiter (ein Team aus Experten und Laien, die speziell geschult waren, das sogenannte Außenteam) überzogen die mit der Vorbereitung der Gemeindeerneuerung Beauftragten, (das sogenannte Innenteam, darunter auch drei „Perubesucher“) mit ihren fertigen Konzepten. Sogar die einzelnen Bibelstellen waren vorgegeben, ebenso die Methode der Bibelarbeit (Bibelteilen aus Afrika, das mit dem Umgang mit der Bibel, wie in Cajamarca üblich, nichts zu tun hatte). Das Innenteam war in der Folge zu schwach bzw. ließ sich von der pfingstlichen Begeisterung des Außenteams anstecken und überfahren. In dieser Situation verfasste der Ausschuss MEF folgendes Papier, das in seiner ganzen Länge deswegen zitiert wird, weil es beispielhaft Schwierigkeiten und Schwachpunkte der gängigen pastoralen (Schreibtisch-) Modelle in Deutschland aufzeigt. Aus den einzelnen Punkten lassen sich indirekt die Schwerpunkte und die Zielrichtung einer „Gemeindeerneuerung von oben“ erschließen. Es geht um Zielvorstellungen. Die Gemeinde rang und ringt um diese Punkte - so wie dies auch in vielen anderen Gemeinden geschieht.
"Anmerkung des MEF zum Thema Gemeindeerneuerung 1988 in St. Georg Ulm":
In der Gemeinde St. Georg (KGR, Pastoralteam, Ausschüsse etc.) wurde in den letzten Jahren das Bedürfnis nach einer lebendigen Gemeinde, Vertiefung des Glaubens und der Besinnung auf das Wesentliche immer stärker. Es ging und geht darum, wie in einer zunehmend ungläubigen Umgebung, Vereinzelung und Hoffnungslosigkeit neue Formen und Strukturen des gemeinsam gelebten Glaubens gefunden werden können. Neue Art des Zusammenlebens, ‚Kontrastgesellschaft‘ und Gemeinschaftsbildung über die Kirchenmauern hinaus sind dafür einige Stichpunkte. Voraussetzung dafür sind eine Abkehr von kirchlicher Service - und Konsumhaltung, persönliches Glaubenszeugnis, prophetische Zeichen, kurz: entschiedenes Christentum. Dies ist um so wichtiger in einer Welt, in der wegen des herrschenden Götzendienstes das Elend weltweit immer größer wird. Das Ziel ist eine Gemeinde (Gemeinschaft) als Heimat für alle Suchenden, als Ort der Hoffnung, als Licht auf dem Berg, als Sauerteig innerhalb der Gesellschaft.
Um dieses angestrebte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren (ein Ziel, das die Gruppen in unserer Gemeinde so geäußert haben, wenn auch immer in dem Bewusstsein, daß dieses Ziel immer größer sein wird als dessen mögliche Realisierung), ist folgendes zu beachten:
Zusatz: Man pflückt wie selbstverständlich die herrlichsten Früchte des Glaubens (z.B. die Eucharistie) und spricht, wenn es um die Botschaft Jesu geht, von Überforderung, von einem ersten Schritt, den man erst lernen muss. Dabei wird aber der ‚5… 6...Schritt‘ (der Höhepunkt des Weges) selbstverständlich, automatisch und institutionell, bereits in Anspruch genommen. Konsequent wäre demnach, wirklich einmal den ersten Schritt zu wagen, den Weg einzuschlagen - und in einigen Jahren um die Zulassung zur Taufe und dann zur Eucharistie zu bitten! Die ständige Angst ‚Schäfchen‘ zu erschrecken und/oder zu verlieren, tötet den Geist. Der Geist ist mit denen, die wirklich aufbrechen... . Natürlich kann in einigen Wochen (und Jahren) der Gemeindeerneuerung dies nicht alles ‚erreicht‘ werden, aber es muss thematisiert und darf zumindest nicht aus den Augen verloren werden“.
b) Umgang mit Konflikten und Besuche: Im Mai 1992 konnte St. Georg das zehnjährige Partnerschaftsjubiläum feiern. In einer Partnerschaftswoche kam es zu vielen Veranstaltungen, Presse und Rundfunk berichteten. Bischof Walter Kasper wurde eingeladen (zu Podiumsdiskussion, Ausstellung und Gottesdienst). In seiner Predigt sagte er: „Trotz des Elends, des Terrors und des Hungers in Peru, ist der Glaube der Menschen dort von einer tiefen Hoffnung und Lebensfreude geprägt. Gott hat eine Option für die Armen. Was die Menschlichkeit und die Christlichkeit der Armen angeht, sind nicht die, sondern sind wir das Entwicklungsland.“ Für seine Parteinahme für die Armen in dieser Welt klatschte die Gottesdienstgemeinde Bischof Kasper am Ende der Predigt Beifall, was sonst die seltene Ausnahme in hiesigen Gottesdiensten ist.
Im Sommer besuchte wieder eine kleine Delegation die Partnergemeinde. Sie fand noch die Situation vor, dass der Kirchengemeinderat, ein Team von Mitarbeitern mit dem Pfarrer und viele engagierte Mütter und Katecheten die Gemeinde wie gewohnt mit Leben erfüllten. Doch zum Jahreswechsel 92/93 kamen verschiedene Briefe an, die einen tiefen Wandel anzeigten. Neu ernannte Verantwortliche schrieben, dass sie nun vom Pfarrer berufen seien und für die weiteren Projekte und auch für die Verwaltung der Gelder verantwortlich seien. Die bisherigen Vertrauenspersonen (sowohl unsererseits als auch der Mütterclubs und Campesinos) schrieben uns, dass sie entlassen worden seien. In einem Rundschreiben (Januar 1993) an alle Partnergemeinden seiner Diözese schrieb gleichzeitig der neue Bischof, dass ab sofort alle Partnerschaftsgelder auf sein Konto überwiesen werden sollten, das er eigens dafür bei Adveniat eingerichtet hatte. In den nächsten Wochen wurde versucht, durch viele Telefonate mit Cajamarca, über Briefe und weitere Suche nach Informationen, sich ein besseres Bild zu verschaffen. Es kamen Briefe von verantwortlichen Katecheten an, in denen sie sich beklagten, dass sie keine Gelder mehr für die schon lange geplanten Vorhaben und Kurse bekämen. So entschloss man sich schweren Herzens, vorläufig überhaupt kein Geld mehr zu überweisen.
In einem intensiven Briefwechsel, besonders mit Pfarrer Lorenzo Vigo, versuchte man die Gründe für die Veränderungen zu verstehen und auch gleichzeitig um Verständnis zu bitten, dass bis zur Klärung einiger Fragen kein Geld mehr geschickt werden könnte, da man schließlich den Spendern und den potentiellen Empfängern (Campesinos etc.) verpflichtet sei.
Der Besuch im Sommer 1993 (erster Besuch nach dem Bischofswechsel und den daraus folgenden Konsequenzen) von Verantwortlichen der Pfarrei St. Georg in der Partnergemeinde wurde sehr gründlich vorbereitet. Es sollten alle Probleme zur Sprache kommen, Gespräche mit allen Beteiligten geführt und eine gemeinsame Basis für die weitere Zusammenarbeit gesucht werden. In einem Vorbereitungsbrief an die neue Leitung in San Pedro (20. April 1993): „Der Hauptgrund dieses Briefes ist, Ihnen unseren Wunsch nach Fortsetzung der Partnerschaft mitteilen zu wollen. Wir sollten gemeinsam in die Zukunft schauen und die vergangenen Missverständnisse hinter uns lassen. Diese Partnerschaft war bisher mehr - und wird es auch in Zukunft sein - als die Beziehung zwischen zwei oder drei Personen. Und wegen zwei oder drei Personen wollen wir nicht die Freundschaft und Verbundenheit mit Tausenden von Mitchristen aufs Spiel setzen. Diese Partnerschaft darf nicht abhängig sein von den Launen und der Eitelkeit einiger weniger Personen, wer immer diese auch sein mögen. Die Partnerschaft ist etwa viel Tieferes: sie ist das Symbol einer wahrhaft katholischen, universellen Kirche, das Symbol der Freundschaft unter den Geschwistern Jesu, eine Kommunion, in der alle das gleiche Brot essen. Außerdem: Seit Jahrhunderten sind es immer die Campesinos gewesen, die am meisten leiden mussten. Wie oft wurden sie schon betrogen und getäuscht mit falschen Versprechungen! Und jetzt, wo sie endlich Vertrauen und Mut geschöpft haben, sollen wir sie wieder im Stich lassen? Gerade in ihrem Namen müssen wir weitermachen und dabei hoffen wir auf Ihre Mitarbeit. Denn wir vertrauen darauf, dass auch Sie weiterhin an der Vision einer gerechteren Welt festhalten. Wir vertrauen darauf, dass Sie die Arbeit in einer pastoralen und sozialen Linie fortsetzen, so wie uns die Dokumente der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, seit Medellín, Puebla und zuletzt Santo Domingo (wo unser ehemaliger Bischof wie ein Prophet gesprochen hat) den Weg gezeigt haben“.
Der sechs Wochen dauernde Besuch im Sommer brachte aber trotz intensiver Bemühungen keine Wende bei den neuen Verantwortlichen. Auch in vier langen Gesprächen mit dem neuen Bischof[7], teils in Anwesenheit von Pfarrer Lorenzo Vigo, dem Generalvikar und anderen Pfarrern, wurde kein Fortschritt erzielt. Stattdessen mussten die Besucher mit eigenen Augen erleben oder erfuhren auch von den Müttern und Katecheten, wie diese behandelt wurden. Drei kleine Beispiele unter vielen: Bei einem Besuch auf dem Land mit dem vom Pfarrer neu ernannten Präsidenten des Kirchengemeinderates (dem ersten und einzigen Besuch, den dieser auf dem Land machte), Pfarrer Lorenzo Vigo und einem weiteren Verantwortlichen, sagte der Präsident, ein pensionierter Richter, auf dem Pferde sitzend und mit dem Zeigefinger drohend, zu den zu ihm aufsehenden Vertretern der Campesinogemeinschaften: „Wenn ihr nicht ab sofort jeden Sonntag die Hl. Messe besucht, dann bekommt ihr keine Hilfe mehr“. (Um in die Stadt zur Messe zu gehen, mussten die Campesinos vier bis sechs Stunden einfache Wegstrecke zu Fuß gehen). Lorenzo Vigo, ehedem ein Freund der Campesinos, sagte u.a.: „Die Campesinos kommen nur zu den Kursen, um sich satt zu essen, danach kehren sie zurück und tun nichts mehr. Warum sollen wir deren Faulheit finanzieren?“ Und den Frauen der Mütterklubs wurde gar der Zutritt zur Pfarrkirche mit der Begründung verwehrt, sie seien unwürdig, als sie wie immer jeden Donnerstag zur Anbetung des Allerheiligsten zur Kirche gekommen waren. Weil sie den Kontakt zur Partnergemeinde in Ulm nicht aufgeben wollen und „unautorisiert“ Briefe schreiben, werden sie Abtrünnige und Verräter genannt. Sie werden buchstäblich „exkommuniziert“, von den Amtsträgern ausgeschlossen. Im wahren Sinne des Wortes „Kommunion“ werden sie aber immer mehr zu einer lebendigen christlichen Gemeinschaft, in der alle das Brot - das, was der Mensch zum Leben braucht - untereinander teilen. Es sind die Amtsträger, die sich aus dieser urchristlichen Gemeinschaft verabschiedet haben. Sie verleugnen ihren Herrn und sondern sich von denen ab, mit denen Jesus das Festmahl feierte und setzen sich stattdessen an den Tisch der Mächtigen und essen deren Brot.
Während des Besuches einigte man sich mit den Verantwortlichen der Comunidades und der Mütterklubs auf folgendes Vorgehen: Der Dialog mit der Pfarrleitung und dem Bischof muss gesucht und alle Möglichkeiten einer Begegnung und Verständigung ausgeschöpft werden. Die Einheit und Glaubwürdigkeit einer christlichen Gemeinschaft muss auch nach außen hin deutlich werden. Erst wenn alle Versuche zu keiner Annäherung führen, dürfen alternative Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Kompromissvorschlag der Ulmer an die Pfarrleitung von San Pedro: „Wir stehen zur Partnerschaft mit der gesamten Gemeinde San Pedro. Die verschiedenen Gruppen der Gemeinde San Pedro bringen ihre Projektvorschläge ein und diese werden dann von der Pfarrleitung nach Ulm übermittelt. Die Gelder gehen auf das Konto der Pfarrei San Pedro und werden von dort an die Gruppen weitergegeben. Die Gemeinde St. Georg verpflichtet sich, den Kontakt sowohl zu Pfarrer und Bischof als auch zu den Gruppen aufrecht zu erhalten“. Als Vertrauensbeweis wurden mit dem Einverständnis aller Gruppen von San Pedro 6.000 Dollar der Pfarrleitung übergeben. Bis auf weiteres und in Erwartung der weiteren Entwicklung in San Pedro wurde dann kein Geld mehr geschickt, weder der Pfarrleitung noch den Gruppen direkt (ausgenommen die regelmäßigen Beträge für den Unterhalt zweier Kindergärten, inklusive Gehalt für die Lehrerinnen; diese Gelder gingen stets direkt an die Kindergärten). Der direkte Kontakt zu den Gruppen wäre am einfachsten gewesen, doch die Gruppen verzichteten vorerst auf diesen Weg, um den Bruch nicht endgültig werden zu lassen.
Nach Deutschland zurückgekehrt, wurden die Probleme in der Gemeinde zuerst im Ausschuss intensiv besprochen und diskutiert. Grundlage waren die Berichte der Betroffenen und das Ergebnis des Besuches. Ein kürzerer Auszug aus diesem Bericht, der sich zuerst intern an den Ausschuss wendet und auf diplomatische Schnörkel verzichtet. Die Aussagen sind protokolliert:
„In vielen und langen Gesprächen, festgehalten auf 280 Tagebuchseiten, mit dem Apostolischen Administrator, Pfarrern, Schwestern und noch mehr mit engagierten Repräsentanten/innen des Volkes Gottes, ergab sich, bezogen auf die gesamte Diözese, folgendes, wenn auch unfertiges Bild: Partnerschaft, wie sie von uns so gerne erträumt wird, wird vom Großteil des Klerus, inklusive Bischof, nicht gewollt. Einige sagten wörtlich: ‚zum Teufel damit‘! Das hat durchaus seine Gründe. Vorgeschoben wird das Argument der Abhängigkeit, der Fremdbestimmung, des Diktats von außen, zumal im Hinblick auf die Kolonialgeschichte. Als weiteres Argument dient die Behauptung, das einfache Volk verstehe davon eh nichts, die wollten nur Geld. Doch eigentlich geht es um etwas ganz anderes und das genaue Gegenteil ist wahr: Partnerschaft, wie wir sie verstehen und in Übereinstimmung mit unseren eigentlichen Partnern, den Ärmsten, führt zu mehr Selbstbewusstsein der Laien, zu einer ‚Bewegung von unten‘, zu einer Kirche, in der Klerus und Laien selbst Partner sind oder werden. Gerade dies aber wird von den allermeisten Pfarrern und dem Bischof nicht gewollt bzw. gezielt verhindert. Gerade von denen wird von ausländischer Bevormundung geredet, denen Demokratisierung und Selbstbestimmung der Gemeinden ein Gräuel ist und die nicht willens (und fähig) sind, selbst Partner sein zu können. Analog dazu lässt sich nachweisen, dass gerade diejenigen, die immer vom Zerfall des Glaubens reden (auch in Deutschland), nicht in der Lage sind, den Glauben und die Fähigkeiten des eigenen Volkes ernst zu nehmen. Und ausgerechnet diejenigen, die den Armen unterstellen, nur Geld zu wollen, sie sind es, die den ‚Armen die Verantwortung für das Geld‘ abnehmen, um es selbst zu kassieren. Und mit europäischer Bevormundung meinen sie auch, dass sie sich nicht dreinreden lassen wollen bei der Verwaltung der Gelder - weder von der eigenen Gemeinde und erstrecht nicht von außen - denn sie sind die Pfarrer und sie allein bestimmen, was mit dem Geld geschieht“.
Ebenso erfuhr man in St. Georg bald, dass die 6.000 Dollar nicht wie versprochen an die Gruppen weitergegeben wurden. Katecheten und die verantwortlichen Frauen der Mütterclubs schrieben, dass sie ihre Anliegen, Bedürfnisse und Wünsche für die weitere Arbeit der Pfarrleitung per Post schicken mussten, weil sie persönlich nicht empfangen wurden. Ebenso versuchten Delegierte der Gruppen dreimal um ein Gespräch mit ihrem Bischof nach, dreimal ohne jede Reaktion, beim dritten Mal wurden sie gar aus dem Vorraum des Bischofshauses verjagt. Briefe von St. Georg an den Bischof und die Pfarrleitung blieben unbeantwortet, die Briefe mit den weiteren Plänen und Vorhaben der Gruppen wurden nicht weitergegeben. Gleichzeitig wurde der direkte Kontakt von St. Georg aus zu den Gruppen immer intensiver. Sie machten auch ohne Geld im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter und sie schrieben, dass dieser enge Kontakt die Freundschaft immer mehr vertiefen werde.
In der Fastenzeit 1994 wurde die Gemeinde St. Georg in den Gottesdiensten über die Situation in der Partnergemeinde informiert (der KGR schon unmittelbar nach dem Besuch im Sommer 1993). Aus einer Information an die Gemeinde am Misereorsonntag: „Wir haben im Ausschuss und im KGR nach intensiven Beratungen beschlossen, in diesem Jahr ein Projekt in Cajamarca zu unterstützen, das dort vom DAS (Sozialwerk der Diözese) auf dem Land geplant und über Misereor betreut wird. Wir kennen die Leute vom DAS[8]persönlich - sie arbeiten ganz im Sinne von Bischof Dammert weiter und werden nicht zuletzt deshalb von Misereor unterstützt. Wir haben beschlossen, 50.000 DM zweckgebunden für dieses Projekt in Cajamarca an Misereor zu überweisen. Die Partnerschaft mit San Pedro ist damit nicht beendet, wir hoffen im Gegenteil, dass sich wieder in absehbarer Zeit engagierte Mitarbeiter finden. Wir haben weiterhin sehr guten Kontakt mit unseren eigentlichen Partnern, den Campesinos und den Müttern“.
Wie insgeheim von beiden Seiten erhofft, waren im Laufe der Zeit die Verbindungen zwischen St. Georg und den Gruppen in San Pedro nicht nur enger geworden, sondern durch die Einstellung der Geldüberweisungen verloren die vom Pfarrer ernannten neuen Mitarbeiter der Pfarrei bald das Interesse an einer weiteren Mitarbeit in der Pfarrei, der „Pastoralrat“ wurde aufgelöst. Die Gruppen aber blieben bestehen, weil sie durch andere als finanzielle Interessen zusammengehalten wurden. Auch in St. Georg kam es zu einer Klärung. Pfarrteam, KGR und Ausschüsse kamen nach fruchtbaren Diskussionen zu dem Ergebnis, dass die Partnerschaft sich bewährt hat, dass die Gruppen, die verantwortlichen Laien, die Katecheten und mit ihnen alle, die weiterhin sich aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus versammeln, Gottesdienste feiern, die Bibel lesen und gemeinsam versuchen, als Kinder Gottes in Würde zu leben, dass alle zusammen die Gemeinde San Pedro sind - wer immer auch mit ihnen oder gegen und ohne sie gerade Pfarrer oder Bischof ist. Die Gemeindepartnerschaft ist also nicht in Frage gestellt.
In meiner Predigt zum Peruwochenende am 12. 11. 95 konnte der Gemeinde in St. Georg verkündet werden: „Unsere Partnerschaft mit San Pedro erlebt zur Zeit einen zweiten Frühling!“ Nach einem kurzen Rückblick auf die zurückliegenden Jahre geht es in der Predigt wie folgt weiter: „Ein neuer Bischof zog ein, der fast genau das Gegenteil von dem tat, was seinem Vorgänger, Bischof Dammert, wichtig war. Er setzte z.B. alle verantwortlichen Laien ab und die Priester sollen sich auf die Verwaltung der Sakramente beschränken, was einige dann auch für viel Geld tun. Und wie uns die Campesinos schreiben, ist ihm das Schicksal der Armen egal. ‚Er ist ein Bischof der Reichen‘. Langsam kamen wir zu der Überzeugung, dass unsere Partnerschaft nicht von einem einzigen Pfarrer oder vom Bischof abhängen darf. Sondern wir fragten uns: Wer sind denn eigentlich unsere Partner? Es sind die, die am meisten Hilfe und Beistand brauchen, die unzähligen Mütter und Campesinos, die nicht wissen, was sie am nächsten Tag ihren Kindern zu essen geben sollen. Sie waren unsere Partner und sie werden es bleiben! Wir schrieben nun diesen unseren Freunden, dass sie uns direkt mitteilen sollten, welche Bedürfnisse sie haben, was sie brauchen und was sie vorhaben und dass wir nun auch ohne den offiziellen Weg über die Pfarrei direkt mit ihnen die Partnerschaft vertiefen wollen. Auf diese Nachricht hin versammelten sich in San Pedro spontan die Menschen und dankten Gott. ...
Es ist für unsere Partner ungeheuer wichtig die Erfahrung gemacht zu haben, dass sie auch ohne finanzielle Hilfe fast zwei Jahre lang als Gemeinschaften ‚überlebt‘ haben, dass sie sich dadurch noch besser organisieren lernten und dass sie auch erfahren haben, dass sie von der Gemeinde St. Georg, als Kirche, die wir sind, nicht im Stich gelassen wurden - wo sie doch so schlechte Erfahrungen mit ihrer eigenen Kirchenleitung gemacht haben. Die Gewissheit, dass eine deutsche Gemeinde bewusst als Gemeinde, als Kirche, zu ihnen steht, stärkt sie in ihrer Gewissheit, als christliche Gemeinschaft auf dem rechten Weg zu sein“.
In dem darauffolgenden Gemeindebrief, der kostenlos an alle katholischen Haushalte verteilt wird, heißt es dann noch einmal zusammenfassend: „Nach langen Diskussionen kamen wir zur Einsicht, dass die Campesinogemeinschaften, Mütterklubs und alle Bedürftige in San Pedro nicht nur unsere eigentlichen Partner waren und sein werden, sondern dass sie letztlich die Gemeinde San Pedro sind. So entschlossen wir uns nun, diese unsere Partner und Basisorganisationen direkt zu unterstützen. Seither blüht das pastorale und soziale Leben in San Pedro wieder auf, viele neuen Ideen und Projekte entstehen“. In dem Gemeindebrief wird zum Schluss aus einem Brief der Campesinos an St. Georg zitiert: „Wir sind sehr bekümmert über den neuen Bischof, für ihn zählen die Campesinos nicht. Weder wir noch die Mütterclubs waren bei seiner Amtsübernahme vertreten, denn wir durften nicht die Kathedrale betreten. Er ist ein Bischof der Reichen, nicht der Armen. Aber wir haben begriffen: die Kirche, das sind nicht nur die Priester, sondern auch wir, die Campesinos. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um Christus als Jünger zu folgen“.
6. Aktueller Stand der Partnerschaft (bis Ende 1998)
In der Folge kommt es zu jährlichen Besuchen der Ulmer in San Pedro. Zur Lage der Partnerschaft schreiben sie 1998 in einem Bericht an die Gemeinde: „Allein der Partnerschaft ist es zu verdanken, dass in San Pedro in etwa einem Drittel der Gesamtgemeinde ein reges Leben herrscht. Ein harter Kern von 200 - 300 Menschen fühlt sich berufen, sich für etwa 10.000 Menschen pastoral und sozial zu engagieren. Dieses Engagement geschieht unter großen Opfern und Zeitaufwand. Alle Gruppen sind demokratisch gut organisiert und stehen untereinander in einem ständigen Austausch. Sie fühlen sich als lebendige Gemeinde und sind es auch. Es herrscht eine sehr tiefe Spiritualität (Kultur des Teilens, Gemeinschaftssinn, Leben aus dem Glauben an die Gegenwart Gottes etc.). Auch die Partnerschaft mit uns wird zunehmend spirituell verstanden, d.h. als einheitsstiftend und kirchenbildend. Unsere Präsenz als Kirche hilft ihnen, sich ebenfalls als Kirche zu verstehen, was ihnen Kraft und Selbstbewusstsein gibt.
Und auch umgekehrt gilt: Wo Menschen sich am Rande der Gesellschaft treffen, ihr Brot teilen, da ist Gott in besonderer Weise präsent. Wenn diese Menschen uns dann an ihren Tisch bitten (falls wir uns darauf einlassen), dann machen sie uns ein unbezahlbares Geschenk: die Gegenwart Gottes erfahren zu dürfen. So sagte Don Cunshe, der Präsident aller acht zusammengeschlossen Comunidades in der Comunidad Catache, ein Tagesmarsch zu Fuß von Cajamarca gelegen, anlässlich einer feierlichen Einweihung von Werkstätten auf dem Lande: ‚Wir freuen uns besonders, nicht nur immer zu empfangen, sondern euch auch etwas schenken zu dürfen, nämlich die Erfahrung der Nähe Gottes. Es gibt uns viel Selbstvertrauen, euch helfen zu dürfen, Hoffnung zu geben und so euren Glauben zu vertiefen‘. Man darf nicht vergessen, dass die gesamte Arbeit ohne Hauptberufliche und ohne ausländische Mitarbeiter geleistet wird. Da auch die offizielle Kirche (Pfarrer, Bischof) nicht nur nicht mithilft, sondern diese Arbeit sehr ungern sieht, ist das bisher Erreichte um so bemerkenswerter. Wir können stolz sein, mit einer solchen Gemeinde wie San Pedro in einer lebendigen Beziehung zu stehen. Mögen auch die Frauen und Männer in San Pedro von ihren ‚Guten Hirten‘ im Stich gelassen werden, durch ihre Beziehung zu unserer Gemeinde erfahren sie, dass sie letztlich doch nicht von der Kirche verstoßen sind. Umgekehrt dürfen wir erfahren, welche Kraft und Hoffnung von Menschen ausgehen kann, die im Vertrauen auf Gott ihren Weg gehen...“.
Im November 1997 sorgte die Veröffentlichung der „Laieninstruktion“ für Unruhe in der Gemeinde St. Georg. U.a. fragten sich konkret zwei Frauengruppen, ob es nicht besser wäre, die Arbeit aufzugeben, da sie ja doch als Frauen wohl offensichtlich mit ihrer relativ selbständigen Arbeit nicht gerne in der Kirche gesehen sind (bezieht sich nicht auf die Gemeinde, sondern auf Rom). Unmittelbar darauf wurde in allen Gottesdiensten in meiner Predigt erstmals der Bezug zu den Geschehnissen in der Partnergemeinde (Ausgrenzung der Laien etc.) und der hiesigen Situation diesbezüglich hergestellt. „Die Rolle der Katecheten ist ein zentraler Konfliktpunkt in der Auseinandersetzung - denn Katecheten sind Laien, die Verantwortung übernommen haben... . Den Katecheten in der Diözese Cajamarca wurden alle Befugnisse entzogen und zwar mit einer ganz einfachen Begründung: Sie seien nämlich gar nicht kirchlich verheiratet, lebten demnach im Zustand einer schweren Sünde - und solche Leute sollten Katecheten sein? Der Hintergrund: Bischof Dammert hat mit Zustimmung Papst Paul VI. die traditionell geschlossene Ehe der Campesinos anerkannt: Wenn sich zwei junge Leute sicher sind, ihr Leben gemeinsam leben und gemeinsame Kinder haben zu wollen, bitten sie die Gemeinschaft um die Ehe. Es kommt zu einer großen Feier, die Eheleute versprechen sich vor der gesamten Gemeinschaft die Treue, gegenseitige Verantwortung usw. und der Katechet heißt dies im Namen Gottes gut und gibt seinen Segen. Auch kirchenrechtlich gesehen leben sie nun in einer sakramentalen Ehe – so Papst Paul VI. Doch der neue Bischof, und nicht nur er, sondern fast alle neu ernannten Bischöfe und auch der Nuntius, erkennen diese Ehe nicht mehr als kirchlich geschlossene Ehe an. Natürlich ist dies nur ein Vorwand, denn auf einen Schlag will man damit alles Bisherige aufheben und alle ‚alten‘ Katecheten sind auf einen Schlag ausgeschaltet.
Die Folgen sind verheerend. Die gesamte Landbevölkerung und alle Menschen in den Armenviertel der Städte sind de facto ausgeschlossen. Allein der Priester zählt und wer etwas von ihm will, der soll ihn in der Stadt aufsuchen und bezahlen. Der Priester ist der alleinige Vermittler des Heils, alles dient nur als Vorbereitung für das ewige Leben. Die Kirche (der Klerus) allein hat diesen Schlüssel zum Himmel, schließlich ist sie ja im Besitz aller göttlichen Gnadengaben und der Laie muss dankbar sein, wenn er etwas davon gespendet bekommt. Der Priester hat die exklusive Aufgabe, die Sakramente zu spenden und er ist seinem Bischof zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Er ist seinem Wesen nach anders als der Laie. Nur noch die Sakramente zählen. Vor allem die monatliche Beichte ist Pflicht und wer dies nicht tut, dem wird die Hölle angedroht. Und das ist nun mit das Schlimmste: gerade den Campesinos mit der Hölle zu drohen, wenn sie nicht jeden Sonntag in die Stadt zur Kirche gehen, da hört der Spaß auf. Die Campesinos sagen uns: ‚Wir werden nicht unterstützt, von keinem Pfarrer und keinem Bischof, denn es gibt keinen. - Es gibt keine Pastoralarbeit mehr, es gibt keinerlei Hilfe unseres Bischofs. - Wir haben Priester, die nur für sich selbst sorgen und für uns nicht. Unsere einzige Hoffnung heutzutage sind unsere Brüder und Schwestern aus Ulm, hoffentlich vergessen sie uns auch nicht!‘ Ein Zitat der Mütter von San Pedro: ‚Die Kirche erfüllt so nicht ihre Aufgabe und die Konsequenz wird sein, dass die Kirche verlassen sein wird. Und sie werden Christus vergessen haben, unseren Erlöser, der sich um die Armen kümmerte.‘ Das ist nun aber kein Einzelfall. Es werden in Peru und in fast ganz Lateinamerika bevorzugt solche Leute zu Bischöfen ernannt, die versprechen, diese römische Linie auch so durchzusetzen.
In Deutschland ist natürlich noch alles anders...(?), eigentlich dürfte ich ja auch nicht hier stehen. Hier stehe ich aber! Und in der Gemeinde St. Georg wird es auch weiterhin so sein, dass Laien nicht nur als Schafe alles abnicken, sondern selbst Mitverantwortung auch in der Verkündigung übernehmen. Niemand hat das Recht, uns die Taufe abzusprechen und uns daran zu hindern, unseren christlichen Auftrag wahrzunehmen. Wie ich selbst von peruanischen Bischöfen hörte, gilt die gesamte deutsche Kirche, einschließlich der meisten Bischöfe, als ‚protestantisch verseucht‘, d.h. man beschäftigt sich viel zu sehr selbständig mit der Bibel statt mit der römischen Lehre, die Laien machen was sie wollen, überall wollen sie mitreden - gerade auch in Fragen, von denen sie keine Ahnung haben - und selbst die Frauen werden aufmüpfig“….
Nach dieser Predigt, die allgemeine Zustimmung erfuhr und von Applaus (!) unterbrochen wurde, waren auch die beiden Frauengruppen, die aufgeben wollten, überzeugt, dass es sich „lohne“, weiterzumachen. „Wenn die Frauen in Cajamarca so viel Mut beweisen, dürfen wir nicht kneifen“. Die Gemeinde St. Georg, repräsentiert vom Pastoralteam und dem KGR, ist zusammen mit den anderen Gemeinden in Ulm und der überwältigenden Mehrheit der Gemeinden in der Diözese Rottenburg der Auffassung, dass der eingeschlagene Weg einer zunehmenden verantwortlichen Mitarbeit von Laien in allen Diensten der Kirche unumkehrbar ist, nicht nur aus praktischen, sondern vor allem auch aus theologischen Gründen. Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper, sieht das anders. In Diskussionen mit Gemeindemitgliedern und den Verantwortlichen der Gemeinde wurde die Sorge geäußert, ob er nicht - aus der Sicht der betroffenen Laien und des Pfarrers - dem Volke Gottes Steine in den Weg legt, weil er sich Ämtern und Institutionen mehr verpflichtet fühlt, als den Nöten und Sorgen der Menschen. Seine „Begeisterung für den lebendigen Glauben der Armen“ bei Besuchen in Afrika und anderswo entlarvt sich so bestenfalls als farbiges, folkloristisches Element und sein Wort „Gott hat eine Option für die Armen“ (s.o.) erweist sich als hohl oder zeigt an, dass er nichts verstanden hat (was ihm persönlich nicht vorzuwerfen ist, ist er doch selbst Opfer eines Systems, das institutionell nicht zulässt oder es zumindest erschwert, die Stimme der Armen wirklich als Wort und Option Gottes und damit als oberste Autorität zu verstehen).
So wird allmählich den Menschen in der Gemeinde St. Georg die Situation in der Diözese Cajamarca ( Konflikt Bischof - Laien) immer verständlicher. Sie werden sich bewusst, dass es sich in beiden Fällen um die gleiche Kirche handelt, sei es auf der Ebene der Bischöfe, sei es auf der Ebene des Volkes Gottes. In diesem Zusammenhang erhält auch die Einladung seitens des Bischofs von Cajamarca an die Diözesanleitung von Rottenburg, an seiner Einsetzung („toma de poder“ - Machtübernahme, unter Aussperrung des Volkes) in Cajamarca teilzunehmen, eine besondere Bedeutung. Bischofsvikar Mühlbacher nahm als Vertreter des unseres Bischofs als Ehrengast daran teil - ohne weiteren Kontakt mit Partnergemeinden seiner Diözese (u.a. St. Georg) zu suchen.
Den Menschen in San Pedro ist die Begleitung durch einen Priester ein großes Bedürfnis. So antworten sowohl die Campesinos als auch die Mütterklubs in einer Befragung, welchen Wunsch sie an die („Amts“-) Kirche haben: „Dass sie jemanden in unsere Gemeinschaften schickt, damit sie uns lehren, echte Katholiken zu sein. Denn Jesus war immer mit den Bedürftigsten, den Ärmsten. ... Wir würden bitten, dass sie sich der Armen erinnern, der Alten, der verlassenen Kinder, der Kranken und derer, die das Wort Gottes in die Praxis umsetzen. …, dass sie hinausgehen zu uns, dass sie uns ganz klar vom Evangelium sprechen, dass sie uns anhören, dass sie uns betreuen“. Nachdem der eigene Pfarrer dies nicht mehr kann oder will, sind es die beiden Pfarrer der Nachbargemeinde „Nuestra Señora de Guadalupe“, die sich um sie kümmern. Diese beiden Pfarrer werden wegen ihres beispielhaften Einsatzes und ihrer gelebten Armut und Demut nicht nur von den Gruppen in San Pedro, sondern in der ganzen Stadt und Umgebung sehr geschätzt. In einer Danksagung der Mütter von San Pedro:„Wir danken den Padrecitos Panchito und Segundo, dass sie uns an der Messe teilnehmen lassen und auch dafür, dass sie uns in der Pfarrei Guadalupe aufnehmen. Gott segne sie“! So kommt es als Höhepunkt der monatlichen Fortbildungs- und Katechetenkurse (jeweils Freitag bis Sonntag) regelmäßig zu einem gemeinschaftlichen Gottesdienst in Guadalupe, der von Campesinos und Müttern gemeinsam vorbereitet wird. Dieser Gottesdienst wird von den Beteiligten als das verbindende Element angesehen. Die beiden Pfarrer besuchen inzwischen auch - soweit es ihre Arbeit in der eigenen Gemeinde zulässt - die Landzonen der Pfarrei San Pedro, was für die Campesinos eine große Ermutigung bedeutet. Die beiden Pfarrer werden – logisch - von ihrem Bischof in keiner Weise unterstützt.
Auch der Verantwortliche für Landpastoral auf Diözesanebene, Rolando Estela, besucht entgegen den Weisungen seines Bischofs verstärkt die Landzonen der Gemeinde San Pedro und anderer Pfarreien (besonders Bambamarca).
1998 war zum ersten Mal der Pfarrer von St. Georg zu Besuch in San Pedro (siehe seine Beobachtungen vor und nach dem Besuch). Neben den vielen Eindrücken von lebendigen Gemeinschaften, bekam er auch einen Einblick in die materielle Not der Menschen. Von den durch das Klimaphänomen „El Niño“ verursachten Schäden sind besonders die Ärmsten betroffen. Caritas Deutschland reagierte prompt. Caritas konnte aber nur dort helfen, wo konkrete Meldungen aus den Diözesen vorlagen. Aus der Diözese Cajamarca lagen keine Schadensmeldungen vor, obwohl einige abgelegene Zonen der Diözese besonders betroffen waren, darunter auch Landzonen von San Pedro. Nach der Rückkehr aus der Partnergemeinde wird in St. Georg sofort eine zusätzliche Aktion zugunsten der Betroffenen gestartet. Da dies laut Berichten aus Cajamarca nicht ausreicht, zumal auch die Nachbargemeinden (u.a. Gemeinden mit Partnerschaften nach Deutschland) mit keiner Hilfe rechnen können, wendet sich die Gemeinde St. Georg diesmal auch an Caritas. Der Pfarrer von St. Georg schreibt an Prälat Putschmann, den Leiter von Caritas, am 24. November 1998: „Unsere Kirchengemeinde St. Georg hat seit sechzehn Jahren eine Partnerschaft mit einer Kirchengemeinde (San Pedro) in Cajamarca/Peru, speziell mit der zu dieser Gemeinde gehörenden Campesino - Bevölkerung und zu den Frauen bzw. Familien (Mütterklubs) in den Armenvierteln am Rande der Stadt. Wir sind froh, über verlässliche Personen am Ort ständige Verbindung zu haben - auch zwischen den Besuchen, die regelmäßig stattfinden. Ich selber war als Pfarrer mit zwei Kirchengemeinderäten im Mai dieses Jahres dort und konnte mich von der durch die Regenkatastrophe verursachten Not gerade der Campesino - Familien überzeugen - und auch von den uns Gott sei Dank gegebenen Hilfsmöglichkeiten. Der Bereich Cajamarca hat von staatlichen wie kirchlichen Stellen keine Hilfe erhalten; deshalb sehen wir uns besonders in die Pflicht genommen. Zusätzlich zu unseren regelmäßigen Verpflichtungen haben wir in der Kirchengemeinde eine Kollekten - Aktion „Nothilfe gegen den drohenden Hunger“ durchgeführt und fragen bei Ihnen - im Blick auf die Dringlichkeit und Härte der Not an - ob der Caritasverband aus seinen Spendenmitteln den gleichen Betrag dazu legen kann“. Caritas hat sehr schnell, unbürokratisch und positiv reagiert.
Die Partnerschaft mit San Pedro ermöglicht also nicht nur eine schnelle Reaktion auf konkrete Bedürfnisse und Notwendigkeiten in San Pedro selbst, sondern sie ist aufgrund ihrer speziellen Kontakte auch für die Nachbargemeinden in Cajamarca zu einer Quelle der Hoffnung geworden, konkret: auch Comunidades und Basisgruppen, die nicht zu San Pedro gehören, suchen vermehrt Kontakt und Anschluss an die Gruppen von San Pedro. Nur dank der über die Pfarrei St. Georg hinausgehenden Unterstützungen kann auch Menschen geholfen werden (auch spirituell), die sonst nicht mehr wissen, an wen sie sich wenden könnten. Diese zusätzliche Hilfe, die auch die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde St. Georg übersteigen würde, wurde durch die unbürokratische Unterstützung durch die „Aktion Hoffnung“ (AKO) der Diözese Rottenburg sowie des Missionswerkes der Kinder in Aachen (Sternsinger) ermöglicht.
Aus diesem Bericht über die Not in Cajamarca lassen sich einige Schlussfolgerungen ableiten:
Ausblick
In einem Brief vom 3. Oktober 1998 der (ehrenamtlichen) Koordinatorin aller Gruppen von San Pedro an St. Georg: „Ich möchte euch bitten, in der Partnerschaft, die ihr angefangen habt, nicht müde zu werden. Ihr wisst selbst, das christliche Leben ist keine Buchführung über Vermögen, schon gar nicht über Geld. Viel entscheidender ist es, sich gemeinsam vorzubereiten auf das Kommen des Reiches Gottes, wo alle das zum Leben Unentbehrliche in Fülle haben. Ich lade euch ein, zu einer Besinnung über diese Ansprüche aus dem Glauben. Unser Leben ist ja von diesen Ansprüchen berührt und mitunter möchten wir den Pflug loslassen. Ich lade euch ein, uns zu besuchen, um hier den Geist Gottes zu spüren, der uns belebt, uns ermutigt und uns zum Weitergehen einlädt. Wir können uns ja nicht Christen nennen, ohne uns um die schuldlos Ausgegrenzten zu kümmern“. Inzwischen bereiten sich sechs ältere Jugendliche unter der Leitung des Vikars von St. Georg für einen Besuch in der Partnergemeinde im Sommer 1999 (12. 8 - 10. 9. 1999) vor.
Der Ausschuss „MEF“ von St. Georg, Ulm, von Willi Knecht
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7. Anhang
a) Anfragen von Pfarrer Thomas Keller (vor und nach seinem Besuch 1998)
b) Ein Streiflicht vom vorläufig letzten Besuch (bis 10.12.99), von W. Knecht
a) Pfarrer Keller (St. Georg) Persönliche Überlegungen vor seinem Besuch in der Partnergemeinde über Pfingsten 1998, auf einem Seminar zur Vorbereitung seines Besuches. Er wundert sich, dass nirgends (Freiburg, Adveniat, etc.) über Schwierigkeiten geredet wird. Das Thema „Kirchenbild“, das in der Praxis so verschieden und ein Hauptkonfliktstoff ist, kommt als Thema dort nicht vor!
Seine Deutung von Partnerschaft und Anfragen:
Pfarrer Keller, der über Pfingsten 1998 mit zwei Mitgliedern des KGR St. Georg die Partnergemeinde erstmals besucht hat, zieht nach seinem Besuch folgendes Resümee:
Mein bisheriger Vorbehalt gegen unseren Weg, an den offiziellen Kirchen- und Gemeindestrukturen vorbei direkte Kontakte zu suchen (um nicht ‚europäische kolonisierende Einmischung‘ zu betreiben) ist geschwunden - aus Einsicht in die blanken Notwendigkeiten und die Erwartungen unserer direkten Partner“.
b) Bericht direkt aus der Partnergemeinde, Cajamarca (von Willi Knecht, Ausschuss MEF)[9]
veröffentlicht danach im Gemeindebrief St Georg.
Seit drei Wochen bin ich nun in Cajamarca. Es verbleiben mir noch weitere zehn Tage, um unsere Partner in San Pedro in ihrem täglichen Leben begleiten zu können. Zuerst durfte ich ihnen die Botschaft überbringen bzw. „übersetzen“, dass drei bewährte Stützen der Partnerschaft aus San Pedro von der Pfarrei St. Georg zu einem Besuch nach Deutschland eingeladen wurden. Es handelt sich um Olivia Velarde, seit über zehn Jahren die Koordinatorin der Partnerschaftsgruppen in San Pedro. Sie ist der Gemeinde St. Georg aus einem ersten Besuch im Jahre 1989 bereits bekannt. Olivia wird von ihren beiden treuesten Helferinnen begleitet werden, den Lehrerinnen Liliana und Rosana Guevara. Die beiden Schwestern leiten seit etwa acht Jahren die Alphabetisierung in den Mütterklubs. In diesen Kursen lernen die Frauen nicht nur lesen, rechnen und schreiben, sondern sie lernen, dass sie als Frauen mindestens genauso viele Fähigkeiten haben wie die Männer. Sie entdecken so ihre Würde als Frau und Mensch. Liliana und Rosana arbeiten darüber hinaus in der Vorbereitung und Organisation der wöchentlichen und monatlichen Treffen mit und sie arbeiten seit neuestem auch mit den Katecheten und Campesinos der Landzonen zusammen. Für ihre Arbeit bekommen sie lediglich ein dürftiges Taschengeld (50 Dollar monatlich). Als die zwei jungen Frauen von der Einladung hörten, waren sie erst einmal stumm, vor Freude unfähig, etwas zu sagen. Dann wollten sie unendlich viel wissen und sie bereiten sich bereits auf den Besuch vor. Der Besuch der Jugendlichen aus St. Georg mit Vikar Johannes Schick war der entscheidende Auslöser für die ausgesprochene Einladung. Sowohl die Besucher als auch die Besuchten sind noch voller Begeisterung über den überaus geglückten Besuch der Ulmer. Was lag näher, als diese Begeisterung zu nutzen und durch einen Gegenbesuch unserer Partnerschaft auch hier in Ulm neue Impulse zu verleihen? Möge die Gemeinde St. Georg dieses Geschenk zu würdigen wissen!
Von den vielen Tätigkeiten der Partnergruppen möchte ich nur ein Beispiel herausgreifen, das zugleich symbolisch den Wert der Partnerschaft deutlich macht. Am Samstag, den 13.11.99 fand ein „Marsch für den Frieden“ statt. An diesem Sternmarsch nahmen alle neun Stadtpfarreien teil. Doch obwohl zu allen diesen Pfarreien auch ausgedehnte Armenviertel und Landzonen gehören, waren die Armen und Campesinos nicht vertreten - außer den Gruppen von San Pedro! Mit anderen Worten: gäbe es nicht die Partnerschaft und die damit verbundene Arbeit von Olivia, Liliana, Rosana usw., dann wäre die große Mehrheit des Volkes Gottes von Cajamarca, die Armen und die Campesinos, nicht offiziell in der Kirche präsent bzw. ausgeschlossen gewesen! Und in der Tat: für manche kirchliche Würdenträger sind diese Menschen einfach nicht mehr existent. In der anschließenden Eucharistiefeier in der Franziskanerkirche wirkten die zahlreich erschienenen Campesinas u.a. aus dem Mütterklub Alto Hualanga im wahrsten Sinne des Wortes wie ein erfrischender „Farbfleck“. Nach dem Gottesdienst setzten sich diese Frauen aus Alto Hualanga (weil sie den weitesten Weg hatten, waren sie bereits seit der Morgendämmerung unterwegs und hatten als einzige ihr Mittagessen mitgebracht) vor der Kirche auf den Boden, breiteten ihre mitgebrachten Sachen aus (Mais, gerösteter Weizen, Kartoffel, Bohnen) und teilten untereinander das Essen.
Als ich mich zu ihnen auf den Boden setzte und wir gemeinsam aßen und „feierten“, hatte ich das Gefühl, an einer authentischeren Eucharistiefeier teilzunehmen als kurz vorher in der Kirche, wo sich die Campesinas inmitten „gut angezogener“ Menschen nicht trauten, zur Kommunion zu gehen!
Dieses Beispiel machte mich einerseits traurig, andererseits froh: traurig, weil die Armen (80 % der Bevölkerung) immer mehr an den Rand gedrängt werden; froh, weil das Beispiel der Frauengruppen von San Pedro zeigt, dass die Kirche Jesu lebt und weil wir durch unsere Treue zu diesen Menschen einen Beitrag zu einer wahrhaftigen Kirche auf der Seite der Armen leisten dürfen.
Willi Knecht, Cajamarca, den 20. 11. 1999
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[1] Es gab zur Zeit des Bischofswechsels 14 deutsche Kirchengemeinden, die mit einer Kirchengemeinde der Diözese Cajamarca eine Partnerschaft eingegangen waren.
[2] Pfr. Lorenzo Vigo war mir bereits aus meiner Zeit in Bambamarca (Cajamarca) sehr gut bekannt. Er war übrigens auch der Pfarrer unserer kirchlichen Trauung. Die Familie meiner Frau lebt bis heute in San Pedro. Aber nicht deswegen, wurde San Pedro als Partnergemeinde ausgewählt, sondern in Absprache mit Bischof Dammert, der in San Pedro sowohl die besten Voraussetzungen als auch die größte Notwendigkeit sah.
[3] Ich war nicht als Entwicklungshelfer in Peru, vielmehr war ich der 1. Laientheologe in Deutschland, der mit einer bischöflichen Beauftragung (von Bischof Wetter, Speyer) „in die Mission entsandt“ wurde. Ich war noch Priesteramtskandidat, hatte die 2. Dienstprüfung (Schule - Gemeindepastoral) und war über das gesamte Theologiestudium hinweg im Seminar und Hochschule der Jesuiten in St. Georgen, Frankfurt.
[4] Die Erzdiözese Freiburg trug sich seit 1984 mit dem Gedanken, eine Diözesanpartnerschaft mit Peru (genauer: der peruanischen Bischofskonferenz) anzustreben. DK Zwingmann lud mich 2-mal nach Freiburg ein, zudem bat er mich nach beschlossener Partnerschaft 1986 um einen Grundsatzartikel und Erfahrungsbericht für einen Rundbrief an alle KG der Diözese Freiburg. Zudem bat er mich, in Lima zu sondieren, wo, wie und mit wem eine „Anlaufstelle“ bzw. „Botschaft“ eingerichtet werden könnte. Nach langem Zögern erklärte sich die deutsche Pfarrei in Lima bereit, die Partnerschaft zu ermöglichen. Auch Bischof Dammert spielte dabei eine Rolle.
[5] Wir hatten intensive Vor- und Nachbereitungstreffen in Ulm. Über meine Kanäle gelang es mir, interessante Gesprächspartner in Lima zu vermitteln und Besuche in Elendsvierteln in Lima zu organisieren. Mein Bezug zu Bischof Dammert und meine Mitarbeit in Bambamarca halfen mir dabei sehr.
[6] Im September 1980 wurde im Rahmen „Materialdienst 2.80 - Handreichung für die Seelsorge“ der Beschluss des Diözesanrats vom 23. Juli 1980 veröffentlicht: „Mission - Entwicklung - Frieden“, Aufgaben der Diözese Rottenburg-Stuttgart“. Gerade zurück aus Peru erschien mir der Beschluss sehr hoffnungsvoll. Schon in der Präambel entdeckte ich die Punkte und Grundsätze, die ich selbst so sehr schätzte. Auch danach und bis heute hat unsere Diözese bundesweit einen sehr guten Ruf - was die weltkirchliche Arbeit betrifft. Doch die Umsetzung in die konkreten Kirchengemeinden hinein blieb mangelhaft. Bischof Moser war in dieser Beziehung den Gemeinden in vielerlei Hinsicht weit voraus… Willi Knecht – Hunger nach Gerechtigkeit (flexwebs.de)
[7] Ich allein hatte dann noch ein Gespräch mit Bischof Simón Piorno, dem Leiter von Caritas Cajamarca, Lorenzo Vigo und Pfr. Marco Arana. Darin erklärte u.a. der Bischof, dass er nach Cajamarca geschickt wurde! , um den vorhandenen „Saustall“ (so wörtlich dokumentiert) auszumisten. Denn infolge des Konzils und in der langen Zeit einer "kirchlichen Agonie" unter Bischof Dammert hätten die Menschen das Beten verlernt, Sakramente würden missachtet, die Autorität der Priester untergraben etc... Und der römische Nuntius sagt öffentlich aus, was inzwischen die meisten Bischöfe in Peru (und ganz Lateinamerika?) denken: Schuld an diesem Niedergang der Kirche ist das Konzil. Nun gilt es, wieder die wahre Kirche neu aufzubauen. In dieser Aufgabe fühlt man sich nicht nur ermutigt durch den Papst., sondern - zumindest so sehen es die meisten peruanischen Bischöfe - direkt von ihm aufgefordert. Und alle bisherigen Aussagen des Papstes, seine konkrete Kirchenpolitik und viele Bischofsernennungen geben ihnen recht. Das Ergebnis dieser von Rom ausgehenden Maßnahmen ist verheerend. Die Mehrheit des Volkes Gottes (und aller Bürger) wird erneut ausgegrenzt. Diese römische (und weiße) Kirche ist nicht mehr unter den Armen präsent, geschweige mit den Armen. Daher ist hier von der RÖMISCHEN Kirche die Rede, weil sie das Gegenteil einer im ursprünglichen Sinne des Wortes KATHOLISCHEN Kirche ist, nämlich eine Kirche, die - und seit dem Theologen Josef Ratzinger umso mehr - ihre Fundamente nicht im Evangelium hat (Jesus dem Christus und dessen befreiende Botschaft von dem anbrechenden Reich Gottes), sondern in einer auf der altgriechischen Philosophie gegründeten Doktrin und Praxis, die per se die Erfahrungen anderer Völker (der "Barbaren") und Kulturen nicht nur nicht respektiert, sondern diese entweder unterwirft oder vernichtet. Dies ist unter dem Einfluss von Josef Ratzinger (seit 1982) verstärkt zu beobachten, sowohl in der Theorie und noch schlimmer, in der Praxis.
[8] DAS (“Departamento de acción social”): Es handelte sich um enge Vertraute von Bischof Dammert, die de facto nahezu alle sozialen Projekte der Diözese - oft finanziert von Misereor – in vorbildlicher Zusammenarbeit mit den Campesinos durchführten. Kurz danach löste der Administrator DAS auf bzw. er warf deren Leitung raus und besetzte diese Stellen mit „seinen“ Leuten. Daraufhin wurde ein Projekt mit einem Volumen von 1,2 Millionen Dollar erst stillgelegt, dann aber mit der Goldmine Yanacocha zu deren Vorteil zu Ende gebracht. Es war ein Projekt, das für die stete Wasserversorgung für 12 Comunidades geplant war. Für Yanacocha war dieses Projekt buchstäblich Gold wert, da sie sehr viel Wasser für den industriellen Abbau des Goldes benötigen…. Siehe auch: Die Goldmine Yanacocha (cajamarca.de). Es ist mir danach gelungen, Misereor zu überzeugen, dass dieser Bischof nicht mehr unterstützt werden darf.
9] 1997 - 2004 war ich im Rahmen der Studie jedes Jahr für 6-8 Wochen in Cajamarca und in Lima - Recherchen, Umfragen, Dokumente (darunter vor allem das einzigartige Privatarchiv von Bischof Dammert, zu dem ich exklusiven Zugang bekam) usw. Die Studie wurde für 3 Jahre finanziert von 3 deutschen Diözesen: Bamberg, Würzburg und Eichstätt - und anschließend für weitere 3 Jahre von der DFG (Drittmittel der beteiligten Universitäten).
Ergebnis: „Die Kirche von Cajamarca – die Herausforderung einer Option für die Armen“; Willi Knecht – Eine Kirche der Befreiung - Kirche der Armen www.williknecht.de
Die Partnerschaft der Gemeinde St. Georg, Ulm - Gemeinde San Pedro, Cajamarca
Vorbemerkung:
Die Gemeinde St. Georg nimmt seit 1993 eine wichtige Rolle in der Koordination der Partnerschaftsgruppen ein („Ulmer Treffen“). Sie hat von Beginn an den Gedanken der Partnerschaft in den Mittelpunkt gestellt, der Gedanke der Partnerschaft war sogar zuerst und dann erst wurde die „passende“ Gemeinde dazu gesucht. Am Beispiel dieser Gemeindepartnerschaft werden Höhen und Tiefen der Partnerschaft einer reichen „entwickelten“ Gemeinde mit einer armen „unterentwickelten“ Gemeinde exemplarisch sichtbar. Eine besondere Rolle spielen die Veränderungen in der Partnergemeinde nach dem Bischofs- und Richtungswechsel in Cajamarca und die Reaktion der Gemeinde St. Georg. Die Gemeinde St. Georg kommt hier selbst zu Wort. Der Beitrag wurde angeregt durch die Studie und bezieht sich daher in einigen Stellen auf die Fragen im Fragebogen an die Gemeinden. Die Gliederung (Themen) lehnt sich ebenfalls an den Fragebogen an.
Die folgenden Ausführungen sind nicht zuerst an Theologen gerichtet, es geht nicht zuerst um Ausgewogenheit, um ein Abwägen und Bedenken aller Argumente, sondern um gelebte Praxis und reales Gemeindeleben auf der Basis einer Option mit den Armen, wie sie sich in der Zusammenarbeit mit den Partnern entwickelt und konkretisiert hat. Die literarische Gattung des Artikels erinnert eher an die Apostelgeschichte oder das Evangelium nach Matthäus (Ideal der Matthäus - Gemeinde). Sie entspricht auch dem, wie Menschen in den Partnergemeinden über ihren Glauben sprechen (siehe auch Vamos Caminando) und orientiert sich nicht zuerst an Kriterien einer scheinbaren Wissenschaftlichkeit (Objektivität). Sachliche Berichte gehen nahtlos über in Glaubensbekenntnisse.
Fundamente des Glaubens und Zielvorstellungen von Gemeinde sind der gemeinsame Horizont, unter dem sich die Partnerschaft entwickelt hat bzw. wie sie aussehen könnte. Die Realität in St. Georg bleibt weit hinter diesen Zielvorstellungen zurück, sie ist wie in anderen Gemeinden auch zuweilen bedrückend und wenig ermutigend. Gerade deswegen ist es notwendig, sich immer wieder der „Quelle des gemeinsamen Glaubens“ zu versichern, das Ziel immer wieder neu sich zu vergegenwärtigen und sich vom Beispiel der ersten Christen und der Praxis in den Partnergruppen inspiriert, sich auf den gemeinsamen Weg zu machen. Der Artikel ist als ein leidenschaftlicher Appell zu verstehen, die Armen nicht im Stich zu lassen und nicht die Einheit mit ihnen aufzukündigen.
1. Entstehungsgeschichte
Im ersten Brief vom 18. 2. 1982 an die Gemeinde St. Georg schreibt Lorenzo Vigo , Pfarrer von San Pedro, Cajamarca (u.a.): „Die Pfarrei San Pedro wurde 1793 von Franziskanern gegründet, speziell für die Indiomission im umliegenden Land. Zwar sind seither praktisch alle Indios getauft und damit katholisch, doch vom wahren Christentum haben sie wenig erfahren. Für sie bedeutet Christentum: den weißen Herren gehorchen, hohe Steuern bezahlen, ihre eigene Kultur und Sitten vergessen, Angst haben vor dem weißen Gott. …
Die Pfarrei umfasst heute über 40.000 Katholiken, in der Mehrzahl Indios auf dem Lande. Um diesen Menschen das wirkliche Christentum zu bringen, ein Christentum der Befreiung, der Freude, der Gerechtigkeit für alle Kinder Gottes und der Liebe, brauchen wir noch die Hilfe (materiell und geistig, als Gefühl der Solidarität) der Christen aus den reicheren Ländern. Vor allem benötige ich Mitarbeiter, Katecheten, vielleicht auch Diakone, die es auszubilden gilt. Dazu müssen viele Kurse abgehalten werden, aber auch Kurse über Hygiene, Alphabetisation, Landwirtschaft, Bewässerung usw. Aber nicht nur die materielle Hilfe, auch allein die Tatsache zu wissen, dass Christen in einem fernen Lande uns dabei helfen wollen, unser Schicksal in unsere eigenen Hände zu nehmen und uns auf den Weg der Befreiung zu machen, gibt uns Hoffnung und Mut trotz aller Widernisse anzufangen. Christus selbst wird uns beistehen, denn wo sich Christen gegenseitig helfen, da ist Christus mitten unter ihnen“.
Der Brief des Pfarrers von San Pedro wird zum „Programm“ der beginnenden Gemeindepartnerschaft zwischen St. Georg, Ulm und San Pedro, Cajamarca. Als 1979 die viele Jahre dauernde und sehr teure Renovierung der Pfarrkirche St. Georg beendet war, rief der Pfarrer die Gemeinde dazu auf, nun auch über die Grenzen der Pfarrei hinaus zu schauen und sich den Nöten und Problemen der Weltkirche zu öffnen. „Wir haben nun viel Geld in Steine investiert, nun sollten wir aber in Menschen investieren“. Ein Missionsarbeitskreis wurde gegründet. Mehr oder weniger zufällig kam man an einige Adressen in Indien, Mexiko und Argentinien heran, an die man das Geld schicken konnte. Natürlich war dies auf die Dauer nicht befriedigend.
1980 zog in die Gemeinde St. Georg ein ehemaliger „Entwicklungshelfer“ , der gerade von einem vierjährigem Einsatz in Peru (Diözese Cajamarca) zurückkam. Er wurde vom Pfarrer gezielt angesprochen und zur Mitarbeit in der Gemeinde und speziell im Missionsausschuss eingeladen. Die Berichte, Erfahrungen und noch lebendigen Kontakte des neuen Mitarbeiters nach Cajamarca bewogen den Missionsarbeitskreis, statt der bisherigen Geldüberweisungen an verschiedene Adressaten nun eine gezielte und auf Dauer angelegte Beziehung zu einer konkreten Gemeinde in Cajamarca zu wagen. Durch den bereits bestehenden persönlichen Kontakt zu dem Pfarrer von San Pedro konnten im Vorfeld der beginnenden Partnerschaft bereits einige wichtige Grundsatzfragen geklärt werden. Dazu gehörten das Bewusstsein eines gemeinsamen Verständnisses von Pastoral, gemeinsame Zielsetzungen und erste Absprachen über die Methoden, um diese Ziele zu erreichen. Das Ergebnis war der oben zitierte Brief des Pfarrers von San Pedro an die Gemeinde St. Georg. Lorenzo Vigo war damals der einzige peruanische Pfarrer in der Stadt Cajamarca, der willens und fähig war, eine neue Arbeit auf dem Land mit den Campesinos und den Armen am Stadtrand, die über das rein karitative hinaus geht, zu beginnen oder zumindest nicht zu behindern. Nicht zuletzt deswegen wurde er auch „auserwählt“. Im Mai 1982 beschloss der Kirchengemeinderat (KGR) von St. Georg einstimmig, eine Gemeindepartnerschaft mit San Pedro anzustreben.
Aus einem Bericht des Arbeitskreises: „Eine große Hilfe war der bereits bestehende persönliche Kontakt zu einer peruanischen Gemeinde. Dieser persönliche Kontakt erleichtert vieles, ist aber nicht Voraussetzung. Wir wollten mit einer Gemeinde in Kontakt treten, die bisher sonst noch keine Kontakte zum Ausland hatte, bisher nicht materiell unterstützt wurde und in der keine Europäer arbeiten. Außerdem ist darauf zu achten, dass keine Wohlfahrtsinseln entstehen, damit einheimische Priester nicht voller Neid auf die großen Werke ihrer Mitbrüder sehen und sich selbst als ausgeschlossen oder minderwertig fühlen, weil sie ihren Leuten nicht so viel bieten können wie die Ausländer“.
Von Beginn an war nicht nur an eine enge Zusammenarbeit des Arbeitskreises mit dem KGR geplant, sondern der Kreis (in der Folge: Ausschuss MEF) verstand sich als von der Gemeinde beauftragte und voll verantwortliche Ausschuss in Sachen Partnerschaft sowie in den nun offiziell so aufgezählten Themen „Mission, Entwicklung und Frieden“. Von Anfang an stand der Pfarrer von St. Georg voll hinter der Partnerschaft, was die Entwicklung des Partnerschaftsgedankens und dessen Integration in die Gesamtgemeinde erheblich erleichterte. Er brauchte nicht erst mühevoll überzeugt zu werden. In unseren Gemeinden geht nicht viel, wenn der Pfarrer eine wichtige Initiative nicht unterstützen will oder gar dagegen ist. Erstrecht ist eine Gemeinde - Partnerschaft ohne die auch nur zumindest passive Duldung des deutschen Pfarrers weniger tragfähig (aber nicht ausgeschlossen).
Umgekehrt konnte in San Pedro ebenfalls bereits im Vorfeld geklärt werden, dass eine eventuell entstehende Partnerschaft nicht allein vom Pfarrer abhängen würde und dass befähigte Mitarbeiter gewonnen werden konnten. Durch die erwähnten Kontakte konnte auch sichergestellt werden, dass auf Diözesanebene bewährte Mitarbeiter des Bischofs und der Bischof selbst „zur Not “ mithelfen würden. Zumindest sollte der einheimische Bischof Bescheid wissen und wenn möglich positiv auf die Partnerschaft reagieren. Dies war bei Bischof Dammert der Fall. Gibt es in der potentiellen Partnergemeinde weitere Ansprechpartner, die mit dem Gedanken einer Gemeindepartnerschaft bereits etwas anfangen können, dann ist das Gelingen einer Partnerschaft eher wahrscheinlich.
In St. Georg fügten sich einige wichtige äußere Umstände glücklicherweise zu einem guten Fundament für eine Partnerschaft: bereits bestehende persönliche Kontakte, Ansprechpartner außer dem Pfarrer; gleiche Zielsetzungen; Kennen der pastoralen und sozialen Problematik; Gemeinde und Pfarrer ziehen an einem Strang. Selbstverständlich kann aber auch eine Beziehung, die unter günstigsten Voraussetzungen entstand, in die Brüche gehen und umgekehrt kann eine Beziehung, die nahezu keine Voraussetzungen mitbrachte, sich prächtig entwickeln. Wie auf den Ulmer Cajamarcatreffen im Austausch mit Partnergemeinden deutlich wurde, sind gerade diejenigen Gemeinden, bei denen von Anfang an viele Voraussetzungen für das Gelingen einer Partnerschaft fehlten, heute eher in Gefahr „auszutrocknen“, um so mehr bei sich häufenden Schwierigkeiten und Veränderungen in den Partnergemeinden.
2. Motivation und theologische Grundlage der Partnerschaft
Die Antwort des Ausschusses auf die entsprechende Frage aus dem Fragebogen: „Von Beginn an stand der Gedanke der Verkündigung, Evangelisierung und Mission auf die hiesige Gemeinde hin im Vordergrund. Wir leben nicht nur in der Einen Welt, in der wachsender Reichtum und wachsendes Elend sich gegenseitig bedingen, sondern wir gehören auch zur Einen Kirche Jesu Christi, glauben mit den Campesinos an den gleichen Gott und lesen das gleiche Evangelium. Nach diesem Evangelium erweist sich Gott als ein Anwalt der Armen und Verstoßenen, mehr noch: die in Armut und Unterdrückung Gehaltenen werden selig genannt, weil Gott auf ihrer Seite steht und ‚nun alles anders werden wird‘. Wenn wir uns nun erzählen lassen oder sogar selbst miterleben dürfen, wie verachtete Indios mit Jesus Christus in diese neue Zeit aufbrechen, dann haben auch wir als Reiche (und als reiche Ortskirche) die Chance, den Weg zu Gott und in eine neue Zeit zu finden. Wenn Gott den Armen besonders nahesteht und umgekehrt (nicht, weil sie moralisch besser oder frömmer wären, sondern weil sie unterdrückt werden), ist echte Partnerschaft mit diesen Armen ein Geschenk Gottes an uns, dann können auch wir Gottes Nähe erfahren. Aber so wie sich die Armen ihres Standpunkts bewusst geworden sind (als Opfer von Geschichte, Wirtschaft und Politik), so müssen auch wir wissen, wo wir stehen (als Nutznießer der ungerechten Verteilung). Weil zudem die Armen einen direkteren Zugang zur Botschaft Jesu haben, das Evangelium so viel unmittelbarer erfahren, können wir von ihnen lernen, was das Evangelium auch für uns heute bedeuten kann. Heerscharen von Theologen, Religionslehrern und die geballte Macht kirchlicher Verkündigung von oben, scheinen dies nicht (mehr) leisten zu können“.
Aus einem Positionspapier der Gemeinde St. Georg zu Beginn der Partnerschaft (1982): „Partnerschaft heißt, sich gemeinsam auf den Weg machen, den Weg aus der Sklaverei - durch die Wüste - in das Gelobte Land, das dem Volk Gottes verheißen wurde. Während es für unsere Partner klar ist, was damit gemeint ist, bedeutet dies für uns, danach zu fragen, welche Götter uns versklaven, welche Götzen wir anbeten, was uns daran hindert aufzubrechen, dem Ruf Gottes zu folgen und alles hinter uns zu lassen. Oder meinen wir gar schon am Ziel zu sein (im Gelobten Land, in der Kirche als Heilsinstitution, die ihren Mitgliedern qua Mitgliedschaft, Kult oder Amt das Heil garantiert)? Liegt unser Problem - und das ist unser Elend - nicht darin, dass wir vielleicht gar nicht wissen, wohin und warum wir uns auf den Weg machen sollen? Und kommen wir quasi nicht als ‚Bekehrte‘ zur Welt, (als Kind bereits durch die Taufe erlöst) warum also umkehren? Die unterdrückten und verachteten Indios wissen um den Ursprung und das Ziel ihres Aufbruchs. Sich mit ihnen auf den Weg machen heißt, den Kern der Botschaft Jesu, ja Jesus als Christus und Heiland neu zu entdecken. Es heißt besonders auch lernen zu hören. Könnte es nicht sein, dass Gott heute vorrangig erfahrbar wird im Hinhören auf die, denen die Fülle des Lebens geraubt bzw. vorenthalten wird? Ist vielleicht ihr Schrei nach Brot und Gerechtigkeit das Wort Gottes an uns“?
Natürlich konnte sich nicht die Gemeinde St. Georg als Ganzes mit diesen Gedanken befreunden, sie sind auch als Zielvorstellungen gedacht. Wenn man dagegen solche Ziele als völlig weltfremd und utopisch bezeichnet, muss man sich fragen lassen, an wen und an was man letztlich glaubt. Leichter verständlich - und dies ist auch als erster Schritt leichter zu vermitteln - sind folgende Gründe für eine Partnerschaft, wie sie dann in St. Georg formuliert wurden und wofür in der Gemeinde für die Partnerschaft geworben wurde:
- Man weiß, wohin das Geld kommt und für wen und was es bestimmt ist.
- Man kann sehen, was wirklich mit dem Geld gemacht wird (kontrollierbar).
- Man kann einer überschaubaren Gruppe helfen, und Fortschritte (vorwiegend bei den anderen) feststellen.
- Damit kann man auch mehr Gruppen in der Gemeinde aktivieren und für eine konkrete, zeitlich begrenzte Mitarbeit (Aktion) gewinnen.
- Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und sich effektiv zu verhalten, wird gestärkt.
- Durch Dialog, Austausch und gegenseitiges Kennenlernen wird die Gemeinde missionarischer und lebendiger.
- Vielen wird durch eine Partnerschaft immer mehr bewusst, warum wir so reich und warum unsere Partner so arm sind.
- Vielen Jugendlichen, Außenstehenden, von der Kirche Enttäuschten usw. wird durch eine Gemeinde, die sich als Anwalt der Armen versteht, ein neuer Zugang zur Kirche ermöglicht.
Es kommt auch zu Enttäuschungen. Aus einem ersten Rückblick 1985 (geschrieben auf Anfrage von Domkapitular Zwingmann, Freiburg ): „Was hat sich in den letzten drei Jahren in St. Georg entwickelt bzw. verändert? San Pedro ist fest im Bewusstsein der Gemeinde verankert. Viele Mitglieder der Gemeinde haben sich betreffen lassen und sind sensibler geworden für die Probleme unserer Partner in San Pedro, sensibler aber auch dafür, wie wir hier als Gemeinde leben bzw. leben sollten, wo wir vielleicht auf dem Holzweg sind und was uns fehlt, um eine lebendige, prophetische und missionarische Kirche zu sein. Die Spenden haben stark zugenommen, auf etwa 30.000 DM im Jahr. Spenden sind zwar nicht das Kriterium, sagen aber doch etwas über den Zustand einer Gemeinde aus. Bemerkenswert ist, dass die Spenden für Adveniat und Misereor gleichzeitig nicht abgenommen, sondern zugenommen haben. Trotz vieler Spenden, Informationen, Neugier und Interesse, gibt es noch folgende Hauptschwierigkeiten für unsere Arbeit:
- Immer meinen noch viele, mit einer Spende sei alles getan, d.h. mit Geld lässt sich alles regeln, sogar das eigene Heil.
- Die Verantwortung für die Partnerschaft wird noch vielfach einfach auf den Ausschuss abgeschoben, dadurch ist
man selbst nicht mehr angefragt.
- Wenn man schon Geld gibt, möchte man auch möglichst rasch Erfolge sehen, etwas Sichtbares und zum Photographieren.
Generell kann man sagen, dass unsere Gemeinden noch ein Missionsverständnis haben, das durch das II. Vatikanum und erstrecht durch neuere Entwicklungen völlig überholt ist“.
3. Gestalten der Partnerschaft (Kommunikation, Besuche, wer Partner mit wem)
Beim Sondieren, ob die Voraussetzungen einer Partnerschaft mit San Pedro gegeben waren, wurde in folgender Reihenfolge vorgegangen (in Bezug auf mögliche Ansprechpartner): Erste Gespräche mit dem Ortspfarrer über die grundsätzliche Möglichkeit einer Zusammenarbeit - Suche nach potenziellen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern (Fachkräfte) - erste Kontakte zu Comunidades und zu einigen noch lebenden Landkatecheten, die in der Aufbruchphase in den 60er Jahren Diözesankurse besucht haben, dann aber allein gelassen wurden - Möglichkeit der Einbindung in diözesane Strukturen - erneutes Gespräch mit dem Pfarrer und mit der Zusage, eine Partnerschaft zu versuchen, da die Voraussetzungen gegeben sind - Information der eigenen Gemeinde mit anschließendem Beschluss zur Partnerschaft - Information an den Bischof von Cajamarca - Information der eigenen Diözese (Referat Weltkirche). Von Beginn an war dem dortigen Pfarrer bewusst, dass er als Pfarrer nicht die Gelder verwalten wird, was er auch von sich aus nicht wollte. Ein qualifiziertes Komitee sollte die Spenden verwalten und Rechenschaft abgeben - vor allem den entstehenden Gruppen in San Pedro. Die entstehenden Gruppen sollten von Anfang an die Hauptakteure sein. Alle Gruppen und interessierte Einzelpersonen, selbstverständlich auch Pfarrer und Bischof, sollten über alle eingehenden Gelder Bescheid wissen. Mit der Zeit sollte ein Kirchengemeinderat entstehen - als offizielle Vertretung der Gemeinde auch der Ansprechpartner der Partnerschaft - in dem gewählte Vertreter aller Gruppen vertreten sind. Und so geschah es.
Nach vielen Einladungen entschloss man sich, für 1986 den ersten Besuch einer Gemeindedelegation vorzubereiten. Aus einer Ankündigung für die Gemeinde zu Beginn des Jahres 1986: „Um das Vertrauen zu festigen, möchte eine Delegation der Pfarrei in diesem Sommer, nachdem wir schon mehrfach eingeladen wurden, nach Peru fliegen, um unsere Partnergemeinde zu besuchen. Dieser Besuch, so hoffen wir, kann zu einer großen Vertiefung der Partnerschaft führen. Durch die vielen neuen und dann persönlichen Kontakte wird die Arbeit des Ausschusses auf eine breitere Basis gestellt werden können. Durch die direkte Konfrontation mit dem Leben und Glauben der Campesinos wird die Reise zu einer echten Pastoralfahrt, ja zu einer Wallfahrt. Sinngemäß nach Leonardo Boff: Wenn wir dem lebendigen Christus begegnen wollen, genügt es nicht nach Rom zu pilgern oder die Stätten des Hl. Landes zu besuchen, sondern der lebendige (!) Christus ist eher anzutreffen in einer peruanischen Landgemeinde. Als Vorbereitung für diese Reise werden wir ein halbjähriges Peruseminar durchführen, nicht nur für die Teilnehmer, sondern offen für alle Interessenten. Inhaltlich werden wir uns an den Misereormaterialien ausrichten, die dieses Jahr Peru zum Schwerpunkt haben. Gerade auch in der Fastenzeit soll die Vorbereitung auf die Begegnung mit unserer Partnergemeinde ein inhaltlicher, spiritueller Schwerpunkt sein“. Die Reisegruppe bestand dann aus elf Teilnehmern (KGR-Vorsitzende, Mitglieder des KGR und des Ausschusses, Pfarrer, Vikar, Gemeindereferentin). Eine so große Gruppe wird nur dann nicht zur Belastung für die Partner, wenn der Besuch in der Partnergemeinde inhaltlich und organisatorisch bestens vorbereitet wurde. Im Vorfeld kam es auch zur Diskussion, ob es für die Partner nicht besser wäre, die Reisekosten den Partnern zu spenden, statt selbst zu reisen. Doch ein Besuch Bischof Dammerts 1985 in Ulm beseitigte die Zweifel. Der Bischof bestätigte, dass Fragen wie Gerechtigkeit, Begegnung, Austausch usw. nicht eine Frage des Geldes, sondern des Hörens, des Lernens und des gegenseitigen Respekts auf gleicher Ebene sind. Dies wurde dann auch von den Partnern im Nachhinein so bestätigt.
Eine lange diskutierte Frage war, welche Geschenke man den Partnern (Campesinos, Frauengruppen, Pfarrei als Institution) mitbringen sollte. Man entschied sich für die Osterkerze, einen Kelch, den der Gemeindepfarrer zu seiner Primiz erhalten hatte, einige Fotoalben mit Fotos von Pfarraktivitäten, Bilder für die einzelnen Kapellen und Versammlungsräume usw. Der „Reiseleiter “ konnte vor Ort die Gruppe überzeugen, beim Besuch der einzelnen Campesinogemeinschaften nichts mitzunehmen, weder Geschenke noch eigene Verpflegung (trotz stundenlangen Weges in die Berge). Die Campesinos erfuhren so zum ersten Mal, dass sie den reichen Europäern etwas schenken konnten, dass diese sogar auf sie angewiesen waren, weil sie buchstäblich mit leeren Händen kamen und sich von den Campesinos beschenken ließen. Die Campesinos, die sehr symbolisch denken, werteten dies als einen Vertrauensbeweis. Aus Fremden wurden Freunde - nicht weil diese Geld schickten, sondern weil sie sich „ausgeliefert“ und das „tägliche Brot“ geteilt haben - und sei es auch nur für einen Tag. Als Grundregel gilt bis heute in St. Georg, dass generell keine individuellen Geschenke gemacht werden. Ebenso werden alle materiellen Absprachen und Verpflichtungen sowohl hier als auch dort stets gemeinsam und damit öffentlich getroffen. So kam es nur vereinzelt (von Einzelnen) zu Betteleien oder unrealistischen Forderungen an die Besucher. Die Besucher wurden immer auch als Stellvertreter der Gemeinde St. Georg angesehen und nicht als einzelne Wohltäter.
4. Projekte
Aus dem ersten (nicht angeforderten) Rechenschaftsbericht über die Arbeit in der Pfarrei San Pedro, auch von Pfarrer Lorenzo Vigo unterschrieben, an die Gemeinde St. Georg 1983: „Dank der Hilfe von St. Georg konnten wir im September 1982 zum ersten Mal einen Arbeitsplan für das nächste Jahr aufstellen, da nun erstmals auch die Mittel vorhanden sind, um schon lange gewünschte Vorhaben und Wünsche in die Tat umsetzen zu können. Von Oktober 1982 bis Juni 1983 wurde folgendes getan:
- Systematisches Kennenlernen der entfernt gelegenen Zonen, Erfassen und Analyse der Realität auf dem Lande
und auf dem Land.
- Dafür wurden zwei Fachkräfte angestellt, die später von noch auszubildenden Katecheten abgelöst werden sollen.
- Aufstellen eines Arbeitsplanes (kurzfristig und langfristig, siehe Beilage).
- Nach ersten Kontaktaufnahmen mit den Comunidades wurden die ersten zentralen Kurse in Cajamarca (Stadt)
geplant.
- Dafür war es notwendig, Material für diese Kurse anzuschaffen. Vor allem musste eine komplette Küche und
ein Schlafraum
mit Strohmatratzen eingerichtet werden. Die Campesinos kommen oft von sehr weit und bleiben bis zu einer Woche.
- Durchführung der Kurse: Kurse für zukünftige Katecheten, Kurse über Hygiene, Landwirtschaft, Ernährung etc.
Während der Kurse müssen die Campesinos verpflegt werden.
Es wurde auch bereits mit einigen landwirtschaftlichen Selbsthilfegruppen begonnen, so z. B.: Wiederaufforstung in einigen erosionsgeschädigten Gebieten (bisher über 1.400 Pinien angepflanzt); Anlegen von Terrassen zum Schutz des Bodens und zur Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion (in Anlehnung an die Tradition); Herstellung von Naturkompost und erstes Planen von zukünftigen Bewässerungskanälen... . Die finanzielle Hilfe ist nicht zuerst dazu bestimmt, unsere Armut ertragen zu können, sondern sie dient vielmehr dazu, unsere Armut zu überwinden. Dies wollen wir erreichen durch die Rückbesinnung auf die biblische Botschaft als ‚Gute Nachricht‘ gerade für die Armen, durch ein Anregen von christlichen Basisgemeinschaften und durch Schaffen der äußeren Rahmenbedingungen (Personal, Kurse, Räumlichkeiten etc.)“.
Aus zwei Gründen dieser längere Auszug: Er zeigt erstens beispielhaft die Prioritäten auf (allerdings fehlen noch die Frauengruppen). Er weist zweitens aber (indirekt) darauf hin, dass erst mit Entstehen der Partnerschaft eine kontinuierliche Arbeit auf dem Land und dann auch mit Frauengruppen begann. Im Jahre 1983 war Pfarrer Lorenzo Vigo bereits 25 Jahre als Pfarrer von San Pedro tätig und Bischof Dammert war seit 21 Jahren Bischof von Cajamarca.
5. Auswirkungen der Partnerschaft auf die eigene Gemeinde:
(Aufgezeigt in zwei Beispielen: Gemeindeerneuerung - Umgang mit Konflikten, Besuch)
a) Gemeindeerneuerung: Von Beginn der Partnerschaft an ging es dem Missionsausschuss darum, Impulse für eine sich stets erneuernde Gemeinde zu geben. Es ging nicht um Nachahmung peruanischer Erfahrungen, sondern um eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf die Praxis Jesu, der Apostel und der ersten Christen, so wie sie uns in der Bibel von der Kirche überliefert sind. Die Erfahrungen in der Partnergemeinde können dabei helfen, ausgehend von unserer Situation unsere eigenen Erfahrungen mit der befreienden Botschaft zu machen. Denn so wie in den Campesino-Gemeinden die eigene Realität analysiert, im Lichte der Bibel gedeutet und dann die entsprechende Praxis entwickelt wurde, so sind auch wir - Gemeinde und Einzelne - aufgefordert zu überlegen, wie die befreiende Botschaft Jesu in unserem Leben, Umwelt und Gesellschaft wirksam werden kann (nach Analyse und deren Deutung).
1986, nach dem ersten Gemeindebesuch bei der Partnergemeinde, war der Wunsch in einigen Gruppen der Gemeinde sehr stark, konkrete Schritte für einen neuen Aufbruch in unserer Gemeinde zu überlegen. Eine Gemeindeerneuerung wurde geplant. Zu dieser Zeit gab es auch auf Diözesanebene (Seelsorgereferat) die ersten Versuche, Gemeinden für die Idee einer Gemeindeerneuerung zu gewinnen, sie zu beraten und mit ihnen ein Modell zu erstellen. Hauptziel der diözesanen Bewegung war, Laien zu bestärken, die Bibel mehr in den Mittelpunkt zu stellen und die Gemeinde zu motivieren, den Weg von einer passiven „konsumierenden Servicegemeinde“ hin zu einer aktiven mündigen Gemeinde entschiedener zu gehen. Diese Ziele stimmten auch mit dem Anliegen von St. Georg überein. Also entschloss man sich, das Angebot der Diözese anzunehmen und das sogenannte „Rottenburger Modell der Gemeindeerneuerung“ auszuprobieren.
Doch in der Vorbereitungsphase stellte sich bald heraus, dass die Erfahrungen der Gemeinde keine Rolle spielen sollten und dass es um die Erprobung eines an Schreibtischen erdachten Modells ging. Es entstand auch der Eindruck, dass das diözesane Modell dazu dienen sollte, für die ehrenamtliche Mitarbeit von Gemeindemitgliedern deshalb zu werben, weil sonst das „Modell Kirche“, wie es in der Vergangenheit funktionierte, nicht mehr weiter existieren kann - also nicht aus inhaltlichen, sondern aus strukturellen und das System konservierenden Gründen. Die von außen gekommenen Mitarbeiter (ein Team aus Experten und Laien, die speziell geschult waren, das sogenannte Außenteam) überzogen die mit der Vorbereitung der Gemeindeerneuerung Beauftragten, (das sogenannte Innenteam, darunter auch drei „Perubesucher“) mit ihren fertigen Konzepten. Sogar die einzelnen Bibelstellen waren vorgegeben, ebenso die Methode der Bibelarbeit (Bibelteilen aus Afrika, das mit dem Umgang mit der Bibel, wie in Cajamarca üblich, nichts zu tun hatte). Das Innenteam war in der Folge zu schwach bzw. ließ sich von der pfingstlichen Begeisterung des Außenteams anstecken und überfahren. In dieser Situation verfasste der Ausschuss MEF folgendes Papier, das in seiner ganzen Länge deswegen zitiert wird, weil es beispielhaft Schwierigkeiten und Schwachpunkte der gängigen pastoralen (Schreibtisch-) Modelle in Deutschland aufzeigt. Aus den einzelnen Punkten lassen sich indirekt die Schwerpunkte und die Zielrichtung einer „Gemeindeerneuerung von oben“ erschließen. Es geht um Zielvorstellungen. Die Gemeinde rang und ringt um diese Punkte - so wie dies auch in vielen anderen Gemeinden geschieht.
„Anmerkung des MEF zum Thema Gemeindeerneuerung 1988 in St. Georg Ulm:
In der Gemeinde St. Georg (KGR, Pastoralteam, Ausschüsse etc.) wurde in den letzten Jahren das Bedürfnis nach einer lebendigen Gemeinde, Vertiefung des Glaubens und der Besinnung auf das Wesentliche immer stärker. Es ging und geht darum, wie in einer zunehmend ungläubigen Umgebung, Vereinzelung und Hoffnungslosigkeit neue Formen und Strukturen des gemeinsam gelebten Glaubens gefunden werden können. Neue Art des Zusammenlebens, ‚Kontrastgesellschaft‘ und Gemeinschaftsbildung über die Kirchenmauern hinaus sind dafür einige Stichpunkte. Voraussetzung dafür sind eine Abkehr von kirchlicher Service - und Konsumhaltung, persönliches Glaubenszeugnis, prophetische Zeichen, kurz: entschiedenes Christentum. Dies ist um so wichtiger in einer Welt, in der wegen des herrschenden Götzendienstes das Elend weltweit immer größer wird. Das Ziel ist eine Gemeinde (Gemeinschaft) als Heimat für alle Suchenden, als Ort der Hoffnung, als Licht auf dem Berg, als Sauerteig innerhalb der Gesellschaft.
Um dieses angestrebte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren (ein Ziel, das die Gruppen in unserer Gemeinde so geäußert haben, wenn auch immer in dem Bewusstsein, daß dieses Ziel immer größer sein wird als dessen mögliche Realisierung), ist folgendes zu beachten:
1. Gemeindeerneuerung muss von der Gemeinde selbst ausgehen. Gemeindespezifische Anliegen müssen im Vordergrund stehen und dürfen nicht verdrängt werden. Die Erfahrungen anderer Gemeinden sind hilfreich, auswärtige Berater können bzw. sollten zu Rate gezogen werden.
2. Die Gemeindeerneuerung selbst sollte auf dem bisherigen Stand der gemeindeinternen Diskussion aufbauen und die Gesamtgemeinde an diesem Prozess der Glaubensvertiefung teilhaben lassen. Keinesfalls darf weit hinter den bisherigen Stand zurückgefallen werden (auch nicht hinter den Stand der Diözesansynode).
3. Alle Teilnehmer müssen ernst genommen werden (ernst nehmen heißt, dass man ihnen etwas zu - mutet). Teilnehmer und Gemeinde müssen Subjekt sein und nicht Objekte pastoraler Feldversuche. Deshalb ist auch ein allzu kindliches Niveau und eine vernebelnde (oft zu esoterische) Sprache zu vermeiden.
4. Die Umwelt (Gesellschaft, Wirtschaft etc.), in der die Menschen leben, darf nicht ausgeklammert werden. Es genügt nicht über Symptome zu reden (z. B. Sprachlosigkeit, Einsamkeit), sondern deren Ursachen sind aufzudecken. Es geht um eine Deutung der Welt im Lichte des Glaubens. Vor allem: Welche Werte sind gelten…
5. Reine Selbstbespiegelung oder „Heilung der kranken Seele“ ist kein Spezifikum der christlichen Botschaft. Subjektwerdung heißt nicht zuerst religiöse Selbstbefriedigung, sondern Übernahme von Verantwortung, Zeugnis ablegen in dieser Welt und Nachfolge Jesu.
6. Eine unverbindliche und beliebige Bibelauslegung, erstrecht eine sachlich falsche Bibelauslegung, führt zu einem pflegeleichten, total verbürgerlichten und angepassten Christentum ohne wirkliche Konsequenzen (bzw. auch umgekehrt).
7. Die Bibel lehrt uns, die Welt und unser Leben mit neuen Augen zu sehen („neue Brille“). Jesus lehrt uns zu sehen mit den Augen der Ohnmächtigen, der Armen, der Außenseiter. Ohne die prophetischen Dimensionen des Alten und Neuen Testamentes (Anklage und Verkündigung), bleiben wir blind oder kreisen nur um uns selbst.
8. Als Wichtigstes: Die christologische Komponente darf nicht fehlen: eine Religion ohne Jesus den Christus (und ohne die, mit denen er sich identifiziert), ohne seine Praxis, sein Leben, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung, ist eben nicht christlich.
9. Die ekklesiologische Komponente darf nicht fehlen. Ein Ausklammern der Weltkirche (und damit ein Ausgrenzen der Armen) ist sektiererisch. Kirche ist Volk Gottes auf dem Weg in die Befreiung, auf dem Weg vom Tod zum Leben, ist Gemeinde auf der Suche nach neuen Lebensformen angesichts der Realitäten dieser Welt (Hunger durch Ungerechtigkeit, Zerstörung der Schöpfung usw.). Eine solidarische Gemeinde klagt die Ursachen des Elends an und ergreift Partei für die Opfer.
10. Eine Religion ohne Forderungen, d.h. ohne Umkehr und Verkündigung der Frohen Botschaft von der nun anbrechenden Herrschaft Gottes, ist nicht die Botschaft, die Jesus verkündet. Die Gemeinde hat die Aufgabe, lebendiges Zeichen dieser beginnenden Herrschaft Gottes in der Welt zu sein.
Zusatz: Man pflückt wie selbstverständlich die herrlichsten Früchte des Glaubens (z.B. die Eucharistie) und spricht, wenn es um die Botschaft Jesu geht, von Überforderung, von einem ersten Schritt, den man erst lernen muss. Dabei wird aber der ‚5… 6...Schritt‘ (der Höhepunkt des Weges) selbstverständlich, automatisch und institutionell, bereits in Anspruch genommen. Konsequent wäre demnach, wirklich einmal den ersten Schritt zu wagen, den Weg einzuschlagen - und in einigen Jahren um die Zulassung zur Taufe und dann zur Eucharistie zu bitten! Die ständige Angst ‚Schäfchen‘ zu erschrecken und/oder zu verlieren, tötet den Geist. Der Geist ist mit denen, die wirklich aufbrechen... . Natürlich kann in einigen Wochen (und Jahren) der Gemeindeerneuerung dies nicht alles ‚erreicht‘ werden, aber es muss thematisiert und darf zumindest nicht aus den Augen verloren werden“.
b) Umgang mit Konflikten und Besuche: Im Mai 1992 konnte St. Georg das zehnjährige Partnerschaftsjubiläum feiern. In einer Partnerschaftswoche kam es zu vielen Veranstaltungen, Presse und Rundfunk berichteten. Bischof Walter Kasper wurde eingeladen (zu Podiumsdiskussion, Ausstellung und Gottesdienst). In seiner Predigt sagte er: „Trotz des Elends, des Terrors und des Hungers in Peru, ist der Glaube der Menschen dort von einer tiefen Hoffnung und Lebensfreude geprägt. Gott hat eine Option für die Armen. Was die Menschlichkeit und die Christlichkeit der Armen angeht, sind nicht die, sondern sind wir das Entwicklungsland.“ Für seine Parteinahme für die Armen in dieser Welt klatschte die Gottesdienstgemeinde Bischof Kasper am Ende der Predigt Beifall, was sonst die seltene Ausnahme in hiesigen Gottesdiensten ist.
Im Sommer besuchte wieder eine kleine Delegation die Partnergemeinde. Sie fand noch die Situation vor, dass der Kirchengemeinderat, ein Team von Mitarbeitern mit dem Pfarrer und viele engagierte Mütter und Katecheten die Gemeinde wie gewohnt mit Leben erfüllten. Doch zum Jahreswechsel 92/93 kamen verschiedene Briefe an, die einen tiefen Wandel anzeigten. Neu ernannte Verantwortliche schrieben, dass sie nun vom Pfarrer berufen seien und für die weiteren Projekte und auch für die Verwaltung der Gelder verantwortlich seien. Die bisherigen Vertrauenspersonen (sowohl unsererseits als auch der Mütterclubs und Campesinos) schrieben uns, dass sie entlassen worden seien. In einem Rundschreiben (Januar 1993) an alle Partnergemeinden seiner Diözese schrieb gleichzeitig der neue Bischof, dass ab sofort alle Partnerschaftsgelder auf sein Konto überwiesen werden sollten, das er eigens dafür bei Adveniat eingerichtet hatte. In den nächsten Wochen wurde versucht, durch viele Telefonate mit Cajamarca, über Briefe und weitere Suche nach Informationen, sich ein besseres Bild zu verschaffen. Es kamen Briefe von verantwortlichen Katecheten an, in denen sie sich beklagten, dass sie keine Gelder mehr für die schon lange geplanten Vorhaben und Kurse bekämen. So entschloss man sich schweren Herzens, vorläufig überhaupt kein Geld mehr zu überweisen.
In einem intensiven Briefwechsel, besonders mit Pfarrer Lorenzo Vigo, versuchte man die Gründe für die Veränderungen zu verstehen und auch gleichzeitig um Verständnis zu bitten, dass bis zur Klärung einiger Fragen kein Geld mehr geschickt werden könnte, da man schließlich den Spendern und den potentiellen Empfängern (Campesinos etc.) verpflichtet sei.
Der Besuch im Sommer 1993 (erster Besuch nach dem Bischofswechsel und den daraus folgenden Konsequenzen) von Verantwortlichen der Pfarrei St. Georg in der Partnergemeinde wurde sehr gründlich vorbereitet. Es sollten alle Probleme zur Sprache kommen, Gespräche mit allen Beteiligten geführt und eine gemeinsame Basis für die weitere Zusammenarbeit gesucht werden. In einem Vorbereitungsbrief an die neue Leitung in San Pedro (20. April 1993): „Der Hauptgrund dieses Briefes ist, Ihnen unseren Wunsch nach Fortsetzung der Partnerschaft mitteilen zu wollen. Wir sollten gemeinsam in die Zukunft schauen und die vergangenen Missverständnisse hinter uns lassen. Diese Partnerschaft war bisher mehr - und wird es auch in Zukunft sein - als die Beziehung zwischen zwei oder drei Personen. Und wegen zwei oder drei Personen wollen wir nicht die Freundschaft und Verbundenheit mit Tausenden von Mitchristen aufs Spiel setzen. Diese Partnerschaft darf nicht abhängig sein von den Launen und der Eitelkeit einiger weniger Personen, wer immer diese auch sein mögen. Die Partnerschaft ist etwa viel Tieferes: sie ist das Symbol einer wahrhaft katholischen, universellen Kirche, das Symbol der Freundschaft unter den Geschwistern Jesu, eine Kommunion, in der alle das gleiche Brot essen. Außerdem: Seit Jahrhunderten sind es immer die Campesinos gewesen, die am meisten leiden mussten. Wie oft wurden sie schon betrogen und getäuscht mit falschen Versprechungen!
Und jetzt, wo sie endlich Vertrauen und Mut geschöpft haben, sollen wir sie wieder im Stich lassen? Gerade in ihrem Namen müssen wir weitermachen und dabei hoffen wir auf Ihre Mitarbeit. Denn wir vertrauen darauf, dass auch Sie weiterhin an der Vision einer gerechteren Welt festhalten. Wir vertrauen darauf, dass Sie die Arbeit in einer pastoralen und sozialen Linie fortsetzen, so wie uns die Dokumente der Kirche seit dem 2. Vatikanischen Konzil, seit Medellín, Puebla und zuletzt Santo Domingo (wo unser ehemaliger Bischof wie ein Prophet gesprochen hat) den Weg gezeigt haben“.
Der sechs Wochen dauernde Besuch im Sommer brachte aber trotz intensiver Bemühungen keine Wende bei den neuen Verantwortlichen. Auch in vier langen Gesprächen mit dem neuen Bischof , teils in Anwesenheit von Pfarrer Lorenzo Vigo, dem Generalvikar und anderen Pfarrern, wurde kein Fortschritt erzielt. Stattdessen mussten die Besucher mit eigenen Augen erleben oder erfuhren auch von den Müttern und Katecheten, wie diese behandelt wurden. Drei kleine Beispiele unter vielen: Bei einem Besuch auf dem Land mit dem vom Pfarrer neu ernannten Präsidenten des Kirchengemeinderates (dem ersten und einzigen Besuch, den dieser auf dem Land machte), Pfarrer Lorenzo Vigo und einem weiteren Verantwortlichen, sagte der Präsident, ein pensionierter Richter, auf dem Pferde sitzend und mit dem Zeigefinger drohend, zu den zu ihm aufsehenden Vertretern der Campesinogemeinschaften: „Wenn ihr nicht ab sofort jeden Sonntag die Hl. Messe besucht, dann bekommt ihr keine Hilfe mehr“. (Um in die Stadt zur Messe zu gehen, mussten die Campesinos vier bis sechs Stunden einfache Wegstrecke zu Fuß gehen). Lorenzo Vigo, ehedem ein Freund der Campesinos, sagte u.a.: „Die Campesinos kommen nur zu den Kursen, um sich satt zu essen, danach kehren sie zurück und tun nichts mehr. Warum sollen wir deren Faulheit finanzieren?“ Und den Frauen der Mütterklubs wurde gar der Zutritt zur Pfarrkirche mit der Begründung verwehrt, sie seien unwürdig, als sie wie immer jeden Donnerstag zur Anbetung des Allerheiligsten zur Kirche gekommen waren. Weil sie den Kontakt zur Partnergemeinde in Ulm nicht aufgeben wollen und „unautorisiert“ Briefe schreiben, werden sie Abtrünnige und Verräter genannt. Sie werden buchstäblich „exkommuniziert“, von den Amtsträgern ausgeschlossen. Im wahren Sinne des Wortes „Kommunion“ werden sie aber immer mehr zu einer lebendigen christlichen Gemeinschaft, in der alle das Brot - das, was der Mensch zum Leben braucht - untereinander teilen. Es sind die Amtsträger, die sich aus dieser urchristlichen Gemeinschaft verabschiedet haben. Sie verleugnen ihren Herrn und sondern sich von denen ab, mit denen Jesus das Festmahl feierte und setzen sich stattdessen an den Tisch der Mächtigen und essen deren Brot.
Während des Besuches einigte man sich mit den Verantwortlichen der Comunidades und der Mütterklubs auf folgendes Vorgehen: Der Dialog mit der Pfarrleitung und dem Bischof muss gesucht und alle Möglichkeiten einer Begegnung und Verständigung ausgeschöpft werden. Die Einheit und Glaubwürdigkeit einer christlichen Gemeinschaft muss auch nach außen hin deutlich werden. Erst wenn alle Versuche zu keiner Annäherung führen, dürfen alternative Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Kompromissvorschlag der Ulmer an die Pfarrleitung von San Pedro: „Wir stehen zur Partnerschaft mit der gesamten Gemeinde San Pedro. Die verschiedenen Gruppen der Gemeinde San Pedro bringen ihre Projektvorschläge ein und diese werden dann von der Pfarrleitung nach Ulm übermittelt. Die Gelder gehen auf das Konto der Pfarrei San Pedro und werden von dort an die Gruppen weitergegeben. Die Gemeinde St. Georg verpflichtet sich, den Kontakt sowohl zu Pfarrer und Bischof als auch zu den Gruppen aufrecht zu erhalten“. Als Vertrauensbeweis wurden mit dem Einverständnis aller Gruppen von San Pedro 6.000 Dollar der Pfarrleitung übergeben. Bis auf weiteres und in Erwartung der weiteren Entwicklung in San Pedro wurde dann kein Geld mehr geschickt, weder der Pfarrleitung noch den Gruppen direkt (ausgenommen die regelmäßigen Beträge für den Unterhalt zweier Kindergärten, inklusive Gehalt für die Lehrerinnen; diese Gelder gingen stets direkt an die Kindergärten). Der direkte Kontakt zu den Gruppen wäre am einfachsten gewesen, doch die Gruppen verzichteten vorerst auf diesen Weg, um den Bruch nicht endgültig werden zu lassen.
Nach Deutschland zurückgekehrt, wurden die Probleme in der Gemeinde zuerst im Ausschuss intensiv besprochen und diskutiert. Grundlage waren die Berichte der Betroffenen und das Ergebnis des Besuches. Ein kürzerer Auszug aus diesem Bericht, der sich zuerst intern an den Ausschuss wendet und auf diplomatische Schnörkel verzichtet. Die Aussagen sind protokolliert:
„In vielen und langen Gesprächen, festgehalten auf 280 Tagebuchseiten, mit dem Apostolischen Administrator, Pfarrern, Schwestern und noch mehr mit engagierten Repräsentanten/innen des Volkes Gottes, ergab sich, bezogen auf die gesamte Diözese, folgendes, wenn auch unfertiges Bild: Partnerschaft, wie sie von uns so gerne erträumt wird, wird vom Großteil des Klerus, inklusive Bischof, nicht gewollt. Einige sagten wörtlich: ‚zum Teufel damit‘! Das hat durchaus seine Gründe. Vorgeschoben wird das Argument der Abhängigkeit, der Fremdbestimmung, des Diktats von außen, zumal im Hinblick auf die Kolonialgeschichte. Als weiteres Argument dient die Behauptung, das einfache Volk verstehe davon eh nichts, die wollten nur Geld. Doch eigentlich geht es um etwas ganz anderes und das genaue Gegenteil ist wahr: Partnerschaft, wie wir sie verstehen und in Übereinstimmung mit unseren eigentlichen Partnern, den Ärmsten, führt zu mehr Selbstbewusstsein der Laien, zu einer ‚Bewegung von unten‘, zu einer Kirche, in der Klerus und Laien selbst Partner sind oder werden. Gerade dies aber wird von den allermeisten Pfarrern und dem Bischof nicht gewollt bzw. gezielt verhindert. Gerade von denen wird von ausländischer Bevormundung geredet, denen Demokratisierung und Selbstbestimmung der Gemeinden ein Gräuel ist und die nicht willens (und fähig) sind, selbst Partner sein zu können. Analog dazu lässt sich nachweisen, dass gerade diejenigen, die immer vom Zerfall des Glaubens reden (auch in Deutschland), nicht in der Lage sind, den Glauben und die Fähigkeiten des eigenen Volkes ernst zu nehmen. Und ausgerechnet diejenigen, die den Armen unterstellen, nur Geld zu wollen, sie sind es, die den ‚Armen die Verantwortung für das Geld‘ abnehmen, um es selbst zu kassieren. Und mit europäischer Bevormundung meinen sie auch, dass sie sich nicht dreinreden lassen wollen bei der Verwaltung der Gelder - weder von der eigenen Gemeinde und erstrecht nicht von außen - denn sie sind die Pfarrer und sie allein bestimmen, was mit dem Geld geschieht“.
Ebenso erfuhr man in St. Georg bald, dass die 6.000 Dollar nicht wie versprochen an die Gruppen weitergegeben wurden. Katecheten und die verantwortlichen Frauen der Mütterclubs schrieben, dass sie ihre Anliegen, Bedürfnisse und Wünsche für die weitere Arbeit der Pfarrleitung per Post schicken mussten, weil sie persönlich nicht empfangen wurden. Ebenso versuchten Delegierte der Gruppen dreimal um ein Gespräch mit ihrem Bischof nach, dreimal ohne jede Reaktion, beim dritten Mal wurden sie gar aus dem Vorraum des Bischofshauses verjagt. Briefe von St. Georg an den Bischof und die Pfarrleitung blieben unbeantwortet, die Briefe mit den weiteren Plänen und Vorhaben der Gruppen wurden nicht weitergegeben. Gleichzeitig wurde der direkte Kontakt von St. Georg aus zu den Gruppen immer intensiver. Sie machten auch ohne Geld im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter und sie schrieben, dass dieser enge Kontakt die Freundschaft immer mehr vertiefen werde.
In der Fastenzeit 1994 wurde die Gemeinde St. Georg in den Gottesdiensten über die Situation in der Partnergemeinde informiert (der KGR schon unmittelbar nach dem Besuch im Sommer 1993). Aus einer Information an die Gemeinde am Misereorsonntag: „Wir haben im Ausschuss und im KGR nach intensiven Beratungen beschlossen, in diesem Jahr ein Projekt in Cajamarca zu unterstützen, das dort vom DAS (Sozialwerk der Diözese) auf dem Land geplant und über Misereor betreut wird. Wir kennen die Leute vom DAS persönlich - sie arbeiten ganz im Sinne von Bischof Dammert weiter und werden nicht zuletzt deshalb von Misereor unterstützt. Wir haben beschlossen, 50.000 DM zweckgebunden für dieses Projekt in Cajamarca an Misereor zu überweisen. Die Partnerschaft mit San Pedro ist damit nicht beendet, wir hoffen im Gegenteil, dass sich wieder in absehbarer Zeit engagierte Mitarbeiter finden. Wir haben weiterhin sehr guten Kontakt mit unseren eigentlichen Partnern, den Campesinos und den Müttern“.
Wie insgeheim von beiden Seiten erhofft, waren im Laufe der Zeit die Verbindungen zwischen St. Georg und den Gruppen in San Pedro nicht nur enger geworden, sondern durch die Einstellung der Geldüberweisungen verloren die vom Pfarrer ernannten neuen Mitarbeiter der Pfarrei bald das Interesse an einer weiteren Mitarbeit in der Pfarrei, der „Pastoralrat“ wurde aufgelöst. Die Gruppen aber blieben bestehen, weil sie durch andere als finanzielle Interessen zusammengehalten wurden. Auch in St. Georg kam es zu einer Klärung. Pfarrteam, KGR und Ausschüsse kamen nach fruchtbaren Diskussionen zu dem Ergebnis, dass die Partnerschaft sich bewährt hat, dass die Gruppen, die verantwortlichen Laien, die Katecheten und mit ihnen alle, die weiterhin sich aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus versammeln, Gottesdienste feiern, die Bibel lesen und gemeinsam versuchen, als Kinder Gottes in Würde zu leben, dass alle zusammen die Gemeinde San Pedro sind - wer immer auch mit ihnen oder gegen und ohne sie gerade Pfarrer oder Bischof ist. Die Gemeindepartnerschaft ist also nicht in Frage gestellt.
In meiner Predigt zum Peruwochenende am 12. 11. 95 konnte der Gemeinde in St. Georg verkündet werden: „Unsere Partnerschaft mit San Pedro erlebt zur Zeit einen zweiten Frühling!“ Nach einem kurzen Rückblick auf die zurückliegenden Jahre geht es in der Predigt wie folgt weiter: „Ein neuer Bischof zog ein, der fast genau das Gegenteil von dem tat, was seinem Vorgänger, Bischof Dammert, wichtig war. Er setzte z.B. alle verantwortlichen Laien ab und die Priester sollen sich auf die Verwaltung der Sakramente beschränken, was einige dann auch für viel Geld tun. Und wie uns die Campesinos schreiben, ist ihm das Schicksal der Armen egal. ‚Er ist ein Bischof der Reichen‘. Langsam kamen wir zu der Überzeugung, dass unsere Partnerschaft nicht von einem einzigen Pfarrer oder vom Bischof abhängen darf. Sondern wir fragten uns: Wer sind denn eigentlich unsere Partner? Es sind die, die am meisten Hilfe und Beistand brauchen, die unzähligen Mütter und Campesinos, die nicht wissen, was sie am nächsten Tag ihren Kindern zu essen geben sollen. Sie waren unsere Partner und sie werden es bleiben! Wir schrieben nun diesen unseren Freunden, dass sie uns direkt mitteilen sollten, welche Bedürfnisse sie haben, was sie brauchen und was sie vorhaben und dass wir nun auch ohne den offiziellen Weg über die Pfarrei direkt mit ihnen die Partnerschaft vertiefen wollen. Auf diese Nachricht hin versammelten sich in San Pedro spontan die Menschen und dankten Gott. ...
Es ist für unsere Partner ungeheuer wichtig die Erfahrung gemacht zu haben, dass sie auch ohne finanzielle Hilfe fast zwei Jahre lang als Gemeinschaften ‚überlebt‘ haben, dass sie sich dadurch noch besser organisieren lernten und dass sie auch erfahren haben, dass sie von der Gemeinde St. Georg, als Kirche, die wir sind, nicht im Stich gelassen wurden - wo sie doch so schlechte Erfahrungen mit ihrer eigenen Kirchenleitung gemacht haben. Die Gewissheit, dass eine deutsche Gemeinde bewusst als Gemeinde, als Kirche, zu ihnen steht, stärkt sie in ihrer Gewissheit, als christliche Gemeinschaft auf dem rechten Weg zu sein“.
In dem darauffolgenden Gemeindebrief, der kostenlos an alle katholischen Haushalte verteilt wird, heißt es dann noch einmal zusammenfassend: „Nach langen Diskussionen kamen wir zur Einsicht, dass die Campesinogemeinschaften, Mütterklubs und alle Bedürftige in San Pedro nicht nur unsere eigentlichen Partner waren und sein werden, sondern dass sie letztlich die Gemeinde San Pedro sind. So entschlossen wir uns nun, diese unsere Partner und Basisorganisationen direkt zu unterstützen. Seither blüht das pastorale und soziale Leben in San Pedro wieder auf, viele neuen Ideen und Projekte entstehen“. In dem Gemeindebrief wird zum Schluss aus einem Brief der Campesinos an St. Georg zitiert: „Wir sind sehr bekümmert über den neuen Bischof, für ihn zählen die Campesinos nicht. Weder wir noch die Mütterclubs waren bei seiner Amtsübernahme vertreten, denn wir durften nicht die Kathedrale betreten. Er ist ein Bischof der Reichen, nicht der Armen. Aber wir haben begriffen: die Kirche, das sind nicht nur die Priester, sondern auch wir, die Campesinos. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um Christus als Jünger zu folgen“.
6. Aktueller Stand der Partnerschaft (bis Ende 1998)
In der Folge kommt es zu jährlichen Besuchen der Ulmer in San Pedro. Zur Lage der Partnerschaft schreiben sie 1998 in einem Bericht an die Gemeinde: „Allein der Partnerschaft ist es zu verdanken, dass in San Pedro in etwa einem Drittel der Gesamtgemeinde ein reges Leben herrscht. Ein harter Kern von 200 - 300 Menschen fühlt sich berufen, sich für etwa 10.000 Menschen pastoral und sozial zu engagieren. Dieses Engagement geschieht unter großen Opfern und Zeitaufwand. Alle Gruppen sind demokratisch gut organisiert und stehen untereinander in einem ständigen Austausch. Sie fühlen sich als lebendige Gemeinde und sind es auch. Es herrscht eine sehr tiefe Spiritualität (Kultur des Teilens, Gemeinschaftssinn, Leben aus dem Glauben an die Gegenwart Gottes etc.). Auch die Partnerschaft mit uns wird zunehmend spirituell verstanden, d.h. als einheitsstiftend und kirchenbildend. Unsere Präsenz als Kirche hilft ihnen, sich ebenfalls als Kirche zu verstehen, was ihnen Kraft und Selbstbewusstsein gibt.
Und auch umgekehrt gilt: Wo Menschen sich am Rande der Gesellschaft treffen, ihr Brot teilen, da ist Gott in besonderer Weise präsent. Wenn diese Menschen uns dann an ihren Tisch bitten (falls wir uns darauf einlassen), dann machen sie uns ein unbezahlbares Geschenk: die Gegenwart Gottes erfahren zu dürfen. So sagte Don Cunshe, der Präsident aller acht zusammengeschlossen Comunidades in der Comunidad Catache, ein Tagesmarsch zu Fuß von Cajamarca gelegen, anlässlich einer feierlichen Einweihung von Werkstätten auf dem Lande: ‚Wir freuen uns besonders, nicht nur immer zu empfangen, sondern euch auch etwas schenken zu dürfen, nämlich die Erfahrung der Nähe Gottes. Es gibt uns viel Selbstvertrauen, euch helfen zu dürfen, Hoffnung zu geben und so euren Glauben zu vertiefen‘. Man darf nicht vergessen, dass die gesamte Arbeit ohne Hauptberufliche und ohne ausländische Mitarbeiter geleistet wird. Da auch die offizielle Kirche (Pfarrer, Bischof) nicht nur nicht mithilft, sondern diese Arbeit sehr ungern sieht, ist das bisher Erreichte um so bemerkenswerter. Wir können stolz sein, mit einer solchen Gemeinde wie San Pedro in einer lebendigen Beziehung zu stehen. Mögen auch die Frauen und Männer in San Pedro von ihren ‚Guten Hirten‘ im Stich gelassen werden, durch ihre Beziehung zu unserer Gemeinde erfahren sie, dass sie letztlich doch nicht von der Kirche verstoßen sind. Umgekehrt dürfen wir erfahren, welche Kraft und Hoffnung von Menschen ausgehen kann, die im Vertrauen auf Gott ihren Weg gehen...“.
Im November 1997 sorgte die Veröffentlichung der „Laieninstruktion“ für Unruhe in der Gemeinde St. Georg. U.a. fragten sich konkret zwei Frauengruppen, ob es nicht besser wäre, die Arbeit aufzugeben, da sie ja doch als Frauen wohl offensichtlich mit ihrer relativ selbständigen Arbeit nicht gerne in der Kirche gesehen sind (bezieht sich nicht auf die Gemeinde, sondern auf Rom). Unmittelbar darauf wurde in allen Gottesdiensten in meiner Predigt erstmals der Bezug zu den Geschehnissen in der Partnergemeinde (Ausgrenzung der Laien etc.) und der hiesigen Situation diesbezüglich hergestellt. „Die Rolle der Katecheten ist ein zentraler Konfliktpunkt in der Auseinandersetzung - denn Katecheten sind Laien, die Verantwortung übernommen haben... . Den Katecheten in der Diözese Cajamarca wurden alle Befugnisse entzogen und zwar mit einer ganz einfachen Begründung: Sie seien nämlich gar nicht kirchlich verheiratet, lebten demnach im Zustand einer schweren Sünde - und solche Leute sollten Katecheten sein? Der Hintergrund: Bischof Dammert hat mit Zustimmung Papst Paul VI. die traditionell geschlossene Ehe der Campesinos anerkannt: Wenn sich zwei junge Leute sicher sind, ihr Leben gemeinsam leben und gemeinsame Kinder haben zu wollen, bitten sie die Gemeinschaft um die Ehe. Es kommt zu einer großen Feier, die Eheleute versprechen sich vor der gesamten Gemeinschaft die Treue, gegenseitige Verantwortung usw. und der Katechet heißt dies im Namen Gottes gut und gibt seinen Segen. Auch kirchenrechtlich gesehen leben sie nun in einer sakramentalen Ehe – so Papst Paul VI. Doch der neue Bischof, und nicht nur er, sondern fast alle neu ernannten Bischöfe und auch der Nuntius, erkennen diese Ehe nicht mehr als kirchlich geschlossene Ehe an. Natürlich ist dies nur ein Vorwand, denn auf einen Schlag will man damit alles Bisherige aufheben und alle ‚alten‘ Katecheten sind auf einen Schlag ausgeschaltet.
Die Folgen sind verheerend. Die gesamte Landbevölkerung und alle Menschen in den Armenvierteln der Städte sind de facto ausgeschlossen. Allein der Priester zählt und wer etwas von ihm will, der soll ihn in der Stadt aufsuchen und bezahlen. Der Priester ist der alleinige Vermittler des Heils, alles dient nur als Vorbereitung für das ewige Leben. Die Kirche (der Klerus) allein hat diesen Schlüssel zum Himmel, schließlich ist sie ja im Besitz aller göttlichen Gnadengaben und der Laie muss dankbar sein, wenn er etwas davon gespendet bekommt. Der Priester hat die exklusive Aufgabe, die Sakramente zu spenden und er ist seinem Bischof zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Er ist seinem Wesen nach anders als der Laie. Nur noch die Sakramente zählen. Vor allem die monatliche Beichte ist Pflicht und wer dies nicht tut, dem wird die Hölle angedroht. Und das ist nun mit das Schlimmste: gerade den Campesinos mit der Hölle zu drohen, wenn sie nicht jeden Sonntag in die Stadt zur Kirche gehen, da hört der Spaß auf. Die Campesinos sagen uns: ‚Wir werden nicht unterstützt, von keinem Pfarrer und keinem Bischof, denn es gibt keinen. - Es gibt keine Pastoralarbeit mehr, es gibt keinerlei Hilfe unseres Bischofs. - Wir haben Priester, die nur für sich selbst sorgen und für uns nicht. Unsere einzige Hoffnung heutzutage sind unsere Brüder und Schwestern aus Ulm, hoffentlich vergessen sie uns auch nicht!‘ Ein Zitat der Mütter von San Pedro: ‚Die Kirche erfüllt so nicht ihre Aufgabe und die Konsequenz wird sein, dass die Kirche verlassen sein wird. Und sie werden Christus vergessen haben, unseren Erlöser, der sich um die Armen kümmerte.‘ Das ist nun aber kein Einzelfall. Es werden in Peru und in fast ganz Lateinamerika bevorzugt solche Leute zu Bischöfen ernannt, die versprechen, diese römische Linie auch so durchzusetzen.
In Deutschland ist natürlich noch alles anders...(?), eigentlich dürfte ich ja auch nicht hier stehen. Hier stehe ich aber! Und in der Gemeinde St. Georg wird es auch weiterhin so sein, dass Laien nicht nur als Schafe alles abnicken, sondern selbst Mitverantwortung auch in der Verkündigung übernehmen. Niemand hat das Recht, uns die Taufe abzusprechen und uns daran zu hindern, unseren christlichen Auftrag wahrzunehmen. Wie ich selbst von peruanischen Bischöfen hörte, gilt die gesamte deutsche Kirche, einschließlich der meisten Bischöfe, als ‚protestantisch verseucht‘, d.h. man beschäftigt sich viel zu sehr selbständig mit der Bibel statt mit der römischen Lehre, die Laien machen, was sie wollen, überall wollen sie mitreden - gerade auch in Fragen, von denen sie keine Ahnung haben - und selbst die Frauen werden aufmüpfig“….
Nach dieser Predigt, die allgemeine Zustimmung erfuhr und von Applaus (!) unterbrochen wurde, waren auch die beiden Frauengruppen, die aufgeben wollten, überzeugt, dass es sich „lohne“, weiterzumachen. „Wenn die Frauen in Cajamarca so viel Mut beweisen, dürfen wir nicht kneifen“. Die Gemeinde St. Georg, repräsentiert vom Pastoralteam und dem KGR, ist zusammen mit den anderen Gemeinden in Ulm und der überwältigenden Mehrheit der Gemeinden in der Diözese Rottenburg der Auffassung, dass der eingeschlagene Weg einer zunehmenden verantwortlichen Mitarbeit von Laien in allen Diensten der Kirche unumkehrbar ist, nicht nur aus praktischen, sondern vor allem auch aus theologischen Gründen. Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Walter Kasper, sieht das anders. In Diskussionen mit Gemeindemitgliedern und den Verantwortlichen der Gemeinde wurde die Sorge geäußert, ob er nicht - aus der Sicht der betroffenen Laien und des Pfarrers - dem Volke Gottes Steine in den Weg legt, weil er sich Ämtern und Institutionen mehr verpflichtet fühlt, als den Nöten und Sorgen der Menschen. Seine „Begeisterung für den lebendigen Glauben der Armen“ bei Besuchen in Afrika und anderswo entlarvt sich so bestenfalls als farbiges, folkloristisches Element und sein Wort „Gott hat eine Option für die Armen“ (s.o.) erweist sich als hohl oder zeigt an, dass er nichts verstanden hat (was ihm persönlich nicht vorzuwerfen ist, ist er doch selbst Opfer eines Systems, das institutionell nicht zulässt oder es zumindest erschwert, die Stimme der Armen wirklich als Wort und Option Gottes und damit als oberste Autorität zu verstehen).
So wird allmählich den Menschen in der Gemeinde St. Georg die Situation in der Diözese Cajamarca ( Konflikt Bischof - Laien) immer verständlicher. Sie werden sich bewusst, dass es sich in beiden Fällen um die gleiche Kirche handelt, sei es auf der Ebene der Bischöfe, sei es auf der Ebene des Volkes Gottes. In diesem Zusammenhang erhält auch die Einladung seitens des Bischofs von Cajamarca an die Diözesanleitung von Rottenburg, an seiner Einsetzung („toma de poder“ - Machtübernahme, unter Aussperrung des Volkes) in Cajamarca teilzunehmen, eine besondere Bedeutung. Bischofsvikar Mühlbacher nahm als Vertreter des unseres Bischofs als Ehrengast daran teil - ohne weiteren Kontakt mit Partnergemeinden seiner Diözese (u.a. St. Georg) zu suchen.
Den Menschen in San Pedro ist die Begleitung durch einen Priester ein großes Bedürfnis. So antworten sowohl die Campesinos als auch die Mütterklubs in einer Befragung, welchen Wunsch sie an die („Amts“-) Kirche haben: „Dass sie jemanden in unsere Gemeinschaften schickt, damit sie uns lehren, echte Katholiken zu sein. Denn Jesus war immer mit den Bedürftigsten, den Ärmsten. ... Wir würden bitten, dass sie sich der Armen erinnern, der Alten, der verlassenen Kinder, der Kranken und derer, die das Wort Gottes in die Praxis umsetzen. …, dass sie hinausgehen zu uns, dass sie uns ganz klar vom Evangelium sprechen, dass sie uns anhören, dass sie uns betreuen“. Nachdem der eigene Pfarrer dies nicht mehr kann oder will, sind es die beiden Pfarrer der Nachbargemeinde „Nuestra Señora de Guadalupe“, die sich um sie kümmern. Diese beiden Pfarrer werden wegen ihres beispielhaften Einsatzes und ihrer gelebten Armut und Demut nicht nur von den Gruppen in San Pedro, sondern in der ganzen Stadt und Umgebung sehr geschätzt. In einer Danksagung der Mütter von San Pedro:„Wir danken den Padrecitos Panchito und Segundo, dass sie uns an der Messe teilnehmen lassen und auch dafür, dass sie uns in der Pfarrei Guadalupe aufnehmen. Gott segne sie“! So kommt es als Höhepunkt der monatlichen Fortbildungs- und Katechetenkurse (jeweils Freitag bis Sonntag) regelmäßig zu einem gemeinschaftlichen Gottesdienst in Guadalupe, der von Campesinos und Müttern gemeinsam vorbereitet wird. Dieser Gottesdienst wird von den Beteiligten als das verbindende Element angesehen. Die beiden Pfarrer besuchen inzwischen auch - soweit es ihre Arbeit in der eigenen Gemeinde zulässt - die Landzonen der Pfarrei San Pedro, was für die Campesinos eine große Ermutigung bedeutet. Die beiden Pfarrer werden – logisch - von ihrem Bischof in keiner Weise unterstützt.
Auch der Verantwortliche für Landpastoral auf Diözesanebene, Rolando Estela, besucht entgegen den Weisungen seines Bischofs verstärkt die Landzonen der Gemeinde San Pedro und anderer Pfarreien (besonders Bambamarca).
1998 war zum ersten Mal der Pfarrer von St. Georg zu Besuch in San Pedro (siehe seine Beobachtungen vor und nach dem Besuch). Neben den vielen Eindrücken von lebendigen Gemeinschaften, bekam er auch einen Einblick in die materielle Not der Menschen. Von den durch das Klimaphänomen „El Niño“ verursachten Schäden sind besonders die Ärmsten betroffen. Caritas Deutschland reagierte prompt. Caritas konnte aber nur dort helfen, wo konkrete Meldungen aus den Diözesen vorlagen. Aus der Diözese Cajamarca lagen keine Schadensmeldungen vor, obwohl einige abgelegene Zonen der Diözese besonders betroffen waren, darunter auch Landzonen von San Pedro. Nach der Rückkehr aus der Partnergemeinde wird in St. Georg sofort eine zusätzliche Aktion zugunsten der Betroffenen gestartet. Da dies laut Berichten aus Cajamarca nicht ausreicht, zumal auch die Nachbargemeinden (u.a. Gemeinden mit Partnerschaften nach Deutschland) mit keiner Hilfe rechnen können, wendet sich die Gemeinde St. Georg diesmal auch an Caritas. Der Pfarrer von St. Georg schreibt an Prälat Putschmann, den Leiter von Caritas, am 24. November 1998: „Unsere Kirchengemeinde St. Georg hat seit sechzehn Jahren eine Partnerschaft mit einer Kirchengemeinde (San Pedro) in Cajamarca/Peru, speziell mit der zu dieser Gemeinde gehörenden Campesino - Bevölkerung und zu den Frauen bzw. Familien (Mütterklubs) in den Armenvierteln am Rande der Stadt. Wir sind froh, über verlässliche Personen am Ort ständige Verbindung zu haben - auch zwischen den Besuchen, die regelmäßig stattfinden. Ich selber war als Pfarrer mit zwei Kirchengemeinderäten im Mai dieses Jahres dort und konnte mich von der durch die Regenkatastrophe verursachten Not gerade der Campesino - Familien überzeugen - und auch von den uns Gott sei Dank gegebenen Hilfsmöglichkeiten. Der Bereich Cajamarca hat von staatlichen wie kirchlichen Stellen keine Hilfe erhalten; deshalb sehen wir uns besonders in die Pflicht genommen. Zusätzlich zu unseren regelmäßigen Verpflichtungen haben wir in der Kirchengemeinde eine Kollekten - Aktion „Nothilfe gegen den drohenden Hunger“ durchgeführt und fragen bei Ihnen - im Blick auf die Dringlichkeit und Härte der Not an - ob der Caritasverband aus seinen Spendenmitteln den gleichen Betrag dazu legen kann“. Caritas hat sehr schnell, unbürokratisch und positiv reagiert.
Die Partnerschaft mit San Pedro ermöglicht also nicht nur eine schnelle Reaktion auf konkrete Bedürfnisse und Notwendigkeiten in San Pedro selbst, sondern sie ist aufgrund ihrer speziellen Kontakte auch für die Nachbargemeinden in Cajamarca zu einer Quelle der Hoffnung geworden, konkret: auch Comunidades und Basisgruppen, die nicht zu San Pedro gehören, suchen vermehrt Kontakt und Anschluss an die Gruppen von San Pedro. Nur dank der über die Pfarrei St. Georg hinausgehenden Unterstützungen kann auch Menschen geholfen werden (auch spirituell), die sonst nicht mehr wissen, an wen sie sich wenden könnten. Diese zusätzliche Hilfe, die auch die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde St. Georg übersteigen würde, wurde durch die unbürokratische Unterstützung durch die „Aktion Hoffnung“ (AKO) der Diözese Rottenburg sowie des Missionswerkes der Kinder in Aachen (Sternsinger) ermöglicht.
Aus diesem Bericht über die Not in Cajamarca lassen sich einige Schlussfolgerungen ableiten:
a) Wenn die Diözesanleitung die Not vor Ort und damit auch die davon betroffenen Menschen nicht wahrnehmen kann oder will, haben in der Regel die Hilfswerke keine Möglichkeit, auch wirklich zu helfen. Die (Ver-) Mittlerrolle zwischen Hilfswerken und Betroffenen fällt aus (umso mehr, wenn diese eher der Hierarchie als den Betroffenen vertrauen)
b) Ein Bischofswechsel hat so nicht nur pastorale Folgen (oder ist gar nur Anlass, um theologische Debatten zu führen), sondern hat auch einschneidende soziale und materielle Konsequenzen zu Ungunsten der Ärmsten.
c) Auch in Partnerschaften, in denen die „offizielle“ Pfarrei in dieser Hinsicht ausfällt, haben deutsche Partnergemeinden nur dann eine Chance wirklich über die Situation vor Ort unterrichtet zu werden und entsprechend reagieren zu können, wenn es direkte Kontakte zu den Betroffenen gibt. Dies scheint aber in der Mehrheit der Partnergemeinden nicht der Fall zu sein.
d) Die Gruppen von San Pedro sind sich des „Privilegs einer Partnerschaft“ bewusst und versuchen über die Pfarrgrenzen hinaus den Blick auf die Not in den Nachbargemeinden zu werfen und andere Gemeinden in ihrer Nachbarschaft zu sensibilisieren und für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. St. Georg ist als Gemeinde über die Schäden der Regenkatastrophe in Cajamarca und Umgebung von den unmittelbar Betroffenen direkt und umfassend informiert.
Ausblick
In einem Brief vom 3. Oktober 1998 der (ehrenamtlichen) Koordinatorin aller Gruppen von San Pedro an St. Georg: „Ich möchte euch bitten, in der Partnerschaft, die ihr angefangen habt, nicht müde zu werden. Ihr wisst selbst, das christliche Leben ist keine Buchführung über Vermögen, schon gar nicht über Geld. Viel entscheidender ist es, sich gemeinsam vorzubereiten auf das Kommen des Reiches Gottes, wo alle das zum Leben Unentbehrliche in Fülle haben. Ich lade euch ein, zu einer Besinnung über diese Ansprüche aus dem Glauben. Unser Leben ist ja von diesen Ansprüchen berührt und mitunter möchten wir den Pflug loslassen. Ich lade euch ein, uns zu besuchen, um hier den Geist Gottes zu spüren, der uns belebt, uns ermutigt und uns zum Weitergehen einlädt. Wir können uns ja nicht Christen nennen, ohne uns um die schuldlos Ausgegrenzten zu kümmern“. Inzwischen bereiten sich sechs ältere Jugendliche unter der Leitung des Vikars von St. Georg für einen Besuch in der Partnergemeinde im Sommer 1999 (12. 8 - 10. 9. 1999) vor.
Der Ausschuss „MEF“ von St. Georg, Ulm, von Willi Knecht
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7. Anhang
a) Anfragen von Pfarrer Thomas Keller (vor und nach seinem Besuch 1998)
b) Ein Streiflicht vom vorläufig letzten Besuch (bis 10.12.99), von W. Knecht
a) Pfarrer Keller (St. Georg)
Persönliche Überlegungen vor seinem Besuch in der Partnergemeinde über Pfingsten 1998, auf einem Seminar zur Vorbereitung seines Besuches. Er wundert sich, dass nirgends (Freiburg, Adveniat, etc.) über Schwierigkeiten geredet wird. Das Thema „Kirchenbild“, das in der Praxis so verschieden und ein Hauptkonfliktstoff ist, kommt als Thema dort nicht vor!
Seine Deutung von Partnerschaft und Anfragen:
- Gott will uns durch andere etwas sagen, gerade durch die Armen, die „Fremden“.
- Kirche ist man nur mit diesen anderen.
- Wenn einer leidet.....
- Lernen mit den Augen anderer sehen
- Du kannst dich auf mich verlassen...
- Stimmt unsere Partnerschaft in diesem Sinne?
- Gleichwertigkeit so schnell nicht erreichbar (brauchen wir die anderen?)
- Echte Partnerschaft nur, wenn man miteinander lebt?
- Teilen wir unsere Probleme den Partnern mit (auch theologische, kirchliche Probleme und Fragen, Praxis bei uns, pastorale Wirklichkeit)?
- Wo mischen wir uns denn bei uns ein, d.h. wo arbeiten bei uns Gemeinden in diesem Sinne zusammen, z.B. auch in der Ökumene (außer Alibiveranstaltungen)?
- Wie weit ist in Peru selbst ein Bewusstsein der Problematik (innerhalb der Kirche) da, oder lesen wir unsere Probleme nur hinein?
- Beruft man sich in Peru z.B. heute noch auf Medellín? Erneuerungspotenzial in Peru muß doch da sein! Und welche Rolle kann es spielen?
- Wissen wir über die religiösen Bedürfnisse unserer Partner (Campesinos etc.) wirklich Bescheid?
Pfarrer Keller, der über Pfingsten 1998 mit zwei Mitgliedern des KGR St. Georg die Partnergemeinde erstmals besucht hat, zieht nach seinem Besuch folgendes Resümee:
- „Insgesamt hat sich der Informationsstand, den ich durch die Peru - kundigen Mitglieder des MEF hatte,
bestätigt. Nun hat er für mich persönlich Farbe und Profil gewonnen.
- Besonders eindrücklich war für mich das Erleben, wie sehr für die Mütter bzw. die Campesinos der Glaube,
der Gottesdienst, das Lesen der Schrift wirklich Nahrung ist, wie selbstverständlich für sie Glaube, Alltagsleben
und Alltagsnot ineinander übergehen.
- Besonders bewegend war für mich der aus innerer Motivation gespeiste Einsatz von Ehrenamtlichen wie Señora
Olivia, den Alphabetisadoras und den Verantwortlichen in den Mütter- oder Campesino-Gemeinschaften.
- Nicht so krass vorgestellt habe ich mir die Trennung (fast ‚Apartheid‘) zwischen Stadtgemeinde und Pastoral der
Armen, die nur wenige Brücken hat.
- Traurig stimmt die vom Bischof und seiner „Obödienz“ gefahrene Linie, die vieles in der Dammert – Zeit
Gewachsene abwürgen will bzw. entmutigt oder z. B. auch das Werk eines Alois Eichenlaub übergeht,
wenn nicht anfeindet.
Mein bisheriger Vorbehalt gegen unseren Weg, an den offiziellen Kirchen- und Gemeindestrukturen vorbei direkte Kontakte zu suchen (um nicht ‚europäische kolonisierende Einmischung‘ zu betreiben) ist geschwunden - aus Einsicht in die blanken Notwendigkeiten und die Erwartungen unserer direkten Partner“.
b) Bericht direkt aus der Partnergemeinde, Cajamarca (von Willi Knecht, Ausschuss MEF)
veröffentlicht danach im Gemeindebrief St Georg.
Seit drei Wochen bin ich nun in Cajamarca. Es verbleiben mir noch weitere zehn Tage, um unsere Partner in San Pedro in ihrem täglichen Leben begleiten zu können. Zuerst durfte ich ihnen die Botschaft überbringen bzw. „übersetzen“, dass drei bewährte Stützen der Partnerschaft aus San Pedro von der Pfarrei St. Georg zu einem Besuch nach Deutschland eingeladen wurden. Es handelt sich um Olivia Velarde, seit über zehn Jahren die Koordinatorin der Partnerschaftsgruppen in San Pedro. Sie ist der Gemeinde St. Georg aus einem ersten Besuch im Jahre 1989 bereits bekannt. Olivia wird von ihren beiden treuesten Helferinnen begleitet werden, den Lehrerinnen Liliana und Rosana Guevara. Die beiden Schwestern leiten seit etwa acht Jahren die Alphabetisierung in den Mütterklubs. In diesen Kursen lernen die Frauen nicht nur lesen, rechnen und schreiben, sondern sie lernen, dass sie als Frauen mindestens genauso viele Fähigkeiten haben wie die Männer. Sie entdecken so ihre Würde als Frau und Mensch. Liliana und Rosana arbeiten darüber hinaus in der Vorbereitung und Organisation der wöchentlichen und monatlichen Treffen mit und sie arbeiten seit neuestem auch mit den Katecheten und Campesinos der Landzonen zusammen. Für ihre Arbeit bekommen sie lediglich ein dürftiges Taschengeld (50 Dollar monatlich). Als die zwei jungen Frauen von der Einladung hörten, waren sie erst einmal stumm, vor Freude unfähig, etwas zu sagen. Dann wollten sie unendlich viel wissen und sie bereiten sich bereits auf den Besuch vor. Der Besuch der Jugendlichen aus St. Georg mit Vikar Johannes Schick war der entscheidende Auslöser für die ausgesprochene Einladung. Sowohl die Besucher als auch die Besuchten sind noch voller Begeisterung über den überaus geglückten Besuch der Ulmer. Was lag näher, als diese Begeisterung zu nutzen und durch einen Gegenbesuch unserer Partnerschaft auch hier in Ulm neue Impulse zu verleihen? Möge die Gemeinde St. Georg dieses Geschenk zu würdigen wissen!
Von den vielen Tätigkeiten der Partnergruppen möchte ich nur ein Beispiel herausgreifen, das zugleich symbolisch den Wert der Partnerschaft deutlich macht. Am Samstag, den 13. 11. 99 fand ein „Marsch für den Frieden“ statt. An diesem Sternmarsch nahmen alle neun Stadtpfarreien teil. Doch obwohl zu allen diesen Pfarreien auch ausgedehnte Armenviertel und Landzonen gehören, waren die Armen und Campesinos nicht vertreten - außer den Gruppen von San Pedro! Mit anderen Worten: gäbe es nicht die Partnerschaft und die damit verbundene Arbeit von Olivia, Liliana, Rosana usw., dann wäre die große Mehrheit des Volkes Gottes von Cajamarca, die Armen und die Campesinos, nicht offiziell in der Kirche präsent bzw. ausgeschlossen gewesen! Und in der Tat: für manche kirchliche Würdenträger sind diese Menschen einfach nicht mehr existent. In der anschließenden Eucharistiefeier in der Franziskanerkirche wirkten die zahlreich erschienenen Campesinas u.a. aus dem Mütterklub Alto Hualanga im wahrsten Sinne des Wortes wie ein erfrischender „Farbfleck“. Nach dem Gottesdienst setzten sich diese Frauen aus Alto Hualanga (weil sie den weitesten Weg hatten, waren sie bereits seit der Morgendämmerung unterwegs und hatten als einzige ihr Mittagessen mitgebracht) vor der Kirche auf den Boden, breiteten ihre mitgebrachten Sachen aus (Mais, gerösteter Weizen, Kartoffel, Bohnen) und teilten untereinander das Essen.
Als ich mich zu ihnen auf den Boden setzte und wir gemeinsam aßen und „feierten“, hatte ich das Gefühl, an einer authentischeren Eucharistiefeier teilzunehmen als kurz vorher in der Kirche, wo sich die Campesinas inmitten „gut angezogener“ Menschen nicht trauten, zur Kommunion zu gehen!
Dieses Beispiel machte mich einerseits traurig, andererseits froh: traurig, weil die Armen (80 % der Bevölkerung) immer mehr an den Rand gedrängt werden; froh, weil das Beispiel der Frauengruppen von San Pedro zeigt, dass die Kirche Jesu lebt und weil wir durch unsere Treue zu diesen Menschen einen Beitrag zu einer wahrhaftigen Kirche auf der Seite der Armen leisten dürfen.
Willi Knecht, Cajamarca, den 20. 11. 99
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Vor der Vorstellung der Idee einer Partnerschaft noch ein Hinweis auf das Fundament, auf dem wir uns bewegen:
Wir sind nur dann wirklich Kirche, Volk Gottes, wenn in dieser Gemeinschaft nicht die einen auf Kosten der anderen leben - nicht die einen verhungern und die anderen immer dicker werden.
Diese Gemeinschaft ist nur dann möglich, wenn wir in den Ärmsten und Notleidenden dieser Welt unsere Brüder und Schwestern erkennen - und sie auch hören, sehen und wahrnehmen in ihrem Elend.
Jesus offenbart sich heute als Christus in den Elenden und Leidenden. Wir können nur dann wirklich glauben und Christus begegnen, wenn wir auf die zugehen, mit denen er sich identifiziert.
Mt 25: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder tut, das tut ihr mir...“ Wir sollen also helfen und wir tun es ja auch schon.
Aber wie hilft man am besten und nachhaltig? Wie kann man wirklich helfen, vor allem auch langfristig? Wie kann man sicher sein, dass die Hilfe auch wirklich ankommt und falls sie ankommt: ist diese Hilfe auch sinnvoll und wirksam, d.h. kommt es zu einer wirklichen Veränderung zu Gunsten der Armen? In unserem Arbeitskreis haben wir uns diesen Fragen gestellt. Es entstand die Idee, ob wir nicht mit einer Pfarrei aus der Dritten Welt, die besonders bedürftig ist, in direkten Kontakt treten könnten - und zwar in Form einer anzustrebenden Partnerschaft zwischen St. Georg und einer Pfarrei in der 3. Welt. Es gibt bereits mehrere Pfarreien in unserer Diözese, die mit einer Partnergemeinde in direkter Verbindung stehen und die dabei gemachten Erfahrungen sind fast durchweg positiv. Auch der Diözesanrat und der Bischof unterstützen und befürworten intensiv diese Bestrebungen. Ich glaube, folgende Punkte sprechen für eine Partnerschaft:
1. Wie der Name „Partnerschaft“ schon ausdrückt, besteht ein direkter und persönlicher Kontakt zwischen zwei Pfarreien. Voraussetzung ist natürlich, dass die persönlichen Anknüpfungspunkte bereits vorhanden sind, was aber bei uns der Fall ist. Man weiß, mit wem man es zu tun hat. In diesem Fall wäre es eine Indiopfarrei in Peru.
2. Man weiß auch, was mit dem Geld passiert, das man wegschickt. Und schon bei der Geldsammlung wissen alle Spender, für was und für wen sie spenden.
3. Der persönliche Kontakt ermöglicht einen Gedankenaustausch zwischen beiden Pfarreien. Man lernt viel besser die gegenseitigen Probleme kennen, aber auch die jeweiligen Hoffnungen und Sehnsüchte. Dies fördert sowohl das Bewusstsein, zur gleichen Gemeinschaft (Kirche) zu gehören als auch die gegenseitige Verantwortung.
4. Wir werden mit der Zeit merken, dass wir nicht nur geben, sondern auch empfangen werden. Denn was in den Kirchen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas an neuen Erfahrungen heranwächst, kann auch für unsere Gemeinden sehr inspirierend und hilfreich sein. Mission ist dann keine Einbahnstraße mehr.
5. Wenn wir uns mit einer konkreten Gemeinde zusammen auf den Weg machen, so führt das auch hier bei uns zu „Grenzen überschreitenden“ Erfahrungen, zu einer Art Befreiung aus der Enge - sowohl individuell als auch als Gemeinde.
6. Eine Gemeinde, die sich für die Ärmsten direkt verantwortlich fühlt, und zwar nicht für eine anonyme Masse, sondern für eine greifbare, ganz konkrete Gruppe, und die das Teilen und Mitteilen (auch das Mit-Leiden) lernt, wird eine sehr lebendige Gemeinde sein. Es wird ihr dann leichter fallen, auch die Probleme hier bei uns voller Mut und Hoffnung gemeinsam anzupacken.
7. Der Arme bekommt durch die Partnerschaft ein Gesicht. Dies ermöglicht ein „von Angesicht zu Angesicht“ (cara a cara) und ist spirituell eine Hilfe, dem ganz Anderen (Gott) von Angesicht zu Angesicht begegnen zu können.
Das hier Vorgestellte ist bisher nur eine Idee. Dies heute soll ein Anstoß sein. Konkrete Schritte auf eine Partnerschaft hin wurden noch nicht unternommen. Die ganze Gemeinde, zumindest aber der KGR als Vertretung der Gemeinde, muss sich damit noch auseinandersetzen und dieser Idee eventuell zustimmen (was wir uns als Arbeitskreis natürlich wünschen)
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Erste Predigt (Anfang 1982) in St. Georg zum Thema Peru und Andeutung und Vorbereitung einer Partnerschaft.
Liebe Gemeinde!
Zuerst in Stichworten etwas zu meiner Arbeit in Peru. Ich habe knapp 4 Jahre in einer Pfarrei im Andenhochland von Peru gearbeitet. Zur Pfarrei gehören etwa 100.000 Katholiken, verstreut über ein Gebiet so groß wie die Schwäbische Alb; in der Mehrzahl rein indianische Bevölkerung; 90% Analphabeten; im Durchschnitt besitzt eine Familie etwa 1 ha steiniges Land. Das reicht kaum zum Leben. Die Hälfte aller Kinder stirbt vor dem 6. Lebensjahr. Mit staatlicher Hilfe kann nicht gerechnet werden. Die Mittel der Pfarrei sind auch begrenzt, auch personell; so waren während der 4 Jahre meiner Mitarbeit nur für 2 Jahre 1 Priester in der Gemeinde. Ansonsten war ich der einzige „Hauptamtliche“. (Alle Daten: Stand 1975)
Was kann aber eine Pfarrei angesichts einer solchen Situation tun? Ein 1. Schritt war es, mit den Menschen über ihre Situation zu sprechen, zu fragen: warum leben wir so? Ist das Gott gewollt, Schicksal oder durch Menschen verschuldet? Ich muss hier einfügen: Als ich 1976 dorthin kam, waren die nun aufgezählten Schritte schon getan, dank eines prophetischen Bischofs auf der Seite der Armen und guter Mitarbeiter und mehrerer Priester. Anhand der Bibel kamen die Campesinos zu der Erkenntnis, dass auch sie vollwertige Menschen sind, dass auch sie ein Recht auf Leben haben, auf ein menschenwürdiges Leben! Ja, sie kamen zu der Erkenntnis, dass gerade sie es sind, mit denen Gott sein Werk der Befreiung und die Schöpfung vollenden möchte. So entdeckten sie, wie aktuell und befreiend heute die Botschaft Jesu ist. Sie entdeckten, dass Jesus auf ihrer Seite steht, dass er genau so arm war wie sie selbst, genauso verspottet und verachtet wurde, geschlagen und zuletzt zu Tode gefoltert.
In den letzten drei Jahren meines Aufenthalts wurden 2 Land-Katecheten von den Militärs erschossen, mehrere teils schwer verletzt, einige - vor allem die Mitglieder des KGR - ins Gefängnis geworfen und gefoltert. Ihre „Schuld“: Sie wollten im Geiste Jesu wie Menschen behandelt werden. Aber weil zum Tod Jesu die Auferstehung gehört, wissen, sie, dass er letztlich doch gesiegt hat, dass die Zukunft mit mehr Gerechtigkeit auch für sie schon begonnen hat und dass das Land der Verheißung denen gehört, die im Moment nichts haben, denen alles verweigert wird.
Ich selbst habe für mich entdeckt, dass man vielleicht nur dann die Botschaft Jesu in all seiner Fülle und ganzen Tiefe nur dann erfahren kann, wenn man wie die Indios ausgestoßen ist - man ihr Leben teilt - und gerade deswegen seine ganze Hoffnung auf Gott setzt. Vielleicht ist gerade das unser größtes Glaubensproblem hier in Deutschland. Wir haben und besitzen viel, wir planen, funktionieren, verwalten und organisieren und sind auch noch stolz darauf, dass wir das so gut können. Und dabei sind wir doch so arm - arm an Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen auf Gott.
Zurück zu Peru: Aufgrund ihrer Glaubenserfahrung haben die Indios begonnen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Gemeinsam werden Kanäle zur Bewässerung geplant, ebenso Schulen, eine Genossenschaft wurde gegründet und vieles mehr. Es gibt inzwischen fast 200 ausgebildete und verheiratete Katecheten, die in ihren über das Land verstreuten Gemeinden praktisch die Gemeinde leiten, Wortgottesdienste feiern, die Gemeinde um sich versammeln, so Kirche bilden, usw. Etwa 100 Katecheten haben zusätzlich die bischöfliche Erlaubnis zu taufen, Ehen zu schließen und die Eucharistie zu verwalten. Im letzten Jahr meiner Mitarbeit wurden die ersten Diakone geweiht (informell, aber beauftragt vom Bischof für die genannten Aufgaben). Meine Arbeit war damit zu Ende, eine Arbeit, die vor 20 Jahren begann (1962) und wo ich das Glück hatte, in den letzten Jahren als letzter dort tätiger Ausländer dabei sein zu dürfen. Heute steht die Pfarrei, inzwischen mit 2 einheimischen Pfarrern, auf eigenen Füßen.
Schön und gut - aber was hat das alles mit uns zu tun? Sehr viel, meine ich. Die Kirche, die ja die ganze Welt umspannt, kann sich nur dann mit gutem Recht die Kirche Jesu Christi nennen, wenn sie eine Gemeinschaft ist, in der alle füreinander da sind und sich füreinander verantwortlich fühlen; in der nicht die einen auf Kosten der anderen leben und in der nicht die einen, die alles haben, die anderen ausschließen dürfen. In einer Gemeinschaft, deren Fundament ja die Liebe sein sollte, ist es das Mindeste was man erwarten darf, dass alle das Recht auf Leben, d.h. auf ausreichend Essen, Wohnen, Ausbildung, ärztliche Versorgung usw. haben. Dafür muss innerhalb dieser Gemeinschaft gesorgt werden. Das heißt nicht, dass alle dasselbe besitzen sollen, aber allen steht das zu, was ein Mensch zu einem menschenwürdigen Leben braucht. Das ist Gottes Wille, ja Gottes Gesetz! Doch dieses göttliche Recht, das jedem Menschen als Kind Gottes wesensmäßig zusteht, wird der Mehrheit der Menschen verweigert, auch der Mehrheit derer, die ja zu dieser einen Kirche Jesu Christi gehören. Es wird ihnen von Christen verweigert!
Es gibt einen Bruch in unserer Kirche, eine riesige Kluft tut sich da auf: auf der einen Seiten die arm gemachten Brüder und Schwestern, auf der anderen Seite die anderen Brüder und Schwestern, die vor lauter Überfluss nicht wissen wohin damit. Das ist unvereinbar mit der Botschaft Jesu, der sein Leben dafür hingegeben hat, dass eine neue Gemeinschaft entsteht, das neue Volk Gottes, in der jeder dem anderen in Wahrheit und in der Tat Bruder und Schwester ist. Wenn wir uns Christen nennen, dann müssen wir diese neue Gemeinschaft nicht nur wollen, sondern auch mit allen unseren Kräften anstreben.
Aber wie? Es genügt da sicher nicht, dass wir 1 bis 2 Mal im Jahr unsere Pflicht bei irgendeiner Spende erfüllen. Ich habe von diesem tiefen Abgrund gesprochen und wir, die wir auf der einen Seite stehen, werfen hin und wieder eine Münze denen auf der anderen Seite zu. So sinnvoll und notwendig das auch im Einzelnen mal sein kann - der Abgrund bleibt, im Grunde ändert sich nichts und vielleicht soll sich ja auch gar nichts ändern? Es kommt aber nicht nur darauf an, diesen Abgrund zu sehen - was schon nicht wenig ist - sondern diesen Abgrund ganz verschwinden zu lassen. Und dies erst recht innerhalb der einen Familie von Brüdern und Schwestern!
Die Campesinos glauben an diese gemeinsame Familie, sie glauben, dass Gott ihnen beistehen wird und dass diese Kluft verschwinden wird. Sie haben schon angefangen, daran zu arbeiten und auch daran, dass unter ihnen selbst Brüche und Abgründe verschwinden und sie immer mehr zu einer einzigen Familie werden. Es liegt nun an uns, uns auch auf den Weg zu machen - in der Gewissheit, dass unsere Wege sich treffen werden, denn Gott ist ja unser gemeinsames Ziel. Ich habe hier den Eindruck, dass wir den Weg und das Ziel nicht mehr richtig erkennen. Wir haben die Orientierung verloren, tappen im Dunkel oder lassen uns blenden von anderen Dingen, vom materiellen Wohlstand, von Karriere, Besitzdenken, vom Tanz um das Goldene Kalb und merken gar nicht, wie wir dabei langsam zugrunde gehen - und nebenbei bemerkt: die ganze Welt, die Schöpfung Gottes, damit in den Abgrund stürzen.
Genauso wie beim Volk der Hebräer: Gott hat es aus der Sklaverei befreit, wollte es in das Gelobte Land führen, doch die Hebräer verloren unterwegs den Mut und den Glauben. Sie sehnten sich nach den vollen Fleischtöpfen in Ägypten zurück, sie bauten sich in der Wüste ein Goldenes Kalb und beteten es an. So versperrten sie sich selbst den Weg in die Befreiung. Geht es uns nicht auch so? Bei dieser Jagd nach Besitz, Konsum, Karriere und Erfolg, geht da nicht das kaputt, was wir am meisten brauchen: Liebe - Vertrauen - Gemeinschaft? Denn in Wirklichkeit hungern wir alle nach mehr Verständnis, Anerkennung, Liebe. Wir, auch wir sind am Verhungern - doch lassen wir uns einreden, dass Gold satt macht. Doch Geld und Gold machen immer nur noch gieriger und schafft noch mehr Hunger - in uns und weltweit. Kein Wunder, wenn da auch unser Herz zu Stein wird und dass wir selbst unfähig werden, Liebe zu geben und Brot für andere zu sein. Und so kommt es auch dann eben zu diesen Abgründen, nicht nur weltweit, sondern es gibt diese ja nur, weil es auch bei uns viele Brüche gibt, in unserer Gemeinschaft hier und in jedem von uns.
Das Beispiel der Campesinos und von Jesus selbst, kann uns helfen, die Augen zu öffnen. Bei ihm standen andere Werte im Vordergrund, nicht Besitz, Erfolg und Macht. Daran brauchte er sich nicht zu klammern, er wusste sich nämlich ganz und gar in der Hand seines Vaters, der auch unser Vater ist. Und so hatte er seine Hände frei für andere. Nur ein solches Grundvertrauen, ein solcher Glaube, ermöglicht Gemeinschaft, Hingabe und damit neues Leben. Im 1. Brief des Johannes steht: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod zum Leben hinüber gegangen sind, weil wir die Brüder und Schwestern lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tode!“ Unsere Hoffnung und Zuversicht ist es nun, dass Gott uns alle, jeden einzelnen von uns, zu diesem neuen Leben berufen hat. Diesem Ruf zu folgen wäre dann auch unser wahrer Beitrag zur Mission, d.h. zur Überbrückung und dann zur Abschaffung dieses Abgrundes, der unsere Welt und unsere Herzen spaltet. Haben wir erst einmal diese neue Einstellung gewonnen, dann können wir auch die Verhungernden und Leidenden dieser Welt als unsere Brüder und Schwestern erkennen und wahrnehmen.
Dann auch wird uns deutlich werden, dass in den Augen verhungernder Kinder uns Jesus selbst ansieht und uns fragt: Warum siehst du mich nicht, warum gehst du an mir vorbei? Erst wenn unser Herz sich aus Stein in Brot verwandelt hat, wenn uns die Augen und Herzen aufgehen und wir uns nicht von Dingen blenden lassen, werden wir auch anderen nicht nur Steine geben. Erst dann können wir selbst zu Brot des Lebens werden für alle, die nach Liebe und Gerechtigkeit hungern - sei es in unserer nächsten Umgebung, sei es konkreten Menschen, die z. B. in Peru am Verhungern sind. Ich glaube an diese Verheißungen und an die Möglichkeit einer gerechteren und besseren Welt. Denn Gott hat uns versprochen, dass es so sein wird!
Noch ein wichtiger Hinweis: Die geschilderte Arbeit, der Aufbruch einer Gemeinde in Peru, wäre kaum möglich gewesen ohne die Partnerschaft mit einer deutschen Pfarrei (St. Martin in Dortmund). Und diese Pfarrei ist dadurch nicht ärmer geworden, sondern reicher, reicher an wichtigen Glaubenserfahrungen, reicher an spirituellem Leben und an Glaubwürdigkeit.
Im Mai 1982 hat dann der KGR von St. Georg einstimmig diese Partnerschaft beschlossen und sich verpflichtet - nur falls notwendig auch über die Spenden hinaus - eine stabile Unterstützung der Partnergemeinde zu garantieren.
1982: Unsere Partnergemeinde in Peru - Partnerschaft statt Patenschaft (im Gemeindebrief)
In einer geschwisterlichen Gemeinschaft sollte es kein „oben” und „unten” geben, erst recht kein Leben auf Kosten der Mitmenschen. Echte Partnerschaft will auch nicht Abhängigkeiten schaffen oder zementieren, sondern bestehende Abhängigkeiten abbauen. Partnerschaft bedeutet nicht zuerst Almosen geben, sondern bedeutet eine Herausforderung unserer ganzen christlichen Existenz. Es bedeutet, über die Gründe des Elends, bzw. des Reichtums nachzudenken. Es bedeutet darüber nachzudenken, was eigentlich christlicher Glaube bedeutet und wie wir unserer Verantwortung gegenüber der Welt und dem Nächsten gerecht werden können. Und: welche Konsequenzen fordert dies für unser praktisches Handeln? Es bedeutet auch, ob wir das Leben unserer Mitchristen, die im Elend leben, auch wirklich ernst nehmen und wir ihnen, den Hungernden, Christus, wieder erkennen. Wollen wir also wirklich diese Partnerschaft, d.h. sind wir bereit, unser Denken, unser Handeln, unseren Lebensstil, unsere Art zu glauben und Kirche zu sein, in Frage stellen zu lassen oder wollen wir nicht doch lieber durch eine Spende gerade dies alles rechtfertigen?
Neben dem Geben und dem Miteinanderteilen müssen wir vielleicht erst lernen, zu hören. Könnte es nicht sein, dass Gott heute nicht anders erfahrbar wird, als durch die Worte der Armen - ist vielleicht ihr Schrei nach Brot, Gerechtigkeit und Frieden das Wort Gottes an uns? Woran liegt es denn, dass Gott in unserem alltäglichen Leben so selten erfahrbar wird? Liegt es vielleicht nicht auch daran, dass wir schnell bereit sind, Millionen von DM in Steine zu investieren und darüber selber zu Stein geworden sind (oder umgekehrt)? Ist Jesus eher gegenwärtig in einer goldenen Monstranz oder im unter die Räuber gefallenen Mitmenschen? Und wer ist der Nächste und wer ist der Samariter?
Aus einem Hirtenwort der peruanischen Bischöfe: „Die Verwirklichung der Gerechtigkeit unter den Menschen ist das Kernstück der biblischen Botschaft. Gerechtigkeit üben heißt Gott erkennen und somit ihn lieben. Wenn es keine Gerechtigkeit unter den Menschen gibt, wird auch Gott nicht anerkannt. Dort, wo ungerechte soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Ungleichheiten bestehen, wird der Friede Gottes, ja der Herr selbst abgelehnt“.
Aus einer Predigt von Kardinal Döpfner (München): „Um des Gekreuzigten willen beschwöre ich euch: lasst den Herrn in den Not leidenden Brüdern nicht vergeblich rufen. Sonst entfernt das Kreuz von allen Wänden, holt es von allen Türmen; denn es ruft das Gericht über ein Land, das sich christlich nennt und stattdessen das Gesetz der Selbstsucht erfüllt“.
PS: Informationen über unsere Partnergemeinde wurden schon des Öfteren veröffentlicht (zuletzt im Gemeindebrief). Genauere Informationen erteilt gerne der Missionsarbeitskreis.
Zum 1. Peru-Wochenende am 5. 9. 1982
Einige Informationen über die Pfarrei in Peru, zu der wir bereits Kontakte haben, und mit der wir eine Partnerschaft aufbauen möchten.
Die Pfarrei San Pedro liegt am Stadtrand von Cajamarca, einer Stadt mit etwa 60.000 Einwohnern im Andenhochland Nordperus. Zur Pfarrei gehören auch riesige Landgebiete mit einem Durchmesser von etwa 80 km. In dieser Pfarrei leben etwa 50.000 Katholiken, etwa 10.000 zum Stadtgebiet gehörend, die Mehrzahl aber sind Campesinos (Indios). Diese haben im Durchschnitt etwas weniger als 1 ha Land pro Familie. Das reicht in der Regel nicht zum Leben. So beträgt die Kindersterblichkeit (bis 6 Jahre) 50%, eine der höchsten in ganz Lateinamerika. Die „Stadtbewohner“ der Pfarrei leben überwiegend in den Armenvierteln am Rande der Stadt. Es gibt nur eine sehr kleine „gut bürgerliche“ Gemeinde. In den Gottesdiensten sind fast nur diese bürgerlichen Christen (Mittelschicht) anzutreffen.
Für die riesige Pfarrei ist ein einzelner Pfarrer zuständig. Außer einer älteren Haushälterin hat er keine Mitarbeiter. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen (in Peru gibt es keine Kirchensteuer und keine Gehälter für Pfarrer) muss er wöchentlich noch 20 Stunden Religionsunterricht an einer staatlichen Schule im Stadtzentrum halten. Auf diesen geringen Lohn ist er angewiesen, auch weil er von seinen meist armen Gemeindemitgliedern keine Gebühren für Messen, Hochzeiten etc. verlangen will. Er ist Peruaner und hatte bisher keinen Kontakt zu ausländischen Organisationen und Geldgebern. Er hat einen uralten VW-Käfer und wohnt im Pfarrhaus bei der Kirche San Pedro.
Aus Geld- und Zeitmangel kann er nicht das für seine Gemeinde tun, was er gerne tun würde. Dazu gehören in erster Linie die Ausbildung von Katecheten, Kurse über Hygiene, bessere Anbaumethoden in der Landwirtschaft, Bau einiger Wasserkanäle etc. Wichtig ist und wäre vor allem, dass die Menschen in der Pfarrei lernen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, dass sie sich organisieren, zusammenschließen und sich gemeinsam für eine bessere und gerechtere Zukunft einsetzen. Das geht nur in Gemeinschaft. Eine Vertiefung ihres Glaubens, der bisher oft nur sehr oberflächlich ist, könnte dazu führen (und dafür gibt es hervorragende Beispiel in anderen Gemeinden der Diözese Cajamarca), dass genau dies erreicht werden kann. Wenn sie erst entdecken, dass Gott nicht will, dass ihre Kinder Hunger leiden, dass man dagegen was tun kann, dass es bestimmte Ursachen gibt usw., dann werden sie auch aus ihrem Glauben heraus sich engagieren, denn sie werden dann entdecken, dass Jesus Christus sie begleiten und sie nicht mehr im Stich lassen wird.
Machen wir uns auch auf den Weg! Wir erweisen uns dann als Kinder Gottes, wenn wir die Menschen, mit denen sich Gott solidarisiert und mit denen er leidet, als unsere Brüder und Schwestern erkennen und in der Tat auch so handeln. Mit unserer Partnerschaft wollen wir einen konkreten Anfang setzen. Damit dies alles nicht nur eine schöne Idee bleibt, brauchen wir die Hilfe und den Beistand aller Gruppen unserer Gemeinde. Wir werden auf die einzelnen Gruppen zugehen und wären für eine Einladung sehr dankbar. Sicher ist eine solche Partnerschaft eine große Herausforderung - aber sie kann auch zu neuen Ufern führen!
Damit die Welt nicht „zum Teufel geht“: Packen wir es an - in Gottes Namen!
Zum Mittagessen bieten wir Ihnen zwei typische peruanische Gerichte an: „Papa a la huancaina“ und “Chancho saltado con piña” (Rezepte zum Mitnehmen liegen aus). Wir wünschen Ihnen “Guten Appetit”. Es wird auch Ihnen sicher gut schmecken - und Sie werden vielleicht sagen: In Peru lässt es sich ganz gut leben! Spätestens an unserem Informationsstand werden Sie aber erfahren, dass dem nicht so ist. Über die Hälfte der Peruaner hat noch nie die oben genannten Gerichte essen können. Selbst für Lehrerfamilien ist ein solches Essen ein seltenes Festessen.
Warum bieten wir dennoch dieses Essen an? Weil das tägliche Essen der Mehrheit der Peruaner für unsere verwöhnten Gaumen ein „Zumutung“ (?) wäre. Muten Sie sich dennoch dieses tägliche Essen einmal zu und probieren Sie selbst aus, worum Millionen von Menschen in Peru tagein tagaus kämpfen müssen: Kartoffeln in Wasser ohne jede Zutaten (außer Salz). Auch in unserer Partnergemeinde San Pedro danken die meisten Menschen Gott, wenn von dieser Kartoffelsuppe - nachdem sie morgens einmal für den ganzen Tag gekocht wurde - zum Abend noch etwas übrigbleibt! Dieses „tägliche Brot“ der Campesinos gibt es nun bei uns „als Vorspeise“ - um auf den Geschmack zu kommen….!
Ich mag Peru - und Du?
Nachbetrachtung zum 1 Peru-Wochenende - in allen Gottesdiensten verlesen und im Gemeindebrief an alle verteilt.
Spätestens seit unserem Peru - Sonntag am 5. September wissen die meisten in unserer Gemeinde, dass wir eine Partnerschaft in Peru haben. Es handelt sich um eine Pfarrei im Andenhochland Nordperus. 50.000 Katholiken müssen mit einem einzigen Pfarrer auskommen, der zudem noch über 20 Religionsstunden geben muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Was aber noch dramatischer ist: Gut 2/3 der Pfarrmitglieder sind „Indios“, die unter dem von der UNO errechneten Existenzminimum dahinvegetieren - bislang ohne Aussicht auf Hilfe und Verbesserung.
Was kann und will nun angesichts dieser Situation unsere Partnergemeinde tun bzw. welche Aufgaben stellen sich ihr?
Als Nahziele seien folgende genannt:
- Überblick über die dringendsten Bedürfnisse und Erstellen eines Arbeitsplanes mit konkreten Zielvorstellungen
- Gewinnen von Mitarbeitern, um die gestellten Aufgaben verwirklichen zu können
- Ausbildung von Katecheten als vorläufiger Schwerpunkt. Diese Katecheten sollen einmal als Leiter (evtl. auch Leiterinnen) von Basisgemeinden wesentliche Aufgaben des Pfarrers in ihren jeweiligen Gemeinschaften übernehmen.
- Organisation und Durchführung von Kursen aller Art (Hygiene, Ernährung, Landwirtschaft, Gesundheit, Handwerk)
Längerfristig ist an folgendes gedacht:
- Aufbau von Produktionsgenossenschaften, um unter anderem die Zwischenhändler zu umgehen.
- Herausgabe einer Gemeindezeitung, die auch zur Alphabetisierung beiträgt, Ratschläge für den Alltag gibt, Missstände anprangert, Probleme aufgreift und das Wort Gottes verkündet.
- Ausbildung von Gesundheitshelfern („Barfußärzte“ – promotores de salud), die ausgerüstet mit Basismedikamenten die Indiogemeinschaften besuchen und vor allem prophylaktisch (Vorsorge) arbeiten.
Alle diese Aufgaben sind von den Menschen dort machbar und leistbar. Der Wille ist da. Grundlage dafür ist die christliche Verkündigung und die Erkenntnis, dass jeder Mensch als Kind Gottes ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben hat. Für die Verwirklichung dieses Konzeptes müssen bestimmte materielle Rahmenbedingungen geschaffen werden. Hier sind wir angefragt. Der gelungene 1. Peru - Sonntag hat uns Mut gemacht. Unser Dank gilt allen, die zum Gelingen beigetragen haben. Wir brauchen aber weiterhin engagierte Mitarbeiter. Sie sind in unserem Kreis herzlich willkommen. Sie werden mit uns in eine neue Welt aufbrechen dürfen, ganz anderen Menschen begegnen (vielleicht auch einmal real) und reich beschenkt mit neuen Erkenntnissen belohnt werden!
Informationen zum Peru-Wochenende am 10. Juli 1983 Zur Situation in Peru:
In den letzten beiden Jahren hat sich die Situation in Peru in allen Bereichen dramatisch verschlechtert. Durch die Politik der neuen „demokratischen“ Regierung kommt es zu einem Totalausverkauf des Landes. Ausländisches Kapital, subventioniert von der Regierung, zerstört u.a. Handwerk und Kleinbetriebe. Um Devisen für den Import von Farbfernsehern und Cadillacs für die Oberschicht zu bekommen, werden nicht nur alle Bodenschätze verhökert, sonders es werden sogar noch landwirtschaftliche Grundnahrungsmittel exportiert, oder auf den fruchtbarsten Böden des Landes werden Baumwolle, Kaffee usw. für den Export angebaut - u.a. auch um immer bessere Waffen kaufen zu können zum Schutz vor dem eigenen Volk. Aus deutscher Sicht (offizielle Regierungspolitik!) sieht das dann so aus: wir schaffen uns neue Absatzmärkte und sichern uns die lebenswichtigen Rohstoffe für die Zukunft. Ganz nebenbei erhalten wir dafür billige Bananen und hochwertiges Tierfutter für unsere Schweine und Rassenhunde und zur Produktion von immer größeren Schweine- und Butterbergen. So erhalten wir unseren Lebensstandard, unterstützen den freien Welthandel, und sind sogar bereit, diese unsere Freiheit mit dem Leben zu bezahlen. Gleichzeitig ist die amerikanische „Coca-Cola-Kultur“ dabei, wie ein unaufhaltsames Krebsgeschwür die letzten lebendigen Indiogemeinschaften im Namen der christlich- abendländischen Kultur zu zerstören. Diese Kultur zerfrisst die Seelen und die Hirne von immer mehr Menschen und alle wollen dann nur noch sein wie die im Fernsehen gezeigten Hollywood-Stars….
Zu allem Unglück wurde Peru von den schlimmsten Naturkatastrophen des Jahrhunderts heimgesucht („El Niño“). Aussaat und Ernte sind weitgehend vernichtet. Gegen Ende des Jahres droht eine landesweite Hungerkatastrophe.
Unsere Partnergemeinde San Pedro bleibt natürlich davon nicht unberührt. Die angestrebten strukturellen Verbesserungen mussten vorerst etwas zurückgestellt werden zu Gunsten sofortiger karitativer Katastrophenhilfe. So konnte etwas Leid gemildert, Hoffnung konnte geweckt werden, ja sogar Zuversicht für die Zukunft. Denn die Menschen in San Pedro wissen jetzt: sie werden nicht im Stich gelassen. (Ein Rechenschaftsbericht über die bisher geleistete Hilfe am Aushang und am Informationsstand). Vor allem aber sind die Campesinos von San Pedro im Glauben gestärkt worden: Der biblische Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit und der Liebe - und er steht auf ihrer Seite, ihnen gehört die Zukunft und diese Zukunft hat bereits begonnen. Konkretes Zeichen dieser Hoffnung ist für sie Partnerschaft mit St. Georg.
„Schaut, ich werde euch eine neue Erde schaffen. Ich werde aus meinem Volk eine neue Freude machen. Sie werden kein Haus mehr bauen, damit ein anderer darin lebt. Sie werden nicht mehr säen, damit ein anderer sich davon ernährt. Sie arbeiten nicht mehr vergebens. Sie bringen nicht mehr Kinder zur Welt für einen jähen Tod… denn sie sind die Nachkommen der vom Herrn Gesegneten“ (Jesaja 65).
Ähnlich wie im letzten Jahr, als wir Ihnen eine einfache Kartoffelsuppe (Kartoffeln mit Wasser) anboten, so wollen wir Ihnen auch dieses Jahr - vor dem eigentlichen Essen - eine Speise der Armen anbieten: Cachanga, ein typisches Essen auf dem Land, ein gutes und nicht alltägliches Essen, denn es wird aus Mehl (Weizen) bereitet und ist für das tägliche Essen zu teuer. Die beiden peruanischen Hauptgerichte, die wir Ihnen danach anbieten, liegen erst recht außerhalb der Reichweite der Campesinos. Es sind: “Chancho saltado con piña“ und “Ají de gallina”, für je 6 DM. Beschreibung der Speisen und Rezepte zum Mitnehmen am Infostand.
So spricht der Prophet Jesaja im Namen Gottes zu den Reichen des Volkes Israel: “Ihr kennt nicht das wahre Fasten, wie ich es liebe: die ungerechten Fesseln zu lösen, die Unterdrückten frei zu lassen und jegliches Joch zu zerbrechen. Du sollst dein Brot mit den Hungrigen teilen, die Armen ohne Haus sollen das Deine betreten, den Nackten sollst du begleiten und deinen Bruder sollst du nicht im Stich lassen“
Brief von Bischof Dammert aus dem Krankenhaus in Castrop Rauxel (06. 12. 1984)
Liebe Amelia, lieber Willi,
ich danke euch für die wiederholten Grüße per Telefon und Brief. Ihr hattet wohl schon die Vorahnung, dass mein Besuch in Ulm unmöglich werden wird. In der Tat, mein Aufenthalt von fast sechs Wochen in dieser Stadt und im Krankenhaus, macht mir alle Besuche unmöglich. So muss ich euch, wie anderen auch, mitteilen, dass ich bestimmt nicht kommen kann, denn sonst wäre meine Rückkehr nach Peru auf unbestimmte Zeit unmöglich.
Ich verließ Cajamarca am 1. September, so dass ich schon fast vier Monate abwesend bin. Wenn ich mir alle Punkte, die ich mir für meinen Besuch in Deutschland vorgenommen hatte, erfüllen wollte, müsste ich mindestens noch einen Monat länger wegbleiben. Leider hat die Operation, außer dass sie auch ein chirurgischer Eingriff in meinen Körper war, mich stark behindert. Ende der nächsten Woche kann ich endlich hier raus und dann nach Frankfurt fahren. Von dort werde ich nach Peru fliegen. Ich hoffe, nach einer kurzen Erholungsphase das Weihnachtsfest mit meiner Schwester Laura verbringen zu können und werde dann gleich danach nach Cajamarca reisen.
Den Brief, den ihr mir geschickt habt, werde ich Padre Vigo übergeben. In seinem Namen und in dem seiner Pfarrei danke ich euch für diese Großherzigkeit, die es ihm erlaubt, seiner pastoralen Verantwortung gerecht zu werden, die für die Gemeinde einen Neuanfang bedeutet, der bereits unerwartet viele Früchte getragen hat.
Ich lege euch die Kopie eines Interviews mit Frau Bollinger bei. Sie hat mich schon einmal 1977 interviewt. Das Interview gelang sehr gut, denn sie drückt klar aus, was ich denke. Meinen Bericht über das Treffen mit dem Papst habt ihr ja ebenfalls bekommen. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Wir peruanischen Bischöfe fühlen uns in unserer Linie voll bestätigt und werden alles tun, um noch mehr und besser mit den Armen zusammenzuarbeiten.
Ich halte es für höchst interessant und gut, welches Bild ihr den Gemeindemitgliedern von St. Georg über die Situation ihrer „Kollegen“ in San Pedro vermittelt und auch allgemein über die traurige Lage, in der sich Peru gerade wirklich befindet. Solche guten Schilderungen und Analysen der Situation liest man selbst in Peru selten!
Sei meiner Ankunft in Cajamarca 1962 hat mir die Pfarrei San Pedro sehr am Herzen gelegen. Denn abgesehen von einer sehr großen Zahl von Gläubigen in der Stadt, ist auch ihre Ausdehnung auf das Land hinaus enorm. So versuchte ich Padre Vigo zu helfen, in dem ich z.B. regelmäßig die 6-Uhr-Messe in der noch alten Kapelle gelesen habe. Die Diözese selbst hat ein Projekt unterstützt in Chetilla, das darin bestand, die alten Sitten und Gebräuche niederzuschreiben um diese Indiogemeinschaft mit ihrer eigenen Geschichte zu konfrontieren. Denn Chetilla ist eine Enklave innerhalb der Diözese mit eigener Indiosprache. Die andere Enklave, in der ebenfalls Quetschua gesprochen wird, gehört ebenfalls zu San Pedro. Es ist Porcón. Insgesamt stand aber San Pedro sehr allein und all die Jahre gelang es dort nicht, eine echte Landpastoral mit Katecheten usw. aufzubauen.
Umso mehr findet all das meine höchste Anerkennung und Hochschätzung, was ihr zur pastoralen Arbeit in San Pedro beitragen könnt, ja in diesem Umfang erst ermöglicht. Ohne eure Partnerschaft, die ihr in Ulm initiiert habt, wäre ein solcher Neuanfang nicht möglich gewesen. Hoffentlich wird es eines Tages noch mehr solcher Partnerschaften in Cajamarca geben! Deswegen bedauere ich auch so sehr, dass ich Ulm diesmal nicht besuchen kann. In Spanisch sagen wir: der Mensch denkt und Gott lenkt - genau das geschah nun mit mir.
Ich wünsche eurem Herrn Pfarrer und allen Gemeindemitgliedern von St. Georg ein heiliges Weihnachtsfest und dass der Herr die großmütigen Anstrengungen in der Zusammenarbeit mit San Pedro segnen möge!
Euch selbst eine freundschaftliche Umarmung José Dammert Bellido, Bischof von Cajamarca
Anmerkung 2006: Bischof Dammert war im Herbst 1993 zum letzten Mal in Deutschland. Zum Abschluss (und Erholung, wie er sagte) seines vierwöchigen Aufenthaltes in Deutschland war für 6 Tage bei uns zuhause in Ulm, wo er sich „wie zuhause fühlte“ (auch wegen Amelia, mit deren Eltern er sehr befreundet und die über Jahre seine Mitarbeiterin im Bischofshaus war).
Miteinander glauben - miteinander teilen
Leitartikel Kath. Kirchenblatt Ulm/Neu - Ulm/Blautal zum Tag der Weltmission, 28.10.1984.
„Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten“ (Mt 5, 13, aus dem heutigen Evangelium). Salz gehört in die Speise. Bleibt es im Topf, im Sack, ist es nutzlos. Es offenbart sein Wesen nur, wenn es tätig wird. Ebenso kann ein Christ nur Zeuge Jesu Christi sein, wenn er Christsein als Dienst an der Welt, als „Mission“ begreift. Sind wir aber Salz, fordern uns die weltweiten Probleme unserer Zeit heraus: die wachsende Verelendung in der Welt, die Bedrohung der Schöpfung, die steigende Rüstungsproduktion, die zunehmende Gewalt, die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher, der schwindende Glaube an Jesus Christus... . Wir müssen uns diesen Problemen stellen und nach alternativen - dem Evangelium gemäßen - Antworten suchen. Wenn wir zu all dem nichts zu sagen haben, sind wir schales Salz, nutzlos.
Haben wir aber etwas zu sagen - und selbst wenn: wer hört uns noch? Wir leben in einer zunehmend heidnischen Gesellschaft. Die Zerstörung der Natur, unserer eigenen Lebensgrundlage und die der kommenden Generationen, ist nur ein Beispiel und Symptom einer zutiefst atheistischen Grundeinstellung, von Götzendienst: nämlich sich selbst an die Stelle Gottes setzen wollen oder sich eigene Götter zu schaffen, die da sind: Profit, Habgier, Macht, materieller Wohlstand usw. Wenn diese Götzen angebetet werden, dann braucht man sich nicht mehr zu wundern, wenn ein blühender Handel mit menschlichen Embryonen existiert oder wenn man Millionen von Menschen in den Tod treibt, weil man ihnen mit Gewalt ihr Land genommen hat, um darauf dann Sojabohnen für unsere Schweine anzubauen.
„Ihr seid das Salz der Erde“. Müssen wir uns nicht fragen, ob wir uns beim Tanz um das Goldene Kalb nicht allzu sehr haben blenden und berauschen lassen? Dennoch: Wir Christen sind beauftragt, „Salz der Erde“ zu sein, Licht gerade in dieser Finsternis. Und wir können dies auch, Gott zumindest traut es uns zu. Dabei können wir auch voller Hoffnung auf Lateinamerika schauen, wo eine Kirche nach Jahrhunderten langer Agonie zu neuem Leben erwacht.
Menschen, die im Elend leben, entdecken neu die befreiende Botschaft Jesu. Sie lesen zusammen die Bibel und entdecken, dass der Kreuzweg Jesu Christi ihr eigener Kreuzweg ist. Sie fragen aber auch, warum Jesus gekreuzigt wurde und warum sie selbst in solchem Elend leben müssen. Dabei lernen sie die Ursachen ihres Elends kennen, aber auch, dass Elend und Unterdrückung nicht dem Willen Gottes entsprechen. Ihr Elend ist die Folge von sündhaftem Verhalten und sündhaften Strukturen, die von den Mächtigen dieser Erde aus Habgier errichtet und gewaltsam aufrechterhalten werden. Sie vertrauen voll auf Gott, der dieses Unrecht nicht duldet. Gott steht auf der Seite der Armen und in Jesus solidarisiert er sich mit ihnen bis zum Tod am Kreuz. Doch das Kreuz ist nicht das Ende. Gott hat ihnen, hat uns allen, sein Wort gegeben - über den Tod hinaus. Sie wissen, dass die Herrschaft Gottes schon jetzt aufleuchten soll. Dieses Reich Gottes nimmt konkrete Gestalt an im Einsatz gegen Elend und Ungerechtigkeit und überall dort, wo Menschen sich gemeinsam auf die Nachfolge Jesu einlassen. Ihnen, den Armen, gehören die Verheißungen eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Und die Reichen? Auch sie sind eingeladen und gerufen. Aber für sie ist es Ruf zur Umkehr und umzukehren ist sehr schwer für Reiche…
Wir gehören zu den Reichen. Sind wir verloren? Ja, wenn wir den Ruf der Armen nach Gerechtigkeit nicht hören, wenn wir uns verkriechen, mit den Wölfen heulen, Angst haben und kleingläubig sind. Nein, wenn wir die Götzen von ihrem Sockel stürzen und uns bedingungslos dem Gott des wahren Lebens anvertrauen.
In einem wahrhaften Dialog mit der lateinamerikanischen Kirche können wir nichts verlieren - nur gewinnen. Es seien nur kurz erwähnt: die Erfahrungen von christlichen Basisgemeinschaften, die erfrischende Mitarbeit von Laien, eine Kirche des Volkes, in der Bischöfe und Priester wahre Diener des Volkes Gottes sind; Begeisterung und Hoffnung, Feier und Dank; die Erfahrung des Miteinanderteilens und Beschenktwerdens; die Einheit von Glauben und Alltag; das rückhaltlose Vertrauen auf den Gott der Liebe, der sein Volk nicht im Stich lassen wird.
Das ist die Botschaft der Armgemachten heute an uns. Zuhören und offen sein ist ein erster Schritt. Es könnte ein Anstoß sein zu einer Befreiung von den Dämonen dieser Zeit, von Zwängen und Ängsten, und zu einem Freiwerden für Gott und den Mitmenschen. Dazu sind wir gemeinsam herzlich eingeladen - gerade auch an diesem Tag der Weltmission.
1. Partnergemeinden - eine Brücke über den Abgrund?
Wenn sich deutsche Gemeinden auf Gemeinden auf der anderen Seite des Globus einlassen, werden sie auf eine grundsätzliche Weise herausgefordert, ökonomisch und theologisch. Kirchengemeinden in den Elendsregionen dieser Welt - deutsche Gemeinden bevorzugen nämlich Kontakte mit den Ärmsten - möchten mit Partnergruppen in Deutschland ihren Glauben teilen und umgekehrt. Doch die Partner leben in getrennten Welten, besser gesagt: in entgegengesetzten Wirklichkeiten innerhalb der zu einem einzigen Marktplatz gewordenen „Einen Welt". Die deutschen Christen, einzelne Gemeindemitglieder wie die Kirche als Ganzes mit ihren Organisationen und Einrichtungen, sind mehr oder weniger gut funktionierende Bestandteile dieser Gesellschaft. Die beiden Konfessionen sind als Kirchen auf regionaler und nationaler Ebene mit Staat und Gesellschaft verflochten. Dies zeigt sich nicht nur in der Kirchensteuer, die bekanntlich umso höher ausfällt, je höhere Gewinne die Wirtschaft erzielt, sondern auch in der Zustimmung zu den herrschenden Wertvorstellungen. Gemeinde und Kirche sind nicht nur Stützen dieser Gesellschaft, sie sind diese Gesellschaft. Als Gemeinde und Teil dieser Gesellschaft sind sie Teil des dazugehörenden Wirtschaftssystems und sie haben ein existentielles Interesse an dem Erhalt und der Funktionstüchtigkeit dieses Systems, das auch ein globales System ist. Aus diesem Interesse heraus entsteht de facto eine entsprechende Option.
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