„Das Gold von Cajamarca“ (1)

„Der Kapitalismus ist kalt, kalt wie alles, das aus Metall ist. Es interessieren ihn weder die Menschen noch die Völker. Es interessieren ihn allein die Gewinne. Menschen und Völker interessieren ihn nur in dem Maße, in dem sie ihm Gewinne versprechen. Um Gewinne verschlingen zu können, verschlingt er Menschen und Völker. Er ist kalt, er hat kein Herz. Unser Land, wie viele andere Länder in Lateinamerika, ist schon seit langem in die Klauen dieses Monsters gefallen. Wir hängen auf vielfältige Weise von ihm ab. Wir sind sein Spielzeug“ (2).

 

 

„Das Gold von Cajamarca“ ist eine entscheidende Ursache für die Armut in Cajamarca. Auf der Suche nach Gold sind die Europäer bis in die letzten Winkel der Erde vorgestoßen und haben dabei ganze Völker in den Abgrund gestoßen. Es war die Suche nach den vermuteten sagenhaften Goldvorkommen, weshalb spanische Söldner schließlich auch nach Cajamarca kamen und das mächtige Reich der Inkas im Handstreich zerstörten. Es war das Gold, das die Europäer nach Amerika trieb. Gold steht hier auch als Sammelbegriff für alle Reichtümer, als Inbegriff aller Schätze dieser Welt.

Einige spanische Theologen des 16. Jahrhunderts bezeichneten das Gold als ein Geschenk Gottes, der in seiner göttlichen Vorsehung die heidnischen Völker mit unvorstellbaren Goldvorkommen ausgestattet hat, damit auf diese Weise die Christen den Weg zu diesen Völkern finden, um die Heiden zu taufen und sie so vor der Hölle zu bewahren. Die Heiden verdanken demnach ihr Seelenheil dem Gold und die Christen verdanken ihren sehr irdischen Reichtum ebenfalls dem Gold (ihrem Gott).

 

In „Gott oder das Gold“ geht Gustavo Gutiérrez dieser Thematik auf den Grund (3) Das dritte Kapitel des Buches hat den Titel: „Das Gold als Vermittler des Evangeliums“. Gutierrez geht hier auf die Schrift von García de Toledo, des Verfassers des „Gutachten von Yucay“, ein, in der die genannte These begründet wird; so zitiert er dieses Gutachten, das erheblichen Einfluss auf die damalige Theologie und Politik hatte. „Und so gab er ihnen die Gebirge von Gold und Silber, damit es in diesem Duft Menschen gebe, die um Gottes willen hierher kommen wollten das Evangelium zu predigen, sie zu taufen und diese Seelen mit Jesus Christus zu vermählen (Y 142)“ S. 140.

Und etwas weiter, sich auf die Schätze und Reichtümer beziehend: „Dorthin, wo es sie gibt, das Evangelium im Fluge und um die Wette kommt, während dort, wo es sie nicht gibt, sondern nur Arme, dies ein Mittel der Zurückweisung ist, denn dorthin kommt das Evangelium niemals...(Y 142)“, S. 141. Nach Gutiérrez vertreten auch die damals maßgeblichen Theologen (u.a. Sepúlveda, selbst José de Acosta in gemäßigter Form) die Meinung, dass das Gold von Peru eine providentielle Rolle bei der Ausbreitung des christlichen Glaubens hat. Gutiérrez schließt (S. 151 ff): „So wird das Gold zum wirklichen Vermittler der Anwesenheit Gottes in Westindien. Die Position des García de Toledo ist so etwas wie eine verkehrte Christologie. Letztlich steht das Gold, wo sonst Christus steht: als Mittler der Liebe des Vaters“.

 

Cajamarca ist ein geschichtlich einzigartiger Ort, an diesem Ort verdichtet sich die globale Geschichte der Eroberung und Zerstörung. Um des Goldes willen kamen die Europäer (und mit ihnen das „Evangelium“) nach Cajamarca und wegen der Goldminen von Cajamarca haben die Menschen heute eine erneute Chance.... .Cajamarca steht für alle Orte dieser Welt, die seit Beginn der Neuzeit von den Europäern erobert und anschließend „zivilisiert“ wurden. Und diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Über Jahrhunderte diente Cajamarca (wie andere „Orte“ in der Dritten Welt) als Quelle des Reichtums für die Europäer. Mit der Entdeckung und der Erschließung großer Goldvorkommen um Cajamarca herum schließt sich der Kreis. Werden auch diesmal die „Fremden“ die alleinigen Nutznießer sein, oder werden diesmal die Menschen von Cajamarca einen Anteil an den „Gütern der Schöpfung“ erhalten, auf die alle Menschen in gleicher Weise einen rechtmäßigen Anspruch haben?

 

Die Mine Yanacocha   (siehe extra Artikel)

1978 sagte ein stellvertretender deutscher Botschafter in Lima: „Die Hauptproblem Peru besteht darin, dass es noch zu 50% Indios in Peru gibt“. Und auf dem gleichen Empfang der Botschaft stellte ein geladener deutscher Wirtschaftsführer fest: „Solange die Indios ihre Kartoffeln selbst essen, kann aus Peru nie etwas werden“. Von rassistischen und sonstigen dahinter liegenden Ideologien einmal abgesehen: Schon damals mussten Kartoffeln eingeführt werden und viele Campesinos wären froh, wenn sie jeden Tag ausreichend Kartoffeln essen könnten.

 

Fazit:

.....  Die Geschichte des Goldes von Cajamarca seit 1532 spiegelt die Mechanismen wider, die weltweit zu einem immer größer werdenden Gegensatz zwischen armen und reichen Ländern geführt hat (und auch innerhalb der einzelnen Länder). Wirtschaftliche Interessen einiger Weniger stehen im Vordergrund, werden aber meist hinter humanitären oder auch religiösen Begründungen versteckt. Entsprechende humanitäre oder religiöse Institutionen leisten dabei „Schützenhilfe“ bzw. stehen selbst an vorderster Front und sind Nutznießer des Systems. So lautet die allgemein verkündete Lehre (die je nach Situation und Kontext in der Wortwahl variiert), dass die reichen und zivilisierten Völker den armen und „heidnischen“ Völkern (weil noch nicht in das System integriert), Fortschritt und Zivilisation, Religion und Kultur bringen. So betont die katholische Kirche (Vatikan), dass durch die „Begegnung fremder Kulturen“ den Völkern Amerikas das „Licht des Evangeliums“ gebracht wurde, denen damit die Chance der Bekehrung (und somit Anteil am ewigen Heil) eröffnet wurde.

 

Dagegen steht ein Zitat des ehemaligen Bischofs von Cajamarca, José Dammert, der nicht aus der Sicht der Sieger, sondern aus der Sicht der Opfer die Situation wahrnimmt und deutet: „Damit die ausländischen Investitionen auch zu einer wahrhaften Entwicklung der Region führen, müssen die Mechanismen so verändert werden, dass die Campesinos von Porcón selbst die Rahmenbedingungen der Entwicklung bestimmen. Es genügt nicht ein abstraktes ‚wirtschaftliches Wachstum’ der Region. Was wir anstreben ist eine ganzheitlich menschliche Entwicklung, in der die Reichtümer der Erde, in diesem Fall das Gold, für eine bessere Erziehung, für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse, für eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Flächen und Anbaumethoden zu Gunsten derer genutzt werden, die bisher von jeglichem Fortschritt ausgeschlossen waren“ (aus: Porcón, Bettler auf einem Thron aus Gold, 1993).

 

Mythos und Wirklichkeit - Die sieben Sakramente des Kapitalismus

a) Sakramente (11) und Kapitalismus - eine Frage der Definition

 

Sakramente sind nach überlieferter katholischer Lehre sichtbare Zeichen einer transzendenten (nicht mess- und erfassbaren) Wirklichkeit. Konkreter: es sind von Jesus Christus eingesetzte (gestiftete) Zeichen, in denen ansatzweise zum Vorschein kommt und erfahrbar wird, was mit der Botschaft Jesu, dem Anbruch des Reiches Gottes und seiner Vollendung gemeint ist. Sakramente verweisen nicht nur auf das Reich Gottes (und natürlich auf Gott), sondern sie bringen im Vollzug das Reich Gottes in den Alltag. In ihnen berühren sich „Himmel und Erde“: der Alltag öffnet sich auf Zukunft, auf Vollendung hin und das Göttliche gewinnt Hand und Fuß, wird „vererdet“ und wird integraler Bestandteil des Alltags. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass im Vollzug der Sakramente der Mensch Anteil nimmt am göttlichen Heil, will sagen: die Sakramente sind Heilsverheißungen, die schon im „Hier und Jetzt“ Gestalt annehmen; und weil Gott der Garant des Heils ist, sind es nicht nur Verheißungen,

Die Kirche definiert die Heilszeichen, bestimmt sie inhaltlich und organisiert die Bedingungen der Anteilhabe (z.B. Zulassung zu den Sakramenten). Der Kirche ist die „Verwaltung“ und das Handling der Sakramente anvertraut. Sie gibt den Menschen die ihnen anvertrauten Schätze weiter. Diese wenden sich auf der Suche nach dem Heil an die Kirche, die ihnen dann das Heil verspricht bzw. garantiert, falls die von der Kirche selbst definierten Bedingungen erfüllt sind. Die Kirche ist aber nicht nur Heilsvermittler, „Hüterin des göttlichen Schatzes“, sondern sie ist selbst Zeichen des Heils.

Sie ist das Sakrament der Gegenwart Gottes unter den Menschen, wie sie insbesondere in der Eucharistie erfahrbar wird. Sie ist als Gemeinschaft des Volkes Gottes das für alle Menschen sichtbare Zeichen des Bundes Gottes mit der gesamten Menschheit, in ihr wird das Reich Gottes antizipiert (im Ansatz, nicht in Vollendung). Volle Teilhabe am Leben der Kirche „garantiert“ das Heil und die Erlösung. Die beiden grundlegenden Sakramente sind daher die Taufe als Aufnahme in die Heilsgemeinschaft und die Eucharistie, in der die Kirche sich selbst als Zeichen der Einheit mit Gott feiert und in der das Reich Gottes erfahrbar wird.

 

Der Kapitalismus wird hier als eine Ideologie (Werteordnung) und Praxis verstanden, nämlich als eine bestimmte Art und Weise, die Wirklichkeit (Welt, Mensch) und deren Grund und Zweck zu sehen, zu deuten und zu leben (12).  Im Unterscheid zum Christentum wird Kapitalismus als ein System verstanden, in der das Heil nicht von außerhalb kommt, sondern in dem das Heil innerweltlich machbar und organisierbar ist.

Wie das Christentum seinen Namen von Christus hat, der im Mittelpunkt steht und absoluter Maßstab ist, so bedeutet Kapitalismus, dass im Mittelpunkt von allem menschlichen Streben und Trachten das Geld steht, weil es - so der Glaube - das am besten geeignete Mittel ist, um zu sich selbst zu finden, um Mensch zu werden und um immer mehr Mensch zu sein. Denn es ist der Mensch, der sich selbst (seine Bedürfnisse, Methoden, Ziele), zum absoluten Maßstab macht und in der das Kapital (weil empirisch am besten bewährt) die Rolle der Heilsvermittlung zukommt.

Mehr noch: das Kapital selbst ist das Heil. Der Kapitalismus verheißt allen Menschen guten Willens, wenn sie nur wollen, Anteil am Heil. Dieses besteht darin, jederzeit und überall möglichst viele Bedürfnisse befriedigen zu können. Kapitalismus bedeutet eine Werteordnung, in der der Einzelne zuerst auf sich gestellt ist und in der die Gemeinschaft und der Mitmensch zuerst als ein Gegenüber bzw. als Konkurrent angesehen wird. Höchstes Ziel ist der eigene Erfolg, der sich vorrangig am erworbenen Kapital messen lässt.

 

Zur Katechese des Kapitalismus gehört es, möglichst vielen Menschen den Glauben zu vermitteln, einzigartig und fähig zu sein, das auch erreichen zu können, was man sich vorgenommen hat und erfolgreich sein zu können. Der Kauf von Gütern, die „man“ haben muss, das Anteilnehmen am Leben der Erfolgreichen, die Darstellung seines eigenen Erfolgs und seiner (auch sexuellen) Potenz, erweisen sich als sichtbare Zeichen des Erfolges und der Rechtgläubigkeit. Im Vollziehen dieser Heilszeichen zeigt man sich und den anderen, dass man auf dem rechten Weg ist und dass man wer ist. Die Anerkennung dieser Prinzipien garantiert bereits das Heil, zumindest aber die Möglichkeit zum Heil. Neben diesen sichtbaren Zeichen der Anteilhabe am Heil, ist es letztlich das Geld (auch in der Form von Macht, Herrschaft, Potenz) das als universell geltender Wert zum absoluten Maßstab wird, von dem her alle anderen Werte lediglich abgeleitet sind. Es wird zum Gott.

Aus christlicher Sicht handelt es sich um einen Götzen. „Das herrschende System bringt nicht nur materielle Güter hervor, sondern auch Idole (Götzen) und Idolatrie. Das System verfügt über die Fähigkeit, geistige und übernatürliche Kräfte zu erzeugen und eine transzendente, numinose und phantastische Welt zu schaffen“ (13). Wo der Mensch von ihm selbst geschaffene Gegenstände oder z.B. Marktgesetze verabsolutiert, schafft er sich seine eigenen Götter bzw. macht sich selbst zu Gott. Sich diesen Göttern zu unterwerfen ist demnach Götzendienst. Dieser Götzendienst spaltet die Menschheit und stürzt ganze Völker ins Elend (14).

 

b) Ursprungsmythen und Heilsverheißungen des Kapitalismus

Diese Religion (weil ein Glaube mit allen Insignien von traditioneller Religion wie Kult, Hierarchie, Verheißungen, Opfer, Gehorsam, feste Spielregeln, systemimmanente Moral) basiert auf einigen festen Glaubenssätzen und auf der ritualisierten Präsentierung von Heilsverheißungen, die vom Volk nur dann geglaubt werden können, wenn diese Heilsverheißungen immer wieder auch am eigenen Leib (wenn oft auch nur in Form einer Projektion) gespürt und erfahren werden können. Diese Religion, wie jede andere Religion, hat um so mehr Erfolg, je besser es ihr gelingt, den Menschen eine Vision eines besseren Lebens (sei es „auf Erden“, sei es „im Himmel“) zu vermitteln und auch zugleich die Wege und Methoden zu weisen, die zum ersehnten Ziel führen.

Grundlage einer jeden Vision (und Religion) sind  Grundannahmen, in der Folge Mythen genannt, die außerhalb der Verfügbarkeit des Menschen stehen (so wird es zumindest den Menschen gelehrt oder überliefert) und die daher auch nicht zur Disposition gestellt werden können. Glück, besseres Leben, Selbstverwirklichung usw. lassen sich dann nur im Rahmen und unter Beachtung der systemimmanenten Regeln erreichen bzw. allen, die diese Mythen verinnerlichen und ihr Leben danach ausrichten, wird das Heil quasi garantiert.

Geht etwas schief, d.h. das Ziel wird nicht erreicht (z.B. ein gewisser Lebensstandart), dann liegt es am Versagen des Einzelnen, der sich entweder als Ungläubiger oder als Versager erwiesen hat, der nicht in der Lage ist (oder sein will), die Anforderungen des „Rechten Weges“ zu erfüllen. Den „Ungläubigen“ droht der Ausschluss aus dem System und die „Vertreibung aus dem Paradies“ (15)

 

Wenn aber in der Theologie (auch unterschiedlicher Religionen) Gott selbst als die „alles bestimmende Wirklichkeit“ bezeichnet wird, als ein Gott, der diese Wirklichkeit und Welt „lenkt und leitet“, dann ist eine Beschäftigung mit den Regeln So liegen auch der Religion des Kapitalismus (der Vision, durch Anhäufung materieller Werte sich das Heil zu sichern) Mythen zugrunde, von denen hier zwei herausgegriffen werden, die sich in der Praxis (nicht in der reinen Lehre) als sich gegenseitig ergänzende und unterstützende Mythen herausgestellt haben:

  • die Armen sind an ihrem Schicksal selbst schuld bzw. sie ist Strafe Gottes
  • Reichtum ist ein sichtbares Zeichen der Auserwählung Gottes und Armut bedeutet das Gegenteil.

Die letztere Annahme wird meistens als calvinistische Lehre dargestellt. Nach dieser Lehre ist der durch Fleiß und Anstrengung erworbene Reichtum ein Zeichen für das Wohlwollen Gottes, ein Vorgriff auf die endgültige Belohnung im Himmel. Umgekehrt gilt: wer es im Leben zu „nichts“ gebracht hat (Maßstab ist materieller Wohlstand oder auch Gesundheit), muss wohl ein Sünder sein, der den Zorn Gottes herausgefordert hat und der nun seine gerechte Strafe erleidet - sichtbar für alle und ebenfalls als Vorgriff auf die endgültige Verdammnis. Mit dieser Lehre wird u.a. der wirtschaftliche Aufschwung des (protestantischen) Nordens Amerikas im Vergleich zum (katholischen) Süden Amerikas begründet. Doch diese „calvinistische Lehre“ ist de facto auch Grundbestand „katholischer Realpolitik“ - zumindest in den vergangenen Jahrhunderten.

 

Ein Beispiel mag dies illustrieren:

Auf dem Weg von Bambamarca in eine abgelegene Comunidad traf ich auf einen Campesino, mit dem ich ins Gespräch kam. Er hatte einen Radiorekorder geschultert, den er gerade in der Stadt gekauft hatte. Damit dies auch alle bemerkten, war die Lautstärke entsprechend hoch eingestellt. Voller Stolz erzählte er mir, welche Opfer er für diesen Kauf gebracht hatte und wie er nun in seiner Comunidad deswegen geachtet werden wird. Er lud mich spontan in seine Hütte ein, um mitzuerleben, wie sich seine Familie und Nachbarn freuen werden ob der neuen Erwerbung. Er hatte sieben Kinder, alle waren barfuss, ebenso seine Ehefrau.

Um den Radiorekorder kaufen zu können, hatte er seine einzige Kuh verkauft, ohne seine Ehefrau zu fragen. Die Familie freute sich tatsächlich, den Vater wieder zu sehen. Der Mann erklärte mir auf meine Fragen, warum dieser Radiorekorder so wichtig für ihn war: Er wollte endlich auch als Mensch geachtet und anerkannt sein. Und er glaubte, wenn er etwas kaufen kann, was ansonsten nur die Weißen in der Stadt haben, wäre er bald auch wie einer von ihnen und er hätte allen bewiesen, dass er ein rechtschaffener Mensch sei und dass er Gott dafür dankbar sei, dass dieser ihn nun erhört habe.

 

Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall. Viele Untersuchungen und auch persönliche Erlebnisse mit den Campesinos bestätigen dies. (In Campesinogemeinschaften, die intensiver den Weg der neuen Pastoral von Bambamarca seit 1962 mitgegangen sind, sind solche Beispiele viel weniger anzutreffen, dazu mehr an anderer Stelle). Um das Verhalten dieses Campesinos zu verstehen und deuten zu können, muss man deren Geschichte und Situation verstehen (verstehen ist mehr als wissen). Aus der Sicht vieler Campesinos beruht die Vorrangstellung der Weißen auf deren Allianz mit Gott (und umgekehrt).

Der Gott der Weißen erwies und erweist sich stärker. Wie sollte es sonst möglich gewesen sein, dass die eigenen Götter gestürzt wurden, dass die Weißen so mächtig sind, dass sie scheinbar alles können und wissen und dass sie mit unendlichen Reichtümern und Fähigkeiten gesegnet sind? Sie selbst dagegen sind die Verlierer, die Götter haben sich von ihnen abgewandt und der Gott der Weißen ist nicht auf ihrer Seite, sondern gegen sie. Um den Zorn des allmächtigen weißen Gottes zu besänftigen, muss man ihm viele Opfer bringen.

 

Nach Jahrhunderte währender Unterdrückung haben viele Campesinos dies so verinnerlicht, dass sie sogar daran zweifeln, ob sie in gleicher Weise Mensch sind wie die Weißen. Denn Gott schenkt den Weißen alles, ihnen selbst aber wird alles genommen. Sie haben aus irgendeinem Grunde, den sie sich nicht erklären können, Schuld auf sich geladen und sind nun zu Armut und Knechtschaft verdammt - Gott wird schon wissen warum. Sie erfahren sich als Sünder und als unwürdig, als zu nichts würdig und zu nichts fähig. Nur wenn sie ihr Schicksal demütig ertragen, haben sie die Chance, vielleicht doch noch das Wohlgefallen Gottes (und der Weißen, ihrer Herren) zu verdienen.

Wenn nun aber ein Campesinos bereits in diesem Leben es so weit gebracht hat, dass er etwas haben kann, was sonst den Weißen in der Stadt vorenthalten ist, so kann dies ein Zeichen dafür sein, dass er nun das Wohlgefallen Gottes gewonnen hat. Etwas profaner gesagt: wenn ein Campesino etwas Bestimmtes kaufen kann, wenn er sogar in der Stadt wohnen kann, dann hat er Anteil am Leben der Weißen, d.h. er hat dann Anteil am eigentlichen Menschsein, an der „Fülle des Lebens“, die ihm als Indio, als Ausgestoßener des Systems, sonst vorenthalten bleibt. „Je mehr Dinge ich kaufen kann, desto mehr Mensch bin ich.“

 

Und genau dies ist das grundlegende Dogma des Kapitalismus, der notwendigerweise auch auf permanente Erweiterung seiner Herrschaft, auf Weltherrschaft ausgerichtet ist. Nur wenn ich Geld habe, kann ich meiner Bestimmung als Verdammter und Ausgestoßener (ausgestoßen von Gott und der Welt) entkommen und zu einem anerkannten Jünger und zu einem Weltbürger mit dem ihm zustehenden Rechten, werden (16).

Der gewaltsame Einbruch der Europäer hat das Weltgefüge der Indios so durcheinander gebracht, dass sie die „Religion“ der Europäer akzeptiert haben, ohne sie je zu verstehen. Die europäischen Missionare mögen die beschriebene Lehre den Indios so nicht vermittelt haben, in der Praxis haben sie aber die Herrschaft der Europäer so erfahren wie geschildert. Zudem ist festzuhalten, dass es nicht zuerst die Worte sind, die Menschen überzeugen, sondern die Taten. In diesem Sinne waren die Eroberer mit ihren Gräueltaten (wie in Cajamarca der erste Großgrundbesitzer Melchor Verdugo) die eigentlichen „Missionare“, die Verkünder der Botschaft von der Einzigartigkeit der Europäer und ihrer Religion. Und diese Auffassung von Religion (Gott auf der Seite der Weißen etc.) konnte um so mehr Fuß fassen, je öfter die offiziellen Vertreter dieser Religion an dem Tisch der Mächtigen gesehen wurden bzw. diese als eine Einheit oder gar als identisch mit den Sklavenhaltern wahrgenommen wurden.

Wie an diesem Beispiel des Campesinos gezeigt werden kann, verschmelzen sich die beiden Grundprämissen der neuzeitlichen Religion: der Arme ist selbst schuld und die Armut ist eine gerechte Strafe Gottes. Die Verschmelzung der beiden Ursprungsmythen fand ihre Konkretisierung in der Allianz der Kirche mit den Mächtigen auf Kosten der Indios (und Afrikaner, Asiaten etc.). Dabei ist es unwichtig festzustellen, was zuerst da war: der Mythos (als erfundene Rechtfertigung der Herrschaft) oder die Praxis (als Konsequenz des Mythos).

 

Diese beiden Mythen kann man als die beiden Grundsakramente des Kapitalismus bezeichnen, analog zu den beiden Grundsakramenten der katholischen Lehre, der Taufe und der Eucharistie (Kirche als Zeichen des Heils). Deren Annahme und Akzeptanz ist die Vorausbedingung für die Aufnahme in die Gemeinschaft derer, denen das Heil zugesagt ist. Das Annehmen der Botschaft (das Hören) führt zu einer bestimmten Praxis und zu einer Orientierung an Lebensinhalten und Lebenszielen, die von der jeweiligen „Wertegemeinschaft“ vorgegeben werden.

Im Falle des Kapitalismus sind dies die schon erwähnten Fixierungen auf äußerlich messbaren Erfolg und auf materielle Werte mit ihren jeweiligen austauschbaren Symbolen (für Männer z.B. die Macht, sich Sex oder gar „Liebe“ kaufen zu können). Diese Werte gewinnen aber nur dann ihre eigentliche Bedeutung, wenn sie öffentlich dargestellt oder gar öffentlich zelebriert werden können. Einfacher ausgedrückt: der Kauf eines bestimmten Markenartikels kann das sichtbare Zeichen der Anteilhabe an den Segnungen des Systems (vergleichbar: Anteilhabe an der Gnade Gottes) sein: also eine sakramentale Handlung.

Im Folgenden werden zusätzlich zu den beiden „Grundsakramenten“ fünf weitere Heilsverheißungen des Kapitalismus (insgesamt sieben) - in ihrer Konkretisierung am Beispiel der Goldminen von Cajamarca - vorgestellt und auf dem Hintergrund der Erfahrungen in Cajamarca auf die Probe gestellt.

 

1. „Die Bergbauunternehmen (wie alle Unternehmen) dienen der Entwicklung der Region, in der sie tätig werden“.

In Cajamarca wurde den Comunidades versprochen, dass sie durch die Investitionen der Mine die Chance erhielten, Anschluss an die moderne Zeit zu finden. Neue Straßen, Schulen, Arbeitsplätze usw. wurden für die Campesinos in Aussicht gestellt. Um beim Beispiel des erwähnten Campesinos zu bleiben: durch das Auftreten der Minengesellschaft können nun bald viele Campesinos einen Radiorekorder kaufen. Dadurch werden sie im eigentlichen Sinne zu modernen Staatsbürgern.17 Nun ist es aber Ziel jedes Unternehmens (erst recht wenn es wie Newmont Mining an der Börse - Wallstreet - notiert ist) mit möglichst wenig Einsatz (Investition) möglichst viel Gewinn zu machen.

Die Rangliste der Top - Unternehmen (auch an der Börse in Lima) wird nach den Kriterien des Shareholder Value bzw. des Verhältnisses von Investition zu Ertrag aufgestellt und nicht nach dem Kriterium Investition zu Sozialleistungen. Die „Buenaventura S.A.“ (allein der peruanische Anteil an der Mine) steht in der Rangliste der Top 500 in Peru an vierter Stelle. Nach dieser These können logischerweise alle diejenigen, die z.B. gegen die Ausweitung der Minentätigkeiten, für mehr Umweltschutz etc. leicht als „Feinde des Fortschritts“ gebrandmarkt werden, die letztlich das Wohl der Gesamtheit aus kleinkariertem Denken heraus gefährden (18).

 

Im Zusammenhang mit der genannten These wird oft noch als weiteres Argument (auch in Cajamarca) genannt, dass durch neue Investitionen (Industrieansiedlungen u.a.) der Wettbewerb in der Region gefördert wird, was wiederum zu einem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung in der Region führen wird. Mag dies in bereits dicht industrialisierten Gebieten in der „Ersten Welt“ (z.B. in Sachsen) zutreffen oder auch nicht - in Cajamarca kann jedenfalls davon keine Rede sein.

Wie auch noch im Falle der versprochenen Arbeitsplätze zu sehen sein wird, führt die Existenz der Mine in der Region Cajamarca nicht zu einem Aufschwung z.B. in der Zuliefererindustrie, im Handwerk etc., sondern eher zu einer Verknappung der Ressourcen (ein weiteres Grundprinzip des Kapitalismus) und damit zu einer erheblichen Verteuerung. Eine Gesamtkonzeption für die Entwicklung der Region könnte dies verhindern bzw. in konstruktiver Zusammenarbeit mit der Mine könnten bestimmte Impulse und Anreize geschaffen werden, doch weder Mine noch staatliche Stellen haben daran ein Interesse.

 

2. „Die modernen Bergbauunternehmen liegen auf die Erhaltung der Umwelt größten Wert“,

 

weniger diplomatisch: „Die Zerstörung der Natur ist der Preis für den Fortschritt“. Die bei Cajamarca angewandte Abbaumethode ist zwar eine der modernsten der Welt und die Investitionen in entsprechende Schutzmaßnahmen sind höher als in alten Bergwerken. Die Unternehmen investieren mehr in Umweltschutzmaßnahmen. Dies geschieht unter dem internationalen Druck der Öffentlichkeit und von Regierungen, die hohe Schadensersatzforderungen im Falle einer Katastrophe stellen. Für Unternehmen ist es rentabel und imagefördernd geworden, ein Minimum in Umweltschutz zu investieren und ein Maximum an Propaganda daraus zu machen. Über den Widerspruch zwischen Propaganda und Realität ist noch zu berichten.

Im Übrigen gilt auch hier, dass Investition und Profit im rechten Verhältnis stehen müssen. So kann in Cajamarca ein radikaler Wandel in der Öffentlichkeitsarbeit der Goldmine festgestellt werden. Die gesamte Personal der Presse - und Marketingabteilung der Mine wurde bis zum Jahr 2001 ausgewechselt. Nach den seit 1999 immer stärker werdenden Protesten gegen die Mine, geht diese nun in die Offensive und erklärt sich selbst zum obersten Beschützer der Natur (siehe auf der Homepage der Mine, ebenso auf etlichen Werbeprospekten etc.) (19).

 

3. „Die Investitionen von Unternehmen bzw. deren Ansiedlung in der Region schaffen neue Arbeitsplätze“.

 

Die Erfahrungen in allen Teilen der Welt sprechen dafür, dass Unternehmen nicht zuerst das Wohl bzw. die Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten im Auge haben. Selbst der Papst klagt dies immer wieder an und mahnt in den Sozialenzykliken, dass der Mensch im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen sollte. Vielmehr zeichnet sich ein erfolgreiches Unternehmen gerade dadurch aus, dass es mit möglichst wenig Personal ein Höchstmaß an Effizienz erreicht und von den Beschäftigten werden als besondere Tugenden Flexibilität und bedingungslose Leistungsbereitschaft erwartet (dieser Aspekt wird noch verschärft durch die seit dem Jahr 2000 anhaltende weltweite Finanzkrise).

Auch der Goldabbau bei Cajamarca wird mit der derzeit modernsten Technologie betrieben. Dies ist umso bemerkenswerter in einem sozialen Umfeld, in dem eine Masse von billigen Arbeitskräften zur Verfügung steht. In anderen Industrien (z.B. Textilindustrie) wird dies als Standort- und Wettbewerbsvorteil intensiv genutzt (20). Beim Goldabbau werden aber nur wenige Menschen benötigt. Gewaltige Maschinen fressen sich durch die Berge und die Planierraupen und Lastwagen zum Abtransport werden von speziell geschulten Fahrern gesteuert, die nicht aus der Region kommen. Einige Campesinos arbeiten in der Instandhaltung der Straßen und bekommen dafür etwa 70 Dollar im Monat bezahlt. Die Konkurrenz um die wenigen Arbeitsplätze ist natürlich sehr groß und wer dennoch eine Arbeit bekommt, darf sich zu den Auserwählten zählen.

In der Mine selbst arbeiten nebenden meist ausländischen Ingenieuren mit einem Jahresgehalt von etwa 50.000 Dollar noch einige erfahrene Minenarbeiter aus den traditionellen Bergwerkzentren aus dem zentralen Hochland von Peru (Cerro de Pasco). Da die Minengesellschaft viele Arbeiten an Subunternehmen vergibt, u.a. an Züblin (Chile/Deutschland), ist es nahezu unmöglich, die Mine selbst für bestimmte Missstände verantwortlich zu machen. Eine Organisation der Beschäftigten ist von vorneherein ausgeschlossen und die wenigen Frauen, die für Küche und Reinigungsarbeiten gebraucht werden, werden eigenhändig (d.h. die Ingenieure, nicht Ärzte - legen Hand an) z B. auf heimliche Schwangerschaft untersucht. Frauen sprechen zwar in vertrauensvollen Gesprächen von sexuellem Missbrauch vor allem seitens der aus Zentralperu verpflichteten Facharbeiter, sie trauen sich aber nie, diesen Missbrauch öffentlich zu machen.

 

4. „Wenn die Unternehmen gute Gewinne machen, kommt dies allen Menschen, besonders aber den Armen zugute“.

 

Diese Verheißung ist eine der ältesten Verheißungen und sie stand bereits am Anfang der industriellen Revolution. Mögen bei Adam Smith vor dem anbrechenden industriellen Zeitalter noch humanitär - liberale Motive eine Rolle gespielt haben, so ist die ständige Wiederholung dieses Wirtschaftsdogmas angesichts steigender Armut und zunehmender „Freisetzung von Arbeitskraft“ purer Zynismus. So wurden z.B. den Campesinos von Combayo zu Beginn des Jahres 1993 dreißig Dollar pro ha Land angeboten. Dieses Angebot war begleitet von der Drohung, wenn sie ihr Land nicht verkaufen, würde es vom Staat ohne Entschädigung enteignet werden, denn die Gesetze seien auf der Seite der Mine.

 

Zudem wurde den Campesinos dieser Comunidad versprochen, dass alle in der Mine Arbeit finden würden, wo sie viel mehr verdienen würden als je zuvor. Die Campesinos verkauften ihr Land. Doch nur acht Campesinos fanden Arbeit in der Mine (Straßenbau) - ohne Arbeitsvertrag, einem Subunternehmer ausgeliefert, mit einer Arbeitszeit von 6.30 - 16.30 (20 Minuten Mittagpause), einem monatlichen Lohn von 200 DM (zu Arbeitsbeginn wurden 350 DM versprochen), Essen und Unterkunft mussten teuer bezahlt werden (der Lohn wurde in Essensgutscheinen ausgezahlt), eine Versicherung wurde trotz Versprechen nicht abgeschlossen. Sie protestierten, dass sie kein Geld ausgezahlt bekamen, sondern ihnen stattdessen Schulden angeschrieben wurden, weil ihre Essensrechnung höher sein sollte als der ihnen zustehende Lohn. Daraufhin wurden sie nach 18 Monaten Arbeit ohne Urlaub und ohne jede Bezahlung entlassen, die Schulden wurden ihnen wenigstens „großzügig“ erlassen.

Durch die harte körperliche Arbeit in über 4.000 m Höhe und einer nicht ausreichender Verpflegung (vor allem Mangel an Flüssigkeit) sind viele krank geworden, ein Arzt ist für sie nicht erreichbar. Heute leben über die Hälfte dieser Familien von Combayo am Stadtrand von Cajamarca im Elend und auch die übrigen Familien leben in größerer Armut als zuvor. Wenn eine neue Studie (1998) der „Organisation der amerikanischen Staaten“ (OEA) feststellt, dass im Jahre 2000 die Mehrheit der Lateinamerikaner ärmer sein wird als 1980, so bildet Cajamarca - trotz oder wegen der Mine - keine Ausnahme, wie später noch zu sehen sein wird (21).

Selbstverständlich gibt es auch einige Familien in Cajamarca (und sogar einige Campesinos), die durch die Anwesenheit der Mine profitiert haben. Solche Beispiele werden dann immer als Beleg dafür herangezogen, dass der Mythos tatsächlich funktioniert (und kein Mythos ist, sondern Realität - ein derartiger „Beweis“ ist vergleichbar mit dem „Beweis“ der Existenz Gottes durch Wunder). Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Campesino XY besonders clever war (leistungsbereit, risikobereit, flexibel, aufgeschlossen für die Moderne etc.), während die anderen eben nicht ihre Chance zu nutzen wussten.

 

5. „Die Unternehmen legen Wert darauf, zu den Kommunen und Bürgern gute Kontakte zu pflegen und das soziale und kulturelle Leben der Bürgerschaft zu fördern“.

Yanacocha S.A. als das profitabelste Bergwerksunternehmen Perus und unter den Top 10 der Goldabbauunternehmen der Welt, legt auch in Cajamarca Wert auf ein soziales Image.22 Dies wird gepflegt, in engem Kontakt mit den Honorationen der Stadt und der Kirche, durch Stiftungen an Schulen (Computerausrüstung), an die Kirche (Bischof) und an das Krankenhaus (neue Geräte). Auch zu den Medien bestehen gute Kontakte und es werden kulturelle Events gesponsert. Deshalb hat die Mine einen guten Ruf bei den einflussreichen Familien der Stadt. Einladungen und Empfänge mit den ausländischen Ingenieuren sind glanzvolle gesellschaftliche Ereignisse.

Was wirklich in den Minen geschieht, vor allem was mit den Campesinos und den Arbeitern geschieht, spielt bei diesen gesellschaftlichen Events keine Rolle. Die Mine hat zudem das Informationsmonopol in allem, was die Mine betrifft. Selbst wenn einige der Wohltaten der Mine tatsachlich den Ärmsten zugute kommen sollten, dann liegt dies in der alten und bewährten Tradition karitativer Tätigkeiten, die den Menschen nun ein Pflaster reichen für die Wunden, die sie ihnen selbst vorher zugefügt haben.

 

Die Campesinos von Combayo und Porcón gehören wohl nicht zu den Bürgern, mit denen man gute Kontakte pflegen muss. Als die Präsidentin der nationalen Kommission für Menschenrechte, Sofía Macher, die Campesinos besuchte und kurz danach am 1.7. 1998 die Augenzeugenberichte der Campesinos im TV-Programm in Lima erschienen, wurden wenigstens einige Bürger in Cajamarca wachgerüttelt, denn was die Campesinos zu berichten hatten, war ihnen nicht bekannt (obwohl dies täglich vor ihrer Haustür geschieht - wenn es aber im TV aus Lima präsentiert wird, dazu noch vom populärsten Polit-Moderator César Hillenbrandt moderiert, erst dann wird es wahrgenommen).

 

Beispiele aus den Augenzeugenberichten, die im Fernsehen gesendet wurden: „Sie sagten mir, ich solle das Land verkaufen, aber ich wollte nicht. Sie sagten, wenn es nicht im Guten geht, dann eben auf die andere Tour. Das Land gehört euch nämlich gar nicht, denn alles Land, das für Minen geeignet ist, gehört dem Staat“. „Ein anderer sagte mir: ‚Verkauf mir dein Land“, doch ich sagte ihm: ‚Ich kann das nicht, Herr Ingenieur, denn darauf halte ich meine Tiere, ich tue dies, damit ich meine Kinder ernähren kann’ und ich weinte in seinem Büro. Doch er sagte mir nur: ‚Also gebe ich dir gar nichts, wenn du unser Geschenk nicht annimmst, dann bekommst du eben gar nichts.“ „Sie sagten uns: ‚Wenn ihr uns innerhalb einer Woche nicht das Land übergibt, kommen wir mit Polizisten und werfen euch vom Land; aber wir sind keine Unmenschen, wir hinterlegen den Kaufpreis auf der Bank und wenn ihr wollt, könnt ihr es dort abholen und wenn nicht, dann habt ihr kein Geld und kein Land’. Für 100 ha gaben sie uns 5.000 Soles, doch mit diesem Geld können wir uns nichts kaufen, es reicht noch nicht einmal für ¼ ha Land weiter unten“.

Die Ingenieure waren Peruaner (Städter) und der geschilderte Umgang mit den Campesinos ist in der Weise allgemein üblich. Durch Vermittlung der Pfarrer von Porcón (wie bereits geschildert) konnten einige Härtefälle gemildert werden. Auch Beschwerden direkt bei der Newmont Mining Co. hatten Erfolg, denn das ausländische Unternehmen fürchtete um sein gutes karitatives Image (23).

 

c) Vergleich von kirchlichen (24) und kapitalistischen Mythen

 Es ist hier nicht der Ort, um über die Unterschiede und die verschiedene Heilsverheißungen, z.B. zwischen christlichem Glauben und Kapitalismus, zu sprechen. Festzuhalten ist, dass es verschiedene Grundannahmen, Werte und Methoden gibt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Man kann davon träumen, dass die Menschen eines Tages „friedlich wie die Fische im Wasser“ (H. Marcuse) zusammenleben werden oder realistischerweise davon ausgehen, dass die großen Fische immer die kleinen Fische fressen werden (wo denn außer im Aquarium leben die Fische wirklich friedlich zusammen?).

Mit diesen Grundannahmen verbunden sind fundamentale Einstellungen zur Rolle des Menschen (Menschenbild), der Sicht und Deutung der Welt (Weltanschauung), zur Frage nach Leben und Tod, Sinn des Lebens usw. Darüber gilt es zu streiten, sich auseinander zu setzen, sich hinterfragen zu lassen und man wird gezwungen, seine eigene Anschauung rational, d.h. sachgerecht und praxisnah, zu begründen. Werden jedoch die Grundannahmen zu unantastbaren, unveränderlichen oder göttlichen Heilswahrheiten erhoben, ist ein rationaler Dialog nicht mehr möglich, bestenfalls „ein zur Kenntnis nehmen“ (was oft schon viel wäre). Der Mythos hat seine „rationale“ Begründung in dem Willen derer, die eine bestimmte Wirklichkeit so wahrnehmen wollen, wie es ihnen am meisten behagt oder am ehesten zum Vorteil gereicht.

 

Auf diese Weise kann diese bestimmte Wirklichkeit (oder auch die Wirklichkeit an sich) niemals Gegenstand der Kritik sein und es kann auch kein Wahrnehmen einer anderer Wirklichkeit geben, weil es diese ja gar nicht geben darf oder geben kann. So wird auch der real existierende Kapitalismus (neumodisch: Neoliberalismus) als die einzig denkbare Art und Weise der Weltgestaltung und des Zusammenlebens der Menschen betrachtet. Dies geschieht umso mehr, als eine scheinbare Alternative kläglich gescheitert ist. Jede Alternative zu diesem System wird, weil als absurd geltend, erst gar nicht mehr diskutiert.

Die Sieger sprechen stetig von ihren Erfolgen und können so gar nicht mehr wahrnehmen, dass die Zahl der Verlierer (nicht nur der Menschen, auch der Schöpfung insgesamt) immer mehr zunimmt. Wer z.B. davon spricht, dass die Armen selbst schuld an ihrem Elend sind, der kann dann nicht mehr die eigentlichen Ursachen des Elend wahrnehmen, geschweige denn die Armen als Subjekte wahrnehmen - z. B. die Mutter, die um fünf Uhr morgens aufsteht, Wasser am Fluss holt, Wäsche wascht, Brennholz sucht, auf den Markt geht, um drei Tomaten zum Kauf anzubieten und die sich um 22 Uhr todmüde auf ihre Matratze aus Stroh legt und daran denkt, was sie ihren Kindern morgen zum Essen geben kann.

 

Eine weitere Version eines derartigen ideologischen Diskurses ist die Politik, nach der die armen Menschen der armen Länder ihre Gürtel enger schnallen müssen, damit sie fit gemacht werden können für den Wettbewerb in der globalen Gesellschaft, um so einen Weg aus ihrer (selbstverschuldeten) Armut zu finden. Dahinter steht, wie schon vorher beschrieben, die Auffassung, dass erst einmal Reichtum angehäuft werden muss, damit dann die Armen eine Chance erhalten, zu Arbeit und Brot zu kommen.

Wenn es nämlich z.B. mehr Autos auf den Straßen gibt, dann gibt es auch mehr Möglichkeiten für Straßenkinder, im Stau vor der Ampel die Scheiben der Autos zu wischen und damit Geld verdienen zu können. Gleichzeitig bekommt das Kind das Bedürfnis vermittelt, selbst einmal in einem solchen Auto sitzen zu können, weil man nur dann wirklich Mensch ist. Und wenn das einfache Volk erst einmal etwas Geld hat, dann gibt es auch mehr Möglichkeiten, dieses Geld auszugeben, was wiederum z.B. der Unterhaltungsindustrie, der Freizeitindustrie (mehr Diskotheken, multimediale Geräte, Bordelle) zugute kommt, die dann ebenfalls mehr Arbeit bietet.

 

So entsteht ein Kreislauf, der immer mehr Menschen in Brot und Arbeit bringt und der damit zu einem steigenden Wohlstand für alle führt. Verkünder dieser Frohen Botschaft sind ist u.a. der IWF und die Weltbank, die den armen Ländern zu deren eigenen Wohl und Rettung Strukturanpassungsmaßnahmen vorschreiben, nach denen zuerst alle sozialen Programme, weil nicht produktiv, gestrichen werden müssen, damit es später allen besser geht (falls sie es überlebt haben). An diesem Gesetz geht kein Weg vorbei, denn die Wirtschaft funktioniert nach den Gesetzen des Marktes und der ist blind (er ist wertneutral). Wer gegen den Markt handelt, geht unter. Dies wird als ein unumstößliches Naturgesetz hingestellt. Damit wird jeder Versuch, dieses Modell zu hinterfragen oder gar von den Opfern her zu deuten, als Wahnsinn betrachtet, d.h. es ist der Kritik entzogen: IWF dixit! (Der IWF hat gesprochen!).

Dabei geht es im Grunde vielleicht um etwas ganz anderes, z.B. dass dieBanken möglichst lange viele Zinsen kassieren wollen, dass man die Armen unter Kontrolle behalten und die armen Länder „reif“ für rentable Investitionen machen will, usw. Auch der begründete Hinweis, mathematisch nachvollziehbar, dass die verschuldeten Länder schon längst mehr an Zinsen zurückbezahlt haben als sie je an Kredit erhalten haben und trotzdem auf immer höheren Schulden sitzen bleiben, wird mit dem richtigen Hinweis begegnet, dass es um das Prinzip gehe. In der Tat ist es dieses Prinzip (Mythos), das über allem steht, das verabsolutiert wird und das als die Wahrheit schlechthin verkündet wird.

 

„Damit sind die Bergwerke bei diesen Barbaren eine gute Sache; denn Gott hat sie gegeben, damit sie ihnen Glauben und Christenheit brächten - den Fortbestand in ihr und zu ihrer Rettung“ (25). In diesem Satz (und Geisteshaltung, Standort) gehen in idealtypischer Weise die beiden Mythen ineinander über. Wer dagegen ist, ist des Teufels. Im 16. Jahrhundert haben die Theologie und die christlichen Herrscher versucht, Bartolomé de Las Casas als Abtrünnigen zu diffamieren, weil er die Indios verteidigte und er daher gegen die Ausbeutung der Bergwerke war. Konsequenterweise kamen die damaligen Hoftheologen zu dem Schluss, dass der Teufel ein existentielles Interesse daran haben muss, die Schätze vor den Europäern zu verstecken bzw. Menschen als Werkzeuge zu finden, die dies in seinem Namen tun.

Wenn Bartolomé de Las Casas (und mit ihm einige wenige „Irrgeleitete“) die Indios vor dem Tod in den Bergwerken bewahren will, verhindert er gemäß dieser Logik, dass sie das Evangelium kennen lernen, Gott begegnen und so gerettet werden können. Ohne die Anwesenheit und den Religion der Europäer (heute: die Goldmine mit ausländischen Kapital und Knowhow) würden die Barbaren wieder dem Götzendienst verfallen (Götzendienst heute: Subsistenzwirtschaft, staatliche Programme zur Sicherung der Grundbedürfnisse, Grundnahrungsmittel etc.).

 

So kann García de Toledo über Las Casas schreiben: „Deshalb nahm sich der Teufel diesen Ordensmann zu seinem Werkzeug, damit er die Minen und Schätze verstecke“ (a.a.O. S. 148). Und der aktuelle Bischof von Cajamarca darf im Namen der Kirche über seinen Vorgänger, den „Bischof der Indios“ sagen, dass dieser die Indios um das ewige Heil gebracht habe, weil sie bei ihm das Beten vergessen hätten. Dagegen würde er sich wirklich um das ewige Heil der Indios kümmern, weil er ihnen die Möglichkeit gebe, regelmäßig die Sakramente empfangen zu können (vgl. in der Einleitung zu der Option für die Armen). Es sind letztlich die „von oben“ - sei es von den Verkündern des „freien Marktes“, sei es von den Verkündern der „reinen Lehre“ - gewährten Sakramente, die den Gläubigen das Heil garantieren.

Toledo macht eine weitere aktuelle Aussage: „Die Predigt des Evangeliums und die Bewahrung, die - so sage ich - Gott sind, wären unmöglich ohne den katholischen König“. ... Mithin sind die Minen, moralisch betrachtet, nachgerade notwendig, damit es hier einen König gibt; denn ohne sie würde er sich nicht halten, und ohne Seine Majestät hätten wir kein Evangelium. Also sind sie heilig und gut; nur völlig blinde Menschen könnten das bestreiten - und die Boshaftigkeit des Teufels und seines Werkes“ (a.a.O. S. 150/151).

 

Es ist der „katholische König“ (weltweiter Imperator), der die Verkündigung des Evangeliums und damit das Heil garantiert und umgekehrt garantieren die Verkünder des Evangeliums dem König seine Macht. Nimmt man hier wieder das Wort „katholisch“ in seiner ursprünglichen Bedeutung, die es auch im 16. Jahrhundert im Verständnis der Spanier hatte, so stellt sich die Frage nach dem aktuellen „König“ (Herrscher) dieser alten und neuen Weltordnung - und in welchen König die Christen schließlich ihr uneingeschränktes Vertrauen setzen bzw. sich uneingeschränkt solidarisieren. Von Kaiser Augustus und der „Pax romana“ bis zur heutigen „Pax americana“ führt eine gerade Linie - mit dem Unterschied, dass damals Jesus und seine Jünger von den „Römern“ gekreuzigt wurden, während viele seiner „offiziellen Jünger“ heute selbst zu „Römern“ geworden sind.


 

Anmerkungen

(1) Der Titel ist auch eine bewusste Anspielung auf die Novelle von Jakob Wassermann (1873-1934), „Das Gold von Caxamalca". Es geht nicht nur um ein bestimmtes historisches Ereignis, sondern um eine Geisteshaltung, die heute noch so aktuell ist wie 1532. Dies zu zeigen, ist auch das Anliegen von Wassermann, auch wenn er von unkritischen Vorstellungen über die Inkas ausgeht. Aus dem Verlagstext (Reclam) zur Novelle: „Die Novelle hat einen historischen Hintergrund, der als Basis für die Handlung fungiert: Die gesamte Handlung über raubmorden die Spanier unter den Indios, dies alles unter dem Tarnmantel eines ‚christlichen’ Kreuzzuges gegen die ‚ungläubigen Indios’. Ihre Aufforderung an Atahualpa, sich dem christlichen Glauben zu unterwerfen, ist bitterste Ironie angesichts ihrer Vergehen. Dollpunkt der Novelle ist das negative Bild der Europäer, das durch den extremen Gegensatz zwischen Atahualpa, dem Sympathieträger der Novelle, und den brutalen, unchristlichen Eindringlingen die Schuld am Unglück der Kolonialvölker auf alle Europäer ausweitet“.

(2) Leónidas Proaño, Bischof von Riobamba, Ekuador (29. 1. 1919 - 31. 8. 1988), in „El profeta del pueblo“, eine unveröffentlichte Textsammlung.

(3) G. Gutiérrez: Gott oder das Gold - Der befreiende Weg des Bartolomé de Las Casas, Herder Freiburg 1990. Diese Alternative, Gott oder das Gold, hat heute seine Gültigkeit. Nach dem „Evangelium der Herren dieser Welt“ verdankt es Cajamarca nur dem Gold, dass dort jetzt die moderne Zivilisation Einzug halten kann. Ausländisches Kapital wird zum Segen für die Menschen von Cajamarca. Wenn diese sich aber diesem „Bundesschluss“ verweigern, kommt das Gericht über sie - so die Verkündigung der Propheten der Freiheit des Kapitals.

(11) „Ihrem Wesen nach sind Sakramente ... aus Materie (Element, res) und Form (Wort) zusammengesetzte ‚sichtbare’ Zeichen oder Symbole der ‚unsichtbaren’ Gnade. Sie sind Gnadenmittel, die als ‚heiligmachende Kraft’ bzw. ‚Instrumentalursache’ die ihnen eigentümliche Gnade so bezeichnen und ‚enthalten’, dass diese ‚ex opere operato’ ... hervorbringen“. Raphael Schulte in: Herders Theol. Taschenlexikon, Hg. Karl Rahner, Herder 1973. sondern verbindliche Zusagen des Heils. Als solche sind sie aber immer ein Geschenk, der Mensch hat keinen „Rechtsanspruch“ darauf, aber jedem Menschen (weil alle in gleicher Weise Ebenbild Gottes sind) wird das Geschenk angeboten (mit eingeschlossen die Fähigkeit, das Angebot zu hören und anzunehmen oder auch abzulehnen und sein eigenes Heil suchen wollen).

(12) Die Globalisierung ist Ausdruck und logische Folge des Kapitalismus. „Der einzige Produktionsfaktor, dem es erlaubt ist, uneingeschränkt global zu agieren, ist das Kapital. Dagegen haben z.B. die Faktoren Arbeit und Technologie nicht diese Freiheit. Diese wird durch strenge Einwanderungsbestimmungen und rigider Schutz des geistigen Eigentums beschnitten. Dieser falsche Liberalismus begünstigt mehr die Freiheit des Geldes als die Freiheit der Individuen“. Oswaldo de Rivero: “El mito del desarrollo” S. 184, Fondo de cultura económica, Lima 2001.

Kapitalismus ist per se - auch ohne dessen konkrete sozialen Auswirkungen zu berücksichtigen - gottlos und daher menschenfeindlich.

(13) Pablo Richard, Die Theologie in der Theologie der Befreiung, in Mysterium liberationis Band 1, S.200

(14) Unter der Überschrift „Für eine Wirtschaft im Dienst des Lebens“ erschien in Publik-Forum 1/2003 ein Aufruf von „Kairos Europa“ und vielen anderen christlichen Organisationen: „Die ökonomische Globalisierung ist von einer Logik geleitet, die der Anhäufung von Kapital, uneingeschränktem Wettbewerb und der Sicherstellung von Gewinn in enger werdenden Märkten Priorität gibt. ... Kirchen, die an dem ökumenischen Prozess teilgenommen haben, bekräftigen, dass die Ideologie des Neoliberalismus unvereinbar ist mit der Vision der oikoumene, der Einheit der Kirche und der ganzen bewohnten Erde. ... Was hier auf dem Spiel steht, ist die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses der Kirchen und ihrer Verkündigung Gottes, der mit den Armen und für die Armen da ist“.

(15) Thomas Ruster setzt sich in „Der verwechselbare Gott“ (Quaestiones Disputatae 181, Herder 2000) mit Walter Benjamin und dessen Thema „Kapitalismus als Religion“ auseinander (S. 124 - 142). Einige Stichworte: „Kapitalismus ist darin Religion, dass keine Erfahrung mehr außerhalb des Kapitalismus möglich ist. Alles, was ist und sein kann, steht in einer ökonomischen Funktion“. „Der Kult des Kapitalismus ist der geldvermittelte Warenaustausch. Dessen Zweck ist das ‚Wachset und mehret Euch’ des Kapitals; das ist sein einziger Zweck, sein Selbstzweck, daher ist er reine Kultreligion“. „Geld ist allgegenwärtig und allmächtig. Und es lässt die, die ausreichend über es verfügen, an diesen göttlichen Attributen teilhaben“. Im Unterschied zu Ruster bin aber ich der Auffassung, dass der Kapitalismus doch seine Dogmen hat, festzementierte Glaubenssätze (vgl. ff). Wenn aber in der Theologie (auch unterschiedlicher Religionen) Gott selbst als die „alles bestimmende Wirklichkeit“ bezeichnet wird, als ein Gott, der diese Wirklichkeit und Welt „lenkt und leitet“, dann ist eine Beschäftigung mit den Regelndes „weltweiten Marktplatzes“ Theologie und eine solche Theologie ist notwendig.

(16) Dazu mehr in dem Kapitel: Die Menschen von Cajamarca und ihr Glaube (insbesondere die Abschnitte zu andinen Kosmovision und zur Heiligenverehrung als Rechtfertigung der Herrschaft ).

(17) Es ist auch ein Grundprinzip von staatlicher Entwicklungshilfe, möglichst vielen Menschen den Zugang zum Weltmarkt zu verschaffen, d.h. dass sie ihre Produkte „marktgerecht“ verkaufen um dadurch die Mittel zu erhalten, an den „Segnungen der Zivilisation“ teilhaben zu können. Jede deutsche Bundesregierung hat bisher damit ihre Entwicklungshilfepolitik begründet. Eine solche Politik liegt selbstverständlich auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, die existentiell auf den Export angewiesen ist.

(18) Der Besitzer von Buenaventura S.A., R. Benavides, erklärt in der Wochenzeitung „El Clarín“ (Cajamarca) vom 23. 8. 2002, dass die Proteste gegen die Mine den Wohlstand aller Menschen von Cajamarca gefährden würde. Benavides: „Was uns große Sorgen macht ist, dass durch eventuell erhöhte Produktionskosten, verursacht durch höhere Abgaben und verschärfte Umweltauflagen, die Produktivität der Mine nicht mehr gewährleistet wäre. Massive Entlassungen wären die Folge. Und durch geringere Gewinne würde die Stadt weniger Steuern einnehmen“. Mit solch global „gültigen“ Aussagen erweist sich Benavides als würdiger „Hoher Priester“. Seine enge Freundschaft mit dem Bischof von Cajamarca ist auch von daher nicht zufällig, sondern logisch.

(19) Die DEG (Deutsche Investitions - und Entwicklungsgesellschaft) sieht dies ähnlich. In einen Protestbrief der „Informationsstelle Peru“ vom 13. 9. 2001 wegen der zunehmenden Umweltskandale im Zusammenhang mit der Mine in Cajamarca heißt es: „Es war und ist eine große Fehlentscheidung, dass die DEG sich an diesem Projekt beteiligt hat. Alle Beteuerungen, dass die Umwelt nicht gefährdet wird, haben sich als nicht haltbar herausgestellt“. Darauf antwortet die DEG (2. 10 2002): „Gerade in sozialer Hinsicht ist das Projekt (die Mine Yanacocha, an dessen Finanzierung sich die DEG mit zwei Darlehen beteiligt hat) als vorbildlich anzusehen. Die im Oktober 1998 aufgekommenen Vorwürfe hinsichtlich der Grundwasserversorgung wurden durch zwei Gutachten entkräftet. Wir sehen in dem Projekt Yanacocha ein ausgesprochen gutes Vorhaben“.

(20) Investitionen in unterentwickelten Ländern sind meist von der Steuer absetzbar, weil sie angeblich Arbeitsplätze schaffen, in Wirklichkeit aber meist die einheimische Kleinindustrie und das Handwerk in den Ruin treiben; Arme Länder - genauer deren Oberschicht - buhlen gar um die Ansiedlung großer Unternehmen mit dem Argument der billigen Arbeitsplätze - u.a. Kinderarbeit - und der niedrigen Sozial- und Umweltstandarte.

(21) Im Zuge der neuen Imagepflege des Unternehmens werden u.a. seit 2001 von der Mine Kurse für junge Menschen in Cajamarca angeboten, in denen sie gezielt für bestimmte Arbeiten in der Mine ausgebildet werden. Die Tüchtigsten bekommen dann auch eine Stelle, die überdurchschnittlich bezahlt wird. Im Jahr 2002 haben etwa 1.200 Menschen aus Cajamarca in der Mine oder deren Umfeld eine Arbeit gefunden, wesentlich mehr als vorher. Diese Angaben werden auch von Ecovida bestätigt.

(22) Es können hier nicht alle sozialen Tätigkeiten der Mine aufgeführt werden; die wichtigsten Projekte der Mine, die nun Wert legt, auch für die Landbevölkerung etwas zu tun (nach deren eigenen Angaben, hier in der landesweite Beilage der größten peruanischen Tageszeitung, El Comercio vom 31. 8. 02): Bau von 25 Grundschulen auf dem Land und Errichtung von sechs Schulküchen, Aufforstung von 3.500 ha Land, über 10.000 Campesinos aus den umliegenden Orten kamen in den Genuss einer besseren Trinkwasserversorgung. Insgesamt wurden Projekte mit einem Volumen von 18 Mill. Dollar durchgeführt, die Mine allein hat 12 Mill. Dollar investiert.

(23) Besonderes Gewicht hatte, dass durch Initiativen US-amerikanischer Umweltgruppen, die „Sache Yanacocha“ im Kongress der USA verhandelt wurde. Nachdem bekannt geworden war, dass der peruanische Eigentümer von Buenaventura S.A., R. Benavides, sehr eng mit Montesinos, Fujimori und deren Korruptionsmethoden verstrickt war und danach die US - Regierung diese Regierung wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen hatte (nachdem sie vor den ans Licht geratenen Methoden und im Wissen um deren kriminelle Geschäfte und im eigenen Interesse die Regierung Fujimori massiv unterstützt hatte), hielt es nun auch Newmont Mining Co. für ratsam, auf Distanz zu den „rustikalen Methoden“ der peruanischen Anteilseigner zu gehen und eine andere Politik einzuleiten.

(24) Unter „kirchlich“ wird an dieser Stelle die über Jahrhunderte von der Kirche praktizierte Politik im Bund mit den Herrschenden verstanden. Der folgende Vergleich bezieht sich darauf. Es geht hier vor allem um das vergleichbare Nichtwahrnehmen der Realität (von den Armen her) und dem Bestehen auf absoluten Prinzipien, z.B. dass Arme „den Gürtel enger schnallen“ sollen „um des Himmelreiches willen“. Eine besondere Rolle spielt dabei die Rolle der Schuld und des Opfers, die aber hier nicht weiter ausgeführt werden kann. etc. )

(25) Gutiérrez, a.a.O., S. 147 (Gutiérrez zitiert hier wieder den Verfasser des Gutachten von Yucay, Y 142). Las Casas hatte mehr Ansehen am spanischen Hof als dieser kurze Auszug vermuten lassen würde. De facto aber hatten seine Ausführungen in der Folge der Kolonialgeschichte keine Auswirkungen. Am Ende seines Lebens bat Las Casas den befreundeten Theologen Alonso de Veracruz, noch einmal seine Position dem „Rat für die Westindischen Länder“ einzureichen. Gutiérrez schließt sein Buch mit der Feststellung: „Veracruz hält fest, die Eingabe sei mit Teilnahmslosigkeit entgegengenommen worden; und mit einer Aufrichtigkeit, die uns heute zugleich traurig und ironisch vorkommt, merkt er an: ‚Und sie kümmerten sich keinen Deut darum, sondern sagten nur, wir werden sehen’. Genau diese Antwort aber bekommen die Armen auch heute noch auf dem Erdteil hören, den wir Lateinamerika nennen“ (a.a.O. S. 217). Las Casas starb am 18. 7. 1566 in Madrid, wo an seinem Sterbeort im Kloster Atocha nur noch eine kleine Inschrift an ihn erinnert.