Theologie
Theologie
Das Nein zum Anderen als Ursünde
Weil der Mensch, auch der schon erlöste und befreite Mensch, immer schon (noch) ein Sünder ist, eben weil er Mensch ist und nicht Gott, kann er auch nicht aus sich heraus eine völlig befreite und erlöste Welt schaffen. Seit es Menschen gibt und solange es Menschen geben wird, leben sie in der Versuchung, wie Gott sein zu wollen, über andere Menschen zu herrschen, mehr sein und mehr haben zu wollen und ihr eigenes Leben ohne Rücksicht auf andere genießen zu wollen. Theologen können das meist leicht und theoretisch und biblisch erklären und schreiben dicke Bücher darüber. Aber dies geschieht meist sehr abstrakt (als ob sich je ein Mensch ernsthaft überlegen würde: will ich sein wie oder nicht?) und geschichtslos. Erstrecht wird z.B. Missbrauch durch ökonomische Macht nicht aufgedeckt oder die Schuldigen oder Verursacher von Hunger nicht namentlich genannt. Zudem wird die Sünde meist immer noch als etwas rein Innerliches und Privates angesehen – als eine Angelegenheit zwischen „meinem Gott“ und mir. Das ist aber nicht gemeint, wenn in dieser Arbeit wie in der Bibel von „der Sünde der Welt“ gesprochen wird. Vielmehr gilt es zu zeigen, warum sich ausgerechnet im christlichen Europa ein derartiges Herrschaftsgebaren entwickeln konnte, eine „Kultur und Praxis des Todes“ die geprägt ist von der Gier nach mehr haben wollen und Macht über den Nächsten. Es gilt den Zusammenhang aufzuzeigen zwischen der heute bestehenden Situation in der Welt (Spaltung etc.) und der Ursünde, die sich dank der Herrschaft der Europäer, ihrer Kultur und Mentalität, weltweit etabliert hat.
Eine Barbarische Theologie
Darunter ist eine Theologie zu verstehen, die von den Armen und Unterdrückten, von den Anderen und von den „Barbaren“ ausgeht. Eine solche Theologie wird von denen formuliert, die „außerhalb der Zivilisation des Systems und des Kapitals“ stehen und dessen Opfer sind. Für diejenigen, die nicht zu diesen Armen gehören ist es notwenig – vorrangig vor jeder Theologie – sich zu den Armen zu bekehren und sich zu seiner eigenen Verantwortung ihnen gegenüber zu bekennen. Das bedeutet eine Solidarität mit den Armen gegen die herrschende Ungerechtigkeit und weltweite Klassenherrschaft. Es ist der Aufstand derer, die um ihr Leben gebracht werden, gegen den vorzeitigen Tod. Eine Theologie, die nicht von diesen Voraussetzungen ausgeht, kann keine christliche Theologie sein. Denn sie würde Jesus den Christus verleugnen und zu einer Theologie des Kapitals werden.
Ausgangspunkt der Theologie der Befreiung ist das Evangelium, die gute und befreiende Botschaft für alle Menschen, besonders aber für die 2/3 der Menschheit, die das Opfer der Gewalt, das Opfer der Reichen und Mächtigen dieser Erde sind. Das Evangelium ist die Grundlage unseres Glaubens an Jesus den Christus. Jesus Christus und sein Leben, sein Leiden, Tod und Auferstehung, sind der Ausgangspunkt jeder christlichen Theologie. Das ist eigentlich selbstverständlich, muss aber dennoch gelegentlich betont werden. Ist aber das Evangelium zuerst eine frohe Botschaft zuerst für die Armen und Unterdrückten dieser Erde, und wenn es stimmt, dass das Evangelium den Menschen auch für das diesseitige Leben etwas zu sagen hat, so muss jede Art von Theologie und Verkündigung von der Situation ausgehen, in der diese 2/3 der Menschheit leben. "Wenn die historische Situation der Abhängigkeit und Beherrschung von 2/3 der Menschheit mit ihren 30 Millionen Toten, die jährlich an Hunger und Unterernährung sterben, nicht zum Ausgangspunkt jedweder christlichen Theologie von heute wird, so wird die Theologie ihre fundamentalen Themen nicht in die Geschichte einbringen und konkretisieren können. Ihre Fragen werden keine wirklichen Fragen sein. Sie werden am wirklichen Menschen vorbei gehen“. Alle mir bekannten Vertreter der Theologie der Befreiung stimmen der Aussagen von Assmann zu: „Es gibt fast eine Einstimmigkeit in den bisher veröffentlichten Texten: der Ausgangspunkt der Theologie der Befreiung ist die historische Situation der Abhängigkeit und Beherrschung, in der sich die Völker der Dritten Welt befinden“.[2]
Auszug aus meiner Seminararbeit im WS 73/74 in Frankfurt- St. Georgen, SJ): Von einer Praxis der Herrschaft zu einer Praxis der Befreiung - eine "barbarische Theologie" (ausgehend von den "Barbaren").
PS: Im SS 1972 hatte sich in St. Georgen der erste "Studienkreis Theologie der Befreiung" in Deutschland gebildet, noch vor Erscheinen der deutschen Ausgabe des Buches "Theologie der Befreiung" von Gustavo Gutiérrez. Er wurde von lateinamerikanischen Mitstudenten (Doktoranden, mit konkreten Erfahrungen aus LA) initiiert und getragen. Einzige deutsche Mitarbeiter waren Christian Herwartz (heute Obdachlosenpriester in Berlin) und ich. Pater Semmelroth und Pater Grillmeier waren kritische Begleiter.
"Als Christen in Deutschland befinden wir uns eher in der Situation des Priesters oder Leviten, die gewohnheitsmäßig ihren Weg zum Gottesdienst im Tempel in Jerusalem gehen. Sie können gar nicht sehen, dass der unter die Räuber Gefallene etwas mit ihnen zu tun haben könnte und erstrecht nicht mit ihrem eigenen Glauben an Gott. Der Mensch im Straßengraben wird nicht als Mensch und nicht als Opfer erkannt. Es zählt nur das Opfer im Tempel. Jesus aber stellt diese religiöse Ordnung auf den Kopf. Es gibt nichts Wichtigeres als der Mensch im Straßengraben. Er ist das „Sakrament Gottes“ (G. Gutiérrez). .....
... Im Bezug auf die massenhaft Ausgeschlossenen - weltweit - sind wir es, die nicht unmittelbar betroffen sind. Wir hier gehören alle zu einer mehr oder weniger bürgerlichen Mittelschicht, wir sind nicht die unmittelbaren Opfer. Dennoch gilt auch für uns das Beispiel des Samariters, oder z.B. die Stelle in MT 25 vom Weltgericht (mit Hungernden das Brot teilen, und viele andere Beispiele Jesu). Wie also wirklich das Brot teilen mit denen, denen man es wegnimmt?
Globalisierung - aus der Sicht der Opfer Vortrag auf der Studienklausur der Kath. Fakultät Mainz aus Anlass des 60. Geburtstages von Prof. Johannes Meier! (2008)
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