"...Doch in der Vorbereitungsphase stellte sich bald heraus, dass in diesem Rottenburger Modell die Erfahrungen der eigenen Gemeinde keine Rolle spielen durften und dass es um die Erprobung eines an Schreibtischen erdachten Modells ging. Es entstand auch der Eindruck, dass das diözesane Modell dazu dienen sollte, für die ehrenamtliche Mitarbeit von Gemeindemitgliedern deshalb zu werben, weil sonst das „Modell Kirche“, wie es in der Vergangenheit funktionierte, nicht mehr weiter existieren kann - also nicht aus inhaltlichen, sondern aus strukturellen und das System konservierenden Gründen."

Auswirkung einer Partnerschaft auf die eigene Gemeinde
(Aufgezeigt in zwei Beispielen: Gemeindeerneuerung - Umgang mit Konflikten)

a) Gemeindeerneuerung: Von Beginn der Partnerschaft an ging es dem MEF darum, Impulse für eine sich stets erneuernde Gemeinde zu geben. Es ging nicht um Nachahmung peruanischer Erfahrungen, sondern um eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf die Praxis Jesu, der Apostel und der ersten Christen, so wie sie uns in der Bibel von der Kirche überliefert sind. Die Erfahrungen in der Partnergemeinde können dabei helfen, ausgehend von unserer Situation unsere eigenen Erfahrungen mit der befreienden Botschaft zu machen. Denn so wie in den Gruppen der Partnergemeinde die eigene Realität analysiert, im Lichte der Bibel gedeutet und dann die entsprechende Praxis entwickelt wurde, so sind auch wir - als Gemeinde und Einzelne - aufgefordert zu überlegen, wie die befreiende Botschaft Jesu in unserem Leben, Umwelt und Gesellschaft wirksam werden kann (nach vorhergehender Analyse und Deutung).

1986, nach dem ersten Gemeindebesuch in der Partnergemeinde, war der Wunsch in einigen Gruppen der Gemeinde sehr stark, konkrete Schritte für einen neuen Aufbruch in unserer Gemeinde zu überlegen. Eine Gemeindeerneuerung wurde geplant. Zu dieser Zeit gab es auch auf Diözesanebene (Seelsorgereferat) die ersten Versuche, Gemeinden für die Idee einer Gemeindeerneuerung zu gewinnen, sie zu beraten und mit ihnen ein Modell zu erstellen. Hauptziel der diözesanen Bewegung war, Laien zu bestärken, die Bibel mehr in den Mittelpunkt zu stellen und die Gemeinde zu motivieren, den Weg von einer passiven „konsumierenden Servicegemeinde“ hin zu einer aktiven mündigen Gemeinde entschiedener zu gehen. Diese Ziele stimmten auch mit dem Anliegen von St. Georg überein. Also entschloss man sich, das Angebot der Diözese anzunehmen und das sogenannte „Rottenburger Modell der Gemeindeerneuerung“ auszuprobieren.

Doch in der Vorbereitungsphase stellte sich bald heraus, dass in diesem Modell die Erfahrungen der Gemeinde keine Rolle spielen durften und dass es um die Erprobung eines an Schreibtischen erdachten Modells ging. Es entstand auch der Eindruck, dass das diözesane Modell dazu dienen sollte, für die ehrenamtliche Mitarbeit von Gemeindemitgliedern deshalb zu werben, weil sonst das „Modell Kirche“, wie es in der Vergangenheit funktionierte, nicht mehr weiter existieren kann - also nicht aus inhaltlichen, sondern aus strukturellen und das System konservierenden Gründen. Die von außen gekommenen Mitarbeiter (ein Team aus Experten und Laien, die speziell geschult waren, das sogenannte Außenteam) überzogen die mit der Vorbereitung der Gemeindeerneuerung Beauftragten, (das sogenannte Innenteam, darunter auch drei „Perubesucher“) mit ihren fertigen Konzepten. Sogar die einzelnen Bibelstellen waren vorgegeben, ebenso die Methode der Bibelarbeit (Bibelteilen aus Afrika, das mit dem Umgang mit der Bibel, wie in Cajamarca üblich, nichts zu tun hatte). Das Innenteam war in der Folge zu schwach bzw. ließ sich von der pfingstlichen Begeisterung des Außenteams anstecken und überfahren. In dieser Situation verfasste der Ausschuss MEF folgendes Papier (Zielvorstellungen), das in seiner ganzen Länge deswegen zitiert wird, weil es beispielhaft Schwierigkeiten und Schwachpunkte der gängigen pastoralen Modelle in Deutschland aufzeigt. Aus den einzelnen Punkten lassen sich indirekt die Schwerpunkte und die Zielrichtung einer „Gemeindeerneuerung von oben“ erschließen.

Anmerkung des MEF zum Thema Gemeindeerneuerung 1988 in St. Georg Ulm:

"In der Gemeinde St. Georg (KGR, Pastoralteam, Ausschüsse etc.) wurde in den letzten Jahren das Bedürfnis nach einer lebendigen Gemeinde, Vertiefung des Glaubens und der Besinnung auf das Wesentliche immer stärker. Es ging und geht darum, wie in einer zunehmend ungläubigen Umgebung, Vereinzelung und Hoffnungslosigkeit neue Formen und Strukturen des gemeinsam gelebten Glaubens gefunden werden können. Neue Art des Zusammenlebens, ‚Kontrastgesellschaft‘ und Gemeinschaftsbildung über die Kirchenmauern hinaus sind dafür einige Stichpunkte. Voraussetzung dafür sind eine Abkehr von kirchlicher Service - und Konsumhaltung, persönliches Glaubenszeugnis, prophetische Zeichen, kurz: entschiedenes Christentum. Dies ist um so wichtiger in einer Welt, in der wegen des herrschenden Götzendienstes das Elend weltweit immer größer wird. Das Ziel ist eine Gemeinde (Gemeinschaft) als Heimat für alle Suchenden, als Ort der Hoffnung, als Licht auf dem Berg, als Sauerteig innerhalb der Gesellschaft. Um dieses angestrebte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren (ein Ziel, das die Gruppen in unserer Gemeinde so geäußert haben, wenn auch immer in dem Bewusstsein, dass dieses Ziel immer größer sein wird als dessen mögliche Realisierung), ist folgendes zu beachten:

  1. Gemeindeerneuerung muss von der Gemeinde selbst ausgehen. Gemeindespezifische Anliegen müssen im Vordergrund stehen und dürfen nicht verdrängt werden. Die Erfahrungen anderer Gemeinden sind hilfreich, auswärtige Berater können zu Rate gezogen werden.
  2. Die Gemeindeerneuerung selbst sollte auf dem bisherigen Stand der gemeindeinternen Diskussion aufbauen und die Gesamtgemeinde an diesem Prozess der Glaubensvertiefung teilhaben lassen. Keinesfalls darf weit hinter den bisherigen Stand zurückgefallen werden (auch nicht hinter den Stand der eigenen Diözesansynode).
  3. Alle Teilnehmer müssen ernst genommen werden (ernst nehmen heißt, dass man ihnen etwas zu - mutet). Teilnehmer und Gemeinde müssen Subjekt sein und nicht Objekte pastoraler Feldversuche. Deshalb ist auch ein allzu kindliches Niveau und eine vernebelnde (esoterische) Sprache zu vermeiden.
  4. Die Umwelt (Gesellschaft, Wirtschaft etc.), in der die Menschen leben, darf nicht ausgeklammert werden. Es genügt nicht über Symptome zu reden (z. B. Sprachlosigkeit, Einsamkeit), Spaltung der Gesellschaft, sondern deren Ursachen sind aufzudecken. Es geht um eine Deutung der Welt im Lichte des Glaubens.
  5. Reine Selbstbespiegelung oder ‚Heilung der kranken Seele’ ist kein Spezifikum der christlichen Botschaft. Subjektwerdung heißt nicht zuerst religiöse Selbstbefriedigung, sondern Übernahme von Verantwortung, Zeugnis ablegen in dieser Welt und Nachfolge Jesu.
  6. Eine unverbindliche und beliebige Bibelauslegung, erst recht eine sachlich falsche Bibelauslegung, führt zu einem pflegeleichten, total verbürgerlichten und angepassten Christentum ohne wirkliche Konsequenzen (bzw. auch umgekehrt).
  7. Die Bibel lehrt uns, die Welt und unser Leben mit neuen Augen zu sehen (neue Brille). Jesus lehrt uns zu sehen mit den Augen der Ohnmächtigen, der Armen, der Außenseiter. Ohne die prophetischen Dimensionen des Alten und Neuen Testamentes (Anklage und Verkündigung), bleiben wir blind oder kreisen nur um uns selbst.
  8. Als Wichtigstes: Die christologische Komponente darf nicht fehlen: eine Religion ohne Jesus den Christus (und ohne die, mit denen er sich identifiziert), ohne seine Praxis, sein Leben, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung, ist eben nicht christlich. Ein bloß (griechisch) philosophisches Konstrukt gibt kein Leben.
  9. Die ekklesiologische Komponente darf nicht fehlen. Ein Ausklammern der Weltkirche (und damit ein Ausgrenzen der Armen) ist sektiererisch. Kirche ist Volk Gottes auf dem Weg in die Befreiung, auf dem Weg vom Tod zum Leben, ist Gemeinde auf der Suche nach neuen Lebensformen angesichts der Realitäten dieser Welt (Hunger durch Ungerechtigkeit, Zerstörung der Schöpfung usw.). Eine solidarische Gemeinde klagt die Ursachen des Elends an und ergreift Partei für die Opfer.
  10. Eine Religion ohne Forderungen, d.h. ohne Umkehr und Verkündigung der Frohen Botschaft von der nun anbrechenden Herrschaft Gottes, ist nicht die Botschaft, die Jesus verkündet. Die Gemeinde hat die Aufgabe, lebendiges Zeichen dieser beginnenden Herrschaft Gottes in der Welt zu sein.

b)  Umgang mit Konflikten und Besuche:

Im Mai 1992 konnte St. Georg das zehnjährige Partnerschaftsjubiläum feiern. In einer Partnerschaftswoche kam es zu vielen Veranstaltungen, Presse und Rundfunk berichteten. Bischof Walter Kasper wurde eingeladen (zu Podiumsdiskussion, Ausstellung und Gottesdienst). In seiner Predigt sagte er: „Trotz des Elends, des Terrors und des Hungers in Peru, ist der Glaube der Menschen dort von einer tiefen Hoffnung und Lebensfreude geprägt. Gott hat eine Option für die Armen. Was die Menschlichkeit und die Christlichkeit der Armen angeht, sind nicht die, sondern sind wir das Entwicklungsland“.

Noch im selben Jahr (1992) hat Bischof Dammert von Cajamarca seinen Rücktritt eingereicht (formaler Vorgang bei Erreichen des 75. Lebensjahres). Dammert war zu dieser Zeit Präsident der peruanischen Bischofskonferenz. In dieser Eigenschaft führte er auch die Delegation der peruanischen Bischöfe zur lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Santo Domingo an. Der Terror ("Sendero Luminoso") war auf dem Höhepunkt, überall herrschte Chaos. Umso überraschender war, dass Rom das Rücktrittsgesuch von Bischof Dammert sofort angenommen hat. Dammert erfuhr dies per Radio und aus der Zeitung. Noch nie nzuvor war das Rücktrittsgesuch eines amtierenden Präsidenten einer Bischofskonferenz sofort angenommen worden.

Zum Jahreswechsel 92/93 kamen verschiedene Briefe der Partner an, die einen tiefen Wandel anzeigten. Neu ernannte Verantwortliche schrieben, dass sie nun vom Pfarrer berufen und für die weiteren Projekte und auch für die Verwaltung der Gelder verantwortlich seien. Die bisherigen Vertrauenspersonen (sowohl unsererseits als auch der Mütter und Campesinos) schrieben uns, dass sie entlassen worden seien. In einem Rundschreiben an alle Partnergemeinden (Januar 1993) schrieb gleichzeitig der neue Bischof, dass ab sofort alle Partnerschaftsgelder auf sein Konto überwiesen werden sollten, das er eigens dafür bei Adveniat eingerichtet hatte.

In den nächsten Wochen wurde versucht, durch viele Telefonate mit Cajamarca, über Briefe und weitere Suche nach Informationen, sich ein besseres Bild zu verschaffen. Es kamen Briefe von verantwortlichen Katecheten an, in denen sie sich beklagten, dass sie keine Gelder mehr für die schon lange geplanten Vorhaben und Kurse bekämen. So entschloss man sich schweren Herzens, vorläufig überhaupt kein Geld mehr zu überweisen.  In einem intensiven Briefwechsel, besonders mit Pfarrer Lorenzo Vigo, versuchte man die Gründe für die Veränderungen zu verstehen und auch gleichzeitig um Verständnis zu bitten, dass bis zur Klärung einiger Fragen kein Geld mehr geschickt werden könnte, da man schließlich den Spendern und den potentiellen Empfängern (Campesinos etc.) verpflichtet sei.

Im Sommer 1993 besuchte ich im Auftrag der Gemeinde St. Georg (und anderer deutscher Pfarrgemeinden, die Partnerschaften zu einer Gemeinde in der Diözese Cajamarca hatten)  die Partnergemeinde San Pedro.  Der Besuch im Sommer 1993 (erster Besuch nach dem Bischofswechsel und den daraus folgenden Konsequenzen) in der Partnergemeinde wurde sehr gründlich vorbereitet. Es sollten alle Probleme zur Sprache kommen, Gespräche mit allen Beteiligten geführt und eine gemeinsame Basis für die weitere Zusammenarbeit gesucht werden. In einem Vorbereitungsbrief an die neue Leitung in San Pedro (20. 4. 1993):

„Der Hauptgrund dieses Briefes ist, Ihnen unseren Wunsch nach Fortsetzung der Partnerschaft mitteilen zu wollen. .. Diese Partnerschaft darf nicht abhängig sein von den Launen und der Eitelkeit einiger weniger Personen, wer immer diese auch sein mögen. Die Partnerschaft ist etwa viel Tieferes: sie ist das Symbol einer wahrhaft katholischen, universellen Kirche, das Symbol der Freundschaft unter den Geschwistern Jesu, eine Kommunion, in der alle das gleiche Brot essen. Außerdem: Seit Jahrhunderten sind es immer die Campesinos gewesen, die am meisten leiden mussten. Wie oft wurden sie schon betrogen und getäuscht mit falschen Versprechungen! Und jetzt, wo sie endlich Vertrauen und Mut geschöpft haben, sollen wir sie wieder im Stich lassen? Gerade in ihrem Namen müssen wir weitermachen und dabei hoffen wir auf Ihre Mitarbeit. Denn wir vertrauen darauf, dass auch Sie weiterhin an der Vision einer gerechteren Welt festhalten. Wir vertrauen darauf, dass Sie die Arbeit in einer pastoralen und sozialen Linie fortsetzen, so wie uns die Dokumente der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, seit Medellín, Puebla und zuletzt Santo Domingo (wo unser ehemaliger Bischof wie ein Prophet gesprochen hat) den Weg gezeigt haben“.

Der sechs Wochen dauernde Besuch im Sommer brachte aber trotz intensiver Bemühungen keine Wende bei den neuen Verantwortlichen. Auch in vier langen Gesprächen mit dem neuen Bischof, teils in Anwesenheit von Pfarrer Lorenzo Vigo, dem Generalvikar und anderen Pfarrern, wurde kein Fortschritt erzielt. Statt dessen musste ich (meist in Begleitung ehemaliger Katecheten und Mitarbeitern Bischof Dammerts) mit eigenen Augen erleben, wie die Partner nun behandelt wurden. Von den Müttern und Katecheten und in Basisversammlungen erfuhr ich erschreckende Dinge. Drei kleine Beispiele unter vielen: Bei einem Besuch auf dem Land mit dem vom Pfarrer neu ernannten Präsidenten des Kirchengemeinderates (dem ersten und einzigen Besuch, den dieser auf dem Land machte), Pfarrer Lorenzo Vigo und einem weiteren Verantwortlichen, sagte der Präsident, ein pensionierter Richter, auf dem Pferde sitzend und mit dem Zeigefinger drohend, zu den zu ihm aufsehenden Vertretern der Campesinogemeinschaften: „Wenn ihr nicht ab sofort jeden Sonntag die Hl. Messe besucht, dann bekommt ihr keine Hilfe mehr“. (Um in die Stadt zur Messe zu gehen, mussten die Campesinos vier bis sechs Stunden einfache Wegstrecke zu Fuß gehen). Lorenzo Vigo, ehedem ein Freund der Campesinos, sagte u.a.: „Die Campesinos kommen nur zu den Kursen um sich satt zu essen, danach kehren sie zurück und tun nichts mehr. Warum sollen wir deren Faulheit finanzieren?“ Und den Frauen der Mütterklubs wurde gar der Zutritt zur Pfarrkirche mit der Begründung verwehrt, sie seien unwürdig, als sie wie immer jeden Donnerstag zur Anbetung des Allerheiligsten zur Kirche gekommen waren. Weil sie den Kontakt zur Partnergemeinde in Ulm nicht aufgeben wollen und „unautorisiert“ Briefe schreiben, werden sie Abtrünnige und Verräter genannt. Sie werden buchstäblich „exkommuniziert“, von den Amtsträgern ausgeschlossen. .

Während des Besuches einigte ich mich mit den Verantwortlichen der Comunidades und der Mütterklubs auf folgendes Vorgehen: Der Dialog mit der Pfarrleitung und dem Bischof muss gesucht und alle Möglichkeiten einer Begegnung und Verständigung ausgeschöpft werden. Die Einheit und Glaubwürdigkeit einer christlichen Gemeinschaft muss auch nach außen hin deutlich werden. Erst wenn alle Versuche zu keiner Annäherung führen, dürfen alternative Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Kompromissvorschlag der Ulmer an die Pfarrleitung von San Pedro: „Wir stehen zur Partnerschaft mit der gesamten Gemeinde San Pedro. Die verschiedenen Gruppen der Gemeinde San Pedro bringen ihre Projektvorschläge ein und diese werden dann von der Pfarrleitung nach Ulm übermittelt. Die Gelder gehen auf das Konto der Pfarrei San Pedro und werden von dort an die Gruppen weitergegeben. Die Gemeinde St. Georg verpflichtet sich, den Kontakt sowohl zu Pfarrer und Bischof als auch zu den Gruppen aufrecht zu erhalten“. Als Vertrauensbeweis wurden mit dem Einverständnis aller Gruppen von San Pedro 6.000 Dollar der Pfarrleitung übergeben. Bis auf weiteres und in Erwartung der weiteren Entwicklung in San Pedro wurde dann kein Geld mehr geschickt, weder der Pfarrleitung noch den Gruppen direkt (ausgenommen die regelmäßigen Beträge für den Unterhalt zweier Kindergärten, inklusive Gehalt für die Lehrerinnen; diese Gelder gingen stets direkt an die Kindergärten). Der direkte Kontakt zu den Gruppen wäre am einfachsten gewesen, doch die Gruppen verzichteten vorerst auf diesen Weg, um den Bruch nicht endgültig werden zu lassen.
Nach Deutschland zurückgekehrt, wurden die Probleme in der Gemeinde zuerst im Ausschuss intensiv besprochen und diskutiert. Grundlage waren die Berichte der Betroffenen und das Ergebnis des Besuches. Ein kürzerer Auszug aus diesem Bericht, der sich zuerst intern an den Ausschuss wendet und auf diplomatische Schnörkel verzichtet. Die Aussagen sind protokolliert:

„In vielen und langen Gesprächen mit dem Apostolischen Administrator, Pfarrern, Schwestern und noch mehr mit engagierten Repräsentanten/innen des Volkes Gottes, ergab sich, bezogen auf die gesamte Diözese, folgendes, wenn auch unfertiges Bild: Partnerschaft, wie sie von uns so gerne erträumt wird, wird vom Großteil des Klerus, inklusive Bischof, nicht gewollt. Einige sagten wörtlich: ‚zum Teufel damit‘! Das hat durchaus seine Gründe. Vorgeschoben wird das Argument der Abhängigkeit, der Fremdbestimmung, des Diktats von außen, zumal im Hinblick auf die Kolonialgeschichte. Als weiteres Argument dient die Behauptung, das einfache Volk verstehe davon eh nichts, die wollten nur Geld. Doch eigentlich geht es um etwas ganz anderes und das genaue Gegenteil ist wahr: Partnerschaft, wie wir sie verstehen und in Übereinstimmung mit unseren eigentlichen Partnern, den Ärmsten, führt zu mehr Selbstbewusstsein der Laien, zu einer ‚Bewegung von unten‘, zu einer Kirche, in der Klerus und Laien selbst Partner sind oder werden. Gerade dies aber wird von den allermeisten Pfarrern und dem neuen Bischof nicht gewollt bzw. gezielt verhindert. Gerade von denen wird von ausländischer Bevormundung geredet, denen Demokratisierung und Selbstbestimmung der Gemeinden ein Gräuel ist und die nicht willens sind, selbst Partner sein zu können. Analog dazu lässt sich nachweisen, dass gerade diejenigen, die immer vom Zerfall des Glaubens reden (auch in Deutschland), nicht in der Lage sind, den Glauben und die Fähigkeiten des eigenen Volkes ernst zu nehmen. Und ausgerechnet diejenigen, die den Armen unterstellen, nur Geld zu wollen, wollen den ‚Armen die Verantwortung für das Geld‘ abnehmen um es selbst kassieren zu können. Und mit europäischer Bevormundung meinen sie auch, dass sie sich nicht dreinreden lassen wollen bei der Verwaltung der Gelder - weder von der eigenen Gemeinde und erst recht nicht von außen - denn sie sind die Pfarrer und sie allein bestimmen, was mit dem Geld geschieht“.

Ebenso erfuhr man in St. Georg bald, dass die 6.000 Dollar nicht wie versprochen an die Gruppen weitergegeben wurden. Katecheten und die verantwortlichen Frauen der Mütterklubs schrieben, dass sie ihre Anliegen, Bedürfnisse und Wünsche für die weitere Arbeit der Pfarrleitung per Post schicken mussten, weil sie persönlich nicht empfangen wurden. Ebenso versuchten Delegierte der Gruppen dreimal um ein Gespräch mit ihrem Bischof nach, dreimal ohne jede Reaktion, beim dritten Mal wurden sie gar aus dem Vorraum des Bischofshauses verjagt. Briefe von St. Georg an den Bischof und die Pfarrleitung blieben unbeantwortet, die Briefe mit den weiteren Plänen und Vorhaben der Gruppen wurden nicht weitergegeben. Gleichzeitig wurde der direkte Kontakt von St. Georg aus zu den Gruppen immer intensiver. Sie machten auch ohne Geld im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter und sie schrieben, dass dieser enge Kontakt die Freundschaft immer mehr vertiefen werde.

Wie insgeheim von beiden Seiten erhofft, waren im Laufe der Zeit die Verbindungen zwischen St. Georg und den Gruppen in San Pedro nicht nur enger geworden, sondern durch die Einstellung der Geldüberweisungen verloren die vom Pfarrer ernannten neuen Mitarbeiter der Pfarrei bald das Interesse an einer weiteren Mitarbeit in der Pfarrei, der „Pastoralrat“ wurde aufgelöst. Die Gruppen aber blieben bestehen, weil sie durch andere als finanzielle Interessen zusammengehalten wurden. Auch in St. Georg kam es zu einer Klärung. Pfarrteam, KGR und Ausschüsse kamen nach fruchtbaren Diskussionen zu dem Ergebnis, dass die Partnerschaft sich bewährt hat, dass die Gruppen, die verantwortlichen Laien, die Katecheten und mit ihnen alle, die weiterhin sich aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus versammeln, Gottesdienste feiern, die Bibel lesen und gemeinsam versuchen, als Kinder Gottes in Würde zu leben, dass alle zusammen die Gemeinde San Pedro sind - wer immer auch mit ihnen oder gegen oder ohne sie gerade Pfarrer oder Bischof ist. Die Gemeindepartnerschaft ist also nicht in Frage gestellt.

In einer Predigt zum Peruwochenende am 12. 11. 1995 konnte der Gemeinde in St. Georg verkündet werden: „Unsere Partnerschaft mit San Pedro erlebt zur Zeit einen zweiten Frühling!“ Nach einem kurzen Rückblick auf die zurückliegenden Jahre geht es in der Predigt wie folgt weiter: „Ein neuer Bischof zog ein, der fast genau das Gegenteil von dem tat, was seinem Vorgänger, Bischof Dammert, wichtig war. Er setzte z.B. alle verantwortlichen Laien ab und die Priester sollen sich auf die Verwaltung der Sakramente beschränken, was einige dann auch für viel Geld tun. Und wie uns die Campesinos schreiben, ist ihm das Schicksal der Armen egal: ‚Er ist ein Bischof der Reichen‘. .... Langsam kamen wir zu der Überzeugung, dass unsere Partnerschaft nicht von einem einzigen Pfarrer oder vom Bischof abhängen darf. Sondern wir fragten uns: Wer sind denn eigentlich unsere Partner? Es sind die, die am meisten Hilfe und Beistand brauchen, die unzähligen Mütter und Campesinos, die nicht wissen, was sie am nächsten Tag ihren Kindern zu essen geben sollen. Sie waren unsere Partner und sie werden es bleiben! Wir schrieben nun diesen unseren Freunden, dass sie uns direkt mitteilen sollten, welche Bedürfnisse sie haben, was sie brauchen und was sie vorhaben und dass wir nun auch ohne den offiziellen Weg über die Pfarrei direkt mit ihnen die Partnerschaft vertiefen wollen. Auf diese Nachricht hin versammelten sich in San Pedro spontan die Menschen und dankten Gott. ... Es ist für unsere Partner ungeheuer wichtig die Erfahrung gemacht zu haben, dass sie auch ohne finanzielle Hilfe fast zwei Jahre lang als Gemeinschaften ‚überlebt‘ haben, dass sie sich dadurch noch besser organisieren lernten und dass sie auch erfahren haben, dass sie von der Gemeinde St. Georg, als Kirche, die wir sind, nicht im Stich gelassen wurden - wo sie doch so schlechte Erfahrungen mit ihrer eigenen Kirchenleitung gemacht haben. Die Gewissheit, dass eine deutsche Gemeinde bewusst als Gemeinde, als Kirche, zu ihnen steht, stärkt sie in ihrer Gewissheit, als christliche Gemeinschaft auf dem rechten Weg zu sein“ (Predigt: Willi Knecht).

In dem darauf folgenden Gemeindebrief wird zum Schluss aus einem Brief der Campesinos (28. Mai 1995) an St. Georg zitiert: „Wir sind sehr bekümmert über den neuen Bischof, für ihn zählen die Campesinos nicht. Weder wir, noch die Mütterklubs waren bei seiner Amtsübernahme vertreten. Er ist ein Bischof der Reichen, nicht der Armen. Aber wir haben begriffen: die Kirche, das sind nicht nur die Priester, sondern auch wir, die Campesinos. Es liegt aber noch viel Arbeit vor uns, um Christus als Jünger zu folgen“.