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"...Doch in der Vorbereitungsphase stellte sich bald heraus, dass in diesem Rottenburger Modell die Erfahrungen der eigenen Gemeinde keine Rolle spielen durften und dass es um die Erprobung eines an Schreibtischen erdachten Modells ging. Es entstand auch der Eindruck, dass das diözesane Modell dazu dienen sollte, für die ehrenamtliche Mitarbeit von Gemeindemitgliedern deshalb zu werben, weil sonst das „Modell Kirche“, wie es in der Vergangenheit funktionierte, nicht mehr weiter existieren kann - also nicht aus inhaltlichen, sondern aus strukturellen und das System konservierenden Gründen."
Auswirkung einer Partnerschaft auf die eigene Gemeinde
(Aufgezeigt in zwei Beispielen: Gemeindeerneuerung - Umgang mit Konflikten)
a) Gemeindeerneuerung: Von Beginn der Partnerschaft an ging es dem MEF darum, Impulse für eine sich stets erneuernde Gemeinde zu geben. Es ging nicht um Nachahmung peruanischer Erfahrungen, sondern um eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf die Praxis Jesu, der Apostel und der ersten Christen, so wie sie uns in der Bibel von der Kirche überliefert sind. Die Erfahrungen in der Partnergemeinde können dabei helfen, ausgehend von unserer Situation unsere eigenen Erfahrungen mit der befreienden Botschaft zu machen. Denn so wie in den Gruppen der Partnergemeinde die eigene Realität analysiert, im Lichte der Bibel gedeutet und dann die entsprechende Praxis entwickelt wurde, so sind auch wir - als Gemeinde und Einzelne - aufgefordert zu überlegen, wie die befreiende Botschaft Jesu in unserem Leben, Umwelt und Gesellschaft wirksam werden kann (nach vorhergehender Analyse und Deutung).
1986, nach dem ersten Gemeindebesuch in der Partnergemeinde, war der Wunsch in einigen Gruppen der Gemeinde sehr stark, konkrete Schritte für einen neuen Aufbruch in unserer Gemeinde zu überlegen. Eine Gemeindeerneuerung wurde geplant. Zu dieser Zeit gab es auch auf Diözesanebene (Seelsorgereferat) die ersten Versuche, Gemeinden für die Idee einer Gemeindeerneuerung zu gewinnen, sie zu beraten und mit ihnen ein Modell zu erstellen. Hauptziel der diözesanen Bewegung war, Laien zu bestärken, die Bibel mehr in den Mittelpunkt zu stellen und die Gemeinde zu motivieren, den Weg von einer passiven „konsumierenden Servicegemeinde“ hin zu einer aktiven mündigen Gemeinde entschiedener zu gehen. Diese Ziele stimmten auch mit dem Anliegen von St. Georg überein. Also entschloss man sich, das Angebot der Diözese anzunehmen und das sogenannte „Rottenburger Modell der Gemeindeerneuerung“ auszuprobieren.
Doch in der Vorbereitungsphase stellte sich bald heraus, dass in diesem Modell die Erfahrungen der Gemeinde keine Rolle spielen durften und dass es um die Erprobung eines an Schreibtischen erdachten Modells ging. Es entstand auch der Eindruck, dass das diözesane Modell dazu dienen sollte, für die ehrenamtliche Mitarbeit von Gemeindemitgliedern deshalb zu werben, weil sonst das „Modell Kirche“, wie es in der Vergangenheit funktionierte, nicht mehr weiter existieren kann - also nicht aus inhaltlichen, sondern aus strukturellen und das System konservierenden Gründen. Die von außen gekommenen Mitarbeiter (ein Team aus Experten und Laien, die speziell geschult waren, das sogenannte Außenteam) überzogen die mit der Vorbereitung der Gemeindeerneuerung Beauftragten, (das sogenannte Innenteam, darunter auch drei „Perubesucher“) mit ihren fertigen Konzepten. Sogar die einzelnen Bibelstellen waren vorgegeben, ebenso die Methode der Bibelarbeit (Bibelteilen aus Afrika, das mit dem Umgang mit der Bibel, wie in Cajamarca üblich, nichts zu tun hatte). Das Innenteam war in der Folge zu schwach bzw. ließ sich von der pfingstlichen Begeisterung des Außenteams anstecken und überfahren. In dieser Situation verfasste der Ausschuss MEF folgendes Papier (Zielvorstellungen), das in seiner ganzen Länge deswegen zitiert wird, weil es beispielhaft Schwierigkeiten und Schwachpunkte der gängigen pastoralen Modelle in Deutschland aufzeigt. Aus den einzelnen Punkten lassen sich indirekt die Schwerpunkte und die Zielrichtung einer „Gemeindeerneuerung von oben“ erschließen.
Anmerkung des MEF zum Thema Gemeindeerneuerung 1988 in St. Georg Ulm:
"In der Gemeinde St. Georg (KGR, Pastoralteam, Ausschüsse etc.) wurde in den letzten Jahren das Bedürfnis nach einer lebendigen Gemeinde, Vertiefung des Glaubens und der Besinnung auf das Wesentliche immer stärker. Es ging und geht darum, wie in einer zunehmend ungläubigen Umgebung, Vereinzelung und Hoffnungslosigkeit neue Formen und Strukturen des gemeinsam gelebten Glaubens gefunden werden können. Neue Art des Zusammenlebens, ‚Kontrastgesellschaft‘ und Gemeinschaftsbildung über die Kirchenmauern hinaus sind dafür einige Stichpunkte. Voraussetzung dafür sind eine Abkehr von kirchlicher Service - und Konsumhaltung, persönliches Glaubenszeugnis, prophetische Zeichen, kurz: entschiedenes Christentum. Dies ist um so wichtiger in einer Welt, in der wegen des herrschenden Götzendienstes das Elend weltweit immer größer wird. Das Ziel ist eine Gemeinde (Gemeinschaft) als Heimat für alle Suchenden, als Ort der Hoffnung, als Licht auf dem Berg, als Sauerteig innerhalb der Gesellschaft. Um dieses angestrebte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren (ein Ziel, das die Gruppen in unserer Gemeinde so geäußert haben, wenn auch immer in dem Bewusstsein, dass dieses Ziel immer größer sein wird als dessen mögliche Realisierung), ist folgendes zu beachten:
- Gemeindeerneuerung muss von der Gemeinde selbst ausgehen. Gemeindespezifische Anliegen müssen im Vordergrund stehen und dürfen nicht verdrängt werden. Die Erfahrungen anderer Gemeinden sind hilfreich, auswärtige Berater können zu Rate gezogen werden.
- Die Gemeindeerneuerung selbst sollte auf dem bisherigen Stand der gemeindeinternen Diskussion aufbauen und die Gesamtgemeinde an diesem Prozess der Glaubensvertiefung teilhaben lassen. Keinesfalls darf weit hinter den bisherigen Stand zurückgefallen werden (auch nicht hinter den Stand der eigenen Diözesansynode).
- Alle Teilnehmer müssen ernst genommen werden (ernst nehmen heißt, dass man ihnen etwas zu - mutet). Teilnehmer und Gemeinde müssen Subjekt sein und nicht Objekte pastoraler Feldversuche. Deshalb ist auch ein allzu kindliches Niveau und eine vernebelnde (esoterische) Sprache zu vermeiden.
- Die Umwelt (Gesellschaft, Wirtschaft etc.), in der die Menschen leben, darf nicht ausgeklammert werden. Es genügt nicht über Symptome zu reden (z. B. Sprachlosigkeit, Einsamkeit), Spaltung der Gesellschaft, sondern deren Ursachen sind aufzudecken. Es geht um eine Deutung der Welt im Lichte des Glaubens.
- Reine Selbstbespiegelung oder ‚Heilung der kranken Seele’ ist kein Spezifikum der christlichen Botschaft. Subjektwerdung heißt nicht zuerst religiöse Selbstbefriedigung, sondern Übernahme von Verantwortung, Zeugnis ablegen in dieser Welt und Nachfolge Jesu.
- Eine unverbindliche und beliebige Bibelauslegung, erst recht eine sachlich falsche Bibelauslegung, führt zu einem pflegeleichten, total verbürgerlichten und angepassten Christentum ohne wirkliche Konsequenzen (bzw. auch umgekehrt).
- Die Bibel lehrt uns, die Welt und unser Leben mit neuen Augen zu sehen (neue Brille). Jesus lehrt uns zu sehen mit den Augen der Ohnmächtigen, der Armen, der Außenseiter. Ohne die prophetischen Dimensionen des Alten und Neuen Testamentes (Anklage und Verkündigung), bleiben wir blind oder kreisen nur um uns selbst.
- Als Wichtigstes: Die christologische Komponente darf nicht fehlen: eine Religion ohne Jesus den Christus (und ohne die, mit denen er sich identifiziert), ohne seine Praxis, sein Leben, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung, ist eben nicht christlich. Ein bloß (griechisch) philosophisches Konstrukt gibt kein Leben.
- Die ekklesiologische Komponente darf nicht fehlen. Ein Ausklammern der Weltkirche (und damit ein Ausgrenzen der Armen) ist sektiererisch. Kirche ist Volk Gottes auf dem Weg in die Befreiung, auf dem Weg vom Tod zum Leben, ist Gemeinde auf der Suche nach neuen Lebensformen angesichts der Realitäten dieser Welt (Hunger durch Ungerechtigkeit, Zerstörung der Schöpfung usw.). Eine solidarische Gemeinde klagt die Ursachen des Elends an und ergreift Partei für die Opfer.
- Eine Religion ohne Forderungen, d.h. ohne Umkehr und Verkündigung der Frohen Botschaft von der nun anbrechenden Herrschaft Gottes, ist nicht die Botschaft, die Jesus verkündet. Die Gemeinde hat die Aufgabe, lebendiges Zeichen dieser beginnenden Herrschaft Gottes in der Welt zu sein.