Peru - Predigt in allen Gottesdiensten am 25. 11. 1984

.... Soweit das Wichtigste aus San Pedro. Nun noch einige Stichpunkte zur Situation in Peru allgemein. In diesem Jahr gab es einen bisher beispiellosen Terror in Peru. Die Zahl der Opfer des Terrors und des verhängten Kriegszustandes in vielen Provinzen Perus (noch nicht in Cajamarca) wird in diesem Jahr höher eingeschätzt als die Zahl der Opfer in El Salvador. Dabei ist El Salvador in aller Munde - Peru nicht. Die kirchliche Menschenrechtskommission Perus schätzt die Zahl der allein in diesem Jahr spurlos Verschwundenen auf 4.000. Der zunehmende Terror seitens des Staates und einer maoistisch orientierten Guerrilla, die als grausamste der westlichen Welt gilt, erschwert auch zunehmend die Pastoralarbeit. Die Katecheten geraten zwischen die Fronten......

Liebe Gemeinde:

Im letzten Sonntag des Kirchenjahres möchten wir, der Arbeitskreis Mission von St. Georg, Sie über unsere Partnergemeinde in Cajamarca informieren. Obwohl aus Peru in den letzten Monaten schlimme Nachrichten kamen, so können wir doch feststellen, dass aus San Pedro gute Fortschritte gemeldet werden. Es geht aufwärts - nicht zuletzt auch dank der Mithilfe von St. Georg. Auch die heutige Kollekte soll etwas dazu beitragen, unsere Verpflichtungen gegenüber unserer Partnergemeinde erfüllen zu können.

Der Arbeitsplan für 1984 wurde an dieser Stelle im März vorgelesen. Wir konnten sehen, wie mit relativ wenig Geld - im Vergleich zu staatlichen Projekten der Entwicklungshilfe - sehr viel erreicht werden kann. Wir erwarten bald den Arbeitsplan für 1985.

Nun zu den Nachrichten, die uns aus San Pedro erreichten. Der Briefwechsel klappt bisher ausgezeichnet. Im Folgenden einige Auszügen aus den Briefen. An erster Stelle steht das Projekt mit den zwei Mühlen. Dabei geht es nicht nur um die zu leistende Arbeit. Zuerst muss nämlich die ganze Indiogemeinschaft überzeugt sein, dass das alles einen Sinn hat. Dank der bereits in Ausbildung stehenden Katecheten hat das gut geklappt.

Es gab verschiedene Dorfversammlungen, ein Komitee wurde gewählt und die Arbeit wurde eingeteilt. Alle Männer der Gemeinschaft arbeiten abwechselnd drei Tage in der Woche. Eine alte Tradition der Inkas, die so genannte Minga (Gemeinschaftsarbeit)  wird dabei wiederbelebt. Es gibt eine gemeinsame Küche, die Frauen versorgen die Männer. Bezahlt wird das Essen mit Kleidern aus Ulm. Die Campesinos bringen mit, was sie gerade haben, dann wird alles zusammengelegt, einige wertvolle Nahrungsmittel (z.B. Tomaten, Bananen, ein wenig Fleisch) werden dazugekauft. Dann wird gemeinsam gegessen - meist auf dem Boden. Danach erhalten Frauen und Männer etwas Wäsche, die vorher dafür aussortiert worden war.

Die Arbeit selbst wird nicht bezahlt und ist freiwillig. Aber wie gesagt - alle machen mit, denn am Ende werden alle sauberes Wasser und die beiden Mühlen haben. Eine kleine Schwierigkeit tauchte auf: Für den Wasserkanal von 3 km Länge müssen nun mindestens 300 m zementiert werden. Einige Ingenieure der Universität haben dringend dazu geraten, sonst versickert zu viel Wasser und die Mühlen arbeiteten nicht so effektiv. Das bedeutet aber etwa 1.500 Dollar Mehrkosten.

Einige Fachleute der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität von Cajamarca konnten zur nicht bezahlten Mitarbeit und Beratung gewonnen werden. Inzwischen hat dieses Mühlenprojekt die Aufmerksamkeit vieler Experten auf sich gezogen. Konzeption und Durchführung des Projekts werden bereits als modellhaft für die ganze Region angesehen. Das zeigt sich auch darin, dass zu einer Tagung für ganz Nordperu, zu der alle an der Entwicklung des Landes beteiligten Organisationen (in- und ausländische) eingeladen wurden, die Pfarrei San Pedro auch als einzige Pfarrei überhaupt eingeladen wurde, um dort ihre Arbeit vorzustellen.

Neben den geplanten Arbeiten - siehe Arbeitsplan 1984, den wir das letzt Mal verteilt hatten - konnte noch zusätzlich folgendes geleistet werden: ein Fischweiher für die Fischzucht wurde angelegt, um den Eiweißmangel der Campesinos etwas zu lindern. Die Campesinos selbst werden später für die Fischzucht verantwortlich sein. Besonders erfreulich ist, dass es inzwischen schon 24 Katecheten gibt, auf die man fest zählen kann. Sie repräsentieren in ihren Gemeinschaften die Pfarrei und sind dort praktisch die Gemeindeleiter. Ihre Ausbildung ist noch nicht abgeschlossen.

Die bestehende Frauengruppe macht ebenfalls Fortschritte. Sie nähen und stricken und dank des Startkapitals von 450 m² Stoff, den die Pfarrei gekauft hat, können sie jetzt selbstständig weiterarbeiten. Pastoral werden sie aber natürlich weiter begleitet. Ein von den Frauen selbst gewähltes Komitee verwaltet die Einnahmen und Ausgaben, es gibt eine gemeinsame Kasse. Dieses Beispiel zieht Kreise und die Pfarrei könnte bereits eine 2. Frauengruppe gründen. Aber es fehlt noch an Leuten, die diese Gruppe betreuen könnten.

Nicht vorgesehen war auch der Bau einer Schule auf dem Land. Die Pfarrei unterstützte eine Indiogemeinschaft - es gibt ja deren 18 in der Pfarrei - beim Eigenbau der Schule, indem sie die Werkzeuge für die Arbeiten kaufte. Dafür wurde die alte, fast verfallene Kapelle in der Stadt, die als Schlaf- und Versammlungsraum genutzt werden sollte, noch nicht renoviert. Dies war eigentlich für dieses Jahr vorgesehen.

Soweit das Wichtigste aus San Pedro. Nun noch einige Stichpunkte zur Situation in Peru allgemein. In diesem Jahr gab es einen bisher beispiellosen Terror in Peru. Die Zahl der Opfer des Terrors und des verhängten Kriegszustandes in vielen Provinzen Perus (noch nicht in Cajamarca) wird in diesem Jahr höher eingeschätzt als die Zahl der Opfer in El Salvador. Dabei ist El Salvador in aller Munde - Peru nicht. Die kirchliche Menschenrechtskommission Perus schätzt die Zahl der in diesem Jahr spurlos Verschwundenen auf 4.000. Der zunehmende Terror seitens des Staates und einer maoistisch orientierten Guerrilla, die als grausamste der westlichen Welt gilt, erschwert auch zunehmend die Pastoralarbeit.

Die Katecheten geraten zwischen die Fronten. Von der Guerrilla werden sie als Verräter verurteilt, weil sie nur mit friedlichen Mitteln arbeiten, und der Regierung sind sie verdächtig, weil sie sich für gerechtere Verhältnisse einsetzen, aufklären etc. Dies alles findet vor dem Hintergrund einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage statt. Das verbreitete Elend ist ja auch einer der Hauptgründe für das Entstehen einer Guerilla. Das Realeinkommen sinkt ständig, Hunger und Elend nehmen zu. Um die Zinsen für die Auslandsschulden bezahlen zu können, werden dem Land immer härtere Bedingungen diktiert, die den tausendfachen Tod der Ärmsten der Armen zur Folge haben werden. Die Bischöfe des Nordosten Brasiliens scheuen sich nicht, die Maßnahmen des IWF als Massenmord zu bezeichnen.

Nun noch etwas Positives: Die peruanische Kirche gilt zusammen mit der brasilianischen Kirche weltweit als Modell einer prophetischen Kirche, die in der Nachfolge Jesu den Armen die Frohe Botschaft ihrer Befreiung in Jesus Christus verkündet und die Reichen zur Umkehr ruft. Die Diözese Cajamarca mit ihrem Bischof José Dammert gilt innerhalb der peruanischen Kirche und darüber hinaus als besonders herausragendes Beispiel einer Kirche auf der Seite der Armen. Die peruanischen Bischöfe wurden nun im Herbst vom Papst nach Rom eingeladen.

Dieses Ereignis wurde mit großer Spannung erwartet, gilt doch Peru als ein Land, in dem die Theologie der Befreiung besonders stark ist. Mir liegt im Original die Ansprache des Papstes an die Bischöfe vor. In dieser Ansprache vom 4. Oktober sagt er u.a.: "Die Verkündigung des Evangeliums muss ausgehen von einer Situation der Sünde, die zum Himmel schreit. Um das Volk und seine Bedürfnisse zu verstehen, müsst ihr Bischöfe mit dem Volk leben. Die Armen sind das Fundament der Kirche und die Bevorzugten beim Entstehen des Reiches Gottes".

Er beschreibt die bestehende Gesellschaft (weltweit) als eine System, das als alleinigen Maßstab die wirtschaftlichen Interessen des Profits für einige wenige Privilegierte kennt. Die Bischöfe werden aufgefordert, den Missbrauch der Macht und alle Ungerechtigkeiten anzuklagen und eine neue Gesellschaft, die auf bekehrten Menschen beruht, anzukündigen. Er fordert die Bischöfe auf, noch enger mit den Armen zusammenzuleben und auf sie zu hören. Zum Abschluss dankt er den Bischöfen für die geleistete Arbeit.

Auch wir haben zu danken: Zuerst Bischof Dammert aus Cajamarca, der die schützende Hand über San Pedro hält. Er war als einer der Vertreter der peruanischen Bischofskonferenz beim Papst und wollte auf dem Rückweg von Rom auch nach Ulm - St. Georg kommen. Doch kaum in Deutschland angekommen, musste er überraschend operiert werden. Es geht ihm jetzt zwar besser, aber er hat alle Besuche in Deutschland abgesagt. Wir wünschen ihm von hier aus gute Besserung.

Zu danken haben wir vor allem Pfarrer Lorenzo Vigo, seiner Mitarbeiterin Anné (Nena) Centurión und den Katecheten von San Pedro, den Campesinos, die unter großem Einsatz an ihrer gemeinsamen Zukunft bauen. Wir können ihnen auch deswegen danken, weil sie durch ihr Beispiel auch uns Mut machen, die Frohe Botschaft ernster zu nehmen und uns noch mehr auf sie einzulassen.

Zu danken haben wir auch der Gemeinde St. Georg. Sie alle ermöglichen mit ihrem Beitrag die Arbeit in San Pedro. Der Beitrag jedes Einzelnen ist ein Baustein für eine Welt, in der mehr Gerechtigkeit und Liebe herrschen. Dies ist auch ein ganz konkreter Dienst am Frieden. Denn Gerechtigkeit ist die Vorraussetzung für wahren Frieden. Aber wir haben auch ein Problem: Ihre Unterstützung ist notweniger denn je. In diesem Jahr konnten wir nur mit knapper Mühe unsere Verpflichtungen (Zusagen) erfüllen und das auch nur dank einer sehr großen Einzelspende. Wie wird es aber im nächsten Jahr sein? Können wir auf halbem Weg stehen bleiben?

Da bald der Arbeitsplan mit Kostenvoranschlag für 1985 eintreffen wird, wäre es für uns wichtig, in etwa zu wissen, mit wie viel Geld wir für 1985 rechnen können. Noch wichtiger wäre es natürlich für San Pedro zu wissen, mit wie viel sie rechnen können, denn wir haben Ihnen gesagt, dass sie nur solche Pläne machen sollten, die in etwa innerhalb des erwarteten Rahmens des Spendenaufkommens liegen. Es wäre deshalb eine große Hilfe für uns, wenn einige sich entschließen könnten, einen Dauerauftrag für das Partnerschaftskonto von St. Georg einzurichten - von 1 DM monatlich bis unendlich. Weihnachten steht vor der Tür, und viele fragen sich, was man tun kann. Hier und heute kann man etwas sehr Konkretes tun und man kann sogar sehen, was dabei herauskommt. Informationen erteilt Ihnen gern das Pfarrbüro und der Arbeitskreis. Überweisungsauftrage liegen hinten auf.

Der Gemeinde St. Georg ist nicht nur zu danken, sondern sie darf sich auch beschenkt fühlen. Es geht ja nicht nur darum zu geben, sondern auch um zu empfangen und sich beschenken zu lassen. Und was können wir empfangen? Dazu ein Zitat aus dem Kath. Kirchenblatt vom 28. Oktober (zum Tag der Weltmission), in dem ich geschrieben habe: „In einem wahrhaften Dialog mit der lateinamerikanischen Kirche können wir nichts verlieren - nur gewinnen. Es seien nur kurz erwähnt: die Erfahrungen von christlichen Basisgemeinschaften, die erfrischende Mitarbeit von Laien, eine Kirche des Volkes, in der Bischöfe und Priester wahre Diener des Volkes Gottes sind; Begeisterung und Hoffnung, Feier und Dank; die Erfahrung des Miteinanderteilens und Beschenktwerdens; die Einheit von Glaube und Alltag; das rückhaltlose Vertrauen auf den Gott der Liebe, der sein Volk nicht im Stich lassen wird“.
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Brief von Bischof Dammert aus dem Krankenhaus in Castrop Rauxel (06. 12. 1984)

Liebe Amelia, lieber Willi,
ich danke euch für die wiederholten Grüße per Telefon und Brief. Ihr hattet wohl schon die Vorahnung, dass mein Besuch in Ulm unmöglich werden wird. In der Tat, mein Aufenthalt von fast sechs Wochen in dieser Stadt und im Krankenhaus, macht mir alle Besuche unmöglich. So muss ich euch, wie anderen auch, mitteilen, dass ich bestimmt nicht kommen kann, denn sonst wäre meine Rückkehr nach Peru auf unbestimmte Zeit unmöglich. Ich verließ Cajamarca am 1. September, so dass ich schon fast vier Monate abwesend bin.

Wenn ich mir alle Punkte, die ich mir für meinen Besuch in Deutschland vorgenommen hatte, erfüllen wollte, müsste ich mindestens noch einen Monat länger wegbleiben. Leider hat die Operation, außer dass sie auch ein chirurgischer Eingriff in meinen Körper war, mich stark behindert. Ende der nächsten Woche kann ich endlich hier raus und dann nach Frankfurt fahren. Von dort werde ich nach Peru fliegen. Ich hoffe, nach einer kurzen Erholungsphase das Weihnachtsfest mit meiner Schwester verbringen zu können und werde dann gleich danach nach Cajamarca reisen.

Den Brief, den ihr mir geschickt habt, werde ich Padre Vigo übergeben. In seinem Namen und in dem seiner Pfarrei danke ich euch für diese Großherzigkeit, die es ihm erlaubt, seiner pastoralen Verantwortung gerecht zu werden, die für die Gemeinde einen Neuanfang bedeutet, der bereits unerwartet viele Früchte getragen hat.

Ich lege euch die Kopie eines Interviews mit Frau Bollinger bei. Sie hat mich schon einmal 1977 interviewt. Das Interview gelang sehr gut, denn sie drückt klar aus, was ich denke. Meinen Bericht über das Treffen mit dem Papst habt ihr ja ebenfalls bekommen. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Wir peruanischen Bischöfe fühlen uns in unserer Linie voll bestätigt und werden alles tun, um noch mehr und besser mit den Armen zusammenzuarbeiten.

Ich halte es für höchst interessant und gut, welches Bild ihr den Gemeindemitgliedern von St. Georg über die Situation ihrer „Kollegen“ in San Pedro vermittelt und auch allgemein über die traurige Lage, in der sich Peru gerade wirklich befindet. Solche guten Schilderungen und Analysen der Situation liest man selbst in Peru selten.

Seit meiner Ankunft in Cajamarca hat mir die Pfarrei San Pedro sehr am Herzen gelegen. Denn abgesehen von einer sehr großen Zahl von Gläubigen in der Stadt, ist auch ihre Ausdehnung auf das Land hinaus enorm. So versuchte ich Padre Vigo zu helfen, in dem ich z.B. regelmäßig die 6-Uhr-Messe in der noch alten Kapelle gelesen habe. Die Diözese selbst hat ein Projekt unterstützt in Chetilla, das darin bestand, die alten Sitten und Gebräuche niederzuschreiben um diese Indiogemeinschaft mit ihrer eigenen Geschichte zu konfrontieren. Denn Chetilla ist eine Enklave innerhalb der Diözese mit eigener Indiosprache. Die andere Enklave, in der ebenfalls Quetschua gesprochen wird, gehört ebenfalls zu San Pedro. Es ist Porcón.

Insgesamt stand aber San Pedro sehr allein und all die Jahre gelang es dort nicht, eine echte Landpastoral mit Katecheten usw. aufzubauen. Umso mehr findet all das meine höchste Anerkennung und Hochschätzung, was ihr zur pastoralen Arbeit in San Pedro beitragen könnt, ja in diesem Umfang erst ermöglicht. Ohne eure Partnerschaft, die ihr in Ulm initiiert habt, wäre ein solcher Neuanfang nicht möglich gewesen.

Hoffentlich wird es eines Tages noch mehr solcher Partnerschaften in Cajamarca geben! Deswegen bedauere ich auch so sehr, dass ich Ulm diesmal nicht besuchen kann. In spanisch sagen wir: der Mensch denkt und Gott lenkt - genau das geschah nun mit mir. Ich wünsche eurem Herrn Pfarrer und allen Gemeindemitgliedern von St. Georg eine heiliges Weihnachtsfest und dass der Herr die großmütigen Anstrengungen in der Zusammenarbeit mit San Pedro segnen möge!

Euch selbst eine freundschaftliche Umarmung, José Dammert Bellido, Bischof von Cajamarca

Anmerkung 2006: Bischof Dammert war im Herbst 1993 zum letzten Mal in Deutschland. Zum Abschluss (und Erholung, wie er sagte) seines vierwöchigen Aufenthaltes in Deutschland war für 6 Tage bei uns zuhause in Ulm, wo er sich „wie zuhause fühlte“ - auch wegen Amelia, mit deren Eltern er sehr befreundet war und die über Jahre seine Mitarbeiterin war.

Miteinander glauben - miteinander teilen
Leitartikel Kath. Kirchenblatt Ulm/Neu - Ulm/Blautal zum Tag der Weltmission, 28. 10. 1984. „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten“ (Mt 5, 13, aus dem heutigen Evangelium).

Salz gehört in die Speise. Bleibt es im Topf, im Sack, ist es nutzlos. Es offenbart sein Wesen nur, wenn es tätig wird. Ebenso kann ein Christ nur Zeuge Jesu Christi sein, wenn er Christsein als Dienst an der Welt, als „Mission“ begreift. Sind wir aber Salz, fordern uns die weltweiten Probleme unserer Zeit heraus: die wachsende Verelendung in der Welt, die Bedrohung der Schöpfung, die steigende Rüstungsproduktion, die zunehmende Gewalt, die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher, der schwindende Glaube an Jesus Christus.... Wir müssen uns diesen Problemen stellen und nach alternativen - dem Evangelium gemäßen - Antworten suchen. Wenn wir zu all dem nichts zusagen haben, sind wir schales Salz, nutzlos.

Haben wir etwas zu sagen - und selbst wenn: wer hört uns noch? Wir leben in einer zunehmend heidnischen Gesellschaft. Die Zerstörung der Natur, unser eigenen Lebensgrundlage und der kommender Generationen, ist nur ein Beispiel und Symptom einer zutiefst atheistischen Grundeinstellung: nämlich sich selbst an die Stelle Gottes setzen wollen oder sich eigene Götter zu schaffen, die da sind: Profit, Habgier, Macht, materieller Wohlstand usw. Wenn diese Götzen angebetet werden, dann braucht man sich nicht mehr zu wundern, wenn ein blühender Handel mit menschlichen Embryonen existiert oder wenn man Millionen von Menschen in den Tod treibt, weil man ihnen mit Gewalt ihr Land genommen hat, um darauf dann Sojabohnen für unsere Schweine anzubauen.

„Ihr seid das Salz der Erde“. Müssen wir uns nicht fragen, ob wir uns beim Tanz um das Goldene Kalb nicht allzu sehr haben blenden und berauschen lassen? Dennoch: Wir Christen sind beauftragt, „Salz der Erde“ zu sein, Licht gerade in dieser Finsternis. Und wir können dies auch, Gott zumindest traut es uns zu. Dabei können wir auch voller Hoffnung auf Lateinamerika schauen, wo eine Kirche nach Jahrhunderte langer Agonie zu neuem Leben erwacht. Menschen, die im Elend leben, entdecken neu die befreiende Botschaft Jesu.

Sie lesen zusammen die Bibel und entdecken, dass der Kreuzweg Jesu Christi ihr eigener Kreuzweg ist. Sie fragen aber auch, warum Jesus gekreuzigt wurde und warum sie selbst in solchem Elend leben müssen. Dabei lernen sie die Ursachen ihres Elend kennen, aber auch, dass Elend und Unterdrückung nicht dem Willen Gottes entsprechen. Ihr Elend ist die Folge von sündhaftem Verhalten und sündhaften Strukturen, die von den Mächtigen dieser Erde aus Habgier errichtet und gewaltsam aufrechterhalten werden. Sie vertrauen voll auf Gott, der dieses Unrecht nicht duldet. Gott steht auf der Seite der Armen und in Jesus solidarisiert er sich mit ihnen bis zum Tod am Kreuz.

Doch das Kreuz ist nicht das Ende. Gott hat ihnen, hat uns allen, sein Wort gegeben - über den Tod hinaus. Sie wissen, dass die Herrschaft Gottes schon jetzt aufleuchten soll. Dieses Reich Gottes nimmt konkrete Gestalt an im Einsatz gegen Elend und Ungerechtigkeit und überall dort, wo Menschen sich gemeinsam auf die Nachfolge Jesu einlassen. Ihnen, den Armen, gehören die Verheißungen eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Und die Reichen?

Auch sie sind eingeladen und gerufen. Aber für sie ist es Ruf zur Umkehr und umzukehren ist sehr schwer für Reiche. Wir gehören zu den Reichen. Sind wir verloren? Ja, wenn wir den Ruf der Armen nach Gerechtigkeit nicht hören, wenn wir uns verkriechen, mit den Wölfen heulen, Angst haben und kleingläubig sind. Nein, wenn wir die Götzen von ihrem Sockel stürzen und uns bedingungslos dem Gott des wahren Lebens anvertrauen.

In einem wahrhaften Dialog mit der lateinamerikanischen Kirche können wir nichts verlieren - nur gewinnen. Es seien nur kurz erwähnt: die Erfahrungen von christlichen Basisgemeinschaften, die erfrischende Mitarbeit von Laien, eine Kirche des Volkes, in der Bischöfe und Priester wahre Diener des Volkes Gottes sind; Begeisterung und Hoffnung, Feier und Dank; die Erfahrung des Miteinanderteilens und Beschenktwerdens; die Einheit von Glaube und Alltag; das rückhaltlose Vertrauen auf den Gott der Liebe, der sein Volk nicht im Stich lassen wird. Das ist die Botschaft der Armen heute an uns.

Zuhören und offen sein ist ein erster Schritt. Es könnte ein Anstoß sein zu einer Befreiung von den Dämonen dieser Zeit, von Zwängen und Ängsten, und zu einem Freiwerden für Gott und den Mitmenschen. Dazu sind wir gemeinsam herzlich eingeladen - gerade auch an diesem Tag der Weltmission.