"Weil wir Teil derselben Weltwirtschaftsordnung sind, tragen wir eine große Mitverantwortung für den täglichen Hunger und die tägliche Gewalt. Doch deutsche Christen, die einzelnen Gemeindemitglieder wie die Kirche als Ganzes mit all ihren Organisationen, sind mehr oder weniger gut funktionierende Bestandteile dieser Gesellschaft. Gemeinde und Kirche sind nicht nur Stützen dieser Gesellschaft, sie sind diese Gesellschaft. Als Gemeinde und Teil dieser Gesellschaft sind sie Teil des dazugehörenden Wirtschaftssystems und haben ein existentielles Interesse an dem Erhalt und der Funktionstüchtigkeit dieses Systems, das auch ein globales System ist. Aus diesem Interesse heraus entsteht de facto eine entsprechende Option...."
Glaubenszeugnis eines Campesino aus Bambamarca (Diözese Cajamarca), Peru
„Sie erzählen uns, dass es in den Zeiten der Globalisierung mehr Freiheit und vieles mehr gibt. Ja, gewiss, denn jeder kann sein Geld verschwenden wie und wo er will ... vorausgesetzt er hat genug davon, und wenn nicht, so ist das sein Pech, er hat selbst Schuld. Und währenddessen gibt es täglich immer weniger Kinder, die sich in Freiheit ein Leben aussuchen können, das zumindest die fundamentalsten Bedürfnisse befriedigt. Die Globalisierung wird als die neue, absolute Religion verkauft und statt der Zehn Gebote herrschen die Gebote des nackten Egoismus, das Recht des Stärkeren und des permanenten Kampfes des Einen gegen den Anderen. Und als Krönung allen Übels gibt es noch kirchliche Prälaten, die sich berufsmäßig über die moralische Dekadenz beklagen, während sie gleichzeitig nicht schnell genug zu den Banketten und Festmählern eilen können, zu denen sie von den ‚Herren der Unmoral’ und den Autoren dieser Globalisierung eingeladen werden.
Wir aber haben als Christen die Pflicht, der Welt eine Alternative zu präsentieren: die Alternative einer anderen „Kommunion“ - in dem wir das tägliche Brot mit den Opfern teilen, denn sie sind die Ersten, die von Gott zu seinem Festmahl eingeladen sind, in dem ihr Hunger nach Brot und nach Gerechtigkeit gestillt wird. Man teilt das tägliche Brot dann, wenn man für eine Welt kämpft, in der jede Schwester das Notwendige hat, damit sie in Würde und in Gemeinschaft mit dem Nächsten leben kann. Wir sind die Kirche Jesu Christi, weil wir das Brot und das Wort Gottes untereinander teilen; wir versammeln uns und feiern die Gegenwart des Herrn, seiner Leiden, seines Todes und seiner Auferstehung in unserer Mitte“. (Auszug aus: Jesús Flores „Lasst uns den Weg weitergehen!").
Ihr Standort (wer und was sind „Campesinos“?)
Die Campesinos (Indios) stehen exemplarisch für alle Ausgegrenzten dieser Welt. Sie verstehen sich als Opfer des christlichen Abendlandes, dessen Eroberungssucht die Ausrottung vieler Millionen Menschen zur Folge hatte (90% der ursprünglichen Bevölkerung in Amerika). In der Folge des II. Vat. Konzils (Hinwendung zu den Armen) hörten sie erstmals die Botschaft von einem Gott, der auf ihrer Seite steht, der mitten unter ihnen Mensch wurde, der sich mit ihrem Leiden identifiziert, der mit ihnen auf dem Weg ist und der mit ihnen aufersteht. Dies war und ist für sie eine existentiell befreiende Botschaft. Zum ersten Mal erfahren sie sich als Menschen mit unveräußerlichen Rechten und einer unantastbaren Würde, mit der Verheißung eines Lebens in Fülle. Und diese Verheißung nahm Gestalt an und setzte ungeahnte Kräfte frei im Kampf für eine gerechtere Welt.
Das Konzil bedeutete die Hinwendung zur Welt und die Abkehr von einer „societas perfecta“, die sich selbst genügt und für sich selbst da ist. Die lateinamerikanische Bischofskonferenz in Medellín (1968) gilt als Weiterführung des Konzils und dessen „Anwendung“ auf eine Situation von Abhängigkeit und Ausbeutung im Kontext einer von den Mächtigen dieser Welt geschaffenen Wirtschafts- und Finanzordnung. Diese hat das Elend der Menschen in Lateinamerika - und allen abhängigen Ländern, aber auch selbst in reichen Ländern - zur Folge. Doch die Opfer dieser ungerechter weltweiten Strukturen erheben ihre Stimme. (Medellín: „Es erhebt sich ein Schrei zum Himmel“).
Ihr Schrei nach dem täglichen Brot und nach Gerechtigkeit ist der Ruf Gottes heute an uns. Im Hungernden und unter die Räuber Gefallenen offenbart sich Gott und sagt uns, wer er ist und was er von uns erwartet. So lautet zumindest im Kern die biblische Botschaft. Und in gleicher Weise gehört dazu die zentrale Botschaft Jesu, dass das Reich Gottes „vor der Tür steht“. In den Worten und Taten Jesu wird deutlich, was damit gemeint ist (Tischgemeinschaft mit Ausgestoßenen, Vergebung usw.).
Es geht um eine authentische Interpretation dieser Frohen Botschaft (Worte und Taten Jesu), aber auch des Konzils in seiner Besinnung auf unsere Quellen – in Treue zur Tradition und zum Zeugnis der ersten Christen und der Märtyrer bis heute. Zeichen. einer authentischen Interpretation ist ein Mehr an Fülle des Lebens und an Menschwerdung, besonders für die unter die Räuber Gefallenen. Sie können uns helfen, die eigentliche Frohe Botschaft wieder neu zu entdecken. Sie zeigen uns den Weg! Doch unsere Kirchen scheinen davon sehr weit entfernt oder haben dies gar ganz vergessen…!
Unser Standort (in welchem Kontext – individuell und als Kirche?)
Offensichtlich ist es für Arme leichter, ihre Situation zu analysieren und im Lichte des Evangeliums zu deuten als für Reiche. Andeutungsweise sei auf eine Religion (?) hingewiesen, die meist nicht als solche erkannt wird, dennoch die an Wirkung mächtigste zu sein scheint: der unbedingte Glaube an die Macht des Kapitals. Der Markt hat immer Recht, er ist wertneutral, alternativlos und was allein zählt, ist der finanzielle, wirtschaftliche Erfolg. Die Hohen Priester dieser global herrschenden Religion wollen ihre „Frohe Botschaft“ tief in das Bewusstsein und Herzen der Menschen verpflanzen - und es scheint ihnen zu gelingen! Ihr Gott ist das Geld, und die Gier nach immer mehr Besitz und Macht ist das Erste Gebot. So werden immer mehr Dinge produziert, doch immer mehr Menschen werden ausgegrenzt; Nahrungsmittel werden im Überschuss produziert und verschleudert, aber immer mehr Menschen hungern. Die Erde wird zur Wüste.… Diese falschen Propheten des Unheils gilt es als solche zu entlarven, denn sie führen die Welt in den Abgrund. „Der Tanz um das Goldene Kalb wird zum Totentanz für Mensch und Natur“. (Aufruf des deutschen kath. Missionsrats, Januar 2011).
Weil wir Teil derselben Weltwirtschaftsordnung sind, tragen wir eine große Mitverantwortung für den täglichen Hunger und die tägliche Gewalt. Doch deutsche Christen, die einzelnen Gemeindemitglieder wie die Kirche als Ganzes mit all ihren Organisationen, sind mehr oder weniger gut funktionierende Bestandteile dieser Gesellschaft. Gemeinde und Kirche sind nicht nur Stützen dieser Gesellschaft, sie sind diese Gesellschaft. Als Gemeinde und Teil dieser Gesellschaft sind sie Teil des dazugehörenden Wirtschaftssystems und haben ein existentielles Interesse an dem Erhalt und der Funktionstüchtigkeit dieses Systems, das auch ein globales System ist. Aus diesem Interesse heraus entsteht de facto eine entsprechende Option. Die Campesinos gehören hingegen nur insofern zu diesem System, als dass sie sich als vom System Ausgegrenzte erfahren. Mit anderen Worten: sie sind die Opfer eines Systems, das eine Mehrheit der Christen in den reichen Ländern als alternativlos betrachtet und mit dem man sich eben arrangieren oder das man gar unterstützen muss. Während Campesinos ihre Situation im Licht des Glaubens als Folge der bestehenden „sündhaften Strukturen“ (Medellín) und als unvereinbar mit dem Willen Gottes und dem Kommen des Reiches Gottes verstehen und begreifen, steht den deutschen Kirchen dieser Erkenntnisprozess hinsichtlich ihrer eigenen Situation noch bevor.
Spiritualität
Verschiedene Optionen und Standpunkte „produzieren“ auch verschiedene Arten von Spiritualität. Eine wirkliche Umkehr und Erneuerung der Kirche wird es ohne eine vertiefte Spiritualität bzw. eine Vertiefung des Glaubens an Jesus den Christus (im Sinne der Armen) nicht geben. Eine jesuanisch geprägte Spiritualität hat aber nichts zu tun mit der bei uns üblichen Suche nach Spiritualität, wo es oft zuerst um meine Seele und meinen Gott geht, um die eigentliche Befindlichkeit. Eine biblisch-jesuanische und somit eine unterscheidend christliche Spiritualität besteht darin, im gekreuzigten Nächsten das Antlitz des gekreuzigten Christus zu erkennen und an der Seite der Gekreuzigten darum zu kämpfen, dass immer weniger Menschen „unter die Räuber fallen“.
Im „Goldenen Käfig“ und innerhalb einer Gesellschaft, deren Wohlstand teilweise immer noch auf der Ausbeutung ganzer Völker beruht, wird es schwer sein, eine solche Spiritualität zu entwickeln, aber es ist nicht unmöglich, weil es nicht unmöglich ist auszubrechen und aufzustehen. Denn Gott traut uns dies zu! In der Begegnung mit den Ausgegrenzten ist dies erfahrbar und erlernbar. Es sind diejenigen von außerhalb des Systems, denen sich Gott offenbart, als das was er ist: ein Gott des Lebens, dem der Lärm der Trompeten und das bloße ständige Hallelujasingen ein Gräuel ist. Es ist eine Urerfahrung der großen Religionen, dass man Gott und sich selbst vorrangig erfahren und entdecken kann, wenn man von außerhalb – „in der Wüste“ – auf seinen eigenen Standort blickt. Dann kann und sollte man mit neuer Kraft zurückkehren, um die Gesellschaft im Geiste Jesu Christi und der Propheten zu erneuern.
Erneuerung der Kirche - Auszug und Umkehr
Die notwendige Erneuerung wird mit dieser real existierenden römischen Kirche nicht zu machen sein. Diese so strukturierte Kirche wird mit aller Macht jede Reform verhindern. Aber nicht nur strukturell, sondern vor allem inhaltlich ist sie auf Sand gebaut - und nicht auf dem Evangelium. Stichwortartig:
- Im Mittelpunkt der Lehre steht nicht die Frohe Botschaft vom beginnenden Reich Gottes. Diese Botschaft kommt gar nicht vor. Stattdessen steht die nicht biblische Lehre vom Sühnetod Christi mit ihren verheerenden Folgen im Mittelpunkt.
- Es gibt keine Option für die Armen mehr, diese werden gar zunehmend ausgegrenzt. Durch entsprechende Bischofsbesetzungen wurden Aufbrüche in den Kirchen gewaltsam unterdrückt.
- Keine jesuanische Spiritualität, stattdessen äußerliche Formen, Kult und Opferpriestertum im Zentrum (siehe z.B. den Priester und Leviten im Gleichnis des Barmherzigen Samariters).
- Keine moderne Bibelwissenschaften und ein nicht ernst nehmen der damaligen und heutigen realen Welt und Bedürfnisse, Sehnsüchte und Nöte der Menschen.
- Hierarchie, absolute Herrschaft alter Männer, keine Partizipation, kein Dialog – dies steht im krassen Gegensatz zur Botschaft Jesu (herrschaftsfrei, gewaltfrei, usw.).
- Wesentliche Aussagen des Konzils werden ignoriert oder gar geleugnet, der Papst stellt sich über das Konzil. Die weltumfassende Kirche wird wieder zu einer rein römischen Kirche.
- Menschliche, zeitbedingte Aussagen der altgriechischen Philosophie über Welt und Mensch werden über die Offenbarung Gottes und die Bibel gestellt (Papst: „Man kann das Wesen und Geheimnis Christi nur mit Hilfe der griechischen Terminologie adäquat ausdrücken“).
- Rom erklärt menschlich geschaffene Ordnungen und Strukturen für göttliche, ewig gültige Ordnungen. Zusammen mit dem vorhergehenden Punkt ist das eine schwere Häresie (Irrlehre).
- Gott, Sohn Gottes, Jungfrauengeburt, Erbsünde, Nachfolge Jesu etc. werden rein sexistisch gedeutet. Die vorrangige Option der römischen Kirche scheint die zwangshafte Beschäftigung mit Fragen der Geschlechtlichkeit und Sexualität zu sein.
- Es ist der Papst selbst, der die befreiende Botschaft Jesu relativiert und sie so beliebig macht.
Wie lange wird sich das Volk Gottes diese Zumutungen, Übergriffe und Irrlehren noch gefallen lassen? Und wann werden auch Universitätstheologen, die das alles eigentlich wissen, ihrer Berufung gerecht werden und widersprechen? Selbst die Kirche Jesu Christi als Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Christus (Messias) glaubt, wird immer auch eine Kirche mit Fehlern und Mängeln sein. Aber in der Kirche der Armen, wie sie ansatzweise schon sichtbar geworden und in der Praxis bewährt hat, zeichnet sich schemenhaft ab, was eine Gemeinschaft von Christus-Gläubigen bewirken kann.
Nach innen: Hören der Frohen Botschaft in Gemeinschaft und im Kontext ihrer Situation, die analysiert und im Lichte des Evangeliums gedeutet wird; Kirchenbildung von unten: Beauftragung von der Gemeinschaft in Absprache mit dem Bischof; Feiern des Anbruchs des Reiches Gottes, indem sie das Brot teilen. Diese Vergegenwärtigung der Botschaft Jesu und das Brotteilen als Eucharistiefeier ist für sie das Fundament von Kirchesein, lokal und global. Beauftragte Frauen und Männer leiten diese Gottesdienste, sie taufen, leiten kooperativ die Gemeinde, etc. – alles im Ehrenamt.
Nach außen: Der Einsatz für ein Leben in Fülle und Würde für alle Menschen ist als Diakonie sowohl Voraussetzung als auch Folge von Kirchesein und Verkündigung der Botschaft Jesu. Eine solche Diakonie strebt eine Veränderung der Verhältnisse an. Sie setzt sich für Strukturen ein, innerhalb derer das Volk Gottes nicht mehr unter die Räuber fällt bzw. die den Weg in das Gelobte Land nicht versperrt. Die Kirche ist das konkrete Zeichen des „neuen Himmels und der Neuen Erde“ (Reich Gottes) inmitten dieser Welt. Sie verkündet Jesus den Christus durch ihre gelebte Nächstenliebe.
Im Angesicht der Zeichen der Zeit stellen sich christliche Gemeinschaften den Herausforderungen ihrer Wirklichkeit, die von Ungerechtigkeit und Gewalt geprägt ist. Indem sie diese Gewalt und Ungerechtigkeit zu überwinden suchen, sind sie in dieser gespaltenen Welt und Kirche ein Zeichen der Einheit und bekennen so ihren Glauben. Ihr Kampf für Gerechtigkeit und Menschenwürde stiftet Kirche - eine Kirche die katholisch (universal) und evangelisch (Bibel als Grundlage) ist.
Das hier Beschriebene ist keine Theorie, sondern gelebte und befreiende Praxis. Es gab dies und gibt es wirklich und führte zu einem für nicht möglich gehaltenen Aufbruch. Rom hat diese Aufbrüche als Gefahr gedeutet und diese Praxis mit aller Macht bekämpft. Doch der Weg wird weitergehen….
Zehn Schritte auf dem Weg zur Umkehr und Erneuerung
(auf der Basis befreiender Erfahrungen inmitten der Armen).
Gott identifiziert sich mit den Ausgegrenzten. Diese klagen wie Jesus Christus und die Propheten die herrschenden Missstände an und verkünden das anbrechende Reich Gottes in Liebe und Gerechtigkeit. Sie riskieren dafür ihr Leben, werden eingesperrt, gefoltert und getötet. Sie sind daher die wahren Zeugen des Todes und der Auferstehung. Ihr Zeugnis hat höchste Autorität und sie sind es, die uns den Weg zeigen können. Wir „Schriftgelehrte und Weisen“ sollten vielleicht erst mal lernen zu hören...! Wer diese Menschen ausgrenzt, schließt sich selbst aus der Gemeinschaft des Volkes Gottes aus.
- Ein Blick und ein Hören auf die Zeugnisse gelebten Glaubens der privilegierten Adressaten der Verkündigung Jesu kann den reichen Kirchen helfen, den Auszug aus dem „Goldenen Käfig“ zu wagen. Die „Aussätzigen“ schreiben die Erfahrungen und die Geschichte der ersten Christen fort. Sie bilden daher für uns eine Brücke zum Zugang der Botschaft Jesu und dem Glauben der ersten Christen, zu dem wir „räumlich und zeitlich“ kaum noch einen Zugang haben.
- Die Kirche besitzt aus sich selbst heraus die Kraft, ihre Strukturen, Methoden und ihre gesamte Art und Weise der Pastoral und der Verkündigung zu ändern, wenn sie die entsprechenden Prioritäten setzt – das Evangelium und die Bedürfnisse der Menschen, vorzugsweise der Armen.
- Eine solche Kirche besitzt die Kraft, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und zu einem wichtigen gesellschaftlichen Faktor zu werden - nicht im Sinne eines Bundes mit den Mächtigen, sondern als Anwalt und Stimme der Ohnmächtigen und im entschiedenen Widerstand gegen die Götzen dieser Welt. Im Einsatz für die Überlebensfragen der Menschheit wird sie neue Partner finden.
- „Wir (auf dem Weg mit den Armen) sind Papst“: Die Campesinos und wir alle haben Anteil im vollen Sinne an allen „Ämtern Christi“: dem messianischen, priesterlichen und prophetischen Amt - Männer und Frauen in gleicher Weise. Alle Getauften sind im vollen Sinn verantwortlich für die Inhalte, Verkündigung und die gelebte Praxis des Glaubens in der Nachfolge Christi.
- Eine bereits gelebte Praxis: Die Gemeinde trifft sich, um Gott zu danken, dass er unter ihnen ist, sie erinnern sich der Worte und Taten Jesu, verbinden dies mit ihren konkreten Nöten und Freuden und schöpfen daraus Kraft für die kommenden Aufgaben. Die beauftragte Katechetin/der beauftragte Katechet spricht die Worte Jesu und segnet die Speisen, die alle mitgebracht haben und die dann gemeinsam verzehrt werden. Dieses Teilen verstehen sie als Zeichen („Sakrament“) und als Grundlage ihrer Gemeinschaft. Es ist die ganze Gemeinde, die das Brot teilt. Wenn sie in seinem Namen das Brot teilen, ist Jesus mitten unter ihnen (gegenwärtig). Und so werden sie selbst das Brot des Lebens für andere, weil sie sich dafür einsetzen, dass alle Menschen weltweit ihr tägliches Brot haben.
- Solange die Option für die Armen nicht (inhaltlich und strukturell) in der Kirche verankert ist, kann jeder Bischof (und Papst, Pfarrer) nach Belieben die Arbeit seines Vorgängers zerstören. Solange die befreienden Erfahrungen der Armen nicht mindestens genauso viel Gewicht haben wie römische Erlasse, solange wird es nicht zu einer Kirche kommen, wie sie im II. Vat. Konzil und dann vor allem in Medellín sich abzuzeichnen begann: eine Kirche der Armen als Zeichen der Hoffnung für Reiche.
- Der Umweg über die europäische Theologie und europäische Art von Kirchesein - zumal im Kontext der Conquista und seiner immer noch andauernden Weltherrschaft - erweist sich als Sackgasse. In der Praxis und den Erfahrungen einer Kirche der Armen zeigen sich erstmals die Umrisse eines nichteuropäischen Christentums, ausgehend von den Rändern dieser Welt. Nach über 1.500 Jahren besteht nun die Chance, mit Hilfe der „Hirten von Bethlehem“ den Weg zu Jesus in der Krippe zu finden und ihn als den Messias zu erkennen.
- Nur wer frei ist, kann ohne Rücksicht auf Privilegien das Wort Gottes verkünden. Gemeinsam auf dem Weg sein, Brotteilen und miteinander an dem Mahl teilnehmen dürfen, zu dem Jesus eingeladen hat, ist konstitutiv für das Volk Gottes, sie ist das sichtbare Zeichen einer sonst nur abstrakt gedachten (nicht wirklich erlebten) Weltkirche: einer Gemeinschaft, in der Arme und Reiche an einem Tisch sitzen und gemeinsam das Brot des Lebens essen und so selbst zum Brot des Lebens werden.
- Die Kirche, will sie Kirche Jesu Christi werden, muss der herrschenden Praxis und dem eindimensionalen neoliberalen Verständnis von Globalisierung die Vision und die Praxis einer globalen Gemeinde entgegensetzen, die von den Armen ausgeht. Von ihrem Standpunkt aus gilt es, die Weltwirtschaft mit ihren Tod bringen Folgen zu analysieren, zu deuten und dagegen aufzustehen.
- Wer soll den Reichen von Gott erzählen und sie von ihrer Angst und Einsamkeit befreien, wenn nicht die Armen, inmitten derer er Mensch wurde? Daher sind für Christen in den reichen Ländern der Kontakt, der Dialog und eine Wegegemeinschaft mit den Armen lebensnotwendig. Denn wie könnten sie die Menschwerdung Gottes inmitten der „Aussätzigen“ leugnen, ohne sich selbst aufzugeben?
Das II. Vatikanische Konzil (Gaudium et spes, Grundaussagen) aber sagt:
Gott ist dort zu entdecken, wo die Not am größten ist, wo Menschen ihrer Würde beraubt werden. Eine Kirche, die den Menschen dient, muss diese Orte erst entdecken, sie muss aufbrechen und sich auf den Weg machen - erstrecht, wenn sie derart fest in einer Wohlstandsgesellschaft verankert ist, dass sie von dieser kaum zu unterscheiden ist. Sie muss ausziehen, nach draußen gehen, vor die Tür, zu den Menschen im Straßengraben, die unter die Räuber geraten sind. Dann wird sie zur Gemeinschaft derer, die an Jesus den Christus glauben und so zum Segen für diese Welt. Das wäre dann echte Erneuerung!
(Nachtrag: geschrieben 2006 und im Blick auf das "Pontifikat" von Josef Ratzinger und der daraus resultierenden Eiszeit).