Wir sind Kirche: P f i n g s t b r i e f 2 0 1 2 (siehe auch 2013)
Umkehr und Erneuerung- auf der Basis befreiender Erfahrungen inmitten der Armen
Einen neuen Aufbruch wagen, so heißt das Motto des Katholikentages 2012 in Mannheim. Der Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Papst Johannes XXIII. vor genau 50 Jahren eröffnete, ist im Laufe der Jahrzehnte einem Stillstand gewichen, ja Rom versucht das Rad zurückzudrehen. Wenn wir die Botschaft Jesu ernst nehmen, darf es bei einem neuen Aufbruch nicht nur um Umkehr und Erneuerung der Kirchenstrukturen gehen, sondern es muss um die „engste Verbundenheit der Kirche mit der ganzen Menschheitsfamilie“ gehen, so wie es die Konzilskonstitution „Gaudium et Spes“ über die Kirche in der Welt von heute eindeutig formuliert hat.
Die Christinnen und Christen Südamerikas können uns Vorbild sein, wenn es darum geht, dem Evangelium gemäß zu leben und das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes im Blick zu haben. Den Pfingstbrief 2012 der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche hat dankenswerter Dr. Willi Knecht geschrieben, der als Theologe lange in und mit der Diözese Cajamarca in Peru gearbeitet hat.
Die ausführlichere Fassung ist auf seiner Homepage www.williknecht.de nachzulesen. Wir sind Kirche-Bundesteam, April 2012
Da nach der Wahl von Franziskus aus Argentinien das Thema unseres Pfingstbriefes 2012 besonders aktuell ist, haben wir diesen Text auch als Pfingstbrief für das Jahr 2013 gewählt. Die ausführlichere Fassung ist auf der Homepage www.williknecht.de nachzulesen. Wir sind Kirche-Bundesteam, Mai 2013
„Steht auf, wenn ihr Christen seid!“
Glaubenszeugnis eines Campesino aus Bambamarca (Diözese Cajamarca), Peru (kompletter Text: "Lasst uns den Weg weiter gehen!" Kirchenreform /Glaubenszeugnisse)
„Sie erzählen uns, dass es in den Zeiten der Globalisierung mehr Freiheit und vieles mehr gibt. Ja, gewiss, denn jeder kann sein Geld verschwenden wie und wo er will ... vorausgesetzt er hat genug davon, und wenn nicht, so ist das sein Pech, er hat selbst Schuld. Und währenddessen gibt es täglich immer weniger Kinder, die sich in Freiheit ein Leben aussuchen können, das zumindest die fundamentalsten Bedürfnisse befriedigt.
Die Globalisierung wird als die neue, absolute Religion verkauft, und statt der Zehn Gebote herrschen die Gebote des nackten Egoismus, das Recht des Stärkeren und des permanenten Kampfes des Einen gegen den Anderen. Und als Krönung allen Übels gibt es noch kirchliche Prälaten, die sich berufsmäßig über die moralische Dekadenz beklagen, während sie gleichzeitig nicht schnell genug zu den Banketten und Festmählern eilen können, zu denen sie von den ‚Herren der Unmoral’ und den Autoren dieser Globalisierung eingeladen werden.
Wir aber haben als Christen die Pflicht, der Welt eine Alternative zu präsentieren: die Alternative einer anderen ‚Kommunion’ – indem wir das tägliche Brot mit den Opfern teilen, denn sie sind die Ersten, die von Gott zu seinem Festmahl eingeladen sind, in dem ihr Hunger nach Brot und nach Gerechtigkeit gestillt wird. Man teilt das tägliche Brot dann, wenn man für eine Welt kämpft, in der jede Schwester das Notwendige hat, damit sie in Würde und in Gemeinschaft mit dem Nächsten leben kann. Wir sind die Kirche Jesu Christi, weil wir das Brot und das Wort Gottes untereinander teilen; wir versammeln uns und feiern die Gegenwart des Herrn, seiner Leiden, seines Todes und seiner Auferstehung in unserer Mitte“.
Die „Campesinos“ und die Option für die Armen
Die Campesinos stehen exemplarisch für alle Ausgegrenzten dieser Welt. Sie verstehen sich als Opfer des christlichen Abendlandes, dessen Eroberungssucht die Ausrottung vieler Millionen Menschen zur Folge hatte, 90% der ursprünglichen Bevölkerung in Amerika.
In der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils hörten sie erstmals die Botschaft von einem Gott, der auf ihrer Seite steht, der mitten unter ihnen Mensch wurde, der sich mit ihrem Leiden identifiziert, der mit ihnen auf dem Weg ist und der mit ihnen aufersteht. Dies war und ist für sie eine existentiell befreiende Botschaft. Zum ersten Mal erfahren sie sich als Menschen mit unveräußerlichen Rechten und einer unantastbaren Würde, mit der Verheißung eines Lebens in Fülle. Und diese Verheißung nahm Gestalt an und setzte ungeahnte Kräfte frei im Kampf für eine gerechtere Welt.
Die lateinamerikanische Bischofskonferenz 1968 in Medellín gilt als Weiterführung des Konzils und dessen „Anwendung“ auf eine Situation von Abhängigkeit und Ausbeutung im Kontext einer von den Mächtigen dieser Welt geschaffenen Wirtschafts- und Finanzordnung.
Ihr Schrei nach dem täglichen Brot und nach Gerechtigkeit ist der Ruf Gottes heute an uns. Im Hungernden und unter die Räuber Gefallenen offenbart sich Gott und sagt uns, wer er ist und was er von uns erwartet. So lautet zumindest im Kern die biblische Botschaft. Und in gleicher Weise gehört dazu die zentrale Botschaft Jesu, dass das Reich Gottes „vor der Tür steht“. In den Worten und Taten Jesu wird deutlich, was damit gemeint ist.
Die Kirche der Reichen
Der unbedingte Glaube an die Macht des Kapitals scheint zur „Religion“ der Industrieländer geworden zu sein. Der Markt hat immer Recht, er ist wertneutral, alternativlos und was allein zählt, ist der finanzielle, wirtschaftliche Erfolg. Die Gier nach immer mehr Besitz und Macht ist das Erste Gebot. Nahrungsmittel werden im Überfluss produziert und verschleudert, aber immer mehr Menschen hungern. Als christliche Gemeinde sind wir Teil dieser Gesellschaft und des dazugehörenden Wirtschaftssystems und haben ein existentielles Interesse am Erhalt und an der Funktionstüchtigkeit dieses globalen Systems.
Die Kirche der Armen
Sie hören die Frohe Botschaft in Gemeinschaft und im Kontext ihrer Situation, die analysiert und im Lichte des Evangeliums gedeutet wird. Sie feiern den Anbruch des Reiches Gottes, indem sie das Brot teilen. Diese Vergegenwärtigung der Botschaft Jesu und das Brotteilen als Eucharistiefeier ist für sie das Fundament von Kirchesein. Von ihnen beauftragte Frauen und Männer leiten diese Gottesdienste, sie taufen, leiten kooperativ die Gemeinde.
Der Einsatz für ein Leben in Fülle und Würde für alle Menschen ist als Diakonie sowohl Voraussetzung als auch Folge von Kirchesein und Verkündigung der Botschaft Jesu. Sie verkündet Jesus den Christus durch ihre gelebte Nächstenliebe. Rom hat diese Aufbrüche als Gefahr gedeutet und diese Praxis mit aller Macht bekämpft. Doch der Weg wird weitergehen….
Eine neue Spiritualität
Eine Erneuerung der Kirche gibt es wohl nur mit einer vertieften Spiritualität bzw. eine Vertiefung des Glaubens an Jesus, den Christus – im Sinne der Armen. Die unterscheidend
christliche Spiritualität besteht darin, im gekreuzigten Nächsten das Antlitz des gekreuzigten Christus zu erkennen und an der Seite der Gekreuzigten darum zu kämpfen, dass immer weniger Menschen „unter die Räuber fallen“.
Erneuerung der Kirche – Auszug und Umkehr
Die römische Kirche, so wie sie derzeit besteht, versucht mit aller Macht jede Reform zu verhindern. Aber nicht nur strukturell, sondern vor allem inhaltlich ist diese Art von Kirche auf Sand gebaut – und nicht auf dem Evangelium:
- Im Mittelpunkt der Lehre steht nicht die Frohe Botschaft vom beginnenden Reich Gottes.
- Es gibt keine Option für die Armen mehr, diese werden gar zunehmend ausgegrenzt. Durch entsprechende Bischofsbesetzungen wurden Aufbrüche in den Kirchen gewaltsam unterdrückt.
- Äußerliche Formen, Kult und Opferpriestertum stehen im Zentrum, nicht die Nächstenliebe (vgl. den Priester und den Leviten im Gleichnis vom barmherzigen Samariter).
- Die Hierarchie, die absolute Herrschaft alter Männer, fordert Gehorsam und lässt keine Partizipation, keinen Dialog zu. Dies steht im krassen Gegensatz zur Botschaft Jesu.
- Wesentliche Aussagen des Konzils werden ignoriert. Die weltumfassende Kirche wird wieder zu einer rein römischen Kirche.
- Rom erklärt menschlich geschaffene Ordnungen und Strukturen für göttliche, ewig gültige Ordnungen. Das ist eine schwere Häresie, eine Irrlehre.
- Es ist der Papst selbst, der die befreiende Botschaft Jesu relativiert und sie so beliebig macht.
Gott ist dort zu entdecken, wo die Not am größten ist, wo Menschen ihrer Würde beraubt werden. Eine Kirche, die den Menschen dient, muss diese Orte erst entdecken, sie muss aufbrechen und sich auf den Weg machen – erst recht, wenn sie in einer Wohlstandsgesellschaft derart fest verankert ist, dass sie von dieser kaum zu unterscheiden ist. Sie muss ausziehen, nach draußen gehen, vor die Tür, zu den Menschen im Straßengraben, die unter die Räuber geraten sind. Dann wird sie zur Gemeinschaft derer, die an Jesus den Christus glauben und so zum Segen für diese Welt. Das wäre dann echte Erneuerung!
10 Schritte auf dem Weg zur Umkehr und Erneuerung -
auf der Basis befreiender Erfahrungen inmitten der Armen
Gott identifiziert sich mit den Ausgegrenzten. Diese klagen wie Jesus Christus und die Propheten die herrschenden Missstände an und verkünden das anbrechende Reich Gottes in Liebe und Gerechtigkeit.
1. Die „Aussätzigen“ schreiben die Erfahrungen und die Geschichte der ersten Christen fort. Sie bilden daher für uns eine Brücke zum Zugang der Botschaft Jesu und dem Glauben der ersten Christen, zu dem wir „räumlich und zeitlich“ kaum noch einen Zugang haben.
2. Die Kirche besitzt aus sich selbst heraus die Kraft, ihre Strukturen, Methoden und ihre gesamte Art und Weise der Pastoral und der Verkündigung zu ändern, wenn sie die entsprechenden Prioritäten setzt – das Evangelium und die Bedürfnisse der Menschen, vorzugsweise der Armen.
3. Eine solche Kirche besitzt die Kraft, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und zu einem wichtigen gesellschaftlichen Faktor zu werden - nicht im Sinne eines Bundes mit den Mächtigen, sondern als Anwalt und Stimme der Ohnmächtigen und im entschiedenen Widerstand gegen die Götzen dieser Welt. Im Einsatz für die Überlebensfragen der Menschheit wird sie neue Partner finden.
4. Die Campesinos und wir alle haben Anteil im vollen Sinne an allen „Ämtern Christi“: dem messianischen, priesterlichen und prophetischen Amt - Männer und Frauen in gleicher Weise. Alle Getauften sind im vollen Sinn verantwortlich für die Inhalte, für die Verkündigung und die gelebte Praxis des Glaubens in der Nachfolge Christi.
5. Die beauftragte Katechetin/der beauftragte Katechet spricht die Worte Jesu und segnet die Speisen, die alle mitgebracht haben und die dann gemeinsam verzehrt werden. Es ist die ganze Gemeinde, die das Brot teilt. Wenn sie in seinem Namen das Brot teilen, ist Jesus mitten unter ihnen. Und so werden sie selbst das Brot des Lebens für andere, weil sie sich dafür einsetzen, dass alle Menschen weltweit ihr tägliches Brot haben.
6. Solange die Option für die Armen nicht (inhaltlich und strukturell) in der Kirche ver-ankert ist, kann jeder Bischof (und Papst, Pfarrer) nach Belieben die Arbeit seines Vor-gängers zerstören. Solange die befreienden Erfahrungen der Armen nicht mindes¬tens genauso viel Gewicht haben wie römische Erlasse, solange wird es nicht zu einer Kir¬che kommen, wie sie im 2. Vatikanischen Konzil und dann vor allem in Medellín sich abzuzeichnen begann: eine Kirche der Armen als Zeichen der Hoffnung für Reiche.
7. In der Praxis und den Erfahrungen einer Kirche der Armen zeigen sich erstmals die Umrisse eines nichteuropäischen Christentums, ausgehend von den Rändern dieser Welt. Nach über 1.500 Jahren besteht nun die Chance, mit Hilfe der „Hirten von Bethlehem“ den Weg zu Jesus in der Krippe zu finden und ihn als den Messias zu erkennen.
8. Gemeinsam auf dem Weg sein, Brot teilen und miteinander an dem Mahl teilnehmen dürfen, zu dem Jesus eingeladen hat, ist konstitutiv für das Volk Gottes, sie ist das sichtbare Zeichen einer sonst nur abstrakt gedachten (nicht wirklich erlebten) Weltkirche: einer Gemeinschaft, in der Arme und Reiche an einem Tisch sitzen und gemeinsam das Brot des Lebens essen und so selbst zum Brot des Lebens werden.
9. Die Kirche, will sie Kirche Jesu Christi werden, muss der herrschenden Praxis und dem eindimensionalen neoliberalen Verständnis von Globalisierung die Vision und die Praxis einer globalen Gemeinde entgegensetzen, die von den Armen ausgeht. Von ihrem Standpunkt aus gilt es, die Weltwirtschaft mit ihren Tod bringen Folgen zu analysieren, zu deuten und dagegen aufzustehen.
10. Wer soll den Reichen von Gott erzählen und sie von ihrer Angst und Einsamkeit befreien, wenn nicht die Armen, inmitten derer er Mensch wurde? Daher sind für Christen in den reichen Ländern der Kontakt, der Dialog und eine Wegegemeinschaft mit den Armen lebensnotwendig. Denn wie könnten sie die Menschwerdung Gottes inmitten der „Aussätzigen“ leugnen, ohne sich selbst aufzugeben?
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