Eine wirkliche Umkehr und damit auch eine Erneuerung der Kirche wird es ohne eine vertiefte Spiritualität bzw. eine Vertiefung des Glaubens an Jesus den Christus nicht geben. Eine jesuanisch geprägte Spiritualität hat aber nichts zu tun mit der bei uns üblichen Suche nach Spiritualität, wo es oft zuerst um meine Seele, „meinen“ Gott oder um die eigene Befindlichkeit geht. Eine biblisch-jesuanische und somit eine unterscheidend christliche Spiritualität besteht darin, im gekreuzigten Nächsten das Antlitz des gekreuzigten Christus zu erkennen und an der Seite der Gekreuzigten darum zu kämpfen, dass immer weniger Menschen den global agierenden Räuberbanden zum Opfer fallen.

Im „Goldenen Käfig“ und innerhalb einer Gesellschaft, deren Wohlstand teilweise immer noch oder gar immer intensiver auf der Ausbeutung ganzer Völker beruht, wird es schwer sein, eine solche Spiritualität zu entwickeln, aber es ist nicht unmöglich, weil es nicht unmöglich ist auszubrechen und aufzustehen!

Der synodale Weg – aus der Perspektive unserer Partner im globalen Süden

„Papst Franziskus fordert uns auf, eine synodale Kirche zu werden und unseren Weg gemeinsam zu gehen. Es soll ein Weg der Umkehr und der Erneuerung sein, der dazu dient, einen Aufbruch im Lichte des Evangeliums zu wagen und dabei über die Bedeutung von Glauben und Kirche in unserer Zeit zu sprechen“. (Kardinal Marx zum Start am 1.12.19). Was soll der „Synodale Weg“ sein und wohin soll er führen? Zwar ist es erfreulich, dass die Laien und ihre Vertretungen, Bereitschaft zum Mitmachen bekundet haben. Das ändert aber nichts daran, dass Beschlüsse derartiger Versammlungen bisher einfach nicht beachtet wurden. Aber was wurde eigentlich beschlossen? In unserer Diözese gab es einen Dialogprozess, darauf aufbauend (?) eine Kirchenerneuerung namens „Kirche am Ort“ und nun wieder ein neuer Aufbruch? Dienen vielleicht all diese Erneuerungsprogramme eher dazu, dem Volk Gottes mehr Geduld und Resilienz einzuüben, damit es die klerikalen Zumutungen weiterhin und besser ertragen kann?

I. Analyse

„Synode“ meint Zusammenkommen, gemeinsam sich des Weges vergewissern und sich auf den Weg machen. Jesus der Christus fordert seine Jünger*innen auf, umzukehren und ihm nachzufolgen. Kirche Jesu Christi sein bedeutet demnach die Gemeinschaft derer, die sich im Namen Jesu versammeln und gemeinsam aufbrechen. Dieser Wege - Gedanke setzt Ursprung und Ziel des Weges voraus. Am Anfang des Weges steht die Umkehr. Das bedeutet zu erkennen, dass wir bisher auf dem falschen Weg waren. Und in der Tat: Das Bewusstsein wächst, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind. Aber: Meinen wir nicht schon umgekehrt zu sein, nämlich getauft und daher „reingewaschen von der Sünde“? Gilt daher der Ruf Jesu zur Umkehr nur den Heiden und den Atheisten und nicht uns, die wir schon „gerettet“ sind? Wen hat Jesus gemeint – nur die Pharisäer und Schriftgelehrten? Nein, er hat das ganze Volk Gottes gemeint, das aber immer wieder – so wie auch wir auch heute - vom rechten Weg abgekommen ist und das die Propheten zum Schweigen gebracht hat!

Wenn wir von „katholischer Kirche“ sprechen, meinen wir immer auch die weltweite, allumfassende Kirche als Einheit, also Aufbruch weltweit. Der Ausgangspunkt ist allen gemeinsam: das Evangelium, das Ziel ebenfalls: die Herrschaft Gottes, die jetzt schon in den Taten und Worten Jesu und seiner Jünger*innen sichtbar wird. Die Ausgangslage für einen weltkirchlich gemeinsamen Weg ist aber verschieden. Denn wenn wir Eucharistie feiern, dann feiern wir dies immer auch im Namen der weltweiten Kirche. Wie können wir uns aber gemeinsam mit denen an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrigbleiben, die von unserem überreich gedeckten Tisch fallen? Wir können nicht miteinander Eucharistie feiern, während oder falls wir gleichzeitig bemüht sind, unseren schon üppig gedeckten Tisch noch üppiger zu decken – und dafür in Kauf nehmen, dass immer mehr Menschen um ihr Leben gebracht werden. Christlicher Glaube zeigt sich aber darin, dass wir im Namen Gottes und in der Nachfolge Jesu das Brot, die Früchte unserer Mutter Erde und unser Leben miteinander teilen.

In der deutschen Kirche, erst recht in Reformkreisen, ist das Schreiben des Papstes zur Amazonassynode überwiegend mit großer Enttäuschung aufgenommen worden. Die Erwartung war, dass die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt für verheiratete Männer und dann auch Frauen zumindest gelockert werden. Doch bei der Amazonassynode geht es vor allem um ganz andere Themen. Es geht um das Überleben ganzer Völker, nicht nur in Amazonien, es geht um unsere gemeinsame Zukunft als Menschheit. Aber in unseren Kirchengemeinden sorgen sich oft die Gläubigen (diejenigen, die nicht schon längst weg sind) eher darum, noch einen „eigenen“ Pfarrer zu bekommen, statt sich selbst zu organisieren. Das Ziel ist wohl eine Kirche als „Wellnessverein“, in der man allerdings noch einige „alte Zöpfe“ wie Zölibat und die exklusive Männerherrschaft abschaffen muss, um sich dann auch wirklich wohlfühlen zu können. Dieser Blick ad intra (kirchenintern) trübt oder verhindert gar den Blick ad extra – den Blick auf das von uns mitverursachte Elend weltweit. Dennoch: Man darf und kann „ad intra und ad extra“ nicht gegeneinander ausspielen. Denn nur eine Kirche, in der es innerhalb gerecht zugeht (Mann – Frau, demokratisch, u.a.) kann nach außen glaubwürdig sein.

II. Aus der Perspektive der Partner

Auch unsere Partner im Süden (ich konzentriere mich hier auf Lateinamerika) hatten sich vom Papstschreiben mehr erhofft, zumal die Vorschläge auf der Synode in Rom zumindest eine Offenheit bei den Zulassungsbedingungen zum Priesteramt erwarten ließen. Hauptargument: Das Recht von christlichen Gemeinschaften und Kirchengemeinden auf die Feier der Eucharistie steht über den zeitlich bedingten Vorschriften der Zulassung zum Priestertum. Dennoch sieht man das Schreiben des Papstes etwas gelassener. Denn einerseits gibt es in zunehmendem Maße wieder Gemeinden, die ganz gut ohne Priester im herkömmlichen Sinn auskommen, in denen Frauen Gemeinde leiten, Gottesdienste feiern, etc. und die sowohl von ihrem Bischof und der Gemeinde selbst dazu berufen wurden.

Andererseits interpretiert man das Schreiben sehr kreativ. Der Papst hat die Tür für neue Wege nicht zugeschlagen, alles ist (noch) offen. Da Papst Franziskus sich immer wieder sehr kritisch über Klerikalismus, Privilegien und Selbstreferentialität des Klerus, etc. äußert, fühlt man sich ermutigt, dagegen auch etwas zu tun und genauer hinzusehen. Brauchen wir wirklich noch mehr der Keuschheit verpflichtete Priester? Hat denn Jesus Priester geweiht, hat er das Sakrament der Priesterweihe gestiftet? Natürlich nicht - und jeder seriöse Theologe weiß das auch. Die ersten christlichen Gemeinschaften haben sich „von unten“ gebildet und entsprechend den vorhandenen Charismen organisiert. Die beauftragten „Koordinator*innen“ der Gemeinschaft leiteten auch die Gottesdienste. Mit der Taufe (als bewusste Entscheidung Erwachsener) wird man Mitglied einer christlichen Gemeinschaft. Mit der Taufe haben wir alle in gleicher Weise teil an der Sendung und in der Nachfolge Jesu Christi. Es gab bis ins 4. Jahrhundert keinen Klerus als Stand. Erst in der „Reichskirche“ seit Kaiser Konstantin wurden die bis heute geltenden Hierarchien und Machtstrukturen geschaffen. Und eine zunehmend imperiale Theologie (mit einer entsprechend ekklesiologischen Exegese) liefert die gewünschte Rechtfertigung für (neo-) koloniale Strukturen, für Rassimus und Sexismus. 

Umkehr bedeutet daher an dieser Stelle (ad intra): Rückkehr zu einer dem Evangelium gemäßen Kirche, nämlich in der Nachfolge Jesu Christi. Und für unsere Partner im Süden bedeutet ad extra: Gerechtigkeit und ein Leben in Würde für alle Menschen, besonders für diejenigen, denen diese Würde systematisch vorenthalten oder gar geraubt wird. Wäre beides nicht eine Vorlage für unsere Synode? Wir hätten dabei sogar den Papst auf unserer Seite! 

III. Gemeinsam auf dem Weg - Richtung und Ziel des gemeinsamen Weges

Eine wirkliche Umkehr und damit auch eine Erneuerung der Kirche wird es ohne eine vertiefte Spiritualität bzw. eine Vertiefung des Glaubens an Jesus den Christus nicht geben. Eine jesuanisch geprägte Spiritualität hat aber nichts zu tun mit der bei uns üblichen Suche nach Spiritualität, wo es oft zuerst um meine Seele, „meinen“ Gott oder um die eigene Befindlichkeit geht. Eine biblisch-jesuanische und somit eine unterscheidend christliche Spiritualität besteht darin, im gekreuzigten Nächsten das Antlitz des gekreuzigten Christus zu erkennen und an der Seite der Gekreuzigten darum zu kämpfen, dass immer weniger Menschen den global agierenden Räuberbanden zum Opfer fallen.

Im „Goldenen Käfig“ und innerhalb einer Gesellschaft, deren Wohlstand teilweise immer noch auf der Ausbeutung ganzer Völker beruht, wird es schwer sein, eine solche Spiritualität zu entwickeln, aber es ist nicht unmöglich, weil es nicht unmöglich ist auszubrechen und aufzustehen! Das Beispiel vieler Menschen, die in der Nachfolge Jesu bereit waren, sogar ihr Leben dafür einzusetzen, kann uns Mut machen. Der Weg mit Jesus ist ein Weg der Solidarität mit den Armen und Bedrängten aller Art. Wenn wir mit ihnen das Brot brechen und teilen, dann werden wir zur wahren Gemeinde Jesu Christi, dann werden wir selbst - als Gemeinde und als jeder Einzelne - zum Brot des Lebens für andere.

Dr. theol. Willi Knecht, veröffentlicht am  01.07.2020 in „Der Geteilte Mantel“, dem weltkirchlichen Magazin der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Jährliche Erscheinungsweise, wird verschickt an die Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen,Verbände etc.