Kirchenerneuerung: Die Armen evangelisieren uns!
In praktisch allen Diözesen Deutschlands wird seit Jahren über „Strukturanpassungsmaßnahmen“ diskutiert, oft begleitet von namhaften Theologen (P. Zulehner, R. Bucher, H. Häring, u.a.) und sogar unter Einbeziehung des Kirchenvolkes und seiner Gremien. Es geht dabei vor allem - auch wenn dies meist anders begründet wird - um eine weiterhin flächendeckende sakramentale Versorgung der Kirchengemeinden, besonders um die sonntägliche Feier der Eucharistie. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart heißt dieses Programm „Kirche am Ort“. Als Mitglied in den Gremien der eigenen Gemeinde, im Dekanatsrat, in diözesanen Ausschüssen und bundesweiten Netzwerken erlaube ich mir zu sagen: Die Begeisterung der Hauptamtlichen für diesen Erneuerungsprozess der Kirche ist (notwendigerweise) groß, die der aktiv Gläubigen gering. Besonders engagierte „Ehrenamtliche“ in den Gemeinden – so versichern diese in einer internen Umfrage – fühlen sich durch die nun „von oben“ auferlegten Pflichten noch mehr überlastet. Sie bewerten dieses ganze „Gedöns“ als Theater, als Ablenkung und/oder als „von oben“ initiiert, um wirklich grundlegende Reformen zu vermeiden.
Beispiel: „Das Bistum Trier will seine Kirchengemeinden radikal zusammenlegen. Läuft es nach Plan, wird Saarbrücken in drei Jahren Deutschlands größte Pfarrei sein. Kann das funktionieren - bei 100.000 Schäflein?“ So lautete eine Schlagzeile am 23.11.2017 auf www.katholisch.de. Und weiter: „Nach dem letzten Raumgliederungsentwurf soll es ab 2020 nur noch 35 sogenannte Pfarreien der Zukunft statt der bislang 887 Pfarreien in der Diözese geben. In Saarbrücken und Umland werden 29 bisherige Pfarreien mit derzeit 98.838 Gläubigen und 201 km² Fläche zu einer einzigen Pfarrei zusammengelegt. Dort tun derzeit 18 Priester vom Pfarrer bis zum Gefängnisseelsorger, mehrere Ruhestandsgeistliche, rund 30 Pfarrsekretärinnen und 15 Pastoralreferenten ihren Dienst.“ (Siehe dazu auch den Beitrag von K.-H. Ohlig in „imprimatur“, 4. 2017)Doch was wären nun wirklich grundlegende, gar radikale Reformen? Auch dazu gibt es jede Menge gelehrter Schriften. An dieser Stelle soll - als Ergänzung gedacht – am Beispiel einer Pfarrei in Peru gezeigt werden, was möglich ist und vor allem, wozu eine von Grund auf erneuerte Praxis geführt hat. Voraussetzung für das Verstehen und „Einordnen“ dieser Praxis ist der in den vorhergehenden Beiträgen (imprimatur 3. + 4. 2017) beschriebene Kontext einer nichteuropäischen Kosmovision: Der Glaube und die Kultur der Menschen in den Anden („cosmovisión andina – buen vivir“) und „Kirche auf dem Weg zu einer befreienden Erfahrung“.
Die Pfarrei Bambamarca (etwa 100.000 Katholiken, 95% Campesinos) war das Pilotprojekt der Diözese Cajamarca und wurde über Peru hinaus zum Vorbild einer befreienden Kirche und Pastoral. Sie gilt als „Wiege der Theologie der Befreiung“ (G. Gutiérrez ging dort nach eigenen Angaben „in die Lehre“). Bereits 1969 übertrug Bischof Dammert in Absprache mit Paul VI. den ersten Campesinos u.a. die Vollmacht zu taufen und die Gemeinden zu leiten. Der erste „Indiokatechet“ der Welt war Candelario Cruzado. Zeitweise waren über 200 Katecheten (Männer und Frauen) in der Pfarrei tätig, alle ehrenamtlich. In ihrer Kleingemeinde waren sie „für alles“ zuständig, und beauftragt. selbst für Bußfeiern. Sie wurden von der eigenen Gemeinde ausgewählt und vom Bischof nach intensiver Vorbereitung bestätigt. Vor allem in den 70/80er Jahren wurden viele Katecheten verhaftet, eingesperrt, einige gefoltert, so z.B. 1978, als fast der gesamte Pfarrgemeinderat eingesperrt wurde.
1. Der Umgang mit der Bibel
Bambamarca 1978: Don Panchito (Francisco Huamán), der ältere Katechet der Comunidad[1] von Chala, erwartete mich schon voller Ungeduld. Vor der Kapelle der ehemaligen Hazienda von Chala hatte sich die Gemeinde versammelt. Sie sangen ein Lied, das ein anderer Katechet getextet und mit einer uralten Melodie, einem Huayno, unterlegt hatte. Erst dachte ich, ich wäre zu spät gekommen. Don Panchito klärte mich auf. Sie hatten das Lied nur deswegen angestimmt, weil sie nicht mehr weiter wussten und daher auf mich warten wollten. Es war eine lebhafte Diskussion entstanden, weil der jüngere Katechet von Chala, Segundo Ventura, gesagt hatte, die Leute bräuchten zu den Versammlungen und Gottesdiensten nicht mehr die Bibel mitzubringen. Es gebe ein neues Buch, das die Campesinos selbst gemacht hätten und das zudem noch Lieder und andere Geschichten aus ihrem eigenen Leben enthalte.[2] Einige Ältere hatten widersprochen, schließlich sei die Bibel das Wort Gottes und wie sollten sie ohne das Wort Gottes leben können? Doch der Jüngere bestand darauf: Das neue Buch sei nichts anderes als eine neue Bibel, besser gesagt: Die alte Bibel wurde in unsere Zeit übersetzt. In diesem neuen Buch erzählten die Menschen, wie in ihrem eigenen Leben das Wort Gottes fruchtbar würde. Außerdem seien in dem Buch auch die wichtigsten Stellen der Bibel enthalten, es sei also eine Zusammenfassung und gleichzeitig eine Fortschreibung der Bibel. Denn so wie das Volk Gottes im Alten Testament seinen Weg mit Gott in die Befreiung und die ersten Christen im Neuen Testament ihre Erfahrungen mit dem Auferstandenen weitererzählt hätten, so erzählten auch wir unsere Erfahrungen mit dem befreienden Gott weiter. Welchen Unterschied machte es schon, ob die Geschichten nun in Galiläa oder in Bambamarca spielten? Es gehe letztlich um dasselbe, nämlich dass Jesus die Menschen zur Umkehr auffordere, den Beginn einer Neuen Zeit verkünde und dass diese Zeit schon mitten unter uns begonnen hätte.
Die meisten der Anwesenden waren von der Rede des jüngeren Katecheten begeistert. Doch Don Panchito ging diese Interpretation des neuen Buches etwas zu weit. Vor allem plagten ihn Zweifel, ob die Campesinos wirklich das Recht haben sollten, die Geschichte Gottes mit den Menschen selbst in die eigenen Hände zu nehmen, sie sogar eigenständig weiter zu schreiben. Und was würde der Bischof dazu sagen? Auf jeden Fall wollte man meine Meinung hören. Zumindest was die Meinung des Bischofs anging, konnte ich sie beruhigen. Ich sagte ihnen - obwohl sie es im Grunde schon wussten - dass Bischof Dammert das neue Buch sehr begrüßte, dass er möchte, dass überall damit gearbeitet wird und dass die Campesinos darauf stolz sein könnten. Und was die Benutzung des neuen Buches und/oder der Bibel betraf, so schlug ich in Übereinstimmung mit Bischof und Pastoralteam vor, dass es aus praktischen und didaktischen Gründen ratsam sei, bei Versammlungen und Gottesdiensten der Gemeinschaft mit dem neuen Buch „Vamos Caminando“ zu arbeiten, dass es aber kein gleichwertiger Ersatz für die Bibel sei. Vor allem bei Gottesdiensten wäre es besser, aus der Bibel zu lesen, schließlich dürfe unter keinen Umständen das Lesen aus der „richtigen“ Bibel außer Gebrauch kommen. Es stimme zwar auch, was der jüngere Katechet gesagt hatte, so fuhr ich sinngemäß fort, aber die Bibel sei deswegen einmalig, weil Gott in der Bibel in einzigartiger Weise den Menschen gesagt hätte, wer er sei, was er von den Menschen wolle und was wir tun sollten. Insofern gebe es nur die eine Bibel. Aber es liege an uns, das Wort Gottes lebendig werden zu lassen, Fleisch und Blut werden zu lassen, und dann diese Erfahrungen auch den Nachbarn und den eigenen Kindern weiterzuerzählen - durchaus auch mit eigenen Worten und Geschichten aus dem eigenen Leben. Genau dies geschehe in Vamos Caminando. Wenn wir in Vamos Caminando lesen, sehen wir wie in einem Spiegel das Wort Gottes und unsere eigene Geschichte. Beides gehöre untrennbar zusammen. Sowohl der ältere als auch der jüngere Katechet waren nun mit dieser Erklärung zufrieden. Man einigte sich, dass in normalen Versammlungen, Besprechungen, Treffen usw. mit Vamos Caminando gearbeitet wird, in den wöchentlichen Gottesdiensten aber das Evangelium aus der Bibel vorgelesen und besprochen wird. Ich selbst kam als pastoraler Mitarbeiter nach Bambamarca und war in einer Übergangsphase ab Ende 1977 bis Anfang 1979 der einzige pastorale „Hauptamtliche“ der Pfarrei.[3]
2. Die Feier der Eucharistie: Erinnerung – Danksagung - Vorwegnahme der Herrschaft Gottes
a) Schilderung eines Gottesdienstes in einer Comunidad
In den meisten der etwa 200 Comunidades der Pfarrei Bambamarca wurden regelmäßige Versammlungen abgehalten und Gottesdienste gefeiert, in einigen Regionen wöchentlich, in anderen monatlich und nicht notwendigerweise an einem Sonntag. Ein solcher Gottesdienst dauerte 4 - 6 Stunden. Die Familien brachten je nach Möglichkeit Essen und Trinken mit. Gesang, Begrüßung, Grund des Zusammenseins, Rückblick und Ausblick auf gemeinsame Aufgaben, Hören der Frohen Botschaft und das Sprechen über das Gehörte im Lichte der eigenen Sorgen und Hoffnungen gehörten zum „Inventar“ des Treffens. Höhepunkt war das gemeinsame Mahl. Alle hatten schon zu Beginn ihre mitgebrachten Speisen (manchmal war auch an Ort und Stelle gemeinsam gekocht worden) auf ausgebreitete Tücher oder Ponchos abgelegt. Der Katechet der Gemeinde nahm nach einer Einführung ein Brot, zeigte es allen und sprach die Worte, die Jesus im Abendmahl sprach. Wenn wir das alles miteinander teilen, auch als Zeichen für all das, was wir für ein Leben in Würde brauchen, dann ist Jesus mitten unter uns und wir werden selbst zu „Brot und Wein“ für andere, vor allem für diejenigen, die Hunger leiden. Danach ging das Fest weiter und es endete mit einem gemeinsamen Segen. Ein solcher Gottesdienst wurde als Krönung dessen verstanden, was im Alltag gelebt wurde: Leben und arbeiten, säen und ernten in Gemeinschaft, Beistand für Kranke und Bedürftige, usw.
„Kreuzweg der Campesinos“, 1. Station. Bilder und Text von José Espíritu, Maler und Katechet aus Bambamarca
b) Kommentar der Campesinos von Bambamarca: „Auf den ersten Blick gibt es einen Unterschied zwischen dem Mahl Jesu mit seinen Freunden und unserem Festmahl. Auf dem Land haben wir keinen Tisch zum Essen. Der Tisch ist der Boden. Wenn die Menschen sich versammeln, wird ein Poncho oder je nach der Anzahl der Leute mehrere Tücher auf den Boden gelegt. Darauf werden die mitgebrachten Gaben ausgebreitet. Jesus trägt einen Sombrero und einen Poncho, denn Jesus ist mit den erniedrigten und den einfachen Menschen, er wird mit ihnen identifiziert. Denn Gott ist Mensch geworden inmitten der Ärmsten. Er benutzt als Kelch einen einfachen Krug aus Erde, aus der Erde, aus der wir alle stammen. In der Kirche der Weißen und der Reichen benutzt man einen Kelch aus Gold. Die Schale für das Essen ist ebenfalls aus unserem Alltag, aus Holz geschnitzt, sehr verschieden zum Hostienteller in der traditionellen Kirche. Denn Jesus ist Teil unseres Alltages, er lebt mit und unter uns, den Armen. Er ist einer von uns. Er macht sich zum Campesino. Er wählt die Ärmsten und Kleinsten aus. Wenn wir alle unsere Kraft und unsere Opfer in eine gemeinsame Arbeit einbringen, dann folgen wir Jesus, der sein Leben für uns gegeben hat. Dieses Beispiel schweißt uns zusammen. In der gemeinsamen Arbeit und diesem Festmahl in Gemeinschaft hat die Arbeit und hat das Essen keinen Preis, hier geschieht alles aus der Liebe, die uns vereint. Bei uns auf dem Land widmen wir alle unsere Kraft und Anstrengung unseren Nachbarn. Das gemeinsame Essen repräsentiert diese Liebe, die unter uns herrscht“.[4]
c) Predigt im Stil der Campesinos (Meine Predigt aus Anlass der zentralen Eröffnung der Misereor-Fastenaktion der Diözese Rottenburg - Stuttgart in Wasseralfingen, 8.3.1987).[5]
„Wir feiern zusammen die Eucharistie. Wir gedenken des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Wir sagen Dank dafür, dass Jesus uns durch seine Hingabe ein neues Leben ermöglicht und uns den Weg zeigt. Wir nehmen in dieser Feier die endgültige Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott vorweg. Das biblische Bild dazu: Hochzeitsmahl, Tischgemeinschaft mit denen, denen ansonsten der Zugang zum Tisch und damit zum Brot des Lebens verwehrt wird. Dies ist das zentrale Sakrament unseres Glaubens. Kennzeichen dieser Tischgemeinschaft ist das Miteinanderteilen von Brot und Wein, d.h. all dessen, was wir zum Leben brauchen. Die Jünger von Emmaus erkennen den auferweckten Christus erst, als er mit ihnen das Brot teilt. In einer Gemeinde, in der das geschieht, ist der lebendige Christus gegenwärtig, ist Auferstehung spürbar, neues Leben. Die Gemeinde Jesu Christi sind aber nicht nur wir, die wir hier versammelt sind. Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Christus glauben. Alle Menschen sind zum Tisch des Herrn, zur Hochzeitsfeier geladen. Wir können hier nur Eucharistie feiern, wenn wir das im Namen der gesamten Kirche, der Gemeinschaft aller Jesus-Gläubigen in aller Welt tun. Wir leben aber in einer Welt, in der 1/8 der Menschheit 7/8 aller irdischen Güter für sich allein verbraucht - ja diese sogar mit Gewalt an sich reißt. Wir leben gleichzeitig in einer Welt, in der alle Güter für alle Menschen bei weitem ausreichen würden. Was heißt nun Eucharistie feiern? Wie können wir uns gemeinsam mit denen an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrig bleiben, die von unserem überreich gedeckten Tisch fallen? Wir können nicht miteinander Eucharistie feiern, während oder falls wir gleichzeitig bemüht sind, unseren schon üppig gedeckten Tisch noch üppiger zu decken – und dafür in Kauf nehmen, dass deswegen Menschen leiden. Christlicher Glaube zeigt sich darin, dass wir im Namen Gottes und in der Nachfolge Jesu das Brot, die Früchte der Erde, unser Leben miteinander teilen. Das bedeutet Umkehr und auf ein Ziel hin zu arbeiten, das Jesus das Reich Gottes nennt - einen Zustand, wo Liebe und Gerechtigkeit herrschen. Und dies ist keine Utopie! Dies nicht für möglich zu halten hieße, dass Jesus umsonst gestorben ist und dass Gottes Schöpfung in einer Katastrophe endet.“
3. Gemeindeaufbau - Strukturen
Was im Bistum Trier (Beispiel Saarbrücken, s.o.) von vielen mit Recht als Katastrophe empfunden wird, war und ist weltweit schon lange die Regel. Und es gab und gibt Lösungen – sogar im Rahmen des Kirchenrechts, das freilich nicht als „göttliches Gebot“ interpretiert werden darf. So berichtet z.B. Bischof Kräutler auf seinen Besuchen immer wieder von der Situation in seiner Diözese in Amazonien. Und er wird von Papst Franziskus um Vorschläge gebeten, was man angesichts dieser Situation tun müsste, um den Menschen vor Ort gerecht werden zu können. Und Bischof Kräutler macht Vorschläge. Auch Bischof Dammert aus Cajamarca bat bereits 1968 Papst Paul VI. darum, neue Wege gehen zu dürfen. Und der Papst sagte ihm: „Tue das und berichte mir!“
a) Katechet*innen
Im Jahre 1969 hat Paul VI. dem Bischof von Cajamarca persönlich die Vollmacht gegeben, die Katecheten zu bevollmächtigen, das Sakrament der Taufe zu spenden. Aus Rom berichtet Dammert über seine Begegnung mit dem Papst: „Er ermutigte mich von ganzem Herzen, mit meiner bisherigen Arbeit fortzufahren, trotz aller Schwierigkeiten. Er drängte mich, einige Experimente weiterzuführen, ein Ritus für die Taufe durch ländliche Katecheten auszuarbeiten, ebenso einen Katechismus, angepasst an die Mentalität und das Verständnis der Campesinos. Er hielt mich an, das Verständnis des Priestertums in einer andinen Umgebung neu zu entwickeln und neu zu entdecken“. Die Katecheten wurden dafür vom Bischof in Übereinstimmung mit der Comunidad ausgesucht. Schließlich wurden die Katecheten auch beauftragt, in geeigneter Form die Spendung des Ehesakramentes kirchlich zu bezeugen. Kurz vor dem Tod Pauls VI. stellte der Papst Bischof Dammert mündlich in Aussicht, erfahrene Katecheten erst zu Diakonen und dann zu Priestern weihen zu dürfen.[6] Bereits 1971 sprach Dammert von der Notwendigkeit, verheirateten Katecheten die Priesterweihe zu spenden. Dabei ging er von dem Bedürfnis lebendiger christlicher Gemeinschaften aus, die Eucharistie feiern zu dürfen - als Zeichen und Höhepunkt ihres gemeinschaftlich gelebten alltäglichen Glaubens. Dammert erreichte in Gesprächen mit Papst Paul VI., dass seine Diözese unter Missionsrecht (Ius missionale) gestellt wurde.[7] Dies ermöglichte es, dass die bestehenden Gesetze gemäß den pastoralen Notwendigkeiten ausgelegt werden konnten und Laien, Männer und Frauen, zu Gemeindeleitern, Täufern und allgemein zu pastoralen Diensten beauftragt werden konnten.
Die Aufgabenbereiche eines Landkatecheten lassen sich in drei Bereiche gliedern. Er war vom Bischof beauftragt und handelte im Auftrag der Kirche.
- Der Bereich der Katechese (Verkündigung) im weitesten Sinne und damit eng verbunden die Aufgabe der Erziehung innerhalb der Comunidad und der Ausbildung in allen Bereichen, gemäß den Bedürfnissen der Comunidad. Dies geschah in der Weise, um das in den zentralen Kursen Gelernte nun in der eigenen Comunidad weiterzugeben („mit denen zu teilen, die weniger wissen“).
- Der Bereich der Repräsentation als „Sprecher“ der jeweiligen Comunidad: Der Katechet vertrat die Comunidad als Delegierter in der Zusammenarbeit mit anderen Comunidades und auf diözesaner Ebene. Diese Repräsentanz ging aber weit über den kirchlichen Rahmen hinaus. Oft waren die Katecheten die authentischen Ansprechpartner für die staatlichen Autoritäten - auch im negativen Sinne, denn sie wurden für alles verantwortlich gemacht, was die Autoritäten störte.
- Der liturgisch-sakramentale Bereich: Der Katechet leitete die Gottesdienste und die Versammlungen, in denen die Bibel gelesen und gemeinsame Probleme im Lichte des Glaubens reflektiert wurden. Er wurde zu den Sterbenden gerufen, besuchte die Kranken und seine wichtigste sakramentale Aufgabe war die Spendung der Taufe. Die Erlaubnis zur Spendung der Taufe und des Ehesakramentes (bzw. zu dessen Assistenz) hatten nicht alle Katecheten, sondern nur die erfahrensten.
Um Katechet werden zu können, musste ein Bewerber verschiedene Voraussetzungen mitbringen. Er musste verheiratet sein, weil Ehelose als nicht beständig angesehen wurden; der Ehepartner musste einverstanden sein, weil die Aufgabe eines Katecheten massiv die Familie betraf; schließlich musste die Comunidad zustimmen oder sie hatte ihn vorher selbst ermuntert oder ausgewählt. Unter den ersten Katecheten befanden sich keine Frauen. Im Laufe der Zeit belief sich der Anteil der Frauen unter den Katecheten auf etwa 10-15%.
b) Gemeindestrukturen
Wie schon erwähnt umfasste die Pfarrei Bambamarca 100.000 Katholiken - wie die zukünftige Superpfarrei Saarbrücken. Sie hatte eine Fläche von etwa 3.000 km² (40 x 75 km). In der Kleinstadt selbst lebten etwa 5.000 Menschen (Händler, Kaufleute, Funktionäre, etc.), die sich von der Landbevölkerung (Campesinos) extrem abgrenzten. Im Laufe der neuen Pastoral seit 1962 wurden die 200 Comunidades in 10 Landzonen gegliedert, die je ihre eigene Infrastruktur aufbauten. In den Comunidades und dann gemeinsam in den Landzonen wurde beraten, welche Herausforderungen bestanden und welche Dienste notwendig waren, um überlieferte Formen der Abhängigkeit und die Ursachen der Armut überwinden zu können. Drei Maßnahmen stellten sich, auf der Basis der geäußerten Bedürfnisse, als besonders dringend heraus: Die Ausbildung von Katecheten (s.o.), die Ausbildung von Gesundheitshelfern („promotores de salud“, „Barfußärzte“) mit Gesundheitsstationen und die Gründung einer landwirtschaftlichen Genossenschaft sowohl zur Vermarktung der eigenen Produkte als auch dem gemeinsamen Einkauf für Güter des täglichen Bedarfs auf dem Land (Salz, Speiseöl, Werkzeuge, u.a.). Zudem wurde ein großes Bildungs- und Versammlungszentrum am Rande der Kleinstadt in Eigenarbeit (mit Hilfe von Adveniat und Misereor) gebaut, u.a. mit Mustergärten, Schreinerei.
In den Comunidades wurde beraten und dann gewählt, welche Personen am ehesten geeignet waren, um für die jeweiligen Dienste ausgebildet zu werden. Sie wählten auch die Delegierten für den Pfarrgemeinderat. Im Pfarrgemeinderat waren je zwei gewählte Delegierte aus den zehn Landzonen der Pfarrei vertreten, die Stadt konnte ebenfalls zwei Delegierte benennen. Der Pfarrgemeinderat traf sich jeden Monat zu einer ganztägigen Sitzung. Für Delegierte entfernt gelegener Zonen bedeutete dies einen Zeitaufwand von drei Tagen, bis zu 60 km zu Fuß auf dem Hinweg, ein Tag Versammlung, ein Tag Rückweg. Die Sitzungen waren öffentlich und die Zahl der Anwesenden übertraf bei weitem die Zahl der Delegierten. Der Pfarrgemeinderat war die oberste Instanz der Pfarrei und war verantwortlich für alle organisatorischen und inhaltlichen Aufgaben - einschließlich der Finanzen, diese aber nur im Rahmen der ihm vom Bischof übergebenen, nicht festen Summe. Alle zwei Jahre wurde der Präsident des Pfarrgemeinderates neu gewählt, ebenso seine Stellvertreter. Nach 1970 ging die Verantwortung endgültig in die Hände der Campesinos über, sowohl im sozialen Bereich als auch in der Pastoral und Verwaltung der Pfarrei. Dieser Prozess der Eigenständigkeit fand seine offizielle und kirchenrechtliche Bestätigung durch die Einsetzung eines Pastoralkomitees, das aus vier Katecheten bestand. Dieses Komitee koordinierte in Absprache mit den Katecheten die anstehenden Kurse, die Tauf- und Ehevorbereitungen, die Organisation der Patronatsfeste, die Aufgaben in der Kooperative, usw. Besonderes Merkmal der Pfarrei war das Entstehen einer Ronda („Nachtwache“) zum Schutz der Landbevölkerung vor organisierten Banden. Diese Rondas entwickelten sich auch zu einem basisdemokratischen Gegengewicht gegenüber der Willkür staatlicher Behörden, die zusammen mit den wirtschaftlich Herrschenden und ausländischen Interessen (z.B. Bergbau, Goldminen, etc.) jede Entwicklung, wie sie sich in Bambamarca abzeichnete, verhindern suchte – oft mit Gewalt.
4. Was bedeutet das für uns in Deutschland?
a) Beispiel Eucharistie: Eine Unterscheidung zwischen einer Eucharistiefeier mit oder ohne Priester wird hier nicht angestellt - erst recht nicht wegen dem erwähnten andinen Verständnis der Feier. Sie stellt sich aus einer konkreten Praxis heraus nicht, selbst wenn die Präsenz eines Priesters von den Campesinos gewünscht und auch allgemein zu begrüßen wäre. Eine solche Frage erweist sich als zweitrangig, weil für die Campesinos das, was durch die Eucharistiefeier ausgedrückt und real dargestellt werden soll, im Mittelpunkt steht. Eine solche Unterscheidung entspricht zudem nicht der Praxis Jesu und den Erfahrungen der ersten Christen und christlicher Basisgruppen, die aus der Situation heraus feiern und die Gegenwart Gottes erleben, wenn sie das Brot teilen. Dieses Bedürfnis hat oberste Priorität. Die Frage nach Amt und Weihe ist dem untergeordnet. Wird diese jedoch zur obersten Norm erhoben, wird die Masse der Gläubigen de facto ausgegrenzt bzw. ihr wird das Wichtigste vorenthalten, das die Kirche nach eigenem Selbstverständnis zu bieten hat und letztlich ihr Wesen ausmacht: die sakramentale Einheit der Menschen untereinander und mit Gott. Die Kirche stellt sich dadurch selbst in Frage. Lehramtliche Fixierungen bedeuten zudem, Gott selbst vorschreiben zu wollen, unter welchen Bedingungen er wann und mit wem sich an den Tisch setzen darf. Die Art der Behandlung dieses Themas durch die römischen Behörden zeigt, dass es letztlich um die Rolle des Priesters geht, also um Macht, und danach erst um die Bedürfnisse des Volkes Gottes. Diese zeitlich bedingten und nicht biblischen Gesetze nun gar als von Gott gewollte Gesetze auszugeben, grenzt an den Tatbestand der Blasphemie. Andererseits ist die Eucharistiefeier vor einer willkürlichen und beliebigen Inanspruchnahme zu schützen.
b) Übertragung? Diese Beispiele sind natürlich nicht übertragbar, denn der Kontext ist völlig verschieden. So lautet das häufige und allzu schnelle Argument. In der Tat: Der Kontext, in dem Jesus lebte und wirkte war ein anderer, ganz anders. Seine Botschaft ist von daher zu verstehen. Um nur wenige Punkte anzudeuten:
- Im Wissen um seine baldige Verhaftung feierte Jesus das Abendmahl im Gedenken an die Befreiung des Volkes aus dem Sklavenhaus Ägyptens, der damaligen Weltmacht und nun des römischen Imperiums.
- Die Tischgemeinschaften Jesu waren Zeichen einer neuen „Sitzordnung“ und einer kulturellen Revolution, eine Umkehrung gesellschaftlicher Verhältnisse: Die bisher Ausgegrenzten (damals und heute über 80% des Volkes Gottes) stehen im Mittelpunkt. Jesu Botschaft: Wenn wir alle das Brot teilen (unsere Denkweise und Verhalten) ändern, werden alle satt (siehe auch Gleichnis der Brotvermehrung).
- Nicht Hohe Priester und Schriftgelehrte öffnen den Weg zu Gott, nicht Tieropfer und Tempelsteuern stimmen Gott gnädig, sondern die Solidarität mit denen, die unter „die Räuber“ gefallen sind.
- „Kehrt um, denn die Herrschaft Gottes bricht an!“ D.h.: Euer Weg führt ins Unheil, ist eine Sackgasse!
- Jesus wurde ausgeliefert und getötet - deswegen! So wurden auch Bischöfe und engagierte Christen in Lateinamerika und aller Welt getötet, weil sie in der Nachfolge Jesu eine „neue Erde“ verkünden.
Gefangen in einer übergestülpten griech.- röm. Theologie und Philosophie, wurde die Botschaft Jesu oft in ihr Gegenteil verkehrt.[8] Diese „imperiale Theologie“ konnte so zur Begründung für eine klerikale Kirche und für eine Kirche auf der Seite der Mächtigen statt der Ohnmächtigen werden; zur Rechtfertigung für Kolonialismus und Sklaverei, für den Vorrang von Kult und „Messopfern“ (Opfertheologie), zur Auffassung von der grundlegenden Verdorbenheit des Menschen (Erbsünde, sexistisch interpretiert), von der wir nur durch den Opfertod des Gottessohnes erlöst werden können (individualistische Heilsauffassung). Warum sollten also die befreienden Erfahrungen der Campesinos in einen Kontext übertragen werden, in dem über Jahrhunderte hinweg das Gegenteil dessen verkündet und praktiziert wurde, was Jesus verkündet und gelebt hat?
Doch entgegen dieser düsteren Diagnose deuten hoffnungsvolle Anzeichen daraufhin, dass diese über 15 Jahrhunderte andauernde „Formatierung“ nicht unüberwindbar ist.[9] Zum einen ermöglicht die von Europa seit Beginn der Neuzeit ausgehende Globalisierung zunehmend einen Blick auf die Ursachen und Folgen unserer Wirtschafts- und Lebensweise für große Teile der Menschheit, vornehmlich im „globalen Süden“. Spätestens seit dem II. Vat. Konzil und dann auf der II. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopats in Medellín (24.8.- 06.09. 1968) „erhebt sich ein stummer Schrei von Millionen von Menschen, die sich von ihren Hirten eine Befreiung erbitten, die ihnen von keiner Seite gewährt wird“ (Kap 14, I,2). Zum anderen wächst im „globalen Norden“ die Einsicht, dass ein „weiter so“ kaum noch begründet und verantwortet werden kann. Zudem ist nun mehr als je zuvor der „globale Süden“ auch bei uns angekommen und sichtbar geworden, sei es durch die Präsenz der Vertriebenen als auch durch die zunehmende Kluft zwischen arm und reich auch innerhalb der reichsten Länder. Schließlich knüpft nun auch Papst Franziskus wieder an die Dokumente von Medellín und die darin begründete Option für die Armen (um der Armen willen und solidarisch mit ihnen) an. Er spricht stets von einer notwendigen Umkehr. Das stößt an, denn er richtet sich ja an schon „Bekehrte“, so wie auch Jesus und alle Propheten vor ihm seinen Ruf an die „Frommen Israels“ richtete. Eine Voraussetzung für die notwendige Umkehr ist - so Franziskus und weitere Dokumente lateinamerikanischer Bischofskonferenzen - den Schrei der Hungernden nach Brot und nach Gerechtigkeit (und neu: den „Schrei der Mutter Erde“) zu hören und ihn als Anruf Gottes an uns alle zu verstehen. Dies wäre auch die Voraussetzung zur Überwindung der Kirchenspaltung, die vorrangig darin besteht, dass die einen Christen auf Kosten der anderen Christen leben.
c) Herausforderungen an die Kirche
- Wirkliche Ökumene: Wenn wir alle, die an Jesus den Christus glauben, das Brot teilen, werden alle satt.
- Widerstand gegen den herrschenden Götzendienst: die Gier nach immer mehr, „Menschwerdung“ durch mehr haben, sich und seine Interessen zum obersten Maßstab machen…, usw.
- Aus der Perspektive der Ausgegrenzten bzw. im Lichte des Evangeliums Wirtschaft und Politik deuten.
- Z.B. in Deutschland: Wer hart arbeitet, muss davon in Würde leben können, Widerstand gegen asoziale und kriminelle Geschäftsmodelle (Massentierschlächterei. u.a.), freie Fahrt für Unternehmen, etc…
- Global: Widerstand gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen (ökonomisch und biologisch); gegen Landvertreibungen, Extraktivismus, industrielle Landwirtschaft, usw.
- „Wie im Westen so auf Erden?“ Unsere imperiale Lebensweise auf Kosten anderer (siehe Ökumene); bedrohte Freiheit = Angst um unsere Lebensweise (Angst vor Abstieg)?
- Welche Freiheit wollen wir, die der Sklavenhalter oder die der Sklaven?
[1] Zu einer Comunidad zählen 30 bis 300 Familien. Diese leben über das Land verstreut in einfachen Lehmhütten. Eine Comunidad ist eine gewachsene Gemeinschaft von Campesinos (Indigenen). Der Begriff „Comunidad“ im Verständnis der Campesinos ist sowohl ein sozioreligiöser als auch ein kulturell-theologischer Begriff. Diese Einheit gilt es im Verständnis der Campesinos zu bewahren.
[2] Vamos Caminando - Machen wir uns auf den Weg; Glaube, Gefangenschaft und Befreiung in den peruanischen Anden. Verlag Exodus, 1983. Im Original: Vamos Caminando. Los Campesinos buscamos con Cristo el camino de la Liberación. Lima: CEP, 1977.
[3] Meine Aufgabe bestand in einer Begleitung und Hilfestellung gemäß den Vorgaben der von den Katecheten beschlossenen pastoralen Prioritäten. Es war nicht meine Aufgabe, neue Aufgabenfelder zu erschließen. Als „professioneller Laie“, der aber in keinem Bereich eine alleinige Verantwortung übernahm, war ich in den Augen Dammerts geeignet, diesen Übergang zu erleichtern., ein abrupter Übergang sollte verhindert werden. Er übertrug mir alle Vollmachten wie Sakramentenspendung, u.a., aber mit der Maßgabe diese nur im „Notfall“ auszuüben. Ich sollte die verantwortlichen Campesinos nur begleiten. Dies entsprach auch meinen eigenen Vorstellungen.
[4] Aus „Kreuzweg der Campesinos“, 1. Station. Bilder und Text von José Espíritu, Maler und Katechet aus Bambamarca, der zusammen mit Candelario Cruzado die Kommentare zum Kreuzweg verfasste. Die Kommentare beziehen sich auf das Gemälde zur 1. Station, dem Letzten Abendmahl, auf dem der „Campesino Jesus“ inmitten seiner Freunde das Brot bricht und teilt.
[5] Lieber Herr Knecht, Rottenburg, 14.4.1987. „Hunger nach Gerechtigkeit“ - dieses Wort der diesjährigen Misereor - Aktion begleitete uns während der Fastenzeit. Es hat uns aufmerksam gemacht auf die ungerecht verteilten Lebenschancen. Sich zur Gerechtigkeit hin bekehren zu lassen und konkret dafür einzustehen gehören zum Wesen christlicher Buße, Umkehr und Existenz überhaupt. „Das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Am 5,24f)! So darf ich Ihnen danken für Ihre Predigt, die Sie anlässlich der MISEREOR - Fastenaktion 1987 gehalten haben. Durch Ihre persönlichen Begegnungen und Erfahrungen können Sie aus tiefer Betroffenheit heraus ansprechen und überzeugen. Mit besten Wünschen für ein gesegnetes Osterfest, Ihr Georg Moser, Bischof.
[6] Sowohl in persönlichen Gesprächen als auch in seinen Briefen (u.a. an die Bischöfe des Katakombenpakts, zu deren Koordinator er geworden war) wies er des Öfteren darauf hin. Als ich dies auch in einem Artikel über ihn veröffentlichen wollte (1998) bat er mich, dies zu unterlassen, denn er wolle als emeritierter Bischof nicht in aktuelle Diskussionen eingreifen. Nun aber darf man dies wohl zitieren.
[7] Lateinamerika als Missionsgebiet – nach 400-jähriger Missionierung und fast alle getauft? Wie sieht es nun in Deutschland (Europa) aus? Wäre es nicht an der Zeit, Deutschland auch zum Missionsgebiet zu erklären, allerdings mit einer entsprechenden Botschaft?
[8] Z.B. die Interpretation des Schöpfungsberichts: Die bisherige Interpretation führt zur Zerstörung, denn sie wurde vom griech.- röm. Denkmodell her verstanden und entsprechend übersetzt und gedeutet. Das europäische Denkmodell (Kosmovision) übersetzt z.B. das hebräische Schlüsselwort „kabash“ entsprechend der eigenen Denkweise (!) mit erobern, unterjochen. Diese Deutung wurde dann durch die Kolonialisierung globalisiert. Im hebräischen Denken bedeutet „kabash“ zum „Bereich Gottes gehörend“, allgemeiner: Die Schöpfung Gottes gehört nicht uns, sie ist uns nur geliehen. Das bedeutet im biblischen Denken: Wir müssen sie im Sinne des Eigentümers gestalten: Im Dienste des Mitmenschen, besonders der Ausgegrenzten und in Beziehung mit allen Geschöpfen. Im Gleichnis vom anvertrauten Geld (Talente) geschieht dasselbe: Im Beispiel einer hemmungslosen Vermehrung eines riesigen Vermögens wird die herrschende Realität beschrieben. Dieser wird als „Antithese“ die Rede vom Weltgericht als die eigentliche Botschaft Jesu gegenübergestellt: „Was ihr dem Geringsten….“ (Mt 25, 14-46). Im letzten Kapitel wird von Matthäus noch einmal das Zentrale der Botschaft Jesu, seine Identifikation mit den „Müllmenschen“, zusammengefasst. Es folgt die Passionsgeschichte…
[9] „Die Mauern des Gefängnisses scheinen unüberwindlich. Der von Gott verheißene Weg aus dem Sklavenhaus in das Gelobte Land scheint versperrt und alle Schlupflöcher bestens unter Kontrolle. Der Siegeszug der Globalisierung scheint unaufhaltsam und ohne jede Alternative. Doch nichts und niemand ist allmächtig in dieser Welt. Von den Armen her wird jede Herrschaft relativiert und dann auch gestürzt werden, weil Gott mitten unter ihnen Mensch geworden ist. `Die Unterdrückten richtet er auf und die Herren bringt er zu Fall` (Lobgesang der Maria von Nazareth in Vamos Caminando).“ (Aus: Willi Knecht: „Die Kirche von Cajamarca - die Herausforderung einer Option für die Armen“, Dissertation 2004).