....Es geht dabei nicht nur um Pater Boff, schreibt Knecht im Kirchenblatt, sondern auch um die „Gefahr, dass die Stimme der Armen und Verhungernden, mit denen sich Jesus identifiziert, zum Schweigen gebracht wird“ - die Maßregelung Boffs werde von vielen Unrechtsregimes als Bestätigung blutiger Verfolgung von Millionen engagierter Christen aufgefasst. Überdies gehe es dabei „auch um uns“, nämlich um die eigene Glaubwürdigkeit und darum, „wie wir als Christen mit einander umgehen“. Es hänge von allen ab, was aus dieser Kirche werde, „ein Zeichen der Hoffnung für alle Menschen oder ein Ort der Resignation, der Angst, der Verzweiflung, des inneren Auszugs und der Selbstaufgabe“. Nicht zuletzt, schreibt Knecht, sei der Brief an den Papst „auch als Hilfe und Ermutigung für die Verantwortlichen unserer Kirche, wie zum Beispiel Kardinal Ratzinger, gedacht, damit sie weniger Angst vor der Zukunft und mehr Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes haben“. (Südwestpresse, 13. Juli 1985)
Brief aus Ulm an den Papst in Rom - Aktion für Leonardo Boff
Aus der Südwestpresse, 13. Juli 1985:
In mehreren katholischen Kirchengemeinden Ulms kursiert derzeit eine Unterschriftenliste, die einem Brief an Papst Johannes Paul II. in Rom Nachdruck verleihen soll. Der Brief stammt von Mitgliedern eines Gesprächskreises zur Theologie der Befreiung und ist das Ergebnis einer Veranstaltungsreihe, die sich, in zeitweiliger Zusammenarbeit mit der Volkshochschule, im Haus der Begegnung etabliert hat. In dem an den „sehr geehrten Heiligen Vater“ gerichteten Schreiben des Gesprächskreises wird der Papst gebeten, das von der römischen Glaubenskongregation gegen den brasilianischen Theologen Leonardo Boff verhängte Schweigegebot aufzuheben.
Pater Boff, einer der prominentesten Vertreter der Theologie der Befreiung, darf nach dem Spruch der römischen Glaubenskongregation ein Jahr lang keine Vorträge und Lehrveranstaltungen halten; sein theologisches Buch „Kirche: Charisma und Macht“, in dem Boff harte Kritik gegen die Kirche formuliert hat, ist von Rom offiziell beanstandet worden. Das gegen Boff verhängte „Bußschweigen“ hat bereits zahlreiche Proteste nach sich gezogen, und es sind schon verschiedene andere Schreiben - auch offizieller Kirchengremien - bekannt geworden, die in dieser Angelegenheit an den Papst oder an den Vorsitzender der römischen Glaubenskongregation, den deutschen Kardinal Joseph Ratzinger, gerichtet worden sind.
In dem Brief aus Ulm, der im Übrigen noch nicht abgesendet wurde, ist von Leiden, Schmerz und Enttäuschung darüber die Rede, „dass uns die Möglichkeit zum Dialog mit einem Glied unserer Gemeinschaft nicht mehr gegeben ist“. Gerade die Christen der Ersten Welt bedürften des Gesprächs mit einem Theologen wie Pater Boff, „der unser Gehör sensibilisiert für eine Sprache der Armen, die allzu oft ohnmächtiges Schweigen ist“. Gerade angesichts der beängstigender werdenden Kluft zwischen Erster und Dritter Welt werde aber die Mitarbeit „an der Verwirklichung des Reiches Gottes, in dem alle Menschen das Leben in Fülle haben“, dringlicher. Aus diesen Gründen solle der Papst das Schweigegebot für Pater Boff aufheben.
Das Ungewöhnliche an diesem Vorgang besteht darin, dass der Ulmer Brief an den Papst über den Arbeitskreis hinaus bekannt geworden und sozusagen in den Raum der Kirche eingedrungen ist. Zunächst in der Gemeinde St. Georg, dann auch in anderen katholischen Kirchengemeinden, ist der Brief verlesen, zumindest aber bekannt gemacht worden; gleichzeitig wurden Unterschriftenlisten aufgelegt, in die sich Hunderte von Kirchenbesuchern (die einzelnen Ergebnisse wurden noch nicht addiert) eingetragen haben. Bislang haben sich daran die Gemeinden St. Georg, St. Maria Suso, Guter Hirte und St. Franziskus beteiligt. Durch eine Veröffentlichung in der jüngsten Ausgabe des offiziellen Katholischen Kirchenblatts Ulm/Neu- Ulm/Blautal, das allein in Ulm in rund 5.000 Haushalten aufliegt, wird dem Thema aber ein zusätzlicher Stellenwert zuteil. Nicht nur, dass der Brief an den Papst kommentarlos auf der Titelseite veröffentlicht worden ist, er wurde auch noch durch eine Art Leitartikel von Willi Knecht ergänzt, dem Leiter jenes Gesprächskreises zur Theologie der Befreiung.
Knecht, als Diplomtheologe in der Gemeinde St. Georg in Ulm engagiert, hat vor über zehn Jahren seine Diplomarbeit über die Theologie der Befreiung geschrieben und kennt das Thema auch aus der Praxis. Er war vier Jahre lang, vornehmlich in der Ausbildung von Landkatecheten, in bischöflichen Auftrag in einer Gemeinde in Peru tätig. Dort hat er eine Kirche kennen gelernt, in der, wie er in seinem Beitrag für das Katholische Kirchenblatt schreibt, „viele Menschen ihre einzige Hoffnung sehen (auch bei uns), eine Kirche, die prophetisch ihre Stimme erhebt, das Unrecht auch Unrecht nennt und das Kommen eines neuen Himmels und einer neuen Erde verkündet“. Dieser prophetischen Kirche, so klagt Knecht, werde mit dem Schweigegebot aus Rom gegen Pater Boff „eine Stimme genommen“. Dazu stellt er die provozierende Frage: „Welche Ängste mögen dahinter stecken?“ Es geht dabei nicht nur um Pater Boff, schreibt Knecht im Kirchenblatt, sondern auch um die „Gefahr, dass die Stimme der Armen und Verhungernden, mit denen sich Jesus identifiziert, zum Schweigen gebracht wird“ - die Maßregelung Boffs werde von vielen Unrechtsregimes als Bestätigung blutiger Verfolgung von Millionen engagierter Christen aufgefasst.
Überdies gehe es dabei „auch um uns“, nämlich um die eigene Glaubwürdigkeit und darum, „wie wir als Christen mit einander umgehen“. Es hänge von allen ab, was aus dieser Kirche werde, „ein Zeichen der Hoffnung für alle Menschen oder ein Ort der Resignation, der Angst, der Verzweiflung, des inneren Auszugs und der Selbstaufgabe“. Nicht zuletzt, schreibt Knecht, sei der Brief an den Papst „auch als Hilfe und Ermutigung für die Verantwortlichen unserer Kirche, wie zum Beispiel Kardinal Ratzinger, gedacht, damit sie weniger Angst vor der Zukunft und mehr Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes haben“. (Südwestpresse, 13. Juli 1985)
Es folgt der vollständiger Bericht, Titelseite, aus: „Katholisches Kirchenblatt, Ulm/Neu-Ulm und Blautal, Nr. 27 / 35. Jahrgang“ - vom 7. Juli 1985:
Der Dialog muss weitergehen! (von Willi Knecht)
„Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, bring deine Jünger zum Schweigen! Er erwiderte: Ich sage Euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.“ (Lk 19, 39 - 40).
Viele Pfarrgemeinden in Ulm und Umgebung unterhalten direkte oder indirekte Kontakte zu Pfarrgemeinden in den ärmsten Ländern der Welt. Und einige Gemeinden haben sich bereits auf eine Partnerschaft mit einer armen Gemeinde eingelassen. Die Partnerschaften werden von der Diözese Rottenburg-Stuttgart sehr begrüßt und gefördert. Sie stellen den Gedanken der gegenseitigen, direkten und persönlichen Verantwortung innerhalb der Einen Kirche in den Vordergrund; ebenso dass Mission nicht eine Einbahnstraße ist und gerade auch wir und unsere Gemeinden im reichen Abendland der geistigen Erneuerung und vieler neuer Impulse bedürfen.
Voller Hoffnung blicken wir auf eine vitale und dynamische Kirche, in der trotz (oder gerade wegen?) allem Elend und Unterdrückung die Kraft des Evangeliums spürbar wird: in den Millionen von Campesinos, die im Glauben an Jesus Christus sich als das Volk Gottes entdecken und sich, wie einst das Volk Israel, aus der Sklaverei auf den Weg der Befreiung machen; in den zahlreichen Basisgemeinden, in denen Glaube und Alltag eine Einheit bilden, wo Gemeinschaft nicht nur ein leeres Wort ist und wo auch die Laien Zeugen der Wahrheit und Licht in der Finsternis sind; in den vielen Priestern und Bischöfen, die sich gemeinsam mit den Armen auf den Weg machen und von vielen auch tatsächlich als echte Brüder und Schwestern erfahren werden. Es ist eine Kirche, in der viele Menschen ihre einzige Hoffnung sehen (auch bei uns), eine Kirche, die prophetisch ihre Stimme erhebt, das Unrecht auch Unrecht nennt und das Kommen eines neuen Himmels und einer neuen Erde verkündet - in dem Bewusstsein, dass die Herrschaft Gottes bereits mit Jesus begonnen hat, dass wir in der Nachfolge Jesu uns für die Herrschaft der Liebe und der Gerechtigkeit einzusetzen haben und dass Gott selbst dies alles vollenden wird.
Dieser prophetischen Kirche wird nun eine Stimme genommen. Pater Leonardo Boff, einer der herausragenden Vertreter dieser Kirche, hinter dem die Mehrheit der brasilianischen Bischöfe als Vertreter der größten Nationalkirche der Welt steht, wurde von Rom ein Schweigegebot auferlegt. Welche Ängste mögen dahinter stecken? Aus Treue zur Kirche akzeptiert Pater Boff das Schweigegebot. Um so mehr halten wir es für unsere Pflicht, als getaufte Christen und deshalb als Kinder Gottes zur Teilhabe an der Herrlichkeit unseres Vaters berufen, aus Treue zur Kirche Jesu Christi, unsere Stimme zu erheben.
Es geht dabei nicht nur um Pater Boff, es geht um mehr. Es besteht die Gefahr, dass die Stimme der Armen und Verhungernden, mit denen sich Jesus identifiziert, zum Schweigen gebracht wird - zumal gerade von denen, die mit verantwortlich sind für diesen Hunger und dieses Elend. Durch die Umstände in Lateinamerika bedingt, wird diese Maßregelung Pater Boffs - wenn von Rom auch so nicht beabsichtigt - von vielen Unrechtsregimes als Bestätigung blutiger Verfolgung von Millionen engagierter Christen aufgefasst.
Es geht dabei auch um uns. Es ist unsere eigene Glaubwürdigkeit, auch wie wir miteinander umgehen, die auf dem Spiel steht. Es ist unsere Kirche und von uns allen (!) hängt es ab, was aus dieser Kirche wird: ein Zeichen der Hoffnung für alle Menschen oder ein Ort der Resignation, der Angst, der Verzweiflung, des inneren Auszugs und der Selbstaufgabe. Wir bitten deshalb alle Gemeinden, Gruppen und Einzelne, den folgenden offenen Brief zu unterstützen und zu seiner Verbreitung beizutragen! Dieser Brief ist auch als Hilfe und Ermutigung für die Verantwortlichen unserer Kirche, wie zum Beispiel Kardinal Ratzinger, gedacht, damit sie weniger Angst vor der Zukunft und mehr Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes haben. Hier der Brief:
Sehr geehrter Heiliger Vater!
Als Glieder des einen Leibes, wie Paulus im Brief an die Korinther die christliche Gemeinschaft bildhaft beschreibt, leiden wir an dem Schweigen, das einem Glied von uns, Pater Leonardo Boff, auferlegt wurde. Zum gegenseitigen Dienen an dem einen Leib durch Gottes Geist berufen, empfinden wir Schmerz und Enttäuschung darüber, dass uns die Möglichkeit zum Dialog mit einem Glied unserer Gemeinschaft nicht mehr gegeben ist. Bedürfen wir Christen der Ersten Welt doch so sehr des Gesprächs mit einem Theologen wie Pater Boff, der unser Gehör sensibilisiert für eine Sprache der Armen, die allzu oft ohnmächtiges Schweigen ist. Im tiefen Glauben der Ärmsten der Armen, die aus ihren christlichen Basisgemeinden heraus christliches Miteinander praktizieren, erfahren wir, die durch Konkurrenz- und Leistungsdenken schon beinahe blind geworden sind, Gottes Heil bringende Gegenwart in unserer Geschichte. Unseren Blick durch Mahner wie Pater Boff auf die Armen gelenkt, können wir wieder anfangen, mit ihnen zusammen auch auf unsere Befreiung zu hoffen: Befreiung von dem Zwang einer allein auf Profit ausgerichteten Wirtschafts- und Entwicklungspolitik und Befreiung von dem Zwang, durch zunehmenden Rüstungswahnsinn zur Verelendung der ohnehin schon Armen und zum Sterben ihrer Kinder beizutragen.
Dass angesichts der beängstigend breiter werden Kluft zwischen Erster und Dritter Welt unsere Mitarbeit an der Verwirklichung des Reiches Gottes, in dem alle Menschen das Leben in Fülle haben werden, dringlicher wird, haben wir mit Pater Boff von den Armen gelernt. Wir bitten Sie deshalb, Heiliger Vater, das Schweigegebot für Pater Boff aufzuheben.
Für den Ulmer Gesprächskreis zur Theologie der Befreiung: Maria-Luise Reis, Willi Knecht.
Weitere Presseberichte:
Diözesanrat Freiburg an Ratzinger: „Wir sehen in dem verhängten Redeverbot und Schweigegebot einen Verstoß gegen die Grundrechte der Meinungs- und Gewissensfreiheit“. So heißt es in einem Schreiben, das der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Freiburg, Wilderich Graf Bodman, nach dem von der römischen Glaubenskongregation gegen den brasilianischen Theologen Leonardo Boff verhängten Bußschreiben jetzt im Auftrag des Vorstands dieser Spitzenvertretung der zwei Millionen Katholiken des Erzbistums an den Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, gerichtet hat.
„Bei uns wie bei vielen Mitchristen verstärkt sich der Eindruck, dass der charismatische Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils und die weiterhin nötigen Erneuerungsprozesse der Kirche aufgehalten werden sollen“, wird in dem Brief befürchtet. Die Auflagen gegen Pater Boff bewirkten, dass die von den lateinamerikanischen Bischöfen in Puebla bestätigte Notwendigkeit der Umkehr der Gesamtkirche im Sinne einer vorrangigen Option für die Armen unnötig behindert wird. Die getroffenen Maßnahmen unterstützten eher noch jene Kräfte, die für die Unterdrückung der Armen verantwortlich sind. Graf Bodman appelliert an Ratzinger, alle seine Kräfte dafür einzusetzen, „dass sich in der Kirche eine Einheit in der Vielfalt der vielen Geistesgaben entfalten kann, dass die Prozesse der Inkulturation des Christentums, insbesondere in den Schwesterkirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika, gefördert werden und dass theologische Klärungsprozesse durch Dialog und Argumentation erfolgen müssen“. (knd)
Papst mahnt Franziskaner zu Gehorsam (AP)
Papst Johannes Paul II. hat die Angehörigen des Franziskanerordens ermahnt, dem Beispiel ihres Ordensgründers Franz von Assisi zu folgen. Dieser habe sich nie dazu verleiten lassen,„von der Lehrmeinung und den Weisungen“ des Oberhaupts der katholischen Kirche abzuweichen, sagte der Papst in einer Audienz für 230 Franziskaner. Der Franziskanerorden hatte zuvor auf einem Seminar in Assisi seinem brasilianischen Ordensbruder Leonardo Boff „höchsten Respekt“ bekundet.
Anmerkung der Redaktion/Kirchenblatt: Der große Unterschied besteht allerdings darin, dass der Papst dem Franz von Assisi nicht einen Maulkorb verpassen ließ, sondern ihn zur Verkündigung ermunterte und bestellte, obwohl er „nur“ Laie war.
Die Antwort aus Rom
Staatssekretariat, Aus dem Vatikan, am 10. August 1985 (mit Wappen und Stempel)
"Das Staatssekretariat bestätigt Ihr engagiertes Schreiben zum begrenzten Schweigegebot für P. Leonardo Boff und versichert, dass Ihre Darlegungen sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen worden sind. Beiliegend finden Sie eine kurze Pressenotiz über eine Stellungnahme von Herrn Kardinal Ratzinger, aus welcher der Ausgangspunkt der Kontroverse, die Art der getroffenen Maßnahmen und ihre Absicht deutlich hervorgehen. Auch wird daran erinnert, dass P. Boff seine unmittelbaren seelsorgerlichen Aufgaben weiterhin ausüben darf. Weitergehende Interpretationen oder sogar polemische Unterstellungen sollten im Geiste kirchlicher und auch franziskanischer Gesinnung um der Wahrheit willen nicht vorgenommen werden.
In gemeinsamer Sorge um den Weg der Kirche in unseren Tagen, Monsignore R. Marsiglio
Die der Antwort aus Rom beiliegende Pressenotiz: (Deutschsprachige Ausgabe des „Osservatore Romano“, vom 9.8.85):
In einem Interview mit der Wiener Kirchenzeitung ging Kardinal Ratzinger bei seinem Aufenthalt in Österreich auch auf den „Fall Boff“ ein. Nach Aussage des Kardinals hat die Verfügung Roms, wonach der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff - nach Beanstandung verschiedener Thesen in seinem Buch „Kirche: Charisma und Macht“ durch die Glaubenskongregation - ein Jahr lang keine öffentlichen Äußerungen abgeben darf, „weniger den Charakter einer Strafe, als den einer Hilfe und des Schutzes“. Boff sollte durch diese Maßnahme des Vatikans davor geschützt werden, in einen „Strudel von internationalen Vorträgen und Interviews hineinzugeraten“. Dies liege auch im Interesse von Boff selbst, meinte Ratzinger.
Nachtrag 2005, genau 20 Jahre später: (anlässlich der Veröffentlichung auf meiner Homepage)
Auf meine Anregung hin veranstaltete die Ulmer Volkshochschule im Mai/Juni 1985 eine Vortragsreiheüber die Theologie der Befreiung (8 Abende mit 8 Referenten, Gegner und Befürworter) im Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden. Aktueller Anlass: die „Instruktion über die Theologie der Befreiung“ (1984) und die Maßnahmen gegen Boff (u.a., 1985). Im Haus der Begegnung fanden gleichzeitig und ergänzend unter meiner Leitung Gesprächsabende statt, in denen über die Vorträge der Theologen diskutiert werden konnte und wo ich dies gleichzeitig anhand eigener, konkreten Beispiele einer befreienden Praxis vertiefen konnte. Die Teilnahme war sehr groß (bis zu 100 Personen) und daraus entstand dann der Brief an den Papst, der von vielen Kirchengemeinden unterstützt wurde.
Und heute? Ratzinger ist Papst, die Option für die Armen ist fast vergessen, durch römische Maßnahmen wird eine befreiende Pastoral inmitten des Volkes zerstört - und was tun wir...?
PS: Das "Gespräch" Ratzinger - Boff fand in dem selben historischen Raum statt, in dem Galileo Galilei vor fast 500 Jahren belehrt (gezwungen) wurde, seinem "Irrglauben" abzuschwören - der Papst auf einer Art Thron, der Büßer unten auf der Strafbank.
Im Vorfeld dieses "Gesprächs" wurde L. Boff von einem gutmeinenden älteren Kardinal geraten, doch einmal eine Wallfahrt in das HL Land zu machen, um dort auf den Spuren Jesu wieder zum wahren Glauben zurückfinden zu können. Boff lehnte dankend ab und lud den Kardinal stattdessen ein, mit ihm in Brasilien (Amazonien) indigene Gemeinschaften zu besuchen: Dort würde er (der Kardinal) dann allerdings "Gefahr laufen, dem lebendigen Jesus zu begegnen" ...!