An was glauben Christen zuerst? Was unterscheidet ihr Glaube im Wesentlichen von dem Glauben anderer Religionen? Auf was kommt es letztlich an? Stellt man einem jüdischen Kind oder Erwachsenen die Frage: „An was oder wen glaubst du?“, so erhält man überall auf der Welt, egal ob in New York, in Moskau, Stuttgart oder Jerusalem, wie aus der Pistole geschossen, die gleiche Antwort: „Ich glaube an den Gott, der uns aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat“. Fragt man einen Muslim nach seinem Glauben, hat auch er sofort eine Antwort parat: „Ich glaube an Allah, den er ist gütig und gerecht“. Fragt man einen Christen nach seinem Glauben, kommt als Antwort meist zuerst ein „Äh oder „Oh“....
Gewiss, wir glauben (mehr oder weniger) an das Ewige Leben, an Himmel und Hölle, an die Vergebung der Sünden, dass Gott gerecht ist und vieles mehr. Richtig, das glauben aber auch die Menschen (fast) aller anderen Religionen. Doch was ist das entscheidend und unterscheidend Christliche im christlichen Glauben? Nun, mit Hilfe des gewählten Themas ahnt man es schon: Der Glaube, dass Jesus der von Gott verheißene Messias ist. So konnten auch die Christen der ersten Jahrhunderte auf die Frage: „An was oder wen glaubst du?“, sofort antworten: „Ich glaube an Jesus den Christus“ (hebräisch: Messias)! Dies ist auch das erste überlieferte Glaubensbekenntnis der Christen. Doch was bedeutet dies, sowohl den Menschen damals als auch heute?
Zur Zeit Jesu erlebte das jüdische Volk die schlimmste Unterdrückung seit Jahrhunderten. Die römische Besatzungsmacht erstickte jeden Widerspruch mit schrecklicher Gewalt. Kreuzigungen waren an der Tagesordnung. Wenn man einem Römer aus Versehen rempelte, war dies schon ein Grund für die Kreuzigung oder Verurteilung zu lebenslanger Sklaverei. Pontius Pilatus (26-36 n. Chr.) war der grausamste aller römischen Statthalter. Die Römer quetschten Land und Menschen wie eine Zitrone aus. Die Steuerlast war so hoch wie nie zuvor. Die jüdische Oberschicht (Hohe Priester, Hoher Rat, u.a.) kollaborierte mit der Besatzungsmacht. König Herodes (gest. 4 vor Chr.), eine römische Marionette, lebte in Saus und Braus und schreckte selbst vor dem Mord an seiner Frau und Kindern nicht zurück. Doch der Widerstand gegen diese Terrorherrschaft wurde immer größer, worauf die Römer mit noch mehr Terror reagierten. Johannes der Täufer sammelte Jünger um sich und kritisierte aufs Schärfste den König und die jüdische Oberschicht. Das Volk, das am Boden lag, wünschte so sehr wie nie zuvor, dass Gott sich erbarme und endlich der verheißene Messias kommen möge. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Johannes wurde ins Gefängnis geworfen. Von dort ließ er über seine Jünger Jesus fragen: „Bist du der, auf den wir warten“? Es war natürlich gemeint: „Bist du der Messias“? Jesus antwortete: „Sagt ihm, was ihr gesehen habt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und den Armen wird eine Frohe Botschaft verkündet“. Jesus meinte - und Johannes verstand es so - dass ab jetzt alles anders wird. Ja, die Zeit des Messias ist jetzt gekommen!
Doch im Volk gab es die unterschiedlichsten Messiaserwartungen. Die Zeloten (Widerstandskämpfer) erwarteten vom Messias, dass er die Römer vertreibe; die Pharisäer erhofften sich vom Messias, dass er ihre den Menschen auferlegten Gesetze (Lasten) bestätige und die „Unreinen“ aussondere; die Essener (asketische Mönche, die sich auch „Söhne des Lichts“ nannten) glaubten, im bevorstehenden Endkampf werde der Messias die „Söhne der Finsternis vernichten und einige Auserwählte werden gerettet werden, usw. Daher fragte Jesus seine Jünger: „Und ihr, für wen haltet ihr mich“? Simon Petrus antwortete: „Du bist der Sohn Gottes, der Messias“! Doch er sagte dies, ohne zu verstehen, was damit gemeint war. Bis zuletzt haben selbst die Jünger nicht verstanden, dass Jesus den üblichen Messiaserwartungen in keiner Weise entsprach. Daher ihre Flucht und ihre Enttäuschung nach der Verhaftung Jesu. Erst nach seinem Tod sollten sie erkennen, wer Jesus wirklich war, warum er getötet wurde und was seine Worte und Taten bedeuten. Erst dann gingen ihnen die Augen auf und sie konnten sehen.
Doch wie verstand Jesus selbst seine Sendung? Jesus begann seine Verkündigung in Galiläa und als er erstmals in seinem Heimatdorf Nazareth auftrat, bat man ihn, aus dem AT zu lesen. Und er las die Worte des Propheten Jesaja: „Er mich gesandt, den Armen eine Frohe Botschaft zu verkünden, den Blinden die Augen zu öffnen, die Misshandelten zu befreien …“. Dann setzte er sich und sagte: „Diese Zeit hat jetzt begonnen“. Als seine Landsleute endlich begriffen, was er damit sagen wollte, wollten sie ihn töten und den Abgrund hinab werfen.
Jesus verkündet den Beginn der Herrschaft Gottes, d.h., jetzt, mit ihm und durch ihn, beginnt diese Zeit, eine völlig andere, bessere Zeit. In der Herrschaft Gottes gelten ganz andere Gesetze, nämlich Liebe und Gerechtigkeit. Dies ist mit dem, was in unserer Welt geschieht, völlig unvereinbar. Denn in der „alten Welt“ herrschen die Gier nach Gold und Geld, nach immer mehr Macht und das Bedürfnis, sich selbst zum alleinigen Maßstab (Gott) zu machen. Wen kümmert es da, wenn das einfache Volk bis aufs Blut geschunden wird, wenn es unter die Räuber fällt und selbst die „Frommen des Tempels“ ungerührt an den Opfern dieser politischen und wirtschaftlichen Strukturen (die von den Mächtigen zu ihrem Vorteil genau so eingerichtet wurden) vorbeigehen, weil sie nur um ihr eigenes Seelenheil besorgt sind?
In der Zeit, dessen Anbruch Jesus verkündet, ist aber alles anders. Dort stehen nicht die üblichen Honorationen, Prälaten und selbsternannten Eliten im Mittelpunkt, sondern die Ausgestoßenen, die buchstäblich Ausgesetzten, die Opfer gesellschaftlicher Missstände und Ungerechtigkeiten. Die Verkündigung, dass jetzt eine neue, bessere Zeit anbricht, dass nun Liebe und Gerechtigkeit herrschen sollen, steht im Mittelpunkt der Botschaft Jesu. Herrschaft Gottes heißt: Erniedrigte und Ausgegrenzte und alle Menschen, die daran gehindert werden, in Würde zu leben, erhalten die Zusage, dass Gott auf ihrer Seite steht, dass sie Kinder Gottes sind und dass sie ein Leben in Fülle haben werden - schon jetzt und in diesem Leben. Dies ist daher eine Frohe Botschaft besonders für diese Menschen. Für uns ist dies eine Aufforderung, sich für die Armen und für alle einzusetzen, die „unter die Räuber“ gefallen sind und in ihrem Elend im Straßengraben vergessen werden. Ihnen Bruder und Schwester zu werden, selbst Brot des Lebens zu werden für andere - das ist der Kern der christlichen Botschaft.
Jesus hat uns durch seine Worte und Taten gezeigt, wie dieses neue Zusammenleben der Menschen aussehen könnte und welche Prioritäten dabei gesetzt werden. In vielen Gleichnissen, Heilungen und Bildworten erklärt er uns seine Botschaft und wer er ist. Er geht zu den Aussätzigen und führt sie in die Gemeinschaft zurück, vergibt selbst Zöllnern und feiert Mahlgemeinschaften mit den Ausgestoßenen und allen, die in den Augen der „Frommen jener Zeit“ verdammt waren. Diese „Festmähler“ sind ein Zeichen dafür, dass in der beginnenden neuen Zeit alle Schranken aufgehoben sind, alle sind zum gedeckten Tisch einzuladen und allen wird das Brot und der Wein des Lebens gereicht. Deutlich wird dies auch in dem Wunder der Brotvermehrung. Dieses ist nicht zuerst im äußerlichen Sinne zu sehen, Jesus hat Schauwunder als „Beweis“ seiner Göttlichkeit strikt abgelehnt, sondern es geht um eine völlig neue Einstellung.
Die vielen Menschen, die Jesus zuhörten, waren hungrig geworden, einige Wenige hatten Vorräte dabei, andere nichts. Jesus forderte die Jünger auf, alle ihre Vorräte mit den Menschen zu teilen und diejenigen, die etwas übrig hatten, teilten mit denen, die nichts hatten. So wurden alle satt. Sie hatten ja die Botschaft Jesus gehört, ließen sich bewegen (ihr Herz war gerührt) und entdeckten so ihren (Not leidenden) Nächsten. Die Zeichen der Herrschaft Gottes gelten heute genauso wie damals. Leben wir wirklich in einer so verschiedenen Zeit wie damals? Wie sieht es in unserer Welt aus, in der die Gesetze des Egoismus und des Götzendienstes (Anbeten des Mammons) an erster Stelle stehen - und wozu hat dies geführt?
Es wird z.B. eine Überfülle an Nahrungsmitteln produziert und weggeworfen, während täglich weltweit Tausende verhungern. Es würde für alle reichen, wenn es den Menschen - und allen voran den Christen - gelingen würde, viel mehr solcher Zeichen der Herrschaft Gottes zu setzen, d.h. wenn mehr Menschen an den Messias glauben würden. Es wird zwar nie die vollkommene Gerechtigkeit auf Erden geben, dies ist ein Geschenk Gottes, aber Jesus sagt uns: „Beginnt schon mal, macht euch auf den Weg in die neue Zeit, ich bin bei euch“. Er gibt uns die Kraft und den Mut, uns für eine gerechtere, eine friedvollere, eine menschlichere Welt einzusetzen. Es hängt an jedem von uns Einzelnen, wie diese Welt und unser aller Leben in Gemeinschaft aussehen wird. Jesus will uns nicht als „Objekte“ seiner Wunder, sondern er traut uns diese Wunder zu, er geht uns auf diesem Weg (zu Gott und Mitmenschen) voraus. Er ist die Erfüllung aller Verheißungen Gottes, der Messias ist gekommen und er ist mitten unter uns! Und was anderes feiern wir eigentlich an Weihnachten…?
Dr. theol. Willi Knecht Dezember 2008; für die Gesamtgemeinde Ulm und Gemeinde "Zum Guten Hirten" in Böfingen, veröffentlicht im Kirchenblatt. "Jesus - wer bist du"? war das Leitthema der Kirchengemeinde im Jahre 2008. (siehe auch den Artikel "Jesus und Benedikt XVI,")