Partnerschaften - Weltkirche

„Weltkirche werden“ heißt nicht, dass alle Welt wie Europa wird bzw. Kirche nach europäischen Maßstäben weltweit aufgebaut wird. Dies ist in den vergangenen Jahrhunderten geschehen und daher gab es eben keine lateinamerikanische oder afrikanische Kirche, sondern überall nur die immer gleichen Kopien einer europäischen, römischen Kirche, die letztlich eine weiße Kirche war, weil sie im Gefolge der Eroberung daherkam. Eine weltweite Kirche, die eine Alternative zur herrschenden Globalisierung werden will, muss dagegen von den Rändern her entstehen, aber nicht in ähnlich ausschließender Weise wie dies umgekehrt bisher vom Zentrum her geschah.

Diese Ränder stellen sich in sehr unterschiedlicher Weise dar und sie sind farbig und sehr bunt. Die Einheit einer solchen Weltkirche besteht darin, dass alle zusammen ein Bild (Mosaik) ergeben, das als Bild eine klare Botschaft hat: mit Jesus den Beginn einer neuen Zeit verkünden, in der die Menschen gemeinsam das Brot brechen und im Frieden mit der Schöpfung und allen Geschöpfen leben (1).  Bischof Dammert sieht eine große Aufgabe und Herausforderung darin, diese Kirche zu bauen und als Kirche von Cajamarca dazu einen Beitrag zu leisten:

„Eine Herausforderung besteht darin, dass wir unsere Glaubens- und Pastoralerfahrung der gesamten Weltkirche mitteilen können. Mit anderen Worten: wie können wir mehr und mehr katholische Kirche werden? Dabei ist zu fragen, ob die weltkirchlichen Strukturen dieser Herausforderung entsprechen. Ich denke, dass unsere armen Kirchen innerhalb der Weltkirche immer noch nicht ganz gleichberechtigt sind. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir wegen unserer andersartigen Kultur, wegen der anderen Glaubenserfahrung de facto diskriminiert werden. Katholische Kirche ist schon seit Beginn des Evangeliums als multikulturelle Kirche angelegt.

Dieser Punkt beinhaltet, dass wir eine kontextuelle Kirche sein müssen. Wir müssen in dem ganz konkreten, sozialen und politischen Kontext Kirche sein und Kirche werden“ (kursiv von Dammert) (2).  Auf dem Katholikentag bekam Dammert viel Beifall für diese Worte. Doch ist klar, dass dies von den kirchlichen Strukturen abhängt, d.h. zuerst von Kurie und Bischöfen, die diese Strukturen erhalten wollen. Dies hängt wiederum von dem jeweiligen Kirchenverständnis ab (vgl. die Auffassung von Kirche, wie sie Bischof Simón verkündet).

Partnerschaften
Dieses „Kirche sein und Kirche werden“ kann in Partnerschaften konkrete Gestalt annehmen. Deutsche Kirche und deutsche Gemeinden wurden seit 1962 in die Geschehnisse in der Diözese Cajamarca verwickelt bzw. sie haben sich aus christlicher Verantwortung darauf eingelassen. Es wurden intensive Beziehungen zu den Menschen von Cajamarca und christlichen Gemeinschaften aufgebaut. Es wurde sichtbar, was Weltkirche sein kann und sein muss. Aus dieser Beziehung können sich die deutschen Gemeinden nicht mehr heraus stehlen, wollen sie den Anspruch, katholische Gemeinde zu sein, nicht aufgeben.

Dies ist umso wichtiger in einer Zeit, in der eine andere Form von „universeller Kultur und Religion“ (vgl. Globalisierung in der Einleitung) immer mehr in das Bewusstsein der Menschen eingeprägt wird - in Deutschland und in Peru. Gemeindepartnerschaften können einen Rahmen bilden, in der die lebensnotwendigen Alternativen zur alles beherrschenden Globalisierung aus dem Geiste Christi heraus eingeübt und gelebt werden können. „Jede Partnerschaft zwischen Gemeinden oder Verbänden hier und dort, sei es in direkten Beziehungen, sei es im Kontakt internationaler Hilfswerke, arbeitet strikt an einer solchen Katholizität und damit gleichzeitig an einer Globalisierung, die im religiösen Bereich die Sehnsucht nach Gott offen hält und die im sozialen Bereich von den jeweils Armen und Bedrängten her das gesamte Handeln organisiert.

Je mehr sich eine solche kirchliche Vernetzung mit der Leidensgeschichte der Menschen und in ihnen mit dem in der Geschichte lebenden Christus (vgl. Mt 25,31-46) ereignet, desto mehr wird die Kirche eine Intensivierung des eigenen Lebens und der eigenen Identität, aber auch eine Vertiefung des eigenen Leidens erreichen“ (3).

Die Partnerschaft von deutschen Partnergemeinden mit Gemeinden der Diözese Cajamarca ist notwendigerweise geprägt oder gar abhängig von den jeweiligen kirchlichen Strukturen in Cajamarca und in Deutschland selbst. Diese Problematik wurde bereits in dem Artikel „Anspruch und Realität“ im Sammelband behandelt. Als Ergänzung dienen einige weitergehende Überlegungen, die auf dem Fidei Donum Treffen in Lima im März 2002 von mir vorgetragen wurden (4).

Von dem Forum Solidaridad Peru (FSP), Lima, wurde ich gebeten, die folgenden Gedanken für einen Artikel (auf Spanisch) des FSP zur Verfügung zu stellen. Eine Veröffentlichung des Artikel wurde aber kurzfristig zurückgezogen, weil kirchenpolitisch zurzeit nicht opportun. (Dies kann als ein Beispiel für die erwähnte Besonderheit dieser Arbeit gesehen werden, das zu sagen, was in Lima z.Z. nicht gesagt werden kann; vgl. Besonderheiten dieser Arbeit in der Einleitung). Das FSP ist eng mit dem Instituto Bartolomé de Las Casas liiert.

Es dient hauptsächlich ausländischen „Misioneros“ (Ordensleute, Laien, Priester) als Plattform, den Gedanken der Weltkirche zu vertiefen und zu einem besseren Verständnis zwischen den „Ländern des Nordens und des Südens“ beizutragen. Im Rahmen seiner Möglichkeiten ist das FSP ein Lichtblick in der kirchlichen Szene Perus und daher von großer Bedeutung. Kirchenpolitisch nicht opportun heißt hier: Man will den Kardinal von Lima, Cipriani, Opus Dei, nicht herausfordern - warum eigentlich  nicht? Kirchenpolitisch nicht opportun heißt: Man will  den Kardinal von Lima, Cipriani, Opus Dei, nicht herausfordern.

Folgende Punkte konnte ich in Lima vortragen (Aufzählung der Stichworte):

  • Jede Partnerschaft zwischen Kirchengemeinden verwirklicht sich notwendigerweise innerhalb eines bestimmten Rahmens und innerhalb kirchlicher Strukturen. Zugleich lebt sie aber von ganz konkreten Personen. Konflikte zwischen Person und Institution sind unausweichlich.
  • Partnerschaft verwirklicht sich innerhalb zweier lokaler Kirchen, die in sehr unterschiedlichen Wirklichkeiten und historischen und sozialen Kontexten leben. Von daher entstehen sehr unterschiedliche Interessen und Optionen. Wenn es aber nicht möglich wäre, einen echten Dialog zu etablieren, seinen Glauben und das Brot zu teilen und einen gemeinsamen Weg zu suchen, dann wäre auch katholische Kirche nicht möglich.
  • Die Fragestellung wird verschärft, wenn man die Campesinos als die „Hirten von Bethlehem“ versteht. Gerade die Ausgeschlossenen standen im Zentrum der Verkündigung und Praxis von Jesus. Nach den Kriterien der Mächtigen existieren die Ausgeschlossenen nicht. Die Christen der reichen Länder repräsentieren in ihrer Mehrheit die abendländische Zivilisation - von der Conquista bis zur aktuellen Weltordnung, die das Blut der gewaltsam arm gemachten Völker aussaugt.
  • Um einen wahrhaften Dialog zu etablieren ist es notwendig, dass der Reiche die Fähigkeit entwickelt, den Armen als solchen wahrzunehmen. Das bedeutet, die Ursachen der Armut zu erkennen und mit den Armen gegen die Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Diskriminierung zu kämpfen.
  • Dies erfordert eine persönliche Umkehr (Bekehrung) und eine sehr tiefe Spiritualität, die es ermöglicht, in dem Armen das Antlitz Christi zu erkennen
  • Zwischen den Kirchengemeinden des Nordens und des Südens gibt es einen weiteren Unterschied: in Deutschland sind die Hauptakteure der Partnerschaft Laien, in Peru ist dies umgekehrt. Partnerschaften sind in Deutschland Laienbewegungen. Laien verwalten das Geld, sie organisieren sich demokratisch und es herrscht eine institutionalisierte Transparenz. Dies kann man aber nicht von vielen peruanischen Kirchengemeinden sagen.

Theologische Begründung von „weltweit Kirche werden“

In einer Kommunion zwischen zwei christlichen Gemeinschaften ist Jesus der Christus mit ihnen auf dem Weg. Das Symbol dieser Wegegemeinschaft ist das Brotbrechen. Die Jünger von Emmaus erkennen ihren unbekannten Weggefährten als den auferstandenen Christus, als dieser mit ihnen das Brot bricht. Gemeinsam sich auf den Weg machen, all das miteinander teilen, was der Mensch braucht um in Würde leben zu können und die österliche Erfahrung der Gegenwart Gottes sind das Fundament des christlichen Glaubens und des „Kircheseins“, der universellen Gemeinschaft der Jünger Jesu.

Das Volk Gottes konkretisiert und realisiert sich zum einen Teil in einer Kirchengemeinde, einer lokalen Kirche und zum anderen Teil in der gelebten Beziehung mit einer Gemeinschaft in jenem Teil der Welt, in dem die Mehrheit der Kinder Gottes ausgeschlossen sind und wo sie gewaltsam daran gehindert werden, das Leben in Fülle zu haben. Kirchengemeinden des Nordens sind existentiell in diesen Kontext der Abhängigkeit und der Gewalt verwickelt. Im Kontext einer Partnerschaft jedoch bietet sich den deutschen Partnergemeinden die Möglichkeit eines Auswegs aus der Sackgasse.

Sie können den Teufelskreis einer zugleich wachsenden Verelendung auf der einen Seite und einer wachsenden Bereicherung einiger Weniger auf Kosten der Mehrheit auf der anderen Seite durchbrechen. Dies wäre eine österliche Erfahrung: durch die Auferstehung Jesu wird der Teufelskreis des Todes und der Macht sündhafter Strukturen durchbrochen und neues Leben ermöglicht. In dem sie das Brot mit den „Indios dieser Welt“ brechen, können christliche Gemeinschaften des Nordens auf den Weg des Volkes Gottes zurückkehren und in den Armen Jesus als ihren einzigen „Herrn“ erkennen.

Eine so verstandene Partnerschaft ist das sichtbare Zeichen dafür, dass der Bruch zwischen den Menschen auch innerhalb der Kirche überwunden werden kann. „So gesehen stellt sich die Kirche in erster Linie als jenes Volk Gottes dar, das in der Geschichte fortführt, was Jesus endgültig als Gegenwart Gottes unter den Menschen besiegelt hat“ (5) Partnerschaft ermöglicht Jesus nachzufolgen.

Eine solche Partnerschaft ist Ökumene in seiner ursprünglichen Bedeutung (6) Die eigentliche Spaltung zwischen Christen besteht darin, dass einige Christen auf Kosten anderer Christen leben, mehr noch: das herrschende weltweite Wirtschaftssystem hat seine Wurzeln im christlichen Abendland und wird (auch) von Christen bis heute aufrecht erhalten. Der Bruch innerhalb der menschlichen Gemeinschaft und der Menschen mit Gott ist ein Skandal. Es ist die originäre und die Todsünde schlechthin, sie tötet auch konkret.

Eine ökumenische Bewegung in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes ist in ihrem Kern das, was Kirche ausmacht: die Gemeinschaft des Volkes Gottes, das den Ruf Gottes hört und aus der Sklaverei Ägyptens und des Mammons aufbricht, die das Unrecht anklagt und Gerechtigkeit verkündet, die auf dem Weg das Brot miteinander teilt und die Gegenwart Gottes feiert. Partnergemeinden können und müssen Wegbereiter dieser ökumenischen Bewegung sein. Sie sind die Keimzellen einer erneuerten Kirche.

Die Einladung Jesu an den gemeinsamen Tisch annehmen und das Brot des Lebens konkret miteinander teilen ist konstitutiv für das Volk Gottes. Eine solche Tischgemeinschaft ist das Symbol (Zeichen, Sakrament) der einen universellen Kirche, die normalerweise nur als etwas Abstraktes wahrgenommen und kaum erfahren und gelebt werden kann. In einer Partnerschaft kann man dagegen leben, erfahren und verwirklichen, was katholische Kirche sein will. Eine solche Kommunion ist das Sakrament einer wahrhaft katholischen Kirche, sie ist das Sakrament des Volkes Gottes auf dem Weg.

Die Gläubigen und Kirchengemeinden in den Ländern des Nordens sind mehrheitlich Mitglieder der Mittelklasse. Sie kennen keinen Hunger und kein Elend und sie identifizieren sich in der Regel mit der Gesellschaft, in der sie leben. Sie haben ein existentielles Interesse am Funktionieren dieses Systems, denn es bietet ihnen Sicherheit und viele Bequemlichkeiten mehr.

Eine Option für die Armen bedeutet für die Kirchengemeinden des Nordens:

  • Die Armen als Opfer einer globalen Ordnung erkennen, ihre Stimme hören und mit ihnen gehen. Eine Umkehr („Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe“) ist die Bedingung, um in dem Armen das Antlitz des gekreuzigten Jesus zu erkennen.
  • Analyse und Infragestellen des Kontextes, in dem man lebt: das Wirtschaftssystem, die Ursachen des weltweiten Elends; erkennen seiner persönlichen Verwicklung darin.
  • Die Götter dieser Welt im Lichte des Glaubens als Götzen denunzieren, die den Tod bringen und den Gott des Lebens verkünden, indem man Leben ermöglicht; zumindest aber Stimme derer sein, die keine Stimme haben.
  • Sich von den Armen evangelisieren lassen. Sie sind es, die uns die Bedeutung der Botschaft Jesu erschließen. Es ist keine Schande, sich von den Armen den Weg Gottes weisen zu lassen. Gott ist mit ihnen auf dem Weg, weil sie unterdrückt sind. Für die Reichen bedeutet mit den Armen sein, Gottes Nähe und Gegenwart zu erfahren. Einige am Beispiel von Cajamarca gemachte Beobachtungen lassen sich generalisieren und in folgender Form zusammenfassen (Stichwort Weltkirche):
  • Das Zletzte Konzil gab den Kontakten zwischen den armen und den reichen Kirchen einen entscheidenden Impuls. Den inhaltlichen Rahmen bildeten hier besonders die Aussagen des Konzils über das Volk Gottes und die Kirche als Kirche für die Armen. Alle untersuchten Partnergemeinden berufen sich auf diesen Rahmen.
  • In diesem Zusammenhang ist die fast zeitgleiche Gründung und die Bedeutung der deutschen Hilfswerke zu stellen. Im Kontakt mit der Kirche in Peru zeigt sich dabei von Anfang an das Problem der Kommunikation („gemeinsame Sprache“, z.B. „Erneuerung der Kirche“), der Frage nach den Ansprechpartnern (zuerst Bischöfe?); das Problem der Einmischung - im Sinne der Vorgaben der Geldgeber oder auch dem Prinzip der völligen Eigenständigkeit der Partner in Peru, im positiven wie negativen. Deutsche Hilfswerke leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Erneuerung der Kirche in Peru und zum Entstehen einer einheimischen Kirche.
  • Die ersten Kontakte (Hilfswerke, Gemeinden, Diözesen) liefen nahezu ausschließlich über meist deutsche Priester und über Bischöfe und hingen damit wesentlich von deren jeweiligen Optionen und Präferenzen ab. Einzelne Personen waren entscheidend.
  • Konkret in Cajamarca: Die persönliche Entscheidung von Alois Eichenlaub, nicht in Abancay, sondern in Cajamarca zu arbeiten, war mit entscheidend für den gelungenen kirchlichen Neuanfang in Cajamarca. Seine Entscheidung für Cajamarca lenkte in der Folge deutsche Hilfe schwerpunktmäßig nach Cajamarca.
  • Konkret St. Martin, Dortmund: Entstehen einer Patenschaft erst durch Zufall, nachträglich dann aber Motivation und Zielsetzung durch direkten Kontakt, durch Konzil und Hilfswerke. Zusammen mit dem Bischof von Cajamarca konnte eine deutsche Gemeinde zur Erneuerung der Kirche in Cajamarca beitragen. Sie trat in einen Lernprozess ein, der Rückwirkungen auf die eigene Situation mit einschloss: Entdecken einer weltweiten Verantwortung, theologisch und ökonomisch.
  • Deutsche Priester als „Geschenk des Glaubens“ für die armen Länder spielten auch anderswo und überhaupt eine sehr wichtige Rolle - ein Beispiel von Weltkirche (auch ausländische Priester in Deutschland).
  • Eine einheimische Kirche in Peru ist zumindest punktuell vor allem durch die engagierte Arbeit ausländischer Priester entstanden.
  • Die deutsche Kirche ist spätestens seit 1962 massiv in Entwicklungen innerhalb der peruanischen Kirche verwickelt, sie hat sich eingemischt und kann nicht davon ablassen. Vielmehr eröffnet sich daher die Chance, mit den armen Kirchen zusammen einen neuen Weg zu gehen, der die eigene Umkehr ermöglicht.
  • Weltkirche werden heißt, von den lokalen und armen Kirchen, z.B. der andinen Kirche ausgehend, ein globales Netz der Solidarität zu knüpfen, um auf diese Weise der Welt eine befreiende Alternative aufzuzeigen, bzw. das Evangelium zu verkünden.

Für die Kirche insgesamt geht es darum, ob es ihr gelingt, zu einer glaubhaften und kämpferischen Alternative zu den herrschenden Gesetzmäßigkeiten zu werden und damit zu ihren Wurzeln zurückzukehren. „So stellt sich die Frage: Was globalisiert die Kirche mit ihrer weltweiten Dimension? Bildet sie darin eine vom Evangelium her authentische und, wenn es sein muss, alternative Globalisierungsperspektive zu jenen rasanten Globalisierungsprozessen im Produktions-, Absatz- und Informationsmarkt mit jenen ‚Gesetzmäßigkeiten’, die insgesamt nicht ohne Grund als Ursachen dafür diskutiert werden, dass weltweit Millionen von Menschen aus eben diesen Prozessen ausgegliedert und von daher für überflüssig erklärt werden. Die herrschenden Legitimationen, die menschliches Leben rechtfertigen, kommen immer weniger Menschen zugute, nicht nur in der südlichen Hälfte der Erde, sondern zunehmend auch im Norden“. (Fuchs, ebd.).

In einer Partnerschaft finden potenziell alle diese verschiedenen Aspekte zusammen. Partnerschaft kann daher als Modell bzw. als Konkretisierung von Weltkirche dienen, machbar und erlebbar für alle. Weltkirche wird in der gelebten Beziehung zwischen einer reichen und armen Gemeinde konkret und praktisch erfahrbar - praktikabel und machbar am jeweils konkreten und alltäglichen Ort, sei es in der Gemeinde sei es in einem persönlichen Engagement. Sie ist weltkirchliche Katechese und Glaubenskatechese allgemein.

Zur pastoralen Situation in deutschen Gemeinden

Die deutschen Partnergruppen haben den Anspruch, ihre peruanischen Partnergruppen auf dem Weg zu begleiten. Sie sprechen einstimmig von einer Option für die Armen und fühlen sich den Beschlüssen von Medellín und Puebla verbunden. Nicht zuletzt wurden durch per-sönliche Besuche Beziehungen geknüpft, die über die rationale Einsicht hinaus eine persönliche Betroffenheit und Verantwortung entstehen ließen. Sind die deutschen Gemeinden dieser Herausforderung gewachsen und werden sie dabei allein gelassen?

Die Auswertung der Befragungen deutscher Partnergemeinden lässt diese Frage offen. Auf jeden Fall sind gravierende Unterschiede im Vergleich mit peruanischen Partnergruppen festzustellen. Dies betrifft vor allem das Gemeindeverständnis und das pastorale Selbstverständnis der Gruppen.

In Deutschland:

  • Um den eigenen Ort in der Kirche zu bestimmen werden zuerst äußere Begründungen genannt (man trifft sich im Gemeindezentrum, bereitet einen Peru-Gottesdienst vor etc.). Inhaltliche Gründe (z.B. weltkirchlicher Auftrag) werden nur zögerlich genannt.
  • Das pastorale Selbstverständnis der Gruppe ist sehr schwach entwickelt. Mehrheitlich wird gar ein pastoraler Auftrag abgelehnt. Bei Nachfrage werden dann vor allem viele Aktivitäten genannt (Werbung für Partnerschaft, Dia-Vorträge, Perusonntag, etc.)

In Cajamarca:

  • Die Campesinos und Frauengruppen begründen ihr Engagement mit ihrem Glauben an Jesus und seine Botschaft. Sie feiern diesen Glauben, indem sie das Brot teilen.
  • Sie erfahren Kirchewerden als befreiend, als Aufbruch und als existentiell notwendig. Kirchewerden bedeutet, in Gemeinschaft gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.

Die befragten Gruppen in Cajamarca deuten ihren Auftrag missionarisch und prophetisch,  vergleichbar mit dem Selbstverständnis und dem Wirken der ersten Christen. Gerade eine solche Deutung lehnen die meisten deutschen Gruppenmitglieder nicht nur ab, sondern sie empfinden dies als Zumutung oder Überforderung. Von den deutschen Gruppen wird die Kirche eher als eine Organisationsform gesehen, die bestimmte Dienste anbietet und eine manchmal hilfreiche Infrastruktur besitzt, weniger dagegen als eine immaterielle Größe, z.B. als sichtbares Zeichen des Reiches Gottes.

Die Kirche ist quasi das „Gehäuse“, das für die jeweiligen Interessen der Gruppe und durchaus auch zugunsten der Gemeinschaft genutzt werden kann. Es herrscht weithin ein soziologisches Verständnis von Kirche vor. Dieses Verständnis von Kirche entspricht dem Verständnis, das auch die Hierarchie von Kirche hat, nach dem - de facto - das Volk Gottes, die Laien, als ein Gegenüber und damit als Objekt gesehen werden. Pastoral wird in den Gruppen - und zu vermuten erst recht in der Gesamtgemeinde - als Aufgabe der Hauptamtlichen betrachtet.

Vor allem aber besteht die Tendenz, Pastoral auf Kult zu reduzieren (Sakramente, Gottesdienste). Dafür aber sind Spezialisten zuständig, die dafür ausgebildet wurden und die dafür bezahlt werden. Das Muster, dass Laien für die weltlichen Dinge und die Geistlichen für die überweltlichen Dinge zuständig sind, ist in deutschen Gemeinden offensichtlich noch stärker verbreitet, als offizielle Dokumente vermuten lassen.

Unter dem Stichwort „Trennung von Sozial- und Pastoralarbeit“ soll hier auf wesentliche Unterschiede im Selbstverständnis und der Praxis der Partnergemeinden auf den verschiedenen Seiten des Globus nur kurz hingewiesen werden.  

  • Der Stellenwert des Politischen (Glaube und Politik, Engagement und Parteilichkeit).
  • Die Reflexion des eigenen Standorts (lokal und global); Option und Entscheidung.
  • Die Diakonie als konstitutives Element von Gemeinde und Kirche.
  • Die Einheit von Glaube und Theologie (Theologie wächst aus der Mitte der Gemeinde).
  • Analyse („Sehen“) - Deuten im Lichte des Glaubens - befreiende Pastoral.

N. Mette und H. Steinkamp setzen sich mit dem Problem der Rezeption oder Transformation lateinamerikanischer Modelle auseinander.  Die dabei sichtbar gewordene Problematik in den deutschen Gemeinden wird voll bestätigt durch die eigenen Umfragen - und noch mehr durch die beobachtete Praxis - in den fünfzehn befragten Partnergemeinden in Deutschland. Die Ergebnisse dieser Umfragen stimmen mit den folgenden Beobachtungen überein.

Als wichtigste Probleme bei Mette/Steinkamp werden benannt: Entgegen der pastoraltheolo-gischen Diskussion, in der die Abkehr von der Servicegemeinde vorherrschte, änderte sich wenig in der konkreten Gemeindepraxis, von Ausnahmen abgesehen, die wiederum meist von Pfarrern abhängen. Der „kirchlich internalisierte Klerikalismus“ (S. 11) ist noch stärker ausgeprägt als geahnt. Der Blick auf Entwicklungen in lateinamerikanischen Basisgemein-den fungierte „nicht selten als Kompensation für hier erfahrene Enttäuschungen und auf der Strecke gebliebenen Sehnsüchte“, während „in den herkömmlichen Gemeinden die beharrende Mentalität eindeutig die Oberhand gewann“ (S. 12).

Im Unterschied zu den siebziger Jahren wurden die Gemeinden zunehmend unpolitischer, kritische Geister zogen aus oder wurden an den Rand gedrängt. Basisgemeinden und ähnliche Basis bewegte Initiativen entstanden außerhalb der herkömmlichen Gemeinden. Im Transfer der „Modelle“ (schon der Begriff ist bezeichnend) lateinamerikanischer Basisgemeinden wurde der eigene Standort nicht grundsätzlich in Frage gestellt. „Das überkommene Pfarrei-Prinzip lässt sich nicht mit der Option für (Basis)- Gemeindebildung in Einklang bringen“ (S. 14). Subjektbildung wird eher verhindert als gefördert.

Zwischen Diakonie und Gemeindeleben, in dem die Armen dieser Gesellschaft meist nicht anzutreffen sind, herrscht eine tiefe Kluft. Das Anliegen des Konzils (z.B. Gaudium et Spes 1, zur Evangelisierung) wurde in den Gemeinden nicht angenommen bzw. wurde ihnen nicht vermittelt. Die Seelsorge wird eher bestimmt von dem „Säkularisierungsparadigma“, d.h. dass es in der Seelsorge eher um die Auseinandersetzung mit dem Unglauben geht und nicht um die Auseinandersetzung mit den Götzen des Todes (S. 18).


Anmerkungen

1) Vgl. den Artikel von E. Klinger im Sammelband zur Studie, dort u.a.: „Sakrales und Profanes hat einen humanen Sinn. Das Leben und die Lebensräume sind der Ort, an dem sie sich begegnen und durchdringen. Das Zweite Vatikanum entwickelt mit dieser Zuordnung eine globale Konzeption kirchlicher Tätigkeit. Denn es bescheinigt dem sozialen Handeln pastorale Bedeutung und verankert umgekehrt die Pastoral im sozialen Auftrag. Partnergruppen haben somit eine programmatische Basis im Zweiten Vatikanum. Es leitet dazu an, die Prozesse einer wachsenden Globalisierung aller Bereiche des Lebens auf dieser Grundlage zu betrachten und aus der eigenen Erfahrung zu bewerten. .. Kirche vor Ort ist selber Kirche und die Universalkirche ist immer Kirche, die an einem Ort existiert. Die globale Welt fordert inhaltlich die Katholizität heraus. Die katholische Kirche steht im Zeitalter der Globalisierung vor dem Problem ihrer Katholizität. .. Sie hat auf dem Zeiten Vatikanum die institutionellen Voraussetzungen für sie geschaffen; denn es sagt von der Kirche, dass sie eine Gemeinschaft der Gottes- und der Nächstenliebe ist, ein messianisches Volk, das Volk Gottes in Christus, das sich auf den Weg durch die Geschichte befindet und die Menschheit in eine Familie Gottes umgestalten will“ (ebd. S. 228, 229).

(2) „Santo Domingo - Herausforderung an die Kirche Lateinamerikas“, auf dem 91. Deutschen Katholikentag in Karlsruhe, Forum am 18. 6. 1992.

(3) Fuchs, Ottmar: Auf dem Weg zu einer lokal und global geschwisterlichen Kirche. In: Lebendiges Zeugnis 55 (2000) 219- 227. O. Fuchs spricht hier von einer Globalisierung im Zusammenhang mit universalem Glauben und Weltkirche.

(4) Fidei - Donum - Treffen vom 27. - 6. 3. 2002 in Chaclacayo (bei Lima), Peru. Thema: Partnerschaft. Obwohl alle Priester im Auslandseinsatz es in ihrer Arbeit mit Beziehungen zur Heimatkirche, mit Spenden, Kommunikation und Partnerschaft zu tun haben, ging es zum ersten Mal auf einem solchen Treffen um dieses Thema. Ich wurde zu diesem Treffen als Referent eingeladen, um über die Ergebnisse der Studie über die Partnerschaften zu referieren und zu diskutieren. Das Thema stieß auf großes Interesse und es kam zu fruchtbaren Diskussionen und zum Austausch auch konträrer Auffassungen, die im Sinne eines echten Dialogs bestritten wurden.

(5) Ellacuría, Ignacio: Die Kirche der Armen, geschichtliches Befreiungssakrament. Mysterium Liberationis - Band I, S. 761.

(6) Ökumene bedeutete ursprünglich nichts anderes als die eine, miteinander geschwisterlich verbundene Kirche in der ganzen Welt. Die Partnerschaft zwischen zwei Gemeinden in den so unterschiedlichen Teilen der Welt ist praktizierte Ökumene. Die Spaltung der Christenheit besteht nicht darin, ob einige Christen sich eher zu den Ängsten der Menschen im 16. Jahrhundert mit der daraus resultierenden Lehre von der eigenen Rechtfertigung bekennen, oder ob sie sich von der pompösen Machtentfaltung und Selbstinszenierung absoluter Herrscher beeindrucken lassen, sondern sie besteht darin, dass von Christen Verhältnisse geschaffen wurden und aufrecht erhalten werden, innerhalb derer Christen auf Kosten anderer Christen leben.

Wenn für deutsche Theologen und Bischöfe die Ökumene - wie sie hierzulande verstanden wird - ein wichtiges Thema sein mag und ein weiterer deutscher Spitzentheologe und Bischof nun eigens nach Rom berufen wird um die so verstandene Ökumene voran zu bringen (wobei selbst dies nicht möglich sein wird, weil die römisch - kath. Kirche per definitionem nicht in einen vorbehaltlosen Dialog Gleicher mit Gleichen eintreten kann), so ist dies lediglich ein Hinweis darauf, dass die eigentlichen Probleme der Menschheit nicht erkannt werden.

Während der Mehrheit der Menschen das Brot genommen wird, statt es mit ihnen zu teilen (auch innerhalb der verfassten Kirche, weil Teil des Systems), beschäftigen sich Theologen und Bischöfe mit selbst geschaffenen Problemen und bestätigen und rechtfertigen gerade dadurch die Spaltung der Menschheit und die Spaltung der Kirche. Der Bruch der von Gott gewollten menschlichen Gemeinschaft ist der eigentliche Skandal (Ur - Sünde).