Die Sozialpastoral der Diözese Cajamarca unter Bischof José Dammert Bellido (1962 - 1992)                                                                              von Hans Hillenbrand

Einleitung

Gibt es einen „roten Faden“ in der Sozialpastoral der Diözese Cajamarca während dieser Zeit José Dammerts? Viele Personen, die über unser Thema nachgedacht haben, fragten sich dies bereits. Ich wage hier eine Hypothese, die im ersten Teil mit drei Faktoren zu arbeiten sucht:

1. Die Person José Dammert Bellido

2. Kirchenpolitische Faktoren

3. Allgemeingeschichtliche, soziale und politische Faktoren

Selbstverständlich gibt es Querverbindungen zwischen diesen drei Elementen. So ist z.B. die Person José Dammert Bellido ganz sicher von den kirchengeschichtlichen, sozialen und politischen Faktoren beeinflusst und ohne sie nicht zu verstehen.

In einem zweiten Teil versuche ich, die Ergebnisse dieses sozialpastoralen Handelns zu beschreiben. Es dreht sich dabei hauptsächlich um die Organisationsformen dieses sozialpastoralen Handelns. Doch soll auch versucht werden, „Ergebnisse“ in der Campesinowelt zu beschreiben. Was hat die Sozialpastoral auf sozialorganisatorischer und familiärer Ebene für einen Einfluss gehabt? In einem Schlusswort versuche ich eine Art „Quintessenz“ zu bilden, was natürlich zu einem Ausblick auf die Zukunft verleitet.

1.1.   Die Person José Dammert Bellido, Bischof von Cajamarca

Es steht meiner Meinung nach außer Frage, dass mit der Ankunft von Monseñor Dammert im Jahre 1962 ein neues Kapitel in der Sozialpastoral in der Diözese Cajamarca angefangen hat. Ja, man kann sagen, dass mit ihm überhaupt so etwas wie Sozialpastoral in der Diözese begonnen hat. Zuvor hat es sicher schon Bischöfe, Priester und Laien mit sozialpastoraler Sensibilität und entsprechenden Aktivitäten, hauptsächlich auf Pfarreiebene gegeben. Doch war das alles sehr vereinzelt und war vor allem auf Diözesanebene nicht koordiniert.

1.1.1.  Monseñor Dammert hatte im Bereich der Sozialpastoral schon vor seiner Ernennung zum Bischof von Cajamarca einiges an Aktivitäten, Veröffentlichungen und Aussagen aufzuweisen. An anderer Stelle (CEP-Verlag, Lima) wurden anlässlich der 25 Bischofsjahre und auch noch später Texte von ihm veröffentlicht. Vor allem möchte ich aus dieser Zeit vor Cajamarca die Reden anlässlich der „Sozialen Wochen“ in Lima (1959) und Arequipa (1961) erwähnen.

Hier ist es sicher notwendig, auch seine Tätigkeit als Professor an der „Katholischen Universität“ in Lima anzuführen. Er war hier kein „reiner Theologieprofessor“. Immer suchte er den Kontakt zu den Studenten. Kontemporane Ereignisse wie die kubanische Revolution oder die Zuspitzung des „Kalten Krieges“ in dieser Zeit geben immer wieder genügend Stoff zu Gesprächen mit den Studenten. Schon in jener Zeit waren Themen wie die Agrarreform, Unterdrückung der indigenen Campesino - Bevölkerung scharf diskutierte „heiße Eisen“. Er war ein ausgezeichneter Kenner der Literatur - vor allem, was die sogenannte Literatur des Indigenismus betrifft. Autoren wie Clorinda Matto de Turner, Ciro Alegría, Calderón, Lopez Albujar und José M. Arguedas warten in seiner Bibliothek zu finden. Aus diesem Grunde kann man sagen, dass er ausgezeichnet für seine Aufgabe als Bischof in einer Campesino - Diözese vorbereitet war. 

Zwar gab es auch Stimmen, die bedauerten, dass eine so gut ausgebildete Persönlichkeit seine Energie in einer im Jahre 1962 zu beinahe 90% aus indigenen Campesinos bestehenden Diözese „vergeudete“. Doch fühlte sich Monseñor Dammert anscheinend in Cajamarca am richtigen Ort. Denn später lehnte er „Beförderungen“ auf „wichtigere“ Bischofsitze (z.B. Trujillo) immer ab.

1.1.2.  Woher kam diese soziale Sensibilität bei Monseñor Dammert? An erster Stelle wäre da ganz sicher der Einfluss seines Elternhauses, vor allem seiner Mutter, zu erwähnen. Manchmal, nicht zu oft, erzählte er von dieser großartigen Frau.

1.1.3.  Freunde aus der „Vor - Cajamarca - Zeit“ erzählen, dass Monseñor Dammert schon früh mit sehr „offenen Augen“ durch die Welt gegangen sei: Zeitungen, Zeitschriften vor allem sozialer Art waren vor seinem Lese- und Studier - Durst nicht sicher. Manchmal war er sogar in einem Kino zu finden, wenn spezielle Filme liefen. Er wusste, was in der Welt, vor allem im sozialen Bereich, vor sich ging, welche Möglichkeiten sich gerade zusammenballten und wo sich ungeheure Ungerechtigkeiten auftürmten.

1.1.4.  Der Kern seiner sozialen Sensibilität kam aber sicher von seinem Christusglauben. Er gehört bis heute zur Bruderschaft Charles de Foucauld. Der arme Jesus, der sich im Armen heute, im Campesino, verkörpert, ist der Kern seiner Spiritualität und auch seiner sozialen Sensibilität.

1.1.5.  Dann wären sicher auch noch Freunde und Begegnungen mit Mensche zu nennen. die Einfluss auf Monseñor Dammert nahmen und seine soziale Sensibilität vertieften: Seine Freundschaft mit Monseñor Proaño von Riobamba, Ekuador, mit dem Franziskaner-Kardinal Landázurri, mit Samuel Ruíz, dem Bischof von Chiapas in Mexiko. Eine spezielle Freundschaft verband ihn mit Gustavo Gutiérrez, dem „Vater der Theologie der Befreiung“. Beide waren Priester der Diözese Lima; beide hatten viele Jahre an der „Katholischen Universität“ gelehrt und hatten sich dort zusammen um die studentische Jugend gekümmert.

1.2.  Kirchengeschichtliche Faktoren

Natürlich ist in der Sozialpastoral der Diözese Cajamarca auch ganz stark das Gewicht kirchengeschichtlicher Faktoren zu beobachten. Obwohl weit weg von den großen kirchlichen „Schaltstellen“, war in Cajamarca der Einfluss der wichtigsten Strömungen festzustellen. Sicher erklärt vieles davon, dass Monseñor Dammert dabei nicht nur Beobachter, sonder Akteur war.

1.2.1.  Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 - 1965)

Obwohl die Hauptbedeutung des Zweiten Vatikanische Konzils sicher nicht auf dem sozialen Sektor lag, brachten seine Grundeinsichten doch auch Bewegung in diesen Bereich. Das „Volk-Gottes-Konzept“ brachte es mit sich, dass die Campesinobevölkerung, vor allem durch die Campesino-Katecheten sich wirklich als Teil der Kirche fühlten. Sie brachten sich nicht nur als Personen ein, sondern brachten auch ihre Situation, ihre soziale Situation und die daraus resultierenden Probleme mit.

Schon bald nach der Eröffnung des Konzils im Jahre 1962 gab es fast in allen Pfarreien der Diözese Männer und Frauen aus der Campesinowelt, die als Katecheten in ihrem Dorf, in ihrer Sprache, mit ihren Problemen, auch sozialen Problemen, Wortgottesdienste feierten und die Sakramente vorbereiteten. Ein wichtiger Punkt des Zweiten Vatikanischen Konzils war die Feier der Sakramente in der Volkssprache. Wie war das in Cajamarca zu verwirklichen?

Die Cajamarca-Kirche wurde sich bewusst, dass die Campesinosprache in den nördlichen Anden nicht das klassische, offizielle Spanisch ist. Sehr viele Quetschuaworte, auch noch einige Worte der alten Culle - Sprache, eine präkolumbianische Satzbildung und noch sehr viele andere Eigenarten, machten den Gebrauch des offiziellen Spanisch in der Gegend von Cajamarca, vor allem unter den Campesinos, problematisch. Eine sehr große Hilfe wurde dann die lateinamerikanische Übersetzung der Bibel.

So half das Zweite Vatikanische Konzil mit, die kulturelle Marginalisierung und Unterdrückung von den Campesinos selbst aussprechbar und im religiösen Raum zuerst bewusst zu machen und ihrer Problematisierung Platz in der Kirche zu geben - eine eminent sozialpastorale Aufgabe! Von vielen Katecheten wurden bei den Auslegungen der Bibel nicht nur rein religiöse Befreiungswege entdeckt und den Gemeinden vorgeschlagen. Man fing an, an eigenen Texten zu arbeiten, Lieder und Gebete zu verfassen. Vieles davon mündete dann später in das Glaubensbuch „Vamos Caminando“.  Ebenfalls Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils war eine Intensivierung der Katechese, vor allem in der Art des sehr oft ganz lebendig improvisierten Rollenspiels. Darin tauchten fast immer soziale Probleme auf. Oft in der Form einer Komödie, die zum Lachen reizte, aber auch sehr viel Stoff zum Nachdenken gab.

Als Resultat sollte man festhalten, dass das Zweite Vatikanische Konzil die Diözese Cajamarca stark beeinflusst hat, nicht nur was Theologie und Sakramente betrifft. In der Problematisierung der sozialen Beziehungen, vor allem in den Beziehungen Kirche - Campesino, wurden wichtige Schritte gegangen. Einschränkend soll aber auch gesagt werden, dass es auch eine Menge Priester und Ordensleute in der Diözese gab, die diesen Weg nicht mitgingen, sondern weiter in einer vorkonziliaren Position verharrten.

1.2.2.  Die II. Lateinamerikanische Bischofskonferenz von Medellín (1968)

In den Beratungen und zu den Texten von Medellín gaben peruanische Bischöfe und Theologen wichtige Impulse und Beiträge. Monseñor Dammert und Gustavo Gutiérrez wären da an erster Stelle zu nennen. Aus diesem Grunde ist es nur zu verständlich, dass nach diesem Ereignis in der Diözese Cajamarca sehr viele neue Impulse gerade in der sozialpastoralen Arbeit festzustellen sind.

Was ist Armut? Woher kommt sie? Ist sie auch Frucht falscher nationaler und internationaler Politik? Was kann man dagegen machen? Müssen wir uns mehr mit Politik befassen? Was denken wir über die revolutionären Bewegungen? Diese und andere Fragen tauchten nicht nur bei den Beratungen in Medellín, sondern auch danach in der Sozialpastoral der Diözese Cajamarca auf. Und es waren nicht nur Fragen, die „von oben“ an die Teilnehmer in den Campesinokursen gerichtet wurden. Sehr viele Leiter der Campesino - Dorfgemeinschaften wurden wesentlich konkreter und direkter. Mit welcher politischen Partei oder Bewegung sollten wir es halten? Ist die kubanische oder chinesische Richtung „korrekt“?

Überhaupt vieles in der Sprache dieser Jahre, die unumgänglichen Floskeln und Formeln, spiegelte die Anstöße von Medellín wieder. Medellín hatte sich sehr intensiv mit der sozialen Situation Lateinamerikas auseinandergesetzt. Es hatte sich gefragt, was die „Zeichen der Zeit“ hier seien und somit ein wichtiges Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgenommen.

Unter den Personen, die der ganzen Versammlung Vorträge hielten, waren Samuel Ruíz und Leonidas Proaño, Freunde von Monseñor Dammert, wie schon in einem früheren Kapitel erwähnt. Genauso wie er waren sie in ihren Diözesen mit der Sozialproblematik der Campesinobevölkerung befasst. In den abschließenden Dokumenten, die von der gesamten Versammlung erarbeitet und für gut befunden worden waren, wird an erster Stelle von der „Promoción humana“ (Menschliche Entwicklung) und darin zuerst von dem Problem der Gerechtigkeit und des Friedens gesprochen.

In vielen Kursen und Treffen in Cajamarca wurden dann diese Themen Medellíns weiter durchgearbeitet und meditiert. Viele Campesino-Katecheten, Lehrer auf dem Lande, Ordensleute und Priester machten sich im Gefolge diese Gedanken und Beschlüsse Medellíns zu eigen.

1.2.3.  „Justicia en el Mundo“  (Gerechtigkeit in der Welt - 1971)

Im Jahre 1971 hatte die peruanische Bischofskonferenz ihren Beitrag zur bevorstehenden Bischofssynode in Rom vorzubereiten. Frucht dieser Überlegungen und Vorbereitungen war dann ein Dokument mit dem obigen Titel, das sehr kritisch die soziale Situation beurteilte. Es war das erste und wahrscheinlich auch einzige Dokument einer peruanischen Bischofskonferenz, in dem das Wort Sozialismus nicht im ablehnenden Sinn gebraucht wurde. Zusammen mit anderen Dokumenten der peruanischen Bischofskonferenz, wie z.B. den Dokumenten zur peruanischen Agrarreform, wurde dieses Dokument „Justicia en el Mundo“ gerade von der Campesinowelt Cajamarcas mit großer Begeisterung aufgenommen.

Natürlich stellte man von der „sozialen Gegenseite“ eine totale Ablehnung fest: Die konservative Agraroligarchie der enteigneten Großgrundbesitzer spuckte „Feuer und Galle“ gegen die „roten Bischöfe“. Sie seien keine echten Christen mehr, sondern christliche Kommunisten!

1.2.4.  Puebla - Mexiko (1978)

Weitere sehr wichtige Einflüsse gingen von der dritten lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla, Mexiko, aus. Dabei war es weniger die eigentliche Konferenz oder das sehr umfangreiche Abschlussdokument. Die wirkkräftigeren Impulse kamen von der Vorbereitungsarbeit an der Basis. Die Vorbereitungskommission hatte allen Diözesen und Pfarreien ein Arbeitsdokument zugeschickt, über das man beraten sollte. So kam ein Studien- und Reflektionsprozess in Gang, der in der Diözese Cajamarca, gerade was die soziale Problematik betraf, sehr wichtig wurde. Es sei hier daran erinnert, dass man in Peru in dieser Zeit am Schluss der sogenannten „zweiten Phase“ der peruanischen Revolution lebte. Die Illusionen, das bestehende soziale Unrechtsgefüge mit Reformen von oben zu überwinden, waren zerstoben. In vielen Ecken und Enden Perus dachte man an Revolution und man arbeitete daran. Es waren die Jahre kurz vor dem Ausbruch des bewaffneten Kampfes von „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad).

In Cajamarca wurde leidenschaftlich darüber diskutiert, warum Monseñor Dammert nicht in die peruanische Delegation für Puebla gewählt worden war. Doch das hing mit dem ebenfalls oft sehr leidenschaftlich ausgetragenem Streit um die Theologie der Befreiung zusammen. Auch Gustavo Gutiérrez war nicht zur Konferenz von Puebla zugelassen worden.

1.2.5.  Theologie der Befreiung

Es war schon von der Freundschaft  von Monseñor Dammert mit Gustavo Gutiérrez die Rede. Dieser hatte Ende der sechziger Jahre den Begriff „Theologie der Befreiung“ geprägt. Anfang der siebziger Jahre war sein Buch mit dem gleichnamigen Titel erschienen. Nicht nur in Cajamarca und nicht nur in Peru wurde fortan nun leidenschaftlich dieses Thema diskutiert und studiert.

Gustavo Gutiérrez war sehr oft in diesen Jahren selbst in Cajamarca. Er wohnte im Bischofshaus, hielt Vorträge an der Universität, bekam dort die Ehrendoktorwürde und gab natürlich sehr viele Anstöße, vor allem im sozialpastoralen Bereich in der Cajamarca-Kirche. Wer sollte sich da nun in der Gegend von Cajamarca befreien? Klar, dass es sich da hauptsächlich um die Campesinobevölkerung handelte. Wie sollte das alles vor sich gehen?

All diese Fragen gaben dann Anlass, das Glaubensbuch „Vamos Caminando“ zu erarbeiten. Es sollte zu einer Art „Theologie der Befreiung in Cajamarca“ werden. Es ist hier nicht der Ort, dieses Buch und seinen Entstehungsprozess zu besprechen. Andere haben das bereits getan. Doch soll hier seine Bedeutung für die Sozialpastoral der Diözese erwähnt werden. Dieses Buch bewegte sich nicht nur im religiösen Bereich. Alle wesentlichen Dimensionen des persönlichen und gemeinschaftlichen Campesinolebens sind darin angesprochen. Wie sie  in christlicher Freiheit zu gestalten? Das war die Herausforderung, die in diesem Buch der „Theologie der Befreiung Cajamarcas“ zu beschreiben und zu reflektieren war.

1.3. Allgemeingeschichtliche, soziale und politische Faktoren

Strömungen auf Weltebene, aber auch ihre spezielle Form innerhalb Perus, übten ihren Einfluss auf die Sozialpastoral der Diözese Cajamarca aus. Da wäre zuerst eine große sozialrevolutionäre Strömung dieser Zeit zu nennen.

1.3.1.  Sozialismus und Marxismus

Die großen sozialistischen, marxistischen Strömungen in Russland, China, Kuba, Vietnam schienen um diese Zeit noch Bewegungen voller Kraft und voller Zukunft. Vertreter und Sympathisanten hatten Lehrstühle an den wichtigsten Universitäten Perus inne. Zeitungen, Zeitschriften, Radiokommentare waren ohne diesen Einfluss nicht zu denken. Kirche und damit auch die Diözese Cajamarca kamen nicht umhin, sich auch darüber Gedanken zu machen. Was war daran gut? Was war daran schlecht?

Das Suchen nach mehr Gerechtigkeit, nach mehr Chancen für alle, nicht nur für eine kleine wirtschaftliche Elite, die ihren Reichtum und oft auch ihren Luxus mit Ausbeutung erwirtschaftet hatte, war nicht nur im Marxismus - Sozialismus, sondern auch im Bereich der Sozialpastoral der Diözese Cajamarcas ein elementarer Bestandteil des Denkens und Arbeitens. Daher die Einflüsse dieser Strömung auf Personen, Programme und Aktivitäten der Sozialpastoral.

1.3.2.  Die Agrarreform

Nicht nur in Peru wurde die ungleiche Verteilung des Bodens schon sehr früh als Problem und große Ungerechtigkeit empfunden. Meistens waren auch noch Ausländer weißer Hautfarbe die großen Latifundien - Besitzer, während die mehr indigene Bevölkerung mit oft winzigen Landflecken auskommen musste. Wie war da Abhilfe zu schaffen?

Schon kurz nach 1962 gab es in Peru einen sehr unbefriedigenden Versuch, so etwas wie eine Agrarreform durchzuführen. Die Tatsache, dass der parlamentarisch dafür zuständige Mann gleichzeitig der größte Großgrundbesitzer Cajamarcas war, sagt eigentlich schon alles (Rafael Puga Estrada, Besitzer der Hazienda Pauca mit rund 50.000 ha.). Der Versuch des Präsidenten Belaúnde verlief größtenteils im Sande. Sozial änderte sich nichts im Lande.

Unter der Militärdiktatur von Velasco Alvarado wurde am 24. 6. 1969 ein viel weiterführendes Gesetz zur Agrarreform erlassen. „La tierra para quién la trabaja“ („Das Land für den, der es bearbeitet“) war das Leitwort dieses Gesetzes. Die peruanische Kirche als solche und die Cajamarca-Kirche unterstützten dieses Vorhaben, auch wenn es Kritiken an Einzelmaßnahmen gab. Die stellenweise sehr starke Bürokratisierung, Nichtbeachtung der örtlichen Campesino - Meinung und Errichtung von Staatsbetrieben (auch wenn sie Genossenschaften hießen, waren sie in Wirklichkeit Staatsbetriebe) entsprachen nicht den Vorstellungen der pastoralen Mitarbeiter der Diözese Cajamarca. Doch war Denken und Arbeiten der Sozialpastoral der Diözese positiv von dem Gedanken und von dem Gesetz des Staates beeinflusst.

1.3.3. Die Strömung des Indigenismus

Schon seit dem letzten Jahrhundert gab es in Peru eine sogenannte „Strömung des Indigenismus“. In der Literatur und auch in der Malerei gab es Werke, die sich bemühten, die menschlichen und kulturellen Werte der lateinamerikanischen Urbevölkerung, hauptsächlich Campesinos, nicht untergehen zu lassen.

Schon im Kapitel über die Person José Dammerts wurde einiges erwähnt. Die Regierungszeit von General Velasco versuchte bei dieser Strömung anzuknüpfen. Túpac Amaru, ein Sozialrevolutionär gegen die spanische Kolonialherrschaft um 1780 n. Chr. wurde der offizielle „Patron“ und „Heilige“ der Landreform. Dieselbe Regierung brachte eine Serie klassischer literarischer Werke des Indigenismus heraus (Ciro Alegría, José M. Arguedas, Clorinda Matto de Turner und andere). Vieles davon war dann im Lehrplan der Schulen zu finden. Es gab Ausstellungen der malerischen Werke von Sabogal, Blas und Andrés Zevallos in Cajamarca. Vieles davon verknüpfte sich mit den Aktivitäten der Sozialpastoral der Diözese Cajamarca. Die Campesinos waren begeistert, ihre Welt in künstlerischer Form lesen, betrachten und reflektieren zu können. Wie in der gesamten Strömung ging es dabei nicht nur um Kunst und die Schönheit der Darstellung, sondern auch um Problematisierung, Kritik der herrschenden sozialen und politischen Verhältnisse und natürlich um das Wecken von Kräften, wie zu einer gerechteren Situation zu gelangen ist.

1.3.4.  Alphabetisierung und Frauenarbeit

Eine spezielle Bewegung dieser Zeit war das Bemühen um eine neue Art von Alphabetisierung. Ein brasilianischer Pädagoge, Paolo Freire, hatte eine neue Methode der Alphabetisierung erarbeitet, die vor allem sozialkritisches Bewusstsein schuf. Diese Methode verbreitete sich schnell in Lateinamerika und auch in Peru. Auch in der Sozialpastoral der Diözese Cajamarca fand sie Eingang. Viele Gruppen und Personen arbeiteten nach dieser Methode.

Vor allem wären da die vielen Frauengruppen zu erwähnen, die oft, ganz auf sich allein gestellt, lesen und schreiben lernten. Der sogenannte „Machismo“, die Vorherrschaft des Mannes in allen Lebensbereichen, lag und liegt noch immer wie ein ganz schweres Gewicht auf den Frauen. Alphabetisierung war nicht nur eine Methode, um Lesen und Schreiben zu erlernen. In den Alphabetisierungsgruppen entdeckten die Frauen vor allem ihre eigenen Werte, sie lernten sich auszudrücken, öffentlich das Wort zu ergreifen und politisch tätig zu werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden. dass die Sozialpastoral der Diözese Cajamarca einen steten Dialog mit den größeren sozialen und politischen Strömungen der Zeit führte. Es war das große Verdienst von Monseñor Dammert, fast immer Zeitschriften, Bücher und Artikel zur Verfügung zu haben, die diese Themen behandelten. Die Mitarbeiter in der Sozialpastoral waren immer eingeladen, sich zu informieren und über die Bezugspunkte zum täglichen Handeln in dieser Sozialpastoral nachzudenken.

2.  Ergebnisse

In einem zweiten Teil will ich versuchen, etwas von dem zu beschreiben, was erreicht worden ist, wo wir trotz bestem Willen mit leeren Händen geblieben sind. Dabei ist es vielleicht gut, an das Grundstreben der Sozialpastoral zu erinnern: Es handelt sich dabei um eine Pastoralaktion, also um eine kirchliche Tätigkeit, die mit den sozialen Werten des Evangeliums auf die Gesellschaft einwirken will.  Was haben wir in der Gesellschaft Cajamarcas erreicht oder nicht erreicht?

2.1. Organisationsformen der Sozialpastoral

Die Cajamarca-Kirche hat sich seit 1962 bemüht, Organisationen zu schaffen, um methodisch, organisatorisch klarer und effizienter zu arbeiten. Vor allem sollten Laien die Träger und Mitarbeiter dieser Organisationen sein. Jede dieser Organisationen bemühte sich, je nach dem historischen Augenblick, auf gutem sozialtheoretischen und auch theologischem Grund zu stehen und darauf Aktivitäten und Programme zu planen.

Die Finanzierung geschah zum größten Teil durch kirchliche Institutionen des Auslandes: Misereor Deutschland; CEBEMO Niederlande; Catholic Relief Service USA. Jede dieser Organisationen förderte Projekte, Programme und führte dann auch die dazugehörenden Evaluationen (Auswertungen) durch. Es soll hier eine Zusammenfassung all dieser Elemente versucht werden. Organisationen, Institutionen und deren Wirken sind sicher ein erstes Ergebnis der Sozialpastoral der Cajamarca-Kirche.

2.1.1.  Caritas

Schon vor der Zeit Dammerts in Cajamarca gab es in der peruanischen Kirche und natürlich auch in der Cajamarca-Kirche Caritas-Arbeit. Den Mitarbeitern dieser Institution nach 1962 war es vor allem ein Anliegen, aus dem assistentialistischen Charakter dieser Organisationsform herauszukommen. Dieses Problem ergab sich vor allem aus der Tatsache, dass Caritas von Anfang an mit Lebensmitteln arbeitete: Mehl, Öl, hauptsächlich aus den Agrarüberschüssen der USA, später dann auch aus Europa, sollte den Hunger der armen Bevölkerungsschichten stillen. Doch schon bald wurde in den Caritasstellen der ganzen Welt und auch in Cajamarca der Satz diskutiert: „Anstatt dem Armen einen Fisch zu geben, bringe ihm das Angeln bei“.

Anstatt nun Lebensmittel zu verteilen, wurden mit den armen Bevölkerungsschichten in der Stadt und auch auf dem Lande Projekte erarbeitet und durchgeführt, die die Menschen aktiv beteiligten und sie aus der reinen Empfängerhaltung herauszuführen versuchten. Dafür wurden nun die Lebensmittel eingesetzt. So wurden Wege gebaut, Schulen errichtet und Alphabetisierungskurse vor allem für Frauen durchgeführt. Die landwirtschaftliche Produktion wurde verbessert, Aufforstungsprogramme kümmerten sich um Brenn- und Bauholz, die Kleinviehzucht wurde verbessert und stimuliert. Erwachsenenbildungskurse, die soziale und sozialpolitische Themen behandelten, vervollständigten diese Arbeit.

Es war aber nicht leicht, dieses assistentialistische Denken zu überwinden. Viele Teilnehmer der Kurse und auch der Aktionen interessierten sich oft nur für den Liter Öl oder das Pfund Mehl. Das „Leben für den Augenblick“ war Problem genug. Warum sollte man an das Morgen denken und Projekte dafür durchführen? Die momentane Arbeit und der momentane Hunger waren schwer genug zu ertragen. Warum sollte man da lange fragen, warum das so ist und woher das alles kommt? Es war schwer, bei den Armen und auch bei einigen Mitarbeitern gegen diese Mentalität anzugehen und sie zu überwinden. Trotzdem war es in der Cajamarca-Kirche auch klar, dass es immer wieder auch Notfälle (Dürreperioden, extreme Regenzeiten, wie das Phänomen „El Niño“, Krankheitsepidemien wie die Choleraepidemie Anfang der neunziger Jahre usw.) gibt, wo man einfach helfen muss. Caritas und deren Mitarbeiter haben während dieser dreißig Jahre mit vielem Einsatz in dieser Linie gearbeitet.

2.1.2.  Das IER („Instituto de Educación rural“ - Institut zur ländlichen Erziehung)

Schon bald nach der Ankunft von Monseñor Dammert in Cajamarca wurde nach chilenischen Vorbild ein IER gegründet. Neben einem Institut dieses Namens in Cajamarca bestanden dann auch bald zwei Filialen mit demselben Namen in Bambamarca und San Marcos. Zeitweise arbeiteten an die dreißig „Entwicklungshelfer“ in diesem IER. Es waren hauptsächlich Agraringenieure, Viehärzte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter und Lehrer. Die meisten kamen aus der Gegend von Cajamarca, doch es gab auch die „klassischen“ ausländischen Entwicklungshelfer, meistens aus Deutschland.

Die Grundidee dieses IER kam von der Auffassung, dass die ländliche Armut hauptsächlich auf einem Fehlen von Kenntnissen beruhe. Wenn das nun so ist, was vielen Mitarbeitern des IER oft ziemlich bald zur Frage wurde, dann war die logische Folge natürlich: Ausbildung zu neuen Methoden in Ackerbau und Viehzucht, Gesundheitsprogramme usw. Vielen Mitarbeitern des IER wurde aber sehr klar, dass die hauptsächlichen Ursachen der ländlichen Armut sozialer und politischer Art waren. Es setzte bei Mitarbeitern, aber auch bei der Campesinobevölkerung ein starker „Schub“ sozialpolitischer Bewusstseinbildung ein. Infolgedessen gab es Zusammenstöße mit der örtlichen Agraroligarchie und mit staatlichen Funktionären, die revolutionäre Rezepte „von oben“ verteilten, was mit den Bestrebungen der Campesinos oft nicht übereinstimmte.

Auch mit manchen „guten Christen“ gab es Auseinandersetzungen. Sie sahen die Aufgabe von Religion und Kirche nur darin, auf den Himmel zu vertrösten und sich nicht um diese „weltlichen Dinge“ wie Armut, Hunger und noch viel weniger um Politik zu kümmern. Insgesamt muss man sagen, dass die Arbeit des IER positiv war. Bewusstseinsbildung, vor allem sozialer und politischer Art, wäre ohne die Anstrengungen des IER geringer gewesen.

2.1.3.  Das „Departamento de Estudios e Investigaciones Sociales“ (DEIS) - Abteilung für  soziale Studien

In den siebziger Jahren wurde das IER aufgelöst. Es waren Zeiten voller sozialer und politischer Unruhen. Streiks waren an der Tagesordnung. Der „Leuchtende Pfad“ (Sendero Luminoso) bereitete seinen bewaffneten Kampf vor. Die Militärrevolution unter Velasco kam an ihr soziales und politisches Ende. Der Misserfolg zeichnete sich auf allen Ebenen ab. Muss man diese „Revolution“ radikalisieren oder war das alles zuviel an Revolution? Wie wird das alles mit den sozialen Spannungen weitergehen? Diese und viele andere Fragen verlangten nach einer Antwort.

In der Cajamarca-Kirche wollte man nicht vorschnell „runde“, totale Antworten geben. Man wollte das lokale, soziale Geflecht studieren, bevor man zu diesen großen, globalen Fragen vorstieß. Im DEIS fanden sich vor allem Soziologen und Volkswirtschaftler zusammen. Es wurden einige interessante Studien angefertigt. Die bekanntesten Studien waren vielleicht die Studie über die Gegend von San Marcos und die Studie über den sozialen und wirtschaftlichen Einfluss der Milchfabrik von Nestlé in Baños del Inca.

Es wurde an pädagogisch-didaktischem Material für die Bildungsarbeit mit den Campesinos experimentiert. Lichtbildreihen und einfache Themenhefte wurden hergestellt. Aber auch da gab es außerhalb und innerhalb der Cajamarca-Kirche Kritik. Ist das alles Aufgabe der Religion? Ist das wirklich Pastoral? Viele von uns, darunter Bischof Dammert, waren davon überzeugt, auch wenn uns im Verlaufe der Arbeit Fehler und Irrtümer unterlaufen sind.

2.1.4.  Das „Departamento de Acción Social“ (DAS) - Abteilung für soziale Aktion

Um das Jahr 1978 herum bildete sich in der Diözese eine zuerst ganz kleine Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Campesinowelt in ihrer Entwicklung zu begleiten. Biblische Impulse waren bei einigen Mitgliedern festzustellen: Genau wie Jesus sich auch um das leibliche Wohl der Menschen kümmerte, so sollte sich heute Kirche auch um die fragen von Hunger, Krankheiten und all der anderen leiblichen Probleme kümmern. Und das sollte vor allem bei den ärmeren Volksschichten geschehen. In der Diözese Cajamarca hieß dies, bei den Campesinos anzufangen.

Es wurden Entwicklungsprojekte ausgearbeitet, die grundsätzlich vier Dimensionen im Auge hatten: Agrarproduktion; Gesundheitsfürsorge; Viehwirtschaft; Verbesserung der Infrastruktur, vor allem Trinkwasser und Bau von Latrinen. Misereor, eine Hilfsorganisation der deutschen katholischen Kirche und eine ähnliche Organisation der holländischen Kirche, CEBEMO, unterstützten diese Projekte.

In den achtziger Jahren gestaltete sich diese Arbeit, vor allem in der Gegend von Cajabamba, recht schwierig. „Sendero Luminoso“  (Leuchtende Pfad), eine revolutionäre Gruppe sehr blutrünstiger Art, war gegen das Entwicklungskonzept des DAS. Man sprach von der Notwendigkeit der „verbrannten Erde“. So langsam aus Elend und Hunger herauszukommen, widersprach dieser Ideologie. Es galt, nicht nur das Personal des DAS zu hüten; vor allem das Leben der Campesinos, die mit dem DAS zusammenarbeiteten, war in Gefahr.

Anfang der neunziger Jahre gab es dann leider eine Spaltung des DAS. Es bildete sich das CEDAS mit dem größeren Teil der Mitarbeiter. Ein kleinerer Teil blieb weiter unter dem Namen DAS. Der Bischofswechsel im Jahre 1992 führte dann dazu, dass fast die gesamte Sozialarbeit, darunter DAS und CEDAS aus dem Rahmen der Cajamarca-Kirche ausschied. Ein neues Konzept, das sich die „Seel-Sorge“ zu eigen gemacht hatte, war mit dem neuen Bischof eingekehrt.

2.1.5.  Das „Oficina departamental de Educación Católica“ (ODEC) - Abteilung für Katholische Erziehung

Diese Institution innerhalb der Diözese kümmerte sich zwar formell nur um den Religionsunterricht in den Schulen (Grundschule und weiterführende Schulen). Doch hatte sie auch großes Gewicht für die gesamte Sozialpastoral der Diözese. Die Kurse für die gesamte Lehrerschaft auf dem Lande war nicht nur für die Schulen, sondern für die gesamte Campesinowelt von großer Bedeutung. Themen wie „Armut auf dem Lande“, „Bildung und Armut“, Alphabetisierung und ländliche Armut“, die mit den Lehrern behandelt wurden, waren von dem ganzen Dorf oder sogar von der ganzen Gegend mit viel Interesse aufgenommen worden.

Aber auch im Bezug auf die aktuelle politische, soziale und wirtschaftliche Situation des Landes, wollten die Lehrer Information bekommen. Die Aufstandsbewegungen tauchten oft in den Schulen auf und verbreiteten dort ihre „Botschaft“. Die Lehrer wollten darüber sprechen, diskutieren, um klarer zu sehen. Zwischen Lehrergewerkschaft (SUTEP) und ODEC gab es enge Beziehungen. Die Forderungen der Gewerkschaft in Bezug auf Modernisierung des Erziehungssystems, vor allem was den ländlichen Bereich betrifft, was die Bezahlung der Lehrer angeht, wurden auch von der ODEC unterstützt.

In einer Campesinogemeinde war es von großem Interesse, ob der Lehrer oder die Lehrerin mit den Katecheten und anderen kirchlichen Kräften zusammenarbeitete oder nicht. Die Arbeit der ODEC half in diesem Punkte sehr viel.

2.1.6.  Die „Vicaría de Solidaridad“ (Menschenrechtsbüro)

Missachtung und Verletzung der Menschenrechte, vor allem im ländlichen Bereich, war in der Gegend von Cajamarca schon immer ein großes Problem. In den ersten Bischofsjahren kümmerte er sich persönlich um diese Fragen. Seine Berufserfahrung als Rechtsanwalt kam ihm dabei sehr zu gute. In den achtziger Jahren gab es aber dann eine Strömung innerhalb der peruanischen Kirche, eigene Abteilungen und Institutionen zu fördern, die sich zwar weiterhin um die großen aktuellen Probleme, hauptsächlich Menschenrechtsverletzungen, kümmerten, aber nun verstärkt auch Ausbildung in Menschenrechtsfragen in Angriff nahmen.

So wurden von der Vicaría Kurse, Versammlungen, vor allem im ländlichen Bereich, durchgeführt. Die Themen gingen von der Kenntnis der peruanischen Verfassung bis zu konkreten Fragen: Was tue ich im Falle einer wirklichen Festnahme? Welche Rechte habe ich dann immer noch? Was kann ich tun, wenn ich auf einer Polizeistation gefoltert werde? An wen kann ich mich in Cajamarca oder in Lima wenden? Angesichts der überaus grausamen Übergriffe der „Ordnungskräfte“ (Polizei und Streitkräfte) war diese Arbeit der Vicaría sehr wichtig.

Es darf dabei an diese Übergriffe während der Zeit Monseñor Dammerts erinnert werden:

  • Im Jahre 1971 protestierten die Campesinos Bambamarcas gegen die Ausbeutung durch die hohen örtlichen Steuern. Der Protest war so massiv, dass sich der Bürgermeister verstecken musste. Im Nachhinein gab es dann viele willkürliche Festnahmen.
  • Im Jahre 1977 vertrieben Polizei und Streitkräfte des Heeres Campesinos von Ländereien in Colpa (Bambamarca), die seit alten Zeiten der Dorfgemeinschaft gehörten. Es gab Tote, Verletzte und viele willkürliche Festnahmen.
  • Im Jahre 1978 gab es in Bambamarca eine große Protestversammlung gegen die Regierungspolitik. Auch da schritten „Ordnungskräfte“ ein, töteten einen Campesino, verletzten sehr viele und nahmen eine Menge Personen fest.
  • Ebenfalls im Jahre 1978 gab es eine Vertreibung von Campesinos durch die Polizei in Huacataz bei Cajamarca. Auch da waren Tote, Verletzte und willkürliche Festnahmen zu verzeichnen.
  • Im Jahre 1981 führte die Polizei eine Strafaktion gegen die Campesinogemeinde Catache (Pfarrei San Pedro von Cajamarca) durch. Auch da gab es Tote, Verletzte und willkürlich Festgenommene.

Gerade weil die herrschenden Schichten Perus bis heute das Bemühen um die Menschenrechte oft sehr kritisch beurteilen, ist die Arbeit der Vicaría auf diesem Gebiet nicht hoch genug einzuschätzen. Es wird von Unterstützung kommunistischer Kräfte gesprochen, und Kirche sollte sich da eigentlich anders verhalten.

Zwar sind in den letzten Jahren die gröbsten Verletzungen der Menschenrechte weniger geworden. Doch noch immer gibt es eine große Zahl willkürlicher Festnahmen. Noch immer wird auf den Polizeistationen gefoltert und geschlagen. Noch immer gibt es Bestechung und Korruption der Sicherheitskräfte. Die Vicaría ist immer noch außerordentlich notwendig!

2.2.  Ergebnisse in der Gesellschaft

Kirche will auf die Gesellschaft einwirken, vor allem die Sozialpastoral. Sie soll sie nicht dominieren, sie soll „Salz der Erde“, „Stadt auf dem Berge“, Licht auf dem Scheffel“ sein.  Wie verhielt es sich damit?

2.2.1.  Sozialpastoral und Rondas

Nach 1976 bildeten sich vor allem im Nordteil der Diözese Cajamarcas die „Rondas Campesinas“. Es waren Selbsthilfegruppen der Campesinowelt, die sich bemühten, das Vieh auf den Weiden gegen Diebe zu schützen. Doch schon bald ergaben sich weitere Aufgaben für die Rondas. Es wird von einer Campesino - Rechtsprechung gesprochen und geschrieben (John Gittlitz). Hauptsächliche Inspiratoren und Organisatoren dieser Rondas, vor allem in Bambamarca, waren ländliche Campesinokatecheten, die von der Gesamtpastoral der Cajamarca-Kirche geleitet waren. Diese Katecheten wirkten vor allem kritisch gegenüber der eigenen Organisation, der Ronda. Es gab auch da Übergriffe. Nicht immer wurden die Menschenrechte respektiert. Auch da gab es willkürliche Festnahmen und sogar geheime Hinrichtungen. Da eine größere Gerechtigkeit hineinzubringen, war und ist eine wichtige Aufgabe. Katecheten - Ronderos stellten sich dieser Herausforderung. Nicht alles gelingt, doch wäre alles noch viel schlimmer ohne diese Bemühungen.

2.2.2.  Sozialpastoral und Familie

Vor allem im Bezug auf die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft sind gewisse Ergebnisse zu verzeichnen. So haben wir heute in den Dorfschulen eine gewisse Parität zwischen Buben und Mädchen. Vor fünfzig Jahren war es noch ein Ausnahmefall, dass Mädchen überhaupt in die Schule gingen. Inzwischen haben wir schon zwar nicht viele, aber doch einige Campesinofrauen mit Universitätsabschluss.

Ich will nicht behaupten, dass dies alleine das Verdienst unserer Sozialpastoral ist; viele gesellschaftliche Strömungen gehen in diese Richtung. Doch hat die Sozialpastoral in Cajamarca sicher zu dieser Entwicklung beigetragen. In den Rondas gibt es Frauen, die öffentlich oft vernünftigere Dinge vorbringen als die Männer. Im Institut „Alcides Vásquez“, Teil der Sozialpastoral der Diözese, bekommen sehr viele Frauen den Lehrertitel. In den Familien verwalten oft die Mütter das gemeinsame Geld. Der Vater wird sich bewusst, dass das für die Familie positiv ist.

Auch wenn das öffentliche Schulsystem eine sehr niedrige Qualität besitzt, ist es doch besser als gar nichts. Das wird auch der Campesinowelt immer bewusster. So gibt es nur wenige Kinder, die überhaupt nicht zur Schule gehen. Es gibt immer mehr Campesinokinder, die dann noch in die weiterführende Schule überwechseln. So gibt es auch auf dem Lande immer mehr weiterführende Schulen.

All das sind, wenn auch mit Einschränkungen, positive Zeichen, zu denen die Sozialpastoral beigetragen hat.

Epilog

Das soziale Geflecht Perus ist in einem großen Wandel begriffen: Frauen mischen immer kräftiger in der Familie, im Dorf, in der Gesellschaft, in der Politik mit. Der Gegensatz Stadt - Land wird „flacher“. Viele Söhne und Töchter von Campesinos werden in der Gesamtgesellschaft erfolgreich. Die klassischen Erklärungsmittel der Gesellschaft befriedigen jeden Tag weniger: Von Rechts oder Links zu reden, das alte Klassenkampfkonzept weiter zu benutzen, hilft kaum noch. Neue Konzepte werden gerade erst ausprobiert und können noch nicht in Serie gehen. Sozialpastoral kann aus den Erfahrungen der Vergangenheit, auch der Cajamarca-Kirche lernen.

Hans Hillenbrand, im August 1999