"Bereits im Februar 1993  besuchte Bischof Simón als erste große Pfarrei außerhalb von Cajamarca die Pfarrei Bambamarca (19). Er kam nach Bambamarca mit dem festen Willen, die rechte Ordnung wiederherzustellen. Er hatte eine vorbereitete Liste der Verfehlungen mitgebracht ohne vorher überhaupt in Bambamarca gewesen zu sein Vor den Katecheten, Verantwortlichen der Rondas und Frauengruppen sprach er davon, dass er gekommen sei, den „Saustall in Bambamarca auszumisten“.Denn in den letzten dreißig Jahren, so fuhr er fort, sei es zu einem Zerfall der Kirche gekommen, die Priester und die Sakramente würden nicht mehr respektiert, das spirituelle Leben sei verkümmert und die Lehre der Kirche würde nicht mehr respektiert bzw. man kenne sie gar nicht mehr. Statt dessen hätten sich die Verantwortlichen der Pfarrei, einschließlich der Pfarrer, nur um weltliche Dinge gekümmert, hätten Politik gemacht, statt sich dem Gebet zu widmen und hätten ständig Konflikte gegen die städtischen und staatlichen Autoritäten provoziert. Am schlimmsten sei das Unwesen mit den Rondas, in der viele Katecheten an verantwortlicher Stelle beteiligt sind und die Tatsache, dass noch nicht einmal die meisten Katecheten verheiratet seien und in wilder Ehe lebten."

 

Bambamarca - das Pilotprojekt von Bischof Dammert
- Und was nach dem Bischofswechsel daraus wurde …


In Bambamarca begann Anfang 1963 eine Entwicklung, die von Bischof Dammert angestoßen wurde, der mit seinen Visionen und seinem Vertrauen in das „einfache“ Volk Kräfte freisetzte, die  vorher niemand vermutet hätte. Diese Entwicklung zeigte, dass der Glaube an Jesus, der den Beginn eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“ verkündete, Menschen feindliche und mit Gewalt aufrecht erhaltene Strukturen aufbrechen kann. So wie die Armen Jahwes aus der Sklaverei in Ägypten aufgebrochen sind und sich auf den Weg in das Gelobte Land gemacht haben, so haben die verachteten Indios der Anden Perus die Erfahrung gemacht, dass Gott einer von ihnen geworden ist und mit ihnen auf dem Weg ist. Candelario Cruzado, der als erster Campesino und Katechet 1969 die Erlaubnis zum Taufen erhielt, fasst diese Erfahrungen stellvertretend für alle  zusammen: „Die Kirche hat mich in der Person Bischof Dammerts gelehrt, dass wir Personen sind, Kinder Gottes, Peruaner und dass wir alle unsere Rechte haben als Kinder Gottes“.  Bambamarca war das  Pilotprojekt von Bischof Dammert und wurde zu einem über die Grenzen Perus hinaus bekannten Modell. In Bambamarca wurde bereits in den sechziger Jahren praktiziert, was später in den Dokumenten von Medellín und dann in den Schriften der Theologie der Befreiung seinen Niederschlag fand (1).
 
In einem ersten Teil  werden die Anfangsjahre (1963 - 1971) und in einem  zweiten Teil die Ereignisse nach dem Bischofswechsel 1992/93 bis zur Gegenwart beschrieben. Dem ersten Teil  liegt der Artikel „Die Wehklagen derer, die leiden, lassen mich nicht ruhen“ zugrunde, der als „Nebenprodukt“ zu  dieser Studie verfasst wurde und bereits in „Die Armen zuerst!“ (Hg.: J. Meier) erschienen ist. Die bewegenden Jahre zwischen 1972 und 1978 werden in dem Artikel „Die Stimme der Campesinos“ beschrieben.

I. Teil: Eine Kirche mit Poncho und Sombrero

1. Barbarita:  Ein Campesino - Mädchen wird Katechetin und Gemeindeleiterin

Barbarita war gerade vierzehn Jahre alt, als sich in ihrer Comunidad („Weiler“) die Nachricht verbreitete, dass neue Priester nach Bambamarca (in die Stadt)  gekommen waren, die ganz anders als die bisherigen waren. Einer der drei neuen Priester ging sogar zu Fuß und in Begleitung  einer „Gringita“ zu den Comunidades (2). Dort sprachen die  beiden über Jesus, sie hörten sich die Probleme der Leute an und schliefen sogar in deren Hütten. Ob das mit rechten Dingen zuging? Barbarita wurde neugierig.

Ein Jahr später war sie noch mehr überrascht. Sie hörte von zwei jungen verheirateten Männern, die nun anders waren als vorher. Wie viele andere Männer auch, tranken sie gerne viel und kauten Coca, so dass von dem bisschen Geld nichts mehr für die Familie übrig geblieben war (3). Ihre Frauen hatten die ganze Arbeit zu verrichten, dazu die Erziehung der Kinder; Prügel waren für sie die angemessene Form der Kommunikation mit den Frauen gewesen, echte Männer eben. Nun aber waren die beiden ganz verändert. Sie hatten an Kursen der Pfarrei  teilgenommen und jetzt waren sie „neue Personen“. Bald lernte Barbarita selbst einen solchen „neuen Mann“ in ihrer eigenen Comunidad kennen. Er erzählte ihr mehr von den Kursen und auch davon, dass nicht mehr alles wie bisher bleiben könne, dass auch Campesinos  Menschen  seien und dass ihr Glaube mehr bedeute als die Hoffnung, auch in den Himmel der Frommen von der Stadt aufgenommen zu werden.

Barbarita wollte auch solche Kurse besuchen. Und sie hatte Glück, denn ihr Vater war nicht so wie viele andere und ließ sie in die Stadt gehen - allerdings unter einer Bedingung: sie durfte ihre sonstige Arbeit nicht vernachlässigen und musste etwas von den Kursen mitbringen. So stand sie um vier Uhr morgens auf, bereite das Feuer vor, holte Wasser, versorgte die Tiere und wusch die Wäsche, die sie am Abend vorher nicht  mehr waschen  konnte,  weil  kein Wasser mehr da war. Für das Frühstück blieb keine Zeit mehr. Eine volle Stunde brauchte sie, um in die Stadt zu kommen (etwas acht km), in das Kurszentrum am Ortsausgang von Bambamarca, das gerade in freiwilliger Mitarbeit von Hunderten Campesinos errichtet wurde. Erst um Mittag und manchmal weinend vor Hunger aß sie zum ersten Mal. Um 18 Uhr lief sie zurück, und weil es  bereits dunkel wurde, rannte sie so schnell sie konnte. Bis tief in die Nacht hinein musste sie noch ihrer Mutter helfen: Kartoffeln schälen, die Hütte in Ordnung  bringen usw. Als Älteste von zwölf Geschwistern teilte sie mit der Mutter die Verantwortung für die gesamte Familie.

Es dauerte nicht lange, und es bildete sich eine Gruppe von meist noch sehr jungen Frauen in ihrer eigenen Comunidad, zunächst gegen den Widerstand der meisten Männer. Doch inzwischen hatte auch der der Katechet der Comunidad an Einfluss gewonnen und es kam nicht zu einem offenen Konflikt. Neben dem Erlernen von Handarbeiten, Fragen der Hygiene und vielen anderen praktischen Dingen, wurden auch religiöse Lieder gesungen. Doch das Wichtigste war, dass sie von einem Jesus hörten, der wie sie in einer Lehmhütte geboren worden war, der von einem liebevollen Vater gesprochen hatte, der alle seine Kinder gleich behandele und ein besonderes Herz aber für die Ärmsten habe. Und aus der Himmelskönigin Maria wurde das einfache Bauernmädchen, das voller Stolz seinen Gott preist, weil er sie auserwählt hat, der Welt den Befreier zu schenken (4)

Da Barbarita fleißig in den zentralen Kursen am Stadtrand zugehört hatte, wurde sie bald zur Leiterin der Frauengruppe gewählt und sie ging in die benachbarten Comunidades, wo auch bald danach Frauengruppen entstanden. Oft wurde sie  dabei von den deutschen Señoritas begleitet, die inzwischen zu dritt waren (5). Schließlich wurde sie von ihrer Comunidad ausgewählt, die Intensivkurse zu besuchen um Promotora de Salud zu werden. Dies war sie dann über zehn Jahre lang. Parallel zu dieser Tätigkeit als Promotora besuchte sie die Pastoralkurse der Pfarrei und sogar in Cajamarca. Und so war es eine logische Entwicklung, dass sie nach zehn Jahren auch zur Katechetin ernannt wurde. Als Katechetin war sie verantwortlich für alle Wortgottesdienste, Tauf- und Firmvorbereitung, Betreuung der Familien (30 - 40 pro Comunidad) und die Mitbetreuung der gesamten Zone mit 15 - 20 Gruppen. Kurz darauf wurde sie von Bischof Dammert auch als erste Frau zur Taufbeauftragten ernannt.

Sie hatte die Vollmacht, im Namen des Bischofs und der jeweiligen Comunidad, Kinder zu taufen, Ehen zu schließen und das Evangelium zu verkünden. Ihre Arbeit erstreckte sich nun auf das gesamte Gebiet der Pfarrei. In Begleitung erfahrener Katecheten besuchte sie auch weiter entfernt gelegene Gebiete. Als Katechetin und Taufbeauftragte arbeitete sie am Pastoralplan der Pfarrei mit. Einmal im Jahr kam es zu einem Treffen auf Diözesanebene, um gemeinsam mit anderen Verantwortlichen den Pastoralplan der Diözese auszuarbeiten. Ihr Hauptziel war: die „Gute Nachricht“ verkünden und neue Gruppen bilden. Das, was sie selbst bei sich erfahren hat, wollte sie anderen weitergeben. Inhaltlich standen das Leben Jesu und der Apostel im Mittelpunkt, denn die biblischen Geschichten waren wie aus ihrem eigenen Leben gegriffen. So erfuhren die Menschen nicht nur zum ersten Mal etwas von der Bibel, sondern sie lernten auch die Bedeutung der Taufe und der Sakramente kennen. Auf Zeit war sie u.a. Sprecherin des Gesamtkirchengemeinderates aller Zonen von Bambamarca, Präsidentin aller Frauengruppen (über hundert). Dabei kam sie auch immer wieder mit der „Reaktion“ der Mächtigen in Konflikt und sie wurde einige Male eingesperrt.

Für sie selbstverständlich, aber es soll dennoch eigens betont werden: für ihre über dreißig Jahre hinweg dauernde Tätigkeit bekam sie niemals auch nur den geringsten Gehalt. Als ihre wesentlichen Impulse nennt sie (außer dem Evangelium): das Zweite Vatikanische Konzil, wo sie erfahren hat, dass alle Menschen gleich sind und frei, dass alle zu dem einen Volk Gottes gehören und dass die Kirche diejenige Gemeinschaft  ist, die davon Zeugnis ablegt. Speziell von Medellín hat sie gelernt, dass es eine Einheit zwischen Volk und Bischöfen gibt und dass die Bischöfe auf der Seite des Volkes gegen jede Art von Missbrauch stehen. All dies haben sie erfahrene Katecheten gelehrt, sowie einige Priester und Ordensschwestern. Voraussetzung für den Erfolg dieser „Lehre“ war, dass die, die lehrten, auch mit den Betroffenen lebten (in der Lehmhütte die Kartoffelbrühe teilten), dass sie zuhörten, lernten.

Barbarita: „Worte allein sind hohl, Taten schaffen Vertrauen“. Heute (1997) beklagt sie, dass sie vielleicht zu wenig auf ihre Gesundheit geachtet hat. Sonst ist sie sehr zufrieden, denn ihre Arbeit in der Kirche hat sie nicht wegen materieller Belohnung gemacht, sondern um das Erlernte und am eigenen Leib Erfahrene mit anderen zu teilen. Sie ist zufrieden, weil sie den Willen Gottes erfüllt hat. Und was bedeutet für sie der Wille Gottes? - die „Gute Nachricht“ den Menschen bringen, die Nachricht von der Würde als Kind Gottes und der Befreiung der Menschen von allem, was sie daran hindert, Mensch zu sein.

Als ihre größte Stütze (neben ihrem Ehemann, der wie sie zum Katecheten wurde), nennt sie Bischof Dammert, den sie als wahren Freund erlebt hat. Er war es, der die „Gute Nachricht“ aufs Land brachte und zu den Armen, der keinerlei Unterschiede zwischen den  Menschen machte und der sich vorbehaltlos für die Schwächsten einsetzte (6).

2. José Dammert Bellido - vom Juraprofessor zum Campesino-Bischof

Sein Großvater war Bürgermeister in Hamburg und auch  in  Peru  gehörte  die  Familie Dammert zur Oberschicht im weiteren Sinne. In Lima wurde er am 20. August 1917 geboren. In Pavia und Rom studierte er Jurisprudenz und Römisches Recht. Nach fünf Jahren in Italien kehrte er 1938 nach Lima zurück, wo er bereits ein Jahr später zum Generalsekretär an der Katholischen Universität berufen wurde; gleichzeitig wurde er Professor für Römisches Recht, später auch noch für Kirchenrecht und Kirchengeschichte. 19 Jahre lang lehrte er an der Universität. „Nebenher“ begann er 1941 mit dem Theologiestudium und am 21.12.1946 wurde er in Lima zum Priester geweiht. Schon damals war ihm wichtig, nicht als Professor über den Studenten zu stehen, sondern solidarisch mit ihnen zu leben. Von 1952 bis 1958 war er Vize-Rektor der Universität, und im April 1958 wurde er zum Weihbischof von Lima geweiht; bereits  ein Jahr davor war er zum ersten Generalsekretär der peruanischen Bischofskonferenz berufen worden.

Als Universitätsprofessor und Weihbischof war er Präses  der „Acción Católica“ und sorgte für einen Aufbruch in den Verbänden „Katholische Studierende Jugend“ und „Katholische Arbeiterjugend“. In einer  Zeit und Umgebung, in der  z.B. ein Student, wenn er mit einem kirchlichen Würdenträger sprach, auf die Knie gehen musste, nannten ihn seine Studenten schlicht „Don Pepe“. Schon damals „fiel er aus der Rolle“. Als Weihbischof trug er keinerlei Insignien bischöflicher Macht, nur einige Male konnte er es nicht vermeiden, die Mitra aufsetzen zu müssen, das Zeichen der Pharaonen, wie er sie nannte. Er war es auch, der als erster Würdenträger die Elendsviertel außerhalb Limas aufsuchte, um zu lernen, wie die Leute lebten. Dass er dabei „den heiligen Rock“ (die Soutane) mit dem Staub und Dreck beschmutzte, in dem die Elenden lebten, konnten viele seiner Mitbrüder nicht verstehen.

Auf seine Anregung fand 1959 in Lima die erste Sozialwoche Perus statt. Zusammen mit Fachleuten  machte er sich Gedanken, welche Aufgaben die Kirche angesichts des zunehmenden Elendes des Volkes hat. Schon damals  erhob  er seine Stimme  zugunsten der Armen und Rechtlosen: „Während wir unsere Kräfte damit vergeuden, den äußeren Prunk für den Kult zu vermehren, leiden viele Kinder Gottes um uns herum an Hunger, Krankheiten und Elend. Der Prunk ist nicht vereinbar mit dem gleichzeitigen Elend des Volkes. ... Wir müssen verstehen, dass das Christentum den ganzen Menschen  betrifft. Wir können das Leben der Frömmigkeit nicht trennen vom alltäglichen Leben. Jemand ist kein guter  Christ, wenn er zwar täglich die Sakramente empfängt, aber nicht für soziale Gerechtigkeit eintritt“ (7) 

Seine Ankunft in Cajamarca

Am 19. März 1962 wird Dammert zum Bischof von Cajamarca ernannt und am 15. 6. kam er erstmals nach Cajamarca. Er wurde zum Bischof einer unbedeutenden Diözese in den Anden Perus ernannt. „Der Vatikan sorgte sich, weil das Konzil bevorstand, um die vakanten Bischofssitze. Und weil es zu lange gedauert hätte, neue Bischöfe zu weihen, nahm man die Weihbischöfe, um sie auf die leeren Stühle zu setzen. So wurde ich zum  Bischof von Cajamarca  ernannt, das ich damals gar nicht kannte“. Freunde von ihm nennen noch einen anderen Grund für seine Ernennung: Er wurde weggelobt und man hoffte, dass er in einer abgelegen Andendiözese, fern von seinen Studenten und allerlei neumodischen Ideen, vielleicht „zur Besinnung käme“ und doch noch ein „richtiger“ Bischof würde. Man verstand nicht, dass ein so gebildeter Mensch, zudem aus vornehmer Familie, wenn er schon Priester werden wollte, nicht wenigstens in einen renommierten Orden eintrat. Denn als einfacher Diözesanpriester wird er ein ewiger „Hungerleider“ sein. Und nun akzeptierte er nicht nur seine „Versetzung“ in eine der ärmsten Regionen des Landes, sondern er begrüßte dies auch noch ausdrücklich, weil er dort vielleicht wenigstens gebraucht wurde und er was tun konnte (8).

In Cajamarca, eine der ärmsten Diözesen in Lateinamerika, begegnete er der Armut direkt vor seiner Tür. 1962 lebten in der Diözese Cajamarca 430.000 Menschen, nahezu alle katholisch. Die Größe der Diözese entspricht etwa der Größe Nordrhein-Westfalens, es ist ein stark zerklüftetes Gebiet zwischen 500 m und 4.000 m Höhe. Viele Orte waren noch nicht einmal mit dem Jeep und auch nicht telephonisch erreichbar. In den größeren Dörfern (Bambamarca, Cajabamba, Celendín) gab es zwar Pfarrer, doch ohne jeden Kontakt untereinander, jeder auf sich selbst gestellt. Einzige Stadt war die Bischofsstadt Cajamarca mit 35.000 Einwohnern. Größtes Unternehmen in Cajamarca war zu  jener Zeit Nestlé, ein Molkereibetrieb mit acht Beschäftigten.

Auch in Cajamarca stieß er bald auch auf Unverständnis. Er entsprach eben nicht dem Bild eines Bischof. Er wollte sich noch nicht mal in die erste Reihe neben all die anderen Würdenträger setzen. Viele Geschichten über seine Einfachheit und Bescheidenheit werden auch heute noch erzählt. Hier seien nur zwei herausgegriffen. Den reichen und frommen Bürgern der Bischofsstadt war es ein großes Anliegen, endlich eine „richtige“ Kathedrale zu haben, d.h. eine Kathedrale mit zwei fertigen Türmen. Also spendeten sie dem neuen Bischof eine große Summe Geld zur Fertigstellung der Kathedrale. Unter den Spendern war ein bedeutender Senator der Republik, gleichzeitig einer der  größten Landbesitzer der nördlichen Anden.

In einem Brief an diesen bedankte sich Bischof  Dammert, wies aber auf die Dringlichkeit anderer Aufgaben hin: auf die Zustände im Gefängnis, das einem Schweinestall gleiche, auf das verschmutzte Trinkwasser, das die Gesundheit der ganzen Stadt gefährde, auf das neu zu errichtende Hospital und auf das Abwasser und den Müll in den Straßen selbst in der Nähe der Kathedrale, so dass man  sich  schäme, durch die Straßen zu gehen. Diese  Zustände zu  verbessern, sei dringlicher als noch „mehr Zierrat für den Tempel“. Außerdem seien – nach dem Hl. Paulus – wir Menschen der wahre Tempel Gottes und angesichts der inhumanen Zustände, in denen die Mehrzahl der Menschen in Cajamarca lebe, könne man nicht im geringsten zweifeln, wo die Prioritäten liegen. Am Schluss des Briefes taucht zum ersten Mal der Satz auf, der - im Nachhinein - zu seinem Motto wurde: „Das Wehklagen derer die leiden, lassen mich nicht ruhen.“

Auch die zweite Geschichte zeigt, wie Dammert seine Berufung als Bischof verstand. Im ersten Jahr in Cajamarca trug er noch hin und wieder seinen alten Bischofsmantel. Doch bald war dieser so löchrig, dass er nicht mehr zu gebrauchen war. Statt sich einen neuen zu kaufen, verzichtete er in Zukunft auf den Mantel - und auch auf jedes äußere Zeichen „bischöflicher Würde“. Bischof ist man schließlich nicht dadurch, dass man sich mit entsprechenden Insignien ausstattet, sondern indem man in der Nachfolge der Apostel und Propheten den Armen die Frohe Botschaft und den Gefangenen die Freiheit verkündet, die Blinden sehend macht, die Unterdrückten in die Freiheit führt und eine Zeit der Gnade (Versöhnung) einleitet. Es  braucht nicht besonders betont zu werden, dass der Senator und mit ihm alle ehrenwerten Honorationen der Stadt von einem solchen Bischof nicht sehr begeistert waren. Am liebsten hätten sie ihn aus der Stadt gejagt oder den Abgrund hinuntergeworfen... (Lk. 4, 14 - 30).

3. Ausgangslage in Bambamarca  (1962/63)

In der Pfarrei Bambamarca lebten damals 50 - 60.000 Menschen, davon etwa 5.000 in Bambamarca selbst (der „Stadt“ aus der Sicht der Campesinos). Bambamarca liegt 117 km nördlich von Cajamarca, auch heute noch nur auf einer sehr schlechten Schotterpiste erreichbar. Die Stadt war und ist Handelszentrum, Geschäfts- und Verwaltungszentrum. Ihre Einwohner gelten als „Städter“, will heißen, sie sind keine Campesinos - und  darauf  legen sie auch großen Wert,  ebenso darauf, irgendwelche europäischen Vorfahren zu haben. Im dazugehörenden Hinterland gab es zwei große  Haziendas, Chala und Llaucán. Etwa die Hälfte der Campesinos lebte in einer der beiden Haziendas, die andere Hälfte lebte auf winzigen Grundstücken inmitten steinigen Ackerlandes. Bis 1962 war es üblich, dass der Eigentümer der Hazienda Chala, wenn er seine Hazienda besuchte (er lebte ansonsten in Lima), von „seinen“  Campesinos in einer Sänfte von der Stadt nach Chala getragen werden musste. Der damalige Pfarrer von Bambamarca, Pfr. Zárate, war der Onkel des Großgrundbesitzers.

Die Campesinos, auch die „unabhängigen“, waren vollkommen vom Großgrundbesitzer, bzw. von den Märkten der Stadt abhängig. Für ihre Produkte bekamen sie einen lächerlichen Preis und um in die Stadt kommen zu dürfen, mussten sie eine Extra-Steuer bezahlen (polizeiliche Kontrolle am Stadteingang), ebenso für das Recht, auf dem Markt verkaufen zu dürfen. Davon abgesehen hatten sie keinerlei Rechte. Polizei, Richter, Geschäftsleute, Bürokratie verachteten sie, und selbst Lehrer weigerten sich, „Indios“ zu unterrichten. Entsprechend war auch die Situation in der Pfarrei. Pfarrer Zárate war eine große Autorität in der Stadt. Er hielt auch viele Messen, deren Preis von der bestellten Länge und davon abhängig war, ob mit vielen Blumen oder Kerzen, mit oder ohne Chor und Musik zelebriert wurde.

Zwei Hauptereignisse  prägten das Kirchenjahr: Corpus Christi (Fronleichnam) im Juni mit einer äußerst prächtigen Prozession und das Patronatsfest („Virgen del Carmen“) am 17. Juli, auf das sich die ganze Stadt monatelang vorbereite und das dann über 18 Tage lang (Novene vor und nach dem  Fest) prunkvoll  gefeiert wurde. Angesichts dieser Aufgaben in der Stadt hatte der Pfarrer keine Zeit, auf das Land zu gehen. Und da die Campesinos wiederum von den Messen und Festen in der Stadt ausgeschlossen waren, bestand deren einziger Kontakt mit der Kirche darin, dass sie die neugeborenen Kinder so schnell  als möglich zur Taufe in die Stadt bringen mussten. Selten kam es einmal vor, dass Pfr. Zárate aufs Land ging (nach Chala) und wenn, dann nur gegen hohes Wegegeld (9). Dessen ungeachtet waren die Campesinos von einer tiefen Religiosität.

Gott war selbstverständlicher Teil ihres Lebens und ihres Alltags. Doch es war ein strenger Gott, ein Gott der strafte, wenn man ihm  nicht genug Opfer brachte oder wenn  man  den Autoritäten nicht gehorchte. Man betete zu Gott, den Heiligen oder der Jungfrau Maria, um einen Gefallen zu erbitten oder einer Strafe zu entgehen. Auch Patronatsfeste wurden  gefeiert, aber eher als Abklatsch der städtischen Feste, mit viel Alkohol, Feuerwerk und allerlei Händel.

Diese Situation, die in den anderen Teilen der Diözese ähnlich war, führte zu der Notwendigkeit, nach neuen Wegen zu suchen. Dammerts Analyse der Situation fiel zuweilen sehr drastisch aus, ebenso seine Vorschläge über die einzuschlagenden Wege. Dabei fällt auf, dass es ihm nie um die Kirche „an sich“ ging, schon gar nicht um deren äußere, geschichtlich bedingte Strukturen und Formen. Diese Strukturen haben für ihn nur dann ihre Berechtigung, wenn sie dem Menschen dienen und die Verkündigung der befreienden Botschaft von Jesus dem Christus fördern.

In einem Brief an den römischen Nuntius in Lima schrieb er 1970: „Die starke  Personalhilfe an Priestern für die lateinamerikanischen Diözesen krankte an einem schweren Mangel: Man ging von der Voraussetzung aus, dass in diesem Kontinent ein von spanischen Missionaren begründetes Christentum bestehe, das nun jedoch wegen Priestermangel in eine schwere Krise geraten ist... Man  glaubte, es wäre ausreichend, die Förderung geistlicher Berufe zu intensivieren. Die Wirklichkeit ist anders: Es gibt weder Priester noch Ordensleute, da es keine Christen gibt... Was tun? Man soll alles Traditionelle erhalten, was wirklich der Evangelisierung dient und fallen lassen, was ihr nicht dient. Es ist nötig, neue Formen des Apostolats und der Evangelisierung zu suchen. Es müssen neue Wege gefunden werden, Laien für diakonale Funktionen auszubilden... Ich halte nicht mehr viel von den bestehenden kirchlichen Strukturen. Sie verschwinden, eine nach der anderen. Wir verlieren viel zu viel Zeit damit, sie erhalten zu wollen. Was mich zur Zeit am meisten bedrückt, ist, dass viele Christen, Laien und Kleriker, das Licht suchen, das sie zu Christus führt, und dass wir Männer der Kirche unfähig sind, sie zu orientieren“.

Bemerkenswert ist, dass Dammert die Laien nie als „Ersatz“ oder „Notlösung“ für die immer seltener werdenden Priester gesehen hat. Die Mitwirkung der Laien an der Verkündigung sieht er in Anlehnung an  Papst Johannes XXIII. nicht deswegen als notwendig an, weil Priester fehlen, sondern als selbstverständlich, weil sie Christen sind. Er kennt und versteht auch die Angst vieler seiner Priester: „Einige Priester meinen, dass das Anwachsen der Zahl der pastoralen Mitarbeiter ihre Arbeit beeinträchtigen könnte. Doch die Erfahrung zeigt, dass der Priester seinen Aktionsradius vergrößert, weil die Katecheten ihn dazu zwingen, sich neuen Aufgaben zuzuwenden. Insbesondere regt er sie zu einer tieferen geistlichen Orientierung an, zur besseren Kenntnis der Hl. Schrift und der Theologie, um diese in den Fragen, mit denen sie täglich konfrontiert werden, anwenden zu können“.

4. Die Anfänge in Bambamarca

Die Grundlagen für die Arbeit in Bambamarca waren: Analyse der Situation, Zuhören - Verkünden der befreienden Botschaft Jesu - Ausbildung von Laien - Priorität für die Menschen, die bisher abseits standen - Einheit von Pastoral und Sozialarbeit. Diese Grundlagen ergeben sich aus der Praxis und der Notwendigkeit und nicht zuerst von einer vorgefertigten Theorie. Bischof Dammert konnte diese neue Pastoral nur verwirklichen, weil er Mitarbeiter fand, die „vom Feuer der konziliaren Erneuerung“ ergriffen waren. Seine wichtigsten (priesterlichen) Stützen waren in den Anfangsjahren: Pfr. Pedro Bartolini, Pfr. Alfonso Castañeda (beide aus der Region Cajamarca) und Pfr. Alois Eichenlaub, Diözese Speyer.

Padre Bartolini im Jahre 1997: „Die Katecheten Bambamarcas waren die ersten Campesino - Katecheten Perus und vielleicht die ersten in der Welt, die mit Erlaubnis Roms die Taufe spendeten und  praktisch als Gemeindeleiter in ihrer Comunidad tätig waren“. Es ist auch zu beachten, dass all das, was in Bambamarca geschah, bis 1968 logischerweise nicht von Medellín inspiriert war, sondern zu Medellín führte und von Medellín bestätigt wurde.

Im Januar 1963 fand in Cajamarca eine erste  Pastoralwoche statt, an der einige junge Priester, Seminaristen, Ordensleute, Laien und Padre Bartolini teilnahmen. Dieser Kurs wurde sehr gut aufgenommen und es stellte sich die Notwendigkeit eines gemeinsamen seelsorgerlichen Vorgehens. Zufällig hatte Bischof Dammert während des Konzils Padre Bartolini getroffen, der seit Anfang 1961 in Rom studierte und der vorher für kurze Zeit auch als Pfarrer in Cajamarca tätig war. Bartolini wiederum hatte Dammert in den Sozialwochen 1959 in Lima kennen gelernt. Er hatte dann an Kursen in Löwen (Belgien) teilgenommen, Arbeiterpriester in Deutschland und Frankreich kennen gelernt, ebenso landwirtschaftliche Genossenschaften in Spanien und Ansätze  einer  Landreform in  Süditalien. Bischof Dammert lud ihn ein, als Priester mit ihm nach Cajamarca zu kommen und Bartolini war von Dammert, den er bereits als Weihbischof in Lima bewundert hatte, so überzeugt, dass er sofort zusagte.

Padre Bartolini wurde zum Motor der beginnenden  Entwicklung in Bambamarca. Er ging nach der Pastoralwoche mit zwei anderen peruanischen Priestern (Mundaca und Fernández) nach  Bambamarca, wo sie sofort  damit  anfingen, eine erste Pastoralwoche vorzubereiten. Diese fand in der Karwoche auf der Hazienda Chala statt, eine Gehstunde von Bambamarca entfernt. Der Besitzer der Hazienda begrüßte den Kurs, weil er dachte, dass dadurch die Campesinos noch gelehriger und gefügsamer würden. Eine zweite neu gebildete Priestergruppe, die sich inzwischen in Baños del Inca niedergelassen hatte (Alois Eichenlaub und Alfonso Castañeda) nahm daran ebenso teil wie einige MitarbeiterInnen aus Cajamarca.

Zum ersten Mal aber waren auch Campesinos dabei. Den drei Priestern in Bambamarca war es gelungen, innerhalb weniger Wochen über zwanzig Comunidades auf dem Land zu besuchen und das Vertrauen von Campesinos zu gewinnen. Bartolini: „Der religiöse Aspekt, und hier  insbesondere  die  Bibel, hat sie sofort in den Bann gezogen. Denn es gab in den Comunidades eine große Spaltung, weil schon vor einiger Zeit protestantischen Sekten gekommen waren, die die Bibel benutzt haben, während die Katholiken dies nicht durften. Als diese nun sahen, dass die Priester mit ihnen die Bibel lesen wollten, waren sie ungeheuer begeistert und deswegen war das Kennen lernen der Bibel das zentrale Thema“. Unter den Campesinos waren auch Don Neptalí und Don Candelario (10, 11).
 
Die Hazienda Chala stellte nicht nur Unterkunft und Versammlungsräume, sondern auch die Verpflegung, u.a. zwei Rinder und etliche Schafe, so dass einige Campesinos zum ersten Mal im Leben Rindfleisch bzw. Hammelfleisch zu  essen bekamen. Sie durften zum ersten Mal in ihrem Leben eine Bibel in ihre Hand nehmen und erfuhren zum ersten Mal etwas vom Leben und Sterben Jesu. In der  Karwoche stand das Leiden Jesu im Mittelpunkt. Dieses Leiden Jesu wurde nachgespielt und mit dem Leben der Campesinos verglichen. Sehr schnell entdeckten diese, dass ihr eigenes Leiden und Elend etwas mit den von Menschen so geschaffenen Verhältnissen zu tun hat. Doch auf Anregung von Alois Eichenlaub endete der Kurs (und die Geschichte) nicht mit dem Tod Jesu. Weil Gott (und der Mensch) gekreuzigt wird, wenn der Mensch sich dem Menschen als Unmensch erweist, muss es entweder zu einer Versöhnung mit nachfolgender Veränderung kommen, oder das Elend geht weiter. So kam es auf dem Kurs zu einer großen Versöhnungsfeier, die bald umschlug in das Fest der Auferstehung - Auferstehung in Chala! Zum ersten Mal erfuhren und erlebten die Campesinos, dass die Hoffnung die Trauer überwindet, dass das Elend überwunden werden kann und dass Gott selbst Garant dieser Hoffnung ist. 

Als äußeres Zeichen dieser Hoffnung wurde ein überdimensionales Kreuz gezimmert und auf dem höchsten Berg in Chala aufgerichtet. Das Zeichen der Erlösung steht seither weit sichtbar bis heute über Bambamarca. In einer weiteren Pastoralwoche im Herbst 1963, an der noch mehr Campesinos teilnahmen, wurde auch erstmals die Geburt Jesu nachgespielt und die Campesinos verstanden, dass dieser Jesus  wie sie  selbst  in  einer Lehmhütte auf die  Welt  kam, dass es Hirten waren, denen ein Licht aufging und die zuerst den Weg zu Jesus fanden.1963 Jahre nach Christi Geburt, 430 Jahre nach der Ermordung Atahualpas durch die spanischen Eroberer in Cajamarca und nach Beginn der Missionierung, wurde Jesus  Christus nun inmitten der Campesinos  geboren. Es herrschte bei Campesinos, den Priestern und Mitarbeitern eine große Aufbruchstimmung. Alle schienen von dem Beginn einer neuen Zeit zutiefst überzeugt. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft war mit Händen zu greifen.

Weitere Kurse in den nächsten Jahren konnten nicht mehr auf der Hazienda Chala stattfinden, denn dessen Besitzer wusste nicht wie die Hirten den Stern am Himmel zu deuten, und deshalb fand er nicht den Weg zur Krippe im Stall, sondern er empfand die Verkündigung der Geburt und der Auferstehung Jesu Christi wie Herodes als Bedrohung.


5. Die Rolle ausländischer Mitarbeiter

In einem Brief an Misereor im Oktober 1965 schreibt Bischof Dammert: „Seit nunmehr rund zwei Jahren darf ich in meiner Diözese die großzügige Hilfe der deutschen Katholiken erfahren, die es mir erlaubte, ein Pilotprogramm in Bambamarca zu starten. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieses Programm ein erstmaliger Versuch innerhalb Perus ist, das sich fast ausschließlich auf die Erziehung des Campesinos, d.h. des Landbewohners richtet“. Bei der Beschreibung der Arbeit in Bambamarca dürfen die deutschen Anteile an der Entwicklung der beispielhaften Sozialpastoral in der Diözese Cajamarca und speziell in Bambamarca nicht unerwähnt bleiben. Bereits 1963 stellte Bischof Dammert einen Antrag an Adveniat. Er bat um Unterstützung für seinen Pastoralplan, Priestergruppen in abgelegene Zonen zu schicken und gleichzeitig Laienkatecheten auszubilden. In Bambamarca gab es kein Pfarrhaus, die bisherigen Pfarrer lebten alle komfortabel in privaten Häusern.

Die drei neuen Priester waren in „einer  menschenunwürdigen Unterkunft zur Miete in einer primitiven Wohnung mit zwei Räumen  untergebracht“. Versammlungsräume, Schulungszentren usw. gab es erst recht nicht. In einer Antwort an „Sr. Exzellenz, den hochwürdigsten Herrn José Dammert Bellido, Bischof von Cajamarca“, schreibt Bischof Hengsbach weitsichtig: „Ich halte das Pastoralprogramm für den Einsatz von Priestergruppen und die Ausbildung von Laienkatecheten für sehr wichtig“. Aus den Spendengeldern der deutschen Katholiken aus  der Adveniatkollekte 1962 wurden 100.000 DM für den Neuanfang in Bambamarca zur Verfügung gestellt. Das war der Beginn einer langen Beziehung....

Neben der materiellen Unterstützung war der Einsatz deutscher Fachkräfte von großer Bedeutung. Bischof Dammert  begründet den Einsatz von Ausländern vor allem damit, dass für eine Übergangsphase leider zu wenig fachlich ausgebildetes einheimisches Personal zur Verfügung steht. Als größtes Hindernis beklagt er aber immer wieder, dass peruanische Fachkräfte auf-grund ihrer Erziehung, Herkunft und langer Traditionen oft nicht bereit oder fähig sind, den tiefen Graben zwischen ihnen und den „Indios“ zu überbrücken. Sie würden lieber in der großen Stadt oder an der Küste leben und arbeiten. „Dagegen eröffnet  die Mitarbeit europäischn Personals, gebührend vorbereitet,  unerwartete  Horizonte, so wie ich es selbst in meiner Diözese mit der aufopfernden Arbeit der deutschen Sozialarbeiterinnen erlebt habe, ebenso wie mit der Mitarbeit eines Priesters aus der Diözese Speyer“. Der peruanische Soziologe Mario Padrón bestätigt in einer Untersuchung, dass ausländische Mitarbeiter, immer vorausgesetzt, dass sie auch wirklich mit dem Volk leben, eine weitaus größere Akzeptanz bei den Campesinos erreichen – und damit auch eine nachhaltigere Wirkung - als  peruanische Fachkräfte (12). Es bedarf dafür aber einer guten Einführung durch Personen des Vertrauens, denn schließlich hatten die Campesinos vorher noch nie etwas mit „Gringas“ zu tun gehabt.

Bartolini: „Als die deutschen Assistentinnen ankamen, fanden sie bereits ein solides Fundament auf dem Lande vor, das ihnen den Einstieg erleichterte. Zwar wurden sie ganz zu Beginn nicht akzeptiert, einmal weil sie ‚Gringas’ waren, die nicht gut spanisch sprachen und zum anderen, weil die Leute  sie  verdächtigten, Kommunisten z  sein. Also musste ich anfangs immer mit ihnen gehen, sie den Leuten in der Comunidad vorstellen und als sie dann auch noch später deren gute Arbeit sahen, wurden sie zu guten Freundinnen und es entstand auch  gleichzeitig der Wunsch nach Kursen nur für Frauen, bzw. etwas später auch für die Mädchen. Bald wurden dann die ersten  Kurse ausgearbeitet, immer mit den Frauen zusammen. Zuerst kamen die Ehefrauen der Katecheten, dann aber auch viele andere und auch noch Unverheiratete“.

Einen weiteren Grund für die Notwendigkeit ausländischer  Mitarbeit sieht Dammert in der bisher traditionellen Haltung der einheimischen Kirche, der „wenig an einer Mitarbeit von Laien und auch wenig an der Bildung des einfachen Volkes gelegen war“. Weiter schreibt er in einem Brief an Caritas nach Freiburg: „Wenn wirklich die erste Evangelisierung Wurzel geschlagen und eine einheimische Kirche begründet hätte, könnte man sich diese jetzt selbst überlassen. Aber eine Kirche, die nur schwache Strukturen besitzt ohne Basis, würde sich auflösen, oder es bleiben nur Pseudo-Kirchen. ... Leider hat man über Jahrhunderte schlecht gepflanzt und die Pflanzen hatten keine Wurzeln oder sind schief gewachsen. Man muss immer von neuem säen. Ich glaube nicht, dass die lateinamerikanische Kirche sich allein genügt, sondern eher, dass sie, allein gelassen, alles verlieren würde“.

Bereits 1963 kam die erste deutsche Fachfrau, eine Fürsorgerin, nach Bambamarca. Zwei Jahre später waren es bereits vier Frauen aus Deutschland, drei Fürsorgerinnen und eine Krankenschwester. Auch sie waren nicht nur bereit aufs Land zu gehen, sondern sie sahen darin ihren Auftrag. Verstanden sie sich noch anfangs als „Sozialarbeiterinnen“ im üblichen Sinne, so wurden sie von den Campesinas bald „bekehrt“: Nach spätesten einigen Wochen war allen Neuangekommenen klar, dass sie ihre Arbeit nur dann sinnvoll leisten konnten, wenn sie die gewohnte Trennung zwischen Sozialökonomie und Katechese überwanden. So sahen es z.B. die Frauengruppen als selbstverständlich an, dass jede soziale Arbeit eng mit ihrem Glauben zusammenhing und umgekehrt es keinen Glauben ohne soziale Tätigkeit in der Gemeinschaft geben kann. Das Argument der „Señoritas“, sie hätten keine pastorale Ausbildung, löste nur ungläubiges Staunen und Unverständnis aus. Doch bald entdeckten die „Señoritas“, dass man auch ohne wissenschaftliche Studien Zeugnis seines Glaubens ablegen kann.

6. Eine Kirche mit Poncho und Sombrero

Im Jahre1964 besuchte Bischof Dammert erstmals Bambamarca. Einige angehende Katecheten, darunter auch Don Neptalí, hatten den Bischof zuvor auf Diözesankursen in Cajamarca kennen gelernt. Nun lag es an ihnen, den Bischof zu empfangen und ihn in ihre Comunidades zu führen. Lange hatten sie sich auf diesen Besuch vorbereitet. Sie führten ihn durch reich geschmückte Torbögen aus Pappe, auf dem offenen Versammlungsplatz hatten sich eine große Menschenmenge versammelt. Noch nie hatte ein  Bischof den Weg zu ihnen  gefunden. Reihenweise warfen sich die Frauen vor ihm nieder, um ihm die Füße zu küssen. Doch er sagte nur: „Nein, nein, ich bin ein Mensch wie jeder von euch auch,  ich  möchte  nicht,  dass  ihr meine Füße anbetet. Was ich will ist, dass ich mit euch reden und eure Sorgen kennen lernen möchte“. Seine Botschaft war ganz einfach, nämlich, dass die Ehemänner ihre Frauen gut behandeln und für ihre Kinder Verantwortung übernehmen sollten, dass schließlich alle in gleicher Weise Menschen seien und an den gleichen Gott glauben würden.

Nun war Don Neptalí endgültig entschlossen, sein Leben ganz in den Dienst der Sache Gottes zu stellen. Als junger Mann war er voller Laster, wie er selbst sagt. Doch seit er von den Priestern zu den Kursen eingeladen wurde und merkte, dass sie ihn ernst nahmen, veränderte sich sein Leben. Er begann ein neues Leben. Das Wichtigste  im Leben war nun für ihn: den Ruf Gottes zu hören, ja zu sagen und die Botschaft von Christus, dem Befreier zu verkünden. Als seine größten Erfolge nennt er, dass doch auch viele andere den Ruf Gottes gehört und sich in seinen  Dienst gestellt  haben. Dies zeigt sich darin, dass es weniger Streit gibt, der Mann respektiert die Frau, es gibt mehr Verantwortung  der Gemeinschaft gegenüber, es gibt eine Ausbildung und auch die wirtschaftliche Lage hat sich verbessert. Don Neptalí 1997: „Zusammen mit vielen anderen eröffnete sich für uns eine ‚Neues Leben‘ in Bambamarca. Die Kirche wurde für uns zu einer Kirche des Volkes. Sie ist eine  Gemeinschaft von vielen engagierten Leuten. Wir bilden Gruppen und lesen die Botschaft des Christentums. Wir glauben daran, dass unser Herr Jesus das Haupt ist und dass er uns leitet“. Und was bedeutet „engagiert“ (comprometido) zu sein? Darauf antwortet Don Candelario: „Gott in der Arbeit verpflichtet zu sein, am Aufbau des Reiches Gottes mitzuarbeiten und als ganzheitliche Person ein Mensch im Geiste Jesu zu werden“.

Die Pastoralarbeit war die Basis für alle weiteren Fortschritte und Entwicklungen in der Gemeinde Bambamarca. Die riesige Pfarrei Bambamarca, mit einem Durchmesser von über 100 km und (heute) etwa 90.000 Campesinos, wurde in neun Zonen aufgeteilt mit je etwa zwölf bis zwanzig Comunidades. In jeder einzelnen Comunidad sollte es mindestens einen Katecheten oder Katechetin geben, dazu eventuell noch ein Gesundheitshelfer, und ein Pastoralkomitee sollte verantwortlich für alle Belange der Comunidad sein.

Bischof Dammert: „Wir versuchen immer mehr, in den einzelnen Comunidades Pastoralkomitees zu bilden, die aus acht bis zehn Personen bestehen, wenn möglich beiderlei  Geschlechts, denn die männliche Vorherrschaft ist noch sehr stark. Frauen sind oft vollständig abhängig infolge der traditionellen Unterwerfung unter den Vater oder den Ehegatten und der sehr geringen Schulbildung; denn die  Schulen sind für die Buben, während die Mädchen im Hause oder auf der Weide helfen. Um so bemerkenswerter ist die Anstrengung einiger Mädchen, diese  Abhängigkeiten zu überwinden und an Bildungskursen teilzunehmen;  oft  wurden  sie  dabei von den Müttern unterstützt, während die Väter mit dem Argument dagegen waren, dies würde nur die Faulheit fördern“. Die Katecheten waren in der Regel auch die „natürlichen Führer“ in allen Fragen der Comunidad, zumal sie von der Comunidad selbst beauftragt waren, auf Kurse geschickt wurden usw.

Der schnelle Erfolg der Evangelisierung darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es selbst auf dem Land noch erheblichen Widerstand gegen die „neue Religion“ gab, nicht nur seitens massiv vorhandener Sekten, (deren Zahl sich aber bald drastisch verringerte), sondern auch seitens traditioneller Heiler und alter „Quasipriester“, die Totengesänge vorsangen und denen oft noch magische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Auch die Ehefrau von Don Neptalí stand dem neuen Engagement ihres Mannes lange Zeit  völlig verständnislos  gegenüber, sie hatte auch Angst, dass ihn die Autoritäten töten würden.

Dass auch die städtische, alteingesessene  Bevölkerung nicht nur in Cajamarca, sondern auch von Bambamarca, gegen den Bischof eingestellt war, war verständlich. Zu sehr hatten sie sich daran gewöhnt, dass die Religion Herrschaft und Unterdrückung rechtfertigt. Sie  konnten in den Erneuerungen nur eine  Bedrohung sehen. Dass ein Campesino nun gar  taufen durfte, stand ihrem bisherigen Welt- und Gottesbild, ihrer Kultur und Erziehung so diametral entgegen, dass einige von ihnen sehr aggressiv reagierten und es immer wieder zu Auseinandersetzungen kam. Natürlich standen Polizei, Verwaltung und Justiz auf der Seite der Mächtigen. Bischof Dammert wurde von Bambamarca über Cajamarca bis nach Lima als „Kommunist“ denunziert.

In Verbreitung der „Guten Nachricht“ spielte die Bibel, bzw. die Tatsache, dass die Campesinos die Bibel selbst lesen konnten, eine entscheidende Rolle (13). Eigentlich eine banale Erkenntnis. Doch in Bambamarca (und nicht nur dort) war diese Erkenntnis revolutionär, sie hat das Leben der Menschen verändert. Don Candelario auf die Frage, warum er Katechet geworden ist: „Seit  dem  ersten Bibelkurs auf der Hazienda Chala  haben sich mir die Augen geöffnet, mir wurden viele Dinge bewusst. Wir waren eine Woche zusammen. Danach lernte ich das Leben kennen, ich lernte Mensch zu sein, ein Individuum und eine Person“.

Zwei Aspekte spielten in der Pastoralarbeit eine entscheidende Rolle: einerseits der Enthusiasmus von Padre Bartolini (und der deutschen Assistentinnen) und die Solidarität Bischof Dammerts (Impuls „von außen“) und andererseits die schon vorhandene religiöse Sehnsucht, der Hunger nach dem Wort Gottes seitens der Campesinos. Es galt „nur“ Zugang zu den Menschen zu finden und ihre Bedürfnisse kennen zu lernen (Impuls „von innen“). Voraussetzung für diesen Zugang zu den Menschen war, dass sowohl Bischof wie auch Priester und Laienmitarbeiter bereit waren, das Leben mit den Menschen zu teilen. So fanden schon seit Beginn auch immer mehr Kurse in weit abgelegenen Gebieten statt. Bartolini: „In den zentralen Kursen bekamen die Campesinos die Kenntnisse und Aufgaben, die sie dann in ihrer  eigenen Comunidad realisierten: Versammlungen mit Lesen und Auslegen der Bibel, Wortgottesdienste,  Besprechen und in Angriff nehmen gemeinsamer Probleme usw. Ich besuchte dann für die kleineren Kurse in den verschiedenen Zonen die einzelnen Comunidades und blieb einige Tage für die Zeit der Kurse dort, las auch die  Messe und durch meine Anwesenheit und sichtbare Gemeinschaft mit den Katecheten, wurden viele Leute überzeugt“.

Dass dies für die „Lehrer“ nicht nur viele Entbehrungen bedeute, sondern dass sie auch selbst viel lernen durften, zeigt ein weiteres Zitat von Bartolini: „Den Campesinos gefiel es sehr, die Psalmen zu singen. Auf den Kursen haben sie den Tagesablauf selbst festgesetzt. So standen sie zwischen 4 und 5 Uhr morgens auf um zwischen 5 und 6 Uhr die Psalmen beten und singen zu können, und dies in voller Übereinstimmung mit der erwachenden Natur und der aufgehenden Sonne. Nie habe ich die Kraft der Psalmen inniger erlebt“.

Das Kennenlernen der Botschaft Jesu und die Kurse auf dem Land führten zu vielen Veränderungen auch im Kleinen, im Alltag. Dies zeigte sich z.B. darin, dass man immer häufiger beobachten konnte, dass die Frau auf dem Maultier saß und der Mann nebenher lief. Wenn vorher beide zusammen auf den Markt gingen, war es die Regel, dass der Mann ritt und im Abstand von fünf Metern die Frau, vollbepackt mit Lasten, hinterher lief. Ebenso konnte man beobachten, dass der Mann bisher oft in seiner beidseitigen Schultertasche (Alforja) in der einen Tasche z. B. Brot, Salz usw. hatte, in der anderen Tasche aber seine Coca, selbst wenn er die Kurse besuchte. Nun aber hatte er statt der Coca die Bibel in der Tasche (14). Bereits 1963 konnten mit der Hilfe Adveniats 1.000 Bibeln angeschafft werden, die nach und nach an die  Kursteilnehmer „verkauft“  wurden. Ebenfalls von Adveniat finanziert wurden Batterie betriebene Diaprojektoren und allerlei didaktisches Material. Diese Diaprojektoren und die eigene Erarbeitung entsprechender Diaserien waren übrigens der Grundstein für die spätere Medienstelle der Diözese, die von Alois Eichenlaub aufgebaut und zum Vorbild in ganz Peru  wurde (15). 

Neben den schon genannten Faktoren, die eine schnelle Verbreitung des Evangeliums mit ihren umwälzenden Folgen begünstigte, ist die Fähigkeit der Campesinos zu nennen, auf spielerische Art und Weise sich das Evangelium anzueignen. Don Neptalí berichtet, dass die Kurse auch deswegen so attraktiv und erfolgreich waren, weil sich alle aktiv einbringen konnten (in der „Dinámica“ - ein Rollenspiel) und weil viel gesungen und gespielt wurde. Auch die Priester und sonstige „Hauptamtliche“ haben die Kurse als eine große Bereicherung ihres Glaubens, ihres Engagements und  ihrer  Spiritualität  erfahren. Sie entdeckten, dass sie vom Glauben des Volkes viel lernen konnten. Im ständigen Austausch und Dialog mit diesen Menschen entdeckten sie die Bibel neu bzw. sie lasen sie mit anderen Augen. Dies führte zu einer Relativierung bisher festgefügter Grundsätze, Anschauungen und  Gewohnheiten. Nicht alle Priester und „Hauptamtliche“ waren dieser Herausforderung gewachsen.

7. Sozialpastoral in Bambamarca

Bischof Dammert: „Eines der Ergebnisse dieser neuen Katechese war ein Erwachen im Bezug auf  ein  religiöses  und  soziales  Bewusstsein  des  Campesinos,  was  dann  natürlich  zur  Folge hatte, dass er den früheren Zustand der Unterdrückung ablehnte. In dem Maße wie der Campesino seine Gotteskindschaft und die Geschwisterlichkeit mit den anderen entdeckt, kommen ihm  dann  Fragen bezüglich  der  bestehenden Ungleichheiten zwischen  Klassen  und  Rassen, die sicher von Gott nicht gewollt sind. Er spürt, dass er eine Person mit gleicher Würde wie andere Personen ist, eine Tatsache, die es ihm ermöglichte, sich gegen die früheren Haltungen der Verachtung und der Ausbeutung zu stellen“.

Zwischen dem, was Gott will und dem Streben der Menschen nach immer mehr Macht und Besitz (und den daraus resultierenden wirtschaftlichen und politischen Strukturen), besteht ein nicht  vereinbarer  Gegensatz. Die  Entscheidung, sich in den Dienst der „Sache Gottes“ zu stellen, führt zum Konflikt mit den „Fürsten dieser Welt“ (16). Wie soll man Menschen von einem liebevollen Vater erzählen, wenn gleichzeitig seine Kinder missbraucht werden? Wie kann man von einem Gott der Liebe reden, von Geschwisterlichkeit, Gemeinschaft und Erlösung, ohne gleichzeitig alle Verhältnisse anzuprangern, die den Menschen daran hindern, in Würde als Kind Gottes zu leben? Gerade darin erfuhren die Campesinos das Befreiende der Botschaft Jesu, dass es eben nicht der Wille Gottes ist, dass ihre Kinder nichts zu essen haben, damit andere im Überfluss leben können. Don Concepción, einer der von Bischof Dammert ernannten Gemeindeleiter, drückt das so aus: „Es reicht nicht aus zu  sagen: im  Namen  des Vaters...., das wäre reine Rhetorik. Wichtig ist vielmehr, den Glauben mit Taten und Werken zu verkünden, indem man z.B. mitarbeitet, einen Wasserkanal für die Comunidad zu bauen, damit es sauberes Wasser für alle gibt“ (siehe auch Anmerkung 13).
 
Bei allen Treffenund gemeinsamen Arbeiten war es für die Campesinos selbstverständlich, dass z.B. die Versammlung der Kooperative mit einem Gebet und Gesang eröffnet wurde und auch eine Bibellektüre mit Auslegung gehörte immer dazu. Sie waren davon überzeugt, dass sie nur deswegen zusammengefunden haben, weil sie die gleiche Botschaft vernommen haben und dass ohne die Gegenwart Jesu und den Beistand des Hl. Geistes all ihr Mühen nicht von Erfolg gekrönt wäre.

Don Concepción antwortete 1997 auf die Frage nach seinem Auftrag (Mission): „Eine der Aufgaben als Verkünder des Evangeliums bestand darin, in jeder Comunidad pastorale Komitees zu  schaffen. Sie sollten auch ihre Kapelle oder Versammlungsraum haben, um danach die Leute zu den Versammlungen einladen zu können und zusammen einen Wortgottesdienst zu halten. Wir haben aber auch die Probleme in der Landbestellung und  innerhalb der Comunidad gesehen. Die soziale  und pastorale  Aufgabe war ein und dieselbe. Ebenso halfen wir in der Organisation der Rondas und in der Feier der Sakramente. Es kam darauf an, uns in allen Bereichen weiter zu entwickeln: im Religiösen, im Sozialen und im Politischen. Es gab Momente, in denen die Leute von der Stadt sagten, dass sich die Kirche nicht in die Politik einmischen dürfte. Für uns war klar, dass zu unserem pastoralen Auftrag auch die Politik gehörte“.
 
Im Folgenden werden drei wichtige „Werke“ der Campesinos genannt („El  Despertar“ und „Vamos Caminando“: siehe Artikel: „Die Stimme der Campesinos“). bzw. vorgestellt, die sie selbst als die wichtigsten ansehen und in denen  deutlich wird, wie der Glaube ihr Leben verändert und ihnen neue Perspektiven eröffnet.

Die  Kooperative:  Bereits 1964 entstand die erste Kooperative der Campesinos mit dem Namen „El Salvador“. Don Neptalí war der erste Präsident, später wurde diese Kooperative auf die ganze Pfarrei ausgedehnt und ausschließlich von Campesinos verwaltet und geleitet. Der Hauptzweck der Kooperative bestand darin, im Einkauf und Verkauf den Zwischenhandel in Bambamarca zu umgehen. Als die Kooperative von „Brot für die Welt“ auch noch einen LKW bekam, war der Erfolg sofort sichtbar. Als die Campesinos nun ihre eigenen Produkte mit dem Lkw an die Küste auf den Markt bringen konnten, erzielten sie dort einen zehn- bis zwanzigmal höheren Preis als vorher in Bambamarca. Gleichzeitig kauften sie dort  entsprechend billiger die Produkte ein,  die sie für den Alltag benötigten (Öl, Salz, Zucker, Düngemittel und Pflanzenschutz, Geräte und Werkzeuge).

Es lässt sich leicht ausrechnen, wie groß vorher die Ausbeutung war und was diese Kooperative sowohl für die Campesinos aber auch für die Leute in der Stadt Bambamarca bedeutete. Innerhalb eines weiteren Jahres gab es bereits vierzig „Tambos  comunales“ auf dem Land als „Umschlagplatz“, Sammel- und Verkaufsstelle der zu handelnden Produkte. Jede Campesinofamilie konnte Mitglied werden. Als Beitrag wurde verlangt, dass  sich  jeder zu freiwilliger  Mitarbeit verpflichtet. Die Tambos wurden auch oft zu allgemeinen Zentren der jeweiligen Comunidad. Als Hauptverantwortliche wurden in der Regel Katecheten gewählt. Viermal wurde ein Anschlag auf den LKW verübt. Mitglieder der Genossenschaft wurden öfter verhaftet, die Kooperative erst in den achtziger Jahren gesetzlich anerkannt (17).

Die Rondas
: Ende der siebziger Jahre entstanden in Bambamarca und im benachbarten Chota die Rondas, unzulänglich mit Bauernwehren übersetzt. Auslöser waren  die  zunehmenden Viehdiebstähle, zudem meist verbunden mit Zerstörung der Hütten und Vergewaltigung der Frauen. Wird einer Campesinofamilie die einzige Kuh gestohlen, bedeutet dies oft der Verlust des einzigen Besitzes, bedeutet noch mehr Elend und Hunger. Nachdem es den Campesinos gelang, einige Viehdiebe zu stellen, übergaben sie diese der Polizei. Bald merkten sie, dass die Polizei mit den Dieben gemeinsame Sache machte und sogar als Hehler auftrat. Es handelte sich um weitverzweigte Diebesbanden mit Verbindungen zu Großabnehmern an der Küste. So beschlossen die Campesinos,  Nachtstreifen aufzustellen. 

Bald  gab  es  in  nahezu allen Comunidades die Rondas. Gefasste Diebe wurden bestraft und danach freigelassen. Die Diebstähle gingen schlagartig zurück. Über die ursprüngliche Absicht hinaus, sich vor Diebesbanden zu schützen, etablierten sich die Rondas als demokratisches Forum, das alle internen Angelegenheiten der Comunidad regelte, Streitigkeiten schlichtete, Schwache beschützte und Recht sprach. Auch bei den Rondas waren Katecheten die Impulsgeber. Don Neptalí, auf die Frage, warum er bei den Rondas mitmachte: „Gott  hat mir die Ohren lang gezogen und hat mir gesagt: Hör mal, warum sitzt du hier untätig herum und hörst nicht diese arme Frau, wie sie schreit, weil man ihre einzige Kuh, ihr einziges Schaf wegnimmt! Also machte ich mich auf und organisierte mit anderen die Ronda, um die Armen und Schwächsten zu verteidigen. Die Ronda ist ein Geschenk Gottes“. Diese Rondas von Bambamarca sind übrigens nicht zu verwechseln mit den Rondas in anderen Teilen Perus, die später von der Regierung aufgestellt und mit Waffen  ausgerüstet wurden, um sich gegen die Terroristen des „Leuchtenden Pfades“ zu schützen. Im Gegenteil: die Bauernwehren Bambamarcas wurden von den staatlichen Stellen bekämpft und selbst des Terrorismus angeklagt. Dem Schutz Bischof Dammerts war es zu verdanken, dass viele Ronderos bald wieder aus den Gefängnissen kamen.

Neben diesen drei Werken, Kooperative, Despertar - Vamos Caminando und Rondas, wäre noch von vielen anderen Aktivitäten zu berichten. Don Neptalí erklärt den Zusammenhang zwischen Sozial und Pastoral und warum er als Katechet in  der Kooperative und den Rondas an verantwortlicher Stelle teilnahm. „Manche in der Kirche denken noch, dass die Kirche nichts mit sozialen Problemen zu tun hat. Aber das ist nicht so. Wenn wir uns nicht um den Körper kümmern, dann haben wir auch nicht die Kraft um zu beten, oder? Die Kirche muss in diesem Sinne arbeiten und Lösungen für die Armutsfrage und  die  Unwissenheit finden. Manchmal handeln die Leute böswillig aus reiner Unwissenheit, denn sie kennen nicht das Wort Gottes. Die Kirche als Kirche muss auch bewusst daran arbeiten, dass die Herrschaft der mächtigen Länder  über  arme Länder wie Peru, Ekuador und Kolumbien überwunden werde. Wir glauben, dass diese Arbeit etwas intensiver geschehen müsste und es müsste deutlicher werden, dass es keine Ausbeutung mehr geben darf. Hier in Peru wird unser Land und unser Reichtum ausgebeutet. Sie bringen das Gold aus den Minen ins Ausland und verschmutzen unsere Umwelt und das Wasser. Die Kirche muss hier eindeutig Stellung beziehen...“

Der Pfarrei, ihren Mitarbeitern und vor allem Bischof Dammert wurde immer wieder der Vorwurf  gemacht, Unfrieden zu stiften oder gar zur Gewalt aufzurufen. Dieser Vorwurf wird schon immer von denjenigen erhoben, die von den bestehenden Verhältnissen profitieren und nun befürchten, etwas von ihren Privilegien abgeben zu müssen. Es sind oft die Gleichen, die Religion auf die Sakristei  beschränken möchten. In Wirklichkeit wurde durch die Evangelisierung in Bambamarca die bestehende Gewalt erheblich vermindert. Denn Gewalt wird überwunden, wenn Kinder nicht mehr durch verschmutztes Wasser tödlich erkranken, wenn sie bessere Ernährung und eine Chance auf Ausbildung haben und wenn sie mit ihren Eltern zusammen nun sicherer leben, weniger Übergriffe befürchten müssen und sich selbst organisieren können. Unzählige Menschen hatten zum ersten Mal eine konkrete Hoffnung für sich und ihre Kinder. Ganz zu schweigen von dem nicht messbaren Bewusstsein, endlich als Mensch respektiert zu werden. Dies alles den Kindern Gottes und der Erde vorzuenthalten, ist die am weitesten verbreitete und schrecklichste Form von Gewalt.

In den Zeiten des bewaffneten Terrors in Peru (vor allem des „Sendero Luminoso“ - der Leuchtende Pfad, von 1980 bis zum Höhepunkt 1992) hatten die Terrorbewegungen in Bambamarca und fast allen Teilen der Diözese Cajamarca keine Chance, Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen. Den politischen Terror gab es vor allem dort, wo nicht organisierte und in Abhängigkeit gehaltene Campesinos mit dumpfen Parolen leicht zum Spielball beider Seiten werden konnten und schließlich zwischen den Fronten zerrieben wurden.

Die Entstehung der „Campesinokirche“ in Bambamarca bedeutete für die Menschen, dass sie zum ersten Mal  erfuhren, was  echte  Demokratie bedeutet und wie sie funktionieren könnte. Bischof Dammert war immer überzeugt, dass  die Demokratie nur eine Chance hat, wenn sie „von unten“ wachsen kann, wenn sie von den Bedürftigsten ausgeht und wenn diese selbst die Chance haben, nicht nur gehört zu werden, sondern auch ihre Angelegenheiten selbst  zu  regeln. Dies gilt auch für die Kirche, für das Volk Gottes, in dessen Herz hinein Christus geboren wurde und das ihm deswegen am nächsten steht. Die Leiden und Hoffnungen dieses Volkes Gottes, die Erfahrungen von Passion und Auferstehung der von Gott bevorzugten, aber von Menschen ausgeraubten Menschen, sind das oberste „Lehramt“ und die höchste Autorität für die weltweite Gemeinde Jesu.

In Bambamarca war nie von dem Begriff „Theologie der Befreiung“ die Rede, erstrecht nicht vom Streit darum. Als 1979 zwei deutsche Pfarrer Bambamarca besuchten, wollten sie von den Campesinos wissen, was sie von der Theologie der Befreiung hielten. Die Campesinos konnten mit der Frage nichts anfangen. Danach haben die beiden Besucher ausführlich erklärt, was Theologie der Befreiung ist. Geduldig hörten die Campesinos zu. Am Ende  stellten sie fest: „Wir haben nicht alles verstanden, aber es war eine schöne Predigt. Aber wir verlieren nicht viele Worte, sondern wir tun, was wir als Christen tun müssen“. Bischof Dammert erklärt an anderer Stelle: „Für unser lateinamerikanisches Volk sind dies akademische Diskussionen, Dinge für Intellektuelle und Kleriker. Sie, die Menschen aber leben die Theologie der Befreiung“. Dammert selbst versteht sich auch nicht explizit als Theologe der Befreiung.

Die Streitigkeiten und Missdeutungen der Theologie der Befreiung sind für ihn neben akademischen Sandkastenspielen oft auch bewusste und von handfesten Interesse geleitete Ränkespiele. Meist beruhen sie aber aus schlichter Unkenntnis und dem Unvermögen, sich wirklich in die Situation der im Elend gehaltenen Menschen hinein zu versetzen. Dammert setzt sich aber vehement für die Theologie der Befreiung ein, schon allein deswegen, weil  sie zusammen mit den Beschlüssen von Medellín die erste explizite Formulierung authentischen Christentums in Lateinamerika ist. Doch auch dafür kam der Anstoß direkt aus der Bibel: Für ihn war die fruchtbarste Erneuerung des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass man dem Volk endlich die Bibel in die Hand gegeben hatte. „Und an dem Tag, an dem die Campesinos erkennen, dass sie Kinder Gottes sind  - und alle Menschen Brüder und Schwestern - ändert dies ihr Bewusstsein“ (18).

Am 10. Dezember 1992 verabschiedete sich Bischof Dammert von seiner Diözese. Tausende Campesinos, Delegationen aus allen Teilen der Diözese, seine Mitarbeiter und auch einige  Städter  versammelten sich vor der Kathedrale. Durch ihre Anwesenheit und auf Hunderten von Spruchbändern sagten ihm die Campesinos Dank für dreißig Jahre unermüdlichem Einsatz  für eine  Kirche  der Armen. Auf Spruchbändern war zu  lesen: „Freund Pepe, was du gesät hast, wirst du ernten“. „Auch wenn man dich in der Stadt verachtete, so war dein Haus doch immer auch unser Haus“. „Für deine Liebe zu den Armen hast du Unverständnis geerntet. Wir aber lieben dich“. Während der Hl. Messe in der Kathedrale wurden ihm auf den Altar  sein Poncho und Sombrero als Opfergaben gelegt: „Der Hut, der ihn vor Sonne und Regen schützte, wenn er auf dem Pfade des Volkes wanderte; der Poncho, der ihn vor der Kälte schützte, wenn er zu den Kranken, Angsterfüllten und Verlassenen ging, ebenso wie zu den Comunidades in den Bergen“. Don Neptalí berichtete an gleicher Stelle von seiner Erfahrung, wie er zu Gott fand und für sein Reich zu arbeiten begann, kurz nachdem Don Pepe angekommen war. Er schloss mit den Worten: „Bischof Dammert hat dreißig Jahre lang die Gute Nachricht ausgesät. Seither ist ein Strauch daraus gewachsen, dessen Äste reiche Früchte tragen. Diese Pflanze werden wir liebevoll hegen und pflegen - ob in guter oder schlechter Erde“. Stellvertretend für die ganze Gemeinde, das Volk Gottes, umarmte Don Neptalí seinen Hirten und Freund.

II. Teil:   Der Bischofswechsel und seine Folgen  (1993 - 1999)

Nach dem Bischofswechsel stand die Pfarrei Bambamarca erneut im Mittelpunkt. Bischof Simón nannte sie mit Recht das „Paradepferd von Bischof Dammert“. Bambamarca sollte und soll nun auch folgerichtig zum „Pilotprojekt von Bischof Simón“ werden. In den Augen von Bischof Simón ist die Kirche in Bambamarca in den letzten dreißig Jahren systematisch zugrunde gerichtet worden.Nun gilt es die Ordnung wiederherzustellen und die Kirche wieder in altem Glanz neu aufzurichten.

Bischof Francisco Simón Piorno, ein gebürtiger Spanier, war zuerst Pfarrer in Jaén (nahe der Grenze zu Ecuador). Er wurde zunächst Bischof von Chachapoyas, einer Nachbardiözese von Cajamarca. Drei Jahre später wurde er am 1. Dezember 1992 zum Apostolischen Administrator von Cajamarca ernannt. Am 7. Mai 1995 wurde er in Cajamarca in sein Amt als Bischof von Cajamarca eingeführt. Die geschilderten Ereignisse nach dem Bischofswechsel sind als ein Schlaglicht zu verstehen, um die gegenwärtige Situation zu erhellen und Positionen deutlich zu machen. Dabei werden die Ereignisse in Bambamarca stets im diözesanen Kontext und auch der Partnerschaft gesehen.

Ein erster Versuch

Bereits im Februar 1993  besuchte Bischof Simón als erste große Pfarrei außerhalb von Cajamarca die Pfarrei Bambamarca (19). Er kam nach Bambamarca mit dem festen Willen, die rechte Ordnung wiederherzustellen. Er hatte eine vorbereitete Liste der Verfehlungen mitgebracht ohne vorher überhaupt in Bambamarca gewesen zu sein. Er ließ niemanden zu Wort kommen. Vor den versammelten Katecheten, Verantwortlichen der Rondas und Frauengruppen sprach er davon, dass er gekommen sei, den „Saustall in Bambamarca auszumisten“.

Denn in den letzten dreißig Jahren, so fuhr er fort, sei es zu einem Zerfall der Kirche gekommen, die Priester und die Sakramente würden nicht mehr respektiert, das spirituelle Leben sei verkümmert und die Lehre der Kirche würde nicht mehr respektiert bzw. man kenne sie gar nicht mehr. Statt dessen hätten sich die Verantwortlichen der Pfarrei, einschließlich der Pfarrer, nur um weltliche Dinge gekümmert, hätten Politik gemacht, statt sich dem Gebet zu widmen und hätten ständig Konflikte gegen die städtischen und staatlichen Autoritäten provoziert. Am schlimmsten sei das Unwesen mit den Rondas, in der viele Katecheten an verantwortlicher Stelle beteiligt sind und die Tatsache, dass noch nicht einmal die meisten Katecheten verheiratet seien und in wilder Ehe lebten. Er versprach den Katecheten das Diakonat, falls sie in den Schoß der Kirche zurückkehren und eine Ausbildung für Katecheten beginnen würden. Dafür sollte ein großes Haus für Campesinos in Cajamarca gebaut werden, es wurde schon damit begonnen.

Einige der erfahrensten Katecheten haben diese Rede zuerst als Satire verstanden und konnten nur mit  Mühe ein Lachen unterdrücken. Die meisten  waren aber sehr  bedrückt. Als der  Bischof mit seiner Rede fortfahren wollte um anzukündigen, was er in nächster Zeit in der Pfarrei ändern müsse, erhob sich ein Katechet und sagte: „500 Jahre lang haben uns die Spanier unterdrückt und endlich haben wir entdeckt, dass auch wir Menschen sind. Seit 1962 haben wir erfahren, was die  Botschaft Jesu wirklich bedeutet. Wenn nun wiederum ein Spanier kommt und meint, uns unterdrücken zu können, dann werden wir das nicht mehr zulassen“. Und alle versammelten Katecheten stimmten das Lied aus Vamos Caminando an: „No se puede sepultar la luz“ (man kann das Licht nicht „begraben“).

Der Bischof konnte nicht mehr weiterreden und verließ die Versammlung. In der Partnergemeinde in Dortmund erfuhr man nichts von der Art und Weise des bischöflichen Besuches in Bambamarca. Alle Partnergruppen in Deutschland bereiten sich statt dessen auf das Treffen mit Bischof Simón anlässlich seines Besuches in Deutschland vor.

Das Komitee der Campesinos


Schon vor dem Bischofswechsel gab es in der Pfarrei Bambamarca Probleme mit einigen Pfarrern. 1989 schickte Bischof Dammert ein Team von zuerst zwei, dann drei jungen Priestern nach Bambamarca. Alle Pfarrer von 1963 bis  1989, zuletzt Rolando Estela und Alberto Osorio, hatten das Vertrauen der Campesinos gewonnen. Nun aber erlebten sie zum ersten Mal (wieder) Priester, die sie an Pfarrer Zárate, den Onkel des Großgrundbesitzers von Chala, erinnerten. Nur einer der drei neuen Pfarrer identifizierte sich mit der bisherigen Pastoralarbeit der Gemeinde (20), die beiden anderen setzten andere Prioritäten. Don Concepción drückt es sehr zurückhaltend aus: „Wir diskutierten  mit Padre Marco Rodríguez, der darauf bestand, dass die Hierarchie immer Recht habe, egal was sie tue. Schließlich sagten wir, dann solle  er dies eben weiter glauben. Wir in unseren  Comunidades werden auf jeden Fall mit unserer Organisation weitermachen und diese wird ihre Stärke behalten, bis zum Ende. Denn wir wollten nicht wieder wie ihre Kinder sein, die nur darauf warten, bis sie uns Befehle geben. Wir wollten auch unsere Meinung sagen. Aber gerade dies hat ihnen nicht gefallen. Die Pfarrer fragten sich: ‚Wie kann es möglich sein, dass ein Laie einem Priester widerspricht, wo der Priester doch alles weiß‘? Wir aber sagten, dass dies eine Lüge sei, denn ein Priester mag vielleicht einige Dinge wissen, aber er weiß nicht alles...“

1990 besuchte eine Delegation der Partnergemeinde St. Martin mit Pfarrer Alfons Wiegel Bambamarca. Sie konnten noch keine Unstimmigkeiten im neuen Pfarrteam feststellen. Sie schreiben in einem Reisebericht („Informationen aus Cajamarca“, Nr. 50) über die Versammlung mit den Katecheten: „Alle Anwesenden werden von der Frage bedrängt: Was wird, wenn Bischof Dammert in zwei Jahren die Altersgrenze erreicht? Wie eine dunkle Wolke liegt diese  Frage über ihnen. Sie überlegen, wie sie sich noch besser organisieren können, damit die befreiende Gemeindearbeit ungehindert weitergehen kann. So ist eine diözesane Vernetzung gleichgesinnter Pfarreien im Gespräch“. Es sollte sich herausstellen, dass die Campesinos auch in dieser Frage ihrem Bischof und seinen Mitarbeitern voraus waren, sie aber mit ihren Überlegungen dann allein gelassen wurden.
 
Nachdem es 1991 zur Eskalation gekommen war und der Ruf der Pfarrei auf dem Spiel stand, machte Bischof Dammert einen radikalen Schritt. Er schickte alle drei Pfarrer weg. Zum Bedauern der Campesinos (und zur Freude der Stadtbevölkerung) musste auch Victorino Guerra gehen, der sich in der Pastoral sehr bewährt hatte. Einer der beiden „Skandalpriester“ wurde zuerst bis 1994 Pfarrer in Celendín und danach zum Leiter des bischöflichen Präseminars für Knaben berufen, der andere war danach als Pfarrer bis 1997 in San Marcos. Im Juli 1991 überträgt Bischof Dammert den drei  Katecheten Candelario  Cruzado Bautista, Neptalí Vásquez  Mejía y Concepción Silva Estrada die Verantwortung für die gesamte Pfarrei.

Bischof Dammert besucht die Pfarrei zum letzten Mal im September 1992. Gleich darauf schreibt er in einem Brief an die Partnergemeinde in Dortmund (23.9.1992 in „Informationen aus Cajamarca”, Nr. 58). „Es ist beglückend nach so vielen Jahren die Früchte des Säens zu ernten, weil man Laien dazu ausgebildet hat, die Aufgaben von Katecheten, Taufbeauftragten, Gemeindeleitern und Ronderos auszuüben. Dazu kommt  die  große  Zahl der Christen, die in dieser neuen Zeit ihren Glauben wieder mit Leben erfüllen. ... Doch wegen der jahrhundertlangen Gewöhnung an das Klerikertum verlangen die Menschen nach der Anwesenheit eines Priesters, vor allem diejenigen, die sich noch nicht für die neue Art der Evangelisierung geöffnet haben und in ihren altgewohnten Denkweisen verharren. Bis Januar werden deshalb die neu ernannten Pfarrer von Porcón die Gemeinde Bambamarca alle zwei Wochen  besuchen”.

Es waren Leute in der Stadt (und einige vereinzelte Campesinos), die nach den Priestern verlangten. Diese  Entscheidung  ihres  Bischofs  mussten  die Campesinos  in  der  Folge  ausbaden (22). Denn die beiden Pfarrer aus Porcón (Partnergemeinde von Tettnang)  blieben nicht bis Januar, sondern bis September 1993 als Pfarrverweser zuständig für Bambamarca. Denn izwischen  war  Bischof  Dammert zurückgetreten und unter der Leitung des neuen Bischof entwickelten die beiden Pfarrverweser eine ungeahnte Dynamik.

Der Besuch im Sommer 1993

Im Rahmen meines Besuches vom 26.6.- 8.8. in Cajamarca, besuchte ich vom 20.-24. Juli die Pfarrei San Carlos in Bambamarca. Da ich dort offiziell auch als Beauftragter der Gemeinde St. Martin, Dortmund, war, folgen einige Ausschnitte aus einem Bericht mit dem Titel “Vamos Caminando - der Weg geht weiter”, den ich nach meinem Besuch auf Wunsch der Betroffenen in Bambamarca der Dortmunder Gemeinde übergab, deshalb auch die persönliche Form des Berichts. Anhand des Berichtes, der an die Partnerschaftsgruppe in Dortmund gerichtet war, werden Positionen (Optionen) ungeschminkt deutlich, an eine Studie wurde damals noch nicht gedacht. Besser als alle Theorie vermitteln diese Positionen und die damit verbundene Praxis, um was es geht und was auf dem Spiel steht.

a) Überlegungen vor dem Besuch:

Der Besuch wurde gut vorbereitet. Die Campesinos waren in die Vorbereitung mit einbezogen und erwarteten mit großer Zuversicht und Hoffnung den Besuch. Wir besprachen u.a. an einem Wochenende (14. - 16. Mai) in Dortmund, mit welchen Fragen und Anregungen seitens der Partnergemeinde ich nach  Bambamarca gehen sollte. Dabei wurden folgende Punkte „beschlossen” (laut eigener Mitschrift):

  • "Angesichts der veränderten Situation in der Diözese sollte nun das Geld direkt nach Bambamarca überwiesen werden. Abgesehen davon, dass vorher alles über Bischof Dammert lief, der nun nicht mehr zur Verfügung steht, entspricht es eher einer Gemeinde (!) - Partnerschaft, wenn die Beziehungen zweier Gemeinden sich möglichst direkt und auf breiter Basis vollziehen, eben von Gemeinde zu Gemeinde.
  • Der Empfang und die Verwaltung der Gelder sollte durch ein Komitee geschehen. Bischof Dammert hat die Verwaltung der Pfarrei einem Komitee übertragen, das aus drei Laien besteht: Candelario Cruzado, Neptalí Vásquez und Concepción Silva. Diese sind auch die von  allen  Comunidades, der Stadt Bambamarca und auch von Dortmund anerkannten Vertreter der Pfarrei. In diese haben wir volles Vertrauen. Zu regeln bleiben die technischen Details der Überweisung, die Frage nach einem eventuellen monatlichen Festbetrag usw.
  • Die  Transparenz innerhalb der Pfarrei muss gewährleistet  sein. Alle können und  sollen wissen, wie viel Geld überwiesen wird und für was. Jede Gemeinde, die Geld aus Deutschland bekommt, sollte die Finanzierung offen legen. Auch der Bischof hat das Recht (die Pflicht) zu wissen, welche Gemeinden wie viel  bekommen. Dazu gehört auch die nötige Transparenz der Priestereinkommen. Dortmund ist bereit, im  Sinne Bischof Simóns für einen Pfarrer in Bambamarca hundert Dollar monatlich auf das von Bischof Simón bei Adveniat eingerichtete Konto zu überweisen.
  • Wenn möglich, sollte aus Bambamarca ein “Haushaltsplan”, ein Kostenvoranschlag für die pastoralen  und  sozialen  Vorhaben der  Pfarrei  nach  Dortmund  geschickt werden.  Ebenso wäre auch ein kleiner Bericht über das abgelaufene Jahr sinnvoll. Dies sind wir auch unseren Spendern gegenüber schuldig.
  • Zwei Sonderprojekte werden von Dortmund weiterhin  gewünscht und unabhängig  von anderen Vorhaben finanziert: Die Campesinoschule „Alcides Vásquez” und die Betreuung der Behinderten und Kranken bzw. deren Transport nach Lima.
  • Weiterhin wäre gut zu wissen, welche Rolle die Schwestern innerhalb der Pastoralarbeit der Pfarrei spielen und wie deren Zusammenarbeit mit dem Komitee, den Katecheten und Taufbeauftragten ist. Ebenso offen ist die Frage, warum es keinen demokratisch gewählten Pfarrgemeinderat mehr gibt und welche Rolle die gegenwärtigen Pfarrverweser Marco Arana und Alex Urbina, beide Pfarrer in Porcón, spielen.

Es soll deutlich werden (auch in Dortmund), dass der Bischofswechsel nicht zuerst als Katastrophe, sondern als Chance zu sehen ist, demokratische Gremien zu stärken, Kompetenzen zu klären, pastorale Perspektiven zu entwickeln und zu überlegen, welchen Weg wir bisher gegangen sind und welchen Weg uns Jesus zeigen will für die Zukunft”.

Es fällt auf, dass nach einer Partnerschaft von über dreißig Jahren die Verantwortlichen in Bambamarca nicht die direkten Adressaten der Gelder waren. Diese mussten vielmehr stets das notwendige Geld von Bischof Dammert erbitten. In vertrauensvollen Gesprächen sagten mir die Campesinos, dass sie sich oft wie Kinder gefühlt hatten, die bei dem Bischof um Almosen betteln mussten. Sie hatten nicht die Verantwortung für das Geld. Auch Rolando Estela, Pfarrer von 198 -1988 in Bambamarca, bestätigte im Nachhinein, dass  diese Tatsache einer weiterer Emanzipation der Campesinos im Wege stand, er selbst war sich  als  Pfarrer damals nicht des Problems bewusst.

So mussten oft von den Campesinos geplante Kurse wegen Geldmangel ausfallen, während im Vergleich dazu die Ordensschwestern „aus dem Vollen schöpfen” konnten (Projekte der Behinderten- und Krankenbetreuung). Ansprechpartner für die Partnerschaft waren zuerst der Bischof, die jeweiligen Pfarrer und die Ordensschwestern. Die Dortmunder beteuerten bei Besuchen und in den seltenen Briefen an die Campesinos, dass diese die eigentlichen Adressaten der Partnerschaft seien, was auch von Herzen ehrlich gemeint war. Doch konnte dies von den Campesinos aus den erwähnten Gründen nicht wirklich geglaubt werden, zumal sie immer wieder erlebt haben, dass bei den Besuchen der Partner die Pfarrer und Ordensschwestern im Mittelpunkt standen und nicht die Campesinos (aus der Sicht  der Campesinos). Umso mehr drängte ich auf eine direkte Geldübergabe in die Hände der Campesinos.

b) In Cajamarca, vor dem Besuch

Vor dem Besuch in Bambamarca konnte ich in vielen Gesprächen sowohl mit ehemaligen Mitarbeitern Bischof Dammerts als auch mit engen Vertrauten Bischof Simóns und mit ihm selbst mir erste Eindrücke verschaffen. Im folgenden wieder ein Ausschnitt aus dem Bericht an Dortmund. „Als ersten konkreten Schritt auf eine direktere Beziehung hin, sollte ich im Auftrag der Pfarrei St. Martin 6.000 Dollar in bar dem Komitee in die Hand übergeben. Ich erfuhr gleich, dass dies Probleme mit sich bringen könnte. Hans Hillenbrand wurde Anfang des Jahres (zufällig?) überfallen und ausgeraubt, als er mit 3.000 Dollar (Spendengelder aus Dortmund) im Bus nach Bambamarca fuhr. Nach dem Ersetzen des Geldes und dessen Übergabe an Don Candelario, erfuhren die beiden Pfarrer aus Porcón von der Geldübergabe und forderten sofort die Herausgabe des Geldes. 1.500 Dollar waren schon ausgegeben. Gehorsam übergab Don Candelario die restlichen 1.500  Dollar den beiden Pfarrern. Von diesem Geld wurde nichts mehr gesehen. Außerdem verschwanden inzwischen verschiedene Gegenstände aus dem Pfarrhaus (Schreibmaschine, Tonbandgerät usw.), die von den beiden Pfarrern mitgenommen wurden, „weil  sie  in  Porcón so arm  sind“.

Ich erfuhr auch, dass beide Pfarrer Hans Hillenbrand kategorisch und ohne jede weitere Begründung verboten hatten, Kurse mit Katecheten auf deren Einladung hin durchzuführen. Für mich war klar, dass ich die 6.000 Dollar an das von Bischof Dammert ernannte Komitee nur unter der Bedingung übergeben konnte, dass das Geld unter keinen Umständen den Pfarrern auszuhändigen sei. Dies wäre in Dortmund auch nicht zu vermitteln gewesen. Die Partnerschaft besteht mit den Armen und deren Anliegen und nicht um Pfarrer zu versorgen. Zumal diese das Geld (vorsichtig ausgedrückt) nicht im Sinne der Spender und erstrecht nicht im Sinne der Campesinos verwenden.

In einem ersten Gespräch mit Bischof Simón am 9.7. sagte er bereits deutlich, dass es in Bambamarca Probleme mit den Laien gäbe. Sie hätten nicht sein Vertrauen und sie würden auch nicht  die  Pfarrer respektieren. Auf die Frage, um welche Laien es sich handele, sagte er, es handele sich bei den Laien vor allem um das von Bischof Dammert ernannte Komitee und um Katecheten im  allgemeinen. In einem zweiten Gespräch am 12. 7. von 8 - 11 Uhr morgens, wurde noch einiges deutlicher.

Der Bischof sagte, dass er Hans Hillenbrand deswegen verboten habe, nach Bambamarca zu gehen, weil dieser eher dazu neigt, die Laien zu bestärken und er das volle Vertrauen der Laien hat. Er ist außerdem ein verheirateter Priester und hetzt deswegen (!) die Campesinos gegen die Pfarrer und den Bischof auf (23). Der Bischof betonte auch auffällig oft, dass er als Bischof der Eigentümer aller Grundstücke und Gebäude in allen Pfarreien sei, also auch der Asistencia, in der die Campesinoschule funktioniert. Ich berichtete ihm von den Vorschlägen, die ich in Bambamarca machen wollte (Haushaltsplan, Bildung des Pfarrgemeinderats, die direkte Zusammenarbeit mit Dortmund). Als ich erwähnte, dass ich in diesem Zusammenhang 6.000  Dollar an das Komitee übergeben wollte, ging er sofort auf diesen Punkt ein. Er schlug vor, das Geld ihm oder seinem Sekretär zu übergeben. Ich erklärte  ihm, dass es mit Sicherheit der Wunsch von Dortmund sei, das Geld nicht dem Bischof zu übergeben und dass wir volles Vertrauen in das von Bischof Dammert ernannte Komitee hätten.

Kurz vor dem Besuch in Bambamarca suchte ich Marco Arana auf, den ich bereits gut kannte, bevor er ins Priesterseminar eintrat. Auch ihm erzählte ich den Grund meines  Besuchs in Bambamarca. Er seinerseits erklärte mir, was er von der ehemaligen Pastoral Dammerts in Bambamarca halte und dass ich ohne seine Erlaubnis nicht Bambamarca besuchen dürfe. Zur Vorbereitung des Besuches hatte ich auch längere Gespräche mit Caritas, dem DAS, Segundo Leíva (mehrere Male  Präsident des Pfarrgemeinderates von  Bambamarca, wichtiger Mitbegründer und Chefredakteur von Despertar) und anderen Schlüsselfiguren der Diözese”.

c) Der Besuch in Bambamarca

Im  Bericht an Dortmund nimmt die Begegnung mit den Menschen von Bambamarca den Hauptteil ein. Im folgenden beschränke ich mich auf einige wesentliche Details, die in den beiden wichtigsten Treffen mit dem erweiterten Komitee und der Asamblea Campesina (Generalversammlung aller Vertreter der Landgemeinden, der Katecheten, Rondas und Frauengruppen) zur Sprache kamen. „Alle zwei Wochen gibt es eine Versammlung der Katecheten, der Taufbeauftragten und der Frauenkomitees, um die Arbeit zu planen und zu koordinieren. Die beiden Pfarrer aus Porcón nahmen bisher nicht daran teil, obwohl sie immer eingeladen wurden. Alle zwei Monate findet eine Versammlung aller Gruppen der Pfarrei statt, darunter Vertreter der Rondas, der Gesundheitshelfer, der Behinderten, der Kulturarbeiter und der Taufbeauftragten.

Der neue Bischof hat diese Versammlung verboten, denn sie kommt auf Einladung der Katecheten zustande und ist daher ‚ungültig’. Diese haben nur einen Auftrag für Katechese (nach Definition des Bischofs: dem Priester beim Gottesdienst zu helfen, die Kerzen anzuzünden etc.). Sie und auch alle anderen Mitarbeiter der Pfarrei müssten auch ‚ordentlich’ verheiratet (von einem Priester, statt einer von Bischof Dammert und Papst Paul VI. erlaubten Tradition) sein, wenn sie für einen Altardienst ausgewählt worden seien (24). 

In der Pfarrei selbst herrscht große Einigkeit: mit den Schwestern und unter allen Gruppen. Keine Einigkeit herrscht mit Marco und Alex, den beiden Pfarrverwesern. Diese sagen: ‚Wir gehen nicht aufs Land, denn wir wollen keine unnützen Kräfte vergeuden und unsere Gesundheit  ruinieren. Außerdem bekommen wir noch nicht einmal Geld dafür’. Marco:  ‚Für eine Partnerschaft mit Dortmund muss erst eine Erlaubnis vom Bischof vorliegen’. Er sagte, dass Bischof Simón den direkten Kontakt zwischen Pfarreien verboten hat. Ich erklärte dann, dass Bischof Simón auf einem Treffen in Deutschland sagte, dass er partnerschaftliche Kontakte begrüße, aber verständlicherweise davon wissen wolle. Und ich fügte hinzu, dass es keinen Grund gäbe, an den Worten des Bischofs zu zweifeln.

Die Rondas haben immer noch die gleichen Probleme wegen der Regierungspolitik. Einige Ronderos wurden verhaftet, zwei sind immer noch im Gefängnis. Aber die Situation entspannt sich, der Staatsanwalt hat um seine Versetzung  gebeten. Es taucht immer wieder die Frage auf, ob Katecheten auch verantwortlich an der Ronda teilnehmen und ob Ronderos auch Katecheten sein dürfen. Einhellige Meinung hier vor Ort ist, dass aktive, verantwortliche Teilnahme an den Rondas aus einem engagierten Christentum heraus erwächst und dass christliches Engagement nicht zu trennen ist vom Einsatz für die Gemeinschaft und für mehr Gerechtigkeit. Bischof Simón sagte bei seinem ersten Besuch in Bambamarca, die Rondas seien illegal, sogar kriminell. Marco und Alex sagen dasselbe. Die kirchliche und soziale Organisation der Campesinos wird offensichtlich vom Bischof nicht anerkannt oder  erkannt - also was tun?  

Meine Vorschläge im Namen Dortmunds stießen auf große Zustimmung (Pfarrgemeinderat, Pastoralplan, Haushaltsplan, etc.). Der Grundgedanke ist  klar: in Zeiten der Bedrängnis von außen ist ein demokratisches Gegengewicht  von unten wichtiger denn je. Auch Dortmund muss umdenken, d.h. pastoral mehr mitdenken, begleiten, auch kritisch. Hauptadressat muss die Pfarrei sein (ihre gewählten Vertreter), Sonderüberweisungen an die Schwestern nur mit dem Wissen aller Gruppen. Umgekehrt ist eine zentrale, koordinierte Information nach Dortmund notwendig.

Das Hauptziel aller gemeinsamen Bemühungen darf dabei nicht aus dem Blickgeraten: Kirche werden, Kirche sein; eine Pastoralarbeit im umfassenden Sinne, ausgehend von der befreienden Botschaft Jesu und ausgehend von den Bedürfnissen eines Volkes, das Hunger hat - Hunger nach Brot und Hunger nach Gott. Auf der Asamblea Campesina wurde ich gebeten, einige Worte an die Versammlung zu richten. Stichworte dieser Ansprache waren: die  spirituelle Ebene ist  sehr wichtig, Geschwisterlichkeit als Leitmotiv; die  theologische Dimension von Partnerschaft, nämlich mit den Armen näher bei Gott zu sein und umgekehrt; Brotteilen innerhalb der Kirche als Grundsakrament der Gegenwart Gottes usw. Für viele Anwesende ein immer wieder neuer und ermutigender Gedanke: sie können uns helfen, wir brauchen sie, um wahre Christen zu sein.
 
In den nächsten Wochen stehen drei wichtige und entscheidende Ereignisse bevor: die Vorbereitung des diözesanen Katechetentreffens (acht Delegierte aus Bambamarca), die Diözesanversammlung (ebenfalls acht Delegierte) und der Bischofsbesuch vom 9.-13.8. Dieser Besuch wurde vorbesprochen. Es soll mit Festigkeit die eigene Linie vertreten werden, werbend, nicht die Konfrontation suchend. Der missionarische Gedanke (ausgehend vom eigenen Glaubenszeugnis und einer Erfahrung der Nähe Gottes) soll mit im Vordergrund stehen. Das Motto (und Hoffnung): Auch Bischöfe können lernen und sogar bekehrt werden durch den Glauben der Armen. Konkret  wurden  noch  die  einzelnen  Vorhaben diskutiert und beschlossen.

Ein Pastoralplan und ein Haushaltsplan soll nach Dortmund geschickt werden. Und wenn der Bischof gegen alle Pläne ist? Dann darf man ihn an seine eigenen Worte erinnern und an Beschlüsse der peruanischen Bischofskonferenz bezüglich der Partnerschaft. Niemand kann uns verbieten, bestimmte Dinge zu finanzieren und erstrecht nicht, freundschaftliche Kontakte mit  den Menschen der Pfarrei Bambamarca zu schließen. Hauptziel ist, in aller Treue die Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils, von Medellín etc. weiterzuverfolgen. Das, was gesät wurde, muss weiterwachsen.

Fazit: In Bambamarca gab es einige Verunsicherung über den weiteren Weg der Pfarrei und der Partnerschaft mit Dortmund. Nun aber gibt es klare Perspektiven,  eine  neue Motivation und eine große Hoffnung. Die Partnerschaft wurde auf eine neue Grundlage gestellt, sie muss sich aber immer wieder neu bewähren”.  

d) Wieder in Cajamarca, nach dem Besuch:

„Am Rande der Diözesanversammlung wurden Delegierte aus Bambamarca, u.a. Don Neptalí und Don Asiclo, zu einem Gespräch mit Bischof Simón und Marco Arana zitiert. Ergebnis des Gesprächs: die Delegierten verließen weinend das Gespräch. Es ging auch um die 6.000 Dollar, die ich unter konspirativen Umständen und angeblich im Auftrag von Bischof Dammert (!) nach Bambamarca gebracht hatte. Das Geld muss sofort herausgegeben werden. Allein der zuständige Pfarrer kann das Geld verwalten. Die Campesinos hätten das Geld auch bisher nur veruntreut. Auf der Diözesanversammlung  (auf der ich natürlich nicht anwesend war), wurden Hans Hillenbrand und ich von Marco Arana und einigen anderen Priestern beschuldigt, eine Sekte in Bambamarca gründen zu wollen, die Leute gegen die Kirche aufzuhetzen und von Deutschland aus in  Kolonialherrenmanier die  Campesinos  zu  manipulieren. Jetzt  sei aber endlich die Zeit gekommen, um wieder für klare Verhältnisse in Bambamarca und der ganzen Diözese zu sorgen.
 
Am 4. August kam es zu einem langen Gespräch (vier Stunden) zwischen Bischof Simón, Marco Arana, Lorenzo Vigo (San Pedro), Padre Dávila (Generalvikar) und mir (25). Neben einigen grundsätzlichen und verschiedenen Ansichten zur Partnerschaft ging es auch um Bambamarca und den Bischofsbesuch in Bambamarca vom 9. - 13. August. Laut Marco Arana sollen nun endlich ‚Köpfe rollen’. Er kündigte an, gegen die verantwortlichen Laien der Pfarrei öffentlich Anklage zu erheben wegen der Veruntreuung von Geldern und wegen  Aufhetzung des Volkes gegen Kirche und öffentliche Ordnung (als ich ihn erinnerte, dass die letzte Anklage schon einmal gegen jemand erhoben wurde, der daraufhin gekreuzigt wurde, ging er nicht darauf  ein). Die  bisherigen  Katecheten sollen abgelöst und das Komitee aufgelöst werden. Statt dessen soll ein neuer Pfarrgemeinderat bestimmt (nicht gewählt) werden, in dem acht bis zehn Vertreter aus der Stadt sitzen sollen. Aber auch ein Vertreter der Campesinos (knapp 100.000) darf im Rat vertreten sein.

Als ich Bischof Simón fragte, ob das alles mit seinem geplanten Pastoralbesuch zu vereinbaren sei, sagte er ja. Erst müssten durch Marco die ‚Dinge geklärt werden’, dann wird er für Frieden sorgen und dem Durcheinander ein Ende bereiten um so die Grundlagen für einen Neuanfang zu schaffen. Das sei schließlich seine Pflicht als Bischof und deshalb (!) sei er nach Cajamarca geschickt (!) worden”.

e) Wieder in Deutschland, erste Reaktionen aus Bambamarca


Wieder aus dem Bericht: „Verständlicherweise hatten wir große Befürchtungen wegen der angekündigten Maßnahmen, gleichzeitig aber auch Zuversicht in die Kraft des Glaubens der Armen. Bereits am 20. August traf ein Brief des Komitees ein, in dem sinngemäß steht: Bischof Simón wurde von der Landbevölkerung überaus herzlich empfangen. Tausende Campesinos hießen ihn willkommen in ihrer Mitte und sie luden ihn ein, mit ihnen zu gehen.

Der Bischof war überrascht und überwältigt von dem Empfang. ‚Die beiden Pfarrer klagten uns öffentlich  der schlimmste  Dinge an, aber ohne Erfolg. Alle Campesinos sprachen uns das Vertrauen aus und so blieb auch Bischof Simón nichts anderes übrig, als uns vor der Riesenmenge öffentlich zu bestätigen. Wir haben einen Pfarrgemeinderat eingerichtet, in dem die Campesinos in der Mehrheit sind, ebenso ein Finanzkomitee, das die Gelder verwaltet, in dem wir ebenfalls in der Mehrheit sind. Wir sind zuversichtlich, wie mit Willi besprochen, unsere Vorhaben in die Tat umsetzen zu können’. (Am Rande: die 6.000 Dollar wurden auch nicht den Pfarrern übergeben).

Obwohl noch einiges offen bleibt, lässt sich vielleicht schon folgender Schluss ziehen:  Den Campesinos ist es gelungen, durch ihre Herzlichkeit, durch ihr Vertrauen in ihre Kraft und ihren Glauben an Gott, der sie begleitet, eine starke Gemeinschaft zu werden. Sie stehen zur Kirche, denn die Kirche ist für sie die Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Messias glauben. Sie wissen um ihren Weg und sind voller Hoffnung, dass Bischof und Pfarrer mit ihnen gehen. Sie wünschen sich ‚Gute Hirten’. Sie zeigen uns auch, dass nicht Verweigerung des Dialogs, sondern Offenheit und gegenseitiger Respekt letztlich  unter Christen selbstverständlich sein sollten. Die Ergebnisse des Bischofsbesuches in Bambamarca lassen die Hoffnung zu, dass Bischof Simón sich mit auf den Weg macht (zumindest  den  Weg  nicht blockiert). Lasset uns gemeinsam gehen”! (26).

Im September 1993 wurde der irische Priester Demetrio Byrne zum Pfarrer von Bambamarca ernannt. Er war schon als Laienbruder Anfang der achtziger Jahre in Bambamarca. Alberto Osorio (im Sommer 1993 für einige Monate zu Besuch in Bambamarca wegen seiner Diplomarbeit über „30 Jahre Pastoral in Bambamarca”) schreibt am 23. September nach Dortmund: „Ich schreibe Euch in großer Freude, wir haben nämlich in Bambamarca einen neuen Pfarrer. Es ist Demetrio Byrne, der bereit ist, den Katecheten seine Unterstützung zu geben und den bisherigen pastoralen Weg mit den Campesinos  fortzusetzen”. Bambamarca wurde eine Verschnaufpause gewährt - möglicherweise auch nur aufgrund der Feigheit von Bischof Simón.

Bischof Simón hat den Widerstand der Kirche von Bambamarca unterschätzt. Nachdem er zuerst in einem ersten Anlauf versucht hatte, Bambamarca einzunehmen, musste er nun feststellen, dass es klüger sei, erst in der übrigen Diözese „für Ordnung zu sorgen”. Mit Padre Demetrio, der das Vertrauen der Campesinos  besaß, konnte für die folgenden drei Jahre tatsächlich die bisherige Arbeit fortgesetzt werden. Er war aber nicht ein Priester, der dem Bischof offen Widerstand leisten konnte und wollte. In Briefen der Schwestern nach Dortmund wird immer wieder erwähnt, wie gut Demetrio mit den Campesinos arbeitet, aber wenn er von einem Gespräch mit dem Bischof aus Cajamarca  zurückkehre, sei er immer sehr niedergeschlagen, wortlos und traurig. Er redete nicht über seine Gespräche mit dem Bischof. Bald zeichnete sich ab, dass er nicht für längere Zeit dieser Aufgabe gewachsen war (prophetisch auf der Seite der Campesinos zu stehen) und er sich bald zurückziehen würde. Bischof Simón rechnete damit. Ende 1996 war es soweit. Am 17. März 1997 verließ Padre Demetrio offiziell die Pfarrei und kehrte nach Irland zurück.

Der zweite Versuch: der Auftrag der beiden neuen Pfarrer

Am 19. März 1997 wurden Abel Mego y Eleuterio Vásquez, Priester aus der Prälatur Chota, zu Pfarrer von Bambamarca ernannt. Beide wurden im Priesterseminar von Chiclayo auf das Priesteramt  vorbereitet. Dieses Seminar ist  bekannt als Seminar des Opus Dei. In einem Gespräch mit ehemaligen Klassenkameraden erzählte Pfarrer Abel Mego, warum er nach Bambamarca geschickt wurde. Er habe dort den Auftrag, die Kirche wieder aufzubauen, die in den letzten dreißig Jahren nicht in Bambamarca präsent gewesen sei. Die Pfarrer von Bambamarca hätten sich vor allem den Rondas gewidmet und sich damit illegaler politischer Aktivitäten gegen die Regierung schuldig gemacht. Die Campesinos hätten sich über die Gottesmutter Maria lustig gemacht, sie lebten in wilder Ehe und würden die Sakramente der Kirche verachten. Diese Aussagen, die dem ehemaligen Pfarrer von Bambamarca, Rolando  Estela und den Schwestern in Bambamarca weitererzählt wurden, stimmen mit dem überein, was dann auch tatsächlich von den beiden Pfarrern in die Wege geleitet wurde. Ihr Auftrag ist, alles zu zerstören, was in dreißig Jahren unter Bischof Dammert gewachsen ist.

Über ein Jahr später schreibt Don Neptalí an die Gemeinde in Dortmund (Brief vom 8. 6. 98): „Wir  haben uns überlegt, wie wir unsere Arbeit fortsetzen können, wenn unsere Arbeit, die wir 34 Jahre gemacht haben, nichts mehr wert sein soll, wenn gesagt wird, dass die Kirche in der Diözese in den vergangenen dreißig Jahren eingeschlafen ist und dass wir jetzt ‚neu geboren werden müssen, um das Apostolat des Gebetes zu bilden‘. Zwangsweise müssen wir auf dem Boden knien und zum Himmel schauen, um die Wirklichkeit  nicht mehr zu sehen“.

In einem Fax (aus Cajamarca)  von Concepción vom 8. 6. 98 heißt es: „Nach dreißig Jahren Pastoralarbeit gibt es wegen der Padres einengroßen Wechsel, anstatt vorwärts geht es rückwärts. Ab Januar 1998 hat Bischof Simón uns verboten zu taufen. In den Kursen der Priester muss man knien und weinen, weil wir Sünder sind. Ihre ganze Arbeit basiert auf den Sakramenten: der Schwerpunkt liegt auf dem Sakrament der Ehe und der Beichte. Das ‚soziale‘ Werk der Pfarrer besteht darin, mit Lebensmittel die Leute zu gewinnen. Es gibt ein monatliches Gelübde: nämlich jeden Monat zu beichten um die Kommunion  in Würde empfangen zu können. Die Haupttugenden sind  Gehorsam und das Ausüben  des Apostolats.  Die Pfarrer versuchen einige von uns dafür zu gewinnen, die Comunidad von der Herrschaft der Priester zu  überzeugen, von der Notwendigkeit der Beichte etc. Wer nicht mitmacht, gilt als ungehorsam“.

Von den Frauengruppen,den Katecheten und der mit ihnen zusammenarbeitenden Ordensschwestern wurde mir die Situation im Spätsommer 1998 während eines  Besuches in Bambamarca wie folgt  geschildert: Die kirchlichen Gruppen der Gemeinde Bambamarca waren wegen der Haltung ihrer Partnergemeinde St. Martin in Dortmund stark verunsichert. Denn Dortmund überwies Spenden an ein Komitee, das inzwischen ausschließlich von den Pfarrern kontrolliert wurde. Mit diesem Geld wurden die Gehälter der drei (danach vier) Pfarrer und zwei weitere Gehälter für deren Helfer bezahlt. 

Der größte Teil der Gelder wurde  aber für einige städtische Jugendliche verwendet, die zur Weiterbildung nach Lima geschickt wurden, wo sie Kurse Opus Dei - naher Organisationen besuchten, das Opus erscheint im Vergleich dazu als eine liberale Organisation (27). Es bestand vorher ein Komitee aus vier Personen, dem verantwortlichen Pfarrer, einer  Ordensschwester und zwei Katecheten. Dortmund überwies das Geld an dieses Komitee mit der Absicht, weiterhin eine „Kirche mit Poncho und Sombrero“ zu unterstützen. Um guten Willen zu beweisen und um nicht mit den Pfarrern und Bischof Simón  zu  brechen,  sollten davon auch an zwei Priester  Gehälter bezahlt werden. Ihrerseits hatten die beiden Pfarrer den Besuchern aus Dortmund versprochen, dass die  Katecheten in ihrer Arbeit freie Hand hätten und ihre bisherige Arbeit fortführen könnten.

Inzwischen waren aber die Campesinos aus dem Komitee verdrängt worden. Als die Katecheten diese und andere Nachrichten nach Dortmund per Brief übermitteln wollten, wurde in der Nacht in das im Kurszentrum reservierte  Zimmer für die Leiter der Katecheten (die Vetrauensleute der Partnergemeinde) eingebrochen, der Brief und andere Gegenstände entwendet, die Schlösser ausgetauscht und ein Hausverbot für die Katecheten ausgesprochen. Dieses Haus, die „Asistencia“, wurde 1965 mit Geldern von Misereor  finanziert. Hunderte von Campesinos halfen  freiwillig  bei  dem Bau. Es war das Zentrum fürKurse,Treffen, Versammlungen etc. - es war das Haus der Campesinos. 1998 sagten die verantwortlichen Campesinos: „Die Asistencia wurde für die Arbeit mit den Armen und von den Armen gebaut und nicht dafür, die Armen mit Hilfe der Religion auszubeuten“ (28).

Dortmund erfuhr nichts von den Vorgängen in der Asistencia. In vorausgegangenen Briefen der  Katecheten  an  Dortmund wurden die Veränderungen durch die Priester,  die  seit  dem 1.März 1997 in Bambamarca sind, sehr vorsichtig  angesprochen. Deswegen glaubten  die Katecheten, dass Dortmund  sich eigentlich hätte denken können, was nun in der Pfarrei los sei. Und deswegen verstanden sie nicht, dass Dortmund weiterhin Geld an die Pfarrer überweist. Da zudem während des Besuches einer Delegation 1997 aus St. Martin (mit dem Pfarrer von St.  Martin) die Campesinos  den Eindruck hatten, die  Besucher würden fast nur mit den damals noch neuen Pfarrern Kontakt  haben wollen,begannen sie an der Solidarität  der Partner zu zweifeln.

Dies führte gar zu der Aussage, „besser gar keine Partnerschaft, als diese Partnerschaft. Denn von Dortmund wird nun alles finanziert, was zur Zerstörung dessen führt, was in dreißig Jahren aufgebaut wurde“. Die  Dortmunder hingegen vertrauten den Abmachungen, die sie mit den Pfarrern während des Besuches getroffen hatten. Sie konnten  sich schlicht  nicht vorstellen, dass die  Pfarrer derart mit  den Campesinos umgehen würden, wie dies dann tatsächlich geschah. Während des Besuches 1997 war es ihre Absicht, die Pfarrer (und  den  Bischof) von der Notwendigkeit  einer Landpastoral, wie sie seit 1962 begonnen wurde, zu überzeugen. Und dies könne man nur erreichen, wenn man Kontakt hielte und nie die Hoffnungverliere, dass auch ein Bischof bekehrt werden könne - so die Hoffnung der Dortmunder.

Nachdem man in Dortmund im Herbst 1998 aus erster Hand erfahren hat, wie es wirklich in Bambamarca  aussieht, wurden sofort alle Zahlungen an das „Komitee“ eingestellt. Die Zweifel der Gruppen in Bambamarca wichen neuer Zuversicht. Aus einem Brief von Concepción am 19.11.98 an mich zur Weitergabe an Pfarrer Alfons Wiegel: „Wir arbeiten weiterhin sehr begeistert weiter. Wir lassen uns auch dadurch nicht entmutigen, dass sie uns die Türen verschließen und uns das Leben unmöglich machen. Aber zum Glück fühlen wir uns nicht allein gelassen. Denn wir haben diesen moralischen Beistand, die spirituelle, soziale und wirtschaftliche Unterstützung, die uns wahrlich sehr ermutigt. Besonders wird dies deutlich in Ihrem letzten  Brief, wo Sie uns mitteilen, dass es keine weitere Unterstützung mehr für die Priester und auch den Pfarrsekretär geben wird. Es war immer schwerer geworden, als Katecheten mit den Priestern zusammenarbeiten zu können“.


Schlusswort

In einem Brief vom 30. Mai 1999, den sie als Begleitschreiben für die Antwort auf den Fragebogen beigelegt hatten: „Wir halten es für sehr wichtig, uns diesen Fragen zu stellen und sie zu beantworten. Sie wurden mit  dem Ziel ausgearbeitet, unsere Einstellungen und Überzeugungen kennen zu lernen und offen zu legen, um auf diese Weise ein Dokument zu erstellen, das unsere Arbeit und unsere Mühen nicht in Vergessenheit geraten lässt”.
(siehe: „Gemeinsam auf dem Weg, Teil I, Die Stimme der Campesinos“)

Willi Knecht, im August 1999 (letztes Update im Dezember 1999, nach einem erneuten längeren Aufenthalt in Bambamarca )

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Anmerkungen

(1) Entgegen einer  weit verbreiteten Meinung waren die Dokumente von Medellín nicht der Auslöser für eine befreiende Pastoral (und Theologie), sondern sie waren die logische Schlussfolgerung aus den Erfahrungen einer bereits vorhergehenden befreienden Praxis, wie sie insbesondere die Bischöfe Dammert, Proaño (Riobamba) und Camara (Recife) in ihren Diözesen angestoßen und vorgelebt hatten.

(2) Die Bezeichnung (gringo/a, der „von außerhalb“, der Weiße) ist als Verkleinerungsform meist als Ausdruck von Sympathie zu verstehen. Als Gringos werden von den Campesinos nicht nur Ausländer, sondern mitunter auch Menschen von der Küste, besonders von Lima, bezeichnet.

(3) Der „Machismo“ (Definition des Menschseins vermittels sexueller männlicher Potenz und Herrschaft über die Frauen) ist unter den Campesinos mindestens genau so stark, wie im übrigen Teil der peruanischen Bevölkerung. Doch ist dieser Machismo kein „indianisches Erbe“, sondern Ergebnis einer „Entkulturisierung“ durch die europäisch-christliche Dominanz, besonders  in seiner spanisch-lateinischen Variante, der in einer „Vergöttlichung“  der reinen Jungfrau (Maria) seine notwendige Ergänzung erfährt.

(4) Die Akzeptanz der Marienverehrung unter den Campesinos beruht vor allem auf der für Campesinos notwendigen Vorstellung einer weiblichen Gottheit, der Mutter Erde, die den Menschen alles schenkt, was sie zum Leben brauchen. Doch im Unterschied zur bisherigen Verehrung der „weißen“ Himmelskönigin, in der die ursprüngliche indianische Vorstellung bis aufs Äußerte (zweck-) entfremdet wurde, ist die Entdeckung von Maria als „Bauernmädchen“ ein Beitrag zur Wiedergewinnung der eigenen Identität. Maria, das Symbol für die Mutter Erde, schenkt durch ihre Hingabe den Armen, was diese zum Leben brauchen: Gerechtigkeit und Befreiung.

(5) Señorita (Fräulein) ist in Peru (im Gegensatz zur deutschen Moderne) ein positiv besetzter Begriff; im Zweifelsfall wird eine Frau mit Señorita angesprochen, auch ältere nichtverheiratete Frauen legen darauf Wert.

(6) Die Aussagen von und über Barbarita beruhen auf der Befragung durch Mitarbeiter des Instituto Bartolomé de Las Casas im Frühjahr 1997, sowie aus einer persönlicher Zusammenarbeit des Autors seit 1977 mit den Betroffenen. Dies betrifft im folgenden auch die Aussagen über Don Candelario, Don Neptalí und Don Concepción.

(7) Die folgenden Zitate von und über Bischof werden in diesem Rahmen nicht einzeln belegt. Eine Auswahl von Texten wurde veröffentlicht in „25 años al servicio de la iglesia“, CEP - Lima,1983. Eine Auswertung aller Schriften, Briefe usw. von 1958 bis 1999 von Bischof Dammert ist in Vorbereitung.

(8) Nähere Informationen zu Cajamarca, siehe Artikel: „Cajamarca - eine Diözese in den Anden Perus“.

(9) Zur Problematik Stadt - Land und der jeweils dazu gehörenden Religion, siehe: „Die Stimme der Campesinos".

(10) Don (a) ist die übliche, respektvolle Anrede für Campesinos. Ausländer (auch aus Partnergemeinden) und Städter respektieren dies nur sehr vereinzelt. Ebenso pflegen diese die Unsitte, Campesinos zu duzen. Untereinander duzen sich die Campesinos auch nicht, ausgenommen längere Freundschaften und Jugendliche.

(11) Die genannten Katecheten stehen in der Folge repräsentativ für alle Katecheten.

(12) Über die Rolle ausländischer Mitarbeiter an der jeweiligen Entwicklung bzw. die Rolle peruanische Fachkräfte wird bis heute sehr emotional diskutiert. Es passt nicht in das Weltbild (politische Korrektheit), europäischer „Experten“ oder "Experten" aus Lima, dass „reiche“ Ausländer entscheidende Anstöße für das Selbstbewusstsein der Armen geben können. Auch hier ist es ratsam, dieses Urteil den Campesinos selbst zu überlassen.

(13) Die Bibelarbeit „protestantischer Sekten“ führte in der Regel nicht zu einer Veränderung der Situation bzw. zu einer Neuentdeckung der Menschenwürde und Menschenrechte. Sie führte in der Praxis eher zu einer Bestärkung und Zementierung bestehender Gewaltstrukturen, vor allem wegen der Betonung der „Rechtfertigung allein aus dem Glauben“ (menschliche Ergebenheit, Erduldung und Passivität), der Lehre vom nahenden Ende der Welt, verbunden mit der  Angst vor der Hölle und der Lehre von den „zwei Reichen“, die - laut traditioneller protestantischer Lehre - nichts miteinander zu tun haben. Innerhalb eines von interessengeleiteten Menschen errichteten Rahmens von Gewalt und Sünde wirkt eine reine Predigt von der „allein selig machenden Gnade“ oder anderer Worthülsen bestenfalls zynisch (vgl. auch die Zeit der Bauernkriege, die Beispiele „bibeltreuer“ Siedler - Puritaner - in Nordamerika, bis hin zu den Ereignissen in Ruanda, dem christlichsten Land Afrikas). Der Streit um die Rechtfertigungslehre und die nun erzielte „Einigung“ ist angesichts der Situation der Campesinos (und der Mehrheit der Menschheit) aus der Sicht der Campesinos - denn es wurde ja implizit auch in deren Namen verhandelt und gehandelt - zu werten.

(14) Coca und Bibel hatten zu  Zeiten der spanischen Herrschaft (und danach) oft die gleiche Zweckbestimmung. Davon unabhängig ist festzuhalten, dass das Kauen von Coca nicht zur Sucht führt und Coca bis heute offen auf  Campesinomärkten gekauft werden kann. Coca war eine heilige Pflanze der Inkas und ist Bestandteil einer Jahrtausende alten Kultur. Erst durch den Missbrauch durch die Europäer, die z.B. den Minenarbeitern Coca gaben, damit diese länger arbeiten und den Hunger leichter ertragen konnten, geriet der Genuss von Coca ins Zwielicht.

(15) Diese Medienstelle (Sonoviso) wurde vom neuen Bischof von Cajamarca als „subversiv“ bezeichnet und wird folglich nicht mehr als kirchlich anerkannt. Sonoviso und die ehemals diözesane Druckerei mussten „über Nacht“ aus dem für diesen Zweck mit deutschen Spendengeldern gekauften Gebäude ausziehen. In  dem sehr großen Gebäude sind heute vier Schwestern eines kontemplativen Ordens untergebracht.

(16) Trotz aller Aufbrüche blieb ja der bisherige politisch - wirtschaftliche Rahmen (vorerst) bestehen. Auf der Hazienda Chala mussten Tagelöhner für die „Pacht“ eines winzigen Stückchen Land als Gegenleistung 19 Tage im Monat kostenlos das Land der Hazienda bearbeiten, 12 - 16 Stunden am Tag. Kinder ab acht Jahren mussten ebenso mitarbeiten (Ställe ausmisten, Korn auslesen, Wasser tragen usw.), ebenso die Frauen. Mangelnder Arbeitseifer wurde mit brutaler Gewalt bestraft. Selbst „freie“ Campesinos mussten z. B. als „Pächter“ 100 Tage im Jahr kostenlos für die Hazienda arbeiten, dazu noch einen Teil der Ernte abliefern und der Luxus, ein Ochsengespann zum Pflügen auszuleihen, kostete noch einmal extra zehn Tage Arbeit auf der Hazienda.

(17) Die Kooperative brach im Laufe der 80er Jahre zusammen. Neben einer Veränderung der politisch -wirtschaftlichen  Rahmenbedingungen trug zum Scheitern der Kooperative bei, dass eine winzige Minderheit  der Campesinos in der Leitung der Kooperative auf ihren eigenen Vorteil bedacht war und ihnen von Bischof, Pfarrer und Kirchengemeinderat nicht Einhalt geboten wurde (auch aus ideologischen Gründen, nach denen Außenstehende, erstrecht Ausländer niemals Campesinos hinauswerfen dürfen).

(18) Bischof Simón, sein Nachfolger, erklärte beim Abschiedfest Dammerts öffentlich: „Es ist mir bewusst, wie schwer es ist, diesen so sehr geliebten Pastor zu ersetzen. Ich habe aber keine Furcht. Ich kann und will nichts von all dem enttäuschen, was dieser große Verteidiger der Armen geleistet hat“. (Was er in Wirklichkeit dann getan hat, siehe im folgenden Abschnitt).

(19) Die folgenden Ausführungen basieren auf den übereinstimmenden mündlichen Berichten der bis dahin verantwortlichen Männer und Frauen der Pfarrei Bambamarca, insbesondere der versammelten Katecheten.

(20) Victorino Guerra, seit 1993 Pfarrer in Tembladera (siehe Partnerschaft Tembladera- Herzogenaurach)

(21) Die Campesinos hatten den Eindruck, dass der Besuch immer zuerst den Pfarrern galt. Sie selbst hatten nicht den Eindruck, dass man von ihnen wissen wollte, was in der Pfarrei geschieht (Aussagen von 1993).

(22) Siehe „Gemeinsam auf dem Weg - Die Partnergemeinden stellen sich vor“. Marco Arana bedauert heute (1999) sein damaliges Verhalten, er ließ sich eigenen Aussagen von Bischof Simón blenden (siehe Anmerkung 23 a.a.O.)

(23) Historischer Kontext: Im Mai 1978 wird eine Versammlung der Campesinos von eingeflogenen Militärs umzingelt, das Feuer wird eröffnet, es gibt einen Toten und mehrere Schwerverletzte. Führenden Katecheten der Pfarrei werden verhaftet. Hans Hillenbrand wird ebenfalls verhaftet und als „Anstifter” der Unruhen in Lima gefangengehalten. Damals lautete die Begründung: Campesinos sind im Grunde geduldig und friedlich, sie brauchen eine starke Hand, Kinder eben. Und wenn sie doch einmal protestieren, dann sind neben Ausländern und Kommunisten vor allem Expriester daran schuld.

(24) Zur Frage der Gültigkeit einer Ehe und der Ausschaltung der Katecheten, weil sie nicht verheiratet seien, siehe auch den Beitrag von St. Georg.

(25) Siehe auch den Bericht der Gemeinde St. Georg, in dem weitere Passagen dieses Gespräches zitiert werden.

(26) In den “Informationen aus Cajamarca”, Nr. 60, im November 1993, erscheint unter dem Titel „Lebendige Gemeinde” neben einigen technischen Details von dem gesamten Bericht lediglich der kursiv geschriebene Text. Die  grundlegenden Veränderungen in Bambamarca und in der Diözese und die damit verbundenen Herausforderungen werden nicht in ihrer wahren Dimension erkannt (bzw. sie werden verdrängt). Nicht die Stimme der Campesinos hat oberste Priorität, sondern die Sorge um mögliche Spendenverluste steht an erster Stelle.

(27) Es handelt sich um das Sodalitium, die Bewegung Juan XXIII (!) und das Neukatechumenat, jeweils in ihrer speziellen peruanischen Ausprägung. So wird häufig von Mitgliedern (u.a. Priestern) der Bewegung Juan XXIII die  Mitarbeit von Frauen in der Katechese, z.B. in der Firmvorbereitung, mit der Begründung verweigert, sie dürfen als Frauen nicht die Bibel in die Hand nehmen, weil sie als Frauen schließlich unrein seien. Eine theologische Auseinandersetzung erscheint auf dieser Ebene nicht mehr möglich. Bischof Simón fördert diese Bewegungen. Er ist besonders im Neukatechumenat engagiert. In der Diözese Cajamarca gewinnt vor allem die Bewegung Juan XXIII an Bedeutung.

(28) Inzwischen dürfen auch die Frauengruppen nicht mehr in das „Haus der Campesinos“. Es wird gebraucht, um „retiros“ - eine Art Exerzitien - von Juan XXIII abzuhalten. Die Campesinoschule Alcides Vásquez unter Leitung der Schwestern ist noch in der Asistencia. Das Generalkapitel der „Herz - Jesu - Schwestern (Sacre Cœur) hat die Schwestern von Bambamarca bestärkt und autorisiert, „mit allen Mitteln“ für die Schule zu kämpfen.