Vorbemerkung (2006): Bischof Georg Moser war verhindert. Im Mittelpunkt der Misereoraktion standen Peru und Bolivien. Ich hatte schon öfters mit Misereor zusammen gearbeitet, ebenso war ich in der Diözese wegen vieler Vorträge, Seminare und auch meiner Ausstellung „Kirche der Befreiung“ bekannt. Darum bat man mich die Predigt zu übernehmen, entsprechend dem Thema der Fastenaktion von 1987: „Hunger nach Gerechtigkeit“.

- Im Anschluss das Grußwort von Bischof Moser und sein Dankesbrief an mich -

Predigt aus Anlass der zentralen Eröffnung der MISEREOR - FASTENAKTION der Diözese Rottenburg - Stuttgart in Wasseralfingen am 8. März 1987.

Liebe Gemeinde:

Wir feiern zusammen die Eucharistie. Wir gedenken des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Wir sagen Dank dafür, dass Jesus uns durch seinen Hingabe ein neues Leben ermöglicht und uns den Weg zeigt. Wir nehmen in dieser Feier die endgültige Gemeinschaft aller Menschen untereinander und mit Gott vorweg. Das ist unser Ziel, unsere Berufung.

Das biblische Bild dazu: Hochzeitsmahl, Tischgemeinschaft mit denen, denen ansonsten der Zugang zum Tisch und damit zum Brot des Lebens verwehrt wird. Dies ist das zentrale Sakrament unseres Glaubens. Kennzeichen dieser Tischgemeinschaft ist das Miteinanderteilen von Brot und Wein, d.h. all dessen, was wir zum Leben brauchen. Die Jünger von Emmaus erkennen den auferweckten Christus erst, als er mit ihnen das Brot teilt. In einer Gemeinde, in der das geschieht, ist der lebendige Christus gegenwärtig, es ist Auferstehung spürbar, neues Leben.

Die Gemeinde Jesu Christi sind aber nicht nur wir, die wir hier versammelt sind. Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Christus glauben. Alle Menschen sind zum Tisch des Herrn, zur Hochzeitsfeier geladen. Wir können hier nur Eucharistie feiern, wenn wir das im Namen der gesamten Kirche, der Gemeinschaft aller Gläubigen in aller Welt tun. Wir leben aber in einer Welt, in der 1/8 der Menschheit 7/8 aller irdischen Güter für sich allein verbraucht - ja diese sogar mit Gewalt an sich reißt. Wir leben gleichzeitig in einer Welt, in der alle Güter für alle Menschen bei weitem ausreichen würden.

Was heißt nun Eucharistie feiern? Wie können wir uns gemeinsam mit denen an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrig bleiben, die von unserem überreich gedeckten Tisch fallen? Wir können nicht miteinander Eucharistie feiern, während oder falls wir gleichzeitig bemüht sind, unseren schon üppig gedeckten Tisch noch üppiger zu decken – und dafür in Kauf nehmen, dass immer mehr Menschen verhungern. Christlicher Glaube zeigt sich darin, dass wir im Namen Gottes und in der Nachfolge Jesu das Brot, die Früchte der Erde, unser Leben miteinander teilen. Das bedeutet Umkehr, sich auf den Weg machen, auf ein Ziel hin zu arbeiten, das Jesus das Reich Gottes nennt - einen Zustand, wo allein Liebe und Gerechtigkeit herrschen. Und dies ist keine Utopie! Dies nicht für möglich zu halten hieße, dass Jesus umsonst gestorben ist und dass Gottes Schöpfung in einer Katastrophe endet.

„Gemeinsam den Weg der Hoffnung gehen“, das war das Thema der letztjährigen Fastenaktion. „Hunger nach Gerechtigkeit“ heißt das Thema der diesjährigen Fastenaktion. Beide Themen beinhalten eine Grundaussage der Bibel, des AT und des NT: Wir machen uns mit Gott auf den Weg, weil wir die Herrschaft Gottes herbeisehnen. Im Hunger nach Gerechtigkeit drückt sich die Sehnsucht nach dem Reich Gottes aus, das mit Jesus bereits begonnen hat.

Aber - wollen wir denn aufbrechen? Verspüren wir überhaupt diesen Hunger nach Gerechtigkeit? Gerade auch dann, wenn wir wissen, dass mehr Gerechtigkeit für die Armen, weniger Wohlstand für uns bedeutet? Ich möchte nun von den Menschen berichten, die ihren Hunger nach Gerechtigkeit hinausschreien und sich auf den Weg machen. Es sind die Indios in den Anden Perus und Boliviens. Können wir uns aber mit Menschen, die wir gar nicht kennen - gar mit Indios im fernen Südamerika - auf den Weg machen? Der erste Schritt ist der, dass wir hören und sehen, wie sie ihren Glauben leben, was Jesus für sie bedeutet. An einem Beispiel möchte ich dies verdeutlichen: Als die Campesinos der Diözese Cajamarca, insbesondere in der Pfarrei Bambamarca im Norden Perus, vor über 20 Jahren zum ersten Mal mit einer authentischen Interpretation der Bibel konfrontiert wurden, haben sie einige große Entdeckungen gemacht:

  • Sie lernten eine Gott kennen, vor dem sie keine Angst mehr zu haben brauchten, Angst vor dem mächtigen, weißen, reichen Gott, der sie für ihre Sünden mit Hunger und Elend bestraft. Sondern sie entdeckten einen Gott, der auf ihrer Seite steht, auf Seiten der Elenden, der Opfer.
  • Sie entdeckten, dass dieser Gott Mensch geworden ist und gelebt hat wie sie selbst - von der Geburt in einer Hütte angefangen bis zum Tod am Kreuz, ausgestoßen und verurteilt von den Mächtigen seiner Zeit - genau wie sie. Sie übertragen die Bibel direkt auf ihr Leben und erfahren so, dass Gott mitten unter ihnen ist, mit ihnen lebt und leidet.
  • Sie entdecken sich als Kinder Gottes. Wenn man um die Verachtung und Rechtlosigkeit weiß, die sie erleiden müssen - ich selbst habe mit eigenen Augen gesehen, wie Indios wie Hunde aus dem Dorf geprügelt wurden - dann kann man erahnen, was es für sie bedeutet, Kinder Gottes zu sein. Es ist also nicht Gottes Wille, dass die Weißen reich und scheinbar allmächtig, sie selbst aber zu Armut und Ohnmacht verurteilt sind. Wenn sie nun aber doch arm sind, warum sind sie dann arm? Und warum sind wir reich? Das hat von Menschen verursachte Gründe, von Menschen, die immer mehr haben wollen und die ihre eigenen Bedürfnisse zum absoluten Maßstab machen. Die Indios erleben Hunger und Elend als Ergebnis einer gottlosen Wirtschaft und Politik, als Ergebnis von Ausbeutung und Unterdrückung. Armut gibt es, weil es Menschen gibt (gerade auch Christen), denen Besitz und Macht wichtiger sind als Gott und das menschliche Leben.
  • Sie entdecken, dass sie nicht nur eine unantastbare Würde als Kinder Gottes haben, sondern auch Rechte, vor allem das unveräußerliche Recht auf ein menschenwürdiges Leben und dass ihnen dieses Recht gewaltsam vorenthalten wird. Weil sie bereit sind, auf den Ruf Gottes zu hören und weil sie sich im Vertrauen darauf auf den Weg machen, machen sie schon jetzt die Erfahrung von Auferstehung. Ihr Leben beginnt neu. Sie schließen sich zusammen, lesen immer wieder die Bibel, gehen in viele Kurse und erfahren dabei ganz neue - alte -Werte: Werte wie Solidarität, Gemeinschaft, Miteinanderteilen - Werte auch ihrer alten Kultur, die aber gewaltsam verschüttet waren. Auch kirchlich gesehen nehmen sie ihr Schicksal in die eigenen Hände. Sie sind Kirche! In neu entstehenden Basisgemeinden feiern sie diesen Neubeginn. Sie sagen Dank, feiern die Gegenwart Gottes unter ihnen, teilen miteinander ihre Sorgen und ihr Brot. Diese Gemeinden sind Inseln des Lebens inmitten des Todes

Grundlage und Ausgangspunkt dieser Erfahrungen ist das Hören der Frohen Botschaft, überbracht von glaubwürdigen Verkündern. Sie haben diese Botschaft in ihr Herz eingelassen. Sie haben dabei entdeckt, dass dieser Jesus, also Gott selbst, nicht die Unterdrückung will. Er will dem Elend seines Volkes, das zum Himmel schreit, nicht weiter tatenlos zusehen, sondern er führt es in die Befreiung, er führt es ins Gelobte Land, wo Milch und Honig fließen, d.h. in eine von der Wurzel her erneuerte Gesellschaft, in der alle Menschen in Würde leben können.

Sie erfahren diese Erneuerung am eigenen Leib. Sie erfahren, dass mit Jesus Christus diese Zukunft schon begonnen hat - bereits jetzt, nicht erst nach dem Tod. Sie erfahren, dass Jesus der Schlüssel zum Leben ist, Fundament ihres Lebens, das Brot des Lebens, das ihren Hunger nach Gott und nach dem täglichen Brot stillt.

Und wir? Wer ist Jesus für uns? Ist Jesus wirklich Fundament, Mitte und Ziel unseres Lebens, Brot des Lebens, ohne das wir verhungern? Seit ich wieder in Deutschland bin und im Vergleich mit den Campesinos sehe ich hier - und gerade auch in der Kirche - mehr Ängste als Hoffnung. Sicher auch Hoffnung: Hoffnung auf einen weiterhin guten Pastoralservice, dass wir unseren Pfarrer behalten; Hoffnung, dass die Kirchensteuer wegen der Steuerreform nicht allzu sehr abnimmt; Hoffnung, dass die Orgel noch lange hält…! Natürlich auch Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit. Doch welchen Frieden und welche Gerechtigkeit meinen wir? Einen Frieden durch Stärke statt durch Ohnmacht und eine Gerechtigkeit, die uns nichts kostet und uns möglichst nicht weh tut?

Was bedeutet Jesus für uns? So lautete die Frage. Haben wir nicht schon alles, was wir zum Leben brauchen? Wozu brauchen wir also noch Gott, wozu noch Jesus? Ist der Glaube oft nicht etwas, das halt dazu gehört, so eine Art Folklore, wo es uns warm ums Herz wird? Vertrauen wir im Grunde aber nicht eher uns selbst, sichern uns ab, schaffen uns unsere eigenen Götter (Sicherheit, materieller Wohlstand, Fortschritt, Wirtschaftswachstum) und erwarten dann davon unser Heil? Und letzte Sicherheit verschaffen wir uns im Notfall durch immer mehr Atomraketen? Und wir vergessen dabei: Allein Gott schenkt uns Sicherheit und Erfüllung! Er schenkt sie uns sogar - wir müssen nur die Hände aufmachen, statt krampfhaft, die Hände zu einer Faust geballt, unnütze Dinge festhalten zu wollen. Würden wir denn wirklich ärmer, wenn wir bestimmte Dinge loslassen und Gott mehr vertrauen würden?

Stattdessen meinen wir, auch als deutsche Kirche insgesamt, wir könnten zwei Herren gleichzeitig dienen. Jesus sagt aber, wir können nicht zwei Herren gleichzeitig dienen:

  • Wir können nicht unser Heil von Gott erwarten und gleichzeitig unser Leben darauf verschwenden, uns selbst absichern zu wollen und unser Heil selbst zu schaffen.
  • Wir können nicht die vollen Fleischtöpfe im reichen Ägypten haben wollen und gleichzeitig in das Gelobte Land aufbrechen wollen.
  • Wir können nicht um das Goldene Kalb tanzen und gleichzeitig an den Gott glauben, der dieses Goldene Kalb voller Zorn zerschmetterte.
  • Wir können nicht gleichzeitig an einer Wirtschaftsordnung festhalten wollen und davon profitieren, die zumindest mitschuldig ist am Tod von 50 Millionen Hungerstoten im Jahr und gleichzeitig an den Jesus glauben, der sich mit den Opfern dieser Weltordnung solidarisiert und der in ihnen weiterhin millionenfach gekreuzigt wird. Eine Kirche, in der die einen auf Kosten der anderen leben, kann nicht die Kirche Jesu Christ sein.

Die Indios im Andenhochland haben sich auf den Weg gemacht. Sie wissen, dass es ein gefahrvoller Weg ist, voller Entbehrungen und Verirrungen - ein Weg durch die Wüste. Für die Indios kann das konkret heißen: Verfolgungen, Gefängnis, Folter, Tod. Trotzdem brechen sie auf. Sie vertrauen den Verheißungen Gottes über alles Leid hinweg. Nur auf diesem Weg durch die Wüste ist Gott erfahrbar. Und was heißt das für uns? Wir dürfen auf jeden Fall nicht meinen, wir könnten quasi im voll akklimatisierten Luxuszug die Wüste durchrasen, auf Gleisen, die wir auch noch selbst gelegt haben. In diesem Luxuszug, von dem wir auf die Wüste sehen wie Touristen durch getönte und voll isolierende Fenster, werden wir den Ruf Gottes und des wandernden Volkes Gottes nicht hören können - diese Gleise führen in den Abgrund.

Vielmehr müssen wir uns fragen, welche Götter uns versklaven, welche Götzen wir in Wahrheit anbeten, was uns daran hindert, aufzubrechen, dem Ruf Gottes zu folgen und alles hinter uns zu lassen. Oder meinen wir gar schon am Ziel zu sein - im Gelobten Land? Liegt unser Problem - und das ist gerade vielleicht unser Elend - nicht darin, dass wir vielleicht gar nicht wissen, wohin oder gar warum wir uns auf den Weg machen sollen? Kommen wir denn nicht quasi schon als „Bekehrte“ zur Welt, wozu also umkehren? Sind wir nicht mehr oder weniger gute Kirchgänger und Steuerzahler und sind wir nicht Mitglieder einer Kirche, die als Heilsinstitution ihren Mitgliedern das Heil garantiert?

Die Botschaft Jesu ist für die Armen eine Frohe Botschaft, für uns Reiche ist sie ein Ruf zur Umkehr. Ohne Umkehr geht es nicht und für Reiche ist es sehr schwer umzukehren…! Uns trennt viel mehr von Gott als die Armen. Mögen uns auch nicht Verfolgung und Folter drohen wie den Indios, wir laufen aber Gefahr, unserer Berufung nicht gerecht zu werden.

Die unterdrückten und verachteten Indios wissen um den Ursprung und das Ziel ihres Aufbruchs. Sich mit ihnen auf den Weg machen heißt, den Kern der Botschaft Jesu, ja Jesus als Christus und Heiland unseres Lebens neu zu entdecken. Es heißt vor allem auch, lernen zu hören. Könnte es nicht sein, dass Gott heute nicht anders erfahrbar ist als im Hinhören auf die, denen die „Fülle des Lebens“ geraubt bzw. vorenthalten wird? Ist vielleicht ihr Schrei nach Gerechtigkeit und Brot, das Wort Gottes ans uns, hier und heute?

Es sind die Armen und Elenden dieser Welt, die uns den Weg zeigen, weil in ihnen die Liebe und die Fürsorge Gottes für die Menschen offenbar wird. Sich mit ihnen auf den Weg machen dürfen heißt, unsere Hoffnungslosigkeit, unser Leben im Golden Käfig, zurückzulassen und sich ohne Angst und voller Vertrauen der Führung Gottes anzuvertrauen. Das Evangelium wird auch für uns alle zu einer frohen und befreienden Botschaft wenn wir - wie die Indios - Jesus Christus immer wieder neu als Herrn unseres Lebens entdecken. Wenn wir entdecken, dass wir in erster Linie mehr Liebe und Gemeinschaft brauchen, Tag für Tag, wenn wir entdecken, dass wir Gefahr laufen zu verhungern aus Mangel an Liebe, Gemeinschaft, Anerkennung, dann werden wir offen für Gott werden und für alle, mit denen er lebt, leidet und aufersteht.

Wir sind doch alle hier versammelt, weil wir an den gleichen Jesus Christus glauben. Wo denn sonst, wenn nicht hier unter uns, wo doch Jesus mitten unter uns ist, könnten wir all das entdecken und finden, was wir suchen? Bekennen wir, dass nicht Steine, Gold und Geld unseren Hunger zu stillen vermögen, sondern allein Jesus Christus. Er ist hier unter uns, wenn wir das Brot und den Wein, die Gaben dieser Erde miteinander teilen, wenn wir die arm gemachten Menschen dabei nicht draußen lassen, sondern ihnen den Ehrenplatz einräumen, den ihnen Jesus gegeben hat. Wir haben nichts zu verlieren. Wir laufen höchstens Gefahr, nicht mehr die Lieblinge einer satten Nation zu sein, sondern die Lieblinge Gottes.

Wir feiern jetzt zusammen die Eucharistie. Ich bitte sie, diese Eucharistiefeier nicht an den Kirchenmauern enden zu lassen und ich bitte darum, dass wir gemeinsam die Kraft haben, unterwegs nicht zu verzagen, der Sehnsucht nach den vollen Fleischtöpfen zu widerstehen und uns gegenseitig zu stärken auf dem Weg durch die Wüste in das Land, das Gott allen Menschen verheißen hat. Gehen wir gemeinsam den Weg der Hoffnung. Gott wird uns begleiten und führen und er wird unseren Hunger stillen!

Amen


Bischofswort zur Misereor - Eröffnungsveranstaltung in Wasseralfingen am 8. März 1987:

Liebe Schwestern und Brüder!

Zwingende Gründe halten mich leider davon ab, dabei zu sein. Das diesjährige Leitwort „Hunger nach Gerechtigkeit“ will klarstellen, wie sehr wir als Bürger einer reichen Industrienation verstrickt sind in die grausamen Wirklichkeiten von Weltwirtschaft und Weltfinanzpolitik, die unzählige Menschen in ständig steigendem Maße in ihrer Existenz bedrohen. Es ist Christus der Herr selbst, der uns in den nach Gerechtigkeit Hungernden begegnet. Sagt er doch: „ich war hungrig … (Mt 25, 35).

Deshalb hat unsere Diözesansynode eine „vorrangige Option für die Armen“ als eindeutigen Akzent gesetzt. Deshalb hat die Synode erklärt: „Die Kirche muss sich als Anwalt all derer verstehen, die keine Stimme haben gegenüber den Mächtigen“ und hat empfohlen, wir sollten „mit Nachdruck auf die verantwortlichen Politiker einwirken, damit die Menschenrechte gewahrt und ungerechte Strukturen in Weltwirtschaft und Welthandel geändert werden.“

Es ist verständlich, wenn Politiker der Bundesrepublik Deutschland ihr Handeln zunächst einmal unter dem Aspekt nationalen Eigeninteresses sehen. Im Angesicht des Massenelends und der dafür mit ursächlichen Verschuldungskrise der so genannten Dritten Welt ist es aber ein unerträgliches Ärgernis, dass sich die Finanzströme in den letzten Jahren zu unseren Gunsten und zu Lasten der Ärmsten umgekehrt haben. Die reichen Länder empfangen von den Armen auf dem Wege des Schuldendienstes Dollarmilliarden mehr, als sie ihnen an Entwicklungshilfe und in Form von Neukrediten geben. „Solche Ärgernisse müssen wir anprangern.

Möchten uns doch die Verantwortlichen hören, bevor es zu spät ist“. So hat schon Papst Paul VI. vor nunmehr 20 Jahren in seiner Enzyklika „Populorum Progressio“ gemahnt, als sich die weltweiten Ungerechtigkeiten noch nicht so zugespitzt hatten wie heute. Die notwendigen Entscheidungen brauchen politische Mehrheiten. Ich hoffe und wünsche, dass sich unter den Politikern die Meinung durchsetzt, dass alle Entwicklungs-, Not – und Katastrophenhilfe wenig nützt, wenn die zahlreichen Ursachen des Elends nicht beseitigt oder wenigstens gemildert werden. Eine der wichtigsten Ursachen, für die wir alle Mitverantwortung tragen, sind aber die strukturellen Ungerechtigkeiten, die nur politisch bereinigt werden können. Der Einzelne scheint all diesen Gegebenheiten gegenüber ohnmächtig zu sein und nichts unternehmen zu können. In Wirklichkeit aber kann jeder durch seine politische Meinungsbildung und Meinungsäußerung schrittweise zu Verbesserungen beitragen - bis hin zum persönlichen Verhalten einschließlich seines Opfers. Mit besten Segenswünschen und herzlichen Grüßen, Ihr Georg Moser, Bischof

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Sehr geehrter, lieber Herr Knecht, Rottenburg, 14. 4. 1987

„Hunger nach Gerechtigkeit“ - dieses Wort der diesjährigen Misereor - Aktion begleitete uns während der ganzen Fastenzeit. Es hat uns aufmerksam gemacht auf die ungerecht verteilten Lebenschancen und das ungeheure Verschuldungsproblem der Dritten-Welt-Länder. Sich zur Gerechtigkeit hin bekehren zu lassen und konkret dafür einzustehen gehören zum Wesen christlicher Buße, Umkehr und Existenz überhaupt. „Das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“ (Am 5,24f)!

So darf ich Ihnen danken für Ihre Predigt, die Sie in Wasseralfingen anlässlich der MISEREOR - Fastenaktion 1987 gehalten haben und die Sie mir zugeschickt hatten. Durch Ihre persönlichen Begegnungen und Erfahrungen können Sie aus tiefer Betroffenheit heraus ansprechen und überzeugen.

Mit besten Wünschen für ein gesegnetes Osterfest, Ihr Georg Moser, Bischof.