"So ist auch der Satz zu verstehen „Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Denn nach den Gesetzen dieser Welt dürfte man heutzutage einen Menschen wie Jesus nicht frei herumlaufen lassen, das ist heute nicht anders als damals. In dieser unseren Welt zählen andere Dinge: wer es - auf welche Weise auch immer - geschafft hat, einige Millionen auf seinem Konto zu haben, gilt als Leistungsträger. Wer sich um seine kranke Mutter kümmert, wer viele Kinder aufzieht und deshalb auf vieles verzichtet, gilt als Depp. Echte Christen müßten eigentlich die Deppen der Nation sein... Die Botschaft Jesu ist eben nicht kompatibel mit den Gesetzen von Angebot und Nachfrage und nicht mit den Gesetzen der Finanzmärkte. Dies mag manchen hoffnungslos altmodisch erscheinen. Doch sein Reich ist nicht von dieser Welt, d.h. seine Botschaft von Gerechtigkeit und Liebe erscheint nach den Gesetzen dieser Welt als völlig absurd - und doch ist sie noch immer die Hoffnung für Millionen von Menschen und ich persönlich glaube, daß es die einzige Hoffnung ist."
Christkönig: Predigt zum Peru - Sonntag am 23. 11. 1997
Liebe Gemeinde,
zwei Begriffe sind in diesem Evangelium enthalten, die leicht zu Mißverständnissen führen oder auch nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Christus als König und „Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Mit beiden Begriffen wurde auch schon heftig Mißbrauch getrieben. Dabei ist es doch ganz einfach. Erst zu dem Begriff König. Er wurde von den ersten Christen geprägt, genau auch wie Herr oder Sohn Gottes. Und was bedeutet dies, Christus als König? Jesus, der später Christus und König genannt wurde, wurde gerade nicht wie ein König geboren - im Gegenteil. Er stammte nicht aus einer vornehmen Familie, er wurde nicht extra erzogen oder ausgebildet und so weiter. Noch „schlimmer“: während der Zeit seines öffentlichen Auftretens gab er sich vorwiegend mit allerlei Gesindel ab - Gesindel aus der Sicht der Vornehmen, der besonders Frommen, der Oberpriester und den „Leistungsträgern" seiner Zeit.
Und schließlich endete er auch so, wie es kommen mußte: er wurde von den Hohenpriestern ausgeliefert und von den Herrschern jener Zeit zum Tod verurteilt; er starb als ein Gescheiterter, als ein Geächteter, verspottet, bestenfalls ein Lumpenkönig. Er starb den schlimmsten Tod, den es damals gab. Ausgerechnet diesen „Gottlosen" haben aber nun die ersten Christen als Messias verehrt, als ihren wahren König: Denn all das, was Jesus während seines Lebens verkündete und lebte, ist von Gott selbst nicht nur als richtig, sondern gar als der Maßstab schlechthin bestätigt worden. Ich brauche hier nicht alles aufzuzählen, was er sagte und lebte: sein Umgang mit den „Ausgesetzten“, den Elenden und Verachteten usw. Er ist in der Tat zum König geworden, zum König, d.h. zur Hoffnung all derer, die alle Hoffnung verloren hatten und absolut keine Chance besaßen. Diesem König möchte ich gerne dienen - aber eben diesem - und nur diesem.
So ist auch der Satz zu verstehen „Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Denn nach den Gesetzen dieser Welt dürfte man heutzutage einen Menschen wie Jesus nicht frei herumlaufen lassen, das ist heute nicht anders als damals. In dieser unseren Welt zählen andere Dinge: wer es - auf welche Weise auch immer - geschafft hat, einige Millionen auf seinem Konto zu haben, gilt als Leistungsträger. Wer sich um seine kranke Mutter kümmert, wer viele Kinder aufzieht und deshalb auf vieles verzichtet, gilt als Depp. Echte Christen müßten eigentlich die Deppen der Nation sein... Die Botschaft Jesu ist eben nicht kompatibel mit den Gesetzen von Angebot und Nachfrage und nicht mit den Gesetzen der Finanzmärkte. Dies mag manchen hoffnungslos altmodisch erscheinen. Doch sein Reich ist nicht von dieser Welt, d.h. seine Botschaft von Gerechtigkeit und Liebe erscheint nach den Gesetzen dieser Welt als völlig absurd - und doch ist sie noch immer die Hoffnung für Millionen von Menschen und ich persönlich glaube, daß es die einzige Hoffnung ist. Wenn man diese Hoffnung nicht hat, kann man an nichts mehr glauben und man kann niemand mehr vertrauen.
Nun ist ja die Kirche die Verkörperung dieser Hoffnung in dieser Welt - so steht es wenigstens im Katechismus und auch im wirklichen Leben gibt es dafür noch einige Beispiele. Ich möchte ein Beispiel aus der Diözese Cajamarca erzählen: Vor 40 Jahren noch hatte die Mehrzahl der Menschen nur eine Hoffnung: das ewige Leben, das bald kommen möge. Und selbst darum mußten sie ständig zittern, denn daß dreckige Indios in den Himmel kommen, war zumindest sehr zweifelhaft. Dann aber lernten sie das Evangelium kennen. Sie erfuhren, daß dieser Christkönig kein Sohn eines europäischen Herrscherhauses war und nun im Himmel mit Seinesgleichen hof hält, sondern sie erfuhren, daß er wie sie auch in einer Lehmhütte zur Welt kam, daß seine Eltern aus der Stadt gejagt wurden, so wie sie auch. Sie hörten von all seinen Taten und Worten und auch von den Umständen seines Todes. Und all das erschien ihnen so, als ob sie ihre eigene Geschichte wie in einem Spiegel betrachteten. Das Evangelium änderte ihr Leben von Grund auf.
Sie wurden dazu angeregt von einer Kirche, die auf ihrer Seite stand und der sie vertrauen konnten. Der Bischof, seine Mitarbeiter und einige Priester machten sich auf den Weg zu ihnen und mit ihnen. Schließlich erfuhren sie sich selbst als Kirche und sie übernahmen selbst die Verantwortung für ihren Glauben und ihr Leben. Auch bei uns brachte das 2.Vat. Konzil viele Änderungen, die ich hier nicht alle aufzählen kann. Symbolisch: der Priester stand nicht mehr mit dem Rücken zum Volk, sondern er feierte mit dem Volk. Das heißt, wir alle sind Kirche. Dazu Zitate der Campesinos: „Wir sind Kirche, weil wir uns regelmäßig versammeln, über das Wort Gottes sprechen, wir sind Kirche, wenn wir das Wort Gottes an andere weitergeben, wenn wir zusammen arbeiten, wenn wir das Brot teilen.....“
Nun möchte ich kurz auf die Rolle von Katecheten eingehen, denn deren Rolle ist ein zentraler Konfliktpunkt in der heutigen Auseinandersetzungen - denn Katecheten sind Laien, die Verantwortung übernommen haben. In einer Gemeinschaft wurde ein Mann oder mehrere und Frauen ausgewählt, die man für fähig hielt. Sie wurden zu Kursen geschickt und übernahmen allmählich die Verantwortung für ihre Gemeinschaft; z.B. machten sie die Taufvorbereitung und tauften auch selbst, sie hielten wöchentliche Gottesdienste und Versammlungen ab, bei denen jeder was zu essen mitbrachte und das dann untereinander geteilt wurde. Sie hielten sogar Bußgottesdienste, wo sie gemeinsam über ihre Verfehlungen diskutierten und Besserung versprachen. Und zu all dem gab dann der Katechet seinen Segen - im Namen Gottes und im Auftrag seines Bischofs. Ich könnte da noch viel mehr Beispiele erzählen. Kurz und gut: es gab ein reges pastorales Leben selbst in abgelegenen Gebieten. Pastorales Leben heißt übrigens, daß das Soziale immer selbstverständlich dazu gehörte, es gab da keine Trennung. Brot-Teilen z.B. hatte eine immer auch eine praktische Konsequenz: es darf niemanden unter uns geben, der nicht das Notwendige hat, um in Würde leben zu können.
Doch dann kam es zu einem Wechsel, zu einem Bruch. Das begann schon bei der Amtseinführung des neuen Bischofs: Während bei der Verabschiedung Bischof Dammerts noch die Kathedrale voller Campesinos und „einfachem Volk“ war, wurden nun nur die Autoritäten wie man dort sagt, die "creme de la creme", eben die "Kings dieser Welt“ in die Kathedrale eingeladen - und kein Campesino durfte sich auch nur in der Nähe zeigen, die Polizei hatte entsprechende Order. Alle wichtigen Mitarbeiter Bischof Dammerts wurden entlassen, die Priester wurden buchstäblich gekauft und bis auf wenige Ausnahmen ließen sie sich kaufen. Und die Katecheten? die Campesinos? die Mütterclubs?
Den Katechet/innen wurden alle Befugnisse entzogen und zwar mit einer ganz einfachen Begründung: sie seien nämlich gar nicht verheiratet, lebten demnach im Zustand einer schweren Sünde - und solche Leute sollten Katecheten sein? Der Hintergrund: Bischof Dammert hat mit Zustimmung Papst Paul VI. die traditionell geschlossene Ehe der Campesinos anerkannt und die wird so geschlossen: Wenn sich zwei junge Leute sich sicher sind, ihr Leben gemeinsam leben zu wollen und gemeinsame Kinder haben zu wollen, bitten sie die Gemeinschaft um die Ehe. Es kommt zu einer großen Feier, die Eheleute versprechen sich vor der gesamten Gemeinschaft die Treue, gegenseitige Verantwortung usw. und der Katechet heißt dies im Namen Gottes gut. Auch rein kirchenrechtlich gesehen leben sie nun in einer sakramentalen Ehe. Doch der neue Bischof, und nicht nur der, sondern alle neuen Bischöfe und der Vatikan, erkennen dies nicht mehr an. Natürlich ist dies nur ein Vorwand, denn auf einen Schlag will man damit alles Bisherige aufheben.
Die Folgen sind verheerend. Die gesamte Landbevölkerung und alle Menschen in den Armenviertel der Städte sind praktisch ausgeschlossen. Allein der Priester zählt und wer etwas von ihm will, der soll ihn in der Stadt aufsuchen und bezahlen. Der Priester ist der alleinige Vermittler des Heiles, alles dient nur als Vorbereitung für das ewige Leben. Die Kirche (der Klerus) allein hat diesen Schlüssel zum Himmel, schließlich ist sie ja im Besitz aller göttlichen Gnadengaben und der Laie muß dankbar sein, wenn er etwas davon gespendet bekommt. Der Priester hat die exklusive Aufgabe, die Sakramente zu spenden und ist verpflichtet zu absolutem Gehorsam seinem Bischof gegenüber. Er ist seinem Wesen nach anders als der Laie. So zählen nur noch die Sakramente: vor allem die monatliche Beichte ist Pflicht und wer dies nicht tut, dem wird die Hölle angedroht. Und das ist nun mit das Schlimmste: gerade den Campesinos mit der Hölle zu drohen, wenn sie nicht jeden Sonntag in die Stadt zur Kirche gehen, da hört auch für mich der Spaß auf.
Die Campesinos, wörtliche Zitate: „Wir werden nicht unterstützt, von keinerlei Pfarrer und keinerlei Bischof, denn es gibt keinen. - Es gibt keine Pastoralarbeit mehr, es gibt keinerlei Hilfe unseres Bischofs. - Wir haben Priester, die nur für sich selbst sorgen und für uns nichts. Unsere einzige Hoffnung heutzutage sind unsere Brüder und Schwestern aus Ulm, hoffentlich vergessen sie uns auch nicht!“ Ein Zitat der Mütter von San Pedro: „Die Kirche erfüllt so nicht ihre Aufgabe und die Konsequenz wird sein, daß die Kirche verlassen sein wird. Und sie werden Christus vergessen haben, unseren Erlöser, der sich um die Armen kümmerte.“
Das ist nun aber kein Einzelfall. Es werden in Peru und in fast ganz Lateinamerika nur solche Leute zu Bischöfen ernannt, die versprechen, diese römische Linie auch so durchzusetzen. In Deutschland ist natürlich noch alles anders, eigentlich dürfte ich ja auch nicht hier stehen. Hier stehe ich aber! Und in unserer Gemeinde wird dies weiterhin so sein! (Unterbrechung durch langen Beifall, kurz zuvor war die "Laieninstruktion" aus Rom - u.a. Predigtverbot für Laien - verkündet wurden). Aber wie ich selbst von peruanischen Bischöfen hörte, gilt die gesamte deutsche Kirche, einschließlich der meisten Bischöfe, als "protestantisch verseucht", d.h. man beschäftigt sich viel zu sehr mit der Bibel statt mit der römischen Lehre, die Laien machen was sie wollen, überall wollen sie mitreden - gerade auch in Fragen, von denen sie keine Ahnung haben - und selbst die Frauen werden aufmüpfig.
Aber es besteht Hoffnung: Was in San Pedro trotz allem geschieht, wie es dort weitergeht und wie die Menschen dort eben nicht resignieren, sondern nun erst recht weitermachen, so wird es auch hier sein. Denn Prälaten kommen und gehen, Christus aber bleibt und ebenso Menschen, die sich von ihrem Glauben an diesen ihren Christus nicht abbringen lassen. Selbst der geballten Kraft des Vatikans wird es nicht gelingen, die Zeit zurückzudrehen und das Konzil und all das, was danach entstanden ist, ungeschehen zu machen.
Nicht nur in Cajamarca kam es in den letzten 30 Jahren zu einem beispielhaften Aufbruch in der Kirche. Wir dürfen nicht zulassen - aus Treue zu unseren Partnern, aus Treue zum Konzil - daß dies nun alles zerstört werden soll, dies sind wir unseren Partnern und nicht zuletzt auch uns selbst schuldig! Und letztlich kann uns niemanden davon abbringen, das Evangelium zu lesen. Und dieses Evangelium ist eindeutig: Christus ist der König gerade auch der Indios, er ist König der Ausgestoßenen, der Armen und er ist der König aller Menschen, die auf ihn ihre Hoffnung setzen und nach Gerechtigkeit dürsten. Und wir alle sind sein Volk. Und in der Lesung haben wir gerade gehört, daß wir alle zu Königen und Priestern berufen sind. Und auch dass dieses Reich für diese Welt sein sollte, hat Jesus immer wieder betont. Er ging nicht zu den Aussätzigen um ihnen zu sagen, daß sie nur noch ein wenig warten sollten, dann werden sie in den Himmel kommen, sondern er heilte sie, indem er sie in seine Gemeinschaft aufnahm. Natürlich ist es eine Illusion zu glauben, man könnte diese Welt, so wie sie ist, total ignorieren oder radikal ändern. Wir alle sind Kinder dieser materialistischen Welt - aber nicht nur. Die Botschaft Jesu zeigt andere Wege auf und verweist darauf, daß Geborgenheit, menschliche Wärme, Vertrauen und vieles mehr, das nicht mit Zahlen und in Bilanzen auszudrücken ist, für uns alle lebensnotwendig ist. Ohne die vielen Menschen, die ganz selbstverständlich ihren kranken Nachbarn besuchen, die sich in vielen Gruppen für alles Mögliche engagieren – und Sie kennen sicher alle viele Beispiele - wäre es noch kälter um uns herum.
Wenn wir genau das tun, nämlich etwas mehr Wärme und etwas mehr Licht in unsere Umgebung bringen, dann erweisen wir uns als wahre Christen. Um das tun zu können, brauchen wir keine römischen Verordnungen, sondern eine lebendige Gemeinde in der man ohne großen Worte das tut, was notwendig ist. Ich bin dankbar, dass es solche Gemeinden wie St. Georg gibt, wo all das selbstverständlich ist und wo dies hoffentlich auch so bleiben wird. So sei es und auf diesem Wege lasset uns weitergehen!
Während der Predigt immer wieder spontane Hinweise auf das neben dem Altar aufgestellte Hungertuch (Misereor) von 1992 – Mit Christus, dem „Lumpenkönig“ inmitten seines Volkes - zu dem auch Bischöfe gehören dürfen, die sich eingereiht haben. (Hintergrund: Die seit 1982 bestehende Gemeindepartnerschaft St. Georg, Ulm mit San Pedro, Cajamarca).