"...Diese Erneuerung betrifft sowohl das äußere Gewand der Kirche wie Strukturen, Organisationsformen und Kirchenrecht, als auch die Art der Evangelisierung, das Entdecken der eigentlichen Botschaft Jesu und deren Relevanz für die Situation, in der die heutigen Menschen leben. Erst muss sich die Kirche selbst erneuern, um nach außen, in die Gesellschaft hinein, ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Die Erneuerung der Kirche ist möglich, wenn sie die Anforderungen von außen wahrnimmt und sie als konstruktive Herausforderung begreift. Kommt es erst einmal zu einem Dialog zwischen außen und innen, dann verändert sich auch die Kirche. Die Kirche kann nur Veränderungen anstoßen, wenn sie sich selbst verändert...

.....Die neue Evangelisierung bestand darin, die Botschaft Jesu in den Mittelpunkt zu stellen und sie zu leben. Es kann gezeigt werden, wie es trotz der Hindernisse zu einem Aufbruch kommen konnte und die fest gefügte Ordnung aus den Fugen zu geraten schien. Auf dem geschilderten religiösen und gesellschaftlichen Hintergrund erscheint dieser Aufbruch als ein Wunder, vergleichbar mit dem Auszug aus Ägypten oder der Brotvermehrung. ...Es wird zudem eine Alternative zur herrschenden Globalisierung sichtbar: die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Weltkirche, die von den Armen her die herrschenden Götzen entlarvt und zeichenhaft einen „neuen Himmel und eine neue Erde“ durch ihre Praxis als Gemeinschaft der Jünger Jesu verkündet."

Die soziale und pastorale Arbeit in der Diözese Cajamarca (Bischof Dammert)

In diesem Kapitel soll gezeigt werden, wie ein Bischof und seine Mitarbeiter neue Wege des Volkes Gottes gesucht und gefunden haben. Eine Beschäftigung mit Bischof Dammert ist eine Beschäftigung mit der kirchlichen Erneuerung in Peru und Lateinamerika.

Die im vorhergehenden Kapitel aufgezeigte Bedeutung, Verwurzelung und Wirkmächtigkeit der jeweiligen Vorstellungen von Gott, der Welt und der Rolle des Menschen zeigen, dass nur durch eine neue Evangelisierung die Bedingungen geschaffen werden konnten, um die „Mauern von Jericho“ zum Einsturz zu bringen. Die neue Evangelisierung bestand darin, den Gott Jesu zu verkünden und die Botschaft Jesu in den Mittelpunkt zu stellen und sie zu leben. In den beiden folgenden Kapiteln wird gezeigt werden, wie es trotz der Hindernisse zu einem Aufbruch kommen konnte und die fest gefügte Ordnung aus den Fugen zu geraten schien. Auf dem geschilderten religiösen und gesellschaftlichen Hintergrund erscheint dieser Aufbruch als ein Wunder, vergleichbar mit dem Auszug aus Ägypten oder der Brotvermehrung. Am Beispiel des Weges der Campesinos von Bambamarca wird zudem eine Alternative zur herrschenden Globalisierung sichtbar: die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Weltkirche, die von den Armen her die herrschenden Götzen entlarvt und zeichenhaft einen „neuen Himmel und eine neue Erde“ durch ihre Praxis als Gemeinschaft der Jünger Jesu verkündet. Gleichzeitig wird die Verletzlichkeit dieses Aufbruchs deutlich. Nach nur dreißig Jahren einer wahrhaften Evangelisierung (im Vergleich zu 400 Jahren vorher), die zudem aus eigenem Selbstverständnis nicht auf Macht, sondern auf Ohnmacht setzte, scheint es für die alten und neuen Herrscher ein leichtes Spiel zu sein, die „bewährten“ Verhältnisse wiederherzustellen.

„Die Kirche muss im Kampf für einen Strukturwandel hin zu einer gerechteren Gesellschaft gegenwärtig sein. Deshalb möchten wir, dass unsere Erfahrung die Zeichen der Zeit erforscht, im Lichte des Evangeliums interpretiert und gleichzeitig selbst ein Zeichen und eine Stimme darstellt, die die Botschaft verkündet und so Hoffnung bringt, die Gerechtigkeit voran treibt und die Brüderlichkeit belebt. Unter diesen Perspektiven versucht man seit 1963 in der Diözese Cajamarca neue Wege der Pastoral zu finden. Der Kopf ist der neue Bischof, José Dammert, der ein Gespür hat für die menschlichen und religiösen Probleme der Campesinos“ (1).

Die Aussage von Alfonso Castañeda markiert die Schwerpunkte, um die es Bischof Dammert ging. Er wollte eine gerechtere Gesellschaft, die von den Bedürfnissen der Schwächsten ausgeht. Sein Einsatz für eine gerechtere Gesellschaft ist eine Folge seines Glaubens. Gelebter Glaube führt nach Dammert im Kontext von Elend und Unterdrückung notwendigerweise zu einer Praxis der Befreiung. Seine Sorge war, ob die Kirche strukturell und geistig darauf vorbereitet war. Er fühlte sich als Bischof dafür verantwortlich, innerhalb der Kirche alles zu tun, damit die Kirche ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht werden kann.

Schon als Weihbischof in Lima, noch mehr aber als Bischof in Cajamarca, ging er von der Maßgabe aus, dass es nur zu einer grundlegenden Erneuerung in Kirche und Gesellschaft kommen kann, wenn sie von den Armen ausgeht: Innerhalb der peruanischen Gesellschaft und Kirche bilden die Armen die überwältigende Mehrheit. Während es für den Staat um sein demokratisches Selbstverständnis geht, geht es für die Kirche um die Nachfolge Jesu und um ihre Glaubwürdigkeit als Kirche Jesu. Innerhalb der peruanischen Kirche wurde Bischof Dammert bald zum Wortführer der Erneuerung, unterstützt von Kardinal Landázuri. „Bischof Dammert ist innerhalb der peruanischen Kirche nicht allein. Es gibt eine wachsende Minderheit von Bischöfen, deren ‚Chef’ er ist, er ist ihr spiritueller Vater, oder genauer: der ältere Bruder. Es ist eine große Erfahrung, mit ihm zu arbeiten, teilzuhaben an der Aussaat des Senfkorns“ (2).

Im ersten Abschnitt dieses Kapitels steht Dammert als Mensch und Bischof im Mittelpunkt. Dabei werden einige markante Merkmale gezeigt, die für Dammert und seine Arbeit charakteristisch sind. Er selbst legt keinen Wert auf eine Berichterstattung über seine Person, dennoch sind einige biographische Daten unerlässlich. Wichtiger sind seine geistigen Wurzeln, um seine Motive und die Leitlinien für sein Handeln besser verstehen zu können. Schließlich ist auch noch seine Arbeit als Historiker, Rechtsgelehrter und Schriftsteller von Bedeutung. Im zweiten Abschnitt stehen die Anfangsjahre als Bischof in Cajamarca im Mittelpunkt. Auf diese Anfangszeit wird besonderer Wert gelegt, weil hier die entscheidenden Weichen gestellt wurden. In der Analyse des sozial-politischen Kontextes und der pastoralen und kirchlichen Ausgangsposition in Cajamarca wird eine Situation erkennbar, die aus der Sicht von Dammert geradezu nach Veränderungen schreit. Im Deuten der Situation (dritter Abschnitt) erkennt er diese Situation als nicht vereinbar mit dem Evangelium. Die Gründe dafür sieht er auch in der Kirche selbst, in ihren veralteten Strukturen, vor allem aber wegen ihrer Blindheit gegenüber den Herausforderungen des Evangeliums und der Zeit. Diese Herausforderungen (Analyse und Deutung) führen zu einer bestimmten Praxis, die im vierten Abschnitt im Mittelpunkt steht. Es ging Dammert vor allem um eine Re-Evangelisierung (3).

1. Bischof Dammert - ein Bischof der Campesinos

a) eine kurze Biographie

Die wichtigsten Daten in Stichworten: Er wurde am 20. August 1917 in Lima geboren. Sein Großvater war aus Deutschland ausgewandert und gehörte dann durch Heirat zur erweiterten peruanischen Oberschicht. Dammert hatte daher als Kind und Jugendlicher alle Chancen, die ihm seine Herkunft boten. Mit 17 Jahren hatte er bereits die Möglichkeit, in Italien zu studieren. In Pavia und Rom studierte er Jura und Römisches Kirchenrecht; zu Beginn seines Studiums hatte er 1934 Deutschland besucht, was bei iohm keine weiteren Eindrücke hinterließ. 1938 kehrte er nach Lima zurück, wo er ein Jahr später zum Generalsekretär an der Katholischen Universität berufen wurde, gleichzeitig wurde er Professor für Römisches Recht, später auch noch für Kirchenrecht und Kirchengeschichte an der gleichen Universität (4). Insgesamt lehrte er 19 Jahre lang an der Universität, gleichzeitig war er Präsident der „Katholischen Jugend“ der Erzdiözese Lima. Nebenher begann er 1941 mit dem Theologiestudium im Seminar Santo Toribio in Lima. Er wurde am 21. 12. 1946 in Lima zum Priester geweiht. Von 1952 bis 1958 war er Vizerektor der Universität. Am 15. Mai 1958 erhielt er in Lima die Bischofsweihe und wurde einer der Weihbischöfe von Lima. Bereits ein Jahr davor war er zum ersten Generalsekretär der peruanischen Bischofskonferenz berufen worden (bis 1962). Als Verantwortlicher der Katholischen Aktion (Acción Católica) vertrat er Peru 1952 auf den Generalversammlungen der Acción Católica in Chimbote (Peru), 1961 in Guadalajara (Mexiko) und 1965 in Buenos Aires (Argentinien). Er war Vorsitzender der zum ersten Mal in Peru organisierten Sozialwochen, 1959 in Lima und 1961 in Arequipa.

Am 19. März 1962 wurde er zum Bischof von Cajamarca ernannt. Auf dem Konzil nahm er an allen vier Sitzungsperioden (1962 - 1965) teil. Von 1963 bis 1969 war er Vorsitzender des „Rates für die Laien“ des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM), seit 1965 Mitglied der „Päpstlichen Kommission für die Erneuerung des Kirchenrechts“ und Mitglied der Römischen Synoden als Delegierter der peruanischen Bischofskonferenz in den Jahren 1967, 1971, 1977, 1980. Als Delegierter der peruanischen Bischofskonferenz war er 1968 in Medellín und 1992 in Santo Domingo dabei, für Puebla 1979 wurde er nicht gewählt. Seit 1974 war er Vizepräsident der peruanischen Bischofskonferenz. 1990 wurde er zum Präsidenten der peruanischen Bischofskonferenz gewählt, deren Präsident er bis zu seiner Ablösung am 1. 12. 1992 war. Er verabschiedete sich offiziell als Bischof von Cajamarca am 9./10. 12. 1992. Seit März 1993 hat er Cajamarca nie mehr besucht. Bis 1999 war er Mitarbeiter des Instituto Bartolomé de Las Casas (IBC) und veröffentlichte bis zu dieser Zeit drei Bücher zur Kirchengeschichte Perus und Cajamarcas.

Er selbst beschreibt seinen Lebensweg und Aufgaben auf Anfrage in aller Kürze: „Als Weihbischof von Lima wurde ich beauftragt, die erste soziale Woche zu organisieren, in Lima 1959, mit dem Titel: Soziale Herausforderungen an die katholische Kirche in Perú. Die zweite soziale Woche fand 1961 in Arequipa statt, mit dem Titel: Eigentum. Weitere Höhepunkte meiner Tätigkeit als Weihbischof und Generalsekretär der Bischofskonferenz (seit Januar 1957) waren: 1961 nahm ich als nationaler Berater der Acción Católica an der amerikanischen Woche der Acción in Mexiko teil und im gleichen Jahr an der Versammlung aller nationalen Caritasorganisationen in Bogotá. Die Vorbereitung der Neuaufteilung neuer Pfarreien, der Besuch in den Elendsvierteln, aller pastoralen Zentren, Konvente etc. waren meine Aufgaben als Weihbischof in Lima. 1964 wurde ich zum Delegierten bei CELAM ernannt und dort blieb ich bis 1969 als Vorsitzender der Laienkommission. Von den peruanischen Bischöfen wurde ich zum Delegierten für die Synoden in Rom 1967 und 1971 gewählt, ebenso für Medellín 1968. Ich war Mitglied der päpstlichen Kommission für das Kirchenrecht“ (5).

b) Die spirituellen Wurzeln

Auf seine Initiative hin fand vom 1.- 9. August 1959 in Lima die erste Sozialwoche Perus statt. Zusammen mit Fachleuten machte er sich Gedanken, welche Aufgaben die Kirche angesichts des zunehmenden Elends des Volkes hat. Schon damals erhob er seine Stimme zugunsten der Armen und Rechtlosen: „Während wir unsere Kräfte damit vergeuden, den äußeren Prunk für den Kult zu vermehren, leiden viele Kinder Gottes um uns herum an Hunger, Krankheiten und Elend. Der Prunk ist nicht vereinbar mit dem gleichzeitigen Elend des Volkes. Wir müssen verstehen, dass das Christentum den ganzen Menschen betrifft. Wir können das Leben der Frömmigkeit nicht trennen vom alltäglichen Leben. Jemand ist nicht dann ein guter Christ, wenn er zwar täglich die Sakramente empfängt, aber nicht für soziale Gerechtigkeit eintritt“ (6). Als Weihbischof von Lima hatte er als erster Bischof mit Sandalen und zu Fuß die neu entstehenden Elendsviertel besucht und stieß damit beim älteren Klerus auf wenig Verständnis. Er trug keine Insignien bischöflicher Macht, nur einige Male konnte er es nicht vermeiden, die Mitra aufsetzen zu müssen, das „Zeichen der Pharaonen“, wie er sie nannte. Ein bischöfliches Wappen lehnte er ab, weil die Zeit der Kreuzzüge vorbei sei. „Einer Situation des Elends gegenüber müssen wir ein Zeugnis tatsächlicher Armut ablegen. Wir Kleriker müssen herausragen aufgrund einer Askese der Armut und wir müssen der Gesellschaft ein Beispiel für die Verwirklichung von großen Werken geben, ohne viel Geld dafür auszugeben. Wir wollen uns vergleichen mit staatlichen Stellen und Institutionen durch den äußeren Anschein von Büros, durch eine Multiplizierung der Versammlungen und Reisen, ohne deren tat- sächliche Wichtigkeit zu evaluieren. Wir geben den Anschein, reich zu sein, aber in Wirklichkeit sind wir arm, wenn wir die bischöfliche Würde mit sozialem Prestige oder äußerem Pomp verwechseln. Denn wir sind Nachfolger von einigen armen Fischern aus Galiläa“ (7).

Es gibt sehr viele Berichte über die von Dammert vorgelebte Armut und Bescheidenheit (8). Wie Dammert selbst sagte, war ihm seine Mutter das beste Vorbild. Sie war die Gründerin der Acción Católica für Frauen in Peru und übte in der eigenen Familie - obwohl aus der peruanischen Oberschicht stammend - ein Leben in Bescheidenheit bei gleichzeitiger Offenheit für die Armen ein (9). Dammert sagte, dass der Glaube und das soziale Engagement seiner Eltern eine ausschlaggebende Rolle für seine Berufung als Priester spielte. Im Beispiel seiner Eltern liegt der Ursprung seiner Option für die Armen. Diese Haltung wurde entscheidend beeinflusst und vertieft durch die Lektüre sämtlicher Schriften von und über Charles de Foucauld, mit deren Lektüre er bereits im Alter von 15 Jahren begann. Schon in seiner Jugend wuchs in ihm die Vorstellung von einer Kirche auf der Seite der Armen.

Und im Geiste von Charles de Foucauld war es für ihn selbstverständlich, dass dies glaubwürdig nur geschehen kann, wenn die Kirche selbst arm ist und auf Reichtümer und Macht verzichtet. Diese Armut lebte er als Bischof vor, sei es im Verzicht auf persönlichen Besitz, sei es, dass er den Besitz der Diözese den Armen zugänglich machte. So galt er schon als Weihbischof von Lima nicht nur als Bischof der Armen, sondern als ein „armer Bischof“, der keinen Wert auf Äußerlichkeiten legte. Es war kein Zufall, dass er der Initiator der ersten Sozialwoche 1959 in Lima war, auf der zum ersten Mal in aller Offenheit und mit Beiträgen verschiedener Wissenschaften über „die sozialen Herausforderungen des peruanischen Katholizismus“ (so der Titel der Sozialwoche) gesprochen und dann geschrieben wurde.

Seine Überzeugung wurde bestätigt und bekräftigt durch seine Begegnungen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in dessen Vorfeld Johannes XXIII in einer Radioansprache (Radio Vatikan) am 11.9.1962 sagte: „Die Kirche will eine Kirche für alle sein, vor allem aber eine Kirche der Armen“. Das bedeutete in der Interpretation Dammerts, dass die Kirche nicht nur eine Kirche auf der Seite der Armen ist, sondern dass sie selbst arm sein soll. Auf dem Konzil fand er bald Kontakt zu Bischöfen, die vom gleichen Geist erfüllt waren und er war eine der treibenden Kräfte der Gruppe der so genannten „Kleinen Bischöfe“, die sich am Rande des Konzils trafen und sich verpflichteten, im Geiste von Charles de Foucauld ein persönliches Zeugnis evangelischer Armut zu leben und dies auch als Bischof öffentlich zu vertreten. An den Treffen nahmen Bischöfe aus 18 Nationen teil, darunter der damalige Weihbischof von Essen, Julius Angerhausen. Laut Zeugnis von Bischof Luigi Bettazzi war Bischof Dammert nach dem Konzil die treibende Kraft für den Zusammenhalt dieser bischöflichen Gemeinschaft, er war deren Koordinator und Seele (10).

Dammert berichtet in einem unveröffentlichten Artikel über die Entstehungsgeschichte von
„Gaudium et Spes“: „Während der ersten Sitzungsperiode des Konzils sprachen einige Stimmen von der Armut in der Kirche. Bischof Manuel Larraín sagte, dass sich tatsächlich in den Armen das Antlitz Christi spiegelt und dass die Armen das Wort Gottes wegen ihrer Armut leichter verstehen und entsprechende Konsequenzen ziehen... Eine Gruppe von Bischöfen hatte sich im belgischen Kolleg versammelt (am 26.10.1962), um die Eingabe ‚Jesus, die Kirche und die Armut’ zu studieren und weiter zu entwickeln. Es kamen 50 Bischöfe zusammen. Bischof Mercier verfasste die Note ‚Die Kirche der Armen’ mit den drei Punkten: ‚Entwicklung der armen Länder’, Evangelisierung der Armen und der Arbeiter’ und ‚Der Kirche das Antlitz des Armen zurückgeben’. Am 7. Dezember legte Kardinal Lercaro, Erzbischof von Bologna, einen Text mit sieben Punkten vor (hier auszugsweise): ‚2. Es gibt einen weißen Fleck: Das Geheimnis Christi in den Armen erscheint nicht in der Lehre der Kirche über sie selbst. 3. Unsere Pflicht: wir müssen das Geheimnis Christ in den Armen in das Zentrum des Konzils stellen, ebenso die Evangelisierung der Armen. 7. Schlussfolgerung: Priorität für die Evangelisierung der Armen. Die Armen sind der Schlüssel für jede Lehre, für die Versammlung der Christen und für die Einheit der Christen’. Man war allgemein der Auffassung, dass diese Intervention die mutigste und weit reichendste während der ersten Sitzungsperiode war.

Das Konzil hatte seinen Weg gefunden... Danach haben auch die peruanischen Bischöfe das Thema der Armut und der Verlassenheit der Schwächsten behandelt und schreiben in einem gemeinsamen Hirtenbrief: ‚Vor einigen Monaten haben wir mit unseren Brüdern in den Bischofskonferenzen aller Nationen öffentlich gesagt, dass die Sehnsüchte und Hoffnungen aller Völker in unseren Herzen widerhallen. Besonders die Armen und die Schwächsten, denen alle Voraussetzungen für ein würdiges Leben fehlen, sind in unseren Herzen präsent’.“ (11).

Während und nach dem Konzil war Dammert der treibende Motor innerhalb der peruanischen Bischofskonferenz, um diesen Geist des Konzils in die Praxis umzusetzen, sei es im persönlichen Lebensstil, sei es in der diözesanen Arbeit. So war er auch der Hauptautor des gemeinsamen Hirtenbriefes nach dem Ende der ersten Sitzungsperiode.

In einem Hirtenbrief für die eigene Diözese schrieb er am 8.11.1964: „Zur Eröffnung des Konzil sagte der Papst, dass die Kirche eine Kirche aller Menschen sei und im Besonderen eine Kirche der Armen. Kardinal Montini ergänzte: denn der Arme ist das Bild Christi, er ist wie das lebendige, leibhafte Sakrament. Lercaro fügte hinzu: Wir müssen in das Zentrum und als Seele unserer kirchlichen Doktrin und Legislative das Geheimnis Christi in den Armen, den Armen selbst und seine Evangelisierung stellen. Aus diesem Grund verkünden wir der Welt Jesus Christus, den Diener der Armut“ (12). Nach dem Konzil schrieb er aus Rom an seine Priester in Cajamarca: „Am Ende des Konzils haben 10 Kardinäle und 600 Bischöfe den berühmten Pakt in den Katakomben unterschrieben, in dem sie sich verpflichten, auf Reichtümer, Titel und entsprechende Kleidung zu verzichten, ebenso, sich um eine bessere Verteilung des Besitzes in ihrer Diözese zu kümmern“ (13). Diesen Pakt sah Dammert als einen seiner größten Erfolge an.

Im folgenden Text werden die tragenden Fundamente seiner Arbeit und Spiritualität deutlich: „Wir leben in einer Zeit der Euphorie wegen dem Konzil, denn wir spüren, dass die Beschlüsse des Konzils zu einer fruchtbaren Erneuerung führen werden. Das Evangelium hat auch heute noch seine Dringlichkeit und Aktualität wie vor 2000 Jahren. Denn es gab immer Ungerechtigkeiten und die Sünde, aber im Herzen der Menschen brannte auch immer die Sehnsucht nach einer gerechteren Welt, der Durst nach Liebe, Verständnis und Vergebung. Es war kein Zufall, dass Gott Mensch wurde inmitten eines armen Volkes, in einer armen Frau, die sicher nichts Außergewöhnliches war und wie alle armen Frauen eines armen Volkes. Gott wurde geboren noch nicht einmal in einer Herberge, sondern in einem Stall, auf dem Lehmboden bzw. in einer Futterkrippe, arm unter Armen, verachtet. So ist er mitten unter uns in der Form eines geistigen Brotes, damit dieses Brot auch ein materielles Brot für alle werde und damit dieses Brot unter allen seinen Geschwistern gerecht verteilt werde. Die Glieder des Leibes Christi sind speziell die, die leiden, die Verachteten, die Armen. Solange es sie gibt, leidet Jesus weiter. Solange wir nicht für das Reich Gottes eintreten, solange wir diese Wunden am Leib Christi nicht heilen, werden diese Wunden ewig ans Kreuz genagelt bleiben. Wenn wir nicht für mehr Gerechtigkeit in der Welt eintreten, verraten wir Christus und die dreißig Silberlinge als Lohn des Verrats sind heute unsere Gleichgültigkeit und die Suche nach einem bequemen Leben, während gleichzeitig zwei Drittel der Menschheit im Elend le- ben. Wenn wir die Welt analysieren, in der wir leben, so ist sie gekennzeichnet durch eine Trennung in Arme und Reiche. Der Reiche ist der, der mehr hat, als er zum Leben braucht. Die Armen sind die, die noch nicht einmal das Notwendigste zum Leben haben und deren fundamentalste Menschenrechte verletzt werden. Heute handelt es sich auch nicht mehr um Arme als Individuen, sondern um ganze Völker“ (14).
In diesem Text ist bereits all das enthalten, was für seine Arbeit als Bischof von Cajamarca
Maß gebend war. Die dann folgende Entwicklung in Cajamarca ist von daher zu verstehen.

Am 15. 6. 1962 kam Bischof Dammert erstmals nach Cajamarca. Sein väterlicher Freund, Kardinal Landázuri, hatte ihm - wie Dammert öfters erzählte - für den Amtsantritt mit auf den Weg gegeben: „Höre zuerst zu, mach die Augen auf, danach überlege und nach sechs Monaten kannst du anfangen, die erste Änderung einzuführen“. Aufgrund der in Lima gemachten Erfahrungen war es für Dammert bald einsichtig, dass das größte Problem in Cajamarca das Elend und die Diskriminierung eines Großteils der Bevölkerung war und dass dies auch die größte Herausforderung für ihn als Bischof darstellen würde. Bereits nach den ersten Wochen in Cajamarca stellte er fest, dass er die Armen nicht erst lange suchen musste, er fand sie unmittelbar vor seiner Tür, er begegnete ihnen täglich auf den Straßen (er verzichtete bewusst auf ein Auto) und er öffnete ihnen die Tore des bischöflichen Palais.

Der Konflikt mit den Autoritäten war abzusehen und nicht zu vermeiden. Dammert setzte bewusst prophetische Zeichen - nicht, um die Autoritäten zu erschrecken, sondern um auch ihnen die Chance zur Umkehr zu geben. „Alsbald merkten die Leute in Cajamarca, dass das Bild, das der neue Bischof abgab, weit entfernt war von dem, was sie sich gewöhnlich unter ihrem Prälaten vorstellten... Es fällt nicht schwer zu verstehen, wie die Angehörigen der Ober- schicht von Cajamarca reagierten, wenn sie zum Bischofshaus kamen und den Bischof kaum von irgendeinem Campesino unterscheiden konnten: ‚Wo ist Seine Hochwürden?’ fragt einer der hohen Herren, als er den Bischof besuchen will. ‚Da ist er.’ ‚Wo?’ ‚Dahinten auf der Bank, er unterhält sich gerade mit den Campesinos aus Pariamarca.’ ‚Ich möchte Seine Hochwürden persönlich begrüßen. Würden Sie bitte die Güte haben ihm zu sagen, dass ich im Auftrag des Herrn Präfekten komme?’ ‚Natürlich, gerne’. Und der hohe Herr sieht sich alsbald auf der Bank neben einem Bischof im Poncho. Für den neuen Gast gibt es keine Sonderbehandlung, und erst recht keinen Empfang im Thronsaal. Dabei war es nie die Absicht Don Pepes, die Autoritäten zu missachten; wohl aber war es seine Absicht, die christliche Lehre von der Gleichheit aller Menschen vor Gott in die Praxis umzusetzen. Nach dieser Logik gibt es auch keinen Grund, die vordersten Bänke in der Kathedrale für die Oberen der Zivilbehörden, der Justiz und des Militärs zu reservieren. Aber keiner der Autoritätspersonen verstand das. So hieß es denn bald: Dieser Bischof bevorzugt die Indios“ (15).

Ein Zeichen, das landesweit Aufsehen erregte, war die Auseinandersetzung um den „Turmbau von Cajamarca“. Die Kathedrale hatte seit ihrer Erbauung nur einen statt der üblichen zwei Türme. Nun sollte endlich „diese Schande“ behoben und der zweite Turm errichtet werden. Den Städtern war es ein großes Anliegen, endlich eine richtige Kathedrale zu haben. Also spendeten sie dem neuen Bischof eine große Summe Geld zur Fertigstellung der Kathedrale. Der mit Abstand größte Spender war ein bedeutender Senator der Republik, gleichzeitig einer der größten Landbesitzer der nördlichen Anden. Seine Spende betrug umgerechnet etwa 80.000 Euro.

In einem Brief an den Senator bedankte sich Bischof Dammert, wies aber auf die Dringlichkeit anderer Aufgaben hin: auf die Zustände im Gefängnis, das einem Schweinestall gleiche, auf das verschmutzte Trinkwasser, das die Gesundheit der ganzen Stadt gefährde, auf das neu zu errichtende Hospital und auf das Abwasser und den Müll in den Straßen selbst in der Nähe der Kathedrale, so dass es einen schäme, durch die Straßen zu gehen. Diese Zustände zu verbessern sei dringlicher als noch „mehr Zierrat für den Tempel“. Außerdem seien - nach dem Hl. Paulus - wir Menschen der wahre Tempel Gottes und angesichts der inhumanen Zustände, in denen die Mehrzahl der Menschen in Cajamarca lebe, könne man nicht im Geringsten zweifeln, wo die Prioritäten liegen. Am Schluss des Briefes taucht zum ersten Mal der Satz auf, der im Nachhinein zu seinem Motto wurde: „Die Wehklagen derer die leiden, lassen mich nicht ruhen“ (16).

Gutiérrez: „Es handelt sich um eine wahrhaft prophetische Geste des neuen Bischofs, die zugleich die zukünftige Richtung seiner pastoralen Arbeit in Cajamarca aufzeigt. Im Zentrum dieser Arbeit stehen die Menschen aus Fleisch und Blut, besonders die Geringsten, in denen wir das Angesicht Christi entdecken und Christus selbst begegnen - so lehrt es uns das Evangelium von Matthäus. Puebla wird später daran anknüpfen, in einem Text, dessen erste Fassung von zwei großen Bischöfen und sehr engen Freunden von Pepe verfasst wurde: Germán Schmitz und Leonidas Proaño. Die Prioritäten des neuen Bischofs sind damit klar aufgezeigt: die Zeit, mit der Rückendeckung durch das Zweite Vatikanische Konzil und durch Medellín, wird diese noch vertiefen“ (17).

Der Mensch als Tempel Gottes ist für Dammert eine zentrale Aussage der Bibel und daher ein zentraler Inhalt des christlichen Glaubens. Armut ist eine Beleidigung Gottes. Statt Fassaden zu renovieren und Steine anzuhäufen, gilt es den wahren Tempel Gottes zu ehren. Die Diskriminierung der Armen ist „ein Attentat auf Gott   selbst“ (Gutiérrez). So wie der wahre Tempel Gottes der Mensch ist, so besteht der wahre Gottesdienst darin, Gerechtigkeit für den Menschen zu schaffen, erst recht für den Armen, der ein Opfer der Ungerechtigkeit ist. „Vielmehr ist der Arme auch das Sakrament Gottes. Unterdrückung des Armen ist ein Attentat auf Gott selbst. Gotteserkenntnis heißt Praxis der Gerechtigkeit unter den Menschen“ (18).

Für Gutiérrez ist Bischof Dammert bis heute ein Vorbild als Mensch und Christ geblieben, der ihm auch persönlich in schwierigen Momenten beistand. Gerne kam er meinem Wunsch nach, für den Sammelband „Die globale Verantwortung“ über Dammert zu schreiben, was er persönlich an Dammert schätzte. Dabei kommt er gleich auf das Thema Armut zu sprechen: „Pepe, Teilnehmer an der Bischofskonferenz von Medellín und seine Mitarbeiter lebten ohne Übertreibungen, aber mit Standhaftigkeit und Treue, die bevorzugte Option für die Armen. Diese Option ist eine Perspektive, die man nicht verstehen kann, wenn man sie nicht als Ausdruck der universalen Liebe Gottes begreift. Denn niemand kann von daher von unserer Mitsorge und Solidarität ausgeschlossen bleiben. Die Option für die Armen ruft uns auf, uns von dem Gott der Bibel inspirieren zu lassen, der sich zuerst den Letzten in der Gesellschaft zuwendet und der uns einlädt, von deren Standort her die Liebe zu allen Menschen zu leben“ (19).

Besonders zu beachten ist die Aussage, dass nur von einer Option der Armen aus auch den Reichen das Evangelium verkündet werden kann und muss. Auf die Kirche übertragen heißt das, dass sie dann zu ihrer Einheit und Mitte findet, wenn es ihr gelingt, als Kirche der Armen die Reichen zur Mitarbeit zu gewinnen und ihnen damit die Chance der Umkehr und ein neues Leben anzubieten. In diesem Sinne ist Dammert zu verstehen, wenn er es als seine Pflicht als Bischof ansieht, die reichen Bürger vor ihrem Irrweg zu warnen und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit den Armen zusammen den Weg Christi zu entdecken. Einige Bürger der Stadt haben dies als Umkehr erfahren und wurden treue Weggefährten Dammerts.

c) Medellín

Exemplarisch für seine Arbeit in nationalen und internationalen kirchlichen Strukturen und Gremien steht sein Einsatz für und in Medellín. Medellín sollte für Dammert ein Höhepunkt seines Wirkens werden. Für die Vorbereitung auf Medellín war für Dammert die enge Zu- sammenarbeit mit der Diözese Riobamba von Bedeutung. Die Bischöfe Dammert und Proaño hatten bereits während des Konzils ein sehr enges Verhältnis und über die Konferenzen des CELAM und die freundschaftlichen Kontakte hinaus kam es zu einem regen Austausch von praktischen pastoralen Erfahrungen. Bischof Proaño schließlich lud Dammert ein, in der Pastoralabteilung von CELAM mitzuarbeiten. Dammert war auch Präsident der „Kommission für Laien“ des CELAM. Daher hatte er eine besondere Verantwortung für die Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe.

In der Folge oblag es beiden Bischöfen, die vorbereitenden Versammlungen zur zweiten Bischofsversammlung von Medellín zu koordinieren und auch inhaltlich zu gestalten. Die im engsten Kontakt mit den Campesinos gemachten pastoralen Erfahrungen fanden so unmittelbaren Eingang in die Dokumente von Medellín. Dammert hatte erkannt, dass nur mit den Laien die notwendige Erneuerung der Kirche geleistet werden konnte. Die Ausbildung von Laien und die Heranbildung der ersten Landkatecheten in seiner Diözese hatten bereits erste Früchte getragen. Er wurde durch die Erfahrungen in der Praxis bestärkt, dass die Mitarbeit von Laien und die Bildung von kleinen christlichen Gemeinschaften sich nicht nur aus innerkirchlichen oder strukturellen Gründen als notwendig erwies, sondern aus fundamentalen Gründen, abgeleitet aus dem Evangelium.

Diese Erfahrungen und Erkenntnisse konnte er daher glaubhaft in Medellín einbringen, unterstützt von einer starken peruanischen Fraktion. „Ich darf daran erinnern, dass ich als Präsident der Kommission für die Laien von 1963-1969 und Delegierter bei CELAM, aktiv an der Vorbereitung für Medellín beteiligt war. In Medellín selbst war der peruanische Einfluss sehr stark: Landázuri war einer der Präsidenten, Ricardo Durand, Erzbischof von Cusco, leitete die Kommission über die Armut und ich, die über die Laien. Die Beteiligung von Gustavo G. war wertvoll, besonders in den Abschnitten über Gerechtigkeit und Armut“ (20). Bischof Dammert trug in Medellín die entscheidende Vorlage zur Armut vor, die dann von der Konferenz approbiert wurde. „Bei dem Thema ‚Armut’ erreichte ich die lehramtliche Zustimmung. Das Thema war von Gustavo Gutiérrez ausgearbeitet worden, aber es wurde von mir als mein eigener Beitrag vorgetragen. Es war das zentrale Thema“ (21).

Unterstützt von Kardinal Landázuri war Dammert die treibende Kraft, um die Beschlüsse von Medellín in Peru umzusetzen. „In enger Zusammenarbeit mit Kardinal Landázuri war Pepe einer der Bischöfe, der am meisten dazu beigetragen hat, dass das Zweite Vatikanische Konzil und Medellín die pastoralen Aktivitäten der peruanischen Kirche inspiriert haben. Er hat das ernst genommen, was die bestimmende Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts, Johannes XXIII., die Kirche der Armen nannte“ (22). Wenn auch in Medellín schon die Erfahrungen Dammerts vor allem in der Landpastoral, in der Ausbildung von Laien und sein persönliches Zeugnis der Armut eingeflossen waren, so war dies für viele peruanische Bischöfe noch etwas Neues. Dammert konnte sich aber nun zu Recht von den Beschlüssen von Medellín bestätigt fühlen - auch in seiner eigenen Diözese.

Die herausragende Stellung Dammerts innerhalb des peruanischen Episkopats wurde durch Medellín gestärkt. Der Geist von Medellín bestärkte seine Arbeit in der Diözese und darüber hinaus. Dammert: „Diese Beteiligung verpflichtete den peruanischen Episkopat und dessen Engagement fand seinen ersten Ausdruck im Januar 1969 in den Dokumenten über ‚Gerechtigkeit in der Welt’ und 1973 über ‚Evangelisierung’. Dazu kommen selbstverständlich die zahlreichen Erneuerungen in den verschiedenen Diözesen. Der Einfluss von Medellín war auch sehr stark in der Erneuerung religiöser Institutionen, speziell weiblicher, die sich nun verstärkt der Arbeit mit den Marginalisierten widmeten und einer tie- fen Sehnsucht, zum Geist ihrer Gründer zurückzufinden, der vielfach vergessen worden war. Der Einsatz von Bischöfen, Priestern und Laien für sozio-politische Reformen ist in gleicher Weise eine Frucht des Geistes von Medellín. Offensichtlich fehlt noch viel zu tun, zum Teil wegen der Angst einiger vor Reformen, zum Teil wegen der überstürzten Aktivitäten anderer, das zu Widerständen führte und Initiativen bremste. Ich glaube, dass das Konzil und Medellín für lange Zeit viele wertvolle Perspektiven eröffnet hat. Trotz der Kampagnen gegen Medellín, unter dem Vorwand eine abendländische Christenheit zu verteidigen, müssen wir auf den vom Konzil eröffneten Wegen weitergehen“ (23).

Die Dokumente von Medellín spielten auch in Bambamarca eine große Rolle. Für die bisherigen Katecheten war es eine Bestätigung und für die neuen Katecheten eine zusätzliche theo- retische Grundlage, auf der in der Folge die Ausbildung basierte. Bei den Campesinos wurden die Dokumente von Medellín sehr positiv aufgenommen und sie entdeckten darin die gleichen Prioritäten, nach denen sie bisher schon gearbeitet hatten. Concepción Silva, 1968 in einer Jugendgruppe aktiv: „Ich bewahre heute noch das Dokument von Medellín auf, es ist schon zerfleddert vom häufigen Gebrauch. Ich erinnere mich, dass wir damals begeistert waren, es kennen zu lernen. Zuerst lernte ich es auf einem zweiwöchigen Diözesankurs in Cajamarca kennen. In Medellín hat sich die Mehrzahl der Bischöfe für eine Option für die Armen ausgesprochen. Das sind Worte, die sich uns einprägten. Medellín bestätigte, dass auch die Campe- sinos nicht nur erkennen sollten, dass sie Teil der Kirche seien, sondern dass sie Kirche sind. Kirche ist nicht nur die Hierarchie, die Kirche sind wir alle. Niemals gab es das vorher, dass ein Campesino die Sakramente spenden konnte, dies konnten nur geweihte Leute“ (24).

Neben den genannten Prioritäten war es die Gewissheit, dass es in ganz Peru und überall auf dem Kontinent zu einem Aufbruch kommen wird. Die eigenen Erfahrungen deckten sich mit dem Anliegen und den Aussagen der Bischöfe. Man fühlte sich getragen und beflügelt von einem Aufbruch auf dem ganzen Kontinent, darin zum ersten Mal unterstützt von Priestern und Bischöfen. Es entstand das Gefühl der Einheit mit den Bischöfen und eventuell noch latente Zweifel an der Nachhaltigkeit des eingeschlagenen Weges wurden besänftigt.

Mit Papst Paul VI. war Bischof Dammert freundschaftlich verbunden. Im Jahre 1969 hat Paul VI. dem Bischof von Cajamarca persönlich die Vollmacht gegeben, die Katecheten zu be- vollmächtigen, das Sakrament der Taufe zu spenden. Aus Rom berichtet Dammert über seine Begegnung mit dem Papst: „Er ermutigte mich von ganzem Herzen, mit meiner bisherigen Arbeit fortzufahren, trotz aller Schwierigkeiten. Er drängte mich, einige Experimente weiterzuführen, ein Ritus für die Taufe durch ländliche Katecheten auszuarbeiten, ebenso einen Katechismus, angepasst an die Mentalität und das Verständnis der Campesinos. Er hielt mich an, das Verständnis des Priestertums in einer andinen Umgebung neu zu entwickeln und zu entdecken“ (25).

Die Katecheten wurden dafür vom Bischof in Übereinstimmung mit der Comunidad ausgesucht. Zuvor sollten sie die Eltern und die Paten richtig auf die Taufe vorbereiten. Schließlich wurden die Katecheten auch beauftragt, in geeigneter Form die Spendung des Ehesakramentes kirchlich zu bezeugen. Ebenfalls bereiteten sie auf die Firmung vor. Kurz vor dem Tod Pauls VI. stellte der Papst Bischof Dammert mündlich in Aussicht, bald erfahrene Katecheten erst zu Diakonen und dann zu Priestern weihen zu dürfen. Bereits 1971 sprach Dammert von der Notwendigkeit, verheirateten Katecheten die Priesterweihe zu spenden. Dabei ging er von dem Bedürfnis lebendiger christlicher Gemeinschaften aus, die Eucharistie feiern zu dürfen - als Zeichen und Höhepunkt ihres gemeinschaftlich gelebten alltäglichen Glaubens. „Ich denke schon, dass es in Zukunft lebendige Comunidades geben wird, die die Eucharistie fordern werden, obwohl es keine Priester in ihrer Mitte gibt. In diesem Fall könnte man verheiratete Männer weihen, insofern sie die Voraussetzungen erfüllen, die der hl. Paulus in seinen Pastoralbriefen gefordert hat. Theologisch sehe ich keine Schwierigkeiten“ (26).

Er grenzt sich aber von einer allgemeinen Forderung nach Freigabe des Zölibates ab und warnt davor, in der Abschaffung des Zölibates die Lösung für die Probleme in der Kirche zu sehen. Vielmehr geht er von den konkreten Bedürfnissen christlicher Gemeinschaften aus, denen angesichts des Priestermangels die Eucharistie vorenthalten wird. Er warnt vor vorschnellen Schritten und davor, dadurch einen neuen Klerikalismus einzuführen, weil eventuell „neue Priester“ nur die Gewohnheit an traditionelle Riten verstärken würden.

d) Dammert als Historiker und Schriftsteller

Eigentlich war er kein studierter Historiker, auch wenn ihn die Geschichte schon immer interessiert hatte. Die Schriften vor seiner Zeit in Cajamarca hatten vor allem juristische Themen zum Inhalt, Ende der fünfziger Jahre und dann als Weihbischof von Lima befasste er sich zu- nehmend mit sozialen Themen. Aber erst in Cajamarca fand seine Vorliebe für Geschichte ein konkretes Ziel, dem er sich bis zuletzt widmete: dem Studium der Geschichte von Cajamarca im Kontext der peruanischen Geschichte seit der Eroberung. Bald stellte er fest, dass es in Cajamarca keine Arbeit über die Entwicklung der Kirche von Cajamarca seit ihren Anfängen gab. Da er sich ganz der aktuellen Wirklichkeit von Cajamarca verschrieben hatte, war es für ihn konsequent, sich mit der Geschichte von Cajamarca zu beschäftigen.

Hier kommt das entscheidende Kriterium für sein Interesse an der Geschichte zum Vorschein: die Gegenwart kann man nur verstehen und dann auch gestalten oder verändern, wenn man die vorhergehenden Wirklichkeiten kennt, die immer in die Gegenwart reichen und sie beeinflussen. Ohne die Geschichte zu kennen, wird man immer wieder die gleichen Fehler machen. „Bürgerliche wie kirchliche Gesellschaft waren dazu verurteilt, ihre jeweiligen historischen Missgriffe dauernd zu wiederholen, eben weil sie sie als solche nicht erkannten“ (27).

Seine Beschäftigung mit der Geschichte hatte aber noch einen tieferen Grund: seine Liebe zu den Campesinos. Er selbst war kein Mensch der Anden, noch weniger ein Campesino. Er wusste sehr gut, vielleicht eher intuitiv, dass er die Campesinos nur verstehen konnte, wenn er ihre Kosmovision, ihre leidvolle Geschichte, ihre Sitten und Gebräuche kennen lernen würde. Er ließ sich von den Campesinos deren Geschichten erzählen, er fand und studierte vergessene Archive, u.a. in alten Pfarrhäusern aus dem 16. Jahrhundert, sammelte alte Statuen etc. Und er wusste, dass die Campesinos dann umso mehr und leichter zu ihrer eigenen Identität finden würden, je besser sie ihre eigene Geschichte kennen und schätzen lernten. Sie hatten ja ihre eigene Geschichte verdrängen müssen bzw. sie war ihnen geraubt worden.

So war es einer der bewegendsten Momente in seiner Zeit als Bischof in Cajamarca, als im Kulturinstitut der Stadt die Reihe „Biblioteca Campesina“ vorgestellt wurde. Sie wurde von den Campesinos selbst vorgestellt. „Die Bücher wurden nicht, wie gewohnt, durch die bekannten Intellektuellen der Gesellschaft Cajamarcas vorgestellt, sondern durch einige Campesinos. Alle hatten sie entsprechend ihren Sombrero auf, und einer sprach Quetschua. Schon vor Jahren, sagte Don Pepe, habe er davon geträumt, dass dies in den Räumen des Kulturinstituts einmal möglich sein würde, und heute sehe er es zum ersten Mal verwirklicht“ (28).

Ein wichtiger Aspekt seines Interesses für die Geschichte war, dass er nicht nur Texte schrieb, sondern dass er die Rahmenbedingungen dafür schaffen wollte, dass sowohl er selbst als auch andere sich professionell mit der Geschichte befassen konnten. Er schuf Archive und bildete Jugendliche aus, bei denen er zuvor das Interesse für Geschichte geweckt hatte. Dank seiner intellektuellen Fähigkeiten gelang es ihm, Intellektuelle für seine Arbeit zu interessieren. Viele Professoren der Universität Cajamarca sahen in ihm nicht nur einen Kollegen (er wurde 1982 zum Honorarprofessor der Universität ernannt), sondern einen Primus inter pares. Er konnte vor allem soviel Interesse für die Geschichte wecken, weil es ihm gelang, interessierte Menschen davon zu überzeugen, dass es um der Gegenwart und Zukunft von Cajamarca willen wichtig war, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen - nicht l’art pour l’art, sondern um der heutigen Menschen willen, besonders der bis dahin völlig vernachlässigten Menschen. Eine seiner ersten Veröffentlichungen zur Geschichte (1983) handelt von der Comunidad Chetilla, eine der beiden noch Quetschua sprechenden Comunidades von Cajamarca.

Neben dem Studium der einheimischen Kultur und Geschichte, war ihm die Geschichte der Kirche in Peru ein nahezu gleich wichtiges Thema. Aber auch diese Arbeit hatte ihren konkreten Bezug zu Cajamarca. So beschäftigte er sich z.B. intensiv mit den Konzilien von Lima (vor allem das 3. Konzil von Lima, 1583), weil dessen Beschlüsse ganz konkrete Auswirkungen auf die Kirche und Gesellschaft in Cajamarca hatten. Um die Fehler der ersten Evangelisierung zu vermeiden, beschäftigte er sich mit der Geschichte der Evangelisierung und damit auch der Eroberung und der Kolonialisierung. Einige Schriften über Las Casas zeigen seine besondere Vorliebe für diesen „ersten Bischof der Indios“. Wie Gustavo Gutiérrez sah er sich in der Tradition von Las Casas und fühlte sich dessen Erbe verpflichtet.

Seine Vorliebe für die Geschichte führte nicht nur zu einer Vielzahl von Schriften und Veröffentlichungen, sondern auch zu nachhaltigen Werken, die im Bewusstsein der Campesinos bis heute eine große Bedeutung haben. Für die Evangelisierung in Bambamarca war das Entstehen des Despertar von entscheidender Bedeutung. Aus diesem ging dann das Glaubensbuch Vamos Caminando hervor. Die Landbibliotheken wurden schon erwähnt. Er regte an und förderte die „Kleinpresse des Volkes“ (prensa popular") wo immer ihm dies möglich war, ebenso die Medienstelle der Diözese mit ihren zahlreichen Publikationen. Die Campesinos von Bambamarca wollen nach dem Abschied Dammerts die Geschichte ihrer befreienden Evangelisierung schreiben, weil sie, wie sie sagen, dies ihrem Bischof schuldig seien.

Nicht zuletzt war er Mitbegründer der CEHILA, der Kommission für Lateinamerikanische Kirchengeschichte und auf vielen Treffen aktiv beteiligt. Seine wichtigsten (kirchen-) historischen Themen sind (hier in Kurzbezeichnung, vgl. das Verzeichnis aller Schriften): Volksreligiosität (1974); die Entwicklung der Kirche im 16. Jh., (1974, 1979), besonders der Konzilien in Lima (1976, 1982); Erzbischof Mogrovejo (1972, 1980); Pizarro (1981-83); Las Casas (1977); der diözesane Klerus (1996) und Geschichte von Cajamarca (1997).

In den Hommages wird Dammert meist auch als Historiker und Schriftsteller gewürdigt. Die Bezeichnung als Schriftsteller bezieht sich eher auf die Tatsache, dass er sehr viel schrieb. In seinen umfangreicheren Arbeiten zitiert er sehr viel. Das kann dazu führen, dass manche Passagen eher unleserlich wirken. Detaillierteste Angaben und Zitate werden oft einfach aneinandergereiht. Sein Verdienst ist aber auch hier, dass er Texte, meist aus dem 16. Jahrhundert, vor dem Vergessen bewahrte und sie mit der Gegenwart in Beziehung setzte, um z.B. die erste Evangelisierung mit der zweiten Evangelisierung nach dem Konzil zu vergleichen.

Er schrieb sehr viele Briefe, oft auch ungebeten, um Missstände anzuprangern. Vor allem zu Beginn seiner Amtszeit schrieb er viele Hirtenbriefe bzw. Pastoralbriefe, um seiner Diözese die Ergebnisse des Konzils mitzuteilen und für dessen Anliegen zu werben. Das Schreiben war für ihn entgegen der üblichen peruanischen Sitte eine wesentliche Weise der Kommunikation. Selbst und gerade auf seinen Auslandsaufenthalten schrieb er umso häufiger nach Cajamarca, um z.B. seine Eindrücke mitzuteilen und sie mit der Situation in Cajamarca zu vergleichen. Dabei beschäftigte er sich manchmal mit Themen, die aus heutiger deutscher Sicht eher skurril wirken, z.B. findet er es unmöglich, wenn man in Deutschland scheinbar keine andere Probleme hat, als darüber aufgeregt zu streiten, ob Mädchen Ministrantinnen sein dürfen und sich auch noch priesterliche Gewänder umhängen - er selbst war übrigens strikt dagegen (gegen Gewänder).

War er etwas länger in Lima, schrieb er ebenfalls mindestens einmal pro Woche nach Cajamarca, entweder an den Klerus allgemein, oder an einzelne Priester, an Katecheten und Freunde. Da er die Kopien aller seiner Schreiben und seine gesamte Korrespondenz streng aufbewahrte, wuchs mit der Zeit ein sehr umfangreiches Archiv heran. Luis Mujica kommt in seiner Arbeit über Dammert auf 403 Artikel (von 1962 - 1992, Briefe nicht gerechnet), von denen 106 veröffentlicht wurden. Die Themen umfassen die ganze Bandbreite der religiösen und sozialen Dimension des Menschen und der Gesellschaft.

e) Sein Abschied aus Cajamarca

Zur III. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla wurde Dammert als Vizepräsident der Bischofskonferenz nicht als Delegierter der peruanischen Bischöfe entsandt. Bereits im Vorfeld zu Puebla kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Dammert und dem Nuntius in Lima. Auch die Auseinandersetzung um die Theologie der Befreiung spielte eine Rolle.
Hauptgrund für seine Nichtwahl dürfte aber gewesen sein, dass er im Vorfeld von Puebla öffentlich gegen die Versuche von Kardinal López Trujillo (u.a.) protestierte, CELAM de facto zu entmachten und das Vorbereitungsdokument für Puebla in Rom auszuarbeiten. Dieses sollte dann nur noch den lateinamerikanischen Bischöfen zur Abstimmung vorgelegt werden. In einem internen Dokument nennt er im Rückblick auf Puebla und im Vorfeld von Santo Domingo die Vorgänge und die dahinter stehende Gruppe beim Namen. Am Ende dieses Dokumentes schreibt er: „Deswegen muss man klar sehen, dass es Dank der opportunistischen Strategie dieser Gruppe der CAL (Kommission für Lateinamerika in Rom) gelingen könnte, die Autonomie der CELAM zu Fall zu bringen“ (29). Dammert sollte Recht behalten. Für die IV. Lateinamerikanische Bischofskonferenz in Santo Domingo waren die Vorgaben aus Rom noch stärker und im Unterschied zu Puebla gelang es den lateinamerikanischen Bischöfen nicht mehr, diese römische Vorlage zu ignorieren (30).

Inzwischen war aber Dammert zum Präsidenten der peruanischen Bischofskonferenz gewählt worden. Damit war er von Amts wegen Teilnehmer in Santo Domingo. Hier hatte er dann auch seinen letzten couragierten Auftritt auf internationaler Ebene und als amtierender Bischof. Zu dieser Zeit war sein Rücktrittgesuch bereits angenommen, Dammert aber noch nicht darüber informiert worden. Er war Mitglied der Kommission 26 („Kommission einheimische Kulturen“) und bat am 19. 10. 1992 im Namen der Kommission, an die Indios und Afroame- rikaner eine Bitte um Vergebung zu richten. „Seit Beginn der Verkündigung des Evangeliums in diesem Kontinent wurde weder ein Dialog mit der einheimischen Kultur gesucht, noch versuchte man, deren Mentalität kennen zu lernen. Im Laufe der Jahrhunderte hat man nicht versucht, ihr Gedankengut und ihre Kosmovision zu verstehen. Man hat sie als Primitive und Barbaren behandelt, die sich nicht auf der Höhe der Europäer befinden... Letztendlich fordere ich im Namen aller Mitglieder der Kommission 26, dass wir im Schlussdokument der Konferenz die Indígenas und Afroamerikaner um Vergebung bitten“ (31).

Doch diese Bitte wurde nicht angenommen (32). Bischof Dammert und seine Freunde standen auf verlorenem Posten. Wie seine Ernennung zum Bischof von Cajamarca im Jahre 1962, so markiert auch sein letztes Auftreten als Bischof von Cajamarca im Jahr 1992 einen epochalen Umbruch, diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. „Santo Domingo signalisierte die Seelenstimmung einer gebrochenen Kontinuität und eines Rückrufs zur ‚Normalität’ - ein recalling, wie das bei Autofirmen üblich ist - weil an denSicherheitsgurten angebliche Defekte festgestellt worden waren. Hinter den Sicherheitsmaßnahmen lauern Ängste. Die Angst vor der Umarmung der Armen und Anderen, der Laien und Frauen; die Angst vor dem Verlust von Wahrheit und Macht, von Prestige und Privilegien, von Kohärenz und der Relevanz...“ (33).

Dammert war im lateinamerikanischen Episkopat als Professor für Römisches Recht eine anerkannte Autorität. Er erwarb sich ein hohes Ansehen als Staatsrechtler und als Experte in Verfassungsfragen und war ein anerkannter und gesuchter Gesprächspartner bei politischen Gruppierungen und Regierungen jeglicher Couleur. Dies war auch der entscheidende Grund, warum ihn die peruanischen Bischöfe 1990 zum Präsidenten der peruanischen Bischofskonferenz gewählt haben. Dammert war zwar kirchenpolitisch mit seiner rückhaltlosen Option für die Armen inzwischen in eine Minderheitenposition gedrängt worden (wegen gezielter Bischofsernennungen aus Rom). 

Aber auf dem Höhepunkt des Terrors, als die Existenz des bürgerlichen Staates auf dem Spiel stand, wurde er mit großer Mehrheit von den Bischöfen als ihr Sprecher gewählt, weil er wie kaum ein anderer sowohl als moralische Autorität als auch als Verfassungsexperte von allen politischen Kräften anerkannt wurde. Allein ihm traute man zu, die schwierige Balance der Kirche zwischen Kritik am Staatsterror und der nötigen Härte im Kampf gegen den Terrorismus zu bewahren. Stets wies er auch öffentlich und an die Regierung gerichtet darauf hin, dass der Kampf gegen den Terror langfristig nur gewonnen werden kann, wenn es zu umfassenden sozialen Refor- men zugunsten der Armen kommt. Umso erstaunlicher ist, dass auf dem absoluten Höhepunkt des Terrors - im Sommer 1992 - das obligatorische Rücktrittsgesuch des Bischofs zu seinem 75. Geburtstag vom Vatikan sofort angenommen wurde.

Dies bedeutete auch einen herben Rückschlag für die Rolle der Kirche und des Episkopats in einer äußerst verunsicherten Gesellschaft - ausgerechnet in Zeiten höchster Not, in der viele Menschen den baldigen Zusammenbruch des Staates befürchteten. „Zuerst übers Radio erfährt Bischof Dammert, dass er nur noch ein paar Wochen Bischof ist. Zum 75. Geburtstag hat Dammert routinemäßig sein Rücktrittsgesuch in Rom eingereicht. Dass dieses (im Unterschied zu anderen Fällen) so prompt angenommen wird und ihm auf diese Weise zur Kenntnis kommt, muss auch für ihn ein Schock sein, zumal er amtierender Vorsitzender der peruanischen Bischofskonferenz ist. Er nimmt das aber nach außen gelassen und (als seine Person betreffend) gewohnt loyal hin“ (34).

Am 10. Dezember 1992 verabschiedete sich Bischof Dammert von seiner Diözese. Tausende Campesinos, Delegationen aus allen Teilen der Diözese, seine Mitarbeiter und einige Bürger der Stadt versammelten sich vor der Kathedrale. Durch ihre Anwesenheit und auf Hunderten von Spruchbändern sagten ihm die Campesinos Dank für 30 Jahre unermüdlichen Einsatz für eine Kirche der Armen. Während der Hl. Messe in der Kathedrale wurden ihm sein Poncho und Sombrero als Opfergaben auf den Altar gelegt. Neptalí Vásquez berichtete als Sprecher der Katecheten von Bambamarca von seiner Erfahrung, wie er zu Gott fand und für sein Reich zu arbeiten begann, kurz nachdem Bischof Dammert angekommen war. Er schloss mit den Worten: „Bischof Dammert hat 30 Jahre lang die Gute Nachricht ausgesät. Seither ist ein Strauch daraus gewachsen, dessen Äste reiche Früchte tragen. Diese Pflanze werden wir liebevoll hegen und pflegen - ob in guter oder schlechter Erde“. Stellvertretend für die ganze Gemeinde umarmte Don Neptalí seinen Hirten und Freund (35).

Dammert verkörperte durch seine Persönlichkeit, seinen Lebensstil und lebendiges Zeugnis die Gute Nachricht für die Menschen von Cajamarca. Die Gute Nachricht bestand darin, den Armen die Frohe Botschaft ihrer Befreiung zu verkünden, weil mit Jesus Christus die Herrschaft des Reiches Gottes angebrochen ist (Lk 4). „Er war der Hirte und Prophet, der die Zeichen der Zeit zu deuten verstand und für die Ortskirche Cajamarca einen Weg der Befreiung, der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität ebnete. Ich habe viel von seiner Erfahrung gelernt und, vor allem, von seiner Art zu sein und zu leben. Ich teile mit ihm sein Leiden, seinen Glauben und seine Hoffnung. Ich bin sicher, dass seine pastorale und menschliche Arbeit für lange Zeit seine Spuren hinterlassen wird, besonders bei den Campesinos und seinen engsten Mitarbeitern - so wie ein Saatkorn, das nur auf den Regen und die Sonne wartet, um wieder neu Gestalt anzunehmen um dann die Früchte zu bringen, die der Sämann so sehr erhofft“ (36).

2. Die Lage in Cajamarca zu Beginn der Amtszeit Bischof Dammerts

a) Der sozial-politische Kontext

„Mehr als einmal, wenn ich Gelegenheit hatte, über unsere Arbeit unter den Campesinos der Diözese Cajamarca zu sprechen, machte man den Einwand: ‚Warum die Eingeborenen unbedingt zu einer Lebensverbesserung drängen, warum Bedürfnisse herausfordern, sie sind doch glücklich, so wie sie sind?’ Ich war über dieses Ansinnen entrüstet und empfand diese Gedanken als absurd und gegen jedes Menschenrecht. Aber dann habe ich versucht, mich in diese Situation hineinzudenken. Ich konnte so deutlich spüren, wie unendlich viel denjenigen, der nur von der Ferne schaut von denen trennt, die diese Wirklichkeit leben und erleiden“ (37).

Diese erlebte und erlittene Wirklichkeit ist der Ausgangspunkt für die sozialpastorale Arbeit, wie sie mit der Ankunft von Bischof Dammert im Jahr 1962 in Cajamarca begann. Er kam zwar auch aus der Ferne, doch begab er sich mitten hinein in die Wirklichkeit, die für die meisten Menschen in Cajamarca eine leidvolle war. Die Annäherung gelang und diese Grundhaltung ermöglichte ihm, die Armen als Opfer zu sehen, die „unter die Räuber gefallen sind“. Das Sehen allein reicht aber nicht aus. Im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter sahen auch der Levit und der Priester den Menschen im Straßengraben. Doch entsprechend ihrer Option bzw. Theologie hatten sie andere Prioritäten gesetzt. Der Tempel war wichtiger, weil sie dort Gott zu begegnen glaubten. So konnten sie den unter die Räuber Gefallenen zwar sehen, konnten sich aber nicht mit ihm solidarisieren, weil sie Wichtigeres zu tun hatten.

Der Samariter aber hat ein „Herz“ und er lässt „sich bewegen“. Er lässt alles liegen und stehen und geht auf den Menschen im Straßengraben zu, weil er in ihm nicht nur das Opfer, sondern auch den Menschen entdeckt, in dem er Gott begegnet. Für den Samariter bedeutet „sehen“, die Situati- on des unter die Räuber Gefallenen zu erkennen und sich davon berühren zu lassen. Dies bedeutet für ihn, sich um ihn zu kümmern, sich in seine Lage hinein zu versetzen und mit zu leiden. Er teilt mit ihm das Leid und dadurch können die Wunden geheilt werden. Für Dammert sind diese Menschen der wahre Tempel Gottes. Ihnen ein „Barmherziger Samariter“ zu sein und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, ist wahrer Gottesdienst.

Nach Dammert sind es im sozialem Bereich vor allem drei Herausforderungen, die erkannt und denen er sich und seine Mitarbeiter zusammen mit den Betroffenen stellen müssen:

  • Die Lebensverhältnisse auf dem Land, die der Würde des Menschen fundamental widersprechen.
  • Die Verachtung der Indios (Rassismus).
  • Die ungerechten Machtverhältnisse (Staat, Gesellschaft, Kirche).

Die Darstellung der sozialpolitischen Situation geschieht an dieser Stelle nicht zuerst anhand von Zahlen und Statistiken. Auch Bischof Dammert ging nicht zuerst von Statistiken aus. In Cajamarca ließ er nicht zuerst soziologische Studien über die Armut erstellen, sondern er besuchte die Menschen auf dem Land, teilte während dieser Besuche das Leben mit ihnen, er ging in die Gefängnisse und besuchte die alten, verlassenen Menschen in der Stadt. Erst 1969 entstand die erste soziologische Studie über die soziale Situation in der Diözese (38). Anlass dazu war ein Bericht über die Arbeit der ersten Entwicklungshelfer.

Für Dammert ist der Schlüssel für den Zugang zu den Betroffenen das Entstehen von Ver- trauen. Dann sind es die Betroffenen selbst, die auf ihre Situation hinweisen. Dies setzt von Außenstehenden die Bereitschaft voraus, hören und (mit-) fühlen zu können. Bei der Darstellung der Wirklichkeit geht es daher nicht zuerst um eine Aneinanderreihung von Fakten, es geht vielmehr darum, eine bestimmte Haltung einzunehmen, die wiederum ihren Ursprung in einer bestimmten Option hat. Diese Haltung führt gewissermaßen von selbst dazu, die beschriebene Wirklichkeit verändern zu wollen. Die beschriebene Wirklichkeit war und ist eine globale Wirklichkeit.

Dammert kannte noch nicht den Begriff der Globalisierung, auch wenn sie damals schon (wenn auch auf andere Weise) wirkmächtig war und das Leben der Menschen beeinflusste. Dammert wies aber immer auf die weltwirtschaftlichen Verflechtungen und Abhängigkeiten hin. Er war sich bewusst, dass es nicht nur darum ging, dem unter die Räuber Gefallenen ein „Barmherziger Samariter“ zu sein, sondern alles zu tun, damit Strukturen geschaffen werden, in der Menschen vor den Räubern geschützt werden, anstatt die Räuber zu den „Hütern des Weges“ zu machen und als Garanten des Weltfriedens und der Freiheit zu preisen. In diesem Abschnitt geht es zwar um die konkrete Situation in Cajamarca, doch die Verhältnisse in Cajamarca und Bambamarca sind exemplarisch für die Regionen der Welt, die besonders unter den Auswirkungen der Globalisierung leiden.

a, 1) Die Lebensverhältnisse auf dem Land

„Unsere Familien leiden Hunger; unsere Kinder haben bei ihrer Geburt 1 Kilo weniger als das durchschnittliche Gewicht, weil die Mütter nicht ausreichend ernährt sind; schwangere Frauen wiegen oft nicht mehr als 42 Kilo. Falls unsere Kinder in die Schule gehen können, schlafen sie nach einer Stunde ein oder weinen, weil sie morgens nicht gegessen haben. Manche Familien essen nur ein Mal am Tag. Die Krankheiten nehmen zu, die Tuberkulose breitet sich aus, das Wasser ist verseucht. Da die Preise für die Lebensmittel immer weiter steigen, können wir immer weniger dazukaufen, erst recht reicht es nicht für Medikamente. Für den Kauf von Lebensmitteln müssen wir unsere Tiere verkaufen, doch danach haben wir noch weniger zu essen. Die Kinder leiden am meisten. Es gibt genügend Familien, in denen 3 oder 4 Kinder gestorben sind.

Es sterben immer mehr Kinder, 350 Kinder von 1.000 sterben, bevor sie 10 Jahre alt werden. Vielfach können unsere Kinder nicht die Schule besuchen, denn sie müssen zu Hause helfen. Andere Kinder müssen zum Betteln in die Stadt gehen, um etwas zum Essen zu haben, oder sie übernehmen harte Arbeiten und bekommen für zehn Stunden Arbeit am Tag einen Hungerlohn. Viele Mädchen arbeiten als Hausgehilfinnen in der Stadt und bekommen dafür nur ein Essen und ein Lager für die Nacht und werden von ihren Herren misshandelt. Unsere Hütten haben kein Wasser, Abwasser und Licht. Sie sind sehr eng und bestehen meist aus einem Raum. Wir haben wenig Land, meist an steinigen Abhängen. Es gibt viele Familien, die gar kein Land haben, sie müssen als Tagelöhner arbeiten. Die Landreform hat nur Wenige begünstigt. Viele aber sind ärmer als zuvor. Es gibt keine Arbeitsplätze. Viele müssen an die Küste oder in die Städte auswandern. Sie verlassen ihr Zuhause, vergessen ihre Art zu leben und in den Elendsvierteln geht es ihnen elender als zuvor“ (39).

Solche öffentlichen Aussagen der Campesinos über ihre eigene Situation waren 1962 und in der Zeit davor nicht möglich gewesen und liegen daher auch nicht vor, weil die Campesinos keine Plattform hatten, um auf ihre Situation hinzuweisen (40). Vor allem war dies kaum denkbar, weil die Campesinos ihre Situation als von Gott gegeben hinnahmen und still ertrugen. Typisch für diese Haltung ist der zum Sprichwort gewordene Ausspruch - auf den Tod eines Kindes bezogen: „Gott hat es gegeben und Gott hat es genommen“.

Erst mit dem Erwachen der Campesinos aufgrund einer befreienden Pastoral, wurde die eigene Situation bewusst thematisiert und analysiert. Interessanterweise war für die Beschreibung der eigenen Situation nicht die Situation selbst der Ausgangspunkt, sondern die aufgrund einer neu entstandenen Sichtweise gewonnene Erkenntnis von der Würde der eigenen Person als Kind Gottes. Erst von daher wurde die eigene Situation gewissermaßen rückblickend zum Thema und zu einer Herausforderung, die es als solche zu erkennen galt. Das beinhaltete, die Situation zu verändern, weil sie nicht vereinbar ist mit der Würde als Kind Gottes und daher auch nicht vereinbar mit dem Willen Gottes. So stehen die zitierten Aussagen der Campesinos unter der biblischen Überschrift:
„Ich habe das Leiden meines Volkes gesehen“. Erst wenn man Gott erkennt, dann kann man sich auch als Kind Gottes und als sein Volk erkennen.

Methodisch gesehen steht die Beschreibung und Analyse der Situation immer an erster Stelle. Von einem inneren Werdegang her betrachtet ist es aber zuerst die anhand der Evangelisierung gewonnene Erkenntnis, dass diese Situation nicht von Gott gewollt sein kann. Es ist die Erkenntnis, dass z.B. Unterernährung kein blindes Schicksal bzw. nicht der Wille Gottes ist, sondern ein Übel, das überwunden werden kann und muss. In einem Kommentar zu dem an vielen Beispielen aufgezeigtem Leid heißt es in Vamos Caminando: „Leiden ertragen können ist an sich nichts Schlechtes... Aber manchmal schieben wir nur allzu gern anderen die Schuld zu für unsere Leiden und tun dann nichts mehr: Wenn ein Kleinkind krank wird, sagen wir: ‚Vom bösen Blick verhext!’ Wenn eine Krankheit die Saatkartoffel verdirbt, sagen wir: ‚Strafe Gottes!’ Durch Erkennen der Ursachen könnten wir für viele Leiden Abhilfe schaffen. Und wenn wir einmal nicht mit ihnen fertig werden, sollten wir daran denken, dass Gott in Jesus unser Schicksal geteilt und mit uns gelitten hat“ (41).

a, 2) Die Verachtung der Indios (Rassismus
)

Der Schlüssel zum Verstehen der sozialen und pastoralen Problematik in der Diözese Cajamarca und im gesamten Andengebiet liegt darin, den engen Zusammenhang zwischen der Diskriminierung der Indios und deren sozialer Situation zu erkennen. Bischof Dammerts größte Herausforderung bestand darin, die koloniale Mentalität in den Köpfen und Herzen der Städter zu überwinden, die auf der über Jahrhunderte überdauernden Auffassung beruhte, dass die Indios bestenfalls als unmündige Kinder zu behandeln sind, normalerweise aber nur die Funktion haben, den Städtern zu Diensten zu sein und sie zu ernähren. Noch bis in die Amtszeit Dammerts hinein konnte jeder Städter ungestraft einen Campesino körperlich züchtigen, ihn zu unbezahlten Hilfsdiensten zwingen und die Töchter der Campesinos (besonders die Hausgehilfinnen) vergewaltigen, ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Leonardo Herrera beschreibt diese Situation: „Noch nicht einmal ein ganzes Buch könnte all das zusammenfassen, was wir erlitten haben. Mit Wut im Bauch erinnerten wir uns daran wie zum Beispiel ein Campesino durch die Straßen ging, während ein Städter, vor seinem Haus sitzend, ihn kommen sah. ‚He Indio, geh und hole mir einen Eimer Wasser’! ‚Aber, Herr...’

Der Städter gab dem Campesino ein paar Fußtritte und zwang ihn, das Wasser zu holen. Der Campesino musste gehorchen, wenn nicht, diese Städter konnten ihn wegen irgendwas anklagen, niemand hätte ihn verteidigt und sie konnten ihn sogar ins Gefängnis werfen. Klüger war es, ihm das Wasser zu holen und die Misshandlungen zu ertragen. Diese Leute aus der Stadt haben die Macht in ihren Händen“. Und er fährt fort: „Niemals gab es jemanden, der uns begreiflich machte, dass wir auch so viel wert sind wie die in der Stadt. Niemand hatte uns erklärt, dass Väterchen Gott uns alle gleich geschaffen hat. Vielmehr predigten sie uns, dass Gott mit den Mächtigen ist, die dem Pfarrer gut zu essen geben, mit dem Besitzer der Hazienda, der sich darum kümmerte, dass wir zum Pfarrer gingen, damit er uns unsere Sünden vergebe. So waren wir denn überzeugt, dass wir viel weniger wert sind als ein Krawattenträger. Eines Tages beleidigte ein Korporal der Polizei meinen Onkel und mein Onkel antwortete ihm: ‚Wenn wir die Kleider ausziehen und wir so verbleiben, wie Gott uns gemacht hat, ich wette, ich und du sind gleich viel wert, carajo!’ Aber das ist heute so, nach so viel Bewusstseinsbildung. Vorher dagegen, die Älteren, wie hätten sie es jemals gewagt, ihre Stimme zu erheben gegen einen Polizisten, gegen einen Krawattenträger, undenkbar! Stellen Sie sich vor, ich kann mich noch daran erinnern an das Patronatsfest, wo sie die kleine Jungfrau mit viel roter Farbe anmalten um uns dann zu sagen, dass die Jungfrau sehr verärgert sei wegen unserer Sünden. Und wir haben das geglaubt! Wie dumm waren wir doch, sagt?“ (42).

Bischof Dammert wird nicht müde, auf diese Situation hinzuweisen: „Es besteht in den Stadtgebieten die diskriminierende Auffassung, dass der Campesino der nördlichen Sierra ein unselbstständiger Mensch ist, der ‚erzogen’ werden muss und der auf sich allein gestellt nicht handlungsfähig ist. Wenn er dennoch irgendeine Aktion durchführt oder etwas in die Wege leitet, unterstellt man sofort, dass ihn jemand von außen angetrieben haben muss. Denn es ist undenkbar, dass ein Campesino selbst denken kann“ (43). Die häufigsten Vorurteile gegen die Campesinos sind: sie sind faul und unfähig, zielstrebig und ohne Anweisungen zu arbeiten; sie haben keine Kultur; der Campesino ist verschlossen und wenn man ihn zum Reden auffordert, lügt er und hält nie sein Wort; er ist dreckig, gefühllos und es ist ihm egal, ob ein Kind stirbt oder nicht.

Dammert: „Es sind Vorurteile, die auf der vermeintlichen Überlegenheit der abendländischen Zivilisation und der Unterscheidung der Rassen beruhen. Diese Vorurteile sind Folge einer völligen Unkenntnis der Lebensumstände und der Fähigkeiten der Campesinos. Man kann so kein Verständnis entwickeln für den Zwang, dem der Campesino seit Jahrtausenden ausgeliefert ist: durch die Kaziken und Inkas, durch Mönche und Pfarrer, Großgrundbesitzer und Staatsbeamte, die sich mit dem Grundsatz von Aristoteles rechtfertigen, der lautet: Einige werden geboren, um zu befehlen und andere, um zu gehorchen“ (44).

Bischof Dammert bringt diesen Missstand öffentlich und anklagend zur Sprache. In einem Hirtenbrief, der auch in Lima veröffentlicht wurde, schreibt er: „Die Gesetzgebung Perus erkennt an, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind. Im Alltag jedoch ist es wie in Südafrika: die Mehrheit der Bevölkerung wird diskriminiert und verachtet, und dies ist gesellschaftlich so akzeptiert. Es gibt eine Verachtung der Mittel- und Oberschicht gegenüber allen, die einer anderen Rasse angehören, eine andere Hautfarbe haben oder die auf dem Land oder in Elendsviertel leben. Gesetze reichen nicht aus, um so tief verwurzelte Vorurteile und Misstrauen zu überwinden“ (45). Die Gesetze sind auch deshalb keine Hilfe, so fährt Dammert im Hirtenbrief fort, weil diejenigen, die diese Gesetze gemacht und zu überwachen haben, selbst voller Vorurteile sind. „Die Gesetze gibt es in unserem Land, aber unglücklicherweise werden sie nicht erfüllt. Man fühlt sich im Recht, sich über die anderen zu erheben und jene zurückzustoßen, die man wegen eingefleischter Vorurteile nicht als seinesgleichen betrachtet“.

Der Rassismus hat historische und kulturelle Ursachen und lässt sich nicht durch Dekrete überwinden. Die Gesetze dienen nur als „demokratische Fassade“ (Dammert) und werden von denen am wenigsten respektiert, die sie verkünden. „Es gibt die Verachtung des einfachen Campesinos. Und alle müssen wir gestehen, dass es ihm gegenüber keine Gleichheit der Behandlung gibt. Mit einem offensichtlichen Paternalismus duzt man ihn. Man nimmt seine (Handlanger-) Dienste in Anspruch, ohne ihn zu entlohnen, als ob es seine Pflicht wäre, dies zu tun. Er wird auch misshandelt und ohne jede Rücksichtnahme auf seine Person wird er gefangengenommen, sei er schuldig oder nicht. Im Innersten sehen wir ihn als minderwertig im Vergleich zu uns an. Ich wiederhole, dass es nicht darum geht, die peruanische Gesetzgebung substantiell zu ändern, sondern unsere Mentalität und unser Verhalten. Das Anerkennen der menschlichen Würde wird Wirklichkeit, wenn wir authentisch zum Nächsten werden“ (46)

Der Rassismus in der Gesellschaft findet sich auch in der Kirche. „Wenn die Kirche von Diskriminierung spricht, wendet sie sich vor allem an ihre eigenen Mitglieder, was auch immer ihre Position und Verantwortung in der Gesellschaft sein mag. Wie es nämlich innerhalb der Kirche keine Art von Diskriminierung geben darf, so darf ebenso wenig ein Christ wissentlich Strukturen unterstützen, die Menschen von anderen Menschen trennen“ (47). Es ist vor allem diese vorbehaltlose Unterstützung der entrechteten Campesinos, die man daher in kirchlich-bürgerlichen Kreisen dem Bischof zum Vorwurf machte. „Wann hat man je vorher gesehen, dass ein Campesino ein Buch in die Hand nimmt oder gar den Gottesdienst in der Kapelle hält. Und eine Campesina als Gesundheitshelferin (promotora de salud), als Katechetin, im Mittelpunkt der Comunidad, eine Campesina mit ihren geflochtenen Zöpfen, die in der Kirche von Bambamarca den Gottesdienst leitet - eine ‚India’, wie die Leute von der Stadt sagen“ (48).
Dass Dammert dies nicht nur zugelassen hat, sondern dass er es war, der dies angestiftet hat, ist in den Augen der Städter der eigentliche Skandal.

a, 3) Die Machtverhältnisse (Staat, Gesellschaft, Kirche)

Von peruanischen Soziologen (die meist wenig von dem Leben der Campesinos, der Hälfte der Bevölkerung, wissen) wird als größtes Problem auf staatlicher Ebene in Peru der Zentralismus, die Dominanz der Hauptstadt Lima, gesehen. Danach ist es - auf die Region bezogen - die Abhängigkeit der Landzonen von den städtischen Zentren und die damit zusammenhängende Diskriminierung der Campesinos. Diese drei Bereiche lassen sich nicht voneinander trennen, vielmehr bedingen und verstärken sie sich gegenseitig. „Das Fundament der ungerechten Struktur ist der exzessive wirtschaftlich-politische Zentralismus und die Armut, wie sie sich in den verschiedenen Formen des Vergessenwerdens, der Diskriminierung und des Missbrauchs, vor allem den Ärmsten gegenüber, zeigt. Diese Situation wird noch komplizierter durch die Ungerechtigkeit gegen die Schwächsten auf allen Ebenen der Gesellschaft von Cajamarca, die den Sinn von Menschenrechten nicht kennt bzw. akzeptiert“ (49).

Im Glaubensbuch Vamos Caminando ist ein Auszug aus einem Rundbrief von Bischof Dammert vom 10. 2. 1975 abgedruckt, der auf die Vernachlässigung der Landbevölkerung seitens des Staates hinweist und der heute noch in gleicher Weise geschrieben werden könnte: „Nach Cajamarca zurückgekehrt muss ich feststellen, dass dieses Gebiet völlig vernachlässigt wurde. Es gibt keine Pläne mehr für den Straßenbau. Die Agrarreform packt die Frage der Minifundien überhaupt nicht an. Statt mehr Lehrer in die Schulen zu schicken, wird der Verwaltungsapparat vergrößert. Es ist unerträglich, dass die Pläne für Cajamarca in Lima gemacht werden, ohne Rücksprache mit uns. Wir wissen nur, dass Projekte laufen, denn wir sehen Autos herumfahren mit schönen Schildern, und wir sehen, dass Büros eingerichtet werden, ohne zu wissen, was dort vor sich geht. Dann verschwinden Autos und Büros wieder spurlos. Bei der Planung großer Stauseen wird die Sierra überhaupt nicht berücksichtigt, außer als Wasserlieferant oder um die Arbeitskraft auszubeuten und um in einigen Fällen den Campesinos fruchtbares Ackerland abzunehmen. So gerät die ohnehin geplagte Andenregion in immer stärkere Abhängigkeit. Die Situation verschlechtert sich ständig. Es ist keine Lösung in Sicht. Dennoch besteht Hoffnung: Sie beruht auf den Menschen in Cajamarca“ (50).

In einem weiteren Schreiben kritisiert er die Regierung, die Behörden und den Zentralismus in Peru: „Die größten Hindernisse für den Fortschritt der Region liegen in dem Unverständnis der Bürokraten, die in städtischen und staatlichen Büros oder Ministerien sitzen. Sie begreifen aus der Ferne niemals die Probleme, die diese Zone heimsuchen. Dazu kommen ein völliges Fehlen einer Zusammenarbeit der einzelnen Stellen und das Desinteresse für die Probleme in den Provinzen. Der unendliche Papierkrieg mit unzähligen Bestimmungen, die fern der Realität sind, kommt hinzu. In den letzten Jahren sind viele nationale Funktionäre und ausländische Missionen gekommen, die mit Millionenprojekten die Region nach vorne bringen wollten, doch übrig geblieben sind nur unnütze Organismen, die zudem noch eine ständige Quelle für Missbräuche, Frivolitäten - um nicht noch mehr zu sagen - sind.

Die verarmte Bevölkerung hat auf jeden Fall von dem ‚Fortschritt’ noch nichts gesehen. Es ist sehr leicht, mit einem guten Gehalt ausgestattet, den Leuten Geduld zu predigen. Diese haben gelernt, den Worten nicht zu glauben, sondern sich auf ihre eigenen Kräfte zu verlassen, wenn sich ihr Leben ändern soll. Von den vielen angekündigten Reformen und Maßnahmen sind lediglich Festreden übrig geblieben, ihr Wirken macht sich vor allem darin bemerkbar, dass dicke Jeeps Wettrennen um die Plaza herum veranstalten. Die vorgeschlagenen Projekte, vielleicht mit guter Absicht, waren nicht geeignet für diese Umgebung und waren letztlich Modelle, die von außen übergestülpt wurden. Eine Folgerung ist eine dringliche Dezentralisierung des Landes, damit die nördliche Andenregion mehr Autonomie erhält, um aus der Region heraus die notwendigen Antworten auf die Herausforderungen zu erhalten“ (51).

Diese Haltungen setzen sich auch auf niederer Ebene und innerhalb der jeweiligen Regionen fort. In der Einheit fünf von Vamos Caminando werden konkrete Beispiele dafür genannt, wie die jeweilige Provinzhauptstadt (in diesem Falle die Stadt Bambamarca) das Umland ausbeutet oder auch ignoriert. Es wird gezeigt, wie Campesinos in den Amtsstuben der Stadt und von Rechtsanwälten (die man für eine zivile Eheschließung, Geburtsurkunden etc. braucht) und Ärzten behandelt werden. Weiterführende Schulen sind den Armen weitgehend verschlossen, weil sie nicht die notwendigen Schuluniformen bezahlen können und selbst wenn sie doch die Schulen besuchen können, dann hören sie dort, wie primitiv ihre eigene Lebensweise ist und wie vorbildhaft dagegen die von den Spaniern gebrachte Zivilisation.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Stadt wird in Vamos Caminando beschrieben: „Der Campesino ist jeden Tag beschissener dran, wenn er seine Landwirtschaft verbessern will. Denn die Preise für Werkzeuge wie Pickel, Hacken usw. steigen enorm schnell in die Höhe Außerdem kosten auch Dünger und Insektenvertilgungsmittel immer mehr. Aber mit den Erzeugnissen der Landwirtschaft ist es ganz anders. Wenn wir Kartoffeln ein wenig teurer verkaufen wollen, dann fährt uns im gleichen Augenblick die örtliche Oberschicht dazwischen und zwingt uns mit Polizeigewalt, zum billigeren Preis zu verkaufen“ (52).

In dem Beitrag der Campesinos von Cajamarca zur Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla beschreiben sie 1978 ihre Abhängigkeit von den Zentren der Macht: „Es gibt immer noch viele Großgrundbesitzer, die die besten Ländereien an sich reißen und uns das Wasser für die Bewässerung unserer Felder wegnehmen. Die Zwischenhändler in der Stadt bestimmen die Preise für unsere Produkte. Der Staat denkt bei seinen Gesetzen nicht an das Wohl der Campesinos. Er denkt nur an uns, wenn es zu seinem Vorteil ist. Wir sind erzogen worden, um als Unterdrückte zu leben. Man will uns weismachen, dass wir als Einzelne besser weiterkommen und man versucht, in uns den Wunsch nach Dingen zu wecken, die wir überhaupt nicht brauchen... Es ist also ein System voller Unrecht, das uns verachtet und das uns unterdrückt“ (53).

Es ist eine immer wiederkehrende Erfahrung der Campesinos und der Armen in den Randzonen der Stadt, dass politische und wirtschaftliche Macht eine Einheit bilden und dass eine unabhängige Justiz nur auf dem Papier existiert und in der Praxis die Mächtigen stützt. Wird der Druck auf die Menschen zu stark, versuchen sie ihr Glück in der Abwanderung an die Küste. In Vamos Caminando wird geschildert, wie ein junger Campesino sich voller Illusionen auf den Weg macht: „Die Küste! Dort gibt es alles. Bald hast du eine Arbeit und verdienst Geld! Ich werde mir ein Radio kaufen, wie Segundo. Ich werde Lima kennen lernen, die Riesenstadt, die Hauptstadt Perus. Der Lastwagenfahrer schaut den Jungen an und lächelt. Er weiß sehr gut, wie die Küste wirklich ist. Wie viel Leid erwartet doch den Bewohner der Sierra, wenn er hinab fährt! Es gibt keine Arbeit, keine Organisation. Und an der Küste ohne Geld sein, das heißt noch erbärmlicher leben als in der Sierra“.

Und als Kommentar wird der peruanische Schriftsteller José María Arguedas zitiert: „Ich kenne Lima, Herr Ingenieur: Ich habe die Kinder gesehen, die ganz kleinen, die den Abfall aßen zusammen mit den Schweinen in diesem Elendsviertel, das sie den Dreckhaufen nennen. Immer noch nagt die Tuberkulose an meiner Lunge. Diese Leute, mein Herr, leben trauriger als Würmer. An den kleinen Kindern klebt der Mist von Hühnern“ (54).

Bischof Dammert sagt, dass dieser Weg an die Küste, in das Gelobte Land der abendländischen Zivilisation, nicht der rechte Weg ist. Er führt für die meisten Menschen in noch größeres Elend, zu einem „Leben bei den Schweinen“. Dammert glaubt daran, dass das Evangelium den wahren Weg weist und dass eine Rückkehr zu den Quellen des Glaubens und der eigenen Identität zu einem menschenwürdigeren Leben und zu einer gerechteren Gesellschaft führt. Diesen Glauben teilt er mit Jesus und mit den Campesinos, die Jesus entdeckt haben.

b) Pastorale und kirchliche Ausgangsposition

Als Bischof Dammert 1962 nach Cajamarca kam, fand er eine Situation in seiner Diözese vor, die all das, was er vorhatte, als scheinbar aussichtslos erscheinen ließ. Wie er einmal auf einer Pastoralkonferenz in Cajamarca im März 1978 sagte, wäre es einerseits für einen Neubeginn leichter gewesen, wenn die gesamte Bevölkerung noch nie etwas vom christlichen Glauben gehört hätte, denn dann könnte man mit der Evangelisierung direkt anfangen und müsste nicht zuerst so viele Steine einer falschen Christianisierung aus dem Weg räumen. Andererseits konnte man aber doch an gewisse vorspanische Traditionen und Werte anknüpfen, nur galt es, diese im Lichte des Evangeliums neu zu deuten und zu integrieren.

Denn für Dammert und für die Mehrzahl peruanischer Theologen (zur Zeit Dammerts) geht es nicht nur darum, die jeweilige Realität zu analysieren und zu beschreiben. Jede Beschäftigung mit einer Realität, die ja gewissermaßen schon „a priori“ (aufgrund des eigenen Glaubens) als eine den Menschen unwürdige Situation erfahren und definiert wird, impliziert den Willen, diese Realität zu verändern. Dies wiederum beinhaltet zugleich mit der Analyse auch einen Plan, wie dieser Realität begegnet werden kann, um sie menschenwürdiger gestalten zu können. Zu einem Plan gehören die entsprechenden Methoden, um das Vorhaben bestmöglich im Sinne der betroffenen Menschen in die Tat umsetzen zu können. In diesem Sinne ist in der Folge zu beachten, dass Analyse, Deuten und die Pläne zur Überwindung der Situation eine Einheit bilden, die auch deshalb nicht zerstört werden darf, weil sie dem Selbstverständnis sowohl der Campesinos als auch Bischof Dammerts und seiner Mitarbeiter nicht gerecht werden würde, also nicht sachgerecht wäre (55).

Eine Analyse der Situation ergab für den Bischof folgendes Ergebnis:

  • Eine eigentliche Evangelisierung fand nicht statt. Es herrscht eine religiöse Ignoranz in der christlichen Lehre, sowohl auf dem Lande als auch in der Stadt.
  • Die von Europa aufgezwängten kirchlichen Strukturen, einschließlich der Ausbildung der Priester, sind für eine echte Evangelisierung wenig hilfreich, wenn nicht gar hinderlich.
  • Als Folge der mangelnden Evangelisierung gibt es keine pastoralen Mitarbeiter, die für die Evangelisierung der riesigen Gebiete entsprechend ausgebildet waren. Die bestehenden kirchlichen Strukturen und eine dem Evangelium wenig gemäße Praxis sind eine Folge der mangelnden Evangelisierung.

b, 1) Mangelnde Evangelisierung - religiöse Ignoranz

Bischof Dammert weist auf eine Ursache der mangelnden Evangelisierung hin, die in der Literatur der Missionsgeschichte und Evangelisierung Lateinamerikas seiner Meinung nach nicht hinreichend beachtet wird. Man geht eher von dem aus, was offiziell in Glaubensdokumenten und Glaubensbüchern gelehrt wurde und setzt sich damit aus heutiger Sicht kritisch auseinander - auf geisteswissenschaftlich, theoretischer Ebene. Dabei wäre es aber viel nahe liegender - so Dammert - sich zuerst damit zu befassen, wie die Verkündigung der Frohen Botschaft bei den Adressaten ankam. Denn diese konnten nicht glauben, was sie hörten, weil sie im Alltag meist etwas anderes erlebten bzw. erleiden mussten.

Es ist nicht das Wort, sondern das konkrete Verhalten, das die Menschen überzeugt oder auch nicht. Dies gilt um so mehr innerhalb einer indianischen Sicht der Welt, in der alle Erscheinungsweisen, menschliche Worte und Handlungen, stets auf einen gemeinsamen Ursprung und ein gemeinsames Ziel hinweisen und es höchste Aufgabe des Menschen ist, alle diese Erscheinungsweisen in ihrer Harmonie zu erkennen und darauf zu achten, dass diese Harmonie nicht zerstört wird. Die Indios konnten nie verstehen, wie die Europäer einerseits von einem Gott sprechen konnten, der alle Menschen liebt, sie andererseits aber täglich erleben mussten, wie die selben Europäer ihnen - auch noch im Namen dieses Gottes - das Leben zur Hölle werden ließen.

Kennzeichen der religiösen Ignoranz ist für Dammert die strikte Trennung zwischen Glaube und Leben, zwischen „himmlischem und irdischem Heil“ und dem sich daraus ergebenden Nichterkennen der sozialen Verpflichtungen gegenüber dem Nächsten. Grund der religiösen Ignoranz ist das Nichtkennen der Bibel. Die Menschen wurden zwar getauft, aber nicht auf die Taufe vorbereitet, geschweige auf die anderen Sakramente wie zum Beispiel die Eucharistie. Die Bibel war nicht die Grundlage der Verkündigung. Grundlagen waren vielmehr die Über- nahme von Riten, Gebeten und des ungeschriebenen Grundgesetzes der damaligen Zeit, nach dem das irdische Leben als Vorbereitung für das eigentliche Leben im Himmel dient und der richtige Glaube die Voraussetzung zur Rettung der Seele ist.

Da die Bibel nicht im Mittelpunkt stand, stand auch nicht Jesus Christus im Mittelpunkt. Diese mangelnde Verkündigung, sei es die Botschaft Jesu von der Umkehr, sei es die Erfahrung der ersten Christen mit Jesus dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, war für Dammert letztlich die Ursache der religiösen Ignoranz. „Hauptursache der religiösen Ignoranz war das Fehlen einer christozentrierten Verkündigung“ (56).
Dammert beschreibt eine vorgefundene Situation und will nicht einzelne Menschen kritisieren. Ebenso wenig macht er weder den Missionaren noch den privilegierten Städtern einen Vorwurf. Denn auch diese sind als Einzelpersonen und als Kinder der jeweiligen Zeit anzusehen, einschließlich der damit verbundenen Erziehung und der angeblich als unverrück- bar und von Gott gewollten Strukturen von Staat, Gesellschaft und Kirche. Dies ist für Dammert keine Frage von Moral oder guter bzw. schlechter Absicht, sondern es geht ihm darum, die Situation so zu erkennen, wie sie nun einmal ist. Diese Situation aber kritisiert er scharf und sein Hauptanliegen war es, diese Strukturen zu überwinden, damit die Menschen, die in diesen Strukturen gefangen sind, frei werden, das Evangelium zu vernehmen und es zu leben (57).

Bereits in seinen ersten Pastoralbriefen an die Menschen der Diözese Cajamarca spricht er eine bis dahin in Cajamarca nicht gehörte Sprache. In aller Deutlichkeit weist er auf strukturelle Defizite hin, die historische und kulturelle Ursachen haben: „Es fehlt eine Einführung der Gläubigen in den wahren Sinn des Gebets. Es gibt ernsthafte Defizite in der Barmherzigkeit wegen des ausgeprägten Individualismus und wegen dem Fehlen von Vertrauen zwischen allen sozialen Schichten. Personen, die sich als Christen bekennen, beschränken ihre Hilfe auf persönliche Freunde. Man beobachtet ein absolutes Fehlen von Frömmigkeit, die alle Werke mit Leben erfüllt. Vielleicht versteht man die Religion als bloße Pflicht, ohne persönliche Überzeugung. Man betrachtet sich als Katholik, wenn man den Tempel betritt; dies ist die Ursache für die Abwesenheit von moralischen Kriterien“ (58). Wenn dies auch für die Menschen eine ungewohnte Sprache war, so war es sein Anliegen, diese Menschen einzuladen, gemeinsam mit ihm die entsprechenden Defizite zu überwinden. Sicherlich war er zu Beginn seiner Amtszeit optimistischer als am Ende seiner Amtszeit. Er vertraute darauf, auch mit den Städtern zusammen einen neuen Anfang der Evangelisierung wagen zu können.

Eine weitere Ursache für die mangelhafte Evangelisierung sieht Dammert in der geschichtlichen Tatsache, dass immer nur Spanier, später auch andere Europäer und weiße Amerikaner, den Glauben verkündeten. Da die einheimische Kultur und Religion als Teufelswerk zu bekämpfen war, konnte es zwischen den Missionaren und deren Objekten nicht zu einem Dialog kommen - strukturell und institutionell gesehen, hingegen auf der Ebene einzelner Individuen schon. „Vor allem aber haben wir in unserer Kirche ein großes Problem, das nun seit 500 Jahren besteht:

Es ist nie eine peruanische Kirche entstanden. Sicherlich verdanken wir den europäischen und amerikanischen pastoralen Mitarbeitern sehr viel. Aber jeder von ihnen kommt zu uns, geprägt durch die Erfahrungen und die Ausbildung in seinem Land. Die Historiker werden wohl noch lange streiten, ob es nun eine ‚schwarze Legende’ gibt oder ob vor 500 Jahren ein Goldenes Zeitalter angebrochen ist. Viel wichtiger ist für mich aber die Frage, wie sich die Defizite dieser ersten Evangelisierung heute bewältigen lassen. Und dabei steht das Problem im Vordergrund, dass bei uns die einheimischen Bischöfe, Priester und Ordensleute fehlen. Kirchen, die später entstanden sind, so beispielsweise in den Vereinigten Staaten und in Australien, haben inzwischen längst ihre eigenen Strukturen, die uns aber bis heute fehlen. Die Hälfte der peruanischen Bischöfe ist nicht in diesem Land geboren, ebenso zwei Drittel der Priester, die hier arbeiten. Dies ist das eigentliche Problem der Kirche Perus, das aus dem langen Verbot der Weihe einheimischer Indios herrührt, aus deren sozialer und rassischer Geringschätzung. Diese erste Evangelisation war nur eine sehr eingeschränkte, weil man die Kultur der Anden und die Sprache der Indios nicht verstanden hatte“ (59).

b, 2) Die Schwäche der kirchlichen Strukturen

„Die aktuellen kirchlichen Strukturen, wie sie uns übergestülpt worden sind, verhindern eine Evangelisierung. Die Pfarreien in ihrer jetzigen Form sind nicht geeignet zu evangelisieren. Eine Erneuerung der Strukturen ist schwierig, denn die Pfarrer sind in eben dieser Struktur und für diese Struktur vorbereitet und es fehlt ihnen eine Vision, um dies zu ändern" (60).
Die kirchlichen Strukturen wurden von staatlichen Strukturen abgeleitet oder sie waren gar das genaue Abbild derselben. Dies war auch gar nicht anders möglich, lässt man die damalige Funktion der Kirche innerhalb des kolonialen Systems nicht außer Acht. Und umgekehrt war es oft die Kolonialmacht, die kirchliche Strukturen durchsetzte.
Vizekönig Toledo ordnete in der Folge des II. Konzils von Trient eine Neustrukturierung des Vizekönigreiches an. 1567 hatte das Konzil beschlossen, dass alle Eingeborenen in den neuen Ländern in Reduktionen zusammengefasst werden müssen. Abgesandte des Vizekönigs besuchten zwischen 1571 - 1578 darauf hin auch im Auftrag des Erzbischofs von Lima alle damaligen 43 Siedlungen der Region Cajamarca. Sie ließen alle Eingeborenen vorführen, zählen und legten darauf die zu zahlenden Tribute fest - sowohl die Tribute der Eingeborenen an ihre direkten Herren und an die Kirche, als auch die Tribute der Spanier an ihren König bzw. Vizekönig.

Die königlichen Abgesandten bestimmten, welche Gebiete mit jeweils wie vielen Leibeigenen den jeweiligen Ordensgemeinschaften und Pfarrgebieten zustehen. „Die Politik des Vizekönigs Toledo zielte auf eine Zusammenfassung der Bevölkerung in Reduktionen um sie so besser kontrollieren zu können, sowohl im Bezug auf die Verkündigung der Lehre, als auch der Zahlung der Tribute und der Heranziehung zur Zwangsarbeit“ (61). Staatliche und kirchliche Interessen gehen wie selbstverständlich Hand in Hand. Die territoriale Aufteilung ist bis in die heutige Zeit erhalten. „Die Unbeweglichkeit der kirchlichen Strukturen transformierte die alten Reduktionen in Pfarrsitze, die im Verhältnis der Bevölkerung und der territorialen Ausdehnung nur wenige waren und die ihren Sitz in den wenigen städtischen Zentren hatten, so dass bestenfalls einmal im Jahr die Bevölkerung außerhalb dieser Zentren besucht werden konnte. Dies geschah dann aus Anlass des Patronatsfestes“ (62).

Bischof Dammert stellt nicht das Konzept der Pfarreien an sich in Frage - im Gegenteil, er möchte es ja stärken und mit neuem Leben füllen - sondern er stellt fest, dass das sture Übertragen europäischer Modelle und das Festhalten an historisch bedingten Modellen eine Evangelisierung der Bevölkerung nicht zugelassen hat. Als Experte im Römischen Recht und Kirchenrecht hat er auch immer darauf hingewiesen, dass das besagte Recht dem Menschen zu dienen habe. „Bischof Dammert zielte stets darauf, das wesentliche Anliegen des Evangeliums den Menschen verständlich und begreifbar zu machen - jenseits aller festen Formen und institutionalisierten Vorschriften. So lautet ein typischer Ausspruch von ihm: ‚Oberhalb von 2.000 m über dem Meeresspiegel verliert das Kanonische Recht seine Bedeutung’. Er will Wirklichkeit werden lassen, dass der Sabbat für den Menschen und nicht der Mensch für den Sabbat, wie es der Herr lehrte, geschaffen sei“ (63).

Für Dammert war die Struktur der Pfarreien deshalb so skandalös, weil sie es verhinderte, dass sich eucharistische Gemeinschaften bilden konnten. In einer Pfarrei mit dieser Aus- dehnung und mit 40.000 - 80.000 getauften Menschen wäre dies selbst bei bestem Willen sei- tens des Pfarrers nicht möglich gewesen. Ohne diese eucharistischen Gemeinschaften aber kann es keine Kirche geben. „Ein weiterer Fehler war der exzessive ‚Parroquialismo’, der es unmöglich machte, eucharistische Gemeinschaften zu bilden“ (64).

Genauso wichtig für die mangelnde Evangelisierung war der Umstand, dass es die jeweiligen Pfarrer als ihre Hauptaufgabe ansahen, die religiösen Bedürfnisse der Städter zu befriedigen. Die Pfarrei war der Garant für die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung. „Die Pfarreien sind vor allem Nachfragen nachgekommen, die in Beziehung zu einem sehr rituellen Kult stehen, der seine Basis wiederum in einem zahlenmäßig sehr reduzierten Klerus hatte. Steuerlich und finanziell abhängig von kolonialen Praktiken und Gesetzen, die auf dem Konzil von Trient erlassen wurden, ist die Kirche zu einer Institution geworden, in der die Reichen der Zone eine Zuflucht und Stütze fanden, um eine bestimmte Ordnung aufrecht zu erhalten und zu bewahren und um jeden Wandel von vorneherein zu unterbinden und zurückweisen zu können“ (65).

Dammert intervenierte mehrere Male bei Papst Paul VI., um zu erreichen, dass seine Diözese unter Missionsrecht (Ius missionale) gestellt bzw. zum Missionsgebiet ernannt würde. Denn dies hätte es erlaubt, die bestehenden Gesetze entsprechend den regionalen Notwendigkeiten auszulegen (§ 517, 2). So hätten die Pfarrer Privilegien, die das Kirchenrecht Missionaren einräumte, zu mehr Freiheit in der Verkündigung des Evangeliums nutzen können und auch den Laien wären Rechte zugestanden worden, wie z.B. die Spende des Taufsakramentes, in der Mitarbeit in der Verwaltung und dem Ausstellen von Geburtsurkunden. Selbst die Geemindeleitung kann an engagierte und asugebildete Laien (Männer und Frauen) übertragen werden - was dann auch geschah.

Davon abgesehen ist es aber nach der Meinung von Bischof Dammert unverständlich, „dass nach 450 Jahren der Evangelisierung und der Taufe der Bevölkerung, es nicht möglich sein kann, dass wir in Bedingungen von Missionsländer ohne einheimische kirchliche Strukturen verharren“ (66). Es zeigt sich in diesem Zusammenhang der gleiche scheinbare Widerspruch wie in seiner Haltung zur Frage der Mitarbeit von ausländischen Mitarbeitern. Um eine authentische einheimische Kirche aufzubauen, braucht er vorläufig die Hilfe ausländischer Mitarbeiter. Und so auch in der Diskussion um „Missionsgebiete“: Um erreichen zu können, dass seine Diözese nach 450 Jahren Evangelisierung endlich den Status eines Missionsgebieten hinter sich lässt, will er vom Papst erreichen, dass seine Diözese zum „Missionsgebiet“ erklärt wird, um so den pastoralen Mitarbeitern, Priestern und Laien, bessere Mittel in die Hand geben zu können, genau diesen Status zu überwinden. Stattdessen muss er sich mit Strukturen auseinandersetzen, einer „künstlichen Architektur, die dem ‚Pastor’ einen Schrecken einjagt“ (67).

b, 3) Mangel an pastoralen Mitarbeitern

Die mangelnde Evangelisierung, die damit verbundene religiöse Ignoranz sowie künstliche kirchliche Strukturen und eine Konzentration auf den Klerus mussten dazu führen, dass es nur wenige engagierte christlichen Laien gab. Zwar gab es auch in der Stadt Cajamarca seit dem 17. Jahrhundert Orte (Häuser), in denen verarmten Menschen geholfen wurde, wo ausgesetzte Kinder aufgenommen und wo Hungrige gespeist wurden. Dies geschah sicher aus einem tiefen, individuellen Gefühl der Barmherzigkeit heraus. Doch geschah dies wohl weniger unter dem Aspekt der pastoralen Mitverantwortung und dem Bewusstsein, selbst Kirche zu sein und damit beauftragt, in dieser Kirche aktiv mitzuarbeiten am Kommen des Reiches Gottes.

Die Priester blieben überwiegend in den städtischen Zentren und widmeten sich dem Kult und den Riten. Sie waren ausgefüllt mit ihrer Rolle als „Servicestation“, vorrangig für die Bedürfnisse des wohlhabenderen Teils der Bevölkerung. Die Pfarrer sahen aufgrund ihrer kirchlichen und gesellschaftlichen Sozialisierung gar keine Notwendigkeit, in den Getauften ein missionarisches Bewusstsein zu erwecken und zu fördern. Wie sie später als Reaktion auf die Reformen von Dammert zu verstehen gaben, sahen sie zudem die Ausbildung von Laien als kontraproduktiv an, weil sie dadurch ihre Existenzberechtigung als Priester im Sinne einer Exklusivität in Frage gestellt sahen.

Dammert: „Es steht fest, dass wir wenige Laien haben, die aufgrund ihrer Ausbildung pastorale Führungsaufgaben übernehmen könnten. Die Gründe dafür liegen in der allgemeinen Gleichgültigkeit, die einen apostolischen Geist nicht gedeihen lässt; in der Betrachtung der Religion nur unter dem Aspekt der individuellen Frömmigkeit; weil die Priester sich nicht darum gekümmert oder es nicht gelernt haben, fähige Führungspersönlichkeiten für die apostolische Ausbildung zu entdecken; dazu kommt noch die riesige Ausdehnung der Pfarreien und das Fehlen von Ausbildungszentren in der Diözese“ (68). Wenn es dennoch zu einer gewissen, aber nicht zu einer institutionalisierten und kontinuierlichen Ausbildung von Laien kam, so bestand diese darin, Hilfspersonal für den Priester und geeignetes Personal für die Durchführung von Festen und Prozessionen zu finden. Diese Ausbildung geschah ohne eine kritische Bestandsaufnahme und Analyse der Wirklichkeit, sondern sie war auf den reibungslosen Ablauf des Kultes und des Status quo ausgerichtet.

Fazit:

Die große Mehrheit des Volkes hatte wenig von der befreienden Botschaft gehört. Die Campesinos wurden verachtet und diskriminiert. Die Mächtigen in Staat und Gesellschaft genossen ihre Macht, die Kirche schaute zu oder war Teil dieser Macht. Die Strukturen der lokalen Kirche, einschließlich Priesterausbildung und Pfarrstrukturen, standen einer Erneuerung im Weg und dienten eher der Erhaltung und Rechtfertigung des Status quo. Die religiöse Ignoranz zeigte sich in der Trennung des sozialen und des religiösen Bereichs, in der Unkenntnis der Bibel und der Soziallehre der Kirche. Es gab keine ausgebildeten Laien und wenig Priester, die bereit waren, die Visionen ihres Bischofs zu teilen. Der Bischof interpretierte die vorgefundene Situation als nicht mit dem Evangelium vereinbar. Daraus zog er seine Schlussfolgerungen.

Er wollte den „Geist des Konzils“ in seiner Diözese einpflanzen und die Botschaft Jesu verkünden. Dazu brauchte er Mitarbeiter, die mit ihm und mit den Armen bereit waren, den neu entdeckten Weg des Volkes Gottes zu gehen. Luis Mujica kommt nach der Lektüre der Schriften Dammerts über die Ausgangslage in Cajamarca zu folgendem Ergebnis: „Die pastorale Diagnose zeigt eine traditionelle Gesellschaft in Cajamarca, deren soziale Beziehungen weiterhin den kolonialen Wurzeln verpflichtet und deren religiöse Bildung schwach ausgeprägt ist. Zudem fehlen Priester. Dies erforderte die Errichtung von einheimischen kirchlichen Strukturen, den Beginn einer Re-Evangelisierung und die Vorbe- reitung von Laien, um diesem Problem wirksam begegnen zu können“ (69).

3. Beurteilen der Situation

a) Offensein für Erneuerung als Bedingung für das „Hören des Wortes“

„Ich bin gekommen, damit ihr leben könnt“. So heißt die Überschrift über den biblischen Teil des Beitrags der Diözese Cajamarca zur Bischofsversammlung Nordperus. Der Text fährt fort: „Wie viele Male haben wir unsere Leute sagen hören: ‚Das ist kein Leben’! Und auch heute sagt der Herr: ‚Mich erbarmt dieser Leute; sie sind müde geworden und glauben nicht mehr an sich, sie gleichen Schafen ohne Hirten und sie haben nichts zu essen... Alle, die vor mir gekommen waren, waren Diebe und Räuber... Der Dieb kommt nur um zu rauben, zu töten und um zu zerstören. Aber ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und dass sie es in Fülle haben. Ich bin der Gute Hirte’ (Ex 6,9; Mt 9,36; Joh 10, 8-10)“.70

Um die zitierten Aussagen - so z.B.: „dies sei kein Leben“ - machen zu können, muss man bereits eine Vorstellung haben, wie das Leben eigentlich sein könnte und sein müsste. Wer nur in der Nacht gelebt und noch nie gehört und noch weniger erfahren hat, dass es auch Licht gibt, der hat nicht nur keine Vorstellung vom Licht, er kann es auch nicht anstreben. Nun hat es immer Menschen gegeben, die in einer derart extremen Armut leben, dass allein der tägliche Kampf ums Überleben all ihre Kräfte und Sinne beansprucht.

Studien in den Elendsvierteln von Lima haben ergeben, dass viele dieser Menschen derart tief im Elend verstrickt sind, dass sie keine Visionen zu dessen Überwindung aufnehmen und entwickeln können bzw. sich mit Ersatzbefriedigungen beschäftigen, die ihnen von interessierter Seite offeriert werden (71). Ein hartnäckiges Vorurteil der Städter ist zudem, dass Campesinos keine Vision eines besseren Lebens kennen und sich in ihr Schicksal ergeben haben und sogar noch glücklich dabei sind. Warum sie also aus ihrer „Zufriedenheit“ herausreißen und ihnen Ideen und Illusionen vermitteln, die sie nur unglücklicher werden lassen, weil sie diese Ideen und Träume doch nie verwirklichen werden können?

In der Geschichte und Gegenwart hat es aber immer auch Beispiele gegeben, wie sich Menchhen in scheinbar auswegloser Situation mehr oder weniger spontan zusammengeschlossen und gegen ihr Elend und ihr Schicksal rebelliert haben. So geschah dies auch in der Region Cajamarca, wo es zu mehreren Aufständen gegen die Zwangsarbeit kam, wo Campesinos Land besetzten, um einige Kartoffeln zum Essen anbauen zu können und wo es in Llaucán bei Bambamarca zu einer Landbesetzung mit anschließendem Massaker unter den Campesinos kam. Und literarisch wurde dies u.a. von Ciro Alegría verarbeitet, der einen Campesino zu seinem Patron, dessen Tiere reichlich Futter bekamen, während ringsherum eine große Hungersnot herrschte, sagen lässt: „Ist vielleicht ein Christ nicht mehr wert als ein Tier“? (72)

Nach christlicher Auffassung hat jeder Mensch als Geschöpf Gottes prinzipiell die Gabe, sich als solches zu erkennen. Jeder Mensch ist auf Gott und damit auch auf ein Leben hin angelegt, das seine gegenwärtige Situation übersteigt. Es besteht stets eine produktive, dynamische Spannung zwischen der Gegenwart und der Zukunft, dem Heute und Morgen, dem tatsächlich so gelebten Leben und einer Vision von Leben (Utopie). Es ist sein göttlicher Ursprung, von dem her sich der Mensch christlich gedeutet definiert, der in ihm eine Sehnsucht nach einem „Mehr“ konstituiert, die trotz aller äußeren noch so widrigen Umstände nie völlig ausgelöscht werden kann und die ein Feuer wach hält, das den Menschen immer wieder befähigt, seine Situation zu verbessern und seiner Berufung als Ebenbild Gottes gerecht zu werden. Festzuhalten ist, dass das christliche Gottes- und Menschenbild jedem Menschen zutraut, sein Schicksal zu verbessern, und dass Gott ihn dabei nicht im Stich lassen wird.

So ist die in Cajamarca gestellte Frage, ob der Anstoß für eine „Menschwerdung“ (so bezeichnen einige Katecheten von Bambamarca ihre Evangelisierung) von außen kam oder aus den betroffenen Menschen selbst heraus erwachsen ist, eine sekundäre Frage. Da Gott in jedem Menschen zu Hause ist, ist jeder Mensch auch von zu Hause („von Natur“) aus fähig, dessen Ruf zu hören und sich auf den Weg zu machen. Dies gilt nicht nur für die Campesinos, es gilt genauso für die pastoralen und sozialen Mitarbeiter: „Als eifrige ‚Verkünder der Botschaft Gottes’ haben wir früher dabei den Menschen vergessen, wie wir auch unsere eigene menschliche Sendung vergessen haben. Der Schrei dieser vergessenen Menschen war notwendig, damit wir aus unserem Schlaf erwacht sind. Was nützt das Evangelium, das Konzil, die Sozialenzykliken, wenn wir nicht darauf hören“? (73)

Die Deutung der vorhandenen Situation als einer Situation, die nicht dem Willen Gottes und damit auch nicht der Würde des Menschen entspricht, entstand aus einem als dialektisch zu verstehenden Prozess heraus. Die arm gehaltenen Menschen Cajamarcas hatten seit jeher in sich eine Ahnung von ihrer Würde. Und trotz der bis dahin üblichen Christianisierung war in ihnen das Bewusstsein, als Mensch und als Christ „mehr wert zu sein als ein Tier“ immer noch mehr oder weniger latent vorhanden (74). Andererseits waren es Menschen wie Alfonso Castañeda, Menschen von außen, die bereit und in der Lage waren, den oft stummen „Schrei der Vergessenen“ zu hören und ihn auch als solchen zu deuten. Diese Deutung war ihnen deshalb möglich, weil einerseits natürlich auch ihnen die Gabe von Gott gegeben ist, jeden Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes zu erkennen. Diese Gabe konnte aber erst fruchtbar werden, als sie sich diesem Schrei (Ruf Gottes) ausgesetzt haben.

Die vorgefundene Situation als eine Situation zu deuten, die „zum Himmel schreit“  (Medellín) hat neben der in jedem Menschen angelegten Disposition, sich selbst und seinen Mitmenschen als Ebenbild Gottes erkennen und achten zu können, noch eine weitere Voraussetzung: die Entdeckung der Bibel, die das notwendige Instrumentarium und die unerlässliche Orientierung liefert, um den Menschen - den Armen und denen, die mit den Armen gehen wollen - auf den rechten Weg zu verhelfen und ihn auf diesem Weg zu leiten (75). Haben die Campesinos erst einmal die Erkenntnis gewonnen, dass sie als Kinder Gottes genauso viel wert sind wie andere Menschen, dass Jesus Christus in ihrer Mitte geboren wurde und mit ihnen lebt, dann brauchen sie nicht mehr viele Erklärungen und Begründungen. Sie haben diese ihre neue Erkenntnis so verinnerlicht, dass sie wie selbstverständlich die bestehenden Missstände als unvereinbar mit dem Willen Gottes deuten und sie deshalb zu überwinden suchen.

b) Fehlende Christologie: keine Inkarnation und keine Auferstehung

Dammert macht deutlich, dass die zentrale Botschaft des Christentums, der Glaube Jesu und die Lehre von Jesus dem Christus nicht im Mittelpunkt der religiösen Praxis stand, weder auf dem Land noch in der Stadt. Und auch die Verkündigung und Lehre der Kirche stellte nicht Jesus Christus in den Mittelpunkt. Im Mittelpunkt standen Äußerlichkeiten wie prunkvolle Prozessionen, festliche Opfergottesdienste und der „Lärm der Lieder und Trompeten“, letztlich aber der Klerus selbst als unentbehrlicher Zeremonienmeister. Der Ursprung und das Ziel der Kirche, Jesus Christus, war der überwiegenden Mehrzahl der Gläubigen nur dem Namen nach bekannt. Viel bekannter waren der jeweilige Dorfheilige und die Jungfrau Maria. Wie schon erwähnt, sieht Dammert die Ursache dafür in der mangelnden Evangelisierung, die entweder gar nicht stattfand oder derart geschah, dass sie die Menschen in ihrer konkreten Situation nicht erreichen konnte. „Man predigte abstrakte Wahrheiten und katholische Prinzipien, aber das Wesentliche (Essenz) im Christentum, die Bekehrung zur Person Jesu Christi, blieb unter der ‚katholischen Verkleidung’ im Zuge der Gegenreformation unsichtbar und der Sohn Gottes spielt nicht die fundamentale Rolle, die ihm eigentlich zusteht“ (76).

Sichtbares Zeichen der fehlenden Verkündigung von Jesus dem Christus war das Fehlen der Feier der Menschwerdung Jesu Christi, dem Weihnachtsfest. Dieses Fest war bei den Campesinos zwar dem Namen nach bekannt, spielte aber in dem Festkalender der Campesinos keine Rolle. Dies ist nicht verwunderlich, denn es gab keine entsprechende Katechese. Eine entsprechende Interpretation des Weihnachtsfestes war den Missionaren entweder unbekannt oder es erschien nicht opportun, den Indios zu verkünden, dass Gott Mensch geworden war, um unter ihnen zu leben (77). Die Inkarnation und deren grundlegende Bedeutung für die christliche Lehre wurde nicht verkündet, bildlich gesprochen:

Gott konnte inmitten der Indios nicht Mensch werden und konnte daher auch von den Menschen nicht als befreiender Gott erkannt werden. In der Stadt hingegen wurde und wird das Weihnachtsfest gefeiert. Daraus aber zu schließen, dass Gott bei den Menschen der Stadt eher als bei den Campesinos angekommen sei, wäre falsch. Die Feier der Geburt Jesu in der Stadt ist eine Kopie spanischer und neuerdings nordamerikanischer Sitten und Gebräuche, inklusive einer Fülle von durchaus tiefen religiösen Gefühlen, die an dieser Stelle nicht interpretiert werden müssen.

Auch über das weitere Leben Jesu und die spezielle Situation seiner Zeit, wussten die Campesinos und die Städter sehr wenig. Das Bild von Jesus als wahrer Mensch und Messias wurde zugedeckt von der großen Zahl von Herz-Jesu-Bildern, die in den meisten städtischen Haushalten zu sehen und die auch auf dem Land nicht gänzlich unbekannt waren. Da der Sohn Gottes nicht Mensch geworden und weil das Leben des historischen Jesus unbekannt geblieben war, spielte auch der konkrete Mensch Jesus von Nazareth in seiner jeweiligen Situation und Umgebung keine Rolle. Politische, wirtschaftliche, soziale Probleme wurden daher ausgeklammert. Umgekehrt gilt auch: weil in der Vergangenheit und auch wieder verstärkt in der Gegenwart Lehre und Verkündigung nicht vom konkreten Menschen ausgingen, sondern von scheinbar abstrakten Prinzipien - die aber ihren konkreten „Sitz im Leben“ in der ausgeübten Herrschaft haben - waren die Verkünder auch nicht in der Lage, weder Jesus als Menschen in seiner Zeit noch den Indio als Mensch zu entdecken.

Das Leiden und der Tod Jesu dagegen waren den Menschen von Cajamarca sehr gegenwärtig. Wenn auch die Frage nach den Ursachen für den Kreuzestod Jesu, seine Verstrickungen in die Händel seiner Zeit, seine Auseinandersetzungen mit dem Tempel, dem Gesetz, der gesellschaftlichen Situation, den verschiedenen Messiaserwartungen usw. ausgeklammert wurden, so war doch das Bewusstsein vom „Tod Jesu als Opfer für uns“ sehr lebendig. Dies hat seine Ursache vor allem in zwei Gründen: im andinen Denken und in der Deutung des Todes Jesu durch die Missionare.

Im andinen Denken besteht die Hauptaufgabe des Menschen darin, für die Harmonie der verschiedenen Elemente zu sorgen und das Gleichgewicht in den Beziehungen aufrecht zu erhalten. Ist das Gleichgewicht gestört, so leidet jedes einzelne Teil und es kommt zur Katastrophe. Auf diese „Denkweise“ (es handelt sich vielmehr um eine ganzheitliche Lebensweise) trifft nun die christliche Botschaft vom Tod des Gottessohnes aufgrund der Sünde des Menschen.

Wenn den Indios überhaupt etwas über Jesus gepredigt wurde, dann war es zuerst diese genannte Interpretation des Todes des Gottessohnes. Diese Botschaft wurde von den Adressaten so verstanden, dass sie es vorrangig waren, die Indios und Heiden, die wegen ihrem Götzen- dienst, ihrem Ungehorsam und ihrer Unkultur, die Schuld am Tod des Gottessohnes haben. Und nur durch ein übermenschliches Opfer (Gott opfert seinen einzigen Sohn) kann die von ihnen selbst wegen ihrer Verstocktheit gestörte Harmonie wieder hergestellt und ins Gleichgewicht gebracht werden.

Dies kommt auch dem andinen Denken der gegenseitigen Anrechnung entgegen, nach dem das Ziel einer Handlung darin besteht, die defizitäre Handlung eines anderen oder einer Gemeinschaft auszugleichen - notfalls durch den eigenen Tod. Mit den Worten der Campesinos ausgedrückt: Jede Bosheit muss durch eine gute Tat ausgeglichen werden, sonst ist nicht nur das individuelle Heil wie z.B. die Gesundheit bedroht, sondern auch das Wohl der gesamten Comunidad. Auf den Tod Jesu bezogen bedeutet dies, dass die christliche Satisfaktionslehre (Anselm von Canterbury) eine Entsprechung - zumindest wurde dies von den Indios so verstanden - im andinen Denken findet und daher geglaubt und inkulturiert werden konnte. Die Glaubwürdigkeit dieser christlichen Botschaft wurde aus der Sicht der Indios auch dadurch bewiesen, dass der von den Spaniern verkündete Gott sich als der stärkere Gott erwiesen hat.

Es kann hier nicht festgestellt werden, ob die christlichen Missionare sich dieses Sachverhaltes bewusst waren oder nicht. Ebenso steht hier nicht zur Debatte, inwieweit die Verkündigung einer so verstandenen Opferreligion im Dienste einer imperialen Politik stand (weil so den Opfern auch noch die Schuld gegeben werden konnte) oder ob die Jahrhunderte dauernde Verkündigung einer solchen Botschaft nicht dazu geführt hat, dass auf diese Weise sich bei den Indios das Bewusstsein der Unterlegenheit und der Erlösungsbedürftigkeit und bei den Missionaren das Gefühl der eigenen Überlegenheit verinnerlicht hat. Eher dürfte es umgekehrt gewesen sein: zuerst war das Bewusstsein einer Überlegenheit der Missionare und aus diesem Bewusstsein der Auserwählung heraus wurde dann die christliche Botschaft so verstanden, dass sie den eigenen Interessen und dem eigenen Selbstbewusstsein als Rechtfertigung dienen konnte.

Mit anderen Worten: die Missionare konnten den Tod Jesu gar nicht anders als aus der Situation der Sieger heraus verkünden. Eine Interpretation des Todes Jesu aus der Sicht der Opfer und damit der Bibel entsprechend, hätte wie auch eine sachgerechte Verkündigung der Menschwerdung, zu einer radikalen Infragestellung des kolonialen Systems geführt. Beide Elemente, das andine Denken und die Verkündigung des Opfertodes Jesu, verbanden sich zu einer Einheit und zu einem in sich geschlossenen System, das die jeweiligen eher negativen Züge beider Denkarten sich gegenseitig verstärken ließ, weil die jeweils positiven Ansätze unterdrückt wurden. Ein Ausbrechen oder Aufbrechen dieser von Schuld, Sühne und Leid bestimmten Theorie, zumal sie ja auch ihre Entsprechung und Bestätigung im alltäglichen Leid hatte, erschien nicht möglich bzw. lag außerhalb des Horizontes der eigenen Erfahrung und des eigenen Weltbildes.

Bleibt die Frage, wie man heute Menschwerdung, Passion und Auferstehung Jesu authentisch verkünden kann, ohne gleichzeitig die globalen Strukturen der Sünde und die eigene Verwicklung darin im Namen Gottes zu denunzieren und dagegen aufzustehen.

Konsequenterweise gab es daher auch keine Verkündigung der Auferstehung und noch weniger eine Erfahrung von Auferstehung. In der religiösen Praxis der Campesinos zeigte sich dies darin, dass die „Semana Santa“, die Karwoche und die Leidensgeschichte Jesu, im Zentrum standen, während die Feier des Osterfestes bei den Campesinos unbekannt war. Genau wie die Geburt Gottes inmitten der Menschen - das Aufbrechen der menschlichen Geschichte auf eine die menschliche Geschichte übersteigende Wirklichkeit hin - für diese Menschen nicht nur nichts bewirkte, sondern unbekannt war, so auch die Auferstehung, d.h. die Überwindung des erwähnten Teufelskreises von Schuld, Elend und Tod. Zwar wurde den Indios verkündet, dass auch für sie der „Himmel offen stehen würde“. Diese Verkündigung geschah indes nicht im Zusammenhang mit dem Leiden und der Auferstehung Jesu, sondern im Zusammenhang mit der Erfüllung bestimmter Gebote und als Folge eines bestimmten Verhaltens.

Es war zudem der Himmel der Weißen. Wenn sich die Indios als reuige Sünder zeigen, entsprechende Opfer bringen und ihre Herkunft verleugnen würden, dann könnten auch sie mit der Barmherzigkeit Gottes rechnen und wie die frommen Spanier ebenfalls in den Himmel kommen. Und dieser Himmel hatte konsequenterweise auch nichts mit dem konkreten Leben hier und heute zu tun, weil Jesus ja nicht wirklich unter ihnen geboren wurde; der Himmel war nur durch eine totale Selbstverleugnung und Unterwerfung unter die Herrschaft der Weißen zu erreichen. So war es nicht verwunderlich, dass es einige Völker des Kontinent vorzogen, lieber ungetauft zu sterben oder kollektiven Selbstmord zu begehen, als auch noch nach dem Tod im Himmel mit den weißen Eroberern zusammenleben zu müssen (78).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die gerade beschriebene Situation auf die Unkenntnis der Bibel zurückführen lässt. „Die Bibel war im Allgemeinen nicht bekannt, denn den Campesinos hatte man nicht erlaubt, eine Bibel zu besitzen. Denn sie sagten, dass ein armer Campesino die Heilige Schrift nicht verstehen und sie noch weniger auslegen kann, kurz: nicht mit ihr umgehen kann. Sie haben nur wenigen auserwählten Campesinos erlaubt, Bücher der Heiligen Geschichte und einen Katechismus zu besitzen, in dem einige Bruchstücke der Bibel zu finden waren. Und in den wenigen Schulen die es gab, wurde der Katechismus gelehrt - alles nur vorgelesen und wortwörtlich auswendig gelernt. Es wurden keine Schlussfolgerungen daraus gezogen, die etwas mit der gegenwärtigen Wirklichkeit zu tun gehabt hätten. Aufgrund dieser auswendig gelernten Religion hatten alle, Kinder Jugendliche und Erwachsene eine Angst und einen tiefen Respekt vor Gott“ (79).

Die von Bischof Dammert und seinen Mitarbeitern vorgefundene Situation in Cajamarca und die darauf basierende Deutung lässt sich demnach wie folgt charakterisieren:

  • Die soziale Situation der großen Mehrheit der Menschen widerspricht fundamental den Werten und der Botschaft des Evangeliums.
  • Eine gründliche Evangelisierung fand nicht statt, die Bibel blieb unbekannt. Daraus ergibt sich u.a. eine strikte Trennung von Glauben und sozialer Verantwortung.
  • Der verkündende Jesus und der verkündete Christus waren unbekannt, damit auch die Menschwerdung Gottes und dessen Auferstehung.
  • Die Kirche war erst Teil der kolonialen Struktur, danach eine Säule des Status quo.
  • Innerkirchlich gesehen war die Kirche weder strukturell, methodisch noch inhaltlich auf die Anforderungen der Zeit und der Situation in Cajamarca vorbereitet.
  • Für einen Neuanfang stellten sich folgende Herausforderungen: Erkennen der „Zeichen der Zeit“, Neuevangelisierung, Ausbildung von pastoralen Mitarbeitern, Bildung und Stärkung von Glaubensgemeinschaften.
  • Die Kirche musste ihren „Standort" wechseln, um Kirche Jesu Christi werden zu können.
  • Der „neue Geist des Konzils“ musste in Cajamarca einziehen und Veränderung bewirken.

4. Das pastorale Konzept

Wenn hier von einem „pastoralen Konzept“ Dammerts die Rede ist, dann ist damit nicht ein minutiös und theoretisch ausgefeilter Plan gemeint, sondern man muss vielmehr die Person von Dammert selbst ansehen, der durch sein persönliches Zeugnis zur Verkörperung der Pastoral wurde, die er zu initiieren gedachte. Ebenso ist seine Praxis anzusehen, wie sie sich seit 1963 vor allem in Bambamarca entwickelt hat. In diesem Abschnitt werden die Grundlagen der Arbeit Dammerts und seiner Mitarbeiter vorgestellt:

Zuhören und Analyse der Situation - Verkünden der befreienden Botschaft Jesu - Ausbildung und Beauftragung von Laien - Priorität für die Menschen, die bisher abseits standen - die Bildung von Glaubensgemeinschaften - Priester und Bischof im Dienste des Volkes. Am Beispiel der Evangelisierung in Bambamarca wird dann im folgenden Kapitel deutlich, wie die Vorhaben und Vorgaben Dammerts in die Praxis umgesetzt wurden und welche Konsequenzen dies für die Adressaten hatte. Bischof Dammert hat diese neue Pastoral verwirklichen können, weil er Mitarbeiter fand, die vom „Feuer der konziliaren Erneuerung“ ergriffen waren. Seine wichtigsten priesterlichen Stützen waren in den Anfangsjahren: Pfr. Pedro Bartolini, Pfr. Alfonso Castañeda (beide aus der Diözese Cajamarca) und Pfr. Alois Eichenlaub, Diözese Speyer.

1. Die erste Pastoralwoche in Cajamarca

Im Januar 1963 fand in Cajamarca eine von dem Soziologen und Kanonikus Abbé Boulard (Frankreich) geleitete erste Pastoralwoche statt. Dammert hatte Abbé Boulard bereits während der Sozialwochen in Lima und Arequipa kennen gelernt und ihn dann wieder auf dem Konzil getroffen. Abbé Boulard war als einziger „einfacher“ Priester zum Konzil als Berater berufen worden. Boulard und Dammert waren sich einig, dass die Kirche nur dann vor den Herausforderungen der Zeit bestehen kann, wenn sie sich zuerst selbst als Kirche erneuert.

Diese Erneuerung betrifft sowohl das äußere Gewand der Kirche wie Strukturen, Organisationsformen und Kirchenrecht, als auch die Art der Evangelisierung, das Entdecken der eigentlichen Botschaft Jesu und deren Relevanz für die Situation, in der die heutigen Menschen leben. Erst muss sich die Kirche selbst erneuern, um nach außen, in die Gesellschaft hinein, ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Die Erneuerung der Kirche ist möglich, wenn sie die Anforderungen von außen wahrnimmt und sie als konstruktive Herausforderung begreift. Kommt es erst einmal zu einem Dialog zwischen außen und innen, dann verändert sich auch die Kirche. Die Kirche kann nur Veränderungen anstoßen, wenn sie sich selbst verändert - oder mit den Worten von Johannes XXIII., indem sie die Fenster öffnet und frischen Wind einlässt.

Da nach übereinstimmenden Aussagen der Befragten, die an dieser ersten Pastoralwoche teilnahmen, die dort gewonnenen Erkenntnisse und gefassten Beschlüsse die Grundlage für die folgende dreißigjährige Amtszeit Dammerts bildeten, werden die Inhalte dieses Treffens hier ausführlich zur Sprache kommen (80). Dabei wiederholen sich teilweise schon im vorhergehenden Abschnitt gemachte Beobachtungen, die vorrangig auf der Analyse und Sichtweise von Bischof Dammert beruhen, während hier nun die Gesamtheit der Verantwortlichen Vorrang hat. Beide Darstellungen ergänzen sich gegenseitig.

Der Pastoralkurs fand vom 22. - 25. 1. 1963 in Cajamarca statt. Eingeladen waren alle Priester, Ordensleute und Seminaristen der Diözese Cajamarca, sowie ausgesuchte Laien aus der Stadt, die Interesse an einer Mitarbeit gezeigt hatten. Abbé Boulard als Leiter, Bischof Dammert und Alois Eichenlaub hatten eine Woche zuvor an der nationalen Pastoralwoche, zusammen mit Kardinal Landázuri und 200 weiteren Priestern in Lima, teilgenommen (Delegierte aus allen Diözesen, etwa 10% der Priester in Peru). Das Thema in Lima lautete: „Erneuerung der Pastoralarbeit im Hinblick auf die Heranbildung von verantwortlichen Laien“. Das Thema und die Inhalte dieses Kurses trafen nach der Auffassung Bischof Dammerts exakt die Notwendigkeiten für seine eigene Diözese und sie zeigen den Hintergrund auf für das, was dann in Cajamarca geschah. Hier deshalb die wichtigsten Aussagen des Pastoralkurses von Lima:

„Die Arbeit nach außen beginnt bereits innerhalb der Kirche: Denn selbst in den traditionellen katholischen Ländern herrscht innerhalb der Katholiken das Heidentum und es herrschen gerade hier große soziale Gegensätze. Wenn es Vorwürfe der Laien gegen den Klerus gibt, müssen wir genau zuhören, obwohl es schmerzhaft ist. In Peru werden immer mehr Katholiken unzufrieden mit der Kirche, weil sie gegenüber den sozialen Problemen stumm bleibt, der reichen Schicht zuneigt und voller Bürokratie ist. Die Hauptaussage von Boulard lautet: ‚Die Verkündigung der Botschaft Jesu mit dem Ziel der Bildung einer christlichen Gemeinschaft muss im Mittelpunkt stehen, um auf diese Weise ein Volk Gottes zu konstituieren, das auf der Basis einer Hinführung zur Taufe, d.h. zur Umkehr, die Nachfolge Jesu einschlagen kann. Christsein heißt, ein Leben mit und für Christus, nicht mehr und nicht weniger. Gott als Vater ist der Vater aller Menschen; er ist nicht ein Gott der Philosophen, sondern der Gott Jesu, ein Gott des Bundes mit den Menschen und der Liebe. Jesu Tod und Auferstehung wiederholen sich in uns.’ In der Praxis der Evangelisierung ist alles erlaubt, wenn es denn nur zur Bildung von Kirche, des Volkes Gottes in Gemeinschaft, führt. Es bedarf aber einer Vor - Evangelisierung, entsprechend dem sozial-kulturellen Kontext.

So kann der Schlüsselsatz: ‚Kehrt um und glaubt an die Gute Nachricht’ für eine Person, die Hunger leidet, zynisch klingen bzw. falsch verstanden werden. Daher bedarf es einer vor geschalteter Etappe. Die Verkündigung muss die Ausgangslage des Hörenden, seine Bedürfnisse, Erwartungen, Sehnsüchte erkennen und berücksichtigen. Der interessanteste Vortrag der Woche kam von Bischof José Dammert, sein Thema: ‚Die Geschichte der Evangelisierung’: Indios wurden ohne Vorbereitung getauft, es gab nie genügend Priester, stattdessen ständiger Streit zwischen Weltpriestern und Ordenspriestern. Es gab keine Hinführung zur Lehre und deshalb zum Verständnis der Eucharistie. Das peruanische Volk wurde christianisiert durch drei Verehrungen: den gekreuzigten Christus (Kreuz auf dem Berg), Verehrung des Allerheiligsten, Verehrung der Jungfrau Maria“ (81).

Alois Eichenlaub berichtet selbst über diese Woche in Lima und kommt dann auf den Kurs in Cajamarca zu sprechen: „Ziel ist, eine Zusammenarbeit aller verantwortlicher Kräfte zu erreichen. Das ist schwer, da wir in Peru die Weltkirche im Kleinen bilden, missionarische Kräfte aus allen Völkern und Rassen, aus allen möglichen und unmöglichen Ordensgemeinschaften. Bisher hat jede Gruppe versucht, ihre Methode, ihre Nationalität in Peru einzupflanzen. Leichter waren die Ziele in einer anschließenden Pastoralwoche in Cajamarca zu erreichen, da der Klerus fast ausschließlich ein diözesaner ist und noch dazu peruanisch mit einigen jungen aufgeschlossenen Priestern. Auch die Laien, Schwestern und Schulbrüder machten tüchtig mit bei den Kommissionen. Viele haben zum ersten Mal gespürt, dass eine Diözese eigentlich mehr sein sollte und sein kann als nur ein kanonisches Kontrollorgan“ (82).

Der Pastoralkurs in Cajamarca hatte das gleiche Thema wie der Kurs in Lima. Jeder der vier Tage stand unter einem speziellen Unterthema:
1. Tag: Worin besteht die Aufgabe des Pfarrers und einer Pfarrei?
2. Tag: Basisprinzipien der Landpastoral - Das Apostolat der Laien in der Kirche
3. Tag: Das Apostolat des Laien in der Welt - Pastoral de Conjunto
4. Tag: Die Pastoral vor dem Problem der Berufungen - praktische Empfehlungen zur Weckung von Berufungen. Die Evangelisierung Perus als Herausforderung.

Ergebnisse des ersten Tages:
Das Volk ist gläubig - aber der Glaube zeigt sich in Sakramenten, die aus purer Routine empfangen werden: in gesungenen Rosenkränzen und Vespern in Latein, die das Volk ohne jede Anteilnahme lassen und ermüden. Dies geschieht zudem auf sehr individualistische Weise, kalt und steril, ohne innere Anteilnahme, nichts ist zu spüren von einer christlichen Gemeinschaft. Es zählt allein der übertriebene Kult für die eigene Person und für das eigene Heil: es ist ein egoistisches und personalistisches Apostolat, das verhindert, dass der Glaube etwas für das gemeinschaftliche Leben bedeuten kann.

Folgerungen (und gleichzeitig Leitlinien für die darauf folgende Pastoral):

  • Man kennt nicht die Bedeutung der christlichen Gemeinschaft und die Lehre vom Leib Christi und vom Volk Gottes.
  • Die Gläubigen müssen zum sozialen Handeln angeleitet werden, sie dürfen sich nicht auf ein Leben in der Sakristei beschränken.
  • Es fehlt das Zeugnis gebende Beispiel der christlichen Gemeinschaft unter den Priestern und Ordensleuten. Im Allgemeinen sind sie Egoisten (ich-zentriert) und Individualisten.
  • Es gibt keine Organisation und Planung unserer Arbeiten. Es besteht ein übertriebener Kult um und für die eigene Person und das eigene Heil.
  • Selbst in den kirchlichen Schulen gibt es einen erschreckend hohen Prozentsatz von Lehrern, die ein skandalöses Leben führen und sich über den Glauben lustig machen.
  • Das alles erfordert eine Organisation des Apostolats, die vom Bischof und seinen Mitarbeitern ausgehen muss.

Schwierigkeiten, die den Priester hindern, seinen pastoralen Aufgaben nachzukommen:

  1. Die Verwaltung der Sakramente als Hauptbeschäftigung und Haupteinnahmequelle. Der
  2. Priester wird zu einem reinen Sakramentenspender („Funktionär des Kultes“). Das Pfarrbüro und Verwaltungsaufgaben: hier müsste z.B. ein guter Sekretär die Aufgaben erfüllen (Ausstellen von Geburtsurkunden etc.).
  3. Das wirtschaftliche - finanzielle Problem, das die Pfarrer bedrängt, einschließlich der hohen Erwartungen seitens ihrer Herkunftsfamilie.

Kommentar, vier Jahrzehnte später:
Die Aufgabenstellung war sehr Pfarrer zentriert. Am ersten Tag kamen nahezu ausschließlich Pfarrer zu Wort und die Empfehlungen richten sich zuerst an Pfarrer (dies lag auch in der Themenstellung begründet). Die Analyse fällt - teilweise in drastischen Ausdrücken - sehr deutlich aus. Dies ist umso bemerkenswerter, als diese Aussagen in ihrer Mehrheit von den gleichen Pfarrern kamen, die bisher nichts anderes getan haben, als das, was sie jetzt in Frage stellen. Das lässt darauf schließen, dass einige dieser Pfarrer mit ihrer bisherigen Arbeit unzufrieden waren, aber keine Wege fanden, wie sie innerhalb der bestehenden Strukturen, die diese Pfarrer nie gewagt hätten in Frage zu stellen, so ihr Priestertum zu gestalten, wie sie sich das eigentlich gewünscht hätten.

Ein Pfarrer sagte wörtlich: „Die Leute erwarten von mir ganz bestimmte Handlungen. Ich muss eine Rolle ausfüllen, die mich einengt und aus der ich keinen Ausweg finde.“ Ein weiterer Grund für das offene Benennen von Missständen waren die große Autorität von Dammert und auch von Abbé Boulard, unterstützt von Padre Bartolini. Dammert war den Priestern von Cajamarca bekannt als engagierter Weihbischof von Lima, als Vertrauter des Kardinals und als Konzilsvater; Abbé Boulard genoss einen großen Ruf als Erneuerer der Kirche, mit höchster Protektion von oben und Bartolini wurde als ein Priester aus den eigenen Reihen anerkannt, der aus Europa mit neuen Ideen zurückgekommen war. Alle Priester hatten das Gefühl, dass eine neue Epoche beginnt und dass die Erneuerung von oben gewünscht wird und man nicht im Abseits bleiben kann. Wenn Dammert und andere Kirchenführer diesen Wandel wollen, dann wird dies schon seine Richtigkeit haben und dann sollen sie nur mal anfangen - so die verbreitete Stimmung (83).

Ergebnisse des zweiten Tages:

Am zweiten Tag stand das Thema der Landpastoral im Mittelpunkt. Dazu wurden fünf Kommissionen gebildet (an dieser Stelle werden nur drei aufgeführt). Jede Kommission hat danach im Plenum die Ergebnisse vorgetragen, die dann später in schriftlicher Form an alle Teilnehmer verteilt und die in Thesenform auch der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurden.

Die Kommission der Seminaristen: Den Priestern fehlt eine realistische Konzeption einer integralen Pastoral und einer Arbeitsplanung, die sich nicht nur auf das Spenden von Sakramenten beschränkt. Die bisherige Priesterausbildung geht an den wirklichen Bedürfnissen vorbei und bereitet nicht auf die eigentlichen Aufgaben vor, sie führt eher zu einer Entfremdung vom Volk. Empfehlungen für die konkrete Arbeit: Die Idee eines Lebens in Gemeinschaft aller Kinder des gleichen Vaters soll im Mittelpunkt der Verkündigung stehen. Diese Grundidee gilt es zu lehren durch Evangelisierung, Katechese und das persönliche Zeugnis.

Problem: Der Priester geht nicht aufs Land, um das Leben kennen zu lernen. Kommission des Laienapostolats: Die Pfarrei soll zu einer wahrhaft christlichen Gemeinschaft werden. Dies ist die missionarische Aufgabe militanter Laien, die den Sinn und die Bedeutung eines christlichen Lebens weiter tragen und verteidigen müssen. Die Laien müssen sich aber bewusst sein, dass die Einheit mit Christus Vorbedingung ist. Die christliche Barmherzigkeit muss in den kirchlichen Organisationen selbst beginnen. Sie müssen zusammenarbeiten und sich dem gemeinsamen Ziel unterordnen. Die Einheit muss die Frucht eines Opfers und der Selbstüberwindung sein, sie ist die Frucht einer wahrhaften Liebe zu Christus.

Kommission ländliches Leben: (Teilnehmer, die aus Randgebieten kommen oder als Lehrer auf dem Land unterrichten): Weil unsere Pfarreien riesig sind, ermöglichen sie keine persönlichen Kontakte; der Pfarrsitz ist nicht Begegnungszentrum; die Pfarrer bleiben oft nur sehr kurze Zeit in den Dörfern; die Laien wurden bisher nie als Träger des Apostolats angesehen. Die Diözese hat keine Kurszentren und Exerzitienhäuser. Wegen unserer traditionellen Mentalität, nach der der Kult ein Spektakel ist, gibt es keine Beteiligung und Teilhabe der Laien. Die Sakristane, Kantoren etc. keine haben Ausbildung, sondern kennen nur ihre zugewiesene Rolle innerhalb des Spektakels.

Folgende Aufgaben sind vordringlich:

  1. Änderung der Mentalität der Priester, dass sie zu Dienern werden, dass sie die Personen respektieren, die sich ihnen nähern wollen.
  2. Errichten von Kurszentren, Kurse für Katecheten, für Mitglieder von Kooperativen etc.
  3. Orientierung der Seminaristen, damit sie lernen, an das Volk zu denken und dies als ihre priesterliche Berufung ansehen.

Kommentar:
Einführende Statements von Dammert und Boulard haben sicher dazu beigetragen, die Diskussion in eine bestimmte Richtung zu bringen. Sie sprachen in wenigen Worten das Problem der mangelnden Evangelisierung, der veralteten Pfarrstrukturen und der Diskriminierung der Campesinos an. In den Statements wurden die wichtigsten Begriffe vorgegeben und erklärt Begriffe, die bis dahin vielen Teilnehmern nicht geläufig waren, so z.B.: Landpastoral, Leben in Gemeinschaft aller Kinder des gleichen Vaters, Laienapostolat, die kirchliche Soziallehre, Kult als Spektakel. Die Teilnehmer ließen sich von den Vorgaben beeinflussen, zumindest aber herausfordern. Für die meisten Teilnehmer war es neu, von einem Bischof sol- che Worte zu hören.

Es war aber gerade das Neue, gesprochen mit der schon erwähnten Autorität, das zu lebhaften und fruchtbaren Diskussionen führte. Alle Teilnehmer äußerten bei der Abschlussbesprechung, dass sie nun sehr motiviert nach Hause gingen und mithelfen wollten, die Anregungen der pastoralen Tage in die Tat umzusetzen. Den meisten Teilnehmern war aber nicht bewusst, dass eine Umsetzung in die Praxis zu erheblichen Konfrontationen auf allen Ebenen führen könnte oder gar führen musste. Diese Konfrontationen konnten aber nur durchgehalten werden, wenn es bei ihnen selbst vorher zu einer persönlichen Bekehrung gekommen war. Zu diesen Bekehrungen kam es aber nur vereinzelt.

Auffällig, aber nicht verwunderlich, sind die unterschiedlichen Schwerpunkte, die von den einzelnen Arbeitskreisen gesetzt wurden. Die Vertreter der damals noch wohlhabenden Mittelschicht sahen in dem Bemühen Dammerts einen ernsthaften Versuch, durch Eingehen auf soziale Probleme dem „Vormarsch des Kommunismus“ Einhalt gebieten zu können und sahen daher in dem Bischof anfangs einen natürlichen Verbündeten. Dass Dammert zuerst aus biblischen Gründen und nicht als politische Taktik die sozialen Probleme ansprach, sahen die Vertreter des Bürgertums zu Beginn der Amtszeit Dammerts nicht. Als sie aber mit der Zeit bemerkten, dass er es mit seiner Option für die Campesinos ernst meinte, warfen sie ihm bald vor, Religion mit Politik zu vermischen, obwohl sie ja gerade die Kirche und Dammert als Bischof als ihre natürlichen politischen Verbündete sahen.

Daraus lässt sich schließen, dass im Bewusstsein der Bürger die bis dahin politische Funktion der Kirche auf der Seite der natürlichen oder göttlichen Ordnung als deren wesentliche Funktion angesehen und daher nicht als Politik verstanden wurde. Wird aber vom Glauben her gerade die von Interessen geleitete Verknüpfung von Religion und Politik entdeckt und der Missbrauch der Religion kritisiert, dann wird von den Vertretern des Status quo stets von einer unzulässigen Vermischung von Religion und Politik gesprochen. Für die Vertreter christlicher Organisationen war es eine wichtige Erkenntnis, dass sie als kirchliche Organisationen nur gemeinsam, sowohl in enger Zusammenarbeit mit dem Bischof als auch untereinander, ihre Aufgaben und Ziele erreichen konnten. Inhaltlich war für diese Kommission die wichtigste Erkenntnis, dass sie nur dann von Barmherzigkeit reden dürfen, wenn sie auch innerhalb ihrer jeweiligen Organisation einen menschlichen Umgang pflegen, der christlichen Maßstäben gerecht wird (84).

Die Kommission der Lehrenden stellte naturgemäß das Thema der Familie und Erziehung in den Mittelpunkt. Die Teilnehmer waren begeistert von der Idee, dass nun endlich regelmäßig Religionsunterricht in den Schulen gehalten werden soll, dass die Kinder und Jugendlichen eine bessere moralische Orientierung bekommen würden und dass sie so vor den Verderbnissen der modernen Zeit geschützt werden könnten. Die Bereitschaft zur Mitarbeit war sehr groß. Aus dieser Bereitschaft heraus konnte dann das größte Potenzial zur Erneuerung innerhalb der Stadt erwachsen. Lehrergruppen und manche engagierte Eltern nahmen in den nachfolgenden Jahren an vielen Kursen teil, ließen sich weiterbilden und lernten auf diese Weise immer mehr ein Christentum kennen und schätzen, das eine soziale Verantwortung gegenüber den Benachteiligten beinhaltete. Die religiöse Lehrerbildung in Cajamarca, an der später auch deutsche Entwicklungshelfer mitarbeiteten, wurde zu einem Vorbild in Peru.

Ergebnisse des dritten Tages

Das Arbeitsthema war die „Pastoral de Conjunto“ (Arbeit in einem Priesterteam). Hier ist die Kommission herauszuheben, die sich mit der Situation auf dem Land beschäftigte (Boulard selbst, die drei Priester, die Interesse zeigten, auf dem Land einen Neuanfang zu beginnen, sowie einige Laien und zwei Seminaristen waren in dieser Kommission). Aus den Erkenntnissen dieser Gruppe sollten sich die ersten konkreten Schritte entwickeln.
Situation der Campesinos: Sie ist geprägt durch den Besitz von Minifundien, es gibt viele Landlose. Viele Campesinos sind noch an die Hazienden „gekettet“. Der Campesino hat keine Mittel, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Produktion auf seinem Landstück reicht nicht aus, um menschenwürdig zu leben.

Der Campesino auf der Hazienda kann im wirtschaftlichen, sozialpolitischen und kulturellen Bereich seine Rolle als Bürger nicht wahrnehmen; er ist ein Individuum ohne eigenständige Persönlichkeit, er ist dem Patron vollkommen ausgeliefert. In fast allen Hazienden ist es nicht erlaubt, Schulen zu eröffnen, denn diese bilden eine Gefahr und ein gelehrter Campesino ist gefährlich. „Diese Situation der Schande kann man nicht nur auf den weltlichen Hazienden, sondern auch auf den kirchlichen Gütern beobachten, wo die Situation oft noch schlimmer ist, vor allem wegen der berüchtigten Verwalter, die die Campesinos äußerst schlecht behandeln“ (wörtlich aus dem Bericht).

Pastoraler Aspekt: Es gibt seitens der Priester und der Kirche keine Sorge um diese Zustände. Das hat schon seinen Grund in der mangelnden Ausbildung in den Seminaren. Es wurde ein verbürgerlichter Priester herangezogen, gewöhnt an schöne und feierliche Messen und an gutes Essen. Die Priester wurden unter der Voraussetzung geweiht, in einer organisierten Pfarrei zu arbeiten, mit festen Zeiten für Messen, Patronatsfeste etc. Das entspricht nicht der Realität. Die Priester leben in der Stadt und betreuen eine kleine Minderheit, die zudem noch rein individualistische Ziele verfolgt und von daher keine Gemeinschaft bildet. „Wir müssen Wege finden, Kontakte zu den Campesinos zu finden, deren Probleme müssen studiert und Wege der Evangelisierung gefunden werden. Sonst werden wir die Landbevölkerung verlieren, so wie wir auch die Arbeiterschaft verloren haben“ (85). Was kann angesichts dieser Situation getan werden? Die Kommission machte unter der Beratung von Boulard folgende Vorschläge:

  1. Die Campesinos sollen auf ihren Festen begleitet und die alten Rosarieros86 sollen unter- stützt werden; gewohnte Abläufe dürfen nicht von heute auf morgen abgeschafft werden. Gleichzeitig und parallel dazu muss aber mit einer neuen Evangelisierung begonnen werden, die von dem Vorhandenen ausgeht und an das Gewohnte anknüpft.
  2. Führungspersonen müssen auf dem Land ausgebildet und für die Campesinos muss die Landwirtschaft verbessert werden. Aber man braucht auch Leute, die lehren zu kochen, zu nähen, sich besser zu ernähren, Säuglinge zu pflegen und auf Hygiene zu achten.
  3. Ausbildung von Katecheten und Lehrern als aktive Mitarbeiter in der Verkündigung.

Kommentar:Zur Realisierung der Vorschläge wurde beschlossen, das IER (87) zu gründen und ein katechetisches Zentrum zu errichten. All dies setzte aber eine Neuordnung der diözesanen Kurie voraus, die Orientierung und Koordinationsstelle für alle apostolische Arbeit auf Pfarrebene sein musste. Dies bedeutete die Bildung einer kleinen apostolischen Equipe, die bereit war, die Pfarreien zu besuchen, um so wenigstens den Landpfarrer zu unterstützen. Die „Pastoral de Conjunto“ war für Dammert ein Schlüsselbegriff der praktischen Seelsorge. Dahinter steht der Grundgedanke, dass ein Priester als Einzelkämpfer angesichts der hohen Erwartungen und der Vielzahl der zu bewältigenden Aufgaben auf verlorenem Posten steht. Diese Gefahr ist umso größer, wenn es aufgrund der Entfernungen nicht zu regelmäßigen Kontakten mit den Mitbrüdern kommen kann.

Hinzu kommen die Defizite in der Ausbildung, z.B. das Ignorieren der eigenen Sexualität. Deshalb ist dringend davon abzuraten, einen Priester allein in abgelegene Gebiete zu schicken und ihm die Leitung einer riesigen Pfarrei anzuvertrauen. Aber auch in städtischen Gebieten ist es ratsam, Priesterteams, eventuell mit Laien als pastoralen Mitarbeitern, zu bilden. Nur ein eingespieltes Team mit den notwendigen und möglichen Spezialisierungen aufgrund der jeweils gesetzten Schwerpunkte und Fähigkeiten, kann den vielfältigen Herausforderungen annähernd gerecht werden. Von diesem Konzept, das aus Frankreich stammte, wurde Dammert beeinflusst. Trotz aller Bemühungen war es ihm aber nicht möglich, sich immer an dieses Konzept halten zu können, weil entweder einzelne Priester nicht bereit waren, mit anderen Priestern Aufgaben zu teilen oder weil Dammert feststellen musste, dass er bei konsequenter Anwendung des Prinzips mehr Priester gebraucht hätte. Im Zweifelsfall gab er dann eher dem Drängen einer großen Pfarrei nach einem eigenen Priester nach, statt darauf zu bestehen, dass es besser sei, eine Pfarrei einmal über längere Zeit ohne eigenen Pfarrer zu belassen, als die vorhandenen Priester möglichst flächendeckend zu verteilen.

Ergebnisse des vierten Tages:

Drei Fragen standen im Zentrum aller Überlegungen und wurden im Plenum vorgetragen und diskutiert: Wie heißen die zentralen Herausforderungen für das soziale Leben und die Rolle der Kirchen? Wie darauf antworten? Was tun, um dies zu erreichen?
Als Ergebnis der Diskussion wurden vier Schlüsselthemen, denen gegenüber die Kirche nicht stumm und untätig bleiben darf, gefunden und formuliert:

  1. Der wirtschaftliche Aspekt: erschreckende Armut unserer Campesinos, fürchterliche Ungerechtigkeiten sozialer Art (Hazienda, Anhäufung von Kapital bei Wenigen).
  2. Religiöse Unwissenheit, besonders aufgrund mangelnder Evangelisierung.
  3. Die Angst, die Besitzende vor dem Kommunismus haben und die in der Kirche die einzige Hilfe sehen, dessen Ausbreitung zu stoppen (wie mit Besitzenden zusammenarbeiten?).
  4. Das Fehlen einer kirchlichen Presse und Rundfunks, um die Anliegen der Kirche besser in die Gesellschaft hinein tragen zu können.

Folgende Schritte wurden als Sofortmaßnahme beschlossen:

  1. Als erster Schritt zur Besserung der wirtschaftlichen Not sollen Kredit- und Konsumgenossenschaften auf dem Land mit Absatzmärkten in der Stadt gegründet werden.
  2. Zur Bekämpfung der religiösen Unwissenheit müssen Priester und Ordensleute wieder mehr Liebe für die Campesinos entdecken; dazu bedarf es einer Rückbesinnung auf das Evangelium und einer tiefen Spiritualität, die entsprechend gefördert werden muss. „Die Priester müssen die Mauer der Stadt hinter sich lassen und lernen, sich für die Campesinos aufzuopfern, die auch Kinder Gottes sind und deshalb unsere Geschwister“.
  3. Die Gewohnheit (Sitte) der Rosarieros soll wieder belebt und erneuert werden. Diese können dann eines Tages zu Katecheten werden. Sie sollen, falls möglich, von einer „fliegenden Equipe“ (Pastoralteam) geleitet und begleitet werden.
  4. Priester und Ordensleute sollen entsprechende Kontakte zu Radio und Presse aufnehmen und in der Öffentlichkeitsarbeit mitarbeiten (als Teil der Verkündigung).
  5. Die Probleme der Diözese müssen auf häufigen und regelmäßigen Versammlungen behandelt werden, sowohl auf Diözesanebene als auch in den verschiedenen Regionen.

Kommentar
Von diesen Schritten konnte der erste Schritt, die Gründung von Genossenschaften, bald darauf in Angriff genommen werden. Auch die Arbeit mit den Rosarieros konnte bald anfangen und hatte Erfolge vorzuweisen. Die anderen Schritte erwiesen sich entweder als unrealistisch oder sehr vage. Eine andere oder bessere Spiritualität („Liebe zu den Campesinos“) lässt sich nicht beschließen. Auch die gewünschte Zusammenarbeit auf Diözesanebene kam nicht in Gang, die Soziallehre der Kirche in ihrer europäischen Prägung sollte keine große Rolle spielen (was aber kein Nachteil war) und eine Öffentlichkeitsarbeit, die diesen Namen verdiente, entstand vor allem durch das individuelle Engagement von Alois Eichenlaub (Sonoviso – Medienstelle der Diözese).

Dennoch konnte schnell mit der Evangelisierung in Cajamarca begonnen werden. In einem Brief aus Rom zum Abschluss des Konzils schreibt Dammert an die Priester in Cajamarca, in dem er noch einmal die getroffenen Entscheidungen und den eingeschlagenen Weg bestätigt. Er beruft sich auf Papst Paul VI, von dem er sich auch persönlich bestätigt fühlt. „Der Papst hat gebeten, dass die Bischöfe beim Kampf um mehr Gerechtigkeit in der ersten Reihe stehen. Er hat die Verantwortung der Laien herausgestellt und deren priesterlichen Dienst und Auftrag. Um die Probleme zu studieren, muss man die Hilfe von Experten hinzuziehen. Es sollen Pastoralpläne mit entsprechenden Schwerpunkten aufgestellt werden. Den Laien müssen endlich die Verantwortungen übertragen werden, die ihnen das Konzil eingeräumt hat. Die sozialen Lehren der Kirche müssen nicht nur gepredigt, sondern auch angewandt werden. Die Evangelisierung muss total sein, sie muss die Pfarreien in wahrhafte und identische kirchliche Gemeinschaften verwandeln, in denen sich niemand fremd fühlt und die ein fruchtbares integrales liturgisches Leben haben. Evangelisierung und Leben sind eine einzige Sache“ (88).

b) Die Re - Evangelisierung

„Schon oft wurden die ersten Missionare dafür kritisiert, dass sie den Menschen eine fremde Religion aufgezwungen hätten. Auch heute glauben viele, die sich im Besitz der ‚einzigen und exklusiven Wahrheit’ wähnen, den Campesinos neue Formen der Religion aufzwingen zu können, ohne mit der Reife der Campesinos selbst zu rechnen. Der Respekt vor der Person des Campesinos, sei es mit all seinen Defiziten aber auch mit all seinen eigenen Werten, ist die unerlässliche Voraussetzung in der Begegnung mit ihm. Das bewirkt, dass der Campesino seine eigenen Werte entdecken kann und es eröffnet ihm gleichzeitig den Reichtum der christlichen Botschaft. Auf diese Weise kann dann der Campesino sich frei für die Option entscheiden, die ihm sein Gewissen diktiert. Dies wird eine lange, langsame und schwierige Aufgabe sein, ähnlich dem Keimungsprozess eines Saatkornes, der sich unter der Oberfläche vollzieht, aber Voraussetzung dafür ist, dass die Pflanze Blüten und Früchte tragen kann“ (89).

Entscheidende Voraussetzung für jede Evangelisierung und jeden Dialog ist nach Dammert der absolute Respekt vor dem Gegenüber. Entgegen der bisherigen Auffassung und Praxis der Evangelisierung, nach der der jeweilige Verkünder der Botschaft sich darum sorgen muss, wie und mit welchen Methoden er am besten seine Botschaft verkünden kann, ist es nach der Auffassung von Dammert der Missionar selbst, der sich auf einem ihm noch unbekannten Prozess einlassen muss, in dem vorrangig die Gabe des Hörens gefordert ist. So beschäftigt sich Dammert nicht nur mit der Situation der Campesinos, sondern er macht sich noch mehr Sorgen um die pastoralen Mitarbeiter, denen er die Aufgabe der Evangelisierung anvertraut.

Dammert erklärt dies anschaulich anhand des Wortes „concientizar - se“: das Verb „concientizar“ als transitives Verb existiert nicht, vielmehr existiert es nur in der reflexiven Form concientizarse (sich bewusst werden). Bewusstseinsbildung bedeutet daher, zuerst sich selbst bewusst werden, in welchem Kontext man lebt und was in einem selbst geschehen kann, wenn man sich auf einen fremden Kontext einlässt (90). Es geht um das Begreifen der Wirklichkeit des eigenen Lebens und der Bereitschaft, dieses eigene Leben einem anderen Kontext - konkret: anderen Menschen mit einer ganz anderen Kultur - auszuliefern (sich hinzugeben) was wiederum nur gelingen kann, wenn man sich seiner eigenen Identität bewusst ist.

Zu der Eigenart dieses dialektischen Prozesses gehört es nun gerade, dass im Verlauf dieses Prozesses sich nicht mehr eindeutig unterscheiden lässt, wer der Empfangende und der Gebende ist. Der pastorale Mitarbeiter, der von außen kommt, muss auf diesen Prozess vorbereitet werden bzw. er muss sich darauf einstellen, dass er sich verändert und aus diesem Prozess als ein anderer Mensch herauskommt, als er vorher war. Mehr noch: erst in einem solchen Prozess eröffnet sich dem Verkünder die Chance, selbst seinen eigenen Horizont zu überschreiten und so für den ganz Anderen (und Gott) offen zu werden. Erst von daher ist es auch zu verstehen, wenn Menschen, die sich derart intensiv den Anderen ausgesetzt haben, zu der Erkenntnis gekommen sind: „Die Armen evangelisieren uns“ (91).

Dieses Hören auf den Anderen als Offenbarung des ganz Anderen kann in seiner religiösen und theologischen Dimension hier nur angedeutet werden. Dammert und einige seiner Mitarbeiter sprechen davon, dass sie im Verlaufe der Arbeit mit den Armen Dimensionen des Glaubens und eine Spiritualität für sich selbst entdeckt haben, von denen sie vorher noch nicht einmal etwas geahnt hatten. Ohne diese neu entdeckte Spiritualität ist eine jahrelange Arbeit unter den Armen nur schwerlich im Interesse der Armen durchzuhalten. Auch umgekehrt gilt, dass ohne ein Minimum an Spiritualität und Offensein für das Neue und für den Anderen der erste Schritt auf den Anderen hin nicht hätte gemacht werden können. Vergleichbar ist dieser Prozess mit dem Erkenntnisprozess der Jünger von Emmaus: „Weil ihr Herz brannte“ waren sie fähig, die Worte des Fremden zu hören und zu verstehen. Und sie kamen vollends zur Erkenntnis des Fremden, als sie miteinander das Brot teilten. Beim Brot teilen gingen ihnen die Augen auf. Auf die pastoralen Mitarbeiter bezogen bedeutet dies, dass sie erst dann ihre Aufgabe und ihre Mission klar erkennen konnten, als sie bereit waren, das Brot der Armen auch tatsächlich mit ihnen zu teilen und in ihrer Hütte auf dem Lehmboden zu übernachten (92).

Grundlage jeder Evangelisierung ist demnach ein gegenseitiges Hören, ein Dialog, in dem das Wort nicht die erste Rolle spielt, sondern das persönliche Zeugnis. Der pastorale Mitarbeiter muss daher - neben den schon erwähnten eigenen Voraussetzungen - den sozialen, kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Kontext z.B. der Campesinos kennen lernen. Er ist dabei auf die Hilfen der weltlichen Wissenschaften angewiesen, sei es in der Analyse der Situation, sei es in der Kenntnis der geschichtlichen und kulturellen Situation, in der Organisation der Ausbildung bis hin zum Erkennen der landwirtschaftlichen Probleme. „Er muss die über viele Jahrhunderte entstandene Bedeutung der Gewohnheiten und Mentalitäten, die unter dem Einfluss einer nur sehr oberflächlichen Übernahme von äußerlichen Riten entstanden sind, berücksichtigen. Diese Äußerlichkeiten haben mehr Wirkung gehabt, als die weisen Lehren von Theologen. Denn das Volk glaubt, was es sieht und nicht, was man ihm predigt“ (93).

Um die begangenen Fehler nicht zu wiederholen, darf der pastorale Mitarbeiter sich nicht auf die Bedeutung seiner Worte verlassen, also zuerst das Lehren von christlichen Wahrheiten, wie es traditionell in der Katechese geschah, sondern er muss lernen, tief in die Welt derer einzutauchen, mit denen er in einen Dialog eintreten will. Dabei wird er entdecken, dass die Campesinos ihre eigenen Werte haben. „Ich durfte die Fähigkeiten schätzen lernen, die der Campesino besitzt. Ich konnte verborgene Fähigkeiten und Qualitäten entdecken, die wegen einer über Jahrhunderte dauernden Verachtung und Unterdrückung nicht ans Tageslicht gekommen waren. Wenn man ihm Vertrauen und Freundschaft schenkt, kann er die durch Unterdrückung erworbenen Minderwertigkeitsgefühle überwinden - entgegen der landläufigen Meinung, dass er nie aus seiner traditionellen Routine ausbrechen kann. Seine Qualitäten liegen darin, das Beste für seine Kinder zu wollen und dafür viele Opfer zu bringen. Er ist sehr gastfreundlich und teilt mit dem Gast alles was er hat. Er arbeitet hart und hat Vertrauen in die Leute, die ihn achten. Allerdings ist er auch höchst misstrauisch, aus Angst betrogen zu werden, weil er dies bisher immer so gewohnt war“ (94).

Das Ziel der Evangelisierung war für Dammert eindeutig. Es ging ihm nicht zuerst darum, die „verlorenen oder unwissenden Schafe“ in den Schoß der Kirche zurückzuholen oder sie effektiver an die Institution zu binden. „Das Ziel der Evangelisierung orientierte sich daran, den Personen das Bewusstsein ihrer Würde und ihrer Teilhabe geben, ohne dass sie sich irgendjemanden unterordnen müssen, aber offen für Anstöße von außen und den Priestern. Die Re- Evangelisierung muss an die Bedürfnisse der Menschen anknüpfen und sie muss bei den Ärmsten beginnen. Dies ist ein wichtiges Kriterium. Die Katechese muss sich daran messen lassen, ob sie zu denen Zugang findet, deren Armut extrem groß ist und die sich einer Zivilisation, deren Strukturen und fremdartigen Werten, ausgesetzt sehen, die mit ihrer Jahrtausende alten Kosmovision nur schwerlich in Einklang zu bringen ist. Dies führt auch dazu, dass sie nur schwer das erlittene Elend und dessen wahre Ursachen erfassen und mögliche Auswege erkennen können“ (95).

Dammert fasst das Ziel der Katechese wie folgt zusammen: „

Die Katechese muss personal, total und aktuell sein: Personal: eine rationale Lehre, die sich darauf beschränkt, religiöse Wahrheiten zu erklären, genügt nicht. Es geht darum, eine persönliche Beziehung zwischen dem Wort Gottes und der menschlichen Kreatur herzustellen, anders gesagt: die Verkündigung der Guten Nachricht hat als Ziel eine Bekehrung. Total: denn die Erlösung erfolgt nicht nur durch die Ankündigung der Lehre, sondern auch durch die Zustimmung des Herzens; also muss die Katechese Gott als ein Jemand verkünden, der ein Interesse und Leidenschaft für den Menschen hat, damit in denen, die die Katechese empfangen, der Hunger und der Durst nach Gott geweckt werden. Aktuell: die Worte müssen für den Hörenden einen Sinn ergeben. Dabei sind die gängigen intellektuellen Kategorien der Hörer zu berücksichtigen um Missverständnisse zu vermeiden und um ihnen die ganze Fülle des Lebens, das uns durch das Wort Gottes vermittelt wird, zu eröffnen. Außerdem setzt die aktuelle Katechese voraus, dass sie den Wert der Zeit bedingten Realitäten richtig einordnet und präzisiert. In der Moderne hat man den Eindruck, dass der Fortschritt der Welt keinerlei Bedeutung für den christlichen Glauben hat und dass der Glaube keinerlei Interesse für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt der Welt hat. Die Katechese muss die Botschaft den verschiedenen Etappen des Lebens und den unterschiedlichen sozialen und intellektuellen Bedingungen anpassen“ (96).

c) Die Comunidad als Ausgangspunkt kirchlicher Strukturen und als Ort der Evangelisierung

Comunidad bedeutet Gemeinschaft und hat hier und im Sprachgebrauch Dammerts eine doppelte Bedeutung: eine politische und sozial-religiöse. Die Menschen einer Comunidad fühlen sich als eine Einheit, auch wenn sie untereinander zerstritten sind, und sie wissen um ihre Zusammengehörigkeit. Sie ist die Plattform und der Rahmen für das alltägliche soziale Leben. Sie hat damit auch eine religiöse Dimension, weil sich der Glaube im Leben der Comunidad entfaltet. Jedes soziale Handeln in und mit der Comunidad ist im Kontext der religiösen Dimension zu sehen. Jede Handlung hat seine Auswirkungen sowohl auf die jeweilige Gemeinschaft, als auch auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch, auf die Harmonie und das Gleichgewicht zwischen der Natur und den göttlichen Mächten (97).

Die Re-Evangelisierung, die Begegnung mit Jesus Christus und seiner Botschaft, war das Hauptanliegen Dammerts. Doch mit den 1962 in der Kirche von Cajamarca vorgefundenen Instrumenten und Strukturen konnte seiner Meinung nach dieses Ziel nicht erreicht werden. Vielmehr erschien es ihm logisch, von den soziologisch-religiösen Strukturen auszugehen, die unter den Campesinos bereits vorhanden waren: den Comunidades. Dies entsprach dem Anspruch Dammerts, von den Menschen und ihrer konkreten Situation auszugehen. Die bisherigen Pfarrstrukturen waren im Bewusstsein der Campesinos ohne Bedeutung. Sie stellten vielmehr einen Komplex dar, in den sie hineingezwängt wurden, ohne je einen inneren Bezug dazu herstellen zu können. Dieser Rahmen der Pfarrstrukturen war in ihren Augen eng mit der kolonialen Aufteilung und Herrschaft verknüpft, die man eben ertragen musste und in der man bestenfalls als Objekt vorkam. Dammert kam zu dem Schluss: „Ich hielt es für sinnvoll, eine kirchliche Gemeinschaft auf der Basis der soziologischen Gemeinschaft aufzurichten, anstatt künstliche Strukturen zu organisieren, die keine Wurzeln schlagen können“ (98).

Die bestehenden Pfarrstrukturen waren nicht nur ein organisatorisches Problem, sondern es war auch eine Frage der Gerechtigkeit. „Wenn in Peru 98% getauft sind, kann es nicht sein, dass nur 7% im traditionellen Stil betreut werden, die z.B. in den so genannten katholischen Schulen erzogen werden. Wenn schon eine sehr große Ungerechtigkeit in der Verteilung der materiellen Güter besteht, so besteht diese auch in der Verteilung der spirituellen Güter, indem man sich auf eine handvoll Leute konzentriert. Der zentralistische Klerikalismus ist unpraktikabel für eine Erneuerung sozialer, politischer, wirtschaftlicher und kirchlicher Art“ (99).

Es waren inhaltliche Gründe, die für die Comunidades als Basis der Re-Evangelisierung sprachen. Da für Dammert und die Campesinos der Glaube seinen Ausdruck findet im alltäglichen Leben innerhalb einer Gemeinschaft, ist es unabdingbar, dass die Mitglieder dieser Gemeinschaft sich nicht nur kennen, sondern sich auch von der Gemeinschaft getragen und sich der Gemeinschaft verpflichtet fühlen. Dann sind sie auch bereit, sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Dies kann am ehesten innerhalb einer überschaubaren Gemeinschaft geschehen, in der jeder Einzelne in der Lage ist, persönliche Beziehungen zu den Mitmenschen aufzubauen. In einer solchen Gemeinschaft ist es dann selbstverständlich, dass die Mitglieder dieser Gemeinschaft über ihren Glauben sprechen, ihren Glauben miteinander feiern und das Leben innerhalb der Gemeinschaft aus dem Glauben heraus zu gestalten versuchen.

In dieser Form der Glaubensgemeinschaften gibt es keine nur passiven Mitglieder, son- dern alle sind auf ihre Weise aktiv und mitverantwortlich am Leben in der Gemeinschaft beteiligt. Dammert erinnerte an das Leben innerhalb der ersten christlichen Gemeinschaften und stellte fest, dass die soziologisch-religiöse Basis der vorgefundenen Comunidades beste Voraussetzungen bietet, um ein Leben im Geiste der Jünger Jesu und der ersten Glaubensgemeinschaften anzuregen, in der sich niemand als Fremder fühlt. Wenn die Campesinos dann auch erfahren - so Dammert - dass ihre bisherige Art in der Gemeinschaft zu leben und der von außen neu gekommene Anstoß, sich selbst als Kirche im Sinne der ersten Christen zu verstehen, sich auf harmonische Weise ergänzen, dann werden sie das Neue als Bereicherung aufnehmen.

Die mit einem neuen Inhalt gefüllte Bedeutung dessen, was und wer Kirche ist, war zwar für die Campesinos neu, entsprach aber ihrem eigenen Selbstverständnis vom Leben in der Gemeinschaft auf der Basis einer gemeinsamen Identität und eines gemeinsamen Glaubens. Durch diesen Ansatz der Evangelisierung erfuhren sich die Campesinos selbst nicht als Objekte, sondern diese Evangelisierung half ihnen, ihre eigenen Werte und ihre eigene Identität wieder zu entdecken. Erleichtert wurde dieser Prozess noch dadurch, dass sich Werte des Evangeliums nahtlos mit eigenen Wertvorstellungen verknüpfen ließen bzw. diese erst richtig zur Geltung brachten. Die gemeinsame Arbeit findet ihren Höhepunkt in dem gemeinsamen Fest, durch das sich die Gemeinschaft konstituiert, in dem das Miteinander und das Teilen seinen höchsten Ausdruck finden und in dem die Verbindung zu allen Menschen und dem gesamten Kosmos und zu Gott auf dichteste Weise zum Ausdruck kommt. Dies entspricht dem Verständnis von Eucharistie in seiner ursprünglichen Bedeutung (100).

Dieses Konzept von Glaubensgemeinschaften bedeutete für Dammert nicht, die alten Pfarrstrukturen oder gar die Pfarreien als solche abschaffen zu wollen. Es ging vielmehr darum, diese Glaubensgemeinschaften im Rahmen eines größeren Ganzen auch untereinander in Beziehung zu setzen bzw. sich für eine Offenheit der Comunidades auf andere Comunidades hin einzusetzen. Die Comunidades als Glaubensgemeinschaften leben ja nicht für sich allein oder isoliert von ihrer Umwelt, sondern sind Teil eines größeren Organismus, erst recht, wenn die anderen Comunidades innerhalb eines ähnlichen oder gar gleichen Kontextes leben. Der gemeinsame Rahmen kann dann durchaus die alte Pfarrstruktur sein, die aber nur dann ihren Sinn hat, wenn sie ihre Aufgabe der Koordination und der gemeinsamen Planung erfüllt und im Dienst der einzelnen Comunidades steht, d.h. wenn sie dazu beitragen kann, dass die einzelnen Comunidades zu immer lebendigeren Gemeinschaften werden können. Die Pfarrei mit ihrem Pfarrer und eventuell anderen Mitarbeitern hat keinen Selbstzweck, sondern hat ihre Existenzberechtigung und Legitimation, wenn sie sich in den Dienst der Gemeinschaften und einzelner Menschen im beschriebenen Sinne stellt.

Wenn auch auf dem Land eine so verstandene Glaubensgemeinschaft nahezu identisch ist mit der vorhandenen soziologisch-kulturellen Gemeinschaft, so bezieht nach der Meinung von Dammert eine christliche Gemeinschaft ihre Identität nicht zuerst von einer bloßen territorialen Zusammengehörigkeit, sondern vor allem von der Art, wie man miteinander lebt und umgeht. Es ist das Bewusstsein eines gemeinsamen Fundaments und einer gemeinsamen Mission, das eine christliche Gemeinschaft zusammenhält. Daraus ergeben sich dann gemeinsame Praktiken im Alltag, sei es Teilhabe an der sozialen Verantwortung, gemeinsames Lesen der Bibel, die Feier des Glaubens, etc. Eine so verstandene Comunidad ist demnach eine Ge- meinschaft, die sich ihrer Situation bewusst wird, diese im Lichte des Glaubens analysiert und versucht, in der Nachfolge Jesu „Wege der Befreiung“ zu finden.

c) Die Aufgabe der Laien

Das Evangelium kann dann unter den Armen lebendig werden und Wurzeln schlagen, wenn lebendige Zeugen des Evangeliums auch mitten unter den Armen leben und wenn es die Armen selbst sind, die zu Verkündern des Evangeliums werden. Wenn die Hauptaufgabe der Kirche die Verkündigung der Frohen Botschaft ist, dann kann dies nach der Auffassung von Bischof Dammert gar nicht anders gehen, als sich in kleinen überschaubaren und gewachsenen Lebensgemeinschaften mit dem Evangelium zu beschäftigen und von daher neue Wege zu finden.

Selbst unter der Voraussetzung, dass die vorhandenen Priester die am besten geeignetsten Verkünder des Evangeliums wären, wäre es nicht möglich, dass ein einzelner Priester zugleich in über 200 Comunidades wie in Bambamarca heimisch wäre bzw. für 50 - 100.000 Menschen dieses notwendige Zeugnis des Glaubens hätte geben können. Denn diese Art der Verkündigung setzt eine unmittelbare Nähe mit den Menschen voraus, mit ihren Problemen, Leiden und Freuden. Auch wenn nicht alle Pfarreien die Größe der Pfarrei Bambamarca hatten, so hätten die wenigen Priester, die Dammert zu Beginn seiner Amtszeit zur Verfügung standen, bei weitem nicht ausgereicht, um eine Pastoralarbeit zu beginnen, wie sie Dammert für notwendig hielt.

Er war auch realistisch genug zu sehen, dass er weder alle seine Priester von der Notwendigkeit einer neuen Pastoral und Evangelisierung überzeugen konnte, noch dass ihm jemals auch nur annähernd so viele neue Priester zur Verfügung stehen würden, als notwendig gewesen wären. Davon abgesehen war es aber stets seine Überzeugung gewesen, dass die Evangelisierung und die damit verbundene Praxis nicht allein Aufgabe einiger weniger Auserwählter sein dürfte, die sich dann hauptberufen und hauptberuflich dieser Aufgabe widmeten. Für Dammert ist es die vorrangige Aufgabe und Mission eines auf den Namen Jesus Christus Getauften, diesen Christus zu verkünden und zu bezeugen.

Es war nicht nur der Priestermangel, der Dammert dazu veranlasste, vorrangig auf die Laien und deren Ausbildung zu setzen. Dammert sah die Laien nie als Ersatz oder Notlösung für die immer seltener werdenden Priester. Die Mitwirkung der Laien an der Verkündigung hält er in Anlehnung an Papst Johannes XXIII. nicht deswegen für notwendig, weil Priester fehlen, sondern als selbstverständlich, weil sie Christen sind. „Eine fundamentale Aufgabe der Priester und Ordensleute in Lateinamerika besteht in der Ausbildung von Laien. Die traditionellen Modelle, sich ausschließlich einer ‚Elite’ zu widmen und ‚Gettos’ zu bilden, müssen aufgegeben werden. Die Laien als lebendige Mitglieder der Kirche sind dazu berufen, innerhalb der Kirche und der Gesellschaft eine tragende Rolle zu spielen, und wir als Kleriker dürfen aus Angst vor möglichen Irrtümern nicht in einen nicht praktikablen Klerikalismus zurückfallen“ (101).

Selbstverständlich haben nicht alle Christen die gleichen Charismen und Fähigkeiten und nicht von allen kann in gleicher Weise und Intensität erwartet werden, dass sie sich in den Dienst der Verkündigung stellen. Als erster Schritt mussten daher Menschen gefunden, entdeckt und berufen werden, die in sich selbst eine Berufung spürten, sich verstärkt in den Dienst ihrer Gemeinschaft stellen zu wollen. In jeder Comunidad sollte es eine kleine Gruppe von 5 - 15 Menschen sein, die sich für die verschiedenen Dienste ausbilden ließen, nachdem man vorher in der Comunidad sich selbst über die Notwendigkeiten der Dienste klar geworden war. Diese Ausbildung (102) sollte dann alle Bereiche des Lebens umfassen, sie musste auf alle Ebenen des Gemeinschaftslebens Bezug nehmen können und auch verschieden Grade der Intensität und Dauer ermöglichen. Alle Bereiche der Ausbildung standen unter einem ge- meinsamen Leitmotiv: die Menschen sollten in die Lage versetzt werden, aktiv in ihrer Gemeinschaft und zum Wohl der Gemeinschaft tätig werden zu können, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich als Ebenbild Gottes ihrer Rechte und ihrer Würde bewusst werden.

Wenn Bischof Dammert im Allgemeinen von Laien spricht, meint er selbstverständlich alle getauften Christen, außer den Priestern und Ordensleuten. Gleichzeitig war ihm aber bewusst, dass in der besonderen Situation in Cajamarca der Begriff Laie etwas anderes meint oder zumindest doppeldeutig war. Laien wurden in Cajamarca gut ausgebildete Menschen genannt, die zusammen mit dem Bischof und in dessen Auftrag sich in besonderer Weise und Funktion der Evangelisierung widmeten. Von Dammert selbst wurde diese Unterscheidung nicht eingeführt. Ausländische Mitarbeiter, die in den sechziger Jahren als Laien eine wichtige Rolle in der Evangelisierung spielten, erklären sich diese Unterscheidung damit, dass sie es waren, die sich den Campesinos als Laien vorstellten, um sich so von den Priestern abzugrenzen.

Der Grund für diese Abgrenzung lag darin, dass diese Laien - auch Frauen - von den Campesinos besonders in den Anfangsjahren immer wieder um priesterliche Dienste gebeten wurden und diese dann stets sagen mussten, dass sie „nur“ Laien seien, die keine Erlaubnis hätten, bestimmte kultische Handlungen zu leiten (103). Die Campesinos, die den Begriff und auch den Inhalt des Begriffes anfangs nicht kannten, nannten dann alle Personen, die im beschriebenen Sinne tätig waren, „Laien“ - in Unterscheidung zu den Priestern und zu sich selbst. So verstandene Laien spielten in der Pastoral- und Sozialarbeit der Diözese eine entscheidende Rolle und hatten bei den Campesinos einen entsprechenden Status.

Auch unter erfahrenen Katecheten herrschte bezüglich der Unterscheidung zwischen Laien und Katecheten oft Verwirrung: „Es gibt eine Verwirrung hinsichtlich der Begriffe Katechet und Laie. Sie erklärten uns, dass ein Laie derjenige war, der mehr theologische Ausbildung hatte, aber ohne Priester zu sein. Ein Katechet dagegen war jemand, der gerade mit der Ausbildung begann und der in seiner Comunidad die Leute versammelte. Andere wiederum sagten genau das Gegenteil: dass der Katechet ein Laie sei. Auch die Gläubigen, die ‚Profesionales’, sind Laien. Uns aber ist es egal, wie man das nennt und wer Laie ist und wer nicht. Die Hauptsache ist, das Wort Gottes zu verkünden und vorwärts zu schreiten“ (104). Auch Neptalí Vásquez sagt in der gleichen Befragung, dass es eigentlich egal sei, wie man das nennt. Für ihn bilden Katechet und Laie die gleiche Kategorie, weil ihre Arbeit auch gleich sei. Aber auch für Don Neptalí ist ein Laie oder Katechet ein Mensch, der im Unterschied zu den gewöhnlich Getauften eine besondere Ausbildung und einen besonderen Auftrag hat, freilich im Dienst aller Getauften.105 Sich selbst bezeichnet er aber viel lieber als Katechet. Aus der Sicht der meisten Katecheten ist ein Laie jemand, der von außen in die Comunidad kommt, während ein Katechet aus der Comunidad stammt und in ihr zu Hause ist. Eher im Unbewussten hat für die Campesinos ein Laie einen höheren Status, ein Katechet ist aber für ihn vertrauensvoller, denn er ist einer der ihren.

In der Folge wird der Begriff „Laie“ im Sinne der Praxis von Cajamarca benutzt. Der Begriff wird hier nicht normativ verwendet, vielmehr beschreibt er eine Funktion. Ein Laie ist dem- nach jemand, der nicht nur im Auftrag Dammerts pastoral und sozial tätig wird, sondern er nimmt auch einen bestimmten Status innerhalb der kirchlichen Hierarchie in Cajamarca ein. Im theoretischen Selbstverständnis dieser Laien war ihnen selbst ihre eigene Rolle deutlich, nach außen hin aber blieb diese Rolle oft missverständlich und unscharf. Bei den hier zum Ausdruck gebrachten Motivationen zur Teilhabe und den skizzierten Zielsetzungen darf nicht vergessen werden, dass es sich um anzustrebende Ziele und teilweise auch um Wünsche handelte, von denen man hoffte und auch alles dafür tat, dass sie in Erfüllung gehen konnten. Selbstverständlich gelang dies nicht immer, manchmal auch nur ansatzweise oder in Bruchstücken. Als größte Hindernisse und Schwierigkeiten stellten sich aus der Sicht der Laien vor allem folgende Themenkomplexe heraus:

Charakteristische Selbsteinschätzungen dieser Mitarbeiter Dammerts waren (106).

  1. Sie sehen sich als „gleichwertige Mitarbeiter im Weinberg Gottes“, wie es eine Mitarbeiterin ausdrückte. Sie sehen ihre pastoralsoziale Arbeit nicht in Konkurrenz zu den Pries- tern und Ordensleuten, sondern als notwendige Ergänzung. Sie identifizieren sich mit der Forderung Dammerts: „Der Laie muss zum Bewusstsein seiner Würde und Teilhabe am Volk Gottes kommen. Dies kann geschehen durch eine priesterliche Begleitung, aber ohne sich diesen unterzuordnen“ (107). Ihr Ziel ist es, von ihrem je spezifischen Standort aus an der Evangelisierung und der Verkündigung der Botschaft mitzuwirken.
  2. Alle Laien bezeichnen es als ihre größte Herausforderung und teilweise als Hindernis in ihrer Arbeit, dass das Volk noch so sehr im klerikalen Denken verhaftet ist, dass die Mehrheit der Getauften in ihnen eher einen schwachen Ersatz für die Priester sieht. Sie machten die Erfahrung, die Dammert so ausdrückt: „Noch herrscht die traditionelle Auffassung von der Kirche vor, die mit der Hierarchie identifiziert wird. Diese wird wegen der Weihe als etwas Sakrales angesehen. Dies führt dazu, dass Priester und Bischöfe als ‚höhere Wesen’, ausgestattet mit besonderen spirituellen Kräften und einer Heiligkeit (obwohl die persönliche Lebensführung eine ganz andere war), betrachtet wurden“ (108)
  3. Die engagierten Laien sehen sich von daher als Vorkämpfer einer Kirche Jesu Christi im Dienst der Armen, was wiederum zu dem Bewusstsein führt, im Dienste einer besonderen Mission zu stehen. In dieser Haltung sehen sie sich unterstützt von den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils, der Dokumente von Medellín, die sie durch intensives Studium kennen lernten und weitergaben und durch das persönliche Zeugnis ihres Bischofs.
  4. Sie sehen ihren Auftrag als ein „ganzheitliche Mission, die alle Bereiche des Lebens umfasst“ und alle anderen Interessen überlagert. Dies kann so weit gehen, dass auch bewusst Nachteile im Berufsleben bis hin zu offenen Anfeindungen seitens der gesellschaftlich einflussreichen Kräfte in Kauf genommen werden.
  5. Im Einzelnen sehen die Laien ihren Auftrag erstens darin, „Anteil zu nehmen und sich ganz und gar der jeweiligen Gemeinschaft hinzugeben. Ziel ist, sich derart in unsere Gemeinschaft zu integrieren, um so echte Christen zu werden und ein authentisches christliches Leben zu führen“. Dies kann zweitens z.B. dadurch geschehen, dass „ich das Wenige, was ich gelernt und erfahren habe, meinem Bruder und meiner Schwester weitergebe. Denn diese erfahren sonst nicht ein einziges Wort der Zärtlichkeit und sie empfangen auch nicht das Wort Gottes“. Drittens geht es darum, „zu dienen, mit viel Liebe und Zuneigung und sich der Person anzunähern, deren Vertrauen man gewinnen will“. Und viertens sollen „die religiösen Gruppen innerhalb der Kirche in ihrem Zusammenhalt gestärkt werden, damit sie sich besser organisieren und als Gemeinschaft lernen, sich zu verteidigen und zum Bewusstsein ihrer Werte zu kommen“.

Als gemeinsamen Nenner kann man die Aussage eines Laien werten, wie sie in ähnlicher Form auch von anderen Laien gemacht wurde: „Unsere Mission ist der Auftrag Jesu: In die Welt hinauszugehen, das Evangelium zu verkünden und zu taufen im Namen des Vaters“.

Die verschiedene Form der Mitarbeit der Laien innerhalb eines je eigens zu analysierenden Kontextes hatte nach Aussagen der Mitarbeiter stets einen einzigen Bezugspunkt: das Vorbild Jesu. Daraus ergaben sich die Notwendigkeit und das Selbstbewusstsein, am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken, das sich - so die Mitarbeiter - in einer Kirche auf der Seite der Armen ankündigt. „Kirche schaffen, Kirche werden - aber eine Kirche, in der es Gleichheit gibt, Gerechtigkeit, Liebe und Zärtlichkeit. Um dieses zu erreichen, musste man von den ‚Ungleichen’ ausgehen, die im konkreten Fall die Armen waren. Der Pastoralplan wollte auf die Herausforderungen und Bedürfnisse seiner Zeit eine Antwort geben, das, was Johannes XXIII. die Zeichen der Zeit nannte. Im Rückblick können wir sagen, dass diese Pastoral sehr wirksam war. Die Kirche Jesu Christi zu errichten, ausgehend von den Ärmsten, die diesen Jesus Christus nicht kannten, war und bleibt eine notwendige, wenn auch schwierige Aufgabe“ (109).

  1. Das neue Auftreten der Laien innerhalb des schon erwähnten traditionellen religiösen und sozialen Kontextes mit seinen jeweiligen Rollenfestschreibungen (Laie - Priester, aber auch Mann - Frau) überforderte oftmals die Aufnahmebereitschaft der Menschen. Andererseits wurden durch das Auftreten der Laien Erwartungen geweckt, die oft nicht erfüllt werden konnten - letzteres vor allem im technisch-materiellen Bereich, da von der Mitarbeit der Laien oft unmittelbare Verbesserungen ohne eigene Mithilfe erwartet wurden.
  2. Die materielle Notwendigkeit, dazu oft noch der Druck und das Unverständnis der eigenen Angehörigen, zwangen eine beträchtliche Anzahl von engagierten Laien, sich vermehrt um den eigenen Lebensunterhalt zu kümmern, was dann den ganzen Menschen in Anspruch nahm. Nur wenige Laien waren hauptberuflich von der Diözese oder von ihr ausgehenden Entwicklungseinrichtungen angestellt, und diejenigen mit Anstellung wurden meist miserabel, im Vergleich zu ihnen sonst angebotenen Stellen, bezahlt.
  3. Mitarbeiter, die nicht aus Cajamarca stammten, sondern von der Küste und aus Lima gekommen waren, hatten erhebliche Schwierigkeiten mit der Mentalität der Campesinos (110).
  4. Trotz eines oft über das ganze Leben gehenden Engagements vieler Laien war deren Einsatz in bestimmten Aufgaben oder Projekten oft nur punktuell und zeitlich eng begrenzt. Das hängt zum einen mit der trotz aller Anstrengung nicht allzu hohen Anzahl von spezialisierten Laien zusammen, die in verschiedenen Aufgabenbereichen und Orten eingesetzt wurden und zum anderen bedingt von den Mitarbeitern selbst, die es oft nicht über viele Jahre am gleichen Ort aushielten und Veränderung brauchten. Es fehlte an Konstanz, obwohl Dammert gerade darauf größten Wert legte.
  5. Viele Laien mussten feststellen, dass einige noch eher traditionell ausgerichtete Priester geradezu eifersüchtig auf die neue Rolle der Laien waren und alle Einflussmöglichkeiten bei der Bevölkerung nutzten, um ihre eigene Rolle - und damit verbunden ihre Identität als Priester - nicht zu verlieren und die Laien nicht allzu mächtig werden zu lassen. Böse Unterstellungen und Anfeindungen gegen die Laien waren manchmal die Folge.
  6. Aus der Sicht Dammerts kamen noch eine andere Schwierigkeit hinzu: Obwohl er strikt gegen eine „Klerikalisierung der Laien“ eingestellt war, musste er oft feststellen, dass gerade dies geschah. Manche Mitarbeiter hielten sich für unersetzlich und andere wollten überall, wo sie hinkamen, sofort neue Modelle einführen, ohne an das vorher Geleistete anzuknüpfen. Gegen beides war Dammert allergisch und er reagierte oft sehr abrupt, indem er die Mitarbeiter nach Hause schickte - vor allem, wenn es sich um ausländische Mitarbeiter oder Mitarbeiter aus Lima handelte. Andererseits waren ausländische Mitarbeiter bei allem Engagement in Gefahr, ihre Individualität bis aufs Äußerste auszuleben.

e) Die Aufgabe der Katecheten (111)
 
Wie schon gesehen, war für Dammert die Förderung von Glaubensgemeinschaften auf dem Land auf der Basis der soziologischen Zusammengehörigkeit und der bereits bestehenden politischen Comunidades eine Voraussetzung dafür, dass das Evangelium unter den Campesinos heimisch werden konnte. Die Verbreitung des Evangeliums unter den Campesinos und die Überzeugung Dammerts, dass sie als Arme und Diskriminierte die privilegierten Adressaten der befreienden Botschaft Jesu sind, waren die wesentlichen Fundamente der Sozialpastoral von Dammert. Und aus den Adressaten sollten dann die Akteure werden, die in ihrem Kontext durch ihr persönliches Zeugnis diese Botschaft weitergeben und mit anderen teilen. Es ging letztlich um Jesus den Christus, der auf dem Land inmitten der Campesinos „Fleisch und Blut“ werden sollte (ein häufig benutzter Ausdruck in Cajamarca). So wurde auch als Folge der erwähnten ersten Pastoralwoche in Cajamarca der Slogan geprägt, der die Pastoralarbeit der nachfolgenden Jahre bestimmen sollte: „El Campo para Cristo“ - das Land soll für Christus gewonnen werden.

Um dies zu erreichen, bedurfte es der Vermittlung von eigens ausgewählten und vorbereiteten Campesinos, die in ihrer Comunidad zum Ausgangspunkt der Evangelisierung werden konnten. Diese Campesinos „stammen naturgemäß aus dem Kontext, in den sie hinein die Botschaft Jesu verkünden. Sie kommen aus der Mitte des Volkes und sie leben auf dem selben sozialen Niveau; sie sprechen die Sprache des Volkes, kennen dessen Sitten und Gebräuche, ihre Mentalität und ihre Art und Weise sich auszudrücken“ (112). Im Anschluss an die Pastoralwoche im Januar 1963 wurde sofort mit dem Programm der Evangelisierung begonnen. Es wurde noch nicht von Katecheten gesprochen, sondern die ersten Campesinos, die für eine Mitarbeit im neuen Pastoralplan gewonnen werden konnten, wurden „Katholische Missionare vom Land“ genannt, eine Bezeichnung, die nach etwa zwei Jahren in den Hintergrund geriet.

Auf den ersten Blick könnte der Anschein entstehen, dass die Campesinos nur Mittel zum Zweck waren, um den Einflussbereich der Kirche zu erweitern. Doch Dammert ging es nie um die Kirche an sich, sondern um die Menschen, besonders um die Armen. Er war fest davon überzeugt, dass das Evangelium die Menschen frei macht und sie ihre wahre Würde und Bestimmung erkennen lässt. Zu Beginn der ersten Ausbildungswoche für zukünftige Landkatecheten im August 1963 in der Stadt Cajamarca sagte Bischof Dammert zu seinen Mitarbeitern: „Wir müssen mehr Liebe zu unseren Campesinos haben und das Leben - manchmal auch die Schutzmauern - der Städte hinter uns lassen. Wir müssen lernen, uns für sie aufzuopfern und immer für sie da zu sein, denn sie sind Kinder Gottes und deshalb unsere Brüder“ (113).
Bei der Suche für die ersten „katholischen Missionare auf dem Land“ stieß man auf die Rosarieros - eher zufällig als geplant“ (114).  Auch Bischof Dammert wusste wenig von diesen Personen und den entsprechenden Bräuchen. Als er einige ältere Pfarrer befragte, gaben sie ihm zu verstehen, dass sie zwar davon wüssten, aber diesen Personen nie Bedeutung zugemessen hätten. Dammert dagegen erkannte sofort die Chancen und sah die Möglichkeit, daran anzuknüpfen, wie es dann auch in Bambamarca und anderen Orten geschah.

Auch in der Stadt Cajamarca gab es in der Folgezeit Katecheten, die manchmal auch so genannt, meistens aber nicht als Katecheten bezeichnet wurden und sich selbst auch nicht so verstanden. Für sie gab es ebenfalls eine Ausbildung und entsprechende Begleitung. Dies geschah durch den jeweiligen Pfarrer, der in der Regel daran interessiert war, einige Personen zur Hand zu haben, die ihn in bestimmten Aufgaben unterstützen konnten. In der Stadt übernahmen diese Katecheten Funktionen und Aufgaben, die eher denen entsprachen, die auch in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils in Deutschland und anderen Ländern eingeführt wurden. „In den städtischen Zonen sind die Katecheten die Personen, Jugendliche oder Erwachsene, die die Funktion hatten, in die Katechese der Kinder und Eltern einzuführen, in den kultischen Feiern dem Priester zu assistieren und im Chor mitzusingen. Diese Katecheten wurden vom Pfarrer ausgewählt und bedurften keiner besonderen Beauftragung durch den Bischof“ (115).  

Im Unterschied zu den Landkatecheten spielten sie keine führende Rolle innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft, schon gar nicht im sozialen Bereich. Sie wurden von ihrem Pfarrer für ganz spezielle und partielle Aufgaben mit der Absicht eingesetzt, ihm gewisse Arbeiten abzunehmen und ihm in der Ausübung bestimmter Aufgaben, meist im Rahmen eines Gottesdienstes, zu assistieren. Es handelte sich daher stets um abgeleitete Funktionen, vom jeweiligen Pfarrer her definiert. Dessen ungeachtet bedeutete die Ausbildung dieser Art von Katecheten und deren Einsatz in der Pfarrei einen großen Fortschritt im Hinblick auf mehr aktive Teilnahme und Übernahme von Verantwortung seitens der Laien. Aus diesem Personenkreis gingen vor allem jüngere engagierte Laien hervor, die über ihre ursprüngliche Funktion hinauswuchsen und sowohl in ihrer Pfarrei als auch über die Pfarrei hinaus zu wichtigen Bezugspersonen im Sinne des Pastoralplans von Dammert wurden.

Die Landkatecheten hingegen - wie noch am Beispiel Bambamarcas zu sehen sein wird - füllten eine Rolle aus, wie sie so in den vergangenen Jahrhunderten in Amerika und möglicherweise bis heute in Europa nicht bekannt war und üblich ist. Dammert setzte nicht nur große Hoffnungen in sie, sondern er stellte auch hohe Anforderungen. Ihre Hauptaufgabe sollte darin bestehen, „durch ihr persönliches Zeugnis die Güte und Gerechtigkeit Gottes ihren Brüdern und Schwestern zu verkünden“ (116) und dazu führen, dass jeder Hörer in der Lage versetzt wird, eine persönliche Antwort auf den Ruf Gottes zu finden. Wort und Leben sollten in der Person des Katecheten übereinstimmen und eine Einheit bilden. An gleicher Stelle sagt er: „Die Arbeit des Katecheten ist eine Berufung und nicht irgendein Amt“ (117).

Und auch die Katecheten fühlten sich oft von Gott direkt berufen. „Einmal hatte ich einen Traum und ich konnte ihn nicht deuten. Ich träumte, dass ich auf dem Feld war. Ein kleines Kind rief mich: komm zu mir, setze dich zu mir! Und als ich dahin ging und mich zum Kind setzen wollte, da bin ich aufgewacht, beinahe bin ich hingefallen. Ich fing an daran zu denken, dass Gott in den Allerkleinsten wohnt, den Demütigsten und Ärmsten - und nicht bei den Mächtigen. In diesen kleinen Kindern mit ihren zerfetzten Kleidchen... da ist Gott zu finden. Seit diesem Moment fing ich an zu lesen, die Bibel kennen zu lernen, ich ging auf die Kurse von Cajamarca und in Lima und diese Arbeit gefiel mir dann immer mehr“ (118).

Die Katecheten fühlten sich in der Regel verantwortlich für alle Bereiche in ihrer Comunidad. Sie waren die geborenen Führungspersönlichkeiten, wurden von der Comunidad meist selbst ausgewählt und nach dem Besuch vieler Kurse vom Bischof in Übereinstimmung mit der Comunidad und später auch dem Kirchengemeinderat (dem gewählten Gremium von Vertretern aller Zonen der Pfarrei) beauftragt. Sie bekamen für ihre Arbeit keine Entschädigungen, geschweige denn ein Gehalt. Sie sahen als ihre Hauptaufgabe an, das Wort Gottes zu verkünden und ein persönliches Zeugnis ihres Glaubens zu geben: „Meine Situation war die, dass ich mich auf die mir beste Weise zu meinen Nachbarn und zu meinem Volk verhalten sollte, um so das Wort Gottes zu verkünden“ (119). Sie wurden ihrer Berufung dadurch gerecht, dass sie in ihren Comunidades versuchten, pastoral-kirchliche Gruppen zu bilden, die Comunidad zu ver- sammeln, sie zu organisieren und für gemeinsame Aufgaben wie auch zur Überwindung ihrer materiellen Misere zu gewinnen. Ihre Mission beinhaltete immer, sich auch für die sozialen Probleme einzusetzen.

Die Aufgabenbereiche eines Landkatecheten lassen sich in drei Bereiche gliedern, die das bezeichnen, was man auch als Gemeindeleitung bezeichnen könnte, in Cajamarca aber nicht so genannt wurde. Er war vom Bischof beauftragt und handelte im Auftrag der Kirche.

  1. Der Bereich der Katechese (Verkündigung) im weitesten Sinne und damit eng verbunden die Aufgabe der Erziehung innerhalb der Comunidad und der Ausbildung in allen Bereichen, gemäß den Bedürfnissen der Comunidad. Dies geschah sowohl zur eigenen Weiterbildung, vor allem aber in der Weise, um das in den zentralen Kursen Gelernte nun in der eigenen Comunidad weiterzugeben („mit denen zu teilen, die weniger wissen“).
  2. Der Bereich der Repräsentation als „Sprecher“ der jeweiligen Comunidad: Der Katechet vertrat die Comunidad als Delegierter in der Zusammenarbeit mit anderen Comunidades, den gemeinsamen Pfarrgremien und auf diözesaner Ebene. Diese Repräsentanz ging aber weit über den kirchlichen Rahmen hinaus. Oft waren die Katecheten die authentischen Ansprechpartner für die staatlichen Autoritäten - auch im negativen Sinne, denn sie wurden für alles verantwortlich gemacht, was die Autoritäten störte. Sie wurden innerhalb ihrer Comunidad meist auch von jenen Campesinos als ihre Sprecher anerkannt, die nicht aktiv am religiösen Leben der Comunidad teilnahmen oder z.B. einer Sekte angehörten.
  3. Der liturgisch-sakramentale Bereich: Der Katechet leitete die Gottesdienste und die Versammlungen, in denen die Bibel gelesen und gemeinsame Probleme im Lichte des Glaubens reflektiert wurden. Er wurde zu den Sterbenden gerufen, besuchte die Kranken und seine wichtigste sakramentale Aufgabe war die Spendung der Taufe. Die Erlaubnis zur Spendung der Taufe und des Ehesakramentes (bzw. zu dessen Assistenz) hatten nicht alle Katecheten, sondern nur die erfahrensten.

Um Katechet werden zu können, musste ein Bewerber verschiedene Voraussetzungen mitbringen. Er musste verheiratet sein, weil junge „Singles“ als nicht sehr beständig angesehen wurden; der Ehepartner musste einverstanden sein, weil die Aufgabe eines Katecheten massiv die Familie betraf; er musste gewisse Fähigkeiten mitbringen, wie die Bereitschaft, gut lesen und schreiben zu können und er musste schon vorher durch sein Verhalten zeigen, dass er für die Aufgabe reif war; schließlich musste die Comunidad zustimmen (oder sie hatte ihn vorher selbst ermuntert oder ausgewählt). Unter den ersten Katecheten befanden sich keine Frauen. Im Laufe der Zeit belief sich der Anteil der Frauen unter den Katecheten auf etwa 10 - 15% (Statistiken wurden nicht geführt).

Die Katecheten konnten trotz vieler Anfeindungen ein großes Selbstbewusstsein und eine Selbstsicherheit entwickeln, weil sie sich der Unterstützung durch ihren Bischof völlig sicher waren. Umgekehrt sah sich der Bischof insbesondere durch die Fortschritte in Bambamarca ermutigt, seinen Weg unbeirrt weiter zu gehen und immer wieder sogar in Rom vorstellig zu werden, um für die pastoralsoziale Situation in seiner Diözese Verständnis zu wecken. Sehr hilfreich für ihn waren der Austausch von Erfahrungen mit befreundeten Bischöfen im Süden Perus, vor allem dem Altiplano zwischen Cusco und Puno und mit der Diözese Riobamba in Ekuador mit Bischof Leonidas Proaño. Nach der Beauftragung des ersten Campesino als Landkatechet und Taufspender im Jahre 1969 erfuhr er von diesen befreundeten Bischöfen viel Zuspruch und diese folgten ihm kurz darauf nach, indem sie in ihren Diözesen ebenfalls Katecheten mit ähnlichen Aufgaben wie in Bambamarca ausbildeten und beauftragten.

Im Juli 1971 fand in Asunción, Paraguay, ein Treffen von Bischöfen statt, die bereits in Me- dellín eine bedeutende Rolle gespielt hatten. Von diesem Treffen konnte Dammert mit der Be- stätigung zurückkehren, dass sein eingeschlagener Weg richtig war und dass dieser Weg auch in anderen Diözesen eingeschlagen wurde. Von diesem Treffen aus schreibt er nach Cajamarca: „Dieser Austausch der Erfahrungen bestätigt mich darin, wie dringlich die Notwendigkeit ist, mit der Ausbildung von Landkatecheten fortzufahren - und zwar mit der gleichen Qualität und Intensität, wie sie durch die Pionierarbeit von Alfonso Castañeda und Alois Eichenlaub auf Diözesanebene, von Bartolini in Bambamarca und Vicente Aragón in Celendín begonnen und später von Hans Hillenbrand in noch verbesserter Form in Bambamarca weitergeführt wurde. Wir müssen trotz allem Unverständnisses mancher ‚Nachbarn’ weitermachen und wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen von Widersprüchen, selbst wenn diese von anderen Priestern oder gar aus Rom kommen sollten. Auf dem Weg läuft man natürlich Gefahr, auch einmal hinzufallen. Aber nur Kadaver bewegen sich nicht und belästigen auch nicht. Jede neue Erfahrung bringt auch Irrtümer mit sich, denn es ist unmöglich, alles zu 100% sicher zu machen. Aber wenn wir nicht bereit sind, uns irren zu wollen, werden wir nie etwas in die Tat umsetzen. Wir müssen uns daran gewöhnen, in der Unsicherheit zu leben, denn die Zeit der Unbeweglichkeit ist vorbei“ (120).

Diese Worte Dammerts so wie viele andere Hinweise lassen darauf schließen, dass sein Kurs sowohl innerkirchlich als auch im gesellschaftspolitischen Bereich auf erhebliche Widerstände stieß, auch in den unmittelbaren Nachbardiözesen Cajamarcas. Umgekehrt zeigt diese Erfahrung, dass die Angst, Fehler zu machen, die Kirche erstarren lässt und die Angst vor der Zukunft immer größer wird.

In einem „offiziellen Arbeitsdokument der Diözese Cajamarca über Evangelisierung in ländlichen Gebieten“, das als Ergebnis der diözesanen Pastoralversammlung an die peruanische Bischofskonferenz geschickt wurde, konnte eine erste positive Zwischenbilanz gezogen werden. „Die Arbeit der Katecheten in den kleinen Gemeinschaften von Christen führt zu einer besseren Kenntnis von Christus, dem Herrn. Dies führt langsam zu einem fruchtbaren geistlichen Fortschritt und zur Bildung einer eigenständischen und einheimischen Kirche“ (121).

Trotz aller Schwierigkeiten, die noch konkreter am Beispiel von Bambamarca gezeigt werden, fühlten sich Dammert und seine Mitarbeiter darin bestätigt, den eingeschlagenen Weg der Evangelisierung weiterzugehen.


Anmerkungen

(1) Castañeda, Alfonso: Evangelisierung und Sozialarbeit, Juni 1968, unveröffentlicht. Der Artikel liegt in deutscher Übersetzung vor, Übersetzer unbekannt. Archiv St. Martin, Dortmund.

(2) Broderick. Joe: In Pregón Nr. 8, Monatszeitschrift der Acción Católica, Cajamarca, Juni 1969. Archiv IBC. Eine (provisorische) deutsche Übersetzung mit dem Titel: „Cajamarca - eine entlegene Diözese mit einem ungewöhnlichen Bischof“ befindet sich im Archiv von St. Martin, Dortmund (Übersetzer unbekannt).

(3) Diese Re-Evangelisierung ist nicht zu verwechseln mit der „Neuevangelisierung“ seit 1992 (vgl. Kap. V, 1), wie sie von Johannes Paul II. probagiert wird.

(4) Nicht zuletzt wegen der Verdienste Dammerts um diese Universität (PUC), drängt die PUC darauf, das gesamte Archiv Dammerts - das bestehende im IBC und das Archiv in Cajamarca - zu bekommen. Die PUC stellt eigene Räumlichkeiten zur Verfügung, die im März 2004 fertig gestellt sein sollen (was dann leider nicht geschah).

(5) Dammert: Brief vom 15. 5. 1973 (als Antwort auf eine Anfrage ausländischer Priester, die über ihn eine Biographie schreiben wollten) aus Lima an die Priester der Diözese Cajamarca. Archiv IBC. Er wehrte sich gegen dieses Ansinnen und schlug vor, sich weniger um seine Person zu kümmern. Er machte in seiner Antwort daher nur Angaben über seine Tätigkeit als Bischof. Im persönlichen Gespräch wies er mich seit 1997 wiederholt darauf hin, dass in der vorliegenden Arbeit nicht seine Person im Mittelpunkt stehen dürfe, sondern seine Arbeit mit den Campesinos und die Campesinos selbst.

(6) Dammert: Beitrag zur „Ersten Sozialwoche in Peru”, am 7. 8. 1959; veröffentlicht in: „25 años al sevicio de la Iglesia”. Lima: CEP, 1983, S. 153. Die zitierte Stelle greift er in einem Hirtenbrief im September 1969 wieder auf, um die Verschwendung bei den Patronatsfesten zu kritisieren. In der Abschlussansprache zur „Zweiten Sozi- alwoche in Peru“, vom 1.- 6. August 1961, sprach Dammert von dem Vorrang des Menschen vor der Ökonomie: „Der Mensch als Kind Gottes steht über der Wirtschaft. Diejenigen, die wirtschaftliche Prinzipien über die Würde des Menschen stellen, hören auf, Christen zu sein“; veröffentlicht in: Iglesia y campesinado - selección de textos y documentos pontificios y episcopales, documentación Vol. III, Nr. 1. Lima: CEAS, 1982, S. 21.

(7) Dammert: Bericht (ohne Titel) an die peruanische Bischofskonferenz (1967) zu den Vorbereitungstexten von Medellín. Archiv IBC.

(8) Hier sind vor allem zu nennen: 25 años al servicio de la Iglesia (ausgewählte Texte zum 25. Jahrestag seiner Bischofsweihe). Lima: CEP, 1983; Las lamentaciones de los que sufren no me dejan tranquilo, Homenaje zum Abschied von Bischof Dammert. Cajamarca: AOMC, 1994; Garnett, Miguel: Don Pepe. Cajamarca: AOMC, 1993; vgl. auch den Artikel „Pepe!“, von G. Gutiérrez im Sammelband „Die globale Verantwortung“ (S. 11-16).

(9) Die Katholische Aktion wurde von Papst Pius XI. gegründet und ging von Italien aus um die ganze Welt. Sie war laut Dammert die erste und wichtigste Laienbewegung der Welt. Ihr Thema war die Rolle der Laien in Kirche und Welt. Nicht zufällig war, dass er über seine Arbeit in der Acción Católica die Rolle der Laien positiver bewerten konnte als viele seiner Mitbischöfe. Auf dem ersten kontinentalen Treffen der Acción Católica 1946 in Chile spielte Dammert bereits eine wichtige Rolle. Sein Einsatz für die Rolle der Laien fand seinen Höhepunkt in der Ernennung zum Präsidenten der Kommission für Laien des CELAM.

(10) Siehe den Beitrag „Die kleinen Bischöfe“ von Bischof Luigi Bettazzi (Ivrea, Italien) in dem Sammelband „Die globale Verantwortung“, S. 17 - 22. In dem Beitrag ist das Positionspapier „Modell des Bischofs“ enthalten. Dieses Papier wurde von Kardinal Lercaro dem Papst übergeben. Es war aus nichtoffiziellen Begegnungen zwischen Bischöfen entstanden und mitinspiriert von Abbé Boulard (Frankreich) und Prof. Houtard (Belgien). Abbé Boulard leitete im Januar 1963 die erste Pastoralwoche in Cajamarca, die als Ausgangspunkt für die sozialpastorale Arbeit in der Diözese Cajamarca gilt. Diese Einflüsse waren für Cajamarca bestimmend.

(11) Dammert: Geschichte von Gaudium et Spes“ (dort auch das Zitat des Papstes in Radio Vatikan). Archiv IBC.

(12) Dammert: Hirtenbrief vom 08. 11. 1964. Archiv IBC.
(13) Dammert: Hirtenbrief vom 30. 11. 1965. Archiv IBC.

(14) Dammert: „El rol del laico cristiano en el mundo de hoy“. Vortrag anlässlich eines Besinnungstags am 22. Mai 1965 in Cajamarca. Archiv IBC.

(15) Garnett, Miguel: Don Pepe - der Bischof von Cajamarca. Cajamarca: AOMC, 1993, S. 4; hier in einer Übersetzung von Pfr. Günther Keine, Dortmund; als Manuskriptdruck (20 Seiten) von der Partnergemeinde St. Martin, Dortmund verteilt und verschickt.

(16) Dammert: Brief an Senator Rafael Puga, 28. Oktober 1963 (aus Rom, während der 2. Sitzungsperiode des Konzils). Archiv IBC. Der Brief wurde in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht, auch im Ausland, u.a. in „Informations Catholiques Internationales“, Dezember 1963. (Vgl. Knecht, Willi/ Heidenreich, Hartmut: „Die Wehklagen derer, die leiden, lassen mich nicht ruhen“. In: Meier, Johannes (Hrsg.): „Die Armen zuerst!“ - Zwölf Lebensbilder lateinamerikanischer Bischöfe. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1999. S. 90 - 105. Gutiérrez bezieht sich in seinem Beitrag „Pepe!“ im Sammelband „Die globale Verantwortung“ auf diesen Brief (S. 12). Mit dem Titel: „Die Wehklagen derer die leiden, lassen mich nicht ruhen“, wurde von Mónica Buse und Alois Eichenlaub ein Buch zusammengestellt und im Verlag AOMC, Cajamarca herausgegeben. Der Titel wird als Motto des Lebens und Wirkens Dammerts herausgestellt. Dammert selbst hat dies nachträglich als zutreffend bestätigt. Die AOMC ist hervorgegangen aus der Medienstelle (Sonoviso) der Diözese.

(17) Gutiérrez, Gustavo: Pepe!, im Sammelband „Die globale Verantwortung“, S. 12. (18) Gutiérrez, Gustavo: Theologie der Befreiung, S. 277.
(19) Gutiérrez, Gustavo: Pepe!, im Sammelband „Die globale Verantwortung“, S. 11.

(20) Dammert: Zur Vorbereitung von Puebla, interne Umfrage in der peruanischen Bischofskonferenz, Mai 1978 (ohne weiteren Titel). Archiv IBC. Dammert wurde von den peruanischen Bischöfen nicht zum Delegierten für Puebla gewählt, obwohl er Vizepräsident der Bischofskonferenz war. Vor allem 1977 und 1978 waren die Auseinandersetzungen innerhalb der peruanischen Kirche sehr heftig, dabei ging es nur vordergründig um den Streit über die Theologie der Befreiung. Die peruanischen Bischöfe ließen sich von dem Vorbereitungsdokument (documento de consulta) der Kurie zu Puebla, in dem die Beschlüsse von Medellín relativiert werden sollten, zuerst sehr beeindrucken. In Puebla aber waren die peruanischen Delegierten die heftigsten Verteidiger von Medellín. Bereits im Vorfeld kam es in Peru zu einer breiten Ablehnung der Vorlage der Kurie.

(21) Dammert: Testimonio de Medellín, 1994. Archiv IBC.
(22) Gutiérrez, Gustavo: Pepe!, im Sammelband „Die globale Verantwortung“, S. 14.

(23) Dammert: Zur Vorbereitung von Puebla, interne Umfrage in der peruanischen Bischofskonferenz, Mai 1978. (ohne weiteren Titel). Archiv IBC.

(24) Umfrage des IBC in der Diözese Cajamarca, 1997.
(25) Dammert: Brief an die Priester Cajamarcas vom 15. 3. 1969 über das Treffen mit Papst Paul VI. Archiv IBC.

(26) Dammert: Observaciones al esquema „De sacerdotio ministeriali”, enviado por la secretaría del sínodo de los obispos. 4. 4. 1971. (Aus dem Abschnitt: “De relatione inter sacerdotium et caelibatum”). Archiv IBC.

(27) Garnett, Miguel: Don Pepe.
(28) Garnett, Miguel: Don Pepe. Die Reihe „Biblioteca Campesina“ ist im Kontext der Bewegung der Landbibliotheken erschienen. Der eigentliche Gründer der „Bibliotecas rurales“ (Landbibliotheken) war Juan Medcalf (vgl. den Artikel im Sammelband „Die globale Verantwortung“ über die Landbibliotheken, S. 67 - 76). Juan Medcalf wurde von Bischof Dammert zu diesem Schritt ermutigt und unterstützt. Juan Medcalf, zuletzt Pfarrer bei London, starb überraschend im Sommer 2002 während eines Besuchs in Spanien.

(29) Dammert: Informe sobre el CELAM, 1992. Archiv IBC

(30) Norbert Arntz, Mitglied der Beobachter-Delegation von Pax Christi International in Santo Domingo, zitiert in: „Wer hat das letzte Wort? - Die Befreiungstheologie zwischen römischem Fundamentalismus und Neuer Weltordnung“ die Erklärung von 18 Bischöfen aus 12 Ländern: „Wir sind desillusioniert angesichts der Manipulation und der gezielten Absicht, mit dem Vorbereitungsprozess zu brechen und die Mitbestimmung der Teilnehmer zu verhindern. Eine Kirche, die sich so verschließt, verursacht große Schmerzen“. Arntz analysiert in seinem Bericht die Konferenz von Santo Domingo (einschließlich des Vorfeldes) und kommt zu dem Schluss, dass die CAL „nicht der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils folgt“, lokale Kirchen nur als Filialen von Rom sieht, den Wert anderer Kulturen nicht anerkennt und das Martyrium der lateinamerikanischen Kirche noch nicht einmal erwähnt. Der Text wurde mir von Norbert Arntz privat zugeschickt.

(31) Aporte a la IV. Conferencia general del episcopado latinoamericano en Santo Domingo: Prioridad de los indígenas y afroamericanos. Archiv IBC. Der Beitrag wurde auch in dem Sammelband „Homenaje - testimonios y reflexiones“ zum Abschied von Bischof Dammert veröffentlicht. Cajamarca: AOMC, 1994, S. 107, 108.

(32) Auf Hispañola lebten bis zur Ankunft der Europäer nach übereinstimmenden Schätzungen etwa zwei Millionen Menschen. Nach 40 Jahren (nach anderen Angaben 100 Jahren) europäischer Herrschaft und Evangelisierung hatten nur einige Hundert Ureinwohner überlebt. P. Suess zitiert Las Casas: „Dass gegenwärtig von mehr als drei Millionen Menschen, die ich ehedem auf der Insel Hispañola mit eigenen Augen sah, nur noch zweihundert Ein- geborene vorhanden sind“. Suess, Paolo: Weltweit artikuliert, kontextuell verwurzelt. Frankfurt: IKO, 2001, S. 140. Das hinderte die Bischöfe der Dominikanischen Republik nicht, den Papst bei seinen Besuchen auf die großen Leistungen der ersten Missionare hinzuweisen, denen es nach etwa vierzig Jahren bereits gelungen war, auf der gesamten Insel Hispañola die Kirche aufzubauen, wofür der Papst ihnen seinen Dank aussprach.

(33) Suess, Paolo: Weltweit artikuliert, kontextuell verwurzelt. Frankfurt: IKO, 2001. S. 153.

(34) Heidenreich, Hartmut: Befreiungstheologie - quo vadis? Ortstermin Cajamarca/Peru: fast ein pastoralpolitisches Feature, in Pastoraltheol. Informationen, 17/1997, S. 145 - 161.

(35) Die Angaben zum Abschied Dammerts sind verschiedenen privaten Briefen von Mitarbeitern Dammerts an deutsche Freunde entnommen. Eine fast gleich lautende Nachricht über die Verabschiedung Dammerts erschien in der Zeitschrift „Signos“ (die Zeitschrift des IBC), Lima, am 29. 1. 1993.

(36) Castañeda, Alfonso: Eigene Befragung ehemaliger Mitarbeiter Dammerts, 1998     (37) Castañeda, Alfonso: Evangelisierung und Sozialarbeit, 1968.

(38) Padrón, Mario: Evaluación IER Bambamarca: Sobre el campesinado de la zona. Veröffentlicht (d.h. dem Bischof übergeben) am 28. 2. 1970. Archiv IBC.

(39) „Donde está tu hermano“. Beitrag der Diözese Cajamarca für die 5. Bischofskonferenz der nördlichen Andenregionen. 8. März 1980. Archiv IBC.

(40) Es gab aber immer spontane Reaktionen der Campesinos; Anlässe waren meist unerträglicher Hunger und brutale Arbeitsverhältnisse. Auch peruanische Schriftsteller wie Ciro Alegría und J. M. Arguedas (u.a.) haben die andine Kultur und das Leiden der Indios authentisch beschrieben und diese kommen in ihren Werken auch als Hauptfiguren zur Sprache, doch sind es letztlich nicht die Campesinos selbst, die das Wort ergreifen und ihr Leiden wird von den Lesern dieser Werke (nicht von den Autoren selbst) eher als literarische Chiffre wahrgenommen, denn als brutale Wirklichkeit. Dennoch ist die Wirkung dieser Werke auf die geistige Elite und Kultur- schaffenden Perus nicht zu unterschätzen.

(41) Vamos Caminando, S. 29. Diese Beispiel zeigt, dass für die Campesinos sehen, erkennen, deuten und handeln immer eine Einheit bilden. Dies ist auch zeitlich zu sehen. Es geschieht nicht Schritt für Schritt linear, sondern gleichzeitig.

(42) Herrera, Leonardo: „Wach auf, Campesino!“ in „Die globale Verantwortung“, S. 78.(43) Dammert: Los campesinos de Cajamarca, Oktober 1986. Archiv IBC.

(44) Ebd. Dammert spricht das an, was Rassismus ausmacht: das Überlegenheitsgefühl aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Rasse (weiße Europäer) und die damit verbundene Diskriminierung anderer ebenfalls aufgrund ihrer Rasse (Indios). Peruanische und besonders europäische Intellektuelle scheuen sich eher, so direkt von Rassismus in Peru zu sprechen. Peruanische Intellektuelle verwahren sich gegen diesen Vorwurf (verständlicherweise) vor allem dann, wenn er von außen kommt und speziell, wenn er von Deutschen geäußert wird.

(45) Dammert: Discriminación y desprecio. Hirtenbrief zum Welttag des Friedens, 10. 1. 1989. Archiv IBC.

(46) Dammert: Hirtenbrief vom 9. April 1968 aus Anlass des 20. Jahrestags der Erklärung der Menschenrechte. Archiv IBC.

(47) Dammert: Discriminación y desprecio. 1989. Archiv IBC.

(48) Herrera, Leonardo: Wach auf, Campesino! , im Sammelband „Die globale Verantwortung“, S. 81.

(49) Mujica, Luis: Poncho y sombrero, Alforja y bastón, Lima 2001 (unveröffentlicht).

(50) Vamos Caminando, Seite 98. Diesem Text liegt das Schreiben „El deterioro de Cajamarca“ vom 10. 12. 1975 zugrunde (Archiv IBC); vgl. auch den Hinweis auf die Landreform in Kap. II.

(51) Dammert: Hirtenbrief vom 22. 9. 1972. Archiv IBC. Der Hirtenbrief dokumentiert den Beginn heftiger Auseinandersetzungen mit der damaligen Militärregierung (vgl. Kap. II) und ist auf dem Hintergrund der Landreform zu sehen.

(52) Vamos Caminando, Seite 85.

(53) Die Campesinos und die Generalversammlung der Bischöfe in Puebla. Hier in deutscher Übersetzung, zusammengefasst und überarbeitet von der Partnergemeinde St. Martin, Dezember 1978. Archiv St. Martin, Dortmund. Das spanische Original befindet sich im Archiv des IBC, Lima. Im März 1978 wurde auf der jährlichen diözesanen Pastoralwoche das Vorbereitungsdokument (documento de consulta) für Puebla diskutiert, das im Dezember 1977 vom damaligen Generalsekretär des CELAM, Alfonso López de Trujillo, vorgelegt worden war. Dieses Papier stieß in Peru auf große Ablehnung, besonders bei den Armen. So schreibt z.B. die Regionalversammlung des Surandino: „Die Asamblea lehnt einstimmig die vorgestellte Perspektive ab und beschließt die Redaktion eines alternativen Dokumentes“. (Pablo Thai- Hop, in: La nueva Evangelización“. Lima: CEP, 1992, S. 157). Dies taten auch andere Regionalkonferenzen. Denn die Armen waren vergessen worden, ebenso die Ursachen der Armut; die bisher erreichten Fortschritte einer befreienden Pastoral und die damit verbundenen Opfer (Märtyrer) wurden nicht erwähnt; das Konzept war ein europäisches Konzept, das wenig mit der Wirklichkeit Lateinamerikas zu tun hatte; es wird von einer ideellen Einheit von oben und von Europa her ausgegangen bzw. diese wird gefordert; einheimische Kulturen werden nicht berücksichtigt; die von Medellín geforderte Option für die Armen fehlt. Konsequenterweise wurde Kardinal Alfonso López de Trujillo von Johannes Paul II. wegen seiner "guten Arbeit" bald zu einem einflussreichen Posten an der römischen Kurie berufen, den er bis heute - auch im Sinne des neuen Papstes - bestens ausübt.

(54) Vamos Caminando, Seite 94.

(55) Dammert: Die Landpastoral in Cajamarca, Juli 1979: "Im Unterschied zum sauber trennenden europäischen Denken sieht die andine Kosmovision die verschiedenen Aspekte des menschlichen Tun untrennbar ineinander verwoben, so dass man danach die einzelnen Sektoren kaum voneinander unterscheiden kann“. Hier die Übersetzung des gesamten Dokumentes durch die Gemeinde St. Martin,  Archiv St. Martin, Dortmund.

(56) Dammert: Brief im April 1978 an die peruanischen Bischöfe zur Vorbereitung auf Puebla. Archiv IBC. Auf dem zweiten diözesanen Pastoralkurs in Cajamarca vom 14.-17. Januar 1964 stand die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils im Mittelpunkt. Eine der Hauptfragen war: Welche Rolle spielt Christus im Gottesdienst und in der religiösen Verehrung? Die Antwort, im Plenum als Ergebnis aller Kommissionen vorge- tragen, war: Christus spielt keine Rolle und wenn doch einmal Christus vorkam, dann in der Verehrung seines Bildes (wie als Heiliger). Aber man hört nichts von seiner Botschaft und die biblischen Aspekte fehlen. Auch in der Jugend, in der Familie, in der normalen Frömmigkeit, spielt Christus keine Rolle. In den Novenen vor den Patronatsfesten kommt Christus nicht vor. Ein Landpfarrer: „In unserer Ausbildung und Verkündigung wurde das Evangelium vergessen.“ Ein Stadtpfarrer widersprach: „Christus spielt eine Rolle, besonders in der Karwoche, bei Corpus Christi und an Heiligabend, wenn auch nur als Statue“ Die Seminaristen gaben zu bedenken: „Es gab zwar eine Christologie, in der steht aber der Christus als Gott im Himmel im Mittelpunkt, nicht aber als Mensch und als Priester“ (vgl. Abschnitt 4, a: die 1. Pastoralwoche in Cajamarca, Archiv IBC).

(57) Eine solche Unterscheidung ist hilfreich, um die Kritik Jesu an den Hohen Priestern bzw. an dem Gesetz besser einordnen zu können. Dammert spricht davon, dass es „das Gesetz“ ist, das tötet: das absolute Festhalten an bestimmten Strukturen, die zwar von Menschen geschaffen, aber von Menschen zu göttlichen Gesetzen erklärt wurden. Wie Dammert interpretieren die Campesinos das Leiden und den Tod Jesu als logische Folge der Erfüllung „des Gesetzes dieser Welt“. Diese Unterscheidung ist auch hilfreich, wenn man die Praxis von reichen Christen in Europa und armen Christen in Lateinamerika vergleichen will. Es ist weder ein moralisches Verdienst, arm geboren, noch eine persönliche Schuld, in einer reichen Gesellschaft aufgewachsen zu sein. Vielmehr gilt es die jeweiligen Bedingungen des Glaubens zu erkennen und den entsprechenden Kontext zu analysieren.

(58) Dammert: Hirtenbrief vom 15. 5. 1963 (sein zweiter Hirtenbrief als Bischof von Cajamarca). Archiv IBC.

(59) Herder Korrespondenz 9/1992: „Eine peruanische Kirche ist nie entstanden - Ein Gespräch mit Bischof José Antonio Dammert über die Situation in seinem Land“. Archiv St. Martin, Dortmund.

(60) Dammert: Encuesta sobre la realidad, 11. 10. 1973. Archiv IBC.

(61) Dammert: Cajamarca en el siglo XVI. Lima: CEP, 1997, S. 285.

(62) Dammert: Landpastoral in Cajamarca, Mai 1979 (verfasst zu Ehren von Bischof Leonidas Proaño, Riobamba, zu dessen Silbernen Bischofsjubiläum). Archiv St. Martin, Dortmund.

(63) Vega-Centeno, Máximo: Eine Laudatio auf Bischof Dammert auf der Versammlung der CEHILA in Lima, 1998; (nicht veröffentlicht; der Text wurde mir von Imelda Vega-Centeno überlassen).

(64) Dammert: Hirtenbrief vom August 1965. Archiv IBC. Seine Kritik richtete sich im Allgemeinen nicht gegen einzelne Pfarrer, sondern er betrachtete diese eher als Opfer eines Systems, das den Pfarrern schwere Opfer auferlegte. Sie waren für ihre Aufgaben nicht ausgebildet und aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den städtischen Schichten, ihrer Erziehung und ihrer Sozialisierung, lag der Gedanke, die Indios als „Brüder und Schwestern“ anzusehen, außerhalb ihres Vorstellungshorizontes - von Ausnahmen abgesehen.

(65) Mujica, Luis: Die Pädagogik der pastoralen Aktion; "Die globale Verantwortung“,S. 48.

(66) Dammert: Rundbrief an deutsche Gruppen am 5. September 1988. Archiv IBC.
(67) Dammert: Agentes de Pastoral, 5. Juni 1973. Archiv IBC. Auch das Zugeständnis gewisser Sonderrechte durch Rom hätte nicht zu dem von Bischof Dammert gewünschtem Zustand geführt, solange Bischöfe und Priester an ihren entsprechenden fest gefügten Anschauungen und Praktiken festhielten. Die Notwendigkeit eines „Sonderrechts“ weist auch daraufhin, dass das „Recht an sich“ nicht der Wirklichkeit gewachsen war. Dammert hat zwar innerhalb der bestehenden Strukturen Veränderungen erreichen können, weil aber das „Recht an sich“ und die Strukturen unangetastet blieben, haben die Veränderungen keine rechtliche Verankerung und können von jedem Nachfolger beliebig rückgängig gemacht werden.

(68) Dammert: Aus seinem ersten Hirtenbrief als Bischof von Cajamarca am 21. März 1963. Archiv IBC. Dammert spricht hier von „dirigentes“. Er meint damit pastoral ausgebildete Mitarbeiter, vor allem Katecheten, die sich mitihm zusammen für die Kirche von Cajamarca mitverantwortlich fühlen und die gleichzeitig das Talent haben, andere Menschen für diese Mitarbeit zu begeistern. Der Oberbegriff ist der „pastorale Mitarbeiter". Darunter verstand Dammert sowohl den Klerus - Bischof, Priester und Ordensleute - als auch engagierte Laien, die sich aufgrund ihrer Taufe verpflichtet fühlten, bei der Verkündigung der Frohen Botschaft mitzuwirken.

(69) Mujica, Luis: Poncho y sombreo, alforja y bastón, Lima 2001.

(70) „Donde está tu hermano“. Beitrag der Diözese Cajamarca für die 5. Bischofskonferenz der nördlichen Andenregionen. 8. März 1980. Archiv IBC.

(71) Rabanal, César: Überleben im Slum. Psychosoziale Probleme peruanischer Elendsviertel, Frankfurt 1990.

(72) Alegría, Ciro: Los perros hambrientos. Buenos Aires: Edición Losada, 1972 S. 144.

(73) Castañeda, Alfonso: Evangelisierung und Sozialarbeit. 1968.

(74) Auch aufgrund anderer Faktoren, wie die zunehmende Erosion einer vorher geschlossenen Gesellschaft, die abnehmende Macht der Kirche, das Vordringen der Medien, die zunehmende Politisierung, usw. war es nicht mehr auszuschließen, dass die Campesinos immer mehr bereit waren, ihr Schicksal nicht als von Gott gegeben zu akzeptieren und es daher verändern zu wollen.

(75) Selbstverständlich muss man nicht Christ sein bzw. das christliche Menschenbild teilen, um zur Erkenntnis zu kommen, dass z.B. alle Menschen gleiche Rechte haben, dass ihre Würde zu achten und zu respektieren ist. An dieser Stelle soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass dies zum ureigensten Anliegen des Christentums gehört, auch wenn christliche Praxis und Verkündigung oft zur Annahme des Gegenteils verleiteten und menschliche Grundrechte oft nur gegen den erbitterten Widerstand der Kirche durchgesetzt werden konnten.

(76) Dammert: Hirtenbrief zu Weihnachten 1973. Archiv IBC. Bei Besuchen in Deutschland verglich er die von ihm vorgefundene Situation des Öfteren mit der Zeit vor der Reformation in Europa. Dieser vorreformatorische Glaube ist dann - so Dammert - in seiner „vulgärsten“ Form von Spanien nach Amerika verpflanzt worden.

(77) Bei entsprechender Katechese hätte gerade die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth ohne größere Schwierigkeiten in das Weltbild der Indios integriert werden können - als die entscheidende „Chakana“ oder „fleischgewordene“ Beziehung zwischen dem Göttlichen und dem Menschen, zwischen „Himmel und Erde“. Die Indios fanden aber für ihre Vorstellung, dass Gott und Mensch bei aller Verschiedenheit dennoch eine untrennbare Einheit bilden und dass Gott Mensch wird, keine Hinweise in der Predigt und noch weniger in der Praxis der Missionare. Eine Verkündigung der Menschwerdung Gottes unter den „Hirten von Bethlehem“ hätte nämlich die damalige - und heutige - fest gefügte Ordnung der Welt radikal in Frage gestellt.

(78) Vgl. Galeano, Eduardo: Memoria del fuego. I. Los nacimientos. Madrid, 1982. S. 67.(

79) Sánchez, Juan: Testimonios de nuestra provincia de San Marcos. Cajamarca: AOMC, 1993. S. 95. Juan Sánchez, Campesino und Katechet, war Delegierter seiner Pfarrei auf verschiedenen Nationaltreffen von Landkatecheten und Delegierter der Diözese auf dem 2. Lateinamerikanischen Treffen von Basisgemeinden 1984 in Cuenca, Ekuador. Er ist 1992 nach langer Krankheit verstorben.

(80) Die Einladungen, Protokolle, Dokumente, Ergebnisse und Beschlüsse des Treffens (60 Seiten) werden hier zusammengefasst wiedergegeben. Auch diese Dokumente befinden sich im Archiv des IBC, Lima. Die Ergebnisse der einzelnen Arbeitstage werde ich jeweils mit einem eigenen Kommentar versehen, um rückblickend die Ergebnisse der ersten Pastoralwoche mit der danach folgenden Praxis verknüpfen zu können.

(81) Offizieller Abschlussbericht des Sekretariats der peruanischen Bischofskonferenz, der an die Diözesen Nordperus verschickt wurde. Januar 1963, Archiv IBC.

(82) Alois Eichenlaub, zweiter Rundbrief aus Peru vom 24. 2. 1963, erschienen in „Inkahilfe“ Nr. 2. Archiv St. Martin, Dortmund.

(83) Auch Dammert teilt im Rückblick diese Einschätzung. Er vergleicht diese Haltung mit der Akzeptanz der Beschlüsse von Medellín durch die überwältigende Mehrheit aller Bischöfe. Doch diese Zustimmung geschah - wie in Cajamarca - auch deshalb, weil „dies von oben kam“ (Dammert) und nicht immer aus innerster Überzeugung. Beim Anzeichen eines Richtungswechsels oder einem kleinen Indiz, dass die Reformer doch nicht die un- eingeschränkte Unterstützung der Kurie haben, wandeln sich die vorherigen Mitläufer oft in erbitterte Gegner jeder Art von Veränderung. Dieser Prozess wird noch erheblich verstärkt und beschleunigt, sobald sich ernsthafte politische Widerstände abzeichnen oder es um die eigenen Privilegien und Interessen geht.

(84) Wie Dammert später sagte, wollte er in dieser Kommission nicht mit dem schwersten Thema beginnen: dass Barmherzigkeit nur dann effektiv und echt ist, wenn sie auch die Ursachen des Elends benennt (politische Dimension). Dieses Thema wäre damals noch eine Überforderung gewesen.

(85) Dies ist eine Bemerkung von Boulard; die Arbeiterfrage spielte in Cajamarca zu jener Zeit und danach in der Pastoralarbeit der Diözese keine Rolle, es gab keine Arbeiterschaft. Boulard hatte als Vorbild die französischen Arbeiterpriester, aus deren Umfeld er stammt.

(86) Rosarieros: wörtlich: Vorbeter des Rosenkranzes.

(87) IER: Instituto de Educación rural - Institut für Erziehung auf dem Land. Das IER sollte dann bald eine Schlüsselstellung in der Sozialpastoral der Diözese einnehmen.

(88) Dammert: Brief vom 30. 11. 1965 über den Empfang der peruanischen Bischöfe beim Papst. Archiv IBC.

(89) Dammert: Reflexiones sobre la pastoral rural. November 1969. Archiv IBC.

(90) Dammert: Catequesis y concientización. 17. 10. 1977. Archiv IBC. Als ich 1976 erstmals Bischof Dammert in Deutschland traf und ihm von meinem Wunsch erzählte, in Cajamarca mitarbeiten zu dürfen, fragte er mich zuerst nach den Motiven. Ich sprach dann u.a. auch von „Bewusstseinsbildung“. Dammert erklärte mir dann sehr geduldig, dass es ziemlich anmaßend sei, wenn ein junger Mann aus Deutschland meint, er könne - ohne je vor Ort gewesen zu sein - wissen, welches Bewusstsein die Menschen in Cajamarca haben sollten. Dennoch ermutigte er mich und lud mich ein, bei den Campesinos „in die Lehre gehen zu dürfen“.

(91) Dieser Satz ist zu einem Grundaxiom einer befreienden Pastoral geworden. Er ist aber weit mehr als ein Satz. Es ist eine Erkenntnis, die am Ende eines langen Prozesses entstanden ist, innerhalb dessen die eigene Existenz in Frage gestellt wurde und die daher nicht dazu dient, als Slogan oder als bloßer theologischer Begriff verwendet bzw. ausgebeutet zu werden.

(92) Spiritualität wird hier als Kraft verstanden, sein Leben im Geiste und in der Nachfolge Jesu zu gestalten. Spiritualität bedeutet aus der Sicht der Armen, Gott inmitten ihres Leides und ihrer Hoffnungen als ein Gott des Lebens in Fülle zu entdecken, der mit ihnen ist und sie führt. Aus der Sicht der Reichen bedeutet Spiritualität, im leidenden Nächsten, das Antlitz des Gekreuzigten zu entdecken, sich mit dem Armen auf den Weg machen und mit ihm zusammen seine Sehnsucht nach dem Reich Gottes zu formulieren und diesem im Hier und Heute Gestalt zu verleihen. Auch Partnerschaft könnte von daher als Überschreitungsphänomen bezeichnet werden. Die Grenzen der eigenen Welt (und Gemeinde) werden überschritten bzw. das Fremde wird als Fremdes in die eigene Welt mit hineingenommen. Dies kann als Fundament oder Voraussetzung einer Spiritualität und Offenheit - einer Mystik - gedeutet werden, ohne die nach Karl Rahner das Christentum keine Zukunft hat.

(93) Dammert: Influjo de la religiosidad popular española en America,3.7.1973. Archiv IBC.
(94) Dammert: Kommentar (ohne eigenen Titel) von 1976 zum Dokument der peruanischen Bischöfe „Evangelización“ aus dem Jahr 1973. Archiv IBC.

(95) Dammert: Beitrag zur Bischofssynode in Rom, 23. 10. 1977. Archiv IBC. Unter Katechese versteht Dammert eine Evangelisierung, die alle Dimensionen und Bereiche umfasst, in der die Menschen leben. Eine solche Katechese hat wenig zu tun mit der in Deutschland üblichen Unterweisung der Kinder und Jugendlichen, noch weniger mit der bis dahin in Cajamarca üblichen Methode der Unterweisung von Merksätzen des Katechismus.

(96) Dammert: Hirtenbrief vom 15. August 1963. Archiv IBC

(97) Vergleiche im vorhergehenden Kapitel die Ausführungen zu dem Begriff des „Ayllu“, der inhaltlich dem entspricht, was mit „Comunidad“ gemeint ist. Der Begriff „Basisgemeinde“ hat eine andere Entstehungsgeschichte. Dammert stand dem erst später entstandenen Konzept der Basisgemeinden eher skeptisch gegenüber, weil er eine Übertragung fremder Erfahrungen auf Cajamarca ablehnte, zumal in Cajamarca eine von den Bedürfnissen von Cajamarca ausgehende Form von Basisgemeinschaften bereits entstanden war und sich bewährt hatte. Er empfand die Diskussion um die Basisgemeinden als theoretisch und wandte sich dagegen, den Begriff im Rahmen kircheninterner Auseinandersetzungen zu instrumentalisieren (Basiskirche - Amtskirche, bzw. Kirche des Volkes - Hierarchie). Er hatte aber großen Respekt vor den in Brasilien entstandenen Basisgemeinden.

(98) Dammert: Text vom August 1976, ohne nähere Angaben. Archiv IBC.
(99) Dammert: Interview in mexikanischer Zeitschrift CIDOC vom 15. 10. 1965. Archiv IBC.

(100) Das gemeinsame Mahl und die gemeinsame Feier im Namen Jesu bedeutet die Vergegenwärtigung (Realpräsenz) Jesu Christi inmitten dieser Gemeinschaft - auch und gerade im andinen Verständnis. Durch die Begegnung mit Jesus dem Christus verwandelt sich die Comunidad selbst und als ganzes in eine neue Gemeinschaft, in der Individualismus und Schicksalsergebenheit überwunden werden. Diese Transformation (Verwandlung) in eine neue Gemeinschaft ist das eigentliche „Wunder“, eine solche Gemeinschaft wird zum Brot des Lebens für alle. Das war das Anliegen Jesu und dafür setzte er sich bis zur letzten Konsequenz ein. Sowohl für die Campesinos als auch für Dammert entspricht diese Sichtweise der Eucharistie sowohl am ehesten dem Verständnis der ersten Christen als auch dem eigenen Verständnis von Gemeinschaft, Glauben und sozialem Engagement als unmittelbare Folge des Glaubens. Die Campesinos fühlen sich der Botschaft Jesu und der Praxis der ersten Christen daher unmittelbar verbunden bzw. sie sehen sich in deren Nachfolge. Durch ihren gelebten Glauben werden sie zum „Leib Christi“ und zum Volk Gottes. Das materialistische und rein formale Verständnis der Verwandlung von Brot und Wein in den Leib Christi ist dagegen eher ein Zeichen einer fehlenden Praxis (Leben und Teilen in Gemeinschaft), überspitzt: ein Zeichen fehlendes Vertrauens in Jesus den Christus.

(101) Dammert: El apostolado de los laicos en América Latina. 22. 8. 1965. Archiv IBC.

(102) Das spanische Wort „formación“ beinhaltet viel mehr, als dies in dem deutschen Wort „Ausbildung“ (oder Bildung) ausgedrückt werden kann. Es umfasst stets alle Bereiche des menschlichen Lebens und der Person.

(103) Da ich im Unterschied zu anderen Mitarbeitern Dammerts als Theologe in Cajamarca tätig war, bekam ich zu Beginn meiner Tätigkeit in Bambamarca von Dammert eine „Generalvollmacht“ für alle Tätigkeiten, die ansonsten einem Priester vorenthalten waren: Taufe, Buße, Krankensalbung, Gemeindeleitung....  - außer der Leitung einer Eucharistiefeier (im engeren Sinn). Ich machte von dieser Beauftragung selten und nur in Notfällen Gebrauch, da es ja meine Aufgabe war, die Katecheten und Katechetinnen darin zu unterstützen, selbst diese Aufgaben zu übernehmen.

(104) Candelario Cruzado und Neptalí Vásquez. Befragung des IBC, 1997.

(105) Der Oberbegriff für alle Mitarbeiter Dammerts war der Begriff „agente pastoral“, der sowohl Priester (auch den Bischof selbst) und Ordensleute als auch Katecheten und Laien im beschriebenen Sinne umfasste.

(106) Es werden an dieser Stelle ausschließlich peruanische Mitarbeiter zitiert (Befragung des IBC) bzw. die getroffenen Feststellungen basieren auf deren Aussagen. Die folgenden Zitate aus: Befragung des IBC, 1997.

(107) Dammert: Agentes de pastoral. 5. 6. 1973. Archiv IBC.
(108) Ebd.

(109) Befragung des IBC, 1997 (ebenso die vorhergehenden Zitate).

(110) Für die Campesinos waren Mitarbeiter z.B. aus Lima in gleicher Weise „Gringos“ wie die Ausländer oder sie wurden manchmal von den Campesinos sogar noch eher als „Fremde“ empfunden als europäische Ausländer, weil sich letztere meist besser dem einfachen Leben anpassen konnten und wollten (Aussagen von Campesinos).
 
(111) Hier wird lediglich „die Idee der Landkatecheten“ vorgestellt, so wie sie Dammert schon zu Beginn seiner Amtszeit konzipiert hatte. In Kapitel V wird näher auf dessen Konkretisierung eingegangen: auf die Rolle der Katecheten, auf ihre Vorbereitung, ihr Selbstverständnis und ihre Rolle in der Comunidad und im Gesamtkonzept der Diözese.

(112) Dammert: Oktober 1983 (ohne nähere Angaben wie Adressat und Titel). Archiv IBC.
(113) Kursprotokoll, 28. August 1963. Archiv IBC.

(114) „Es sind Männer zwischen 20 und 60 Jahren, die innerhalb ihrer Familie ein Manuskript vererbt bekamen, in dem sehr alte Gebete in Versform abgeschrieben waren. Diese Gebete und Gesänge dienten fast ausschließlich für die Bestattungsriten, die für die Campesinos von besonderer Bedeutung waren“. Osorio, Alberto: „30 años de cambios pastorales en Bambamarca: 1963 - 1993“. Magisterabeit in Soziologie, unveröffentlicht.

115) Mujica, Luis: Poncho und Sombrero, alforja y bastón. Lima, 2001, unveröffentlicht.

(116) Dammert: Hirtenbrief, Mai 1973. Archiv IBC.
(117) Dammert: Ebd.

(118) Candelario Cruzado, aus den Befragungen des IBC, 1997. Auf meine spätere Rückfrage bestätigte mir Don Candelario, dass er diesen Traum hatte, nachdem er an dem ersten Pastoralkurs in Bambamarca teilgenommen hatte und dort zum ersten Mal davon gehört hatte, dass der Sohn Gottes mitten unter den Armen in einer Hütte geboren worden war. Der Traum bedeutet (und bestätigt ihm im Nachhinein), dass er sich auf dem rechten Weg und von Gott beauftragt weiß; vergleiche im nächsten Kapitel auch den Traum von Neptalí Vásquez, als er von seiner Berufung zur Teilnahme an der Ronda erzählt.

(119) Neptalí Vásquez, Befragung des IBC, 1997.                                                          (120) Dammert: Brief an die Mitarbeiter der Diözese Cajamarca, Juli 1971. Archiv IBC.

(121) „Evangelisierung in ländlichen Gebieten“, 19. März 1975; in einer Übersetzung durch die Gemeinde St.Martin, Dortmund, die den Text 1975 an befreundete Gruppen verschickte. Archiv St. Martin, Dortmund.