Partnerschaften: Weltkirche vor Ort
1. Ortskirche - Weltkirche
Papst Franziskus setzt sich einerseits für eine möglichst eigenständige lokale Kirche ein, die von den konkreten Bedürfnissen der Menschen vor Ort ausgeht. Andererseits ist es ihm ein großes Anliegen, die jeweiligen Besonderheiten einer Diözese in die Einheit der Weltkirche einzubringen. Erst die verschiedenen Glaubenserfahrungen der lokalen Kirchen bilden zusammen Katholische Kirche („katholisch“: das Ganze betreffend, allumfassend). Die Weltkirche gleicht als Ganzes einem Mosaik, das erst dann seine volle Bedeutung erhält und als solches erkennbar wird, wenn alle Teile in ihm vorkommen. So ist die katholische Kirche nur dann auch wirklich katholisch, wenn „die ganze Welt“ in ihr vorkommt. Die lokalen Kirchen bilden zusammen die Weltkirche und in jeder lokalen Kirche ist stets die gesamte Kirche präsent. in allen ihren wesentlichen Eigenschaften präsent und verwirklicht.
Die Mehrzahl der lokalen Kirchen innerhalb der Gesamtkirche sind arme Kirchen. Will die katholische Kirche ihrem eigenen Auftrag gerecht werden, z.B. den Armen eine Frohe Botschaft verkünden und selbst eine Kirche der Armen werden, dann ergibt sich daraus wie von selbst eine Option: Die Armen sind in einem ersten Schritt die ersten Adressaten der Botschaft Jesu und der Kirche und in einem zweiten Schritt werden die Armen selbst zu Subjekten der Verkündigung und zur Kirche Jesu Christi. Die Option für die Armen ist daher sowohl biblisch – christologisch, wie auch ekklesiologisch von zentraler Bedeutung. Die „armen Partnergemeinden im Süden“ bringen ihre Leiden und Hoffnungen mit in die Partnerschaft ein und werden so zu einem Zeichen der Erneuerung und Hoffnung für die „reichen Kirchen in Deutschland“.
Jede Ortskirche findet ihre Mitte in der Feier der Eucharistie, die sie auch zugleich im Namen der gesamten Kirche feiert. Barmherzigkeit (Liebe, Hingabe), Friede und Gerechtigkeit sind die Grundlagen der Eucharistie. Die Einheit der Gemeinde hat ihr Fundament im alltäglichen Einsatz für Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Es ist dieses gemeinsame Fundament, das alle Gemeinden miteinander verbindet, die so zur Weltkirche werden. Eine so verstandene universelle Kirche kann man wie folgt definieren: Als eine Kommunion verschiedener Ortskirchen, in der die Einheit auf der gemeinsamen Praxis der Barmherzigkeit beruht, die in der Eucharistie ihre Wurzeln hat.
2. Der Kontext weltweiter Partnerschaften
In vielen entwicklungspolitischen und theologischen Untersuchungen und Stellungnahmen wird auf die wachsende Kluft zwischen reichen und armen Ländern hingewiesen. So hat Papst Johannes Paul II. bereits 1984 auf seiner Reise nach Kanada in Edmonton darauf hingewiesen, dass (sinngemäß) die armen Ländern eines Tages über die reichen Länder zu Gericht sitzen werden, weil die reichen Länder den Menschen in den armen Ländern alles rauben bzw. vorenthalten, was diese zu einem menschenwürdigen Leben brauchen. Ist auf diesem Hintergrund eine Partnerschaft zwischen einer reichen und armen Gemeinde möglich, wie kann dies funktionieren und kann eine solche Partnerschaft eine Brücke sein, die beide auseinanderbrechenden Welten zusammenzuhalten vermag? Trotz aller Schwierigkeiten wird hier die These vertreten, dass Partnerschaften nicht nur eine Brücke, sondern dass sie eine notwendige Voraussetzung sind, um überhaupt von katholischer Kirche reden zu können.
a) Spannungen zwischen Institution und Person
Partnergemeinden wird mitunter sehr heftig vor Augen geführt, dass sich ihre Partnerschaften in einem starken Spannungsfeld bewegen: Dem zwischen Institution und Person. Partnerschaft hat immer einen hohen personalen Anspruch. Eine Partnerschaft zwischen Kirchengemeinden lebt von konkret handelnden Personen, sie hat es aber immer auch mit einer institutionellen Wirklichkeit zu tun, die den Rahmen der Partnerschaften bildet. Treibender Motor der Gemeindepartnerschaften sind zudem einzelne Personen, die an Institutionen gebunden sind und sich auch von ihrem Selbstverständnis her als in die Kirche eingebundene Personen verstehen
b) Der unterschiedliche Kontext: arm - reich
Hinzu kommt der Umstand, dass die in Peru und Deutschland handelnden Personen sich im Kontext eines jeweils anderen historischen und sozialen (und auch kirchlichen) Umfeldes bewegen. Von diesem verschiedenen Hintergrund ausgehend, der eventuell zu nur schwer mit einander zu vereinbarenden Interessen und Optionen führen kann, steht die Frage nach der Möglichkeit einer katholischen Kirche, die aufgrund eines gemeinsamen Fundamentes und eines gemeinsamen Zieles die so unterschiedlichen Partner an einen Tisch bringen kann (oder auch nicht) im Mittelpunkt.
Diese Frage wird verschärft, wenn man die Campesinos, wie dies in den Partnergruppen und von den Campesinos selbst verstanden wird, stellvertretend für alle Ausgegrenzten sieht. In der Tradition der Verkündigung Jesu setzt sich Jesus nicht nur mit den Ausgegrenzten an einen Tisch, vielmehr will er gerade mit ihnen das Reich Gottes zeichenhaft errichten. In der Kirche als sakramentales Zeichen des Reiches Gottes wird diese Gemeinschaft mit den Ausgegrenzten sichtbar und der Welt als Alternative verkündet. Jesu Verkündigung vom Reich Gottes ist Ursprung und Ziel von Kirche und kann zeichenhaft in kirchlichen Gemeindepartnerschaften erfahren werden.
c) Der unterschiedliche Standort
Neben dem Unterschied zwischen arm und reich und den jeweils damit verbundenen Interessen und Optionen gibt es noch eine andere Schwierigkeit: Wie kann der Arme, als der „Andere zu dieser Gesellschaft“, der Ausgegrenzte, der eigentlich gar nicht wahrgenommen werden kann, wenn man nicht „Grenzen überschreitet“, überhaupt als solcher wahrgenommen werden? Zumal ein Wahrnehmen des Anderen als Subjekt stets auch impliziert, die Ursachen der Ausgrenzung zu bekämpfen und damit eventuell auch die materiellen und ideologischen Grundlagen der eigenen Gesellschaft zumindest radikal zu hinterfragen. Wären aber Partnerschaften unter solch verschiedenen Voraussetzungen nicht möglich, wäre auch die „Eine Katholische Kirche“ nicht möglich.
3. Gemeinsam auf dem Weg….
a) Begegnungen
In vielen Befragungen werden die Besuche und Begegnungen mit den Partnergruppen in deren Gemeinschaften als die eindrucksvollsten Momente der Partnerschaft genannt. Diese so entstandene, stark emotionale Verbindung ist es, die viele Besucher heute zum Durchhalten befähigt. Das Band der Zärtlichkeit ist das Fundament einer stabilen und echten Beziehung und es ist diese zärtliche Verbundenheit, die über alle Unterschiede hinweg trägt und so auch Rückschläge verkraften kann. Gerade die Menschen, die sich auf diese Ebene der Beziehung eingelassen haben, leiden dann am meisten, wenn die Partner der Willkür, Unrecht und Gewalt ausgeliefert sind. Sie können dann auch ihre Betroffenheit nur sehr schwer denen vermitteln, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Verhaltensänderungen, von denen vereinzelt berichtet wird, beruhen auf dem direkten Erleben von Elend und Unterdrückung im Zusammenhang der Begegnung mit den Partnern. Verhaltensänderung wird hier im Sinne von Bekehrung und Umkehr verstanden.
Ist man bereit, diese Begegnungen und Verhaltensänderungen als religiöse Ereignisse ersten Ranges zu sehen, dann wird deutlich, dass es farbenfrohe, sinnliche und bewegende Momente sind, die den Menschen in seinem Innersten bewegen und Transzendenz (Offenheit für das Andere) konstituieren. Eine Begegnung mit dem „Anderen“ kann die Voraussetzung dafür schaffen, dem ganz „Anderen“ begegnen zu können (und umgekehrt). Die Erschütterung, im notleidenden Nächsten das Antlitz des gekreuzigten Christus zu entdecken, ist der entscheidende Moment einer persönlichen Bekehrung und Umkehr - und umso wichtiger, wenn diese „grenzüberschreitenden“ Glaubenserfahrungen in den eigenen Gemeinden nicht gemacht werden (können). Der „normale“ Gemeindegottesdienst, als eigentlich dichteste Form der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen, bietet offensichtlich nicht genügend Raum für solche Erfahrungen. Es sind dagegen gerade die erlebten Gottesdienste mit Campesinos (mit oder ohne Priester), die für einige Besucher zum ersten Mal erahnen lassen, was es heißt, mit den Armen das Brot zu teilen und gerade so die Gegenwart Gottes zu spüren. Etliche Besucher berichten von Tränen, derer sie sich nicht schämten. In den Gruppen sind diejenigen die aktivsten, die von solchen Erlebnissen erzählen können. Sie sind mit dem Herzen dabei, weil sie sich anrühren ließen und sich geöffnet und „ausgeliefert“ haben.
b) Brot teilen – als lebendige Gemeinschaft Brot werden für andere
Wenn (reiche) Menschen den Armen begegnen und in ihnen gar das Antlitz des gekreuzigten Christus entdecken, wenn sie aus dieser Erfahrung heraus zu einem neuen Engagement finden, werden sie gerade deswegen oft in der eigenen Gemeinde zu Außenseitern. Die Gemeinde ist permanent „mit anderen Dingen, einer Unmenge von Dingen, beschäftigt“, wie es Besucher ausdrücken, aber sie ist nicht in der Lage oder hat keine Zeit, sich wirklich auf die in der Partnergemeinde gemachten Erfahrungen einzulassen. Überspitzt formuliert: die christliche Kirche in reichen Ländern (und deren kolonialen Ablegern bzw. Abziehbildern in armen Ländern) droht ihr Fundament zu verlieren, weil Jesus Christus, seine Worte, Taten, Tod und Auferstehung, eine höchstens sekundäre Rolle spielt. Es funktioniert aber noch der Apparat, den man bei Bedarf in Anspruch nimmt, weil man ja auch Steuern bezahlt.
c) Partnerschaft als Katechese des Glaubens
Aus den verschiedensten Gründen, die hier nicht zur Debatte stehen, können Kirche, Familien, Gemeinden und Schulen nicht mehr in dem Maße das leisten, was zur Weitergabe des Glaubens an die folgenden Generationen notwendig wäre. Der über Jahrhunderte vorhandene gesellschaftliche - kirchliche Kontext als Stütze der Kirche und des Gemeindelebens hat sich weitgehend aufgelöst bzw. er hat sich dergestalt verändert, dass fast von einem Abbruch der Überlieferung gesprochen werden kann. Neben dem kontinuierlichen Zerbröseln des gewohnten Kontextes ist es auch zu einer Relativierung der zentralen Glaubensaussagen selbst bei den noch „praktizierenden Katholiken“ gekommen. Die Differenz zwischen den dogmatischen Lehraussagen und den Geboten der Kirche und dem Glauben und der Praxis der Gläubigen klafft immer weiter auseinander. Die christliche Substanz, nämlich der Glaube an Jesus den Christus als Fundament und primäre Orientierung für das alltägliche Leben, droht sich zu verflüchtigen. Weit und breit sind keine neuen Lernfelder in dieser Gesellschaft auszumachen, in denen elementare christliche Verhaltensweisen und ein entsprechendes Leben in Gemeinschaft eingeübt und gelebt werden kann.
In dieser Situation eröffnet sich christlichen Gemeinschaften die Chance, in einer Partnerschaft mit Gemeinden, für die der Glaube an Jesus Christus buchstäblich „Brot des Lebens“ ist, ihren eigenen Glauben neu zu buchstabieren, verschüttete Erfahrungen auszugraben und wieder zu entdecken, auf was es ankommt. Partnerschaft eröffnet die Möglichkeit, hautnah mitzuerleben (sich betreffen lassen und berührt werden), wie Menschen aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus ihr eigenes Leben und ihr Umfeld verändern. Dadurch eröffnen sich ihnen neue Horizonte - und selbst Menschen verachtende Strukturen, die über Jahrhunderte fest zementiert erschienen, geraten ins Wanken.
d) Partnerschaft als das Sakrament von Weltkirchesein
In der Gemeindepartnerschaft ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Jesus als Christus mit auf dem Weg ist, dass er Ursprung und Ziel des gemeinsamen Weges ist. Herausragendes (Kenn-) Zeichen dieser Wege - Gemeinschaft ist das Brotteilen. Die Gesamtheit des Volkes Gottes konkretisiert sich zum einen in der jeweiligen Gemeinde als lebendiger und überschaubarer Teil des Volkes Gottes; vor allem aber konkretisiert sie sich in der gelebten Beziehung einer Partnerschaft mit einer Gemeinde in einem Teil der Welt, in dem der Mehrheit der Kinder Gottes ein Leben in Fülle verwehrt wird. Deutsche Gemeinden sind als materiell reiche Gemeinden in diesen Zusammenhang von Reichtum und Armut verwickelt. Im Kontext einer gelebten Partnerschaft können sie dazu beitragen, die zunehmende Spaltung in arm und reich tödlichen Kreislauf und damit den Bruch der menschlichen Gemeinschaft und mit Gott, zu durchbrechen. Eine so verstandene Partnerschaft zwischen einer reichen und einer armen Gemeinde ist das sichtbare Zeichen dafür, dass auch die Spaltung innerhalb der Kirche überwunden werden kann und Kirche die wahrhaft Kirche Jesu Christi wird, wenn das gesamte Volk Gottes auch in der Tat gemeinsam auf dem Weg ist.
Gelebte Partnerschaft, gemeinsam auf dem Weg sein, Brotteilen und miteinander an dem Mahl teilnehmen dürfen, zu dem Jesus eingeladen hat, ist somit konstitutiv für das Volk Gottes, sie ist das sichtbare Zeichen einer sonst nur abstrakt gedachten (nicht wirklich erlebten) Welt - Kirche: einer Gemeinschaft, in der Arme und Reiche an einem Tisch sitzen und gemeinsam das Brot des Lebens essen. Eine solche Gemeinschaft in Partnerschaft ist das Sakrament einer wahrhaft universellen Kirche: Partnerschaft ist das Sakrament des Volkes Gottes.
Partnerschaft – gelebte Option für die Armen
In der Partnerschaft zwischen einer reichen und armen Gemeinde erfahren die in der Partnerschaft Engagierten, dass neue Perspektiven möglich sind. Wenn sie sich auf die Geschichte der Armen einlassen, entdecken sie, dass selbst jahrhundertlange Unterdrückung und gewaltsame Integration in ein materialistisches und gottloses System Menschen nicht davon abhalten kann, den Aufbruch und den Auszug zu wagen. Es ist für arm gemachte Gemeinden leichter aufzubrechen als für deutsche Gemeinden. Partnerschaft heißt in diesem Zusammenhang auch, die eigene Ohnmacht zu erkennen und sich von den scheinbar Schwächeren an der Hand nehmen zu lassen. Es ist keine Schande, sich von den Armen die Geschichte Gottes mit den Menschen neu erzählen zu lassen. Sie sind es doch, denen Gott besonders nahe steht (und umgekehrt). Und mit ihnen gehen dürfen heißt, die Einladung Gottes anzunehmen und den Weg mit Jesus dem Christus zu gehen.
Es sind die „Hirten auf dem Felde“, die Ausgegrenzten, denen sich der Himmel öffnete und denen zuerst die Botschaft von Jesus dem Messias verkündet wurde. Deutsche Gemeinden, die sich den Standpunkt ihrer Partner zu eigen machen, werden von dem neu gewonnenen Standpunkt aus ebenfalls „den Himmel schauen“ können. Dies wird nicht möglich sein, wenn sie weiterhin eingeschlossen bleiben in ihrem goldenen Käfig. Wer in diesem Käfig eingeschlossen bleibt, wird nur sehr schwer das Wort Gottes, das stets von außerhalb kommt, hören können. Begegnungen mit den Opfern der Geschichte können zum Schlüssel werden, um diesen Käfig zu verlassen und Gott auf der Seite der Armen und für sich selbst zu entdecken.
Für deutsche Gemeinden und die deutsche Kirche bedeutet dieser Weg, auf vieles zu verzichten. Doch bei genauerem Hinsehen und Ausprobieren wird man erfahren, dass es nur Ballast war, den man weggeworfen hat und nun frei ist, ohne Rücksicht auf Privilegien das Wort Gottes zu verkünden. Eine Partnerschaft mit einer armen Gemeinde erleichtert den Aufbruch. Sie macht Umkehr möglich bzw. sie ist der erste Schritt zur Umkehr. Eine Partnerschaft ist eine praktische und praktikable Option für die Armen und mit den Armen. Sie ist kirchenbildend, weil sie Einheit mit den Ausgegrenzten stiftet. Sie ist daher das Sakrament einer wahrhaft katholischen Kirche.
Deutsche Partnergruppen gleichen den Weisen aus dem Morgenland, die aus ihrer Heimat aufbrechen und - geleitet von dem Stern über der Hütte - sich auf den Weg zu Jesus machen. Ihr Weg führt zuerst über Jerusalem, doch dort weiß man von nichts. Dennoch finden sie Jesus in der Hütte, weil sie sich von dem Stern führen lassen. Reich beschenkt kehren sie zurück. Weil sie Jesus in der Hütte gesehen und sie die Stimme Gottes gehört haben, finden sie den Weg in die Heimat und zu sich selbst - ohne in Jerusalem zuvor um den Weg gefragt zu haben.
Willi Knecht, veröffentlicht in "Der geteilte Mantel", dem weltkirchlichen Magazin der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Juli 2016