"Cajamarca ist ein geschichtlich einzigartiger Ort - weil hier die Spanier auf den Inka trafen und ihn töteten - an diesem Ort verdichtet sich die globale Geschichte der Eroberung und Zerstörung. Cajamarca steht für alle Orte dieser Welt, die seit Beginn der Neuzeit von den Europäern erobert und anschließend „zivilisiert“ wurden. Und diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Über Jahrhunderte diente Cajamarca (wie andere „Orte“ in der Dritten Welt) als Quelle des Reichtums für die Europäer. Mit der Entdeckung und der Erschließung großer Goldvorkommen um Cajamarca herum schließt sich der Kreis. Werden auch diesmal die „Fremden“ die alleinigen Nutznießer sein, oder werden diesmal die Menschen von Cajamarca einen Anteil an den „Gütern der Schöpfung“ erhalten, auf die alle Menschen in gleicher Weise einen rechtmäßigen Anspruch haben?"

In diesem Artikel stehen nicht die technischen Daten der Goldgewinnung an erster Stelle, sondern es geht um den Kontext, in dem die Menschen leben, um deren Welt. Dies schließt eine ausführliche Beschäftigung mit der Geschichte und dem Selbstverständnis der Menschen mit ein. In einem weiteren Schwerpunkt wird die soziale Wirklichkeit präsentiert, nachdem zuvor die „Heilsversprechen“ der Mine zur Diskussion gestellt wurden. Ein Bericht über die aktuellen Ereignisse und den beginnenden Widerstand gegen die Mine rundet den Artikel ab.

I. Das „Gold von Cajamarca“

1. Geschichtlicher Hintergrund

„Als Atahualpa mit 40.000 Kriegern auf dem Weg nach Cusco war, betrat Francisco Pizarro die Bühne. Er nahm Atahualpa gefangen und tötete ihn in einer Stadt namens Caxamalca. Und hier fand das glorreiche Imperium der Inkas sein Ende. Dies ist eine sehr lange Geschichte voller Schmerz und es macht sehr traurig, sie zu erzählen“. So schreibt Bartolomé de Las Casas in seiner „Apologética Historia“. In einer spanischen „Reisebeschreibung“ aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert, aber sich auf die Verhältnisse im Jahr 1532 beziehend, heißt es: „Die Provinz Cajamarca ist berühmt wegen dem Sieg von Pizarro und der Gefangennahme von Atahualpa, dem letzten Monarchen von Peru. Hier hatten die Inkas einen prächtigen Palast mit dem berühmten Sonnentempel und anderen königlichen Gebäuden. Der Boden ist sehr fruchtbar und der Ertrag des Weizens ist nicht weniger als in Sizilien. Es gibt Mais in Hülle und Fülle, ebenso Wurzeln (Kartoffel - Red.), die von den Einheimischen gegessen werden. Die Einheimischen sind sehr gutmütig und geschickt. Sie weben Tücher und veredeln Schafwolle („Ovejas del Perú“ - Alpakas, Red.), vergleichbar in ihrer Geschicklichkeit nur mit den flämischen Webern“.

Im Tal von Cajamarca wurden bereits vor über 3.000 Jahren von sesshaften Bauern Mais, Kartoffeln, Quinua, (eine hochwertige Getreidesorte), Koka und andere Pflanzen angebaut. 1.000 - 500 v. Chr. Geriet Cajamarca unter den Einfluss der Chavín - Kultur. Nach dem Niedergang der Chavín - Kultur entstanden kleinere regionale Königreiche. So entstand um 1.250 n. Chr. das Königreich Cuismanco, das in etwa die Fläche der heutigen Diözese Cajamarca einnahm. Es war das mächtigste der kleineren Reiche in den nördlichen Anden Perus. Mit dem Entstehen von Königreichen entstand auch eine absolute, zentrale Macht. Das große Reich der Chimú an der Küste hatte großen Einfluss auf Kultur, Kunst und Religion derer von Cuismanco.
Um 1455 begann der Angriff der Inkas unter dem Inka Túpac Yupanqui auf die kleinen Königreiche und auf Chimú. Während die anderen Königreiche und Chimú ohne nennenswerten Widerstand von den Inkas erobert wurden, wurde Cuismanco erst zwanzig Jahre später nach langem Widerstand von den Inkas erobert. Für Cajamarca begann die Zeit der Fremdherrschaft. Die Inkas zwangen einerseits den unterlegenen Völkern ihre Sprache, Religion und politische Herrschaft auf. Andererseits assimilierten sie das Beste aus den jeweiligen Kulturen und suchten die politische Elite der Unterworfenen in ihr eigenes System zu integrieren. Die Inkas gründeten die Stadt Cajamarca um 1475 (ursprünglicher Name in Quetschua: Caxamalca, was so viel bedeutet wie „Ort, wo der Bodenfrost die Aussaat erfrieren lässt“.) Da die Bewohner von Cuismanco im Unterschied zu den Nachbarreichen den Inkas harten Widerstand geleistet hatten, wurden sie entsprechend hart bestraft. Es wird geschätzt, dass bis zu 60% der Bevölkerung in andere Gebiete des Imperiums zwangsweise umgesiedelt wurde. Es kam immer wieder zu Aufständen gegen die Inkas. Die Spanier wurden bei ihrer Ankunft 1532 von einem Teil der einheimischen Bevölkerung als Befreier gefeiert.
Dies ist auch ein Grund, warum die Sprache der Inkas, das Quetschua, sich in Cajamarca nicht durchsetzen konnte. Bis ins 18. Jahrhundert wurde noch die ursprüngliche Sprache von Cuismanco gesprochen, die sich aber letztlich nicht halten konnte und dann endgültig von der spanischen Sprache abgelöst wurde. Als „Ausgleich“ für die deportierte Bevölkerung und aus strategischen Gründen wurden von den Inkas Bewohner aus bereits vorher eroberten Gebieten in Cajamarca angesiedelt. Diese sprachen Quetschua und zogen es vor, sich nicht mit den Einheimischen zu vermischen. In zwei größeren Comunidades bei Cajamarca, in Chetilla und Porcón, gelang es ihnen, ihre Sprache und bestimmte Sitten bis heute lebendig zu erhalten.

Am 15. November 1532 betrat Pizarro mit 168 Soldaten und 62 Pferden Cajamarca. Noch am gleichen Tag schickte er eine Delegation zu Atahualpa. Dieser erholte sich in den Thermalbädern bei Cajamarca, den „Baños del Inca“ (sechs km von Cajamarca) von einer Infektion, während seine Generäle Cusco einnahmen und seinen Halbbruder Huáscar, den rechtmäßigen Erben des großen Huayna Capac, gefangen nahmen. Die Spanier wussten um den Bürgerkrieg. Atahualpa nahm die Einladung zu einem Treffen mit Pizarro auf dem Hauptplatz von Cajamarca an. Er war über den Vormarsch der Spanier gut unterrichtet. Umgeben von einem Heer mit 40.000 Kriegern fühlte er sich nicht in Gefahr. Am 16. November, einem Freitag, zog Atahualpa mit seinem Hofstaat, seiner Garde (unbewaffnet) und den Edlen des Imperiums nach Cajamarca. Seinen Generälen hatte er befohlen, sich mit dem Heer hinter die Berge zurückzuziehen, um die Spanier nicht zu erschrecken. Um die gleiche Zeit feierte Padre Valverde eine Messe, um die Soldaten auf den Kampf einzuschwören (d.h. um den katholischen Glauben zu verteidigen und Santiago, den Schutzpatron und „Maurenschlächter“ - matamoros - um Beistand zu bitten). Als Atahualpa mit seinem Gefolge in Cajamarca eintraf, war von den Spaniern zuerst nichts zu sehen. Dann trat Padre Vincente de Valverde, begleitet von einem Dolmetscher, hervor. Mit einem Kreuz in der einen und dem Brevier in der anderen Hand, begann er das „Requerimiento“ vorzulesen. Dies war zum „Schutz“ der Eingeborenen verfasst worden. Vor jeder Eroberung sollten sie „in aller Freiheit“ bekunden dürfen, ob sie freiwillig ihrem Götzendienst abschwören und sich König und Papst unterwerfen wollten oder nicht. Lehnten sie die Unterwerfung ab, durfte gegen sie rechtmäßig Krieg geführt werden. Damit war alles rechtlich abgesichert. Nachdem Atahualpa bis zum Ende zugehört hatte, wurde er zornig und er antwortete: „Ich weigere mich, Vasall irgendeines Menschen zu werden. Dein Herrscher mag sehr mächtig sein und ich bin bereit, ihn als Bruder anzuerkennen. Was den Papst betrifft, so muss er verrückt sein, wenn er meint, Länder verschenken zu können, die ihm nicht gehören. Ich werde meinen Glauben nicht ablegen. Dein Gott wurde getötet, aber der meine, er lebt. Schau!“ - und er zeigte auf die Sonne. In diesem Moment gab Pizarro das verabredete Zeichen zum Angriff. Mit dem Schlachtruf „Santiago!“ eröffneten sie das Feuer. Atahualpa wurde von seiner goldenen Sänfte gerissen und in „Schutzhaft“ genommen. Das anschließende Massaker dauerte zwei Stunden und der Platz war übersät mit 4.000 bis 6.000 Toten, darunter kein Spanier (aber ein afrikanischer Sklave).

Inzwischen war die Sonne untergegangen, das Reich des Tahuantinsuyo, der vier Himmelsrichtungen, war zerstört. 8 ½ Monate dauerte die Gefangenschaft von Atahualpa. Auch ein gigantisches Lösegeld (laut registrierter Beuteanteile für die Beteiligten: 5.729 kg Gold, 11.041 kg Silber) rettete nicht wie versprochen sein Leben. Großzügig erwies man ihm noch einen letzten Dienst. Um nicht bei lebendigen Leibe verbrannt zu werden, ließ er sich auf den Namen Johannes taufen (andere Quellen: Francisco, weil Francisco Pizarro der Pate war). „Juan“ Atahualpa wurde am 26. Juli 1533 öffentlich auf dem Platz von Cajamarca erwürgt. Während dieser grausamen Tötung beteten Pizarro und seine Anführer als gute Christen das Glaubensbekenntnis zur Rettung der Seele Atahualpas. Der tote Inka wurde am nächsten Tag in der ersten Kirche in Cajamarca beerdigt, die die Indios in kurzer Zeit in Zwangsarbeit für die Spanier erbauen mussten. Alles Gold wurde eingeschmolzen und nach Europa gebracht. Pizarro behielt aber das goldene „Zepter“ des Atahualpa für sich. Es wog 83 kg. Das „Gold von Cajamarca“ wurde für Europa zur Grundlage des wirtschaftlichen Aufstiegs und ist bis heute die Triebfeder und „Ultima Ratio“ der christlich -abendländischen Zivilisation, die inzwischen zur globalen Zivilisation geworden ist.

Cajamarca blieb im 16. Jahrhundert eine Stadt in Ruinen. Ende des 16. Jahrhunderts lebten erst etwa 12 - 15 spanische Familien in der Ansiedlung. Cajamarca wurde von Trujillo aus „verwaltet“. Auch der Besitzer von Cajamarca hatte seine Residenz in Trujillo. Pizarro übergab 1538 das Gebiet des ehemaligen Cuismanco als eine einzige große Hazienda an den Hauptmann Melchor Verdugo. Dieser ist der erste in einer langen Reihe von Kolonialherren, die in der Folge über Cajamarca herrschten. In einem Bericht von 1567 steht, dass Melchor Verdugo „viele Häuptlinge, Adlige und sonstige Indios gefangen nahm und verbrennen ließ, weil sie ihm nicht den Schatz des Inkas zeigen wollten“; daneben werden weitere Grausamkeiten des ersten Kolonialherren berichtet. Melchor Verdugo besaß bereits 700 Zwangsarbeiter für seine Minen. In seinen mehrmaligen Reisen nach Europa verteilte er dort großzügig wertvolle Goldstücke an Kirchenleute und Personen des Königshofes, worauf er den Ehrentitel eines „Ritters des Ordens des Hl. Santiago“ verliehen bekam.

Im Unterschied zu den Inkas, die die ländlichen Organisationsformen, die Comunidades, Ackerbau, Vorratshaltung, Gütertausch auf der Basis des Tauschhandels, Handel und Landbesitz intakt ließen, führten die Spanier das System der Encomienda ein. Die Campesinos wurden zu Zwangsarbeit auf den Ländereien der spanischen Besitzer herangezogen und einer absoluten Herrschaft unterworfen.
Neben der Zwangsarbeit auf den Ländereien, die ihnen nicht mehr gehörten, waren es vor allem die Arbeit in den Minen und die Textilproduktion, die eine ungeheure Zahl von Arbeitskräften verschlang. Produktion und Wirtschaft orientierten sich ausschließlich an den Interessen der Spanier bzw. des freien Handels mit Europa. Die über Jahrtausende gewachsene soziale Struktur wurde zerstört. Die Folge waren ein verheerender Rückgang der Bevölkerung (direkte Gewalttaten, Hungersnöte, Epidemien, Flucht). Ein entscheidender Faktor bei der Unterwerfung der Bevölkerung war allerdings, dass die Spanier auf die loyale Mitarbeit (quasi Vermittlung) der lokalen Kaziken (indianische Oberschicht) bauen konnten. Diese erhielten als Gegenleistung entsprechende Privilegien (z.B. durften sie reiten, Waffen tragen und Land besitzen). Bereits zwanzig Jahre nach der Anwesenheit der Spanier in Cajamarca waren alle Vorratslager geplündert, es gab keine Viehherden mehr (Lamas), Felder und Häuser waren verwüstet. Cieza de León schreibt in seiner Crónica del Perú 1553: „Es war von all dem, was vor der Ankunft der Spanier da war, nichts mehr da und es wird nie wieder sein wie vorher. Es scheint, dass aller Abschaum der Welt hier gewütet hätte.“

Ein wichtiges Instrument der Unterdrückung waren die Tributzahlungen. Jeder Indio musste Tribut zahlen. Die Kaziken trieben im Auftrag des Großgrundbesitzers (Encomendero) bis ins 18. Jahrhundert die Steuern ein, unterstützt vom spanischen Heer. Der größte Anteil der Steuern erhielt der Encomendero, der meist in Spanien, nach der Kolonialzeit in Lima, residierte. Einen Anteil erhielten auch die Kaziken und die kirchlichen Autoritäten. Außerdem mussten die Soldaten bezahlt werden. Bereits im 16. Jahrhundert kam es zur Einführung der „Manufakturen“ („obrajes“). Kinder ab acht Jahren und Erwachsene wurden in einen Raum eingesperrt, die Füße in Ketten gelegt. Sie mussten vierzehn Stunden am Tag (falls keine Beleuchtung möglich war „nur“ zehn bis zwölf Stunden) eine vorher festgelegte Quote an Wolle verarbeiten. Die spanische Krone, auf Drängen kirchlicher Berater am spanischen Hof, versuchte einige Male diese Zwangswirtschaft zu verbieten. Doch diese Verbote zeigten vor Ort keine Wirkung. Denn die Gewinnspannen waren erheblich. Der Handel und Export von Tüchern und Produkten aus Wolle aus den Andenländern war neben der Ausbeutung der Minen die einträglichste Einnahmequelle der Oberschichten in Amerika und Europa. Einige dieser „Manufakturen“ funktionierten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (in Porcón und Combayo).

Zu Beginn des 17. Jahrhundert kam es zu einer massiven Einwanderung von Spaniern. Der Besitz des ersten Encomendero war inzwischen längst aufgeteilt und unter den Neuankömmlingen wurde das Land neu aufgeteilt. Die letzten „weißen Flecken“ fruchtbaren Landes wurden von den Spaniern in Besitz genommen, die Campesinos endgültig in die unwirtlichen und unfruchtbaren Randzonen verdrängt. Dort konnten sich bis 1962 einige „freie“ Campesinos halten, mit steinigem Land von der durchschnittlichen Größe von 1,4 ha. Im Zuge der verstärkten spanischen Einwanderung entwickelte sich die Stadt Cajamarca im Verlauf des 17. Jahrhunderts von einem „Indiodorf“ zu einer spanischen Kolonialstadt mit stets wachsendem Reichtum für die Städter auf der Basis der schon beschriebenen Zwangsarbeit und einer florierenden Viehzucht. Prachtvolle Kolonialbauten entstanden.
Um 1770 wurden neue Silbervorkommen in Hualgayoc entdeckt, damals die ergiebigsten Perus. Für die Campesinos von Cajamarca bedeutete diese Entdeckung eine neue Form der Sklaverei, die Arbeit in den Minen. Für die Spanier erschloss sich eine neue und noch größere Einnahmequelle. Als Alexander von Humboldt 1802 auf dem Weg von Quito über Cajamarca nach Lima auch die Silberminen in Hualgayoc besichtigte, war er über das Elend der dort lebenden und arbeitenden Bevölkerung schockiert. Er konnte nicht glauben, dass bei so viel gefördertem Reichtum gleichzeitig so viel Elend herrschen konnte (er war Naturwissenschaftler und kein Wirtschaftsexperte).

Über die Kolonialzeit lässt sich zusammenfassend sagen, dass für die Spanier Cajamarca eine Quelle des Reichtums war. Der Reichtum basierte auf der Arbeit in den Manufakturen (Tücher und Stoffe), der Viehzucht, dem Anbau von Weizen und zuletzt auf dem Bergbau. Für die „Indios“ bedeutete die Anwesenheit der Spanier eine derartige Verelendung, wie sie nie zuvor in der Jahrtausende alten Geschichte der Region vorzufinden war. Mit der Eroberung wurden die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen geschaffen, die über 400 Jahre das Leben der Menschen entscheidend bestimmt haben. Die Encomienda war die Grundlage für das spätere System der Hazienda und des Großgrundbesitzes. Dennoch konnten während der Kolonialzeit einige Comunidades, einschließlich eines Rechtsansprüchen auf Land und eigenständige Verwaltung, bestehen bleiben bzw. standen unter dem direkten Schutz der Krone und vereinzelt der Kirche (mehr im Süden als im Norden Perus).

Am 13. Januar 1821 wurde in Cajamarca die Unabhängigkeit (zuerst am 29. 12. 1820 in Trujillo, am 28. Juli 1921 in ganz Peru) proklamiert. Die Unabhängigkeit bezog sich zuerst auf die Befreiung des Marktes (und der weißen Oberschicht, den Kreolen - in Amerika geborenen Europäern) von spanischer Vormundschaft. Die Verkündigung der Menschenrechte und der Freiheit (wie in den USA) bezog sich auf die Freiheit einer weißen Minderheit, ihre eigenen und individuellen Interessen nun ohne die Fesseln eines veralteten feudalen Systems rücksichtsloser als je zuvor durchsetzen zu können. Die Mehrheit des Volkes (Indios, afrikanische Sklaven) blieb weiterhin ausgesperrt (oder wurde nahezu ausgerottet wie z.B. in den USA). Sie bildete (aus der Sicht „von oben“) eine dumpfe, unwissende (und unwissend zu haltende) Masse, dazu bestimmt, wenigen von Gott Auserwählten (den Weißen) ein Leben in Freiheit, Unabhängigkeit, Bildung und Kultur zu ermöglichen. Die Rechte der Comunidades wurden endgültig zerschlagen. Sie standen dem individualistischem Denken und der damit verbundenen Wirtschaftsweise (oder umgekehrt) im Wege. Das gesamte Land wurde in private Zellen aufgeteilt, den Gesetzen des freien Marktes unterworfen und die Produktion noch mehr als vorher auf die Bedürfnisse des Weltmarktes ausgerichtet.

Die wichtigste Veränderung für die Campesinos in Cajamarca im 19./20. Jahrhundert (bis 1962) war die Abschaffung der „Manufakturen“, die sich gegen die industrielle Konkurrenz vor allem englischer Produkte (die ebenfalls auf Sklavenarbeit z.B. in Indien beruhte) nicht halten konnten. Auch die Arbeit in den Minen wurde zu einem zu vernachlässigendem Faktor, weil die Minen bald ausgebeutet waren. Die Lage der Campesinos wurde dennoch nicht besser. 1914 kam es in der Hazienda Llaucán (Bambamarca) nach einem Protest der Campesinos zu einem Massaker mit über 200 Toten unter den Campesinos. Die zwanziger und dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts waren vor allem im Norden der Diözese (Bambamarca) geprägt vom „Banderolismo“ (Bandenwesen). Erst in den sechziger Jahren begann für die Campesinos eine Zeit der Hoffnung. Wichtigste Bausteine waren die Hoffnungen auf eine umfassende Landreform, der Positionswechsel der Kirche von Cajamarca auf die Seite der Campesinos und die erstmalige Beteiligung an demokratischen Wahlen. Inwieweit diese Hoffnungen erfüllt wurden oder nicht, lässt sich an dieser Stelle nicht behandeln (und ist auch umstritten).

2. Die Mine Yanacocha


a) Umfeld und ausgewählte Daten zur Mine

Porcón ist ein Distrikt mit etwa 10.000 Einwohnern, ausschließlich Campesinos. Wenn man von Cajamarca aus Richtung Norden nach Bambamarca fährt, kommt man bereits nach wenigen Kilometern nach Porcón - zuerst nach Porcón Baja, den tiefer gelegenen Teil (ab etwa 3.000 m), dann nach Porcón Alta, den höher gelegenen Teil, der in die Jalca (Hochebene) bis zu 4.200 m übergeht.
Die Geschichte von Porcón beginnt mit dem Inka Túpac Yupanqui. Nach der Eroberung Cajamarcas durch die Inkas wurden Quetschua sprechende Volksgruppen aus anderen Teiles des Reiches zwangsweise in Porcón angesiedelt. Bis heute bildet Porcón eine Enklave, in der noch mehrheitlich Quetschua gesprochen wird, während ringsherum die Menschen spanisch sprechen. Nach der Eroberung durch die Spanier wurden die Porconeros, wie auch ihre Nachbarn, zu Zwangsarbeiten in den Manufakturen herangezogen. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde Porcón zu einer selbstständigen Hazienda. Die ersten Besitzer waren die Nachfahren von Melchor Verdugo, die danach mangels eigener Nachkommen die Hazienda dem Orden „Nuestra Señora de la Piedad“ (unserer Barmherzigen Herrin) übergaben. Kurz darauf wurde die Hazienda dem Orden der Betlehemiter übergeben. Unter beiden Ordensgemeinschaften ging die Zwangsarbeit weiter. Auch die Unabhängigkeit änderte nichts am Schicksal der Porconeros. Seit 1930 begann im Zusammenhang mit dem schwindenden Einfluss der Orden und dem aufkommenden Bandenunwesen (Banderolismo) ein Prozess der Landverteilung an einzelne Campesinos. Diese erhielten aber jeweils so kleine Landflächen (etwa 1 ha), dass sich deren wirtschaftliche Lage nicht verbessern konnte. Die Landreform 1969 änderte nichts an dieser Situation, weil überwiegend unfruchtbare Landflächen noch mehr zerstückelt und verteilt wurden.

Die Situation der Campesinos von Porcón unterscheidet sich im Wesentlichen nicht von der Situation der Campesinos in anderen Regionen - außer dem Umstand, dass sie wegen ihrer mangelnder Kenntnisse der spanischen Sprache von den Städtern Cajamarcas noch mehr verachtet wurden als andere, spanisch sprechende Campesinos. Gerade aber deswegen - und wegen der leichten Erreichbarkeit von der Stadt aus - wurden die Porconeros zu Lieblingsobjekten vieler NRO. Seit den sechziger Jahren wurden in Porcón von mindestens achtzehn verschiedenen vom Ausland finanzierten NRO über fünfzig verschiedene Projekte durchgeführt (laut Statistik und Auswertung der UNC, Agrarfakultät), die alle ohne Ausnahme das Schicksal der Menschen von Porcón nicht nachhaltig verbessert haben. Wie noch zu sehen sein wird, sind es gerade die NRO, die im zuspitzenden Konflikt mit der Goldmine keine klare Stellung beziehen. Statt dessen findet ein Wettlauf der verschiedenen NRO um die Gunst staatlicher, kommunaler und kirchlichen Institutionen ab, die im Bund mit der Goldmine sich um die sozialen Auswirkungen der zunehmenden Verelendung kümmern und die so beruhigend auf die Campesinos einwirken sollen.

Porcón war bis 1992 keine eigene Pfarrei, sondern war Teil der Pfarrei San Pedro, Cajamarca. Porcón wurde bis 1992 immer von Priestern der Stadt Cajamarca betreut, die zum Patronatsfest die Gemeinde besuchten. Caritas Cajamarca hatte in Porcón ebenfalls den Schwerpunkt seiner sozialen (karitativen) Aktivitäten. Auch dies trug dazu bei, dass sich bis heute kein eigenständiges Gemeindebewusstsein entwickeln konnte.

Die Geschichte des „Goldes von Cajamarca“ begann, wie schon berichtet, bereits 1532 und sie wurde bis in das 20. Jahrhundert hinein fortgeschrieben. Gerade als es schien, dass die Zeit der Gold- und Silberminen in Cajamarca nun zu Ende gehen würde, geriet Cajamarca seit den siebziger Jahren aufgrund neuer geologischer Untersuchungen und neuer Techniken des Goldabbaus erneut in den Brennpunkt des Interesses. Auf den Bergen der Hochebene im Norden von Cajamarca (Porcón Alta) wurde bereits Ende der siebziger Jahre ein Goldgehalt von 1-1½ Gramm pro Tonne Gestein festgestellt. CEDEMIN und Buenaventura S.A., beide heute Anteilseigner an der Mine Yanacocha, führten entsprechende Untersuchungen durch. Bis dahin galt aber nur der Abbau bei einem Gehalt von mindestens 10 Gramm Gold pro Tonne Gestein als rentabel. Erst als die „Newmont Mining Company“ mit neu entwickelten Technologien auf den Plan trat und starkes Interesse zeigte, geschah alles sehr schnell. Im November 1992 erschien ein Artikel in der New York Times, in dem der Geschäftsführer von Newmont überschwänglich von den Chancen der neu eröffneten Mine sprach und hinzufügte: „Niemals zuvor erlebten wir eine so starke Hilfe und geradezu Euphorie seitens einer nationalen Regierung. So schnell hätten wir nie in den USA, und vermutlich in keinem anderen Teil der Welt, eine Genehmigung zum Abbau erhalten.“ In Rekordzeit wurde die Mine in Betrieb gesetzt. Am 23. Juli 1992 wurden in Anwesenheit des peruanischen Präsidenten Fujimori offiziell die Vorbereitungsarbeiten für den Betrieb der Mine eröffnet. Im August 1993 konnte mit dem Abbau des Goldes begonnen werden. Bis 1997 wurde in drei weiteren Sektoren mit dem Abbau des Goldes begonnen, im November 1997 begann Yanacocha Nord mit der Produktion. Alle vier Sektoren nutzen das gleiche Becken und das gleiche Verfahren.

Das Zentrum der Minenarbeiten liegt etwa 45 km nordöstlich von Cajamarca auf einer Höhe von 3.800 - 4.200 m und umfasst ein Gebiet von 2.000 ha. Bereits Mitte der neunziger Jahre bestanden Pläne für die Erweiterung auf 25.000 ha. Auf diesem Gebiet entspringen die drei Flüsse (jeweils mit entsprechendem Einzugsbereich), die für die Wasserversorgung von Cajamarca und Bambamarca von entscheidender Bedeutung sind. Die Hochebene (3.600 - 4.200 m) oberhalb von Cajamarca ist naturgemäß dünn besiedelt. Intensiver Ackerbau ist nicht mehr möglich. Auch die Flächen, die als Weideland genutzt werden, sind sehr karg. In den letzten Jahrzehnten wurde die Hochebene dennoch immer mehr zum Siedlungsgebiet von Campesinos, die aus den tiefer gelegenen Zonen mit ihren winzigen Minifundien auf die Hochebene zogen, um neue Lebensräume für ihre Familien zu schaffen. Viele dieser Familien mussten 1992 zuerst tatenlos zusehen, wie auf ihren Weideflächen Planierraupen begannen, Erde abzuräumen, Straßen anzulegen etc. Bereits vorher schon wurden auf den Weideplätzen Probebohrungen mit schwerem Gerät durchgeführt, Weideflächen wurden zerstört - natürlich ohne die Campesinos um Erlaubnis zu fragen und ohne offizielle Genehmigungen der städtischen Behörden. Als einige Campesinos protestierten, drohte man ihnen mit Enteignung und Vertreibung. „Vor diesem Hintergrund versuchten die Goldfirmen auch günstig an das Land der Campesinos zu kommen. Sie nutzten dabei die Unwissenheit der Campesinos aus und setzten auch die genannten Druckmittel ein. Derart eingeschüchtert verkauften einige Campesinos ihr Land zu einem Spottpreis von 100 Soles/Hektar (was damals ca. 85 DM entsprach!). Damit war aber weder das Überleben in der Stadt gesichert, noch war es möglich, anderweitig neues Ackerland zu kaufen. Für die betroffenen Campesinos führte und führt dies direkt in die Verelendung.“ . 87,8% des betroffenes Landes war Weideland, auf den übrigen 12,2% wurden vor allem Gerste und Kartoffel angebaut. Diese Campesinos lebten folglich hauptsächlich von der Viehwirtschaft. Durch den erzwungenen Verkauf des Landes mussten sie auch ihr Vieh verkaufen und sie verloren damit ihre einzige Lebensgrundlage. Die dabei erzielten Beträge reichten gerade aus, um mit ihren Familien am Stadtrand von Cajamarca für etwa sechs Monate das Überleben zu sichern.

In dieser Situation wanden sich die Campesinos an die „Vicaría de Solidaridad“ (das Menschenrechtsbüro der Diözese) mit der Bitte, ihre Interessen gegenüber der Mine zu vertreten. In einem Aufruf wendet sich die Vicaría (genauer: es war Pfarrer Marco Arana) an die Öffentlichkeit (die Zeitungen lehnen eine Veröffentlichung ab): „...Die Campesinos berichten folgende Details: Für besagte Grundstücke sei die Mine bereit, 60 Soles pro ha zu zahlen. Es sei ratsam, dies im Guten zu akzeptieren, denn andernfalls würden sie vor Gericht gehen, wo die Campesinos auf jeden Fall verlieren würden, zumal viel von ihnen noch nicht einmal Besitztitel und einen Rechtsanwalt hätten. ... Als sie sahen, dass ihr Weinen und Betteln nichts an der Position der Minenvertreter änderte, beschlossen sie, Beschwerdebriefe an den Gemeinderat von Cajamarca und an die Präfektur zu richten; sie stellten sogar einen Antrag an die Staatsanwaltschaft in Cajamarca. Sowohl der Gemeinderat als auch die Präfektur zogen es vor, zu schweigen. Die Staatsanwaltschaft machte den Campesinos anfangs Hoffnungen, doch nachdem eine Woche später ein entsprechendes Gutachten angefertigt worden war, sagte sie ihnen, man könne nichts machen, das Recht sei auf der Seite der Minen und es bleibe ihnen nur übrig, ihr Land zu verkaufen und zu einer Übereinkunft mit den Minenbetreibern zu kommen. In ihrer unermüdlichen Suche, Gehör zu finden, wandten sich die Campesinos schließlich an die Kirche. ...“

Es handelte sich um 84 Familien aus dem gleichen Sektor (Lote 38 des Sektors Quilish). Erst nachdem sich die Campesinos an die Kirche gewandt hatten und der zitierte Aufruf an Teile der Öffentlichkeit gelangte, bot die Mine den Familien eine Entschädigung an. Diese lag nach Auffassung der Mine weit über dem offiziellen Preis für die Grundstücke. Der offizielle Schätzpreis laut städtischem Grundbuch pro Hektar lag bei 50 Soles (1992, damals 25 Dollar). Die Mine bot danach pro Hektar 120 - 150 Soles. Die Campesinos konnten und wollten nicht verkaufen, weil dieses Land ihre Lebensgrundlage war. Zum Vergleich: ein Ochsengespann kostete damals umgerechnet 1.300 Dollar, ein ha Land in tiefer gelegenen Zonen 1.000 Dollar. Die Campesinos forderten einen Preis von mindestens 500 Dollar pro ha und einen von der Mine finanzierten Landtausch. Die genannten Familien waren im Vergleich zu der Mehrheit der Campesinos in dreifacher Hinsicht privilegiert: das Land war auf ihren Namen eingetragen, sie gehörten zu den größten Grundbesitzern (bis etwa 50 ha) und sie hatten Zugang zur Vicaría. Der Landbesitz von 80% aller Campesinos von Porcón (wie auch in anderen Zonen) ist dagegen nicht im Grundbuch eingetragen. Dennoch betrachten sie das Land als ihr Land, weil bereits ihre Vorfahren auf diesem Land gearbeitet haben oder sie selbst es in Besitz genommen, d.h. genutzt haben (z.B. auf der Hochebene). Den Kontakt zur Vicaría fanden sie durch die Verbindung zu den beiden neu ernannten Pfarrern von Porcón, zu denen sie mit der Bitte um Unterstützung gekommen waren.

1998 hat die Mine 20.000 ha im Grundbuch der Stadt als Eigentum eingetragen. Bei einem marktgerechten Preis von 1.000 Dollar pro ha, hätte die Mine 20 Millionen Dollar bezahlen müssen. Die extrem hohe Rentabilität der Mine beruht somit auch auf dem Betrug an den Campesinos. Trotzdem behauptet die Mine in ihren Hochglanzschriften, dass sie den Campesinos einen Preis zwischen 1.000 und 10.000 Dollar pro ha bezahlt hätte (zu vermuten ist daher, dass ein solcher Preis in den „Büchern“ als Kaufpreis verrechnet wird und die Differenz in den Taschen einiger Privatpersonen verschwindet, dazu noch unversteuert).
In einem Kommuniqué der betroffenen Campesinos heißt es 1993: „ ....Und als Gipfel der Unverschämtheit geben sie uns auf rassistische Art und Weise zu verstehen, dass unsere Proteste und Forderungen falsch seien und dass wir Werkzeuge und Lampen aus den Gerätelagern der Mine stehlen würden. Sie behandeln uns, als wären wir Kinder, die nur dann protestieren, wenn man uns dazu aufhetzt. Sie sagen uns, dass sie uns den marktüblichen Preis für unser Land bezahlt hätten. Wir haben in verschiedenen Institutionen nachgefragt und dort haben sie uns gesagt, dass der Marktpreis der Preis ist, den man in freiem Aushandeln z.B. mit dem Nachbarn zu zahlen bereit ist bzw. den wir uns untereinander bezahlen würden. Wer aber von uns würde seinem Nachbarn sein Grundstück für den Preis von 100 Soles pro ha verkaufen - nicht einmal in einer großen Zwangslage würden wir eine solche Torheit begehen. Und wer von uns würde - um etwas vom Nachbarn zu kaufen - mit Polizei, Rechtsanwälten und Staatsanwälten anrücken, um den Nachbarn zu erschrecken? ... Möglicherweise werden sie Einigen von uns aufgrund dieses Protestes Arbeit anbieten, so wie sie es mit anderen Campesinos gemacht haben, die sie dann nach zwei Wochen wieder hinausgeworfen haben“.

In der Stadt Cajamarca wurden die Tätigkeiten der Mine anfangs (1993) zwar zwiespältig, aber dennoch mehrheitlich mit viel Vertrauen in eine bessere Zukunft aufgenommen. Zwar wurde schon 1993 ein Anstieg der Lebenshaltungskosten weit über dem Landesdurchschnitt registriert, immer mehr Geländewagen verstopften die Straßen, die Kriminalität nahm spürbar zu und immer mehr Fremde kamen in die Stadt. Aber die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft überwogen. Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte Cajamarcas (die aus der Sicht der Städter mit der Ankunft der Spanier begann) könnte es möglich werden, dass der Reichtum von Cajamarca auch den Menschen von Cajamarca zugute käme - so die Hoffnung. War man auch realistisch genug, zu sehen, dass auch dieses Mal für die Ausländer ein Grossteil des Gewinns abfallen würde, so setzte man doch Hoffnung zumindest in die „Goldsteuer“, den Canon Minero, der laut peruanischem Gesetz bis zu 35% des Reingewinns beträgt und wovon der jeweiligen Region 20% zusteht.
Bereits 1993 waren folgende Zahlen im Umlauf (genauere Zahlen später): Bei einem Reingewinn der Mine im ersten Jahr von 200 Millionen Dollar, müssten demnach mindestens acht Millionen Dollar an Steuern für Cajamarca abfallen. Man rechnete mit steigenden Gewinnen, steigenden Steuereinnahmen und vor allem damit, dass diese Einnahmen zur Bekämpfung der strukturellen Armut verwendet und dies zu einer Erhöhung der allgemeinen Lebensqualität führen würde - nicht nur kurzfristig, sondern auch für die kommenden Generationen. Doch unabhängig von dem Willen der zentralen Regierungsstellen, den entsprechenden Anteil der Steuereinnahmen den betroffenen Regionen zukommen zu lassen oder auch nicht, stand dieser Hoffnung bereits seit Beginn ein übermächtiges Hindernis im Wege: Im Rahmen der Bedingungen des IWF zur Sanierung des peruanischen Staatshaushaltes (Abbau des öffentlichen Defizits) musste die peruanische Regierung ein Abkommen unterzeichen, in dem festgelegt wird, dass Steuereinnahmen aus ausländischen Investitionen nicht auf einzelne Regionen verteilt werden dürfen, sondern für die Schuldentilgung (genauer: die Zinszahlungen) verwendet werden müssen.

Eigentümer der Mine Yanacocha waren zu Beginn die Newmont Mining Corp (USA, inzwischen Mehrheitseigner), die Minera Condesa (Buenaventura, Peru) und Mine Or (Cedemin, Frankreich). 1999 hat Newmont, größter Goldproduzent der Welt, einen Anteil von 51,35%, Buenaventura besitzt 43,65% und der IFC (eine Tochtergesellschaft der Weltbank) 5%. Das Konsortium investierte in den ersten beiden Jahren 55,6 Millionen Dollar und bereits bis Ende 1994 konnten die Investitionskosten mehr als amortisiert werden. Im ersten Produktionsjahr 1993 (ein halbes Kalenderjahr) wurden 2.800 kg Gold gewonnen, 1994 waren es bereits 8.000 kg. 1995 kostete ein Kilo Gold 18.170 DM. 1997 wurden pro Arbeitstag 90 Kilo reines Gold gewonnen (32.758 im Jahr) und der Reingewinn betrug im gleichen Jahr 349 Millionen Dollar. Dafür wurden 50,3 Millionen Dollar an Steuern abgeführt. War 1993 für das Jahr 2000 ein Gewinn von 175 Millionen Dollar prognostiziert worden, so hat der Ertrag die Vorhersage um mehr als 100% übertroffen. 1999 wurden bereits 122 Kilo reines Gold täglich gewonnen (hochgerechnet im Juli 99: über 44.000 kg im Jahr, das sind 44% der nationalen Produktion, wodurch Peru den siebten Platz der Goldförderländer einnimmt, in Lateinamerika steht Peru an erster Stelle). Der Goldabbau bei Cajamarca durch Yanacocha S.A. ist der effizienteste der Welt, d.h. er bringt den größten Gewinn im Verhältnis zum eingesetzten Kapital (1997: 95 Dollar pro Unze; im Vergleich: 264 Dollar pro Unze in USA, Asien; 310 Dollar pro Unze in Südafrika).

Insgesamt betrugen die Gesamtkosten von 1992 bis 1999 etwa 340 Millionen Dollar (Investitionen plus laufender Betrieb). Diese Summe wurde den Anteilseignern zu sehr günstigen Zinsbedingungen überlassen (Vorzugskredite der Weltbank aus dem Fond für die Entwicklung unterentwickelter Zonen), zudem sind Investitionen in Entwicklungsländern von der Steuer absetzbar, zum Teil gibt es gar noch staatliche Zuschüsse aus dem Etat „Entwicklungshilfe“, weil dadurch Arbeitsplätze in den armen Ländern geschaffen werden usw.
Mit anderen Worten: aus der Sicht der Geldgeber, der Investoren und der jeweiligen Regierungen ist die Entscheidung, in die Region Cajamarca zu investieren und dort mit dem Goldabbau zu beginnen, ein Werk der Entwicklungshilfe zu Gunsten der Armen. Im Geiste des christlichen Abendlandes und der humanitären europäischen Tradition wird den armen Ländern die Hand gereicht, um sie aus dem Elend herauszuholen. Aus Dankbarkeit für ein solches Zeichen christlicher Barmherzigkeit lässt dann auch der gegenwärtige Bischof von Cajamarca eine Hl. Messe für das Seelenheil der Investoren lesen, für die aus diesem Anlass (und auch bei vielen anderen offiziellen Feierlichkeiten) die erste Reihe in der Kathedrale von Cajamarca reserviert wird.
Die Tradition des Padre Valverde, der Gott mit einer feierlichen Messe für den Sieg über Atahualpa und für die wohlverdiente Beute dankte, ist ungebrochen in das dritte Jahrtausend hinein von Bestand.

b) Die Arbeit der Mine im gesellschaftlichen Kontext (Wirtschaft, Politik
)

Die Aktivitäten der Mine können nicht isoliert betrachtet werden. Sie sind auf dem Hintergrund der kolonialen Geschichte, den herrschenden Gesetzen des Weltmarktes, der Rolle der jeweiligen nationalen Regierungen, der damit verbundenen Diskriminierung des „Hinterlandes“, der Sierra und der darin lebenden Menschen und der Ideologie eines stets wachsenden Wohlstands für alle (wenn diese sich nur anstrengen) zu sehen und zu werten. Alle diese Punkte brauchen hier nicht in aller Ausführlichkeit behandelt werden, dies ist schon vielerorts geschehen. Dennoch soll an dieser Stelle noch einmal an einige grundlegende Verhaltensmuster (die zu gesellschaftlich zementierten Ordnungsvorstellungen gemacht wurden) erinnert werden, die für das Verständnis der Situation in Cajamarca notwendig sind:

  • Die Minenbetreiber haben seit Beginn nicht die Interessen der Campesinos und generell der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt; diese wurden noch nicht einmal gefragt. Sie wurden dabei - sei es durch einzelne Personen, sei es strukturell aufgrund bestehender Gesetze - von staatlichen Stellen und lokalen „Autoritäten“ nicht nur unterstützt, sondern sogar ermuntert. Es werden z.B. Gesetze geändert (oder einfach nicht angewandt), damit ausländische Investoren ihr Geld in einem armen Land anlegen können.
  • Es besteht eine strukturelle Vernachlässigung der Landwirtschaft und eine damit verbundene Bevorzugung vor allem ausländischer Investitionen im großindustriellen Bereich. Diese schon lange währende Vernachlässigung der Landwirtschaft zugunsten großer Industrieprojekte wird verstärkt durch die Schuldenkrise (die wiederum u.a. gerade dadurch entstand) und die damit verbundenen Auflagen des IWF, nach denen die Exportwirtschaft verstärkt werden muss und Subsistenzwirtschaft als Hauptübel gilt.
  • Der politische (wirtschaftlich und rassistisch bedingte) Zentralismus in Peru verhindert eine Demokratisierung und Entwicklung des Landes. Und selbst wenn Lima (die Regierung) wollte, dass staatliche Gelder auch den armen Regionen zugute käme, wird dies durch Interventionen (Auflagen) von außen verhindert. D. h., dass eine nationale Regierung (auch wenn sie wirklich das Volk repräsentieren würde) nicht souverän ist und dies auch nicht sein darf.
  • Die Gewinne der Mine (auch des peruanischen Anteileigners) gelangen ins Ausland. Die sozialen Folgeerscheinungen trägt die jeweilige Region. Dies verschärft die bestehende Ungleichheit - sowohl international als auch in der betreffenden Region (einige Wenige in Cajamarca , wie z.B. Haus- und Hotelbesitzer, profitieren von der Existenz der Mine: etc.). (zu soziale Folgen: siehe Kapitel II)
  • Im Zusammenspiel zwischen Minenbetreibern und staatlichen Stellen wird die betroffene Bevölkerung über bestehende Gefahren nicht nur nicht informiert, sondern unabhängige Organisationen (z.B. Umweltorganisationen) werden bei der notwendigen Aufklärung behindert und Bürgerbewegungen werden kriminalisiert (z.B. wegen „Aufruhr“ oder dem „Stören der öffentlichen Ordnung“ angeklagt). Als wirkungsvollste Waffe erweist sich (neben der Manipulation der Gesetze und Missachtung der Menschenrechte) der massive Einsatz von Geld: Verantwortliche werden gekauft (vereinzelt gelingt dies auch bei Verantwortlichen der Bürgerbewegungen, der Campesinos, der Ronda und öfters der Kirche) und ruhig gestellt.
  • Von offiziellen Stellen (Regierung bzw. Wirtschaft) werden bei jeder Investition die Vorteile für die Region und die betroffenen Menschen gepriesen: neue Arbeitsplätze, wirtschaftlicher Aufschwung, bessere Infrastruktur, mehr Schulen und Krankenhäuser etc. Schlagworte im Kontext der Globalisierung wie Modernisierung, Fortschritt, Flexibilität, Wettbewerbsfähigkeit etc. genießen den „Status der Heiligkeit“. Eine neue Religion wird verkündet und die Medien stehen im Dienst der Bekehrung der Menschen zu deren Heil. (siehe dazu den Abschnitt II,1: die neuen - alten - Verheißungen, Heilsversprechen).
  • Für die direkt betroffenen Menschen (und besonders diejenigen, die sich am wenigsten wehren können) bedeutet der Goldabbau der Verlust ihres Landes, die Verschmutzung und eventuell Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, eine allgemeine Verteuerung der Lebenshaltungskosten etc. Bildlich (manchmal auch wörtlich) gesprochen: die Menschen bleiben auf dem Müll sitzen, während die Mineneigentümer immer mehr Reichtümer anhäufen auf Kosten der Ärmsten. Als Randnotiz: wenn die Kirche, in die viele Menschen aus welchen Gründen auch immer eine große Hoffnung setzen als Anwalt der Menschen ausfällt oder gar zum Nutznießer der Ausbeutung wird, dann kommt neben der materiellen Verelendung auch die Gefahr einer seelisch-geistigen Verwirrung, die sich in einem Zulauf zu Sekten (u.a. einer gewissen Form des katholischen Traditionalismus) zeigt, deren Verkündigung die Menschen aufs Jenseits vertröstet und das gegenwärtige Elend „leichter“ ertragen zu lassen scheint.

Fazit

a) Bei den Goldminen um Cajamarca handelt es sich nicht um irgendwelche Goldvorkommen, sondern es sind ergiebigsten Goldvorkommen in Amerika. Es sind auch die rentabelsten Goldminen des Kontinents im Verhältnis von Investitionen und Ertrag und der Gewinn der Minengesellschaft liegt im weltgleichen Vergleich mit anderen großen Minengesellschaften mit an der Spitze. Aus dem Nichts heraus stieg Yanacocha S. A. innerhalb weniger Jahre in die Liga der zehn größten Goldminen der Welt auf. Stolz verweisen die Minenbetreiber in einem Informationsblatt auf die Einzigartigkeit der Goldvorkommen von Cajamarca. „Yanacocha ist die einzige Goldmine auf der Welt, in der das abgebaute Erz nicht erst bearbeitet (Zermahlung etc.) werden muss, sondern es kommt im Tageabbau direkt in das dafür vorgesehene Becken, das mit den entsprechenden Flüssigkeiten gefüllt ist. Qualität und Reinheit des Erzes stehen weltweit an erster Stelle“. Gleichzeitig wird den Campesinos von Porcón, das Wenige, das sie haben, genommen. Die rechtmäßigen Eigentümer des Landes, das diese seit Jahrhunderten bearbeiten, gehen leer aus, während fremde Eindringlinge die Reichtümer des Landes ins Ausland bringen.

b) Die Geschichte des Goldes von Cajamarca seit 1532 spiegelt die Mechanismen wider, die weltweit zu einem immer größer werdenden Gegensatz zwischen armen und reichen Ländern geführt hat (und auch innerhalb der einzelnen Länder). Wirtschaftliche Interessen einiger Weniger stehen im Vordergrund, werden aber meist hinter humanitären oder auch religiösen Begründungen versteckt. Entsprechende humanitäre oder religiöse Institutionen leisten dabei „Schützenhilfe“ bzw. stehen selbst an vorderster Front und sind Nutznießer des Systems. So lautet die allgemein verkündete Lehre (die je nach Situation und Kontext in der Wortwahl variiert), dass die reichen und zivilisierten Völker den armen und „heidnischen“ Völkern (weil noch nicht in das System integriert), Fortschritt und Zivilisation, Religion und Kultur bringen. So betont die katholische Kirche (Vatikan), dass durch die „Begegnung fremder Kulturen“ den Völkern Amerikas das „Licht des Evangeliums“ gebracht wurde, denen damit die Chance der Bekehrung (und somit Anteil am ewigen Heil) eröffnet wurde.

Im folgenden Kapitel steht diese Verquickung zwischen Heilsverheißungen und materiellen Interessen im Mittelpunkt.

Zuvor aber noch ein Zitat des ehemaligen Bischofs von Cajamarca, José Dammert, der nicht aus der Sicht der Sieger, sondern aus der Sicht der Opfer die Situation wahrnimmt und deutet: „Damit die ausländischen Investitionen auch zu einer wahrhaften Entwicklung der Region führen, müssen die Mechanismen so verändert werden, dass die Campesinos von Porcón selbst die Rahmenbedingungen der Entwicklung bestimmen. Es genügt nicht ein abstraktes ‚wirtschaftliches Wachstum’ der Region. Was wir anstreben ist eine ganzheitlich menschliche Entwicklung, in der die Reichtümer der Erde, in diesem Fall das Gold, für eine bessere Erziehung, für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse, für eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Flächen und Anbaumethoden zu Gunsten derer genutzt werden, die bisher von jeglichem Fortschritt ausgeschlossen waren“. 
 

II. Mythos und Wirklichkeit

1. Die sieben Sakramente des Kapitalismus

a) Sakramente und Kapitalismus - eine Frage der Definition

Sakramente sind nach überlieferter katholischer Lehre sichtbare Zeichen einer transzendenten (nicht mess- und erfassbaren) Wirklichkeit. Konkreter: es sind von Jesus Christus eingesetzte (gestiftete) Zeichen, in denen ansatzweise zum Vorschein kommt und erfahrbar wird, was mit der Botschaft Jesu, dem Anbruch des Reiches Gottes und seiner Vollendung gemeint ist. Sakramente verweisen nicht nur auf das Reich Gottes (und natürlich auf Gott), sondern sie bringen im Vollzug das Reich Gottes in den Alltag. In ihnen berühren sich „Himmel und Erde“: der Alltag öffnet sich auf Zukunft, auf Vollendung hin und das Göttliche gewinnt Hand und Fuß, wird „vererdet“ und wird integraler Bestandteil des Alltags. Dies bedeutet aber nichts anderes, als dass im Vollzug der Sakramente der Mensch Anteil nimmt am göttlichen Heil, will sagen: die Sakramente sind Heilsverheißungen, die schon im „Hier und Jetzt“ Gestalt annehmen; und weil Gott der Garant des Heils ist, sind es nicht nur Verheißungen, sondern verbindliche Zusagen des Heils. Als solche sind sie aber immer ein Geschenk, der Mensch hat keinen „Rechtsanspruch“ darauf, aber jedem Menschen (weil alle in gleicher Weise Ebenbild Gottes sind) wird das Geschenk angeboten (mit eingeschlossen die Fähigkeit, das Angebot zu hören und anzunehmen oder auch abzulehnen und sein eigenes Heil suchen wollen).
Die Kirche definiert die Heilszeichen, bestimmt sie inhaltlich und organisiert die Bedingungen der Anteilhabe (z.B. Zulassung zu den Sakramenten). Der Kirche ist die „Verwaltung“ und das Handling der Sakramente anvertraut. Sie gibt den Menschen die ihnen anvertrauten Schätze weiter. Diese wenden sich auf der Suche nach dem Heil an die Kirche, die ihnen dann das Heil verspricht bzw. garantiert, falls die von der Kirche selbst definierten Bedingungen erfüllt sind. Die Kirche ist aber nicht nur Heilsvermittler, „Hüterin des göttlichen Schatzes“, sondern sie ist selbst Zeichen des Heils. Sie ist das Sakrament der Gegenwart Gottes unter den Menschen, wie sie insbesondere in der Eucharistie erfahrbar wird. Sie ist als Gemeinschaft des Volkes Gottes das für alle Menschen sichtbare Zeichen des Bundes Gottes mit der Menschheit, in ihr wird das Reich Gottes antizipiert (im Ansatz, nicht in Vollendung). Volle Teilhabe am Leben der Kirche „garantiert“ das Heil und die Erlösung. Die beiden grundlegenden Sakramente sind daher die Taufe als Aufnahme in die Heilsgemeinschaft und die Eucharistie, in der die Kirche sich selbst als Zeichen der Einheit mit Gott feiert und in der das Reich Gottes erfahrbar wird.

Der Kapitalismus wird hier als eine Ideologie (Werteordnung) verstanden, nämlich als eine bestimmte Art und Weise, die Wirklichkeit (Welt, Mensch) und deren Grund und Zweck zu sehen, zu deuten und zu leben. Im Unterscheid zum Christentum wird Kapitalismus als ein System verstanden, in der das Heil nicht von außerhalb kommt, sondern in dem das Heil innerweltlich machbar und organisierbar ist. Wie das Christentum seinen Namen von Christus hat, der im Mittelpunkt steht und absoluter Maßstab ist, so bedeutet Kapitalismus, dass im Mittelpunkt von allem menschlichen Streben und Trachten das Geld steht, weil es - so der Glaube - das am besten geeignete Mittel ist, um zu sich selbst zu finden, um Mensch zu werden und um immer mehr Mensch zu sein. Denn es ist der Mensch, der sich selbst (seine Bedürfnisse, Methoden, Ziele), zum absoluten Maßstab macht und in der das Kapital (weil empirisch am besten bewährt) die Rolle der Heilsvermittlung zukommt. Mehr noch: das Kapital selbst ist das Heil. Der Kapitalismus verheißt allen Menschen guten Willens, wenn sie nur wollen, Anteil am Heil. Dieses besteht darin, jederzeit und überall möglichst viele Bedürfnisse befriedigen zu können. Zur Katechese des Kapitalismus gehört es, möglichst vielen Menschen den Glauben zu vermitteln, einzigartig und fähig zu sein, das auch erreichen zu können, was man sich vorgenommen hat und erfolgreich sein zu können. Der Kauf von Gütern, die „man“ haben muss, das Anteilnehmen am Leben der Erfolgreichen, die Darstellung seines eigenen Erfolgs und seiner (auch sexuellen) Potenz, erweisen sich als sichtbare Zeichen des Erfolges und der Rechtgläubigkeit. Im Vollziehen dieser Heilszeichen zeigt man sich und den anderen, dass man auf dem rechten Weg ist und dass man wer ist. Die Anerkennung dieser Prinzipien garantiert bereits das Heil, zumindest aber die Möglichkeit zum Heil. Neben diesen sichtbaren Zeichen der Anteilhabe am Heil, ist es letztlich das Geld (auch in der Form von Macht, Herrschaft, Potenz) das als universell geltender Wert zum absoluten Maßstab wird, von dem her alle anderen Werte lediglich abgeleitet sind. 
 
b) Ursprungsmythen und Heilsverheißungen des Kapitalismus

Diese Religion (weil ein Glaube mit allen Insignien von traditioneller Religion wie Kult, Hierarchie, Verheißungen, Opfer, Gehorsam, feste Spielregeln, systemimmanente Moral) basiert auf einigen festen Glaubenssätzen und auf der ritualisierten Präsentierung von Heilsverheißungen, die vom Volk nur dann geglaubt werden können, wenn diese Heilsverheißungen immer wieder auch am eigenen Leib (wenn oft auch nur in Form einer Projektion) gespürt und erfahren werden können. Diese Religion, wie jede andere Religion, hat um so mehr Erfolg, je besser es ihr gelingt, den Menschen eine Vision eines besseren Lebens (sei es „auf Erden“, sei es „im Himmel“) zu vermitteln und auch zugleich die Wege und Methoden zu weisen, die zum ersehnten Ziel führen. Grundlage einer jeden Vision (und Religion) sind Grundannahmen, in der Folge Mythen genannt, die außerhalb der Verfügbarkeit des Menschen stehen (so wird es zumindest den Menschen gelehrt oder überliefert) und die daher auch nicht zur Disposition gestellt werden können. Glück, besseres Leben, Selbstverwirklichung usw. lassen sich dann nur im Rahmen und unter Beachtung der systemimmanenten Regeln erreichen bzw. allen, die diese Mythen verinnerlichen und ihr Leben danach ausrichten, wird das Heil quasi garantiert. Geht etwas schief, d.h. das Ziel wird nicht erreicht (z.B. ein gewisser Lebensstandart), dann liegt es am Versagen des Einzelnen, der sich entweder als Ungläubiger oder als Versager erwiesen hat, der nicht in der Lage ist (oder sein will), die Anforderungen des „Rechten Weges“ zu erfüllen. Den „Ungläubigen“ droht der Ausschluss aus dem System und die „Vertreibung aus dem Paradies“. 

So liegen auch der Religion des Kapitalismus (der Vision, durch Anhäufung materieller Werte sich das Heil zu sichern) Mythen zugrunde, von denen hier zwei herausgegriffen werden, die sich in der Praxis (nicht in der reinen Lehre) als sich gegenseitig ergänzende und unterstützende Mythen herausgestellt haben: die Armen sind an ihrem Schicksal selbst schuld - Reichtum ist ein sichtbares Zeichen der Auserwählung Gottes (Armut bedeutet das Gegenteil). Die letztere Annahme wird meistens als calvinistische Lehre dargestellt. Nach dieser Lehre ist der durch Fleiß und Anstrengung erworbene Reichtum ein Zeichen für das Wohlwollen Gottes, ein Vorgriff auf die endgültige Belohnung im Himmel. Umgekehrt gilt: wer es im Leben zu „nichts“ gebracht hat (Maßstab ist materieller Wohlstand oder auch Gesundheit), muss wohl ein Sünder sein, der den Zorn Gottes herausgefordert hat und der nun seine gerechte Strafe erleidet - sichtbar für alle und ebenfalls als Vorgriff auf die endgültige Verdammnis. Mit dieser Lehre wird u.a. der wirtschaftliche Aufschwung des (protestantischen) Nordens Amerikas im Vergleich zum (katholischen) Süden Amerikas begründet. Doch diese „calvinistische Lehre“ ist de facto auch Grundbestand „katholischer Realpolitik“ - zumindest in den vergangenen Jahrhunderten. Ein Beispiel mag dies illustrieren:

Auf dem Weg von Bambamarca in eine abgelegene Comunidad traf ich auf einen Campesino, mit dem ich ins Gespräch kam. Er hatte einen Radiorekorder geschultert, den er gerade in der Stadt gekauft hatte. Damit dies auch alle bemerkten, war die Lautstärke entsprechend hoch eingestellt. Voller Stolz erzählte er mir, welche Opfer er für diesen Kauf gebracht hatte und wie er nun in seiner Comunidad deswegen geachtet werden wird. Er lud mich spontan in seine Hütte ein, um mitzuerleben, wie sich seine Familie und Nachbarn freuen werden ob der neuen Erwerbung. Er hatte sieben Kinder, alle waren barfuss, ebenso seine Ehefrau. Um den Radiorekorder kaufen zu können, hatte er seine einzige Kuh verkauft, ohne seine Ehefrau zu fragen. Die Familie freute sich tatsächlich, den Vater wieder zu sehen. Der Mann erklärte mir auf meine Fragen, warum dieser Radiorekorder so wichtig für ihn war: Er wollte endlich auch als Mensch geachtet und anerkannt sein. Und er glaubte, wenn er etwas kaufen kann, was ansonsten nur die Weißen in der Stadt haben, wäre er bald auch wie einer von ihnen und er hätte allen bewiesen, dass er ein rechtschaffener Mensch sei und dass er Gott dafür dankbar sei, dass dieser ihn nun erhört habe. 

Es handelt sich hier nicht um einen Einzelfall. Viele Untersuchungen und auch persönliche Erlebnisse mit den Campesinos bestätigen dies. (In Campesinogemeinschaften, die intensiver den Weg der neuen Pastoral von Bambamarca seit 1962 mitgegangen sind, sind solche Beispiele viel weniger anzutreffen, dazu mehr an anderer Stelle). Um das Verhalten dieses Campesinos zu verstehen und deuten zu können, muss man deren Geschichte und Situation verstehen (verstehen ist mehr als wissen). Aus der Sicht vieler Campesinos beruht die Vorrangstellung der Weißen auf deren Allianz mit Gott (und umgekehrt). Der Gott der Weißen erwies und erweist sich stärker. Wie sollte es sonst möglich gewesen sein, dass die eigenen Götter gestürzt wurden, dass die Weißen so mächtig sind, dass sie scheinbar alles können und wissen und dass sie mit unendlichen Reichtümern und Fähigkeiten gesegnet sind? Sie selbst dagegen sind die Verlierer, die Götter haben sich von ihnen abgewandt und der Gott der Weißen ist nicht auf ihrer Seite, sondern gegen sie. Um den Zorn des allmächtigen weißen Gottes zu besänftigen, muss man ihm viele Opfer bringen. Nach Jahrhunderte währender Unterdrückung haben viele Campesinos dies so verinnerlicht, dass sie sogar daran zweifeln, ob sie in gleicher Weise Mensch sind wie die Weißen. Denn Gott schenkt den Weißen alles, ihnen selbst aber wird alles genommen. Sie haben aus irgendeinem Grunde, den sie sich nicht erklären können, Schuld auf sich geladen und sind nun zu Armut und Knechtschaft verdammt - Gott wird schon wissen warum. Sie erfahren sich als Sünder und als unwürdig, als zu nichts würdig und zu nichts fähig. Nur wenn sie ihr Schicksal demütig ertragen, haben sie die Chance, vielleicht doch noch das Wohlgefallen Gottes (und der Weißen, ihrer Herren) zu verdienen.

Wenn nun aber ein Campesinos bereits in diesem Leben es so weit gebracht hat, dass er etwas haben kann, was sonst den Weißen in der Stadt vorenthalten ist, so kann dies ein Zeichen dafür sein, dass er nun das Wohlgefallen Gottes gewonnen hat. Etwas profaner gesagt: wenn ein Campesino etwas Bestimmtes kaufen kann, wenn er sogar in der Stadt wohnen kann, dann hat er Anteil am Leben der Weißen, d.h. er hat dann Anteil am eigentlichen Menschsein, an der „Fülle des Lebens“, die ihm als Indio, als Ausgestoßener des Systems, sonst vorenthalten bleibt. „Je mehr Dinge ich kaufen kann, desto mehr Mensch bin ich.“ Und genau dies ist das grundlegende Dogma des Kapitalismus, der notwendigerweise auch auf permanente Erweiterung seiner Herrschaft, auf Weltherrschaft ausgerichtet ist. Nur wenn ich Geld habe, kann ich meiner Bestimmung als Verdammter und Ausgestoßener (ausgestoßen von Gott und der Welt) entkommen und zu einem anerkannten Jünger und zu einem Weltbürger mit dem ihm zustehenden Rechten, werden.

Der gewaltsame Einbruch der Europäer hat das Weltgefüge der Indios so durcheinander gebracht, dass sie die „Religion“ der Europäer akzeptiert haben, ohne sie je zu verstehen. Die europäischen Missionare mögen die beschriebene Lehre den Indios so nicht vermittelt haben, in der Praxis haben sie aber die Herrschaft der Europäer so erfahren wie geschildert. Zudem ist festzuhalten, dass es nicht zuerst die Worte sind, die Menschen überzeugen, sondern die Taten. In diesem Sinne waren die Eroberer mit ihren Gräueltaten (wie in Cajamarca der erste Großgrundbesitzer Melchor Verdugo) die eigentlichen „Missionare“, die Verkünder der Botschaft von der Einzigartigkeit der Europäer und ihrer Religion. Und diese Auffassung von Religion (Gott auf der Seite der Weißen etc.) konnte um so mehr Fuß fassen, je öfter die offiziellen Vertreter dieser Religion an dem Tisch der Mächtigen gesehen wurden bzw. diese als eine Einheit oder gar als identisch mit den Sklavenhaltern wahrgenommen wurden. 

Wie an diesem Beispiel des Campesinos gezeigt werden kann, verschmelzen sich die beiden Grundprämissen der neuzeitlichen Religion: der Arme ist selbst schuld und die Armut ist eine gerechte Strafe Gottes. Die Verschmelzung der beiden Ursprungsmythen fand ihre Konkretisierung in der Allianz der Kirche mit den Mächtigen auf Kosten der Indios (und Afrikaner, Asiaten etc.). Dabei ist es unwichtig festzustellen, was zuerst da war: der Mythos (als erfundene Rechtfertigung der Herrschaft) oder die Praxis (als Konsequenz des Mythos). Diese beiden Mythen kann man als das Grundsakrament des Kapitalismus bezeichnen, analog zu den beiden Grundsakramenten der katholischen Lehre, der Taufe und der Eucharistie (Kirche als Zeichen des Heils). Deren Annahme und Akzeptanz ist die Vorausbedingung für die Aufnahme in die Gemeinschaft derer, denen das Heil zugesagt ist. Das Annehmen der Botschaft (das Hören) führt zu einer bestimmten Praxis und zu einer Orientierung an Lebensinhalten und Lebenszielen, die von der jeweiligen „Wertegemeinschaft“ vorgegeben werden. Im Falle des Kapitalismus sind dies die schon erwähnten Fixierungen auf äußerlich messbaren Erfolg und auf materielle Werte mit ihren jeweiligen austauschbaren Symbolen (für Männer z.B. die Macht, sich Sex oder gar „Liebe“ kaufen zu können). Diese Werte gewinnen aber nur dann ihre eigentliche Bedeutung, wenn sie öffentlich dargestellt oder gar öffentlich zelebriert werden können. Einfacher ausgedrückt: der Kauf eines bestimmten Markenartikels kann das sichtbare Zeichen der Anteilhabe an den Segnungen des Systems (vergleichbar: Anteilhabe an der Gnade Gottes) sein: also eine sakramentale Handlung.

Im Folgenden werden zusätzlich zu den beiden „Grundsakramenten“ fünf weitere Heilsverheißungen des Kapitalismus (insgesamt sieben) - in ihrer Konkretisierung am Beispiel der Goldminen von Cajamarca - vorgestellt und auf dem Hintergrund der Erfahrungen in Cajamarca auf die Probe gestellt.

3. „Die Bergbauunternehmen (wie alle Unternehmen) dienen der Entwicklung der Region, in der sie tätig werden“. In Cajamarca wurde den Comunidades versprochen, dass sie durch die Investitionen der Mine die Chance erhielten, Anschluss an die moderne Zeit zu finden. Neue Straßen, Schulen, Arbeitsplätze usw. wurden für die Campesinos in Aussicht gestellt. Um beim Beispiel des erwähnten Campesinos zu bleiben: durch das Auftreten der Minengesellschaft können nun bald viele Campesinos einen Radiorekorder kaufen. Dadurch werden sie im eigentlichen Sinne zu modernen Staatsbürgern. (Es scheint auch ein Grundprinzip von staatlicher Entwicklungshilfe zu sein, möglichst vielen Menschen den Zugang zum Weltmarkt zu verschaffen, d.h. dass sie ihre Produkte „marktgerecht“ verkaufen um dadurch die Mittel zu erhalten, an den „Segnungen der Zivilisation“ teilhaben zu können). Nun ist es aber Ziel jedes Unternehmens (erst recht wenn es wie Newmont Mining an der Börse - Wallstreet - notiert ist) mit möglichst wenig Einsatz (Investition) möglichst viel Gewinn zu machen. Die Rangliste der Top - Unternehmen (auch an der Börse in Lima) wird nach den Kriterien des Shareholder Value bzw. des Verhältnisses von Investition : Ertrag aufgestellt und nicht nach dem Kriterium Investition : Sozialleistungen. Die „Buenaventura S.A.“ (peruanischer Anteil an der Mine) steht in der Rangliste der Top 500 in Peru an vierter Stelle.

Im Zusammenhang mit der genannten These wird oft noch als weiteres Argument (auch in Cajamarca) genannt, dass durch neue Investitionen (Industrieansiedlungen u.a.) der Wettbewerb in der Region gefördert wird, was wiederum zu einem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung in der Region führen wird. Mag dies in bereits dicht industrialisierten Gebieten zutreffen oder auch nicht - in Cajamarca kann davon keine Rede sein. Wie auch noch im Falle der versprochenen Arbeitsplätze zu sehen sein wird, führt die Existenz der Mine in der Region Cajamarca nicht zu einem Aufschwung z.B. in der Zuliefererindustrie bzw. im Handwerk, auch nicht im Bereich des Hotel- und Gastgewerbes, des Tourismus etc., sondern eher zu einer Verknappung der Ressourcen und damit zu einer erheblichen Verteuerung. Eine Gesamtkonzeption für die Entwicklung der Region könnte dies verhindern bzw. in konstruktiver Zusammenarbeit mit der Mine könnten bestimmte Impulse und Anreize geschaffen werden, doch weder Mine noch staatliche Stellen haben daran ein Interesse.

4. „Die modernen Bergbauunternehmen liegen auf die Erhaltung der Umwelt größten Wert“, weniger diplomatisch: „Die Zerstörung der Natur ist der Preis für den Fortschritt“. Die bei Cajamarca angewandte Abbaumethode ist zwar eine der modernsten der Welt und die Investitionen in entsprechende Schutzmaßnahmen sind höher als in alten Bergwerken. Die Unternehmen investieren mehr in Umweltschutzmaßnahmen. Dies geschieht unter dem internationalen Druck der Öffentlichkeit und von Regierungen, die hohe Schadensersatzforderungen im Falle einer Katastrophe stellen. Für Unternehmen ist es rentabel und imagefördernd geworden, ein Minimum in Umweltschutz zu investieren und ein Maximum an Propaganda daraus zu machen. Über den Widerspruch zwischen Propaganda und Realität ist noch zu berichten. Im Übrigen gilt auch hier, dass Investition und Profit im rechten Verhältnis stehen müssen.

5. „Die Investitionen von Unternehmen bzw. deren Ansiedlung in der Region schaffen neue Arbeitsplätze“. Die Erfahrungen in allen Teilen der Welt sprechen dafür, dass Unternehmen nicht zuerst das Wohl bzw. die Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten im Auge haben. Auch der Papst klagt dies immer wieder an und mahnt in den Sozialenzykliken, dass der Mensch im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen sollte. Vielmehr zeichnet sich ein erfolgreiches Unternehmen gerade dadurch aus, dass es mit möglichst wenig Personal ein Höchstmaß an Effizienz erreicht und von den Beschäftigten werden als besondere Tugenden Flexibilität und bedingungslose Leistungsbereitschaft erwartet. Auch der Goldabbau bei Cajamarca wird mit der derzeit modernsten Technologie betrieben. Dies ist umso bemerkenswerter in einem sozialen Umfeld, in dem eine Masse von billigen Arbeitskräften zur Verfügung steht. In anderen Industrien (z.B. Textilindustrie) wird dies als Standort- und Wettbewerbsvorteil intensiv genutzt. Beim Goldabbau werden aber nur wenige Menschen benötigt. Gewaltige Maschinen fressen sich durch die Berge und die Planierraupen und Lastwagen zum Abtransport werden von speziell geschulten Fahrern gesteuert, die nicht aus der Region kommen. Einige Campesinos arbeiten in der Instandhaltung der Straßen und bekommen dafür etwa 150 DM im Monat bezahlt.

Die Konkurrenz um die wenigen Arbeitsplätze ist natürlich sehr groß und wer dennoch eine Arbeit bekommt, darf sich zu den Auserwählten zählen. In der Mine selbst arbeiten neben den meist ausländischen Ingenieuren mit einem Jahresgehalt von etwa 50.000 Dollar noch einige erfahrene Minenarbeiter aus den traditionellen Bergwerkzentren aus dem zentralen Hochland von Peru (Cerro de Pasco). Da die Minengesellschaft viele Arbeiten an Subunternehmen vergibt, u.a. an Züblin (Chile/Deutschland), ist es nahezu unmöglich, die Mine selbst für bestimmte Missstände verantwortlich zu machen. Eine Organisation der Beschäftigten ist von vorneherein ausgeschlossen und die wenigen Frauen, die für Küche und Reinigungsarbeiten gebraucht werden, werden eigenhändig (d.h. die Ingenieure, nicht Ärzte - legen Hand an) z B. auf heimliche Schwangerschaft untersucht. Frauen sprechen zwar in vertrauensvollen Gesprächen von sexuellem Missbrauch vor allem seitens der aus Zentralperu verpflichteten Facharbeiter, sie trauen sich aber nie, diesen Missbrauch öffentlich zu machen.

6. „Wenn die Unternehmen gute Gewinne machen, kommt dies allen Menschen, besonders aber den Armen zugute“. Diese Verheißung ist eine der ältesten Verheißungen und sie stand bereits am Anfang der industriellen Revolution. Mögen bei Adam Smith vor dem anbrechenden industriellen Zeitalter noch humanitär - liberale Motive eine Rolle gespielt haben, so ist die ständige Wiederholung dieses Wirtschaftsdogmas angesichts steigender Armut und zunehmender „Freisetzung von Arbeitskraft“ purer Zynismus. So wurden z.B. den Campesinos von Combayo zu Beginn des Jahres 1993 dreißig Dollar pro ha Land angeboten. Dieses Angebot war begleitet von der Drohung, wenn sie ihr Land nicht verkaufen, würde es vom Staat ohne Entschädigung enteignet werden, denn die Gesetze seien auf der Seite der Mine. Zudem wurde den Campesinos dieser Comunidad versprochen, dass alle in der Mine Arbeit finden würden, wo sie viel mehr verdienen würden als je zuvor.

Die Campesinos verkauften ihr Land. Doch nur acht Campesinos fanden Arbeit in der Mine (Straßenbau) - ohne Arbeitsvertrag, einem Subunternehmer ausgeliefert, mit einer Arbeitszeit von 6.30 - 16.30 (20 Minuten Mittagpause), einem monatlichen Lohn von 200 DM (zu Arbeitsbeginn wurden 350 DM versprochen), Essen und Unterkunft mussten teuer bezahlt werden (der Lohn wurde in Essensgutscheinen ausgezahlt), eine Versicherung wurde trotz Versprechen nicht abgeschlossen. Sie protestierten, dass sie kein Geld ausgezahlt bekamen, sondern ihnen stattdessen Schulden angeschrieben wurden, weil ihre Essensrechnung höher sein sollte als der ihnen zustehende Lohn. Daraufhin wurden sie nach 18 Monaten Arbeit ohne Urlaub entlassen. Durch die harte körperliche Arbeit in über 4.000 m Höhe und einer nicht ausreichender Verpflegung (vor allem Mangel an Flüssigkeit) sind viele krank geworden, ein Arzt ist für sie nicht erreichbar.

Heute leben über die Hälfte dieser Familien von Combayo am Stadtrand von Cajamarca im Elend und auch die übrigen Familien leben in größerer Armut als zuvor. Wenn eine neue Studie (1998) der „Organisation der amerikanischen Staaten“ (OEA) feststellt, dass im Jahre 2000 die Mehrheit der Lateinamerikaner ärmer sein wird als 1980, so bildet Cajamarca - trotz oder wegen der Mine - keine Ausnahme, wie später noch zu sehen sein wird.
Selbstverständlich gibt es auch einige Familien in Cajamarca (und sogar einige Campesinos), die durch die Anwesenheit der Mine profitiert haben. Solche Beispiele werden dann immer als Beleg dafür herangezogen, dass der Mythos tatsächlich funktioniert (und kein Mythos ist, sondern Realität - ein derartiger „Beweis“ ist vergleichbar mit dem „Beweis“ der Existenz Gottes durch Wunder). Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Campesino XY besonders clever war (leistungsbereit, risikobereit, flexibel, aufgeschlossen für die Moderne etc.), während die anderen eben nicht ihre Chance zu nutzen wussten.

7. „Die Unternehmen legen Wert darauf, zu den Kommunen und Bürgern gute Kontakte zu pflegen und das soziale und kulturelle Leben der Bürgerschaft zu fördern“. (Dieser Mythos wird besonders in der amerikanischen Gesellschaft gepflegt). Yanacocha S.A. als das profitabelste Bergwerksunternehmen Perus und unter den Top 10 der Goldabbauunternehmen der Welt, legt auch in Cajamarca Wert auf ein soziales Image. Dies wird gepflegt, in engem Kontakt mit den Honorationen der Stadt und der Kirche, durch Stiftungen an Schulen (Computerausrüstung), an die Kirche (Bischof) und an das Krankenhaus (neue Geräte). Auch zu den Medien bestehen gute Kontakte und es werden kulturelle Events gesponsert. Deshalb hat die Mine einen guten Ruf bei den einflussreichen Familien der Stadt (zumindest war dies so bis Mitte 1999, danach drehte sich die Stimmung - siehe später). Einladungen und Empfänge mit den ausländischen Ingenieuren sind glanzvolle gesellschaftliche Ereignisse. Was wirklich in den Minen geschieht, vor allem was mit den Campesinos und den Arbeitern geschieht, spielt bei diesen gesellschaftlichen Events keine Rolle. Die Mine hat das Informationsmonopol in allem, was die Mine betrifft. Selbst wenn einige der Wohltaten der Mine tatsachlich den Ärmsten zugute kommen sollten, dann liegt dies in der alten und bewährten Tradition karitativer Tätigkeiten, die den Menschen nun ein Pflaster reichen für die Wunden, die sie ihnen selbst vorher zugefügt haben. 

Die Campesinos von Combayo und Porcón gehören wohl nicht zu den Bürgern, mit denen man gute Kontakte pflegen muss. Als die Präsidentin der nationalen Kommission für Menschenrechte, Sofía Macher, die Campesinos besuchte und kurz danach am 1.7. 1998 die Augenzeugenberichte der Campesinos im TV-Programm in Lima erschienen, wurden wenigstens einige Bürger in Cajamarca wachgerüttelt, denn was die Campesinos zu berichten hatten, war ihnen nicht bekannt (obwohl dies täglich vor ihrer Haustür geschieht - wenn es aber im TV aus Lima präsentiert wird, dazu noch vom populärsten Polit-Moderator César Hillenbrandt moderiert, erst dann wird es wahrgenommen).

Beispiele aus den Augenzeugenberichten, die im Fernsehen gesendet wurden: „Sie sagten mir, ich solle das Land verkaufen, aber ich wollte nicht. Sie sagten, wenn es nicht im Guten geht, dann eben auf die andere Tour. Das Land gehört euch nämlich gar nicht, denn alles Land, das für Minen geeignet ist, gehört dem Staat“. „Ein anderer sagte mir: ‚verkauf mir dein Land“, doch ich sagte ihm: ‚Ich kann das nicht, Herr Ingenieur, denn darauf halte ich meine Tiere, ich tue dies, damit ich meine Kinder ernähren kann’ und ich weinte in seinem Büro. Doch er sagte mir nur: ‚also gebe ich dir gar nichts, wenn du unser Geschenk nicht annimmst, dann bekommst du eben gar nichts.“ „Sie sagten uns: ‚Wenn ihr uns innerhalb einer Woche nicht das Land übergibt, kommen wir mit Polizisten und werfen euch vom Land; aber wir sind keine Unmenschen, wir hinterlegen den Kaufpreis auf der Bank und wenn ihr wollt, könnt ihr es dort abholen und wenn nicht, dann habt ihr kein Geld und kein Land’. Für 100 ha gaben sie uns 5.000 Soles, doch mit diesem Geld können wir uns nichts kaufen, es reicht noch nicht einmal für ¼ ha Land weiter unten“. Die Ingenieure waren Peruaner (Städter) und der geschilderte Umgang mit den Campesinos ist in der Weise allgemein üblich. Durch Vermittlung der Pfarrer von Porcón (wie bereits geschildert) konnten einige Härtefälle gemildert werden. Auch Beschwerden direkt bei der Newmont Mining hatten Erfolg, denn das ausländische Unternehmen fürchtete um sein gutes karitatives Image. 
 
c) Vergleich von ka-(th). und ka-(p). Mythen

Es ist hier nicht der Ort, um über die Unterschiede und die verschiedene Heilsverheißungen, z.B. zwischen christlichen Glauben und Kapitalismus, zu sprechen. Festzuhalten ist, dass es verschiedene Grundannahmen, Werte und Methoden gibt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Man kann davon träumen, dass die Menschen eines Tages „friedlich wie die Fische im Wasser“ (H. Marcuse) zusammenleben werden oder realistischerweise davon ausgehen, dass die großen Fische immer die kleinen Fische fressen werden (wo denn außer im Aquarium leben die Fische wirklich friedlich zusammen?). Mit diesen Grundannahmen verbunden sind fundamentale Einstellungen zur Rolle des Menschen (Menschenbild), der Sicht und Deutung der Welt (Weltanschauung), zur Frage nach Leben und Tod, Sinn des Lebens usw. Darüber gilt es zu streiten, sich auseinander zu setzen, sich hinterfragen zu lassen und man wird gezwungen, seine eigene Anschauung rational, d.h. sachgerecht und praxisnah, zu begründen.

Werden jedoch die Grundannahmen zu unantastbaren, unveränderlichen oder göttlichen Heilswahrheiten erhoben, ist ein rationaler Dialog nicht mehr möglich, bestenfalls „ein zur Kenntnis nehmen“ (was oft schon viel wäre). Der Mythos hat seine „rationale“ Begründung in dem Willen derer, die eine bestimmte Wirklichkeit so wahrnehmen wollen, wie es ihnen am meisten behagt oder am ehesten zum Vorteil gereicht. Auf diese Weise kann diese bestimmte Wirklichkeit (oder auch die Wirklichkeit an sich) niemals Gegenstand der Kritik sein und es kann auch kein Wahrnehmen einer anderer Wirklichkeit geben, weil es diese ja gar nicht geben darf oder kann. So wird auch der real existierende Kapitalismus (neumodischer: Neoliberalismus) als die einzig denkbare Art und Weise der Weltgestaltung und des Zusammenlebens der Menschen betrachtet. Dies geschieht umso mehr, als eine scheinbare Alternative kläglich gescheitert ist. Jede Alternative zu diesem System wird, weil als absurd geltend, erst gar nicht mehr diskutiert. Die Sieger sprechen stetig von ihren Erfolgen und können so gar nicht mehr wahrnehmen, dass die Zahl der Verlierer (nicht nur der Menschen, auch der Schöpfung) immer mehr zunimmt. Wer z.B. davon spricht, dass die Armen selbst schuld an ihrem Elend sind, der kann dann nicht mehr die eigentlichen Ursachen des Elend wahrnehmen, geschweige denn die Armen als Subjekte wahrnehmen, z. B. die Mutter, die um fünf Uhr morgens aufsteht, Wasser am Fluss holt, Wäsche wascht, Brennholz sucht, auf den Markt geht, um dort drei Tomaten zum Kauf anzubieten usw. und die sich um 22 Uhr todmüde auf ihre Matratze aus Stroh legt und dabei daran denkt, was sie ihren Kindern morgen zum Essen geben kann. 

Es gibt auch in der katholischen Kirche solche „kapitalistischen Mythen“, hier nun allerdings so formuliert, dass auf den ersten Blick (und nicht erst auf den zweiten Blick wie beim Kapitalismus) ihr religiöser Charakter deutlich wird. Auch hier gab es Funktionäre, die auf der Basis eines Mythos einen Verhaltenskatalog „für das Volk“ erstellt haben, der dann das soziale, gesellschaftliche und religiöse Verhalten und Leben geprägt hat. So wurde über Jahrhunderte gepredigt, dass die irdischen Güter nichts seien im Vergleich zu den himmlischen Gütern, die die Armen erwarten dürfen. So pflegte der Gott geweihte Priester zu sagen: „Sei geduldig mein Sohn, im anderen Leben wirst du um so reicher belohnt“, während er sich gleichzeitig an der reich gedeckten Tafel des Großgrundbesitzers (oder der Minenbesitzer) einen Vorgriff auf die zukünftigen Freuden genehmigte. Der aktuelle Bischof von Cajamarca versteht diese Kunst auf eindrucksvolle Art zu zelebrieren und erweist sich damit als echter Hohepriester des Kapitalismus und seiner älteren Schwester, der konstantinischen Kirche Roms.

Eine moderne Version eines derartigen ideologischen Diskurses ist die Politik, nach der die armen Menschen der armen Länder ihre Gürtel enger schnallen müssen, damit sie fit gemacht werden können für den Wettbewerb in der globalen Gesellschaft um so einen Weg aus ihrer (selbstverschuldeten?) Armut zu finden. Dahinter steht, wie schon in Punkt 6 beschrieben, die Auffassung, dass erst einmal Reichtum angehäuft werden muss, damit dann die Armen eine Chance erhalten, zu Arbeit und Brot zu kommen. Wenn es nämlich z.B. mehr Autos auf den Straßen gibt, dann gibt es auch mehr Möglichkeiten für Straßenkinder, im Stau vor der Ampel die Scheiben der Autos zu wischen und damit Geld verdienen zu können. Und wenn das einfache Volk erst einmal etwas Geld hat, dann gibt es auch mehr Möglichkeiten, dieses Geld auszugeben, was wiederum z.B. der Unterhaltungsindustrie, der Freizeitindustrie (mehr Diskotheken, Bordelle) zugute kommt, die dann ebenfalls mehr Arbeit bietet.

So entsteht ein Kreislauf, der immer mehr Menschen in Brot und Arbeit bringt und der damit zu einem steigenden Wohlstand für alle führt. Verkünder dieses Evangeliums ist u.a. der IWF, der den armen Ländern zu deren eigenen Wohl Strukturanpassungsmaßnahmen vorschreibt, nach denen zuerst alle sozialen Programme, weil nicht produktiv, gestrichen werden müssen, damit es später allen besser geht (falls sie es überlebt haben). An diesem Gesetz geht kein Weg vorbei, denn die Wirtschaft funktioniert nach den Gesetzen des Marktes und der ist blind (er ist wertneutral). Wer gegen den Markt handelt, geht unter. Dies wird als ein unumstößliches Naturgesetz hingestellt. Damit wird jeder Versuch, dieses Modell zu hinterfragen oder gar von den Opfern her zu deuten, als Wahnsinn betrachtet, d.h. es ist der Kritik entzogen: IWF dixit! (Der IWF hat gesprochen!).

Dabei geht es im Grunde vielleicht um etwas ganz anderes, z.B. dass die Banken möglichst lange viele Zinsen kassieren wollen, dass man die Armen unter Kontrolle behalten und die armen Länder „reif“ für rentable Investitionen machen will, usw. Auch der begründete Hinweis, mathematisch nachvollziehbar, dass die verschuldeten Länder schon längst mehr an Zinsen zurückbezahlt haben als sie je an Kredit erhalten haben und trotzdem auf immer höheren Schulden sitzen bleiben, wird mit dem richtigen Hinweis begegnet, dass es um das Prinzip gehe. In der Tat ist es dieses Prinzip (Mythos), das über allem steht, das verabsolutiert wird und als die Wahrheit schlechthin verkündet wird. 

2. Wirtschaftliche Struktur - soziale Daten:
 

Die genannten Mythen sind nicht auf der Ebene des Mythos (in dem ihnen andere Mythen gegenüberstellt werden) zu hinterfragen, sondern indem man sie mit der Wirklichkeit konfrontiert. Diese Wirklichkeit besteht aus dem Leben ganz konkreter Menschen, einer Mehrheit des Volkes, das die Konsequenzen der Mythen erleiden muss. Diese Wirklichkeit wird hier anhand konkreter Daten und mit den Worten der Betroffenen geschildert. Wesentliche Daten und Taten der Mine wurden bereits bei der Vorstellung der Mine genannt. Sie sind im Zusammenhang mit den folgenden Ausführungen zu sehen.

Das Bruttosozialprodukt des Departements Cajamarca hat sich in den Jahren 1992 - 96 verdreifacht, von 856.521 auf 2.877.740 Einheiten. Dies ist besonders auf die Erträge der Goldminen zurückzuführen. Wichtigste Frage in diesem Zusammenhang ist, ob der statistisch festgestellte wirtschaftliche Aufschwung in der Region auch wirklich der Bevölkerung, besonders den Ärmsten, zugute kommt. Die Beantwortung dieser Frage wirft auch ein Licht auf den Wert und die Deutung von Statistiken. So hat z.B. Peru 1999 mit über 9% Wirtschaftswachstum die höchste Wachstumsrate Lateinamerikas zu verzeichnen, gleichzeitig stieg die Zahl der absolut Bedürftigen auf über 50% (gemessen an den Vorgaben der UNO).

Die wirtschaftliche Struktur der Region ist bis heute geprägt von der Kolonialgeschichte. Vor der Eroberung durch die Spanier kannten die Bewohner von Cuismanco kein materielles Elend (zumindest nicht in organisierter und kollektiver Form). Die neuen Herrscher interessierte zuerst, was sie aus Land und Leuten herausholen konnten, um es dann nach Spanien zu schaffen. Die Indios wurden konsequenterweise als Arbeitskräfte in den Minen und den Haziendas gebraucht, um diese Reichtümer zu erwirtschaften. Landwirtschaft (vor allem Wolle und deren Bearbeitung) und Bergbau (Erzgewinnung) waren die ertragreichsten Wirtschaftszweige. Bis heute hat sich aus der Sicht der Betroffenen nicht viel geändert.

Victor Chilón, der Bürgermeister von Porcón Alto, wo die Minengesellschaft 1993 mit der Ausbeutung des Goldes begann, musste bereits am Ende des gleichen Jahres feststellen: „Die Ausbeutung der Goldminen, die sich auf unserem Land befinden, ist für die Minengesellschaft ein Segen. Für uns, die wir dort leben, bleibt nichts. Die Gringos kommen und nehmen alles mit. Sie geben keine Arbeit und machen keine Arbeit zu unserem Gunsten. Es herrscht eine bittere Armut in unserem Porcón. Ich kenne Menschen, die praktisch nur noch vom Wasser leben“. Im Unterschied zu den vergangenen Jahrhunderten gibt es aber zwei auffällige Unterschiede: Die Masse der Menschen wird als Arbeitssklaven nicht mehr gebraucht; diese Menschen haben aber heute die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben und „Verbündete“ für ihr Anliegen sogar in den Ländern zu finden, in denen die Besitzer und Aktionäre der Minengesellschaften leben. 

Wirtschaftlich - soziale Daten, von 1992 - 1998

Der durchschnittliche Landbesitz einer Familie auf dem Land liegt bei knapp 1 ha falls das Land bewässert werden kann und bei 1 - 2 ha unbewässertem, meist steinigem Land. Die von Campesinos betriebene Landwirtschaft hängt extrem von den Niederschlägen während der Regenzeit ab. Bis in die sechziger Jahre stellte der Campesino (trotz oder wegen seiner Armut) nahezu alle Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und auch seine Kleidung selbst her. Geld war nahezu unbekannt. Und falls eine Familie dennoch etwas Geld besaß, so wurde dies oft vergraben, um es in Notzeiten - etwa bei ausgefallener Ernte - wieder auszugraben. Da keine Familie von dem Ertrag des eigenen Landbesitzes allein leben kann, muss nach anderen bzw. ergänzenden Verdienstmöglichkeiten gesucht werden. In den Landzonen von Bambamarca ist das Flechten und Verkaufen von Strohhüten (Sombreros) die am weitesten verbreitete (ergänzende) Einnahmequelle.

Im Einzugsbereich der Stadt Cajamarca bilden die Möglichkeiten, seine Arbeitskraft in der Stadt zur Verfügung zu stellen, die größten Chancen, zum Ertrag aus der Landwirtschaft noch etwas hinzu zu verdienen. Diese Tätigkeiten sind am ehesten mit denen von Tagelöhnern zu vergleichen, die ihre Dienste als Träger, in der Stadtreinigung, als „Peones“ (Knechte) in der Bauwirtschaft, anderen kleinen Betrieben und allgemein im informellen Bereich der Wirtschaft zur Verfügung stellen. Eine soziale Absicherung ist in diesem Wirtschaftsektor unbekannt, die Entlohnung ist willkürlich und Arbeit für einen oder mehrere Tage erhält nur, wer die wenigsten Ansprüche stellt.
Außer der Goldmine, die das Leben in Cajamarca seit 1992 sehr stark beeinflusst, gibt es nach wie vor keine größeren Wirtschaft- bzw. Industriebetriebe. 1962 war Nestlé mit acht fest angestellten Beschäftigten der größte Betrieb (auf die Zahl der festen Arbeitsplätze bezogen) in Cajamarca. Daran hat sich bis auf die Mine und einigen inzwischen größer gewordenen Hotels nicht viel geändert. Als ein mit großen Hoffnungen versehenen neuen Wirtschaftszweig ist der Bereich des Tourismus hinzugekommen, der aber bislang nicht die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt hat.

Der Anteil der Campesinos im Departement Cajamarca beträgt 1998 nach leicht von einander abweichenden Angaben zwischen 70% und 80%. (1961: 95%). Das Departement Cajamarca gehörte über die Jahrhunderte hinweg zu den ärmsten Regionen der Anden. 1962 war es das zweitärmste Departement in Peru, 1994 lag es an vierter Stelle der Armutsskala. Es ist das dichtbevölkertste Departement in den Anden Perus und Boliviens und mit dem höchsten Anteil von Campesinos (laut Webb 75,9% - im folgenden die Daten von Webb, die am aktuellsten sind). 65,5 % der schulpflichtigen Kinder zwischen sechs und neun Jahren gelten als unternährt (in Peru: 48,3%). Der Anteil der Analphabeten liegt bei 27, 2% (1961: 54%).
Nach den gleichen Quellen liegt die Kindersterblichkeit bei 62,4 auf 1.000 geborene Kinder. Auf dem Land dürfte die Kindersterblichkeit erheblich höher sein. Nach Erfahrungen der Mitarbeiter Bischof Dammerts (und eigenen Befragungen) hat eine Frau im Durchschnitt neun Geburten. Auf die Frage, wie viele Kinder sie hat pflegt sie dann zu antworten: „Neun Geburten und sechs lebende Kinder“. Diese Zahlen werden deshalb nicht korrekt statistisch erfasst, weil die „Erfasser“ keinen vertrauensvollen Zugang zu den Campesinos haben und nicht alle Geburten und Todesfälle erfassen können.

93,7% aller Bewohner des Departements Cajamarca (und 83,9% aller Peruaner) haben keinen erlernten Beruf. Da es keine mit Deutschland vergleichbare Berufsausbildung und Berufsschulen gibt, handelt es sich bei den erlernten Berufen in der Regel um akademische Berufe, wobei die Lehrer den größten Anteil stellen (danach Anwälte und Ingenieure). Die mit dem Departement Cajamarca vergleichbaren Departements Huancavelica, Ayacucho, Apurimac und Puno, in den zentralen und südlichen Anden gelegen, haben wie Cajamarca einen ähnlich hohen Anteil von Campesinos. Es ist kein Zufall, dass die ärmsten Regionen des Landes diejenigen sind, in denen der Anteil der Campesinos am höchsten ist. Armut in Peru hat zuerst „ein indianisches Gesicht“ (und hier wieder betrifft es zuerst die Frauen, Kinder und alten Menschen). Im Departement Cajamarca lebten 1996 51,7% aller Menschen unter dem von der UNO definierten Existenzminimum. Damit liegt Cajamarca an der Spitze der Armutsskala in Peru.
Alarmierend ist der steigende Anteil von Tuberkulose unter den Todesfällen (von 163 im Jahre 1995 auf 208 im Jahre 1998 pro 1.000 Todesfälle, auf nationaler Ebene). In Cajamarca ist dagegen eine drastische Verringerung (von 302 auf 196 im angegebenen Zeitraum laut Statistik der Klinik von Cajamarca) der Fälle von Tuberkulose zu registrieren, was aber darauf zurückzuführen ist, dass von 1995 bis 1998 in Cajamarca das Programm „Ein Glas Milch für alle Kinder“ seinen Höhepunkt erlebte, inzwischen aber wieder eingestellt ist; gleichzeitig wurde seit 1995 die Registrierung der Fälle von Tuberkulose allein auf die von der Klinik von Cajamarca gemeldeten Fälle beschränkt. In Cajamarca waren 1996 264.951 Personen direkt und indirekt (die ganze Familie mit eingeschlossen) registriert, die nach den strengen Kriterien für die Zuteilung der Milchrationen, zum Empfang berechtigt waren, 1992 waren es 198.318 Personen. Was auf den ersten Blick auf einen Erfolg schließen lässt (größere Bereitschaft der regionalen und nationalen Behörden zur Hilfe, Rückgang der Tuberkulose) zeigt bei einem genaueren Hinsehen, dass in Wirklichkeit die Zahl der Personen, die auf diese Hilfe angewiesen ist, gestiegen ist und gleichzeitig vor allem in abgelegenen Gebieten die Fälle von Tuberkulose und anderen Krankheiten gar nicht mehr registriert und erst recht nicht betreut werden (zumindest was das Departement Cajamarca angeht).

Bei stetig steigender Bevölkerung, die aber auf dem Land nicht mehr signifikant ist, weil sie durch Landflucht weitgehend ausgeglichen wird, ist die landwirtschaftliche Produktion 1998 in Cajamarca auf einen Tiefstand, bezogen auf den Anteil am Bruttosozialprodukt, gefallen (seit in den vierziger Jahren entsprechende Statistiken geführt werden). Allein die Milchproduktion erzielte ein signifikantes Wachstum von 56,2% von 1992 bis 1998 (158.000 Tonnen). Dies ist zuerst neuen Methoden der Milchverarbeitung und dem verbesserten Einsammeln von Milch (neue Straßen) seitens Incalac - Nestlé - zu verdanken. Seit 1996 gibt es zudem zwei kleinere Betriebe, die Milchprodukte verarbeiten und auch auf dem regionalen Markt anbieten.

Außer dem Anbau von Kartoffel, Mais, Getreide und anderen traditionellen Produkten, ist auch der Tierbestand in den neunziger Jahren erheblich gesunken - außer bei Milchkühen, die hauptsächlich auf den gut bewässerten Weiden größerer Landgüter anzutreffen sind. So ist der Bestand von Schweinen von 322.000 auf 225.000 Tiere gefallen, bei Schafen, Hühnern, Ziegen, Meerschweinchen etc. ist die Relation ähnlich. Das Angebot an Rindfleisch ist - trotz der Zunahme der Milchkühe - von 7.224 Tonnen im Jahre 1995 auf 4.376 Tonnen im Jahre 1998 gefallen. Wenn man berücksichtigt, dass es vor allem die Kleinbauern sind, die den Markt von Cajamarca mit Vieh beliefern (die Großbauern bringen ihren Tierbestand zum Verkauf direkt an die Küste, wo sie erheblich höhere Preise erzielen), dann ergibt sich auch aus diesen Zahlen, dass die Campesinos in den letzten Jahren noch ärmer geworden sind bzw. dass sie in Notzeiten weniger Reserven haben, auf die sie zurückgreifen können. Denn für sie stellt der Besitz einer Kuh (oder Kalb, Ochse, Stier) eine Art von Sparkasse für Notzeiten dar.

Mit anderen Worten: die Landwirtschaft der Region kann seinen Bewohnern immer weniger Nahrungsmittel zur Verfügung stellen. Immer mehr Nahrungsmittel müssen eingeführt werden und selbst der einzige Wachstumsbereich in der Landwirtschaft, die Milchwirtschaft, führt letztlich nur dazu, dass immer mehr Kinder auf Milchpulver aus den USA und der EU angewiesen sind. Denn die erhöhte Milchproduktion führt nicht dazu, dass die armen Kinder in den Genuss der frischen Milch kommen, sondern sie führt zu einer immer höheren Abhängigkeit der Kleinbauern von Nestlé bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Produktion von Grundnahrungsmitteln für den Eigenbedarf.
Die Minengesellschaft hat in den Anfangsjahren in der Tat neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Höchstzahl wurde im Jahr 1995 mit 4.500 Arbeitsplätzen erreicht, nicht mitgerechnet die nicht exakt ermittelbaren „indirekten“ Arbeitsplätze (z.B. Hausangestellte für Ingenieure etc.). Die Zahl der festen Arbeitsplätze (mit Arbeitsvertrag, Versicherungen) betrug 440, die nahezu ausschließlich an auswärtige Spezialisten vergeben wurden, an Ingenieure und Bergbauspezialisten aus Zentralperu (weitere Angaben siehe oben).

Durch die Aussichten auf Arbeit in der Mine sind aber, gestützt durch Befragungen von Campesinos und Arbeit Suchenden aus den Küstenregionen, nach Schätzungen der Universität Cajamarca etwa 5.000 Menschen allein wegen der Mine nach Cajamarca gekommen, die nun zu über 90% in den rapide wachsenden Elendsvierteln um Cajamarca herum leben. Dies führt u.a. zu einem Anstieg der Kriminalität. Der Druck auf den Wohnungsmarkt führt zu einem Anstieg der Mieten und der Preise für Baugrundstücke. So haben sich die Mietpreise zwischen 1994 und 1997 um über 300% erhöht. In Cajamarca liegen 1999 die Mietpreise für bestausgestattete Wohnungen bei etwa 7 - 8 Dollar pro m2, mehr als für eine vergleichbare Wohnung in Miraflores, einem Wohlstandsviertel in Lima. Selbst die Hotelpreise liegen um das Doppelte über den Hotelpreisen in der Touristikmetropole Cusco. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Nachtbars in Cajamarca vervierfacht, wobei sich mindestens zwölf neue „Nachtbars“ dem Geschäft mit Sex und der Ausbeutung der Frau widmen.

Über die Veränderung in der sozialen Hierarchie in Cajamarca liegen keine exakten Daten vor, doch ist zu beobachten, dass die vierhundert fest angestellten und meist zugezogenen Beschäftigten der Mine, teils mit ihrer Familie, nun die Spitze der Einkommenshierarchie bilden und die bisherigen alteingesessenen Familien von der Spitze verdrängen, was bei letzteren wiederum zu einer erheblichen Verunsicherung beiträgt (obwohl sie oft großen Nutzen von Vermietung, Verkauf etc. erzielen). Die Beschäftigten der Mine spielen inzwischen eine große Rolle in den traditionellen Gruppierungen der Stadt, wie z.B. im Komitee für den Fasching (Cajamarca ist die „Hauptstadt des peruanischen Karnevals“), den Elternvertretungen der Privatschulen, anderen Festkomitees und auch bereits in Gremien der Stadtverwaltung.

Fazit

Die genannten Zahlen zur sozialen Verelendung und sozialen Veränderungen sind im Lichte der Tätigkeit der Goldminen zu sehen. Wenn man alle Zahlen berücksichtigt und in Beziehung setzt, muss man zu dem Schluss kommen, dass das steile Anwachsen des Bruttosozialproduktes in den letzten Jahren nicht zu einem menschenwürdigeren Leben der Mehrheit der Bevölkerung geführt hat, im Gegenteil!
Die Versprechungen der Mine haben sich für die große Masse der Menschen nicht erfüllt. Zusammenfassend einige wichtige Daten für den Zeitraum 1993 - 1997 in Cajamarca:

  1. Die Armut in Cajamarca (wie in Peru gesamt) hat ein „indianisches Gesicht“ (speziell von Frauen und Kindern).
  2. Die Kindersterblichkeit in Cajamarca (65 pro 1.000) liegt um das Fünffache über dem nationalen Durchschnitt.
  3. In Cajamarca leben 51,7% der Bevölkerung (1996) in absoluter Armut. Dies ist die höchste Zahl in Peru (neuere Daten Ende 1999 verstärken diesen Trend).
  4. Die Produktion von Grundnahrungsmitteln hat sich (in absoluten Zahlen, noch mehr aber pro Kopf der Bevölkerung) verringert. Auch die Produktion von Fleisch (und auch der Verbrauch) hat sich verringert.
  5. Nach Aussagen von Wirtschaftsexperten ist die Mine der große Gewinner der „Revolution von Fujimori“ (der Entfesselung des Marktes). Die Masse der Bevölkerung ist die große Verliererin der „neoliberalen Revolution“.
  6. Das Wachstum, gemessen mit makroökonomischen Daten im Rahmen der Weltwirtschaft, führt nicht zu einer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu Gunsten der Gesamtbevölkerung, sondern trägt zu deren weiteren Verarmung bei.
  7. Die Anwesenheit der Mine hat die Ungleichheit in der Bevölkerung vergrößert. Sie provoziert noch mehr soziale und moralische Verwerfungen und destabilisiert das Gesamtgefüge der Stadt und deren Umgebung. 

Intern sind den Betreibern der Mine die wirtschaftlichen Auswirkungen bekannt, denn sie wissen ja, wie Wirtschaft funktioniert. Nach außen hin wird aber das Gegenteil propagiert. In einer internen Studie; „Cajamarca Competitiva“, erstellt 1998 im Auftrag der Mine, ist auf Seite 220 im Bezug auf die Mine Yanacocha folgendes zu lesen: „Es ist bekannt, dass von allen Wirtschaftszweigen der Bergbau (Mine) zwar die mit Abstand höchste Produktivität hat, dieser aber für den Bereich der Beschäftigung wegen seiner hohen Technologisierung kaum Bedeutung hat (1% der Beschäftigten der Region). Die hohe Produktivität hat auch deswegen keine signifikative Auswirkung auf die Einkommen und den Lebensstandart der Bevölkerung. Mag das Wachstum in diesem Sektor auch noch so stark ausfallen, wenn nicht auch gleichzeitig die übrige Wirtschaft wächst, werden sich die Gewinne der Mine nicht positiv auf die Region auswirken“. 


III. Widerstand und Perspektiven
 
Während zu Beginn des Goldabbaus noch davon die Rede war, dass die Mine Yanacocha insgesamt (einschließlich Vorbereitung und Abzug) etwa zwölf Jahre in Cajamarca tätig sein (prognostiziertes Abbauende 2005) und es sich nur um ein einziges Abbaugebiet handeln würde, so weiß man heute, dass die Goldreserven so groß sind, dass noch mindestens zwanzig weitere Jahre lang Gold gewonnen werden kann. Und es gibt diese Reserven nicht nur dort, wo mit dem Abbau begonnen wurde, sondern inzwischen gibt es bereits zehn weitere Zentren zwischen Cajamarca und Bambamarca. Allein der Ertrag der Mine La Quinua, wo gegen Ende des Jahres 2000 mit dem Goldabbau begonnen werden soll, wird auf 4 Millionen Unzen Gold geschätzt (120.000 kg, etwa 2.400.000.000 DM); der 30% Anteil an Silber ist nicht mitgerechnet. Für La Quinua als neues Zentrum der Verarbeitung werden für das Jahr 2000 etwa 60 Millionen Dollar investiert werden müssen, die im Jahr 2001 bereits wieder amortisiert sein werden. Die neu erschlossenen Reserven garantieren Yanacocha S.A für weitere 15 - 20 Jahre eine durchschnittliche Fördermenge von mindestens 1,5 Millionen Unzen im Jahr. Selbst bei etwas angestiegenen Produktionskosten (120 - 150 Dollar pro Unze) wird die Mine immer noch die rentabelste der Welt sein und sie wird ihren Platz unter den zehn größten Minen der Welt leicht behaupten können. Selbst bei einem Zusammenbruch des Goldpreises weit unter 200 pro Unze würden andere große Minen eher ihre Produktion einstellen müssen als Yanacocha.
Cajamarca befindet sich demzufolge erst am Anfang eines beispiellosen Goldbooms. Die Gegend, in der die Mine Yanacocha 1993 mit ihrer Produktion begann, ist nichts anderes als die Spitze eines riesigen „Eisberges“ (Gold- und Silberberges).

In Cajamarca ist die Hoffnung noch nicht ganz geschwunden, dass die Goldvorkommen bei entsprechendem politischen Druck doch noch zu einer einmaligen Chance in der Geschichte Cajamarcas werden können. Die Mine besitzt aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht einen erheblichen politischen Einfluss. Wenn man in die Verantwortlichen der Regierung auch kein so großes Vertrauen hat, so hofft man in der Bürgerbewegung „Ecovida“, dass wenigstens die Verantwortlichen der Mine sich ihrer Verantwortung bewusst werden und sie erkennen, dass ein gutes soziales Klima und ein ökologisch gestalteter Goldabbau letztlich auch der Mine selbst zugute kommen würde. In diesem Sinne, so die Bürgerbewegung, hofft man die Miene zu Verhandlungen und Entgegenkommen bewegen zu können. 
 
1. Die Stadt erwacht

Bereits Ende 1998 erscheinen in lokalen und nationalen Zeitungen und Zeitschriften zunehmend kritische Berichte über die Mine. So ist z.B. in der Zeitschrift „Tierra y Pueblo“ im Dezember 1998 zu lesen: „Cajamarca war einmal eine schöne Stadt. Heute herrscht die Prostitution in Cajamarca, am helllichten Tag und auf der ‚Plaza de Armas’ zu beobachten. Die einzigen Geschäfte, die durch die Anwesenheit der Mine blühen, sind Kantinen, Bars und Orte, wo Mädchen ihren Körper verkaufen. Die Menschen von Cajamarca, sei es der Stadt oder die Campesinos, finden keine Arbeit in der Mine. Sie verpflichten höchstens vermittels von Subunternehmern einzelne Tagelöhner, denen sie nicht einmal die ihnen zustehenden Mindestlöhne bezahlen“. Ähnliche Berichte, auch in der größten lokalen Tageszeitung „El Panorama“, häufen sich im Jahre 1999. Die Berichte in den Medien über die Mine werden zunehmend kritischer, wohl auch, weil die Bevölkerung mehr Informationen über die Mine verlangt.

Am 11. 11. 1999 kam es in Cajamarca zur ersten massiven Demonstration gegen die Mine. Die Universität Cajamarca (Professoren und Studenten) übernahm die Vorbereitung und die Organisation der Demonstration. Über dreißig Organisationen beteiligten sich an der Demonstration, darunter Lehrer und Studenten der Pädagogischen Hochschule, einige staatliche Schulen (keine Privatschulen), Vertreter der Rondas Campesinas, Gewerkschaften, Abordnungen der verschiedenen Stadtteile und politische Parteien aller Couleur. Die Hauptforderung war, den Berg Quilish für „unantastbar“ zu erklären. Nach den der Allgemeinheit erst kürzlich bekannt gewordenen (aber von vorneherein beabsichtigten) Plänen der Minengesellschaft soll nun auch in dem Sektor Gold gefördert werden wird, der in bedrohlicher Nähe der Stadt liegt. Die Aktivitäten der Mine rücken nun auch im buchstäblichen Sinn ins „Blickfeld“ der Städter. Verschärft wird die Situation aber dadurch, dass in dem Sektor Quilish 70% der Trinkwasservorräte für Cajamarca „gespeichert“ sind. Der betroffene Berg Quilish wirkt geologisch gesehen wie ein Schwamm, der den größten Teil des auf Cajamarca zufließenden Wassers speichert. Auch die Anlage zur Trinkwasserzubereitung liegt in diesem Sektor. Das Wasserspeicherbecken ist auch für tausende Campesinos in unmittelbarer Nähe der Stadt lebensnotwendig.

Der Demonstrationszug führte erst am bischöflichen Palais vorbei, das verschlossen war und in dem sich niemand sehen ließ. Die Proteste der Demonstranten richteten sich gegen den Bischof und seine Kirche von Cajamarca. Hauptziel der Demonstranten war aber die Präfektur als Vertretung der Regierung. Man forderte die Regierung auf, den Berg Quilish unter Naturschutz zu stellen. Daneben wurde die schon lange vorgebrachte Forderung erneuert, endlich auch der Region den ihr laut Gesetz (Canon Minero) zustehenden Anteil der Steuern endlich zukommen zu lassen, was bisher nicht geschah. Noch nicht einmal der Betrag ist bekannt, der Cajamarca eigentlich zustehen würde. Ein Brief mit der Bitte um Weitergabe an die Parlamentspräsidentin und alle im Parlament vertretenen Parteien (Bewegungen) wurde überreicht. Danach zog man weiter zum Sitz der Stadtverwaltung um ihr vorzuwerfen, sich von der Mine bezahlen zu lassen. Eine etwas radikalere Gruppe der Studenten zog danach noch vor dasjenige Hotel, in dem bevorzugt Beschäftigte der Mine untergebracht sind und skandierte: „Gringos raus!“ Von der Mine selbst forderte man zuerst einen offenen Dialog mit der Bürgerschaft, der bisher von der Mine verweigert wird. Vor allem aber forderte man unabhängige Untersuchungen, u.a. über die Qualität des Trinkwassers.

Die Gefahr, dass durch den von der Mine geplanten Goldabbau im „Wasserschutzgebiet“ das Trinkwasser für Cajamarca eines Tages versiegen wird, wird von den Bürgern Cajamarcas inzwischen als die größte Gefahr angesehen. In dieser Einschätzung werden sie von Experten unterstützt, die auf die langfristigen Folgen hinweisen, die entstehen, wenn der gesamte Wasserhaushalt und Wasservorrat der Region von den Tätigkeiten der Mine tangiert werden. Selbst bei vorsichtigstem Vorgehen seitens der Mine ist es - bedingt durch die von Yanacocha bevorzugte Abbaumethode - nicht zu verhindern, dass die „Lebensadern“ (wasserführende und wasserspeichernde Schichten) zerstört oder zumindest zerschnitten werden.

Inzwischen liegen erste Daten (u.a. vom Gesundheitsministerium) vor, nach denen im Trinkwasser Schwermetalle weit über den zulässigen Grenzwerten enthalten sind, besonders Quecksilber (siehe unten). Bisher gab es diesbezüglich die „wildesten“ Gerüchte und immer wieder gleichlautend beschwörende Versicherungen der Mine, dass alles in Ordnung sei, denen man bisher gern vertraute, so dass die Mehrheit der Bevölkerung über die schleichende Vergiftung nicht sonderlich beunruhigt war. Nun aber wird auch diese Gefahr wesentlich ernster genommen, nicht zuletzt auch wegen erstmals vorliegender, aber noch nicht repräsentativer Messungen seitens unverdächtiger Stellen. So besteht im Bewusstsein der Bürger die zweite Gefahr, dass das Trinkwasser für Cajamarca nicht nur immer knapper wird, sondern dass es auch immer mehr vergiftet wird. In einer öffentlichen Erklärung der Minengesellschaft wurde daraufhin die Bevölkerung von Cajamarca u.a. mit dem Hinweis beruhigt, dass selbst wenn es zu Verschmutzungen des Trinkwassers - was ja unwahrscheinlich sei - kommen sollte, sich die Bevölkerung von Cajamarca keine Sorge machen müsste, weil dann das verseuchte und mit Schwermetallen belastete Wasser Richtung Bambamarca abgeleitet werden würde. (Um Bambamarca herum leben aber über 100.000 Menschen, meist Campesinos! Zudem wäre ein solche Umleitung technisch absurd.)

Auch die dritte Bedrohung für die Stadt wird wieder neu diskutiert. Es geht um die Existenz des Beckens, in dem mit Hilfe von Zyanid das Gold gewonnen wird. Während von der Mine dieses Verfahren als absolut sicher hingestellt wird, mehrten sich in letzter Zeit die „eigentlich unwahrscheinlichen“ Unglücksfälle, in denen dennoch Zyanid in den Wasserkreislauf gelangte. Da zudem ein neues Becken für den Abbau in La Quinua geplant ist, das noch näher an der Stadt liegt, rückt auch diese Bedrohung wieder mehr in den Vordergrund.

Zwei Tage vor dieser Demonstration besuchte der deutsche Botschafter in Peru, Herbert Beyer, Cajamarca und sagte im lokalen Fernsehen: „Ich bin auf Einladung meines Freundes Roque Benavides gekommen. ... Ich habe lange mit den Leuten der Mine Yanacocha gesprochen und ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Mine mit großer Sorgfalt arbeitet und dass keine Verschmutzung des Wassers und keine Gefahr für die Umwelt vorliegt. Entsprechende Gerüchte entbehren jeder Grundlage und sind politisch motivierte Stimmungsmache“. Diese Erklärung, die auch von den Zeitungen Cajamarcas veröffentlicht wurde, löste große Verärgerung aus. Roque Benavides ist übrigens der Großaktionär des peruanischen Anteils der Mine, Buenaventura S.A.

Vom 16.- 18. 11 fand an der Universität Cajamarca ein vielbeachtetes Seminar statt, das von der neu entstandenen Bürgerbewegung („Ecovida“) zur Verteidigung der Umwelt organisiert wurde. Auf dem Seminar wurden von Ärzten die Zusammenhänge zwischen der Einnahme von mit Schwermetallen verseuchtem Wasser und bestimmtem Krankheiten aufgezeigt; Fachleute aus anderen Bergbauregionen berichteten über dort entstanden Umweltschäden und generell über die „Politik der Minen“; Naturwissenschaftler berichteten über den Stand der Arbeiten in der Mine, über den Grad der Verseuchung (anhand „privat“ gemachter Messungen) und über die möglichen Folgeschäden für Mensch und Umwelt; Sozialwissenschaftler beschäftigten sich mit dem sozialen Wandel, wie er von der Mine verursacht wird und den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Region.

Zum abschließenden Podiumsgespräch sagten die Vertreter der Mine in letzter Minute ab. Von den zahlreichen ausländischen NRO war nur eine holländische Organisation anwesend. Gegen den Willen des Bischofs waren auf dem Seminar als Mitorganisatoren die Priester Marco Arana (als Referent und ehemaliger Pfarrer von Porcón und aktueller Pfarrer der Universität) und Francisco Centurión (Stellvertreter von Marco Arana als Studentenpfarrer, Diözesanbeauftragter für die Jugend und Pfarrer von Guadalupe - siehe auch den Artikel über die Partnerschaft St. Georg) vertreten. Zeitgleich zum Seminar erschienen in dem von der Mine finanzierten Wochenblatt „Noticias de la Semana“ übelste Verleumdungen gegen die Initiatoren des Seminars, von denen die Falschmeldung, dass Marco Arana ein Expriester und Abtrünniger sei, noch die harmloseste Variante darstellt.

Vom 12. - 14. November 1999 fand in San Miguel der 6. Kongress aller Rondas des Departements Cajamarca statt. Themenschwerpunkt des Kongresses waren die Bedrohungen durch die Mine. Aus der Einladung: „Die Rückständigkeit und die Armut, in der wir leben, die Unterbeschäftigung und das herrschende Elend, existieren nicht, weil es der Wille Gottes wäre, sondern resultieren aus der Politik der Herrschenden, wie des Herrn Fujimori. Diese Politik besteht darin, dass die Räuber weiterhin auf Raubzug gehen, weiterhin töten und sich selbst mästen, indem sie die Reichtümer des Vaterlandes verkaufen. Sie wollen immer nur an der Macht bleiben, sie erzählen uns das Märchen von der Modernität und wollen doch nur ihre Gewinne machen. So wollen in einigen Provinzen unseres Departements einige Minengesellschaften Gold, Silber, Kupfer usw. ausbeuten. Sie bringen uns schwere Umweltschäden, Vergiftungen der Flüsse und was noch schwerer wiegt: sie bringen unser aller Leben in Gefahr“.

Dieser Kongress wurde „naturgemäß“ von der Stadt kaum wahrgenommen, obwohl er in seinen Auswirkungen auf andere Regionen in ganz Peru, aus denen Beobachter eingeladen waren, eine nationale Bedeutung hat. Im Unterscheid aber zu den vorhergehenden Jahren berichteten zwei Lokalzeitungen über den Kongress und die Mitglieder der Bürgerbewegung suchen verstärkt den Kontakt zu den organisierten Campesinos. Die gemeinsame Bedrohung lässt Stadt und Land näher zusammenrücken. 
 
2. Neuere Messungen zur Umweltverschmutzung

Bereits 1998 musste das Unternehmen (Sedacaj), das für die Wasserzubereitung der Stadt Cajamarca verantwortlich ist, eine neue und sehr teure Anlage zur besseren Wasserzubereitung aus Italien kaufen. Und es musste im gleichen Jahr eine viermal höhere Summe ausgeben, um den Säuregehalt des Wassers auf einem dem Menschen gerade noch erträglichen Niveau zu halten. Von diesem Unternehmen beauftragte Untersuchungen, durchgeführt von Experten der Kath. Universität Lima, ergaben einen Bleigehalt im Trinkwasser, der um 260% über dem gesetzlichen Limit liegt. Ebenso wurden erhöhte Werte von Mangan, Aluminium und Quecksilber festgestellt. Von der Stadtverwaltung wurden diese Ergebnisse, die nicht veröffentlicht wurden, als interne Probleme innerhalb der städtischen Wasserversorgung bzw. der dafür beauftragten Unternehmen abgetan und es wurde nichts unternommen. Daraufhin wandten sich Wissenschaftler (Biologen) der Universität Cajamarca am 9. 12. 1998 an den Minister für Energie und Bergbau:

„Die Analyse des Wassers, veranlasst von Sedacaj am 22. 9. 98, ist alarmierend und sie zeigt, was in Cajamarca in einer nicht allzu fernen Zukunft geschehen wird. Wenn dies schon jetzt passiert, wo die Mine versichert, dass alle bisherigen Arbeiten in Sektoren realisiert wurden, deren Wasserläufe nicht nach Cajamarca führen, was soll dann erst geschehen, wenn die Arbeiten in la Quinua beginnen? Denn La Quinua ist der Wasserspeicher von Cajamarca, alle seine Wasserquellen dienen als Trinkwasser für Cajamarca. Falls mit dem Projekt La Quinua begonnen wird, ist die Verseuchung des Trinkwassers nicht nur eine Möglichkeit, sondern sie wird Gewissheit“. Die Mine nahm insofern dazu Stellung, dass sie die vorliegenden Messungen nicht als offizielle Messungen anerkannte (nur eigene Messungen zählen), weil diese Messungen auch nicht vom Staat anerkannt sind. In einer späteren Stellungnahme wird von der Mine vorgebracht (und sie widerspricht sich damit selbst), dass das erste Becken von Yanacocha deswegen so weit von der Stadt entfernt errichtet wurde, damit das Trinkwasser der Stadt nicht gefährdet wird. Bis Anfang des Jahres 1999 wird offiziell geleugnet, dass in La Quinua ein neuer Schwerpunkt der Goldförderung errichtet wird.

Ein Campesino, dessen Vieh kein Wasser mehr trinken wollte, wandte sich ebenfalls im Herbst 1998 besorgt an die Universität. Er brachte Wasser mit, das er dort geschöpft hatte, wo sein Vieh zur Tränke geht, unmittelbar bevor das Wasser in das Wasserrückhaltebecken der Trinkwasserversorgung einfließt. Untersuchungen der Universität ergaben folgende Werte: Der Chromgehalt ist 7.500 mal höher als der gesetzliche Grenzwert, Mangan: 3.500 mal höher, Zyanid 70 mal höher und Eisen 17.700 mal höher. Die hohen Werte stammen auch daher, weil in Verbindung mit Sauerstoff und ausgewaschenem, metallhaltigem Felsgestein das Wasser chemische Reaktionen eingeht, die u.a. zu einem derartigen Säuregehalt des Wassers führen, dass es ungenießbar wird. Außerdem stellt die Universität fest, dass es unvermeidlich ist, dass Zyanid freigesetzt wird bzw. dass die Schutzfolie (Membrane) aus Plastik, mit der das Becken ausgekleidet ist, eine Abdichtung zu 100% nicht für alle Zeiten garantieren kann. An allen Orten, wo mit diesem Verfahren gearbeitet wurde, kam es zu erheblichen Vergiftungen mit Zyanid in der Umgebung. Hinzu kommt noch, dass bisher keine Erfahrungen vorliegen, wie das in dem Becken abgelagerte Zyanid bzw. wie die Membrane selbst über Jahrzehnte hinweg gesichert werden können.

In Goldminen in den US-Staaten Montana, Nevada, Utah, Süd-Dakota, Süd-Carolina und Colorado, in denen mit dem gleichen Verfahren Gold abgebaut wurde, wurde eine verwüstete Umwelt hinterlassen - mit dem Unterschied, dass dort in unmittelbarer Nähe keine Menschen wohnten und dass dennoch die Minengesellschaft ihre Arbeiten einstellen musste, weil das vergiftetes Wasser in Flüsse gelangte, die durch bewohnte Gebiete flossen. Die Wissenschaftler: „Was in einem industrialisierten Land schon längst verboten worden wäre, kann offensichtlich in einem armen Land bedenkenlos praktiziert werden“. Der Hauptanteilseigner Newmont Mining aus den USA, hat in den USA in Goldminen und Uranminen eine derart verschmutzte Umwelt hinterlassen, dass er zu 40 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt wurde. Daraufhin wurde die Produktion eingestellt, weil noch höhere Schadensersatzforderungen drohten.

In einem anderen Fall in Nevada wurde Newmont Mining dazu verurteilt, 27 Millionen Dollar zur Wasserreinhaltung bereit zu stellen und 49 Millionen Dollar für die Aufrechterhaltung entsprechender Standarts. Erst dann wurde eine Genehmigung erteilt. Mit anderen Worten: der Goldabbau in den USA (und anderen „zivilisierten“ Ländern) wird dadurch nicht mehr so rentabel, während er in Peru am rentabelsten ist - aus verständlichen Gründen. In Cajamarca kam es in kleineren Minen schon zu unkontrollierter Freisetzung von Zyanid. So geschehen u.a. in der Minera Sipán im Jahre 1997, wo in einem Umkreis von 20 km alle Fische und jedes weitere Leben im Wasser getötet wurden und über Jahre hinweg kein Leben möglich sein wird. Trinkwasser für Menschen war davon nicht betroffen, im Falle La Quinua hängen aber über 100.000 Menschen von dem Wasser ab, das aus den Sektoren stammt, in denen die Mine tätig ist.

Inzwischen liegen weitere Messungen vor, so von der regionalen Gesundheitsbehörde, die auf Drängen des Krankenhauses von Cajamarca durchgeführt wurden. Auch diese Untersuchungen führten zum Ergebnis, dass erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Menschen bestehen, wenn auch die Werte (aus dem Leitungswasser entnommen) nicht so krass ausfielen, wie bei dem Wasser, das direkt auf dem Land entnommen wurde. Selbst das Gesundheitsministerium sieht sich im Januar 1999 gezwungen, die Bevölkerung von Cajamarca um Verständnis dafür zu bitten, dass Sedacaj umfangreiche „Sanierungsmaßnahmen“ durchführen muss, weil die Qualität des Trinkwassers nicht mehr gewährleistet ist. Dabei geht es allerdings nur um Schadensbegrenzung, ohne die Verursacher zu nennen oder gar zur Verantwortung zu ziehen. Die Gesundheitsbehörde gibt der Bevölkerung in öffentlichen Aufrufen vielmehr Ratschläge, wie mögliche Vergiftungen zu behandeln sind. Nachdem die Verunsicherung in der Bevölkerung immer größer wird, sieht sich die Stadtverwaltung veranlasst, eigene Untersuchungen in Auftrag zu geben. In einem öffentlichen Kommuniqué wird am 27. Oktober 1999 der Bevölkerung bekannt gegeben, dass kein Anlass zur Beunruhigung besteht. Die Werte befinden sich alle im Rahmen des gesetzlich Erlaubten, außer bei Aluminium. „Die Stadtverwaltung wird alle notwendigen Maßnahmen veranlassen, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.“ 
 
Fazit

Die zunehmende Verunsicherung der Bevölkerung von Cajamarca hat nicht nur seine Berechtigung, sondern bisher vorliegende Untersuchungen bestätigen, dass die Gesundheit der gesamten Bevölkerung aufgrund der von der Mine verursachten Verunreinigung des Trinkwassers zunehmend gefährdet ist. Städtische Behörden nehmen diese Ängste und noch nicht einmal die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Kenntnis. Genau wie die Mine veranlasst sie eigene Untersuchungen, deren Ergebnisse dann „kein Anlass zur Sorge geben“. Auch staatliche Behörden stellen sich blind und taub. Auf das erwähnte Schreiben der Universität wird noch nicht einmal geantwortet. Dringender Wunsch der Bürgerinitiativen ist es, dass international renommierte Organisationen unabhängige Untersuchungen vornehmen, die Bevölkerung objektiv informieren und dass es auf der Basis dieser Untersuchungen zu einem Dialog mit der Mine und den städtischen Behörden kommt. Denn auch die Bürgerbewegung weiß: der Goldabbau lässt sich nicht mehr verhindern. Es geht nun um den größtmöglichen Schutz der Bevölkerung. 

3. Perspektiven

a) Das Verhalten der Mine

Wie ein Vertreter der Mine in einem Gespräch mit einer Delegation deutscher Partnergemeinden 1998 eingestand, haben die Verantwortlichen der Mine nicht damit gerechnet, dass sich eines Tages ein Widerstand gegen die Mine organisieren würde. In den Anfangsjahren hatte sich alles gut angelassen. Potentielle Bedenkenträger gegen die Mine wurden in jenen Jahren nach Nevada in die USA eingeladen, wo sie überzeugt werden konnten, dass die Arbeit der Mine für die Entwicklung des gesamten Departements von großer Bedeutung sein wird. Unter den Eingeladenen befanden sich der damalige Bürgermeister Luís Guerrero und der Dekan der Universität und damalige „Ökopapst“ von Cajamarca, Pablo Sánchez, der bereits in den siebziger Jahren mit umfangreichen Aufforstungen um Cajamarca herum begonnen hatte, ebenso Emilio Cacho, ein bekannter Ökologe. Doch nun machte man sich Sorgen um das bis dahin gute Image der Mine in der Bevölkerung, da die Mine seit einiger Zeit für alle Missstände in Cajamarca verantwortlich gemacht werde (Drogen, Kriminalität, Prostitution etc.).

Auch in der Zentrale in den USA machte man sich zunehmend Sorgen um die Akzeptanz der Mine. Hintergrund dieser zunehmenden Sorge waren neben den lokalen Vorgängen in Cajamarca u.a. die politischen Vorgänge in Venezuela, wo ein „linkspopulistischer“ Präsident gewählt wurde, der mit „antiimperialistischen“ Parolen den Wahlkampf bestritten hatte und um die in Zweifel stehende und möglicherweise nicht mit der Verfassung konforme dritte Amtszeit des peruanischen Präsidenten Fujimori. Zwar gab es schon in den Anfangsjahren einige mit großem Werbeaufwand betriebene Sozialprogramme seitens der Mine, aber erst in den Jahren seit 1997 kam es zu einigen groß angelegten Sozialprogrammen (dazu später mehr), die sich in einer Größenordnung ab 10.000 Dollar bewegen.

Über die „Geschenke“ der Mine schreiben die Campesinos von Porcón in dem schon zitierten Protest im Jahre 1993: „Yanacocha sagt, dass es ein Sozialprogramm hat, aber dies besteht darin, uns einige Wellbleche für unsere Dächer, Plastikstiefel und Ponchos aus Plastik und einige Hefte für unsere Schulen zu schenken. Sie kommen und filmen uns, verschenken einige Mützen und fotografieren uns und zeigen dies in der Stadt als Beweis dafür, dass sie uns unterstützen. Diese Geschenke erinnern uns an die Spiegel, die uns die Spanier vor 500 Jahren schenkten“.

Als 1995 mit großem Aufwand und mit Unterstützung der GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, Deutschland) in Cajamarca ein Büro errichtet wurde, das die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der Region stärken sollte (vergleichbar mit einer IHK, Industrie- und Handelskammer, in Deutschland), stiftete die Mine einen PC mit Drucker für diese neugeschaffene Institution, die INDECOPI. Dies war den Zeitungen in Cajamarca noch eine großaufgemachte Meldung wert. Ab 1999 ist dann von größeren Projekten die Rede.

1. Das Abkommen zwischen dem Bürgermeister von La Encañada und der Mine Yanacocha:

Seit die Mine ihre Tätigkeiten weit über das ursprünglich erste Zentrum in Porcón ausgedehnt hat, ist der Distrikt La Encañada der am meisten betroffene Distrikt. Auf dem Distrikt La Encañada befinden sich inzwischen 61,7% aller Minenarbeiten im Departement und es sind demnach die Bodenschätze in La Encañada, die Peru zum größten Goldproduzenten des Kontinents gemacht haben. Seit 1996, dem Beginn der Arbeiten in La Encañada, bis Sommer 1999, hat die Mine dem Distrikt und der Stadt La Encañada nichts bezahlt bzw. der Staat Peru hat dem Distrikt keine Steuergelder überwiesen. Laut dem Canon Minero würden La Encañada 3,2 Millionen Dollar jährlich zustehen. Es ist in Cajamarca unklar (weil öffentlich nichts bekannt gegeben wird), ob die Mine überhaupt Steuern bezahlt bzw. welche Art von Abkommen mit dem peruanischen Staat vereinbart wurde.

In dem Abkommen vom Juli 1999 sagt die Mine dem Bürgermeister zu, dass sie 50.000 Dollar für die Erneuerung von Straßen und Bürgersteigen in La Encañada (Stadt) investieren wird. Ebenso wird dem Bürgermeister zugesichert, dass die Mine schweres Gerät für den Ausbau der Straßen kostenlos zur Verfügung stellen wird. Der Bürgermeister: „Wir halten es für eine moralische Pflicht der Mine, dass sie beim Aufbau des Distriktes einen Beitrag leistet. Denn sie verdankt ihren Reichtum unserem Boden“. Die Mine selbst wertet und „verkauft“ ihren Beitrag folgerichtig als „freiwillige Spende zum Wohle aller Bürger“. Weiter wird in dem Abkommen (unabhängig von der Mine) vom Bürgermeister ein Kredit der Weltbank für den Distrikt in Aussicht gestellt, der annähernd 30 Millionen Dollar betragen soll und der für die Aufforstung von 3.000 ha bestimmt ist. Mehrere persönliche Nachfragen (weil eine so unglaubliche Summe) haben ergeben, dass tatsächlich dieser Betrag in Aussicht gestellt wurde, ohne dass jemand genau sagen konnte, wie dies alles im Einzelnen geschehen soll. Auf jeden Fall wird bereits damit begonnen, eine Anzahl von Büros einzurichten und sonstige Vorbereitungen zu treffen. Da mit dem Projekt erst begonnen werden soll, kann an dieser Stelle natürlich noch nichts über den Erfolg des Projekts gesagt werden.

2. Das Abkommen der Mine mit der Katholischen Kirche (Bischof) von Cajamarca

Dieses Abkommen steht im Zusammenhang mit dem in Teil I,2 geschilderten Verhalten der Mine mit Campesinos von Porcón (und später auch ähnlich geschehen in Combayo), von denen sich eine Gruppe an die „Vicaría de Solidaridad“ wandte, vermittelt durch die beiden Pfarrer von Porcón. In dem Abkommen vom September 1999 - sechs Jahre nach dem „Verkauf“ ihres Landes an die Mine - erklärt sich die Mine bereit, den betroffenen Campesinos (nur diejenigen, die sich an die Pfarrei wandten) einen Kredit (!) von 150.000 Dollar zu gewähren. Dieses Geld ist vorrangig dazu bestimmt, den Campesinos zu ermöglichen, ertragreiche Milchkühe zu kaufen und auf einem zur Verfügung gestellten Stück Land Viehwirtschaft zu betreiben. Weiterhin können damit „Medikamentenkoffer“ gekauft werden und es sollen Kurse für Campesinos abgehalten werden, um diese in der Milchwirtschaft weiterzubilden. Die Kredite werden sukzessive an die einzelnen Familien ausgezahlt. Mit den erwirtschafteten Gewinnen aus der Milchwirtschaft sollen dann die Kredite zurückbezahlt werden.

Verantwortlich für das Projekt ist die „Vicaría de Solidaridad“. Deren Leiter ist Pfarrer Efraín Castillo, der auch Pfarrer von La Encañada ist. Der Vertreter der Mine, Marcos Valdéz, übergab in Anwesenheit der Presse einen ersten Scheck an den „Kanzler der Diözese“, Padre Urrelo. Beauftragt für die Durchführung des Projektes ist CEDAS, eine Abspaltung des DAS. Für die Verteilung von zwanzig „Medikamentenkoffer“ (botiquines) wurde die Bruderschaft „Hermandad Católica Hijas de la Caridad de San Vicente de Paul“ beauftragt, eine Gruppe einflussreicher frommer Damen der Stadt (die nie aufs Land gehen). Die Medikamente werden von einer NRO (Provida) besorgt, die ebenfalls im Auftrag der Diözese arbeitet. Dazu heißt es in der Zeitung, „Medio Ambiente“: „Dieses Programm der medizinischen Betreuung ist Teil eines Hilfsprogramms der Mine, die ihre soziale Verantwortung zeigt, indem sie 29 Comunidades unterstützt“.

In der Tageszeitung „El Clarín“, Cajamarca, vom 15. 9. 99 heißt es: „In dieser neuen Etappe in den Beziehungen zwischen der Mine und einer Gruppe von Campesinos entstanden neue Kriterien in der Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Einnahmen der Campesinos zu verbessern und um ihnen einen besseren Eintritt in die moderne Welt zu verhelfen. Man darf auch nicht vergessen, dass dieses Kreditprogramm Teil eines sozialen Gesamtkonzeptes der Mine ist, die Lebensbedingungen der Campesinos zu verbessern. Die Mine Yanacocha unterstützt Programme zur Erhöhung der Agrarproduktion, zur besseren Erziehung der Landbevölkerung und einer besseren Gesundheitsversorgung. Dieses Abkommen zeigt, dass der Dialog der beste Weg zum gegenseitigen Verständnis ist. Wenn der Wille zum Dialog besteht, gibt es immer einen Weg. Die Zusammenarbeit und nicht die Suche nach Konflikten ist der Weg, um ein friedliches Zusammenleben zum Wohle aller zu ermöglichen“. Zu ergänzen ist noch, dass bei der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens auch Sofía Macher aus Lima eingeladen war, die Vertreterin der nationalen Menschenrechtskommission. Die Zeitung: „Auch Sofía Macher, die Repräsentantin der nationalen Menschenrechtskommission, die bei der feierlichen Unterzeichnung dabei war, ergriff das Wort. An sie hatte sich eine Gruppe von Campesinos, die ihr Land der Mine verkaufen wollten, mit der Bitte um Rat gewandt“. 
 
b) Die Rolle der NRO und die deutsche Beteiligung.

Die Haltung und der Standpunkt, den eine NRO in der aktuellen politischen Situation in Cajamarca einnimmt, ist von entscheidender Bedeutung. Es kann hier nicht die Rolle aller NRO in Cajamarca untersucht werden, es kann aber beispielhaft gezeigt werden, wie die Arbeit einiger NRO von der Bevölkerung, besonders von den Basisgruppen, eingeschätzt wird. Bei dieser Einschätzung spielt vor allem eine Rolle, wie sehr die Arbeit einer NRO die Basisgruppen unterstützt. Entscheidend hierfür ist wiederum, nach welchen Kriterium der Einsatz von Nahrungsmittelspenden geschieht.

1. NRO
 

Eine Meldung aus den „Informationen aus Cajamarca“, Nr. 69 vom Dezember 1998 (übernommen von dem Gemeindebrief von St. Georg, Ulm): „Nach übereinstimmenden Berichten in den peruanischen Zeitungen wurden die internationalen Hilfssendungen, die im großen Stil wegen ‚El Niño’ in Peru ankamen, von der Regierung für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert. Zuerst wurden etwa 40% der Hilfsgüter in den Monaten Februar bis Mai in der Form unter die Leute gebracht, dass nahezu ausschließlich der Präsident selbst diese eigenhändig verteilte, indem er quasi wie ein ‚deus ex maquina’ in Katastrophengebiete einschwebte und an die „zufällig“ Anwesenden die Sachen verteilte. Der größere Teil der Hilfsgüter wurde für den Kommunalwahlkampf aufgespart, konkret: die Regierungspartei, nun unter dem Namen ‚Vamos Vecino’, verscherbelte die eigentlich für die Bedürftigen vorgesehenen Hilfsgüter willkürlich an alle, die an den Wahlveranstaltungen teilnahmen. Man könnte auch sagen, dass damit Stimmen gekauft wurden. Trotzdem errangen die Kandidaten Fujimoris bei den Kommunalwahlen weniger Anteile als gedacht“.

In Cajamarca waren es einige NRO, zum Teil auch halbstaatliche Organisationen wie FONCODES und PRONAA, die diese Aufgabe übernahmen. Am Beispiel von Bambamarca lässt sich zeigen, welche weiteren Absichten eine solche Politik verfolgt: In Bambamarca gibt es die stärkste Organisation der Frauen (Campesinas) in den nördlichen Anden. Sie sind in 105 Frauengruppen organisiert, die eine gemeinsame Vertretung haben und die sich seit 1996 jedes Jahr zu einem gemeinsamen Kongress zusammenfinden. Am 18./19. August 1998 fand der 3. Kongress statt. Vor diesem Kongress wurde mit Hilfe von Radio, Lautsprechern und Besuchen in den Comunidades die Meldung verbreitet, der Kongress würde erst zwei Tage später stattfinden. Auf diese Weise erschienen nur etwa die Hälfte der erwarteten Frauendelegationen zum richtigen Termin. Vorher und auch nachher wurde immer wieder versucht, Frauengruppen mit dem Versprechen von Nahrungsmittelhilfe und medizinischer Betreuung auf die andere Seite zu ziehen bzw. die Gruppen zu spalten. Die „andere Seite“ bilden von Bischof bezahlte Personen, einheimische Lokalpolitiker der Regierungspartei und Vertreter der Mine. Aus dem Rechenschaftsbericht, den die Präsidentin aller Frauengruppen, auf dem Kongress hielt:

„Sie wollen uns nicht am Tisch haben, weil wir dreckige Indios sind und nur etwas für die Feldarbeit taugen würden. Aber wir mischen uns ein, wir machen Politik. Politik ist für uns, wenn wir unsere Rechte vortragen, wenn wir uns organisieren und Lösungen für unsere Probleme suchen. Auch wenn sie uns sagen, Politik sei Sünde und das sei nichts für fromme Katholiken. Wir werden aber weiterhin für unsere Rechte kämpfen. Sünde wäre, die Ungerechtigkeit zu ertragen. Für ein Kilo Reis dürfen wir nicht unser Gewissen verraten“ (eigener Mitschnitt).

Welches Interesse hat die Mine, sich z.B. in Bambamarca derart stark zu engagieren? Die Campesinogruppen in Bambamarca (Frauen und Männer, auch die Rondas) sind sehr gut organisiert (besser als in Porcón und Combayo). Die Mine weitet ihre Aktivitäten in Richtung Bambamarca hin aus, der Goldabbau rückt immer näher an Bambamarca heran. Ein zukünftiger Hauptstreitpunkt wird sein, wer über das Wasser in der Hochebene verfügen darf. In einem „Wasserprojekt“ wird das auf der Hochebene gespeicherte Wasser für den Bedarf an Trinkwasser und Bewässerung in 18 Comunidades bei Bambamarca geleitet. Misereor hat dieses Projekt zu einem Musterprojekt erklärt, u.a. weil Tausende Campesinos in den Jahren 1994 - 1999 mitgearbeitet haben und die Idee und Organisation des Projektes von den Betroffenen selbst entwickelt wurde. Nun aber beansprucht die Mine das Wasser für sich, denn für den Goldabbau werden riesige Mengen von Wasser verbraucht.

Es liegt im ureigenen Interesse der Mine, die Organisationen (demokratische Basisstrukturen im Staat) der Campesinos zu zerschlagen oder zumindest zu schwächen. Bereits an anderer Stelle wird gezeigt (siehe Bambamarca und im Sammelband: Anspruch und Wirklichkeit ....), dass auch der Bischof ein fundamentales Interesse hat, diese Organisationen (demokratische Basisstrukturen in der Kirche) zu schwächen, zumal in ihnen auch Katecheten eine maßgebliche Rolle spielen und sich diese Organisationen wie auch die Frauengruppen als Kirche sehen. Ausführende „Organe“ dieser Interessen sind einige NRO, darunter CEDAS (siehe Anmerkung weiter oben) sowie die Caritas von Cajamarca, die alle Gruppen mit dem Entzug von Unterstützung betraft, die weiterhin auf Mitsprache und demokratische Selbstbestimmung pochen und alle NRO, die in Zusammenarbeit (und Abhängigkeit) von der Mine deren „soziale Wohltaten“ unters Volk bringen. Die am häufigsten angewandte Methode - neben der Nahrungsmittelhilfe - ist der Kauf von Führungspersonen (Rondaführer, Präsidentin von Frauengruppen etc.). Der bisherige Höchstpreis für einen Rondaführer liegt bei 10.000 Dollar (Zeugenaussagen der Betroffenen liegen vor). Einige Wenige (auch einige Katecheten), haben diese Angebote angenommen und tragen die Spaltung in die Gruppen hinein. Diese Spaltung, aus denselben Gründen, erleidet nun das DAS (siehe Anmerkung oben). Eine Minderheit, die noch das Vertrauen der Campesinos genießt und sich in dem Wasserprojekt besonders hervorgetan hat, wird aus dem DAS ausgeschlossen.

Repräsentanten der Campesinos von Bambamarca, Porcón und Combayo (La Encañada) kommen zu dem Schluss: „Es existieren einige NRO, die Yanacocha helfen. Einige dieser NRO nennen sich sogar „ökologisch“ und behaupten, dass die Mine keine Verschmutzung des Wassers verursacht. Sie wenden ihre Nahrungsmittelprogramme und ihre Konzepte der Familienplanung unter der Oberaufsicht (Supervision) und in Koordination mit der Mine an“. (veröffentlicht in „Ambito, Lima, Nr. 19, August/September 1999). Besonders auffällig war - und dies wurde von den Teilnehmern des Seminars entsprechend kommentiert - dass auf dem erwähnten Seminar über die Mine, das vom 18. - 20. November 1999 in der Universität Cajamarca stattfand, bis auf eine Ausnahme (eine holländische NRO) keine Vertreter der NRO anwesend waren. Man fürchtete zu Recht - wie dies in einem Gespräch bestätigt wurde - dass man bei einer Teilnahme hätte damit rechnen müssen, in Zukunft von lukrativen Aufträgen der Mine ausgeschlossen zu werden. Es waren auch Vertreter der Mine zu diesem Seminar eingeladen. Zuerst stellte die Mine Bedingungen, z.B. dass bestimmte Personen nicht am abschließenden Podiumsgespräch teilnehmen durften. Als darauf nicht eingegangen werden konnte, erschien auch zum Podiumsgespräch kein Vertreter der Mine.

Fazit und offene Fragen

Wenn es um wirkliche Existenzprobleme der Ärmsten geht, lassen sich die NRO nicht sehen. Es gibt Riesenprojekte mit der Ökologie, dem Wasser usw., es gibt aber keine Stellungnahme gegen die Mine, die das alles in Gefahr bringt, wofür sich die NRO angeblich einsetzen. Einige arbeiten sogar mit der Mine zusammen, mit der Regierung (Agrarministerium) und allen lokalen Autoritäten. Das Volk (Bauern und Stadt) dagegen wird in einer existentiellen Bedrohung allein gelassen! Wem helfen also die NRO? Wo ist ihre Basisarbeit, d.h. wo arbeiten sie wirklich an der Basis, ausgehend von den Interessen der Ärmsten? Wo bleibt das Geld hängen?

Die NRO machen im alten Trott weiter, verteilen Saatgut etc. und zuletzt sind sie auch maßgeblich für die starke Zunahme von Nahrungsmittelhilfe verantwortlich. Ziel einer NRO ist eigentlich die Hilfe zur Selbsthilfe, doch es geschieht genau das Gegenteil: die Campesinos sind abhängiger als vorher. Vermehrte Nahrungsmittelhilfe zementiert Abhängigkeit. Auch die Kirche macht bestenfalls, ebenfalls wie viele NRO, die „Sozialarbeit“ der Mine. Analog zur Frage: mit wem haben die deutschen Gemeinden eigentlich eine Partnerschaft (siehe entsprechenden Artikel) muss man fragen: Wen unterstützen deutsche Basisgruppen wirklich? Dies mag bei staatlichen Stellen, GTZ etc. klar sein, weil staatliche Entwicklungspolitik ganz bestimmte Interessen verfolgt. Was aber ist z.B. mit der „Welthungerhilfe“, „Brot für die Welt“ etc, die eine große Zahl von NRO weltweit und auch in Cajamarca finanzieren? Ein Grundproblem scheint darin zu liegen, dass alle Projekte mit Mitarbeitern arbeiten (müssen), deren Arbeitsplatz und soziale Stellung von der Existenz einer NRO und von „immerwährenden“ Projekten abhängt. 
 
2. Die Rolle der Deutschen
 

Zum Schluss soll noch auf die Politik der Deutschen Bundesregierung eingegangen werden. Über den Auftritt des deutschen Botschafters in Cajamarca wurde schon berichtet. Als sich Ende 1998, Anfang 1999 der Verdacht auf eine Gefährdung des Trinkwassers von Cajamarca bestätigt hatte, erhielt auch das Auswärtige Amt (gerichtet an Herrn Bundesminister Josef Fischer) im März 1999 ein Schreiben aus Cajamarca, in dem a) auf die deutsche Beteiligung an der Finanzierung der Kredite an den peruanischen Staat im Zusammenhang mit dem Minenprojekt (und die damit zusammenhängende Verantwortung gegenüber den Menschen vor Ort) b) auf bereits feststehende Gefährdungen durch das Minenprojekt und c) auf möglichen Missbrauch der Mittel für den Wahlkampf des Präsidenten hingewiesen wird. In einer Antwort des Auswärtigen Amtes vom 2. Juni 99 wird äußerst knapp nur auf den dritten Punkt eingegangen: „Eine Bestätigung der von Ihnen vorgebrachten Vorwürfe gegen die in Cajamarca durchgeführten oder geplanten Projekte der deutschen EZ hat sich bei einer sehr sorgfältigen Überprüfung nicht ergeben. So ist die deutsche Seite in den genannten Projekten entweder direkt für die Mittelzuweisung verantwortlich oder hat eine Kontrolle darüber. Ein Missbrauch entsprechender Mittel für Wahlkampfzwecke ist somit ausgeschlossen. Ihre Angaben zur Qualität des Trinkwassers in Cajamarca konnten nach unseren Informationen durch anderweitige Untersuchungen nicht erhärtet werden“.

Neben dem Besuch des deutschen Botschafters in Cajamarca, in dem deutlich wird, woher und mit welchem Interesse deutsche Botschaften (und Regierungen) ihre Informationen beziehen, zeigt ein Briefwechsel aus dem Jahre 1995 deutlich, wie es deutschen Gruppen ergeht, wenn sie im Bunde mit ihren betroffenen Partnern die Stimme erheben und auf Missstände hinweisen. Eine deutsche Gruppe hatte in einem Schreiben an das BMZ auf die schon beschriebenen Missstände (Landaneignung, Entschädigungsfrage, Verschmutzung) aufmerksam gemacht und auf die deutsche Beteiligung daran (u.a. auch deutsche Subunternehmen, wie z.B. Züblin) hingewiesen. In einem Antwortbrief des BMZ vom 17.11.1995 wird zuerst bestritten, dass überhaupt eine Verantwortung von deutscher Seite vorliegt. Dies geschieht u.a. mit dem Hinweis, dass die beschriebenen Missstände nicht innerhalb des Konzessionsbereiches der Mine Yanacocha liegen würden (und auch nicht gehören wird!) und zudem diese Missstände von der Vergangenheit, also vor der Tätigkeit der Mine, herrühren. Weiter heißt es:

„Wir legen Ihnen hierzu unsere kürzliche Stellungnahme des BMZ bei, die u.a. das umfangreiche sozioökonomische Investitions- und Kooperationsprogramm der Yanacocha - Minengesellschaft beschreibt. Ferner fügen wir ein Fax vom 7.11. 1995 bei, mit dem uns die Minera Yanacocha S.A. ausdrücklich bestätigt, dass sie keine Probleme mit den umliegenden Gemeinden hat. Der dem Schreiben als letzte Anlage beigefügte Artikel aus der Financial Times vom 3. 2. 1995 bestätigt ausdrücklich das soziale, ökologische und beschäftigungspolitische Engagement der Yanacocha - Gesellschaft“.

In der offiziellen Stellungnahme des BMZ (gestützt auf das Gutachten der DEG) werden dann u.a. folgende Punkte ausgeführt:

  1. "Wir stehen auch mit anderen Kirchengemeinden, die Partnergemeinden in Nordperu und der Projektregion Yanacocha haben, in Kontakt. Bis jetzt konnten alle Fragen zufriedenstellend beantwortet werden, und entsprechende Vorwürfe wurden nach einem Besuch von Kirchenvertretern in der Mine nicht mehr aufrecht erhalten.
  2. Nach Abschluss der ersten Erwerbsrunde aufgetretene Meinungsverschiedenheiten und Unzufriedenheiten sind nachträglich z.T. durch Zusatzzahlungen und Bereitstellung von Ersatzland ausgeräumt worden.
  3. Dass der Staat Peru einen Teil seiner Einnahmen aus Konzessionsgebühren und Steuern auch zur Begleichung seiner internationalen Schulden verwendet, ist normale Budgetpraxis. Natürlich tragen auch diese Einnahmen im Rahmen des allgemeinen Haushalts zur Entwicklungsfinanzierung aller peruanischen Regionen bei.
  4. Nach Auskunft der Minengesellschaft Yanacocha ist auf keinen früheren Landbesitzer Druck ausgeübt worden, Land unter Wert zu verkaufen. Der von der peruanischen Regierung angegeben Taxwert ist weit überschritten worden.
  5. Uns ist nichts von Abwanderungsbestrebungen oder Druck hierzu durch das Bergbauprojekt bekannt. Befürchtungen schwerer Umweltschäden sind sachlich nicht begründet, da alle technisch möglichen Vorkehrungen getroffen worden sind. Die Mine ist bereit, alle konkreten Anfragen hierzu zu beantworten.
  6. Es trifft zu, dass zum Herauslösen des Goldes aus dem Erz Zyanidverbindungen verwendet werden. Dies ist ein aufbereitungstechnisches Standartverfahren, auch in allen industrialisierten Ländern. Die Gefährdung von Boden, Wasser und Luft sowie direkter Kontakt für Menschen wird durch technische Vorkehrungen ausgeschlossen.
  7. Nach unserer Kenntnis ist das Abbaugebiet von Yanacocha nicht ‚landwirtschaftlich genutzt“. Ackerbau und sinnvolle Viehwirtschaft sind durch Klima und Vegetation dieser hochgelegenen, felsigen Region nahezu ausgeschlossen.
  8. Auch in Peru werden besondere Vorschriften des Trinkwasserschutzes - insbesondere von der Minera Yanacocha S.A. - beachtet. Uns ist bisher keinerlei Beeinträchtigung von Wasserläufen durch das Bergwerk bekannt. Die Wasserläufe werden ständig analytisch überwacht; die Messprotokolle können eingesehen werden.
  9. Das Unternehmen Minera S. A. zerstört nicht die Lebensgrundlagen der dortigen Bevölkerung: Von dem Fortbestehen der Bergbauaktivitäten profitiert die Region. Durch erhebliche Konzessionsabgaben und Steuerzahlungen tragen alle Wirtschaftsunternehmen zur Strukturpolitik in Peru bei.
  10. Wir hoffen, Ihnen mit dieser Stellungnahme gedient zu haben. DEG - Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH“. 

4. Forderungen der Betroffenen

a) Anteil an den Reichtümern des eigenen Landes: der Canon Minero

Auf dem schon erwähnten 6. Kongress der Rondas des Departements Cajamarca wurde festgestellt, dass von den 5.560 Comunidades, die es in Peru noch gibt, 3.200 in einem Konflikt mit einer Minengesellschaft leben. Man kam überein, sich mit anderen Regionen zusammenzuschließen und einen nationalen Kongress aller Rondas Perus zu organisieren und einzuberufen. Die Rondas sehen sich als die legitimen Vertreter aller Campesinos Perus. Weiterhin wurde festgestellt, dass seit 1992 in Peru über 3 Millionen ha Land enteignet wurden. Überall dort, wo Bergbau betrieben wird, kommt es zu gravierenden Umweltschäden. I

n Peru sind in den letzten 20 Jahren 120 Seen ausgetrocknet, stets in unmittelbarer Nähe von Bergbaubetrieben. Die Vertreter der Rondas weisen auf die Verletzung der Menschenrechte hin. Die Campesinos werden gezwungen, ihr Land zu einem Preis zu verkaufen, der für sie keine Zukunftsperspektiven mehr zulässt. „Wir wissen um die ungeheuren Reichtümer, die aus unserem Boden herausgeholt werden. Doch Tausende von uns wurden von ihrem Land getrieben und so gezwungen, in die Städte zu ziehen, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen leben müssen“. Wichtigste augenblickliche Forderung ist, dass zumindest der laut Gesetz den betroffenen Regionen zustehende Anteil der Bergwerksteuer ausgezahlt wird und den betroffenen Comunidades auch tatsächlich zugute kommt. Es wird in diesem Zusammenhang noch ein weitergehender Vorschlag gemacht: „Die Comunidades sollten Aktionäre (Anteilseigner) der Minen sein. Dies würde eine Zusammenarbeit zwischen Landbesitzern und der Mine zum Vorteil beider Seiten fördern. Wir könnten gemeinsam eine effektive Arbeit leisten, ohne die Umwelt zu verschmutzen und zum Wohle aller“.
Die Forderung nach einem gerechten Anteil an den „Goldschätzen“ zum Wohl der gesamten Region (Bekämpfung der Armut, Infrastruktur, Gesundheitswesen, Schulen etc.) steht auch an erster Stelle der Forderungen, die von der Bürgerbewegung in Cajamarca erhoben werden.

b) Objektive Untersuchungen und Information der Bevölkerung.

Wie geschildert ist die Bevölkerung (hauptsächlich der Stadt) vor allem deswegen zunehmend beunruhigt, weil keine bzw. sich völlig widersprechende Daten über die Verschmutzung des Wassers und der Umwelt vorliegen. Dringendste Forderung in diesem Zusammenhang ist, dass eine international renommierte und unabhängige Institution ungehinderten Zugang zu allen Orten und zu allen bisherigen Dokumenten und Unterlagen bekommt. Diese Institution soll mit Zustimmung aller Beteiligten (Mine, staatliche Behörden, Bürgerbewegungen) beauftragt werden, eigene Messungen mit den modernsten Mitteln durchführen zu können. Die Ergebnisse sollen der Bevölkerung präsentiert werden und gemeinsam sollen eventuelle Konsequenzen gezogen werden. Es wird nicht gefordert, dass die Mine alle ihre Aktivitäten einstellt und abzieht, dies wäre unrealistisch und weltfremd. Man fordert vielmehr ein Mitspracherecht, Transparenz und zumindest die Respektierung bestehender Gesetze (einschließlich der Menschenrechte).

Im Detail fordert weiterhin z.B. die Universität: „Dass das Unternehmen in seiner Monatszeitschrift regelmäßig über die aktuellen Messungen berichtet; dass das Unternehmen einen Teil seines ‚Wohltätigkeitsfonds’ der Universität für die Einrichtung eines modernen Labors für Analysen der Luft, des Wassers und des Bodens überlässt, damit in diesem Labor unabhängige Wissenschaftler arbeiten können; dass das Unternehmen Personal und finanzielle Mittel in ein unabhängiges Gremium mit einbringt, das in Zusammenarbeit mit der ‚Handelskammer’, Vertretern der Stadtverwaltung, der Bürgerbewegungen und der NRO Projekte einer nachhaltigen Entwicklung erarbeitet und deren Durchführung beaufsichtigt. Solche Kleinprojekte wären z.B. die Produktion und Vermarktung von Cochinilla...“ (es folgen weitere Beispiele).

c) Einrichtung einer Wasser- und Naturschutzzone um den Berg Quilish

Die Bedeutung des Berges für die Wasserversorgung der Stadt Cajamarca und ihrer unmittelbaren Umgebung im Tal von Cajamarca wurde schon an anderer Stelle erwähnt. Die Sorge um das „Versickern“ des Wassers ist inzwischen größer als die Sorge um die Verschmutzung. Zudem fühlt man sich von der Mine deshalb betrogen, weil entgegen der Ankündigungen der Mine aus den Anfangsjahren nun in unmittelbarer Nähe Stadt Gold abgebaut werden soll. Der gesamte Sektor um den Berg Quilish (als Minimalforderung) soll unter Naturschutz gestellt werden. Die Mine darf dort unter keinen Umständen mit dem Goldabbau beginnen und der Staat soll die „Unberührbarkeit“ dieses Sektors garantieren und überwachen.

Fazit

Die Stadt „erwachte“ relativ spät. Doch jetzt eröffnen sich erstmals Chancen, gemeinsam mit den Campesinos für gemeinsame Ziele einzutreten und die Aufmerksamkeit der nationalen (vielleicht auch internationalen) Medien zu erreichen. Besonders viel erwartet man in Cajamarca von den deutschen Solidaritätsgruppen und den Partnerschaftsgruppen (einschließlich der Städtepartnerschaft Cajamarcas mit Berlin - Köpenick). 
 
Zum Abschluss und als Zusammenfassung zwei Zitate:

a) Die zweitgrößte peruanische Tageszeitung „La República“ schließt einen Bericht (vom 30. Mai 1999) über die Mine in Cajamarca mit folgenden Worten: „Newmont Mining und Buenaventura können sich bereichern. Aber dies bedeutet nicht notwendigerweise Wohlstand für alle. Um dies zu erreichen, muss man kreativ sein und solche Rahmenbedingungen schaffen, damit der erzeugte Reichtum auch die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern kann. Kurzfristig ist unbedingt erforderlich, dass die Regierung so schnell als möglich den der Region zustehenden Anteil an den Steuern zukommen lässt. Es geht nicht, dass man statt dessen Projekte unterstützt, die einige Wenige im Land und viele im Ausland reicher macht, während hier die Mehrheit der Bevölkerung immer ärmer wird“.

b) Im November 1993 informiert die „Vicaría de Solidaridad“ (genauer: Marco Arana) die Öffentlichkeit über die Vorgänge (Vertreibung der Campesinos) in Porcón. Der Aufruf endet mit folgenden Worten: „In dieser Situation muss die Kirche anmahnen, dass die Erde und ihre Güter von Gott geschaffen wurden zum Segen für alle Menschen. Es ist notwendig zu sagen, dass es eine große Sünde wäre, die Macht und den Reichtum auszunützen, damit ‚der Arme seinen Prozess bei Gericht verliert’ (Am 5, 12) und ‚auf diese Weise mit dem Leben des Armen spielen für ein bisschen Geld’ (Am 8, 4-8). In dieser Situation sieht die Kirche eine schwere soziale Sünde, die im Herzen derer beherbergt ist, die auf ihrem Lager Unheil planen und Böses ersinnen. Und wenn es Tag wird, führen sie es aus, denn sie haben die Macht dazu. Sie wollen Felder haben und reißen sie an sich. Sie wenden Gewalt an gegen den Besitzer und sein Eigentum.’ (Micha 2,1).

Darum erhebt die Kirche ihre Stimme und sagt: 

  1. Den Besitzern und Vertretern der Mine: Das legitime Recht, die Erde zu bebauen, ist zum Segen für alle Menschen und kann nicht zum Vorteil einiger Weniger auf Kosten der Mehrheit der Armen in den Anden benutzt werden, denen man ihr Land rauben will.
  2. Den politischen und zivilen Behörden in der Stadt und im Land: Sie sind in ihre Ämter gewählt worden, um die Rechte des Volkes zu verteidigen. Wachen Sie darüber, dass wahre Gerechtigkeit herrsche und verschließen Sie nicht Ihre Augen und Ohren vor den Klagen der betroffenen Campesinos.
  3.  Den betroffenen Campesinos: Jesus Christus hat gesagt: ‚Ich bin gekommen, damit Ihr das Leben in Fülle habt’. (Joh.10,10). Ihr habt das Recht, Euren Besitz zu verteidigen und Eure Rechte einzufordern. Die Kirche schützt Euch und solidarisiert sich mit Euch Allen in Wort und Tat“.