Staement auf dem Ratschlag von ÖV14 (ÖV 16) am 30.4. 2016 in Frankfurt, Haus am Dom.
Einleitung: Wen erreichen wir noch? Adressaten? Kirchengemeinden als bloße „Briefkastenfirmen“? „Kairos-Gemeinden“, „Kirche vor Ort“, etc. als Illusion? Wo eine Basis für „Eine-Welt-Themen“ (GFS)? Weitere Beispiele aus Gremien: Mit was beschäftigen sich diese denn? Zwar ständige Tagungen, strategische Überlegungen, unübersehbaren Themen, etc. Zu jedem Einzelthema unzählige Ausarbeitungen…
Fragen und Problemkreise: Wir wissen doch schon alles, doch was tun? – und wie?
- sowohl innerkonfessionelle Kommunikation sehr schwierig, ökumenische Koordination erstrecht – 2 riesige Apparate parallel (drehen sich meist um sich selbst ) und noch schwerer ist der Dialog zwischen Kirchen und Zivilgesellschaft (Analyse der Gründe…?).
- oft wie bei Wissenschaftsbetrieb: ich existiere nur, wenn ich veröffentliche – sowohl individuell als auch Organisation - auf das sich andere wieder beziehen usw., usw. > Wettbewerb und Konkurrenz, jeder bemüht um sein Alleinstellungsmerkmal (ich habe was, das andere nicht ).
- Stattdessen Versäulung: Zusammenschau komplexer Themen, die alle aufeinander bezogen sind) statt Aufsplitterung; dennoch sowohl: Spezialisten notwendig (z.B: Waffenexport – WTO Gentech, usw.), als auch: Gesamtschau notwendig, wesentlich ist die Frage nach den übergeordneten Rahmenbedingungen - auch sozial - psychologisch, ideologisch-religiös, z.B. Kapitalismus als Religion, kulturgeschichtlich, usw. Kritik an christlich-abendländischer Kosmovision: Dualismus (Geist-Materie, Körper-Seele, Ratio-Gefühl, usw.); Individualismus.
- Wichtig: Eine Haltung haben, Einstellung, Standortbestimmung – von daher bestimmt sich die Perspektive, die Sicht auf die Welt; exklusiv jesuanisch: aus der Perspektive der Ausgeraubten die Welt, Wirtschaft, Gesellschaft sehen lernen > prophetische Rede und Sprache; einerseits im Dialog auch mit „Andersgläubigen“, anderseits Widerstand gegen herrschende Dogmen (TINA).
„Wir“ als Christen zwischen allen Stühlen (in Gesellschaft, außerhalb?), einerseits nicht von dieser Welt (Paulus), der „Bestie“ aber doch mittendrin, so wie sie ist, aber um sie zu verändern; nicht nur mit Nadelstichen, sondern sie aus der Bahn werfen > Widerstandformen erproben; ausgehen menschengemachten , interessengeleiteten Ordnungen, die für absolut erklärt werden und diese als Götzendienst demaskieren; Verantwortliche benennen!
Umkehr: Aber alle schon getauft – wozu noch umkehren, und wenn ja, warum und wohin? Beispiel vom Barmherzigen Samariter: andere Wege gehen, neue Straßen bauen, nicht den „eingefleischten“ Weg zu Tempel, Kult, Opfer, Weihrauch… wie der Priester, sondern zu den Menschen (und Völkern) , die unter die Räuber gefallen sind. Unsere bisherige „perverse“ Theologie und übliche „Predigt“: Ich, ich selbst bin das Opfer, doch Gott schickt mir immer einen Samariter…. bin schon immer in Gottes Hand (und geilen sich daran auf, wie barmherzig Gott zu ihnen ist, und nennen dies noch Spiritualität!) > Verabsolutierung des Individuums und dessen individuelles Heil ….?
Das Christentum als übliche Religion, beliebig austauschbar mit anderen „Sitten und Gebräuchen“, im Dienste der Herrschenden, als Trost für die Armen und Rechtfertigung von Macht und Hierarchien, usw. …? Doch die Botschaft Jesu des Messias führt(e) zu einer befreienden Bewegung mit folgendem Alleinstellungsmerkmal: Im Unterschied zu allen Religionen, Kulturen, Ideologien: Der absolute Maßstab ist der „nackte“, der gekreuzigte, vertriebene Mensch, das hungernde Kind – bzw. wie wir uns demgegenüber verhalten. Dies zu glauben bedeutet eine Revolution und ist die Grundlage einer jesuanischen Spiritualität: Die Erschütterung, im gekreuzigten Gegenüber das Antlitz des gekreuzigten Gottes zu entdecken und sich bedingungslos mit ihm zu solidarisieren. Erst eine solche existentielle Begegnung mit dem „Anderen“ führte z.B. zur Umkehr selbst von Bischöfen wie Helder Camara und Oscar Romero und vielen unbekannten Märtyrern, die bereit waren, für die Befreiung der „Verdammten dieser Erde“ ihr Leben hinzugeben.
Selbst die andine Kosmovision („buen vivir“ in den Anden Lateinamerikas) – vom christlichen Abendland als „Teufelswerk“ verdammt und fast ausgerottet - steht diesem Glauben näher als die bei uns übliche Art zu glauben und zu leben: Wenn in einer Gemeinschaft jemand verhungert, ist dies ein tödliches Versagen der Gemeinschaft (Gesellschaft); wenn ein Kind stirbt wegen Hunger, wegen einer eigentlich leicht heilbaren Krankheit, auf der Flucht – das ist der Skandal, die „Sünde der Welt“ schlechthin. Mit jedem Verhungernden stirbt auch ein Teil von mir. Dagegen keinen Widerstand zu leisten, bedeutet, sich selbst aufzugeben. Und umgekehrt: Widerstand ist praktizierte Spiritualität und Gottesdienst.
Was tun?
Einerseits Kleinarbeit: Kleinarbeit notwendig, siehe Welt:Bürger in BW, weitere Beispiele von kleinen Schritten: Rat der Kirchen in BW: Absprachen auf Leitungsebene (z.B. Friedensarbeit, Waffenexporte, Klima, Beschaffung).
Andererseits Große Vision: (messianisch – aber auch auf der Basis der Aufklärung und humanistischen Ideen- und Geistesgeschichte wie „Gleichheit – Freiheit – Geschwisterlichkeit“; Menschenrechte, Leben in Würde ….
Z.B. Bericht vom TTIP-Beirat: Große Verwunderung über Haltung der Kirche bei Wirtschaft: Dies war völlig für sie neu, nie gehört – trotz kirchlich aktiver Personen dort (Präsident der IHK). Einerseits Wirtschaft und ökon. Lehre: Glaube an die Hl. Dreifaltigkeit des Neoliberalismus und dessen absolute Geltung (Götze), anderseits Glaube an den Gott des Lebens. Selbst auf Landeskonferenz: alle e.pol. Gruppen - „Avantgarde“ versammelt und dennoch wurde z.B. Boniface Mabanza kaum verstanden, stattdessen rein systemimmanente Diskussion, z.B.: techn. Maßnahmen um CO²-Gehalt zu reduzieren usw. Motto: Haben alles im Griff, müssen nur noch besser… Die „Katechese des Kapitalismus“ (Einführung in dessen Praxis und Lehre) ist erfolgreicher als die aller Religionen.
Folgende Fragen auf dem Weltklimagipfel in Paris standen im Mittelpunkt, in Stichworten: Ein gutes Leben für alle innerhalb der planetarischen Grenzen; unsere Lebensweise sprengt alle Ressourcen; „Wie im Westen so auf Erden?“; Was heißt Entwicklung? (1970), Postwachstumspolitik; nicht nur Transformation von Wirtschaft, sondern auch von Einstellungen und Haltungen. Doch ist Politik und Demokratie überhaupt (noch) möglich, wenn die Rahmenbedingungen als unveränderbar verkündet oder auch nur als solche hingenommen werden? Betreiben wir bei allem guten Willen letztlich nur Kosmetik oder kleine Reparaturen? (Großer Knall oder langsames Dahinsiechen?)
Fazit und als positive Perspektive (dialektisch): Kleine Schritte und Aktionen, ausgehend von sozio-psychischen Verfassung des Einzelnen und der Gesellschaft - im Bewusstsein des Ganzen (Vision, siehe oben)
Papst Franziskus: „Einige von euch haben es so ausgedrückt: Dieses System kann man nicht mehr ertragen. Wir müssen es ändern. Wir müssen die Würde des Menschen wieder ins Zentrum rücken und dann auf diesem Pfeiler die alternativen gesellschaftlichen Strukturen errichten, die wir brauchen. Hartnäckig sein, aber ohne Fanatismus. Leidenschaftlich, aber ohne Gewalt. Wir brauchen dazu viel Mut, aber auch Intelligenz. Wir Christen haben etwas sehr Schönes, eine ´Gebrauchsanweisung´, ein revolutionäres Programm gewissermaßen. Ich rate euch sehr, es zu lesen….!“ (Ansprache des Papstes auf dem 1. „Welttreffen der Volksbewegungen“ am 28.10.14 im Vatikan, eigene Übersetzung).
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Dr. theol. Willi Knecht, Ulm (verheiratet, 2 Kinder und Enkelkinder)
(Geistiger) Hintergrund: Theologie in St. Georgen von 1970 – 1975, dort 1. Arbeitskreis „Theologie der Befreiung“; Praxis in Basisgemeinden (comunidades campesinas) in der Bambamarca („Vamos Caminando“) Diözese Cajamarca, Peru. Danach Arbeit in Schule (auch als Diplompädagoge) und in der KEB der Diözese Rottenburg. Von 1996 - 2004 Beurlaubung für wiss. Studien zum Aufbruch der Kirche in LA infolge des Konzils > Kirche der Befreiung, Kirche der Armen, in Zusammenarbeit mit dem Instituto Bartolomé de Las Casas (G. Gutiérrez) und den kath. Fakultäten in Würzburg (Elmar Klinger) und Tübingen (Ottmar Fuchs). Immer wieder längere Besuche in LA und dort bis heute Kontakte zu Volksbewegungen und Basisgemeinden.
„Organisation“: Vertrete die Diözese Rottenburg Stuttgart u.a. in der e.pol. Szene (Eine Welt), Gremien und Organisationen in BW, Mitarbeiter bei Misereor, Diözesanausschuss Eine Welt (u.a.), verschiedene Veröffentlichungen in eher kirchlichen Medien und der Abt. Weltkirche der DBK. Daneben – an dieser Stelle aber ohne Belang – in innerkirchlichen „Reformprozessen“ beteiligt (Gegensatz: röm. Kirche < > kath. Kirche).