Die Kirche Jesu Christi
– eine Gemeinschaft der Solidarität untereinander und mit den Armen -


Aus Anlass des Buches „Jesus von Nazareth“ von Benedikt XVI. ist erfreulicherweise eine neue Debatte darüber entstanden, wer eigentlich dieser Jesus von Nazareth war und ist. Das Buch wurde weltweit zum Bestseller, sicher auch, weil es ungewohnt ist, dass ein Papst noch ein Buch schreibt, aber sicher auch, weil dieser Jesus von Nazareth auf Interesse stößt – nicht nur bei den Gläubigen. Zum leichteren Verständnis daher einige Gedanken (in Stichpunkten).

Dr. theol. Willi Knecht Ulm, Juni 2007; für die Gesamtgemeinde Ulm und Gemeinde "Zum Guten Hirten" in Böfingen.

Die Kirche Jesu Christi: Es gibt im Grunde weltweit nur eine einzige Kirche, nämlich die Gemeinschaft all derer, die an Jesus den Christus glauben; d.h., die daran glauben, dass Jesus der von Gott gesandte Messias ist, der im Auftrag und an Stelle Gottes spricht und handelt. Wer daran glaubt, ist ein Christ – wer nicht daran glaubt, ist kein Christ. Freilich gibt es – wir erfahren es leider immer wieder – trotzdem verschiedene Kirchen, evangelisch, katholisch, Freikirchen, Pfingstkirchen usw. Die katholische Kirche nimmt für sich in Anspruch, die Kirche Jesu Christi in bester Weise zu verkörpern, mehr als alle anderen Kirchen. Nun, darüber kann man streiten. Man kann dies aber nur, wenn man Argumente hat.

Eine Gemeinschaft der Solidarität: Außenstehende erkannten die ersten Christen daran, wie sehr sie sich liebten. „Seht, wie sie sich lieben, das müssen wohl Christen sein“. Das war das Erkennungszeichen für die ersten Christen. Das zeigte sich vor allem auch darin, dass sie das Brot miteinander teilten, nicht eine Hostie empfingen, sondern wer viel hatte, brachte viel zur Versammlung und Feier mit. Wer wenig hatte oder gar nichts, brachte nichts mit und wurde trotzdem satt. Das Brot steht dabei für all das, was der Mensch zum Leben braucht. Die Sorge der ersten Christen galt dabei vor allem denen, die dieses „tägliche Brot“ nicht hatten. Auch den Kranken, Verlassenen und Ausgestoßenen galt ihre Fürsorge.

Eine Kirche der Armen: Es handelt sich hier nicht um eine andere Kirche oder eine besondere Kirche. In der Kirche der Armen wird deutlich, wer und was die Kirche Jesu Christi bedeutet. Johannes Paul XXIII. sprach 1962 vor der Eröffnung des Konzils davon, dass die Kirche immer mehr zur Kirche Jesu Christi werden müsse, d.h. besonders zu einer Kirche der Armen. Was ist damit gemeint? Die Armen sind das Fundament der Kirche, weil Jesus sich zuerst und in besonderer Weise mit ihnen identifizierte. Sie waren und sind die ersten Adressaten seiner Botschaft, seiner Taten und seiner Hingabe. Für sie ist die Botschaft Jesu eine wahrhaft „Frohe Botschaft“, denn ihr Leid, ihre Hoffnungslosigkeit usw. werden eine Ende haben. Arm sind in besonderer Weise diejenigen, die wirklich nicht das haben, was man für ein würdevolles Leben braucht. Arme gibt es, weil es Menschen gibt, die auf Kosten anderer leben.

Die Botschaft Jesu: Gleichsam wie eine Überschrift über sein ganzes Wirken lassen sich sei- ne Worte verstehen, die er in allen 4 Evangelien an den Beginn seines Wirkens stellt: „Kehrt um, denn die Herrschaft Gottes beginnt jetzt – mit mir!“ In Worten (meist Gleichnissen) und Taten wird er dann in der Folge den Menschen zeigen, was es mit der Herrschaft Gottes auf sich hat.
Zeichen der Herrschaft Gottes: Mit der Herrschaft Gottes, mit dem Auftreten Jesu beginnt eine neue Zeit, in der alle bisherigen Maßstäbe vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Seine Botschaft ist diametral dem entgegengesetzt, was sonst in dieser Welt zählt und worauf es in dieser Welt ankommt.

  1. Während die jüdischen Schriftgelehrten den Hauptzweck ihrer Religion darin sahen, ihrem Gott viele Opfer zu bringen und eine Unmenge von scheinbar göttlichen Gesetzen zu erfüllen, ist dies für Jesus sekundär. Gott braucht nicht unsere Verehrung durch viel Kult und Opfer. Man verehrt vielmehr Gott, indem man für die Ehre und Würde jedes Menschen eintritt, denn der Mensch ist der Tempel Gottes. Der wahre Gottesdienst ist, Gerechtigkeit zu schaffen. Der Sabbat ist für den Menschen da, und nicht umgekehrt. Jesus konnte dies sagen, weil er ein besonderes, ein neues Verhältnis zu Gott lehrte und lebte: Gott als unser aller Vater, dem wir uns alle als seine Kinder anvertrauen können. Wir haben daher ein unmittelbares Verhältnis zu Gott und brauchen weder Kult und Opfer noch eine Priesterkaste als Vermittler. (Priester als Verkünder und Zeugen der Botschaft Jesu sind dagegen erwünscht).
  2. Jesus wollte und will das Heil aller Menschen. Wir denken oft zuerst an das Seelenheil. Doch Jesus kannte nicht die strikte Trennung von Seele - Leib, Geist – Materie, Diesseits und Jenseits. Er sorgte sich ganz konkret um Aussätzige, Ausgestoßene, Verachtete, Hungernde und heilte sie. Er versprach ihnen nicht den Himmel, sondern machte sie gesund. Und sie wurden gesund, weil er sie in die Gemeinschaft aufnahm, ihnen Vertrauen und Hoffnung schenkte. In seiner Nähe durften sie sich endlich wieder als Menschen, sogar als Brüder und Schwestern erfahren. Während die Frommen der damaligen Zeit die schwer Kranken und Behinderten ausschlossen, weil ihre Behinderung angeblich eine Strafe Gottes für ihre Sünden (oder ihrer Eltern) sei, solidarisiert sich Jesus ausgerechnet mit ihnen.
  3. Er ermöglichte allen Menschen einen neuen Anfang (Umkehr), besonders den Sündern. Vor Gott ist kein Mensch je verloren, er gibt niemanden auf. Jeder, auch der größte Sünder, hat die Chance zu einer Umkehr und zu einem Neuanfang. Dazu braucht er keine großen Gegenleistungen oder besondere Anstrengungen. Er muss „nur“ Gott vertrauen und ein neues Leben beginnen wollen. Besonders Frauen wurden in damaliger Zeit (nur damals?) sehr schnell als Sünderinnen gebrandmarkt. Nur Ehefrauen konnten z.B. die Ehe brechen. Brach ein Mann die Ehe, war die eigene Ehefrau schuld und auch die andere Frau, die den ansonsten „braven Mann“ verführte. Die Botschaft Jesu war vor allem für die Frauen eine Botschaft der Befreiung. Jesus: Wer sich voller Vertrauen an Gott wendet, der wird auch die ganze Barmherzigkeit Gottes erfahren.
  4. Wie schon gesagt, wandte sich Jesus den „Erniedrigten und Beleidigten“ zu. Dies zeigt sich auch in den Einladungen zum Festmahl. Es kommen zuerst die Armen. Diese Tischgemeinschaften sind das Symbol einer neuen Gemeinschaft, in der alle gleichberechtigt an einem Tisch sitzen und an dem alle genug zu essen bekommen. Doch es geht nicht nur um das materielle Brot. Jesus verheißt allen Menschen „ein Leben in Fülle“. Diesem Ruf folgen logischerweise vor allem diejenigen, denen die Fülle des Lebens – oft gewaltsam – vorenthalten wird. Diese Tischgemeinschaften sind zusammen mit dem letzten Abendmahl das Vorbild für die Eucharistie. Eine christliche Gemeinde ist daran zu erkennen, dass sie das Brot teilt und mit wem sie es teilt. Die Eucharistie ist das Grundsakrament der Kirche und je mehr wir als Kirche der Botschaft Jesu folgen, desto mehr werden wir zur Kirche Jesu Christi. Wir sind erst auf dem Weg, Kirche zu werden. Die Kirche hat nicht ihren Zweck in sich selbst, sondern sie ist Orientierung auf dem Weg und in der Nachfolge Jesu. Indem sie ansatzweise das lebt und praktiziert, was Jesus lehrte, wird sie immer zu einem „Licht auf dem Berge“, zum Zeichen des Heils für alle.
  5. Der vielleicht schwierigste Punkt: Jesus spricht mit Vollmacht. Er spricht im Auftrag und im Namen Gottes. Auf diese Weise repräsentiert er nicht nur Gott, sondern er zeigt uns, wer Gott ist. Es gibt keinen anderen Gott als den, den uns Jesus zeigt bzw. als den, wie er in Jesus sichtbar und erfahrbar wird. Jesus bringt Gott zu den Menschen, er ist das Bild Gottes für die Menschen. In der Sprache der damaligen Zeit heißt das, er ist der Sohn Gottes. Die Botschaft Jesu lautet: „So ist Gott. Habt deswegen Vertrauen und keine Angst. Jetzt beginnt eine neue Zeit. Ein neues Leben ist möglich. Eine bessere Welt und Gesellschaft sind möglich. Es liegt an uns, sich auf den Weg zu machen und konkrete Zeichen dieser besseren Welt zu schaf- fen“. Und weil Gott Jesus auferweckt hat, hat er ihn als den Messias bestätigt. Gott selbst hat bestätigt: Was Jesus gelehrt und wie er gelebt hat – bis zur letzten Konsequenz – das ist meine Botschaft an euch, so bin ich. Und dieser Gott ist derselbe, der bereits sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat und der auch in Zukunft Sklaverei, Hunger und Elend nicht dulden wird.

Zurück zu Benedikt XVI. und der Frage, wer ist dieser Jesus von Nazareth?

  1. Es ist eine Frage an uns alle: an welchen Jesus glauben wir? An den, der uns am bequemsten ist? Heutzutage wird auf Weltebene immer mehr (wieder mehr, so wie früher) ein Jesus verkündet, der scheinbar über den Wolken schwebt, der mit dem irdischen Leben mit all seinen Sorgen und Nöten wenig zu tun hat. Doch dies ist nicht der biblische Jesus von Nazareth. Am Ende unserer Tage werden wir nicht danach gefragt werden, ob wir die Aussagen des Konzils von Chalkedon (wer kennt das schon?) auswendig gelernt aufsagen können, sondern wir werden gefragt werden: „Ich war hungrig, durstig, nackt, fremd, obdachlos…. Seid ihr an mir vorbeigegangen oder nicht?“ (Mt 25, 31 – 46).
  2. In dem Jesusbuch von Benedikt XVI. ist wenig von dem Jesus Christus zu spüren, wie er uns in den Evangelien und den Zeugnissen der ersten Christen entgegentritt. Die Campesinos der Anden (stellvertretend für alle Ausgegrenzten) haben dagegen einen Jesus Christus erfahren, der sie konkret zu neuem Leben und neuer Gemeinschaft (Kirche) führt. Mit ihren Augen auf Jesus Christus schauen heißt, den wahren Gott entdecken: den Gott des Lebens, der sein Volk nicht im Stich lassen wird. Dieser Zugang zu Jesus Christus und Gott scheint dem deutschen Theologen Josef Ratzinger fremd zu sein. Von seinem Standort aus verkündet er einen Jesus als Christus, dessen befreiende Botschaft hinter selbst geschaffenen Konstrukten gar nicht oder nur sehr verkürzt und einseitig sichtbar wird. Dies ebnet einem oberflächlichen, verbürgerlichten und somit harmlosen Christentum den Weg.