"Wir müssen nur wieder lernen zu hören und zu sehen und vor allem: ein offenes Herz zu haben: die Schriftgelehrten und Priester zur Zeit Jesu gingen an den Menschen vorbei, die unter die Räuber gefallen waren. Sie waren auf dem Weg nach Jerusalem, zum Tempel, sie hatten wohl „wichtigere Dinge“ im Kopf - die Geschäfte im Tempel, Geld, Macht… Sie hielten sich für die Frömmsten - doch ihr Herz war verschlossen. Der Weg mit Jesus ist ein Weg zu und mit den Armen und Bedrängten aller Art. Das geht nur glaubhaft, wenn die Kirche als Kirche arm ist, nicht zuerst dem Geld und seinen eigenen Strukturen vertraut. Wenn wir mit den Armen und unter uns allen gemeinsam das Brot brechen und teilen, dann werden wir zur wahren Gemeinde Jesu Christi, dann werden wir selbst zum Brot des Lebens für andere…."   Das Grundanliegen von Gaudium et spes für die Praxis heute.

Liebe Gemeinde, (16. Juli 2006 in Ulm-Böfingen, Willi Knecht)
vielleicht werden sich manche wundern, warum ich als Laie hier stehe, wo doch ... anwesend ist! In der Regel soll ja auch der Leiter der Eucharistiefeier, ein Priester, predigen. Ausnahmen von der Regel sind aber erlaubt und der Pfarrer kann diese Aufgabe delegieren - erst recht, wenn das mit dem KGR abgesprochen ist. Unser Anliegen als KGR ist es heute, die Gemeinde etwas mehr an unserer Arbeit und unseren Überlegungen teilhaben zu lassen.

Dabei möchte ich gleich zur zentralen Aufgabe des KGR kommen: „Er trägt mit dem Pfarrer zusammen die Verantwortung für das Gemeindeleben und er sorgt dafür, dass die Gemeinde ihre Aufgabe als Trägerin der Seelsorge wahrnehmen kann“ (KGO). Wir alle tragen dafür Verantwortung, was in unserer Gemeinde geschieht und in welchem Geist es geschieht. Zur besseren Abstimmung ist ein Pastoralausschuss (o.ä.) notwendig. Dahin sollten die anderen Ausschüsse oder Arbeitskreise je einen Vertreter schicken. Ein Pastoralausschuss ist daher vom Bischof vorgeschrieben, nur in Ausnahmefällen kann darauf verzichtet werden. Nachdem es in den letzten Jahren in unserer Gemeinde keinen Pastoralausschuss mehr gegeben hatte, hat der neue KGR beschlossen, einen zu bilden. Doch was ist eigentlich mit Pastoral gemeint? Um welche Aufgaben und Bereiche handelt es sich?

Ein Blick auf das Konzil (1962 - 1965) kann uns weiterhelfen. Eine Hauptaussage lautet: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“.

Die Kirche ist die Gemeinschaft aller Menschen, die daran glauben, dass Jesus der Messias ist. Wir als Gemeinde in Böfingen repräsentieren hier vor Ort diese weltweite Gemeinschaft. Wir repräsentieren sie durch unsere Verkündigung, unseren Dienst am Nächsten und durch das Feiern unseres Glaubens. Alle Getauften haben diesen Auftrag erhalten. Deshalb ist es ein Kennzeichen christlicher Gemeinschaft, für alle Menschen in ihrer „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ offen zu sein und sie zu begleiten. Dabei gilt es die „Zeichen der Zeit“ zu entdecken und sie „im Lichte des Evangeliums zu deuten“. Pastoral, Seelsorge, ist daher nicht nur Aufgabe des Pfarrers, sondern der ganzen Gemeinde. Es hängt von jedem einzelnen von uns ab, ob wir eine lebendige Gemeinde werden, die ein Zeichen der Hoffnung für uns und für Außenstehende ist.

Wie dies konkret in die Praxis umgesetzt werden kann, ist eine vorrangige Aufgabe der ganzen Gemeinde. Um dies glaubwürdig tun zu können, ist eine stetige Reflexion (Meditation) über unsere Fundamente und Ziele notwendig: Was wollen wir? Warum tun wir dies alles? Was ist Gemeinde? Wer und was ist Kirche? Und wie ist unsere Praxis? Denn wir können nur glaubwürdig das Evangelium verkünden, wenn wir selbst zu einer glaubwürdigen Gemeinschaft werden und wenn unser Sprechen am Sonntag mit der Praxis im Alltag übereinstimmt. Und um dies alles besser koordinieren zu können bedarf es eben auch gewisser Strukturen und Zuständigkeiten - und diese müssen offen und durchsichtig sein. Wir fangen ja nicht bei Null an. In der Zeit ohne Pfarrer wurde deutlich, wie lebendig unsere Gemeinde ist. Daran gilt es anzuknüpfen und weiterzuknüpfen. Ich möchte noch einmal kurz auf die Aussagen des zitierten Konzilstextes eingehen: (GS).

„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi." Hier wird gesagt, dass die Kirche ihren Zweck nicht in sich selbst hat, sondern sie ist zuerst für die Menschen da - für ihre Ängste, Sorgen, Hoffnungen usw. Es geht nicht zuerst um eine abstrakte Glaubenlehre, sondern um das alltägliche Leben ganz konkreter Menschen. Diese Menschen sind ja auch wir selbst. Wie könnten wir die Gemeinde Jesu Christi sein, wenn wir uns noch nicht einmal um die Sorgen und Ängste, Freuden und Hoffnungen unter uns selbst kümmerten? Oder gar selbst Ursache von Ärger und Verdruss sind? Doch das Konzil geht noch einen Schritt weiter: es sagt, dass die Armen und die Bedrängten aller Art der Maßstab all unserer Sorge und Fürsorge sein müssen. Sie sollen im Mittelpunkt stehen, denn sie stehen ja auch im Zentrum der Botschaft Jesu Christi. Auch unter uns gibt es „Bedrängte aller Art“!

Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“. Was sind heute die Zeichen der Zeit? Wo und wie zeigen sich Zustände, die absolut nicht mit dem Willen Gottes zu vereinbaren sind? Und wo zeigen sich neue Aufbrüche, neue Chancen und Möglichkeiten? Nach welchen Werten richten wir uns, welche Werte dominieren in der Gesellschaft? Durch welche von Menschen geschaffenen Umstände und Strukturen werden Menschen daran gehindert, immer mehr Mensch zu werden, in Würde und in Frieden zu leben? Und haben wir als Christen demgegenüber etwas anzubieten? Was ist unsere Alternative, unsere Antwort? - nicht nur in frommen Sprüchen, sondern in unserem Lebensstil und in unserer Einstellung besonders zum Not leidenden Nächsten?

Wenn wir dies im Lichte des Evangeliums deuten, dann ist die Antwort eindeutig: Gott ergreift immer Partei für die Schwachen, die Ausgegrenzten, die „Aussätzigen“. Im Lichte des Evangeliums die Welt zu betrachten heißt, alles nach den Vorgaben Jesu auf den Prüfstand zu stellen: Wirtschaft, Handel, Politik - alles, was im globalen Maßstab dazu führt, dass Menschen ihre Würde, ja sogar das Leben genommen wird. Dies alles ist aus der Perspektive der „Kleinen und Schwachen“ her zu sehen und zu deuten. Und konkret hier unter uns: Welche Prioritäten setzen wir denn, für was haben wir Zeit und für was und für wen nicht? An was hängen wir denn unser Herz? Haben Jesus und seine Botschaft wirklich oberste Priorität in unserem Leben?

Wahrhaftig, ziemlich viel, was Jesus und das Konzil uns da zumuten. Das schaffen wir nie! Richtig und doch falsch! Wir sind in der Tat gegenüber den bedrängenden Fragen der Menschheit sehr ohnmächtig, oft werden wir noch nicht einmal mit uns selbst fertig. Und die Kirche als Gemeinschaft der Jünger Jesu? Da möchte man manchmal gar nicht daran denken… und wir wenden uns mit Grausen ab! Aber diese Kirche, sind das nicht wir selbst? Ja, wir alle, wie auch die Kirche als Ganzes, sind doch sehr beschränkt. Und doch: Gott traut uns zu, die Welt in seinem Sinne zu verändern. Er hat uns sein Wort gegeben, und das hat er nicht nur so zum Spaß gesagt, sondern er hat dafür sein Leben aufs Spiel gesetzt! Und übrigens Tausende und Hunderttausende von gläubigen Christen ebenso. Und Jesus war es, der uns den Weg gezeigt hat, mit ihm begann schon die Veränderung. In seiner Gegenwart wurden Menschen heil, Blinden öffnete er die Augen und Lahme lehrte er gehen. Jeder von uns kann einige Schritte tun, mehr oder weniger, auf die Anzahl kommt es gar nicht an. Und nicht wir müssen (und können) das Reich Gottes errichten, es wird uns geschenkt! Das gibt uns die nötige Gelassenheit, denn all unser Tun liegt in Gottes Hand. Aber auf den Weg dahin müssen wir uns schon selbst machen!

Es gibt schon viele Dienst in unserer Gemeinde, z.B. den Besuchsdienst, die Betreuung und Begleitung alter Menschen usw. Das sind eminent wichtige pastorale und missionarische Dienste; denn dies zu tun ist nicht anderes, als die Botschaft Jesu zu verkünden. Alle Worte nutzen nichts, wenn sie nicht durch Taten bezeugt werden. Wir haben auch das Recht, mal stehen zu bleiben, auszuruhen, neue Kraft zu schöpfen. Und wer seinen Weg schon gegangen ist, kann dafür beten, dass andere den Weg weiter gehen. Auch dieses Gebet ist wichtig. Überhaupt können wir die genannten Aufgaben - vielleicht wäre es besser zu sagen, Berufungen - nur angehen, wenn wir eine tiefe spirituelle Verankerung haben. Spiritualität würde in diesem Zusammenhang heißen: seine spezifische Berufung erkennen, die Kraft zu haben, Jesus als Orientierung für sein Leben zu erkennen, seinem Weg zu folgen und zu wissen, dass Gott uns ruft und begleitet.

Zurück um KGR und zu unserer Gemeinde: Alles, was mit den Menschen zu tun hat, mit seinen Sorgen und Ängsten, Freuden und Hoffnungen, ist Pastoral. Die Welt mit der Brille des Glaubens zu betrachten und dementsprechend zu handeln, ist Pastoral. Mit anderen Worten: jeder getaufte Christ hat einen pastoralen Auftrag, jeder ist durch die Taufe berufen zur Mitarbeit am Reich Gottes. Aber eines ist auch sicher: keiner kann allein Gemeinde sein. Glaube ohne Gemeinschaft ist nicht möglich. Jeder mit „seinem Gott“ alleine, für sich, im stillen Kämmerlein - das ist nicht der Gott, den uns Jesus verkündet und vorgelebt hat.

Eine Gemeinde ist auch umso lebendiger, je mehr Offenheit und Transparenz herrscht; jeder kann und soll mit seinen Anliegen, Vorschlägen und Kritik Gehör finden. Es ist die besondere Verantwortung des KGR und der Ausschüsse, die Anliegen der Gemeinde und jedes Einzelnen zu hören und sich ihrer anzunehmen. Daher auch an alle der Appell: gehen Sie auf die gewählten Vertreter der Gemeinde zu, natürlich auch auf den Pfarrer, sagen Sie offen, was Sie bewegt, machen Sie Vorschläge! Jeder hat die Möglichkeit, sich einzubringen. Alles Gute kann und soll gemacht werden. Natürlich wäre es manchmal leichter, den Mund zu halten, Probleme unter den Tisch zu kehren, und nach dem Motto leben: macht doch euren Kram alleine… Doch dadurch wird nichts besser - im Gegenteil! Dies ist nicht der Weg Jesu, sondern Flucht vor Verantwortung. Und große Themen stehen noch an und vor uns: die Frage der Ökumene, nach der Arbeit an der Einen Welt, der Diakonie, der Familien und Alleinerziehenden, der Erwachsenenbildung usw. Ich bin fest überzeugt, dass wir zwar nicht alles machen können und schon gar nicht perfekt, aber wir können viel machen. Mit Hilfe des bald kommenden neuen Pfarrers wird hoffentlich vieles möglich sein. Aber es hängt letztlich von uns ab, ob wir überhaupt etwas bewegen wollen und was wir wollen.

Zum Schluss möchte ich noch auf folgendes Bild hinweisen. Das Konzil spricht von der Kirche als Volk Gottes, das auf dem Weg ist. Es ist auf dem Weg, nicht am Ziel. Daher ist die Kirche auch immer eine Kirche voller Verfehlungen, es gibt viele Irrwege und Sackgassen. Das gilt auch für uns als Gemeinde und für jeden Einzelnen von uns. Doch Gott lässt nicht locker, er ruft uns immer wieder zur Umkehr auf und er hat uns seinen Beistand verheißen. Wir wissen: wir sind nicht alleine und wir kommen ans Ziel. Jesus ist der Weg. Er zeigt uns den Weg, er hilft uns, die Orientierung nicht zu verlieren und das Ziel im Auge zu behalten. Wir müssen nur wieder lernen zu hören und zu sehen und vor allem: ein offenes Herz zu haben: die Schriftgelehrten und Priester zur Zeit Jesu gingen an den Menschen vorbei, die unter die Räuber gefallen waren. Sie waren auf dem Weg nach Jerusalem, zum Tempel, sie hatten wohl „wichtigere Dinge“ im Kopf - die Geschäfte im Tempel, Geld, Macht… Sie hielten sich für die Frömmsten - doch ihr Herz war verschlossen.

Der Weg mit Jesus ist ein Weg zu und mit den Armen und Bedrängten aller Art. Das geht nur glaubhaft, wenn die Kirche als Kirche arm ist und nicht zuerst dem Geld und seinen eigenen Strukturen vertraut. Wenn wir mit den Armen und unter uns allen gemeinsam das Brot brechen und teilen, dann werden wir zur wahren Gemeinde Jesu Christi, dann werden wir selbst zum Brot des Lebens für andere. Dieses Geheimnis des Glaubens werden wir nun in der Eucharistie zeichenhaft feiern. Möge uns dieses gemeinsame Feiern die Kraft geben, immer wieder aufzustehen, uns gegenseitig zu stützen und aufzubrechen.