Predigtansprache zum Beginn der Partnerschaft zwischen der katholischen Kirchengemeinde St. Gallus Tettnang und Cristo Ramos Porcón in der Diözese Cajamarca, Peru (29. März 1992).

"....Wir feiern jetzt zusammen die Eucharistie, weil wir zum Tisch des Herrn eingeladen sind. Kennzeichen dieser unserer Tischgemeinschaft ist das miteinander Teilen von Brot und Wein, das bedeutet von all dem, was wir zum Leben brauchen. Alle Menschen sind zum Tisch des Herrn geladen. Wir leben aber in einer Welt, in der 1/8 der Menschheit 7/8 aller Güter dieser unserer Erde für sich allein verbraucht – ja diese sogar mit Gewalt an sich reißt. Wie können wir uns mit denen gemeinsam an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrig bleiben, die von unseren überreich gedeckten Tischen fallen? Christlicher Glaube bewahrheitet sich sich aber darin, dass wir im Namen Gottes und in der Nachfolge Christi das Brot, die Früchte der Erde, unser Leben miteinander teilen...."

 

Liebe Gemeinde!
Dieses Wochenende - einschließlich aller Gottesdienste - steht im Zeichen einer beginnenden Partnerschaft zwischen dieser Gemeinde und einer Gemeinde in Cajamarca, Peru. Es ist sozusagen ein erstes Anbandeln. Denn wie in einer Beziehung zwischen zwei Menschen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, was daraus wird. Das lässt sich nicht einfach so planen. Dennoch sind mit einem solchem Schritt Hoffnungen verbunden!
Ich selbst habe einige Jahre in der Diözese Cajamarca gelebt und durfte in einer großen Landgemeinde (Bambamarca) mitarbeiten. Die Gemeinde, zu der ich mich heute zähle, St. Georg in Ulm, begann vor 10 Jahren ebenfalls eine Partnerschaft mit einer Gemeinde in Cajamarca, zu San Pedro am Stadtrand, mit viel „Hinterland“, zu dem auch Porcón gehört. In diesem Jahr wurde nun Porcón vom Bischof zu einer neuen und selbstständigen Gemeinde erhoben. Die Partnerschaft mit einer armen Gemeinde in Peru hat in unserer Gemeinde in Ulm inzwischen einiges bewegt und verändert und sie hat in unserer Partnergemeinde einen Neuanfang ermöglicht. (Will man, dass sich nichts bewegt, dann sollte man auch die Finger von einer Partnerschaft lassen).

Nun zuerst etwas zur Situation in Peru und Cajamarca. An dieser Stelle nur so viel: Es könnte kaum schlimmer sein! International und auch bei uns spricht man von der „Peruanisierung eines Landes“. wenn ein Staat auseinander zu brechen droht und wenn ein Land in Gewalt, Chaos Terror, Ausweglosigkeit und Elend versinkt. Dabei ist Peru ein potenziell reiches Land. Es könnte nach Berechnungen der FAO (UNO) mehr als doppelt so viele Menschen ausreichend ernähren – wie das vor 500 zu den Zeiten der peruanischen Hochkulturen auch möglich war. Warum dies heute nicht möglich ist bzw. verhindert wird, hat auch mit den weltweiten Wirtschaftsstrukturen und der inzwischen 500 Jahre alten Weltordnung zu tun. Wir, als Deutsche und als Christen, sind Teil dieser Weltordnung und sind daher unmittelbar in einen Kreislauf verstrickt, in dem die einen immer reicher und die anderen immer ärmer werden. Wollen wir dies auch wahrhaben? Und hat dies überhaupt etwas mit unserem Glauben zu tun?

Cajamarca ist ein Teil dieses Peru. Porcón, die potenzielle Partnergemeinde, ist eine reine Campesinogemeinde mit etwa 20 – 30.000 Menschen. Campesino heißt in Peru: Indio zu sein, arm und an den Rand gedrängt, verachtet und ausgeschlossen. Aber alle sind getauft. Bisher wurde Porcón von der Stadt aus „betreut“, d. h. einige Male im Jahr kam ein Priester nach Porcón, hielt Massentaufen usw. und kam dann noch einmal zum Patronatsfest am Palmsonntag, das mit viel Weihwasser gefeiert wurde und in einem Massenbesäufnis endete. Eine solche „Versorgungskirche“ (euphorisch ausgedrückt) ist nun aber gerade nicht typisch für Cajamarca gewesen. Porcón war eine Ausnahme, gehörte eigentlich zur Gemeinde San Pedro, in der ein Pfarrer ohne weitere Hauptamtliche für 40- bis 50.000 Getaufte zuständig war – ohne die mindestens 20.000 Getauften von Porcón mitzuzählen. Doch nun soll alles anders werden. Der Bischof machte Porcón zu einer selbstständige Pfarrei und schickte 2 junge Priester nach Porcón, Marco Arana und Alex Urbina. Die pastorale Praxis in der Diözese sah – bis eben auf Porcón und einige wenige „blinde Flecken“ – ganz anders aus. Die Diözese Cajamarca gilt als eine der Diözesen in der weltweit mit am besten und konsequentesten der Geist des Konzils in die Praxis umgesetzt wird. Bischof Dammert, seit 1962 Bischof von Cajamarca und derzeit Präsident der peruanischen Bischofskonferenz, gilt in Lateinamerika als einer einflussreichsten und glaubwürdigsten Bischöfe. Die Pastoralarbeit von Cajamarca ist weit über die Grenzen Perus hinaus bekannt geworden und wurde zu einem weltweiten Symbol einer befreienden Pastoral. Davon will ich jetzt berichten.

Nicht nur in Cajamarca, nicht nur in Peru – in ganz Lateinamerika gab es vor etwa 25 Jahren ein pastorales Erwachen in einem für uns kaum vorstellbaren Ausmaß. Die „alte Kirche“, oft Stütze der Mächtigen und der Oberschicht, oft eine reine Kolonialkirche, die Ausbeutung und Elend theologisch rechtfertigte – diese alte Kirche brach zusammen. Teilweise verschwand sie völlig. Aber es gab und gibt auch noch mächtige Überreste, die inzwischen aus einem bestimmten Interesse heraus und mit mächtiger Unterstützung restauriert werden. Es entstand eine neue Kirche, in der die Frohe Botschaft von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes zum wahren Fundament wurde. Und wie wirkte sich dies aus? Als die Indios der Diözese Cajamarca nun zum 1. Mal – nach über 400 Jahren so genannter Missionierung – mit dem Evangelium konfrontiert werden, haben sie eine große Entdeckung gemacht. Wie die Hirten auf dem Felde zu Bethlehem ging ihnen ein Licht auf, der Himmel öffnete sich und ihnen wurde eine Botschaft des Friedens und der Gerechtigkeit verkündet – ihnen, den Ausgestoßenen zuerst! Und sie waren auch die Ersten, die so den Weg zur Krippe fanden und die daher in dem hilflosen Kind den Messias erkannten – im Gegensatz zu den Frommen und Mächtigen im Tempel von Jerusalem.

• Sie lernten einen Gott kennen, vor dem sie keine Angst mehr zu haben brauchten; Angst vor dem mächtigen, weißem Gott der Reichen; ein Gott, der sie für ihre Sünden, ihre „Unkultur“ mit Hunger und Elend bestraft. Sie entdeckten vielmehr einen Gott, der auf ihrer Seite steht, auf Seiten der Elenden und der Opfer.
• Sie entdeckten, dass der Mensch gewordene Gott gelebt hat wie sie selbst, von der Geburt im Stall angefangen bis zum Tod am Kreuz, ausgestoßen und verurteilt von den Mächtigen und Frommen seiner Zeit - wie sie auch. Sie übertragen die Bibel direkt auf ihr Leben und erfahren so, dass Gott mitten unter ihnen lebt, ihr Schicksal teilt, mit ihnen leidet und aufersteht.
• Sie entdecken sich als Kinder Gottes. Wenn man um die Verachtung und Rechtlosigkeit weiß, die sie erleiden müssen – ich selbst habe mit eigenen Augen gesehen, dass Indios wie Hunde aus der Stadt geprügelt wurden – dann kann man erahnen, was es für sie bedeutet, Kinder Gottes zu sein. Und daher kann es nicht Gottes Wille sein, dass die Weißen reich und allmächtig, sie selbst aber arm und ohnmächtig sind. Warum sind sie dann aber ausgestoßen? Das hat von Menschen, auch getauften Menschen, verursachte Gründe. Armut gibt es, weil es Menschen gibt, denen Besitz und Macht wichtiger sind als Gott und die sich und ihre eigenen Interessen zum absoluten Maßstab machen.
• Sie entdecken, dass sie als Kinder Gottes nicht nur eine unantastbare Würde haben, sondern auch Rechte, das Recht auf ein Leben in Würde und die Verheißung auf ein Leben in Fülle. Sie entdecken, das ihnen aber diese Rechte gewaltsam und strukturell vorenthalten werden.

Weil sie bereit sind auf den Ruf Gottes zu hören und weil sie sich daraufhin auf den Weg machen, machen sie auch schon jetzt die Erfahrung von Auferstehung. Ihr Leben beginnt neu. Sie schließen sich zusammen (z. B. in Basisgemeinden, Kooperativen…), lesen immer wieder die Bibel und konfrontieren die Worte und Taten Jesu mit der Realität, in der sie leben. So entdecken und erfahren sie in ihren Gemeinschaften ganz neue – eigentlich alte – Werte: Werte wie Solidarität, Miteinanderteilen, Geborgensein und Gemeinschaft. Auch kirchlich gesehen nehmen sie ihr Schicksal in die eigenen Hände.

Sie sind Kirche, weil Gott – zuerst! – unter ihnen Mensch geworden ist und sie berufen hat, Zeugnis von der nun beginnenden Herrschaft Gottes abzulegen. Sie sind daher die authentischen Zeugen des Todes und der Auferstehung Jesu des Christus. Ihr eigener Bischof hat sie dazu ermutigt.
In entstehenden Basisgemeinden feiern sie diesen Neubeginn. Sie sagen Dank, feiern die Menschwerdung und die Gegenwart Gottes unter ihnen, teilen miteinander ihre Sorgen und ihr Brot. Diese Gemeinden sind Inseln des Lebens inmitten des Todes. Sie erfahren es am eigenen Leib, dass mit Jesus dem Messias die Herrschaft Gottes, d. h. die Herrschaft von Liebe und Gerechtigkeit begonnen hat – bereits jetzt und auf dieser Erde, nicht erst nach dem Weltende. Sie erfahren, dass Jesus der Schlüssel zum wahren Leben ist, Fundament ihres Lebens, Brot des Lebens, das ihren Hunger stillt, den Hunger nach mehr Gerechtigkeit, nach mehr Liebe und nach dem täglichen Brot.

Und wir? Wer ist Jesus für uns? Ist Jesus wirklich das Fundament, das Brot des Lebens, ohne das wir wir verhungern? Und mit was versuchen wir stattdessen unseren Hunger zu stillen? Und wird uns nicht ständig vorgemacht und gelehrt, dass wir nur dann wirklich Mensch sind, wenn wir immer mehr haben? Und ist es nicht so, dass, wenn alle immer mehr haben wollen, immer mehr nichts haben?

Die Menschen von Cajamarca brauchen unsere Hilfe, auch materiell gesehen. Und sie brauchen auch unser Gebet, d.h. unsere Solidarität und unsere Bereitschaft, in ihnen unsere Brüder und Schwestern zu entdecken, ja in ihnen den gekreuzigten Christus zu entdecken, der uns alle in die Nachfolge ruft. So sind wir auch angewiesen auf ihre Hilfe – falls wir wirklich erkennen wollen, was Gott von uns will. Denn so wie Gott mit ihnen leidet, so steht er auch mit ihnen auf. Er offenbart sich in den Armen und wir finden den Weg zu Gott und zu einem Leben in Fülle, wenn wir den Weg mit den Armen gehen. Sie lehren uns konkrete Schritte auf dem Weg zu einer gerechteren und friedvolleren Welt. Könnte es nicht sein, dass Gott heute nicht anders erfahrbar ist als im Hinhören auf die, denen die Fülle des Lebens vorenthalten wird? Ist vielleicht ihr Schrei nach Gerechtigkeit und Brot nicht das Wort Gottes an uns hier und heute - an uns, die wir in einem goldenen Käfig leben, unfähig das Wort Gottes zu hören?

Nun noch einige Gedanken zu Partnerschaft – bzw. habe ich nicht gerade die ganze Zeit über Partnerschaft geredet? Aber leben die Campesinos und wir nicht in ganz verschiedenen Welten, kann man das alles vergleichen oder gar übertragen? Wieso aber glauben wir, das wir die Bibel, die in einer vorderasiatischen Region, in einer ganz anderen Zeit und unter ganz anderen Verhältnissen entstanden ist, verstehen können? Weil sie das Wort Gottes ist? Kann es nicht sein, dass wir uns, auch wir als Kirche insgesamt, immer wieder neu das Wort Gottes von denen sagen lassen sollen, durch die Gott heute zu uns spricht, besonders von „den Armen und den Bedrängten aller Art“? So lehrt es das Konzil.
Es gibt noch andere Gründe für eine Partnerschaft zwischen einer reichen und einer armen Gemeinde.

• Man weiß wohin „unser“ Geld kommt, für wen und für was (eine offene transparente Partnerschaft vorausgesetzt). Der Partner bekommt ein Gesicht, statt anonyme Masse.
• Man kann sehen und leicht überprüfen, was wirklich mit dem Geld gemacht wird – schließlich hat man auch eine Verantwortung den Spendern gegenüber.
• Man kann einer überschaubaren Gruppe helfen und Fortschritte feststellen (per Foto).
• Damit kann man auch mehr Gruppen in der eigenen Gemeinde motivieren. Die gemeinsame, gegenseitige Verantwortung aller Christen in der Weltkirche wird sichtbarer und konkret erfahrbarer – auch die Frage vielleicht, warum wir so reich sind im Vergleich….
• Schließlich: Für in der „Einen Welt“ engagierte Jugendliche und von der real erlebten Kirche Enttäuschte kann durch eine solchermaßen weltweit mit den Armen engagierte Gemeinde ein neuer Zugang zur Kirche erleichtert werden (missionarische Gemeinde nach innen).

Neben diesen eher äußerlichen Gründen für eine Partnerschaft, möchte ich noch einen letzten tieferen Grund, einen spirituellen Grund:
Wir feiern jetzt zusammen die Eucharistie, weil wir zum Tisch des Herrn eingeladen sind. Kennzeichen dieser unserer Tischgemeinschaft ist das miteinander Teilen von Brot und Wein, das bedeutet von all dem, was wir zum Leben brauchen. Alle Menschen sind zum Tisch des Herrn geladen. Wir leben aber in einer Welt, in der 1/8 der Menschheit 7/8 aller Güter dieser unserer Erde für sich allein verbraucht – ja diese sogar mit Gewalt an sich reißt. Wie können wir uns mit denen gemeinsam an einen Tisch setzen, für die noch nicht einmal die Brosamen übrig bleiben, die von unseren überreich gedeckten Tischen fallen?

Christlicher Glaube bewahrheitet sich sich aber darin, dass wir im Namen Gottes und in der Nachfolge Christi das Brot, die Früchte der Erde, unser Leben miteinander teilen. Die Jünger von Emmaus erkennen den auferweckten Christus erst, als er mit ihnen das Brot teilt. Man erkennt eine christliche Gemeinde, die Gemeinschaft derer, die an Jesus den Christus glauben daran, ob, wann, wie und mit wem sie das Brot teilt. In einer Gemeinschaft, in der das geschieht, ist der auferweckte Christus gegenwärtig. Eine solche Gemeinde wird so selbst zum Brot des Lebens für andere. Es wird Auferstehung spürbar, neues Leben. In einer Partnerschaft mit den Armen (auch derer mitten unter uns) kann dieses miteinander Teilen konkret und sichtbar gemacht werden. Wir überschreiten erst dann die Grenzen des (Opfer-) Kultes wenn das, was wir hier jetzt feiern wollen, auch im Alltag sich auswirkt und sichtbar oder gar gelebt wird. Wir erweisen uns dann als Kirche Jesu Christi, wenn wir unser Herz öffnen und dem unter die Räuber Gefallenen Bruder und Schwester werden.

Ich möchte hier nicht eine Bilanz unserer eigenen 10-jährigen Partnerschaft ziehen. Fest steht aber, dass über die materielle Hilfe hinaus, Tausende von Menschen in Cajamarca, „besonders die Armen und Bedrängten aller Art“, neuen Mut und neue Kraft auch dadurch erhalten haben, weil sie wissen und erfahren haben, dass sie nicht vergessen und allein gelassen werden. Wir dagegen haben von den Partnern erfahren dürfen, dass das Evangelium tatsächlich frei macht, Wunden heilt, Menschen und Gemeinden erneuern kann. Und dies macht auch uns Mut, uns immer mehr auf dieses Evangelium einzulassen.

Noch eine letzte Bitte: Lassen Sie diese Menschen, die es wagen, sich auf eine Partnerschaft mit den Armen einzulassen, nicht allein. Die Beziehung zweier solch unterschiedlichen Gemeinden ist Aufgabe aller Gruppen und Gremien in der Gemeinde und insbesondere der Gottesdienstgemeinde. Haben Sie auch Geduld, wenn nicht alles gleich klappt oder schnell genug geht. Ein Senfkorn wird in den Boden gelegt. Wenn wir das uns Mögliche tun, wird uns Gott seinen Segen geben und aus dem Senfkorn wird ein blühender Baum werden.

Willi Knecht, Ulm