Der Text entstand auf eine Anfrage von Domkapitular Zwingmann (Freiburg), der mich bat, für ihn einen Bericht über unsere Erfahrungen in St. Georg mit der Partnerschaft zu schreiben. Hintergrund sind die Pläne der Erzdiözese Freiburg, eine diözesanweite Partnerschaft mit der peruanischen Kirche anzustreben, konkret: dass möglichst viele Gemeinden der Diözese sich mit peruanischen Gemeinden auf eine Partnerschaft einlassen. Dieser Bericht ist dann leicht gekürzt im ersten und grundlegenden Heft zur Partnerschaft Freiburg - Peru erschienen. Motto des Heftes und auch der Partnerschaft: „Wege suchen - Brücken schlagen - Hoffnung schenken“. (1986)

Lebendige Gemeinde werden…. Partnerschaft St. Georg, Ulm - San Pedro - Cajamarca

Als 1979 die viele Jahre dauernde und teure Renovierung der Pfarrkirche St. Georg beendet war, rief der Gemeindepfarrer die Gemeinde dazu auf, nun auch über die Grenzen der Pfarrei hinauszuschauen und sich den Nöten und Problemen der Weltkirche mehr zu öffnen. Ein Missionsarbeitskreis wurde gegründet. Mehr oder weniger zufällig kam man an einige Adressen in Indien, Argentinien und Mexiko heran, an die man das gesammelte Geld schicken konnte. Natürlich war das auf die Dauer nicht befriedigend. Es war sehr schnell einsichtig zu machen, dass eine Partnerschaft mit einer Gemeinde in dem arm gemachten Teil der Welt aus vielerlei Gründen sinnvoll ist.

Warum Partnerschaft? Patenschaften neigen meist dazu, paternalistisch zu sein, sie sind „Hilfe“ von oben nach unten. Die Anderen sind meist Objekte statt Subjekte. Patenschaften können Herrschaftsstrukturen und Abhängigkeiten eher verfestigen als verändern. Als Pate braucht man sich weniger in Frage stellen zu lassen und man kann sich seine Wohltätigkeit auch noch bescheinigen lassen. Natürlich nützt es nichts, das Wort „Patenschaft“ durch das Wort „Partnerschaft“ zu ersetzen und ansonsten im gleichen Stil weiterzumachen.

Was kann aber „Partnerschaft“ bedeuten? Partnerschaft heißt, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, den Weg aus der Sklaverei - durch die Wüste - in das Gelobte Land, das dem Volk Gottes verheißen wurde. Es bedeutet danach zu fragen, welche Götter uns versklaven, welche Götzen wir anbeten, was uns daran hindert aufzubrechen, dem Ruf Gottes zu folgen und alles hinter uns zu lassen. Oder meinen wir vielleicht nicht, schon am Ziel zu sein (weil in der Kirche, die ihren Mitgliedern qua Mitgliedschaft oder Amt das Heil garantiert)? Liegt unser Problem - und das ist gerade vielleicht unser Elend - nicht darin, dass wir vielleicht gar nicht wissen, wohin oder warum wir uns auf den Weg machen sollten? Und kommen wir quasi nicht schon als „Bekehrte“ zur Welt, warum also umkehren?

Die unterdrückten und verachteten Indios wissen um den Ursprung und das Ziel ihres Aufbruchs. Sich mit ihnen auf den Weg machen heißt, den Kern der Botschaft Jesu, ja Jesus als Christus und Heiland unseres Lebens, sei es als Einzelner oder als Gemeinde, neu zu entdecken. Es bedeutet auch, lernen zu hören. Könnte es nicht sein, dass Gott heute nicht anders erfahrbar wird als im Hinhören auf die, denen die „Fülle des Lebens“ geraubt bzw. vorenthalten wird? Ist nicht vielleicht ihr Schrei nach Brot und Gerechtigkeit das Wort Gottes an uns?

Diese Partnerschaft und damit das Verbundensein mit der Weltkirche ist für uns als Christen lebensnotwendig, weil es die Armen und Elenden dieser Welt sind, die uns den Weg zeigen und weil in ihnen die Liebe und die Fürsorge Gottes für die Menschen offenbar wird. Sich mit ihnen auf den Weg machen dürfen heißt, seine eigene Hoffnungslosigkeit, unser Leben im „Goldenen Käfig“ zurückzulassen und sich ohne Angst und voller Vertrauen der Führung Gottes anzuvertrauen.

Natürlich konnte und kann sich nicht die Gemeinde St. Georg als Ganzes mit diesem Gedanken befreunden, sie sind auch als Zielvorstellungen gedacht. Leichter verständlich und damit sollte man auch anfangen - sind folgende Gründe für eine Partnerschaft:

  • Man weiß, wohin das Geld kommt und für wen es bestimmt ist.
  • Man kann sehen, was wirklich mit dem Geld gemacht wird (es ist kontrollierbar).
  • Man kann einer überschaubaren Gruppe helfen und Fortschritte feststellen.
  • Damit kann man auch mehr Gruppen in der eigenen Gemeinde motivieren.
  • Die gemeinsame, gegenseitige Verantwortung aller Christen in der Einen Weltkirche (katholisch! - allumfassend) wird sichtbarer und konkreter.
  • Durch Dialog, Austausch und gegenseitiges Kennen lernen wird die Gemeinde missionarischer (auch nach innen und auch nach außen, hier vor Ort) und lebendiger.
  • Vielen Christen wird durch eine solche Partnerschaft immer mehr bewusst, warum wir so reich sind und warum unsere Partner so arm sind.
  • Vielen Jugendlichen, Außenstehenden, von der Kirche Enttäuschten usw. wird durch eine Gemeinde, die sich als Anwalt der Armen versteht, ein neuer Zugang zur Kirche ermöglicht.

Anfänge und Entwicklung der Partnerschaft

Eine große Hilfe war der bereits bestehende Kontakt zu einer peruanischen Gemeinde. Dieser persönliche Kontakt erleichtert vieles, ist aber nicht Voraussetzung, lassen sich doch Kontakte über allerlei Kanäle herstellen. Wir wollten mit einer Gemeinde in Kontakt treten, die bisher noch keinerlei Kontakte zum Ausland hatte und wo keine Europäer arbeiten, da dort meist schon materielle Hilfe geleistet wird. Das erschwert selbstverständlich aber die Kontakte und die Kommunikation, ist aber vielleicht etwas authentischer. Außerdem ist immer darauf zu achten, dass durch unsere Hilfe keine „Wohlfahrtsinseln“ entstehen, wo einheimische Priester dann neidvoll auf die großen Werke ihrer Mitbrüder sehen. Auf jeden Fall sollte der einheimische Bischof Bescheid wissen und wenn möglich positiv reagieren. (Es gibt leider auch wenige Ausnahmen, z.B. in Cusco und Chiclayo, wo es für die Partnerschaft besser wäre, wenn der einheimische Bischof sich möglichst nicht einmischen würde). Man sollte auch darauf achten, dass bei der potentiellen Partnergemeinde Ansprechpartner schon da sind, die mit der Intention der Partnerschaft auch etwas anfangen können. Zumindest sollte ein gemeinsames Fundament gefunden werden und die Zahl der Mitarbeiter dort mit der Zeit erweitert werden. Am besten sollte es auch ein Komitee (o. ä.) geben, das die Gelder transparent verwaltet und Rechenschaft ablegen kann.

1982 beschloss der KGR von St. Georg einstimmig eine Partnerschaft mit San Pedro anzustreben. San Pedro ist eine Gemeinde mit 40 - 50.000 Katholiken, davon etwa 30.000 Indios (Campesinos) in und um Cajamarca, eine Stadt im Andenhochland in Nordperu. Es wurde auch beschlossen, monatlich mindestens 500 DM dafür zur Verfügung zu stellen (zu garantieren). Kurz darauf gab es bereits das erste „Peru - Wochenende“, das inzwischen zum festen Bestandteil des Gemeindelebens geworden ist und zweimal im Jahr stattfindet. Es werden dabei immer die neuesten Informationen, Briefe usw. bekannt gegeben. Die Partnergemeinde schickt jährlich einen Arbeits- und Haushaltsplan. Auch dieser wird natürlich der Gemeinde bekannt gegeben, ferner Berichte aus dem Gemeindeleben der Partner, aus ihrer Arbeit und ihren pastoralen Schwerpunkten (das wird dort vor Ort gemeinsam festgelegt - wo gibt es das bei uns?). Wir erhalten Briefe nicht nur immer von einer Person, sondern verschiedenen Gruppen und auch Campesinogemeinschaften schreiben uns direkt, in Abstimmung mit anderen Gruppen dort. Wir kochen peruanisches Essen für die Gemeinde, singen und tanzen peruanische Lieder und Tänze (auch in der Messe); es gibt einen Bazar mit peruanischen Waren, dazu Fotos, Ausstellungen usw.

Ein wesentlicher Schritt ist der, zu erfahren und Neugier zu wecken, wie unsere Partner überhaupt leben, welche Probleme sie haben, warum sie so leben und welche kulturellen, geschichtlichen, religiösen und sozial-politischen Hintergründe bestehen. Diese Informationen werden in alle Gruppen der Pfarrei hineingetragen. Auch regelmäßige Fürbitten und Gebete sind wichtig. Die Sternsinger sammeln für San Pedro, Briefe werden auch in der Kirche ausgehängt und Veranstaltungen der Gemeinde werden in den örtlichen Medien bekannt gegeben und manchmal auch kommentiert und Hintergründe recherchiert. Misereor bietet übrigens viel Material und Anregungen, wie man den Gedanken der Partnerschaft in einer Gemeinde immer mehr verankern und vertiefen kann.

Was hat sich nun den letzten 3 - 4 Jahren in St. Georg verändert bzw. entwickelt? Die Part- nergemeinde San Pedro ist fest im Bewusstsein der Gemeinde verankert. Viele Mitglieder der Gemeinde haben sich betreffen lassen. Und es gibt mehr Sensibilität dafür, wie wir hier in unserer Gemeinde leben, wo wir vielleicht auf dem Holzweg sind und was uns fehlt, um eine lebendige, missionarische und prophetische Gemeinde zu sein. Die Spenden haben stark zugenommen, wir können mit etwa 30.000 DM pro Jahr rechnen (für die garantierte Summe von anfangs 500 DM monatlich musste die Gemeinde nie aufkommen). Spenden sind zwar nicht das Kriterium, sagen aber doch etwas über den Zustand einer Gemeinde aus. Bemerkenswert ist, dass die Spenden für Adveniat und Misereor gleichzeitig nicht abgenommen sondern zugenommen haben.

Es gibt noch drei Hauptschwierigkeiten für unsere Arbeit:

  1. Immer noch meinen Viele, mit einer Spende sei alles getan, d.h. mit Geld lasse sich alles regeln, sogar das eigene Heil.
  2. Die Verantwortung für die Partnerschaft wird noch allzu schnell und gern allein auf den Missionsarbeitskreis abgeschoben. Dadurch ist man selbst nicht mehr angefragt.
  3. Wenn man schon Geld gibt, möchte man möglichst rasch auch Erfolge sehen, am besten etwas Sichtbares zum Fotografieren und etwas Vorweisbares.

Generell kann man sagen, dass unsere Gemeinden noch ein Missionsverständnis haben, das inzwischen durch das II. Vatikanum und erst recht durch neuere Entwicklungen völlig überholt ist. Durch eine Partnerschaft kann die Überwindung eines solchen Verständnisses aber besser geleistet werden. Dies führt zu einer Gemeinde, die sich als Volk Gottes gemeinsam auf dem Weg weiß, im Sinne des Konzils und der Mitverantwortung aller.

Ausblick


Eine Partnerschaft lässt sich nicht planen und vorprogrammieren. Es ist eine Frage des gegenseitigen Vertrauens, das auch Missverständnisse und Fehlschläge erträgt. Dieses Vertrauen wächst langsam heran und erfordert viel Geduld. Um diese Vertrauensbildung zu unterstützen und zu festigen, möchte eine Delegation unserer Pfarrei in diesem Sommer die Partnergemeinde in Peru besuchen, nachdem wir schon mehrfach als Gemeinde eingeladen wurden (ich selbst war vor und seit Gründung der Partnerschaft jedes Jahr in der Partnergemeinde). Dieser Besuch, so hoffen wir, kann zu einer großen und entscheidenden Vertiefung der Partnerschaft führen. Durch die vielen, neuen, persönlichen Kontakte wird die Arbeit des Arbeitskreises auf eine breitere Basis gestellt werden können.

Durch die direkte Konfrontation mit dem Leben und Glauben der Indios wird die Reise zu einer echten Pastoralfahrt, ja zu einer Wallfahrt. Sinngemäß nach Leonardo Boff: Wenn wir dem lebendigen Christus begegnen wollen, genügt es nicht nach Rom zu pilgern oder die Stätten des Hl. Landes zu besuchen, sondern der lebendige Christus ist eher anzutreffen in einer peruanischen Indiogemeinde. Als Vorbereitung für diese Reise werden wir ein halbjähriges Peruseminar durchführen (fängt im Januar an), nicht nur für die Teilnehmer, sondern offen für alle. Inhaltlich werden wir uns an den diesjährigen Misereormaterialien mit Schwerpunkt Peru ausrichten. Gerade auch in der Fastenzeit soll die Vorbereitung auf die Begegnung mit unserer Partnergemeinde zu einem inhaltlichen und vor allem spirituellen Schwerpunkt für die ganze Gemeinde werden. Wir wollen mit einer Gruppe von 10/12 Gemeindemitgliedern - alle Mitglieder des KGR und/oder des Arbeitskreises - und dem Pfarrer, unsere Partner besuchen. Auch dort beginnen schon die Vorbereitungen auf den Besuch, in Abstimmung mit uns und umgekehrt.

Im Hintergrund unserer Partnerschaft steht der Gedanke einer Evangelisierung in Deutschland. Wir können viel lernen, wenn wir bereit sind, eine Partnerschaft (sich gemeinsam auf den Weg der Hoffnung und zu mehr Gerechtigkeit machen) zu wagen. In einem wahrhaften Dialog mit der lateinamerikanischen Kirche können wir nichts verlieren - nur gewinnen. Es seien nur kurz erwähnt: die Erfahrungen von christlichen Basisgemeinschaften, die erfrischende Mitarbeit von Laien, eine Kirche des Volkes, in der Bischöfe und Priester wahre Diener des Volkes Gottes sind; Begeisterung und Hoffnung, Feier und Dank; die Erfahrung des Miteinanderteilens und Beschenktwerdens; die Einheit von Glaube und Alltag; das rückhaltlose Vertrauen auf den Gott der Liebe, der sein Volk nicht im Stich lassen wird.

Wenn unsere Mitchristen in Peru vielleicht fragen, warum lässt Gott es zu, dass Kinder verhungern, dass Menschen gefoltert werden, so ist unsere Hauptfrage vielleicht die: Wie können wir, die doch scheinbar schon alles haben, was wir zum Leben brauchen - wie können wir noch Gott „brauchen“? Wie können wir, die doch schon mehr als satt sind, Hunger verstehen und selbst Hunger nach Gott und nach Gerechtigkeit haben? Ist Jesus wirklich Fundament, Mitte und Ziel unseres Lebens? Oder vertrauen wir doch eher uns selbst, sichern uns ab, schaffen uns unsere eigenen Götter wie Sicherheit, Wohlstand, Fortschritt? Haben wir wirklich einen unstillbaren Hunger nach Gott und seiner Gerechtigkeit, nach Jesus als dem Brot des Lebens, ohne das wir nicht leben können? Von der Antwort auf diese Frage hängt unser Leben als Christ ab. Menschen zu begegnen, die aus der Gewissheit heraus leben, dass ihnen dieser Hunger gestillt werden wird, kann zu einer Offenbarung werden.

PS: Ich war als Pastoralreferent von 1977 - 1980 in Cajamarca. Meine Frau stammt aus der der Gemeinde San Pedro. Ich kannte den Pfarrer der Gemeinde sehr gut, wir haben in seiner Kirche geheiratet. Beim Aufbau einer Pastoralarbeit in San Pedro im Rahmen der Partnerschaft konnte ich auf die reichen Erfahrungen meiner Arbeit in der Pfarrei Bambamarca zurückgreifen. Außerdem standen Mitarbeiter in San Pedro zur Verfügung, die im Sinne der Sozialpastoral von Bischof Dammert gearbeitet haben. Bereits vor der offiziellen Gründung der Partnerschaft (Mai 1982) habe ich vor Ort in San Pedro schon viele Gespräche geführt. Dies alles bedeutet, dass die Erfahrungen dieser Partnerschaft nicht ohne weiteres übertragen werden können, weil solche Voraussetzungen woanders meist nicht da sind oder anders sind. Dennoch werden hier - so meine ich - einige grundlegenden Kriterien deutlich und genannt, die beim Entstehen einer Partnerschaft zu beachten sind.

Willi Knecht, Ulm, den 7. Januar 1986


Der Text entstand auf eine Anfrage von Domkapitular Zwingmann (Freiburg). Prälat Wolfgang Zwingmann, erster Verantwortlicher für die neu entstandene Partnerschaft, bat mich um einen Erfahrungsbericht und einen Beitrag zu dem ersten Partnerschaftsheft der Erzdiözese Freiburg: „Partnerschaft Freiburg - Peru; Wege suchen - Brücken schlagen - Hoffnung schenken“, Hintergrund waren die Pläne der Erzdiözese Freiburg, eine diözesanweite Partnerschaft mit der peruanischen Kirche anzustreben, konkret: dass möglichst viele Gemeinden der Diözese sich mit peruanischen Gemeinden auf eine Partnerschaft einlassen. Dieser Bericht ist dann leicht gekürzt im ersten und grundlegenden Heft zur Partnerschaft Freiburg - Peru erschienen. Motto des Heftes und auch der Partnerschaft: „Wege suchen - Brücken schlagen - Hoffnung schenken“,   herausgegeben von der Presse- und Informationsstelle des Erzbistums Freiburg, 1986. In diesem Heft erschien dann auch mein Beitrag: „Lebendige Kirche werden - Partnerschaft St. Georg, Ulm - San Pedro“, S. 29 - 30.

Darüber hinaus kam es zu einem intensiven mündlichen Austausch. Prälat Zwingmann lud mich mehrere Male nach Freiburg ein (1985 - 1988). Nach seinem Tod im Jahre 1992 war der Gedanke der Partnerschaft in vielen Freiburger Gemeinden bereits so stark verwurzelt, dass der bald darauf einsetzende Klimawechsel innerhalb der Kirche (global und in Freiburg) nicht zur Katastrophe werden konnte, für einzelne Gemeinden und deren Partnerschaften aber schon.