...Bischof Dammert setzte sich von Beginn an einerseits für eine möglichst eigenständige lokale Kirche ein, die von den konkreten Bedürfnissen der Menschen vor Ort ausgeht. Andererseits war ihm ein großes Anliegen, die jeweiligen Besonderheiten seiner Diözese in die Einheit der Weltkirche einzubringen. Erst die verschiedenen Glaubenserfahrungen der lokalen Kirchen bilden zusammen die Kirche. Die Weltkirche gleicht als Ganzes einem Mosaik, das erst dann seine volle Bedeutung erhält und als solches erkennbar wird, wenn alle Teile in ihm vorkommen. Nach Dammert ist die Kirche nur dann auch wirklich Weltkirche, wenn „die ganze Welt“ in ihr vorkommt. Die lokalen Kirchen bilden zusammen die Weltkirche und in jeder lokalen Kirche ist stets die gesamte Kirche präsent. Ausgehend vom Konzil verfasste Dammert eine Ortsbestimmung seiner Diözese - der Kirche von Cajamarca - innerhalb der Weltkirche...

Lokale Kirche - Weltkirche (am Beispiel der Kirche von Cajamarca)

Die Gemeinschaft der Menschen von Cajamarca, die sich auf den Weg begeben haben, der ihnen von Jesus Christus gezeigt und ermöglicht wurde, ist die Kirche von Cajamarca. Sie verstehen sich auch selbst als die Kirche von Cajamarca. Vor der Amtszeit von Bischof Dammert und vor dem Konzil war dem nicht so. Ebenso ist es bis heute in Deutschland eher ungewöhnlich, dass man z.B. von der „Kirche von Ulm“ spricht. Im Laufe der Amtszeit von Bischof Dammert entwickelte sich aber in den Gemeinden und Gemeinschaften der Diözese Cajamarca das Bewusstsein, Kirche zu sein - „eine Kirche auf neuen Wegen“. Dies impliziert die Gewissheit, gemeinsam auf dem Weg zu sein. Die neue Erfahrung von einer Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu entwickelte sich vorrangig - aber nicht nur - in den Gemeinden der Campesinos. Ihr Ziel war es, eine Kirche mit Poncho und Sombrero zu werden.[1] Darin wurden sie von Bischof Dammert und seinen Mitarbeitern unterstützt.

Die Kirche von Cajamarca sind aber nicht nur die Campesinos, auch wenn drei von vier Menschen in der Diözese Campesinos sind. Auch die engagierten Christen in der Stadt sprachen wie selbstverständlich von der „Kirche von Cajamarca“. Sie sahen wie die Campesinos diese Kirche als ihre Kirche an. Sie wären aber nie auf den Gedanken gekommen, dies als eine Abgrenzung von der gesamten Kirche zu verstehen, im Gegenteil: sie sahen die Stärkung der lokalen Kirche, deren Option für die Armen und ihr persönliches Engagement als einen wesentlichen Beitrag zu einer erneuerten, weltweiten Kirche auf der Seite der Armen auf der Basis des Evangeliums an. In vielen Verlautbarungen meldete sich die Kirche von Cajamarca zu Wort, besonders herauszuheben sind ihre Beiträge zu den jeweiligen Bischofs- und Regionalkonferenzen. Bischof Dammert legte Wert darauf, dass die Beiträge der Kirche von Cajamarca von den verschiedenen Gruppen der Diözese verfasst und mitgetragen wurden.

Bischof Dammert setzte sich von Beginn an einerseits für eine möglichst eigenständige lokale Kirche ein, die von den konkreten Bedürfnissen der Menschen vor Ort ausgeht. Andererseits war ihm ein großes Anliegen, die jeweiligen Besonderheiten seiner Diözese in die Einheit der Weltkirche einzubringen. Erst die verschiedenen Glaubenserfahrungen der lokalen Kirchen bilden zusammen die Kirche. Die Weltkirche gleicht als Ganzes einem Mosaik, das erst dann seine volle Bedeutung erhält und als solches erkennbar wird, wenn alle Teile in ihm vorkommen.

Nach Dammert ist die Kirche nur dann auch wirklich Weltkirche, wenn „die ganze Welt“ in ihr vorkommt. Die lokalen Kirchen bilden zusammen die Weltkirche und in jeder lokalen Kirche ist stets die gesamte Kirche präsent. Ausgehend vom Konzil verfasste Dammert eine Ortsbestimmung seiner Diözese - der Kirche von Cajamarca - innerhalb der Weltkirche.[2] Darin wird deutlich, welche Bedeutung der Ortskirche, Diözese und Gemeinde, zukommt. Dieses Verständnis von Ortskirche war für die weitere Entwicklung der Diözese maßgebend. Dammert führt in seiner Ortsbestimmung aus, dass es nach Paulus eine Pluralität von Kirchen gibt, je nach ihren verschiedenen lokalen Gegebenheiten.

Jede dieser verschiedenen Ortskirchen repräsentiert aber auf ihre je eigene Art die gesamte Kirche. In jeder Ortskirche ist die gesamte Kirche in allen ihren wesentlichen Eigenschaften präsent und verwirklicht. Paulus benutzt dafür das Bild vom Leib Christi, das sich sowohl auf die einzelnen Gemeinden bezieht, die sich aus den verschiedenen Mitgliedern zusammensetzt, als auch auf die Kirche als Ganzes, die sich von den einzelnen Gemeinden her konstituiert. Paulus spricht auch vom Tempel Gottes und meint damit sowohl die gesamte Kirche, als auch die einzelnen Gemeinden und schließlich jeden Menschen.

Jede Ortskirche findet ihre Mitte in der Feier der Eucharistie, die sie auch zugleich im Namen der gesamten Kirche feiert. Barmherzigkeit, Friede und Gerechtigkeit ist die Grundlage der Eucharistie. Die Einheit der Gemeinde hat ihr Fundament im alltäglichen Einsatz für Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Es ist dieses gemeinsame Fundament, das alle Gemeinden miteinander verbindet, die so zur Weltkirche werden.

Dammert: „Eine so verstandene universelle Kirche kann man wie folgt definieren: als eine Kommunion verschiedener Ortskirchen, in der die Einheit auf der gemeinsamen Praxis der Barmherzigkeit beruht, die in der Eucharistie ihre Wurzeln hat“. Für Dammert bedeutete dies, dass sich in der gelebten Glaubenspraxis der christlichen Gemeinschaften Kirche konstituiert. Mit anderen Worten: die Stärke und Selbstverantwortung einer lokalen Kirche steht nicht im Widerspruch zur Einheit der Kirche, sondern ist Voraussetzung für eine lebendige Kirche weltweit.

Nicht zuletzt in den Partnerschaften von Gemeinden der Diözese Cajamarca mit deutschen Gemeinden wird deutlich, wie das Verhältnis von lokalen Kirchen untereinander und zur Weltkirche zu bestimmen ist. So wie es auch im zwischenmenschlichen Bereich nur zu einer echten Partnerschaft kommen kann, wenn die Partner sich ihrer eigenen Identität bewusst sind, so können Gemeinden aus Peru und aus Deutschland trotz eines derart unterschiedlichen Kontextes zu wirklichen Partnern werden, wenn sie sich ihrer eigenen Besonderheit und Bedeutung bewusst sind. Dann können sie in dem Bewusstsein der Einheit bei aller Verschiedenheit gemeinsam Eucharistie feiern und die Andersheit des Anderen und das Brot-Teilen als Bereicherung erfahren und so Glied der weltweiten Kirche werden.

Standort und Bedeutung einer Kirche der Armen (Cajamarca)

Die Bedeutung der lokalen Kirchen geht noch über das bisher Gesagte hinaus. Die Mehrzahl der lokalen Kirchen innerhalb der Gesamtkirche sind arme Kirchen. Will die katholische Kirche ihrem eigenen Auftrag gerecht werden, z.B. den Armen eine Frohe Botschaft verkünden und selbst eine Kirche der Armen werden, dann ergibt sich daraus wie von selbst eine Option: die Armen sind in einem ersten Schritt die ersten Adressaten der Botschaft Jesu und der Kirche und in einem zweiten Schritt werden die Armen selbst zu Subjekten der Verkündigung und zur Kirche Jesu Christi. Die Option für die Armen ist daher sowohl biblisch – christologisch, wie auch ekklesiologisch von zentraler Bedeutung.

Hieraus ergibt sich ein besonderer Auftrag und eine besondere Verantwortung für die Kirche von Cajamarca. Als eine der ärmsten und am meisten vernachlässigten Zonen in Lateinamerika bringt sie ihre Erfahrungen in die Weltkirche ein und hilft ihr dadurch, ihrem eigenen Anspruch gerechter zu werden. Nicht nur in Cajamarca bilden die Campesinos die Mehrheit, sondern auch in der weltweiten Kirche und Gesellschaft bilden die Armen eine überwältigende Mehrheit.

Doch die Campesinos, stellvertretend für alle Arme, Diskriminierte und Ausgegrenzte, stellen nicht nur eine quantitative soziologische Größe dar, sondern sie sind eine qualitative theologische Größe und mehr noch: sie werden zum entscheidenden Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Botschaft. Sie stehen im Zentrum der Botschaft Jesu und damit im Zentrum seiner Kirche. Daher ist von ihnen auszugehen, von ihrer Lebenswirklichkeit, ihren Leiden und Hoffnungen und ihrer Glaubenspraxis. Der Standort und die Bedeutung der Kirche von Cajamarca kann in folgenden Punkten aufgeführt werden:

  • Theologisch und kirchlich haben die Campesinos das erste Wort. Das Hören kann nur in einem vertrauensvollen Kontakt mit den Campesinos, Ausgegrenzten etc. der lokalen Kirche von Cajamarca geschehen. Auch geschichtlich gesehen waren es zuerst ausgegrenzte Menschen der Zeit Jesu, die durch die Begegnung mit Jesus dem Christus angeregt wurden, neue Gemeinschaften zu bilden, aus denen heraus dann kirchliche Strukturen und theologische Lehren entwickelt wurden. Daher geht es in dieser Arbeit darum, zu sagen, was die Campesinos zu sagen haben. Es soll nicht zuerst über sie gesprochen werden, sondern mit ihnen zusammen und von ihrem Standpunkt aus werden neue Perspektiven entwickelt. Ihre Worte und Zeugnisse sind die wichtigsten Quellen dieser Arbeit. Dies ist umso wichtiger, wenn die „Worte der Campesinos“ aus verschiedenen Gründen kaum vernehmbar sind und sie noch weniger selbst zu Wort kommen bzw. als Subjekte in Theologie und Kirche kaum vorkommen.
  • Es geht aber nicht nur darum, die Campesinos zu hören, sondern auch ihren Standort einzunehmen: Man kann nur „für die Armen“ sein, wenn man „mit den Armen“ ist und ihr Schicksal teilt.[3] Die Kirche von Cajamarca hat in der Amtszeit Bischof Dammerts einen klaren Standpunkt eingenommen. Dieser Standpunkt wird auch in dieser Arbeit vertreten.
  • Die Einnahme eines entschiedenen Standpunkts führt notwendigerweise zur Auseinandersetzung mit anderen Standpunkten. Für jeden, der sich ernsthaft auf diese Auseinandersetzung einlässt, wird dies zu einer existentiellen Auseinandersetzung und führt zu einer radikalen Infragestellung des eigenen Glaubens und der eigenen Lebensweise.
  • - Von dieser Aufgabenstellung her wird die Auswahl der Literatur bestimmt. Neben Dammert selbst werden in dieser Arbeit vorrangig das Werk und das Zeugnis von Gustavo Gutiérrez herangezogen, weil er die Arbeit der Diözese Cajamarca bis 1992 begleitete. Die Veröffentlichungen der Kirche von Cajamarca spielen eine besondere Rolle. Im Mittelpunkt steht aber die Praxis. Sie gilt es zu lesen und kritisch zu vergleichen. Das Zeugnis der Menschen von Cajamarca bilden das Material und die Quellen dieser Arbeit.
  • Das Glaubenszeugnis der Kirche von Cajamarca mit ihrem Bischof Dammert ist theologisch und weltweit von Bedeutung, weil die Campesinos als „die Hirten von Bethlehem“ dort Kirche bilden und Dammert als Bischof ihren Standpunkt einnimmt.
  • Über Dammert und über Gustavo Gutiérrez, der bereits in den sechziger Jahren des Öfteren zu längeren Kursen in Cajamarca eingeladen worden war und ein enger Freund von Bischof Dammert ist, finden die Erfahrungen von Cajamarca Eingang in kirchliche Dokumente, z.B. in die Dokumente von Medellín, Puebla und der peruanischen Bischofskonferenz.
  • Im Dialog mit den deutschen Partnergruppen finden die befreienden Glaubenserfahrungen der Campesinos den Weg nach Deutschland und in deutsche Gemeinden. Das Angebot des Dialogs gilt zuerst den Gemeinden, die dann im Auftrag ihrer Partner in Peru in einen Dialog mit der deutschen Kirche insgesamt und mit der Theologie eintreten.

Das Beispiel Cajamarca zeigt, was das Zweite Vatikanische Konzil konkret am Beispiel einer ausgewählten Diözese in Bewegung gebracht und wie es sich konkret auf die Menschen von Cajamarca ausgewirkt hat. Ohne das Konzil wäre die Kirche von Cajamarca nicht zu dem Zeichen der Hoffnung geworden, wie es dann für viele Menschen sogar weit über die lokale Kirche hinaus geworden ist. Das Beispiel der Kirche von Cajamarca zeigt aber auch, dass das Konzil nur ein erster Schritt sein konnte, dem bisher aber keine weiteren Schritte folgten.

Die aufgeführten Punkte machen deutlich, dass die Amtszeit von Bischof Dammert (1962 - 1992) eine kirchengeschichtlich einmalige Epoche war. Diese beiden Jahreszahlen markieren einen Zeitabschnitt, der beispielhaft für die gesamte Kirche in Lateinamerika war. Exemplarisch lassen sich hier die Aufbrüche der lateinamerikanischen Kirche auf der Basis der Beschlüsse des Konzils und von Medellín aufweisen. Deswegen steht dieser Zeitabschnitt im Mittelpunkt. Bischof Dammert verkörpert diesen Aufbruch. Er war ein „Bischof der Indios“ und ein guter Freund von Papst Paul VI. Er verkörpert damit auch die Brücke zwischen der Kirche von Cajamarca und der weltweiten Kirche.


Anmerkungen:

[1] „Una Iglesia de Poncho y Sombrero“: Dieser Begriff wird zum ersten Mal in dem Beitrag der Kirche von Cajamarca für die III. Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla verwendet. Dieser Beitrag (Stellungnahme zu dem „documento de consulta“ der Kurie) war bewusst als Beitrag der Kirche von Cajamarca verfasst und u.a. an die Kurie in Rom geschickt worden. Er war das Ergebnis eingehender Diskussionen auf einer diözesanen Pastoralversammlung im März 1978. Hauptautoren waren die Delegierten der Campesinos.
[2] Dammert: „De pastorali episcoparum munere“ (lateinischer Titel, aber spanischer Text) vom 27. 7. 1963. Archiv des Instituto Bartolomé de Las Casas (IBC). Zu beachten ist, dass dieser Artikel vor der Verabschiedung der Konzilsdokumente verfasst wurde, daher kommt z.B. der Begriff vom „Volk Gottes“ nicht vor. Doch zeigt sich bereits hier, wie Dammert das Verhältnis zwischen lokaler und universaler Kirche bestimmte und wie er daher seine Aufgabe als Bischof verstand. Als Bischof einer armen Diözese, der zudem bisher nur europäische Strukturen und Modelle übergestülpt worden waren, fühlte er sich verpflichtet, die Kirche von Cajamarca mit ihren Leiden und Hoffnungen in die Weltkirche einzubringen - auch um der Weltkirche willen. Gleichzeitig verstand er sein Bischofsamt als Aufgabe, die Kirche als Ganzes in seiner Diözese sichtbar werden zu lassen.
[3] Zum eigenen Standpunkt: ich verstehe mich als Mitglied der Einen Kirche sowohl als Teil der Kirche von Cajamarca als auch der Kirche von Ulm. So werde ich auch von christlichen Gemeinschaften in Cajamarca gesehen. Es kann zweifellos zu einem Problem werden, sich zu beiden Kirchen zu bekennen und noch schwieriger ist es, zwei derart verschiedene Standpunkte einzunehmen. Theoretisch wäre es leicht, von der „Einen Kirche“ zu reden, in der ja beide Kirchen aufgehen. Aber Praxis und Theorie sind mitunter weit von einander entfernt.