Zum Ende des Konzils vor 50 Jahren - am 08. Dezember 1965

Schriften über das Konzil, dessen Rezeption, Auswirkungen, inneren Widersprüche usw. füllen Bibliotheken. Und das ist gut so. Aber entscheidender ist die vom Konzil her entstandene Praxis. In unseren Breitengraden sind das zuerst die Liturgiereform und die Mitsprache der Laien (Räte). Die theologischen Fundamente sind die Wiederentdeckung des Volkes Gottes als Träger der Evangelisierung, die Hinwendung zur Welt (ad extra) und die Abkehr von einer „societas perfecta“, einer Gesellschaft, die aus sich heraus alles hat, was sie zum Leben braucht, also autark ist. Im 4. Jh. nach Chr. wurde dieser Begriff auf die Kirche übertragen und bis ins 20. Jh. so definiert, dass der Kirche von Gott alles gegeben wurde, was sie zu ihrer Existenz braucht. Sie braucht „die Welt“ nicht, sie ruht in sich und für sich. Sie regelt alles aus sich selbst heraus.

Nach dem Konzil dürfen wir sagen: Das war eine Sackgasse. Das war und ist nicht kompatibel mit der Botschaft von Jesus dem Christus.

Welche Auswirkungen in der Praxis diese „alte Lehre“ hatte, wird deutlich im folgenden Glaubenszeugnis eines Campesinos aus Peru. Darin wird auch deutlich, zu welch umwälzenden Veränderungen das Konzil vor allem bei den bis dahin am meisten verachteten Menschen führte, den „Hirten von Bethlehem“, als die sich die nun neu evangelisierten Campesinos selbst verstehen. Aus einer Kirche auf der Seite der Macht wurde eine Kirche auf Seite der Ohnmächtigen. Vor allem diejenigen Bischöfe (aber nicht nur), die den berühmten Katakombenpakt initiiert und am 16. 11. 1965 unterschrieben haben, haben in ihren Diözesen begonnen, zusammen und inmitten der Ohnmächtigen, die Kirche im Geiste der Frohen Botschaft zu erneuern. Dies mag auch ein Zeichen dafür sein, dass das Konzil einen Übergang markiert: Aus einer europäischen Kirche - im Zentrum der Macht und oft mit der Macht - wird eine katholische Kirche, die sich von der Peripherie her konstituiert, von den „Rändern dieser Welt“. 

Wer mit Recht vom Konzil als Beginn einer neuen Epoche spricht, mag bitte auch bedenken, was dieser Aufbruch der Kirche gerade für die am meisten Benachteiligten weltweit bedeutet hat. Die Bedürfnisse, Bedrückungen und Sehnsüchte dieser Menschen zum Maßstab nehmen, bedeutete für Millionen Menschen, dass sie zum ersten Mal als Menschen und Kinder Gottes, ausgestattet mit einer unendlichen Würde, wahrgenommen wurden – hierzu das folgende Glaubenszeugnis:

Lasst uns den Weg weitergehen!  (Jesus Flores de La Loma)

„In den Anden im Norden Perus begann seit den Jahren 1962/63 in den Herzen der Gedemütigten eine Hoffnung zu keimen: eine Hoffnung auf ein Leben in Würde, in Gerechtigkeit und dass alle als Kinder des Einen Vaters ein Leben in Fülle haben mögen. Durch das Evangelium, das sie zum ersten Mal hörten, entdeckten sie, dass Gott selbst, Jesus Christus, mitten unter ihnen geboren wurde, um alle ihre Leiden und Hoffnungen mit ihnen zu teilen.

Dies geschah in der gleichen Gegend, wo ein spanischer Priester eine Schlüsselrolle bei der Gefangennahme und Ermordung Atahualpas spielte. Und so begann die grausamste Epoche in der Jahrtausende alten Geschichte unseres Volkes von Cajamarca. Nach 430 Jahren voller Massaker, voller Verachtung, die wir erleiden mussten und in der man uns all das geraubt hatte, was uns gehörte, kam wieder ein Priester. Es kam ein Guter Hirte, der ein offenes Herz für die Campesinos hatte. Er lehrte sie mit seinem persönlichen Zeugnis der Bescheidenheit und Demut die authentische Botschaft von Jesus dem Christus. Seine Ankunft in Cajamarca fiel zusammen mit dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils, zu dessen Eröffnung Johannes XXIII. zum ersten Mal von der Notwendigkeit einer Kirche mit den Armen und der Armen gesprochen hatte, und dies als die einzig authentische Art bezeichnete, die wahrhaftige Kirche Jesu Christi zu sein.“

Die „Kirche der Nacht“  und  die "Kirche Jesu Christi"

Beide Bilder von José  Espiritu, Campesino, Katechet und Maler aus Cajamarca, Peru                         

Das Wichtigste war, dass sich die seit jeher Ausgestoßenen zum ersten Mal gehört und respektiert fühlten, sie fühlten sich als Gestalter ihres eigenen Schicksals. „Wir entdeckten, dass wir auch wer sind“. Der erste „Indiokatechet“ der Welt, mit der päpstlichen Erlaubnis zu taufen und die Botschaft vom beginnenden Reich Gottes zu verkünden, drückt es so aus: „Bischof Dammert hat mich gelehrt, dass ich eine Person bin, dass ich Christ bin und Peruaner“. Oder mit den Worten des Dichters Arguedas: „Er hat mich gelehrt, dass ein Christenmensch mehr Wert ist als ein Tier“.

Diejenigen, die am meisten verachtet werden, die Hirten von Bethlehem und von den Anden, sind die Ersten, die die Botschaft von einem Neuen Himmel und einer Neuen Erde hören. In der finsteren Nacht einer langen Geschichte öffnet sich der Himmel und steigt zur Erde hinab, das Licht dringt in die Herzen der Menschen ein und zeigt ihnen den Weg. Sie folgen dem Stern und sie gelangen zu einer Hütte, und dort entdecken sie in einer Krippe ihren Retter und Befreier - während die Weisen von Jerusalem und die Mächtigen von Rom und deren Statthalter weder diese Botschaft hören noch den Stern sehen können, weil sich selbst für das Licht halten. 

Willi Knecht, veröffentlicht in "Der geteilte Mantel", 2015, dem Magazin zur Weltkirchlichen Arbeit der Diözese Rottenburg-Stuttgart

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Info: Von verschiedenen katholischen Bewegungen und Initiativen werden Vorbereitungen getroffen, das Ende des Konzils vor 50 Jahren in Rom zu feiern – einschließlich der Unterzeichnung des Katakombenpakts am 16.11.65. Ansprechpartner ist das Institut für Theologie und Politik, Münster. Aus der Ankündigung: „Vom 11.- 17. November: `Katakombenpakt erinnern und erneuern!´

Unsere Versammlung ist Teil einer größeren Dynamik zur Konzilserinnerung. Gemeinsam mit anderen Reformgruppen ladenwir im Herbst nach Rom ein, um dort mit mehreren Veranstaltungen präsent zu sein und Zeichen zu setzen – für eine prophetische Kirche im 21. Jahrhundert…“

Als Teilnehmer haben zugesagt: Die Bischöfe Erwin Kräutler, Luís Flavio Cappio (beide aus Brasilien), Luigi Bettazzi, der letzte Konzilsvater, Raul Vera (Mexiko), der Theologe Jon Sobrino (El Salvador) u.a.