„Der Frieden ist vor allem ein Werk der Gerechtigkeit. Er erfordert die Errichtung einer gerechten Ordnung, in der sich die Menschen als Kinder Gottes verwirklichen können, in der ihre Würde geachtet wird und ihre legitimen Erwartungen befriedigt werden. Den Frieden erlangt man nur, indem man eine neue Ordnung schafft, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen herbeiführt“. So schreiben die lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín 1968 und zitieren damit das 2. Vat. Konzil (Gaudium et Spes, Nr. 78, 76).
Die Bibel nennt uns die Ursachen für die herrschenden Unordnungen und sie zeigt Wege auf, wie die Menschen in der Nachfolge Jesu dem uns allen verheißenen „Leben in Fülle“ immer näher kommen können. Die Geschichte vom Sündenfall erzählt uns, dass der Mensch vom Verlangen getrieben wird, wie Gott sein zu wollen. Dies und seine Gier nach „immer mehr“ führen zum Bruch mit Gott. Sein Bestreben, sich und seine eigenen Bedürfnisse, Maßstäbe und Werke zu verabsolutieren, wird zum Götzendienst. Die von Gott dem Menschen bestimmte Ordnung, in Gemeinschaft mit ihm zu leben, wird zerstört. Der Mensch wird zum Mörder seines Bruders. Diese dem Menschen inne wohnende Maßlosigkeit steckt in jedem von uns. Es ist die Urversuchung schlechthin.
Aber die Bibel zeigt uns auch, was wir wirklich sind und zu was Gott uns alle berufen hat: Wir sind Gottes Ebenbild, alle Menschen in gleicher Weise. Jeder Mensch hat daher eine unvergleichliche Würde und unantastbare Rechte. Und die Erde gehört allen Menschen, genauer: sie ist ihm von Gott geliehen und sie ist uns anvertraut. Gott hat sie mit all den Gütern ausgestattet, die der Mensch zum Leben braucht. Diese Güter der Erde sind für alle Menschen bestimmt. Wenn aber um des eigenen Vorteils willen („die Gier nach immer mehr“) dem Mitmenschen diese Güter vorenthalten oder gar geraubt werden, dann herrschen Tod und Gewalt. Dann wird der Mensch dem Menschen zur Bestie. Wir sind nicht dazu berufen, auf Kosten der anderen zu leben, sondern dazu, dem Mitmenschen zum Segen zu werden.
Konkrete Beispiele - drei Facetten derselben „Unordnung“
1. Landraub (Landgrabbing, Thema des Weltsozialforums, Februar 2011 in Dakar).
Kain erschlug seinen Bruder Abel. Bibelwissenschaftler sehen in dieser Geschichte die Aufarbeitung des uralten Konfliktes zwischen Nomaden und sesshaft gewordenen Ackerbauern, bzw. noch grundlegender: der Kampf um mehr „Gottgefälligkeit“. Auch wir heutige Menschen sind nicht besser als unsere Vorfahren. Und dieser „Kampf um mehr Sein und mehr Haben“ beherrscht auch unser Leben. Selbst der Kampf der Nomaden und der Ackerbauern ist aktueller denn je. Nur dass die heutigen Nomaden nicht mehr mit Kamelen durch die Welt ziehen, sondern mit dicken Schecks in der Hand. Es sind Finanzinvestoren auf der Suche nach zukünftigen Möglichkeiten für noch bessere Renditen.
War es früher der Großgrundbesitz, der die Mehrheit der Menschen zu landlosen Hungerleidern degradierte, so sind es heute Agrarkonzerne, die mit ihrer industriellen „Landwirtschaft“ immer mehr Kleinbauern um ihr Land bringen. Auf diesem (noch) fruchtbaren Ackerland werden dann aber nicht die notwendigen Grundnahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung angebaut, das wäre ja nicht rentabel, sondern vorwiegend Tierfutter für die Überproduktion von Schweinen und Kühen in den reichen Ländern. So wird z.B. jede Kuh in einem EU-Land mit täglich 1,5 € subventioniert, während gleichzeitig weit über eine Milliarde Menschen von weniger als 1 € im Tag leben müssen. Auch deutsche Unternehmen haben bereits Landverträge in Afrika abgeschlossen. So hat eine Münchner Firma 56.000 Hektar Land für die nächsten 50 Jahre in Äthiopien gepachtet, um dort Öl für die Kosmetik- und Pharmaindustrie sowie zur Herstellung von Biodiesel zu produzieren. Die Produktion von Viehfutter gerät in Konkurrenz mit dem zunehmenden Bedarf an nachwachsbaren Rohstoffen als Ersatzprodukte für die zu Ende gehenden fossilen Energieträger. Dies führt zu einer noch stärker werdenden Nachfrage nach Land, zu mehr Vertreibung, Verwüstung der Erde und der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen. Papst Johannes Paul II. warnte 1984 in Edmonton, Kanada, die „reichen Völker“: „Im Lichte der Worte Christi betrachtet werden die armen Völker - nicht nur arm an Nahrungsmitteln, sondern auch ihrer Freiheit und Menschenrechte beraubt – eines Tages den reichen Völkern zum Gericht werden, die ihnen diese Güter entreißen, indem sie alles für sich allein anhäufen auf Kosten der übrigen.“
2. Klimawandel und Gerechtigkeit
Nachweislich geht jedes Jahr Ackerland von der Größe Deutschlands verloren, es wird zu unfruchtbaren Steppen oder Wüsten. Hauptgründe sind u.a. extremer Wasserverbrauch im Bergbau und bei Monokulturen (industrielle Landwirtschaft). Doch die Ärmsten haben weder vom Bergbau noch von den Monokulturen etwas – im Gegenteil. In Guatemala wirkt sich das z.B. so aus: Im Vergleich zum Vorjahr müssen für einen Sack Mais das Doppelte und für einen Sack Bohnen 60% mehr bezahlt werden. Bohnen und Mais sind Grundnahrungsmittel. Durch zunehmende Dürre (Klimawandel) und die steigende Nachfrage nach Mais als Biomasse zur Energiegewinnung statt für Lebensmittel nimmt der Hunger für die ländliche Bevölkerung zu. Weltweit nimmt ausgerechnet in den ländlichen Gebieten der Welt der Hunger zu. Die Landflucht nimmt weiter zu, immer mehr Menschen sind auf der Flucht und tatenlos sieht die „zivilisierte Menschheit“ zu, wie weltweit mit Spekulationen und Wetten auf steigende Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise diese Preise zusätzlich in die Höhe schießen.
Wir scheinen vor einem Epochenwechsel globalen Ausmaßes zu stehen: über Tausende von Jahren hat die Menschheit bestimmte Verhaltensregeln entwickelt, um die destruktiven Seiten des Menschen einigermaßen zu zähmen (Kultur, Humanismus, Menschenwürde). Doch nun scheint dies zur Disposition zu stehen: Jeder für sich und einer gegen alle; wer etwas hat, der hat Recht und wer nichts hat, hat bestenfalls Pech gehabt oder ist selbst schuld. Dagegen spricht Papst Johannes Paul II. „Der Glaube lehrt uns, dass der Mensch das Abbild Gottes ist; das heißt, dass er mit unendlicher Würde ausgestattet ist. Wenn man gegen den Menschen Gewalt anwendet, wenn seine Rechte verletzt werden, begeht man ein Verbrechen und beleidigt Gott aufs Schlimmste“ (s.o.).
3. Fundamentalismus
Überall wo Menschen ihre stets sehr beschränkte Sichtweise und ihre dahinter verborgenes Eigeninteresse als Gottes Wille ausgeben, wird der „Ungläubige“ zum Feind. Hier soll auf eine Religion (?) hingewiesen werden, die meist nicht als solche erkannt wird, dennoch die wirkmächtigste zu sein scheint: der unbedingte Glaube an die Macht des Kapitals. „An was du dein Herz hängst, das ist dein Gott“, schrieb Luther und vor allem die Propheten des AT und Jesus selbst stellen die Menschen immer wieder vor die Alternative: Gott oder das Gold (Mammon, Geld) bzw. der Glaube an den Gott des Lebens oder an die vom Menschen geschaffenen Götzen des Todes.
Freie Fahrt den Tüchtigen, dem Kapital und den Konzernen; noch mehr Wachstum, Produktion und Konsum; grenzenlose Kommunikation und Kommunion durch den Gebrauch und Genuss weltweit identischer Produkte und „Werte“ – und wer arm ist, ist selbst schuld und muss sich selbst helfen, denn jeder hat die gleichen Chancen! Das sind die Glaubenssätze (Dogmen) dieser Religion der Neuzeit. Der Markt hat immer Recht, er ist wertneutral, alternativlos und was allein zählt, ist der finanzielle, wirtschaftliche Erfolg. Die Hohen Priester dieser global herrschenden Religion wollen ihre „Frohe Botschaft“ tief in die Hirne und Herzen der Menschen verpflanzen - und es scheint ihnen zu gelingen! Ihr Gott ist das Geld, und die Gier nach immer mehr Besitz und Macht ist das Erste Gebot. So werden immer mehr Dinge produziert, doch immer mehr Menschen werden ausgegrenzt; Nahrungsmittel werden im Überschuss produziert und verschleudert, aber immer mehr Menschen hungern. Die Erde wird zur Wüste.… Diese falschen Propheten des Unheils gilt es als solche zu entlarven, denn sie führen die Welt in den Abgrund. „Der Tanz um das Goldene Kalb wird zum Totentanz für Mensch und Natur“. (Aufruf des deutschen kath. Missionsrats, Januar 2011).
Die Gemeinschaft der Christus-Gläubigen als Hoffnung für diese Welt.
„Der Friede mit Gott ist das tiefste Fundament des inneren und des sozialen Friedens. Darum wird überall dort, wo dieser soziale Friede nicht existiert, überall dort, wo man ungerechte soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Ungleichheiten findet, die Friedensgabe des Herrn, mehr noch, der Herr selbst zurückgewiesen“. (Medellín 1968). Der Friede, von dem hier die Rede ist, ist ein Geschenk, eine Gabe Gottes. Und nur Gott kann über alle Abgründe hinweg Versöhnung gewähren. Aber er beruft und beauftragt uns, diese Welt gerechter und friedvoller zu machen. Dabei sind der Glaube Jesu und unser Glaube an Jesus den Christus der unbedingte Maßstab. Er beginnt seine Sendung mit dem Ruf: „Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe!“ Zeichen der neuen Zeit sind die Tischgemeinschaften mit Ausgestoßenen, mit allen Menschen (und Völkern), die unter die Räuber gefallen sind, die Befreiung aller Mühseligen und Beladenen und die Vergebung für alle, die Jesus folgen (u.a.).
Nicht sexuelle Enthaltsamkeit ist es, was Jesus von uns in der Nachfolge fordert, sondern zuerst die Solidarität mit den Armen (Mt. 25). Arme werden in der Bibel fast immer als Opfer von ungerechten Verhältnissen und Gottlosigkeit gedeutet. Daneben gibt es für die „Nicht-Armen“ die freiwillige Armut als Zeichen der Solidarität mit den Armen. Zeichen der Nachfolge Jesu ist, mit den Armen für eine gerechtere Welt zu kämpfen. Authentisch christliche Spiritualität bedeutet, in den Armen den gekreuzigten Christus zu erkennen und ihm so zu begegnen. Erst eine solche Spiritualität - anstatt der permanenten Sorge um seine eigene Seele und sein eigenes Feeling - führt zu einer wirklichen Erneuerung. Auf der Seite der Armen stehen bedeutet, von ihrem Standpunkt aus die Welt (Wirtschaft) zu deuten und zu verändern. Denn inmitten der verachteten Hirten von Bethlehem “kam Gott zur Welt“. Er identifiziert sich mit denen, denen die Fülle des Lebens verweigert bzw. deren Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Als Gemeinschaft derer, die an Jesus den Messias glauben, teilen wir daher in seinem Namen das Brot und alles, was der Mensch zum Leben braucht, auf dass wir selbst zum Brot des Lebens für den Nächsten werden. Das wäre dann in der Tat der Beginn einer wirklichen Erneuerung…!
Dr. theol. Willi Knecht,
Leitartikel in „Der Geteilte Mantel“, dem weltkirchlichen Magazin der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Jährliche Erscheinungsweise, wird verschickt an Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen, Verbände etc.,veröffentlicht am 01.07.2011
Weiterführende Hinweise (Beispiele einer „Kirche des Konzils – einer „Kirche der Armen“
Dr. theol. Willi Knecht, Ulm