Offener Brief an den Bischof der Diözese Cajamarca, José Carmelo Martínez Lázaro OAR (von Elmar Klinger)
Sehr geehrter Herr Bischof,
dieser Brief wird Sie verwundern. Denn ich kenne Sie nicht persönlich und gehöre auch nicht zu Ihrer Diözese. Dass ich ihn dennoch schreibe, liegt an meinem Interesse an Cajamarca, das ich schon besucht habe, und seinen Bewohnern, von denen ich einige sehr gut kenne, liegt aber auch an den Problemen, die gegenwärtig auf der ganzen Welt Schlagzeilen machen. Es geht um die Auseinandersetzung um den Goldabbau in ihrer Diözese durch die Newmont Mining Corporation, der peruanischen Firma Buenaventura S. A. und der Weltbank.
Sie haben am 19. Sept. 2006 in einem Hirtenbrief die kirchliche Haltung dargelegt, Priester und Ordensleute sollen verpflichtet sein, an keiner politischen Aktion teilzunehmen, auch wenn sie sich gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen seiner ganzen Region richtet, die ja ihre Diözese ist. Sie stützen sich auf kirchliche Dokumente, die Geltung haben. Andere Dokumente, die ebenso bindend sind und einen noch größeren Verpflichtungsgrad besitzen, jedoch erwähnen Sie nicht. Dadurch entsteht ein unangemessenes Bild von der Kirche und ihren Aufgaben in einem Land wie Peru.Ich meine das Zweite Vatikanische Konzil, sowie die lateinamerikanischen Bischofskonferenzen von Medellin und Puebla.
Indem sie diese Verlautbarungen übergehen, gerät das Leben der Personen in Gefahr, die sich auf Sie stützen, und die Gesamtpastoral Ihrer Diözese, die Sie verkörpern, aus dem Blick. Sie schreiben, dass es nicht die Aufgabe der Kirche ist, sich auf irgendeine Weise in Politik einzumischen oder Aufgaben zu übernehmen, die ihr nicht wesensgemäß sind. Es scheint mir daher wichtig, an dieser Stelle zu sagen, wer die Kirche ist, worin Politik besteht und inwiefern der soziale Einsatz den transzendenten Inhalt der Evangelisierung nicht nur nichtgefährdet, sondern zu seinem Wesen gehört.
Wer ist die Kirche? Sie gebrauchen dieses Wort so gut wie ausschließlich in einem verengten Sinn, denn sie verstehen darunter nur die Amtsträger. Das Zweite Vatikanum jedoch hat diese Verengung grundsätzlich überwunden und einen umfassenden Begriff von Kirche gelehrt: Kirche ist das Volk Gottes insgesamt. Sie ist, liest man in der Nr. 9 von Lumen gentium, die Versammlung des Volkes Gottes in Christus. Sie besteht aus den Menschen, die zu ihr gehören oder zur Mitgliedschaft in ihr berufen sind, und erschöpft sich keinesfalls in der Institution allein.
Worin besteht nach Auffassung des Konzils Politik? Auch dieses Wort gebrauchen Sie in einem ausschließlich verengten Sinn: denn Sie verstehen darunter staatliches, nicht gesellschaftliches Handeln. Die Kirche hat jedoch auf dem Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes und besonders deutlich in Puebla zwischen einem speziellen und allgemeinen Begriff von Politik unterschieden. Man vgl. Puebla 521. Dieses Dokument versteht darunter speziell die staatliche Tätigkeit von Regierung und Parteien, sowie ganz allgemein die Tätigkeit jedes einzelnen Menschen und besonders der Kirche selber für das Gemeinwohl einer Gesellschaft überhaupt. Der Priester hat keine staatliche Funktion, aber sehr wohl gesellschaftliche Aufgaben. Er leistet einen Dienst am Gemeinwohl der Menschen des ganzen Volk Gottes.
Wer beide verwechselt und den gesellschaftlichen Auftrag auf staatlicher oder quasi staatlichen Handeln reduziert, verleugnet nicht nur die Aufgabe einer Gesamtpastoral, sondern beschreitet den Weg des Totalitarismus. Evangelisierung umfasst Transzendentes und Immanentes. Sie kann beides niemals trennen. Es gibt daher keine wirksame Verkündigung ohne sozialen Einsatz. Dieser kann sich niemals auf die Laien beschränken, sondern wird auch vor den Priestern selbst geleistet. Selig sind die Armen vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich. Sie sind der geradezu exemplarische Fall politisch-sozialer Existenz.
Auch der katholische Katechismus, den Sie zitieren, behauptet keine Trennung, sondern will nur Aktivitäten im Einsatz selber differenzieren. Lumen gentium Nr. 35 hat den Begriff der Evangelisierung selber im Kapitel über die Laien entwickelt, die aber gerade bei dieser Tätigkeit die Solidarität der Priester benötigen. Gestatten Sie mir auch den Hinweis, dass Canon 213 und 218 politische Tätigkeit in staatlicher Funktion verbieten, keinesfalls aber dem gesellschaftlichen Auftrag insgesamt.
Umgang oder Nichtumgang mit amtlichen Dokumenten ist ein Problem. Es gibt aber auch die Situation, in der sich die Diözese und Sie befinden. Die Minengesellschaft ist ein knallhartes weltweit agierendes multinationales Unternehmen, das höchstmöglichen Gewinn erstrebt, aber keineswegs die nachhaltige Entwicklung der Lebensverhältnisse im Land. Sie ist mit Sicherheit kein sozialer Dachverband. Die Schäden, die sie verursacht, bedrohen die ganze Region und verwüsten sie und fordern auch inzwischen Tote.
Dass Ihre Diözese keine Mittel hat, die Kontamination selber festzustellen, entschuldigt nicht. Denn Unwissenheit schützt nicht vor Mitverantwortung, zumal man sich die notwendige Information von den entsprechenden Stellen und Ämtern leicht beschaffen kann. Dies zu tun, wäre meines Erachtens eine politische Pflicht von höchster pastoraler Bedeutung. Es geht um Leben und Tod, Vertreibung und Ausbeutung vieler Menschen. Daher genügt kein freundlicher Dialog ohne standfeste Unterlagen und Prinzipien; gefordert ist wirkliche Verkündigung.
Wofür stehen Sie? Stehen Sie für den Raubbau an den Lebensgrundlagen der Menschen ihrer Diözese oder verlangen Sie Maßnahmen für den Schutz ihres Lebens durch erforderliche Mittel? Oder stehen Sie nirgendwo und sind nur der Spielball in der Hand der Regierung und milliardenschwerer Investoren?
Sie sind eine politische Instanz, Herr Bischof, ob Sie es wollen oder nicht. Sie können dem Wort der Kirche Nachdruck verleihen. Auf Sie wird die Regierung hören. Haben Sie Mut! Seien Sie der Bischof der Kirche des Volkes Gottes in Cajamarca! Sie werden dadurch Nachteile erleben, aber sich Schätze im Himmel sammeln. Dazu möchte ich Sie ermuntern.
Mit den besten Grüßen, Prof. Dr. Elmar Klinger
Mein Begleitbrief an alle Partnergruppen (u.v.m.) Ulm, im Advent 2006
Es war ja zu befürchten…. Die Situation in Cajamarca (Peru) wird täglich dramatischer. Nachdem am 1. November 2006 ein Campesino, führendes Mitglied einer Umweltbewegung mit 17 Schüssen ermordet wurde - es ist bereits das sechste Opfer aus den Reihen der Campesinos - werden die Morddrohungen gegen die Umwelt - und Bürgerrechtsorganisation Grufides immer konkreter. Die Organisation „Observatory for the Protection of Human Rigths Defenders” (u.a.) verfasst einen weltweiten Aufruf zum Schutz der Mitarbeiter von Grufides (in: http://www.cajamarca.de/aktuell/llamado.pdf). Gründer und führende Persönlichkeit von Grufides ist Marco Arana, Priester der Diözese Cajamarca.
Marco Arana ist Vertrauensperson der Campesinos, in dieser Eigenschaft auch Projektpartner deutscher Partnerschaftsgruppen und von Misereor. Alle deutschen Partnergruppen unterstützen auch inhaltlich voll seine Arbeit zum Schutz der Rechte und der Würde der Campesinos und Bürger von Cajamarca. Für seine vermittelnden Tätigkeiten konnte er schon größeres Blutvergießen abwenden und bekam dafür im Dezember 2004 den peruanischen Menschenrechtspreis verliehen (siehe seine Preisrede
übersetzt in: http://www.cajamarca.de/mine/Rede-marco.pdf). Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist er in Peru und darüber hinaus wegen seiner konkreten Option für die Armen (Opfer) bekannt geworden. Ich bin mit ihm seit 30 Jahren eng verbunden.
In dieser Situation lässt der Bischof von Cajamarca, José Carmelo Martínez Lázaro, OAR, einen Hirtenbrief (übersetzt in: http://www.cajamarca.de/mine/Hirtenbrief.pdf) in allen Kirchen verlesen, indem er - ohne den Namen zu nennen - Marco Arana und drei weitere Priester auffordert, ihre „Agitation“ gegen die Mine sofort einzustellen und sich auf die eigentlichen priesterlichen Aufgaben zu beschränken. In der lokalen und nationalen Presse wird dies sofort richtig verstanden, ihre Schlagzeilen lauten: „Kirche sagt ‚Jetzt reicht es!’ zu Priester Arana“. „Der Bischof von Cajamarca entzieht dem Priester Arana den Boden“. Seither nimmt die Gewalt zu, die Morddrohungen werden konkreter, Marco Arana und seine Mitarbeiter „sind zum Abschuss freigegeben“. Doch das ist „nur“ der bisherige Höhepunkt einer unrühmlichen Vorgeschichte, einer Geschichte, die bis in den Vatikan hinein reicht.
1. Zur Diözese Cajamarca:
Lateinamerikanische Kirchenhistoriker schreiben, dass in kaum einer Diözese der „Geist des Konzils“ so konkret in die Praxis umgesetzt wurde, wie in Cajamarca. Die richtige (authentische) Interpretation des Konzils erweist sich in der Praxis als ein mehr an „Fülle des Lebens“, an Gerechtigkeit und an Freiheit besonders für die, denen dies bisher vorenthalten wurde. Genau dies ist in Cajamarca zu „studieren“. Es gibt kaum eine Diözese, aus der so viele authentischen Zeugnisse der Armen vorliegen und deren befreiende sozialpastorale Arbeit so genau dokumentiert wurde. Dies liegt vor allem an ihrem Bischof José Dammert Bellido (1962 - 1992), u.a. Motor der „Bewegung der Kleinen Bischöfe“ und der Unterzeichner des Katakombenpakts, der entscheidenden Einfluss auf die Erneuerung der Kirche in Peru und dann über Medellín für Lateinamerika hatte.
2. Zum Bischofswechsel:
1992 wurde das altersbedingte Rücktrittsgesuch von Bischof Dammert, er war gerade Präsident der peruanischen Bischofkonferenz, sofort angenommen, Dammert erfuhr es aus dem Radio. Sein Nachfolger, Bischof Simón Piorno (1992 - 2004) wurde laut eigener Aussagen nach Cajamarca geschickt, um „die Fundamente der Kirche, die unter Dammert niedergerissen wurden, wieder aufzurichten“ und (vor 200 Campesino-Katecheten als Zeugen), „den Saustall hier aufzuräumen“. Vieles ist ihm „gelungen“,
aber nicht alles. (Details/Folgen in: http://www.cajamarca.de/download/bamba-pilotprojekt.pdf)
Bei der Einführung des heutigen Bischofs am 19. Dezember 2004 dankte der Apostolische Nuntius in Peru, Rino Passigato, Bischof Simón für seine gelungene Arbeit und dafür, dass durch seine Arbeit die vorausgehenden 30 Jahre voller schlimmer Missstände nun vergessen sind. Entscheidend: Der Nuntius machte dann auch das Konzil direkt für diese „Missstände“ verantwortlich, denn in der Folge des Konzils kam es in ganz Lateinamerika zu ähnlichen Zuständen wie in Cajamarca. Damit stellt er
das Konzil nicht nur in Frage, sondern verteufelt es - und damit darf er sich „ungestraft“ auf den vorhergehenden und jetzigen Papst berufen. Dok. in: http://www.cajamarca.de/theol/nuntius-deutsch.pdf
3. Goldabbau in Cajamarca:
Das „Gold von Cajamarca“ ist eine entscheidende Ursache für die Armut in Cajamarca. Es war die Suche nach den vermuteten sagenhaften Goldvorkommen, weshalb Europäer nach Cajamarca kamen und das mächtige Reich der Inkas im Handstreich zerstörten. Und heute dreht sich erneut alles um das Gold. Das Unternehmen Yanacocha, mehrheitlich im Besitz der Newmont Mining Co., betreibt in der Diözese den weltweit profitabelsten Goldabbau, es ist die zweitgrößte Goldmine, die größte in Amerika. Seit Beginn des Goldabbaus 1993 haben Armut und Gewalt in Cajamarca nachweislich (dazu viele Studien) zugenommen. Cajamarca ist heute die zweitärmste Region in Peru und einer der ärmsten in Lateinamerika. Besonders die Campesinos sind davon betroffenen: Landvertreibung, Wasserknappheit, u.v.m.. (Details auf deutsch in: http://www.cajamarca.de/goldmine.htm).
In dieser Situation erfahren die Menschen von Cajamarca (besonders die wegen der kirchlichen Aufbrüche seit 1962 so engagierten und mit neuer Hoffnung und Lebensmut erfüllten Campesinos) die Kirche (Hierarchie) als Gegner, ja sie fühlen sich von ihr verraten. Besonders Bischof Simón machte aus seiner Option keinen Hehl (konkret wurden z.B. Führer der Campesinos vom Bischof unter falschen Versprechungen ins Bischofshaus gelockt und dann der Polizei übergeben, etc.). 2003 ketteten
sich kirchlich engagierte Campesinos an den Bischofspalast und riefen: „Herr Bischof, an wen glaubst du, an den wahren Gott oder an das Gold von Yanacocha“.
Auch eine engagierte Kirchenführung auf der Seite der Armen könnte heute den Goldabbau zwar nicht verhindern, sie würde aber vieles zu Gunsten der Ärmsten erreichen können. Vor allem aber würde sie den nun wieder völlig Ausgegrenzten die Gewissheit geben, nicht verlassen zu sein, sondern Teil der weltweiten Gemeinschaft zu sein, die im Namen Jesu Christi aufgebrochen ist, der Welt ein Zeichen der Hoffnung zu sein. Für die Kirche weltweit (globale Gemeinschaft aller, die an Jesus den Christus glauben) kann es nicht egal sein, auf welcher Seite einige Bischöfen, Nuntien usw. stehen. Es geht um ihre Existenz oder zumindest ihre Identität. Sie könnte sich sonst nicht mehr auf Jesus Christus und das Zeugnis der ersten Christen berufen (vielleicht aber auf Platon und Aristoteles…).
4. Aufruf (und bitte um Unterstützung):
Für die deutsche Kirche, für die Theologie und die konkrete Praxis in den deutschen Kirchengemeinden, kann es nicht gleichgültig sein, ob die Indios (stellvertretend für alle Ausgegrenzten der Erde) in die Ecke gestellt werden oder in die Mitte, in der sie entsprechend dem Evangelium gehören. Vorrangige (!) Aufgabe gerade der deutschen Kirche als immer noch reichste Kirche der Welt wäre, mit ihren Möglichkeiten die Campesinos ins Zentrum zu rücken. Gerade dadurch würde sie immer mehr zur
wahrhaft katholischen Kirche, zur Kirche Jesu Christi. Wir dürfen nicht zulassen, dass die exklusive (!) Deutungshoheit über Evangelium und Konzil bei denen liegt, die nicht zuerst in der Gemeinschaft mit den „Indios dieser Welt“ stehen, mit denen sich Jesus zuerst solidarisiert hat, unter denen er Mensch wurde und die mit ihm leiden und auferstehen. Auch der Bischof von Rom, wie wir alle, wird gefragt werden: „Wo warst du, auf welcher Seite war dein Platz, hast du meinen Schrei gehört…?“
5. Zu den Quellen und Hintergründen:
Im Auftrag 16 deutscher Kirchengemeinden (Partnergruppen) und von Bischof Dammert selbst, unter der Leitung der Professoren Elmar Klinger (Würzburg) und Ottmar Fuchs (Tübingen), finanziert von den Diözesen Bamberg, Würzburg und Eichstätt, danach als DFG-Studie weitergeführt, war ich von 1997 bis 2003 zur Arbeit an diesem Thema freigestellt. Die Zusammenarbeit mit dem Instituto Bartolomé de Las Casas, der Kath. Universität Lima, vor allem mit den Campesinos von Cajamarca war
von entscheidender Bedeutung. Ich war von 1977-1980 als Pastoralreferent in Bambamarca (Cajamarca), danach Aufbau von Gemeindepartnerschaften und ständiger Dialog mit der peruanischen Kirche.
Quellen, Ergebnisse dieser Arbeit und Hinweise zur Vertiefung: Allgemein: „Die Kirche von Cajamarca - die Herausforderung einer Option für die Armen“ (Dissertation bei E. Klinger), Lit-Verlag 2005: Vorgestellt in http://www.willi-knecht.de. Zu 2: http://www.cajamarca.de/download/ratzinger.pdf; http://www.cajamarca.de/download/simon.pdf. Zu 3: (Gold): http://www.cajamarca.de/download/gold1.pdf und ..... /download/gold-simon.pdf; Sammelband „Die globale Verantwortung “ ebenfalls in www.cajamarca.de (Artikel von Gutiérrez, Klinger, Fuchs u.a.), Analyse der Beziehungen deutscher Partnerschaften, Hilfswerke mit Cajamarca.