Wach auf, Bruder Campesino!
"Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut
ist und was der Herr von dir erwartet:
Nichts anderes als dies: Gerechtigkeit üben, treu sein
und demütig den Weg gehen mit deinem Gott". (Micha 6,8)
„Meine Befreiung aus Ägypten, mein versprochenes Land....“
..... sagte sich Don Juan, voller Stolz, während er seinen Blick schweifen ließ über die Weite der Landschaft um die Stadt Bambamarca. In seinem Gesicht konnte ich eine Mulde ausmachen die voller Erinnerungen und Überlegungen war.
Er war lange gelaufen, mit der Natürlichkeit derer, die den Weg kennen, Schritt für Schritt. Leichtfüßig und sicher im Schritt, wußte er genau, wo er auftreten konnte, er kannte jeden Stein, jede Gefahr; klar, nach so vielem Laufen, so vielen Kommen und Gehen zu Kursen, Versammlungen - sei es im kalten Nachtwind , der in den Körper eindringt, oder unter der wohltuenden Begleitung zwitschernder Vögel in der Morgendämmerung, oder unter der Last der glühenden Sonne, oder der Körper dampfend beim Regen - aber immer mit erhobenem Haupt. Wir, die wir geboren wurden auf den Feldern von Bambamarca, und denen von ganz Peru, wir fürchten weder gefährliche Aufstiege noch steile Abstiege....denn wir sind gut zu Fuß, so wie es sein muß. Und Juan war einer von ihnen. „Wir sind Krieger, aber ohne wie Krieger auszusehen“, so hatte er einmal gesagt.
„Manchmal habe ich gegrübelt: welcher Grund treibt uns dazu, uns so zu verausgaben, wenn wir immer und immer wieder zu den Kursen der Pfarrei gehen, warum so leiden? Bis nach Cajamarca, sogar nach Lima, während unsere Felder vernachlässigt werden, unsere Familien allein bleiben; das letzte Mal habe ich wieder meine Frau krank angetroffen, zu Bett, die Kinder weinend vor Hunger; die Nachbarn haben ihnen wenigstens etwas zu essen gegeben. Wie kann man nur so blöd sein, sag, warum?
„Schau Bruder, die Antwort wirst du allein in deinem Herzen finden, nicht unter deinen Haaren“. So urteilte ein Gefährte, während wir gerade die Wachsmatrize von „El Despertar“ in die Kopiermaschine einlegten. Und ein anderer, der daneben stand, begann mit der Weise: „Wach auf, Bruder Campesino, sei nicht so blauäugig..!“ Und so wurde in uns der Takt der Musik wiedergeboren, die das Leben weitergegeben hat über Jahrhunderte hinweg: „Wach auf, Bruder Campesino....!“ Die Stimme von Onkel Neptalí hallte wieder in unseren Köpfen, und sie vermischte sich mit dem durchdringenden Seufzer der Quenas, der Pfeifen und Trommeln, die auch die stärkste Zelle zum vibrieren bringen.
Wir fingen an im Rhythmus der Musik auf dem Holzboden zu stampfen während die Kopiermaschine rotierte um das zu vervielfältigen, was mit unserem Herzen in das Wachs der Wachsmatrize eingestanzt wurde. Denn es war diese Musik, die uns die Antwort darauf gab, warum wir so viele Mühen auf uns nahmen uns weiterzubilden, es war diese Musik, die unsere Hoffnung ausdrückte, unsere Träume, den Grund für so viel Plackerei: daß der Campesino aufwache aus so viel Erniedrigung unter die er über Jahrhunderte unterworfen war.
„ Laßt und laut schreien, so daß man überall diesen Schrei höre, den Schrei den niemand stört..!“ Und die Musik führte all die Jugendlichen zusammen in einem einzigen Fest, bis der Redakteur protestierte: „Gebt endlich Ruhe, Hohlköpfe, ihr verwirrt mich...“ Natürlich, ihm war es warm ums Herz geworden. Und um die Kopien gut zu vervielfältigen, brauchte er Ruhe.
Was war es, das wir gesehen und gehört hatten um dieses Sehnen so drangvoll werden zu lassen? Noch nicht einmal ein ganzes Buch könnte all das zusammenfassen, was wir erlitten haben. Mit Wut im Bauch erinnerten wir uns daran wie zum Beispiel ein Campesino durch die Straßen ging, während ein Städter, vor seinem Haus sitzend, ihn kommen sah. „He Indio, geh und hole mir einen Eimer Wasser!“ „Aber, Herr...“ Der Städter gab dem Campesino ein paar Fußtritte und zwang ihn das Wasser zu holen. Der Campesino mußte gehorchen, wenn nicht, diese Städter konnten ihn wegen irgendwas anklagen, niemand hätte ihn verteidigt und sie konnten ihn sogar ins Gefängnis werfen. Klüger war es, ihm das Wasser zu holen und die Mißhandlungen zu ertragen. Denn diese Leute aus der Stadt haben die Macht in ihren Händen.
Viele erinnern sich noch an den „Zorro“ (Gott möge ihm seine Sünden verzeihen, vielleicht wußte er nicht, was er tat). Heute gibt es die Rondas, die Probleme und Streitigkeiten in der Comunidad lösen. Aber in jener Zeit wurden diese Händel vor den Richter in Bambamarca gebracht. Um den Kläger einzubestellen, ging der „Zorro“ zu ihm aufs Land, von Haus zu Haus. Als er beim Kläger ankam: „Auf geht’s, schlachte ein Meerschweinchen, aber ein gutes, bereite es so zu, wie es mir am besten schmeckt, und ich verteidige dich auch.... Schlachte dieses Huhn, das größte, dieses da und ich verteidige dich“. Auf diese Art aß der „Zorro“ was er wollte, wohin immer er auch kam. Und danach vergaß er das mit der Verteidigung, erfand, wie immer, tausend Ausreden und tausend „legale“ Winkelzüge und wickelte damit ein, wen immer er auch wollte. Die Campesinos mußten das Huhn schlachten, das Meerschweinchen, auch wenn es die einzige Einnahmequelle war um das Notwendigste kaufen zu können um zu überleben.
„Warum hat der Campesino so viel ertragen, hat er nichts im Hirn um zu bemerken, was los ist?“
„Niemals gab es jemanden, der uns begreiflich machte, daß wir auch so viel wert sind wie die in der Stadt. Niemand hatte uns erklärt, daß Väterchen Gott uns alle gleich geschaffen hat. Vielmehr predigten sie uns, daß Gott mit den Mächtigen ist, die dem Pfarrer gut zu essen geben, mit dem Besitzer der Hazienda, der sich darum kümmerte, daß wir zum Pfarrer gingen, damit er uns unsere Sünden vergebe. So waren wir denn überzeugt, daß wir viel weniger wert sind als ein Krawattenträger“.
Eines Tages beleidigte ein Korporal der Polizei meinen Onkel und mein Onkel antwortete ihm: „Wenn wir die Kleider ausziehen und wir so verbleiben, wie Gott uns gemacht hat, ich wette, ich und du sind gleich viel wert, carajo!“ Aber das ist heute so, nach so viel Vorbereitung. Vorher dagegen, die Älteren, wie hätten sie es jemals gewagt, ihre Stimme zu erheben gegen einen Polizisten, gegen einen Krawattenträger, undenkbar! Stellen Sie sich vor, ich kann mich noch daran erinnern an das Patronatsfest (Virgen del Carmen), wo sie die kleine Jungfrau mit ziemlich viel roter Farbe anmalten um uns dann zu sagen, daß die Jungfrau sehr verärgert sei wegen unserer Sünden. Und wir haben das geglaubt! Wie dumm waren wir doch, sagt?
Ein Schweigen der Besinnung umhüllt uns. Der Lastwagen kam nur langsam vorwärts in der Hochebene. Wir kauerten eng aneinander gepreßt auf der Pritsche, zugedeckt mit Ponchos und Decken um die Kälte und die Unbarmherzigkeit der Nacht zu ertragen (denn es gab nur wenige Busse, die waren teuer und es gab noch keine Kombis, so wie heute). Diese Kälte läßt den stärksten Geist erzittern. Von Cajamarca aus war dann das Ticket schon für Lima gekauft. Und das Leiden wird dann weniger sein. Dort dann, in den Kursen, werden wir einige Theologen, einige Padrecitos und andere Personen hören (...und wenn sie uns Gelegenheit gegeben haben, haben auch wir gesprochen).
Wir wollen so viel in uns aufnehmen wie es nur geht. Dort werden wir auch einige unserer Brüder aus dem Urwald treffen und Campesinos aus dem Süden Perus, mit ihrem eigentümlichen Tonfall. Wir werden von ihren Problemen hören und von ihren Hoffnungen, die den unseren so sehr gleichen. Und dies gibt uns eine größere Kraft, eine größere Sicherheit in unserer Arbeit. Einige Dinge werden wir vielleicht nicht verstehen, vor allem die vielen komplizierten Worte. Aber das, was uns letztendlich doch gelingt zu verstehen, werden wir unseren Compañeros weitergeben, in unseren Comunidades, im El Despertar. Wenn wir das Gehörte mit unserem eigenen Leben in Verbindung bringen, dann wird dies eine große Sache.
Wir, die wir wöchentlich El Despertar ausgearbeitet haben, wir waren junge Leute vom Land, einige hatten noch nicht einmal die Grundschule beendet. Was einer geschrieben hat, hat der andere durchgelesen und alle zusammen haben wir dann korrigiert. Wir machten viele Fehler in der Redaktion. Aber wir wollten unsere Stimme zu Gehör bringen, wir wollten unseren Glauben an diesen Jesus ausdrücken, der kommt, um den Blinden die Augen zu öffnen. Und wir kannten unsere Leute, ihre Ängste und ihre geheimen Hoffnungen. Dies war unsere Stärke. Wir hatten wie sie den bitteren Geschmack der Ausgrenzung gekostet. „Wie mag wohl dieser Moses gewesen sein? - caramba! Mit seinem armseligen Gewand und seinem Herzen, das von Gott erfüllt war, führte er sein Volk aus der Sklaverei. Was für ein toller Kerl!“
„Lauf schon, alter Karren, vorwärts auf der Straße, die mich zurückbringt in mein Heiliges Land“. Die Musik hebt etwas das Gemüt, aber die Kälte der Hochebene gewinnt die Oberhand. „Wenn Jesus unter uns wäre, wie wäre er, sagt mal?“ Valico bricht das Schweigen: „Christus ist schon unter uns, immer dann, wenn wir das Notwendige mit unseren Brüdern und Schwestern teilen, wenn wir sein Wort ernst nehmen. Christus kannte nicht diese Lastwagen, aber er durchstreifte die Wüsten seines Landes, er bemühte sich zu verstehen, was ihm seine Mutter beibrachte, er ging nach Jerusalem, er predigte in einer Kapelle, zu der sie Synagoge sagten, und seine Landsleute, kaum zu glauben, jubelten ihm zu um ihn dann zu kreuzigen“. „Wie wäre es wohl in diesen Zeiten, sagt? Wieviel Liebe hatte doch Jesus für sein Volk, für seine Leute, sogar sein Leben hat er für sie gegeben“.
„Los, José, erzähl uns mal wie das war in La Colpa“. „Dies ist ein sehr trauriger Fall. Dort hatten die Campesinos klein Fleckchen Erde, wo sie leben konnten. So haben sie ein paar Hütten errichtet, in einem verlassenem Winkel der Hazienda. Die Polizisten kamen aus Chota mit ihren Pickups, haben gleich auf sie geschossen, haben ihre Hütten verbrannt und sind dann wieder gegangen. Ach, Väterchen Gott, wirst du dich unser erinnern? Ihre Kleider, ihr Essen, sogar ihre Meerschweinchen, waren verbrannt. Ein Campesino hatte noch die Kugel in der Hand stecken, die Hand war dick geschwollen, und niemand der ihm helfen konnte. Sechs Campesinos waren schon tot.
Uns erreichte die Nachricht, als wir gerade mitten in einer Versammlung waren. Wir beschlossen dahin zu gehen, wenn auch voller Angst. Es war so traurig dann diese Leute zu sehen, die nicht wußten wohin. Dies sind die Armen Gottes, wie es wohl Theologen sagen würden....“ José war als Gesundheitshelfer ausgebildet worden, er wurde zusammen mit einer Gesundheitshelferin vom Rat der Pfarrei beauftragt und dorthin geschickt, um den Brüdern in ihrem Unglück beizustehen. In El Despertar haben wir diese ungeheuerliche Ungerechtigkeit angeprangert.
Die Aussaat, der gute Regen....
„Noch fehlt in vielen Orten das entsprechende Bewußtsein. Aber hört mal, wie hat denn überhaupt alles angefangen? Ich kann mich zwar nicht mehr an viel erinnern, aber die Ältesten wissen es noch“. Sie sagen, daß alles anfing mit Bischof Dammert. Zuerst hat er einige Pfarrer geschickt, Mundaca, Bartolini und einen anderen, an dessen Name ich mich nicht mehr erinnern kann. Danach wurde unter Mithilfe der Campesinos die Assistencia erbaut, am Anfang war dort das IER. Und noch andere sind gekommen, Hans und andere...Schließlich gab es einen Padre Miguel, ein Padre Juan, der immer mit seiner Alforja voller Bücher unterwegs war, damit die Leute auch lesen, ein Arturo Rojas, der mit dem Despertar angefangen hat, Padre Rudi, Don Manolo und Doña Maíte, die unter uns gelebt haben wie einfache Campesinos.
Mein lieber Mann, wie sehr müssen sie uns geliebt haben! Aber Bischof Dammert war es, der mit allem angefangen hat. Tolle Leute, was? Mein Respekt für alle, yeah! Sie wurden verleumdet als Kommunisten, wurden bedroht..... Sie aber haben keine Angst, machen unbeirrt weiter, denn mit Jesus in deinem Herzen, niemand... niemand kann dich bezwingen! Und so gab es eben viele Katecheten, die alles gelernt haben, in vielen Comunidades gibt es viele Leute, die wir noch nicht einmal alle kennen. Einige haben zwar auch den Mut verloren, haben aufgegeben wegen der vielen Probleme, die es gab und einige sind schon gestorben.
„Aber seht mal, welche Arbeit! Wann hat man je vorher gesehen, daß ein Campesino ein Buch in die Hand nimmt oder gar den Gottesdienst in der Kapelle hält. Und eine Campesina als Gesundheitshelferin, als Katechetin, im Mittelpunkt der Comunidad, eine Campesina mit ihren geflochtenen Zöpfen, die in der Kirche von Bambamarca den Gottesdienst leitet - eine „India“, wie die Leute von der Stadt sagen. Ja, Väterchen Gott, die Wahrheit ist, daß Christus mitten unter uns ist. Und mit der Zeit, was wird aus uns werden“?
„Aber hör mal Bruder, welche Sauwut haben die von der Stadt auf uns! Warum“? „Weil wir uns nicht mehr so behandeln lassen wie früher, denn, mein Bruder, der Campesino hat die Augen geöffnet. Die Schmiergelder und erzwungenen Abgaben, die Steuern auf das winzige Stück Land, sie gibt es nicht mehr seit wir uns auf dem Land vereint haben, seit wir unsere Rechte eingefordert haben. Unsere Forderungen waren groß. Die Plaza de Armas von Bambamarca war voll mit Menschen. Und jetzt aber haben die Städter nichts mehr zu beißen. Einige Comunidades schlafen noch, aber sie müssen aufwachen.
Die Städter sind auch katholisch wie wir, aber sie wollen eine Kirche nach ihrem Geschmack. Und sie ärgern sich, wenn die Pfarrer mit uns gehen. Deswegen haben die Leute aus der Stadt manchmal sogar Angst vor uns. Hast du das nicht gemerkt, als wir den Despertar verkauft haben? Einige wenige kaufen ihn, weil er ihnen gefällt, andere aber wollen nur sehen was drin steht um danach etwas zu haben, um Gründe gegen uns zu haben und etwas womit sie uns anklagen können. Wir aber müssen weitermachen, was interessiert es uns, was immer sie auch sagen mögen! Denn sonst wäre es ein Verrat an Jesus und an all denen, die auf diesem Weg getötet wurden“.
„ Laßt und laut schreien, so daß man überall diesen Schrei höre, den Schrei den niemand stört..!“ Um den Ernst eines Gespräches zu unterbrechen, hat einer angefangen zu singen und alle haben mitgesungen. Die Nacht ist sehr lange wenn man unterwegs ist und man muß ihr etwas Pfeffer geben, damit sie nicht so schal ist. Wenn wir als Gruppe unterwegs sind, gelingt es uns oft, die Kälte der Nacht und die Kälte der Menschen zu überwinden. „Erinnert ihr euch noch?
Als wir zuletzt in Lima waren und mit den Kleinbussen gefahren sind, haben wir angefangen miteinander zu scherzen. Diese Leute aus Lima, die so ernst dreinschauen und es immer eilig haben, schauten uns voller Staunen zu. Wie arm diese Leute sind“! „Wir spielen und treiben unseren Schabernack bei jeder Gelegenheit. Einmal, als wir wieder den Despertar machten, ich weiß nicht mehr wer, nahm das Seil des Pferdes von Dario und machte es voller Knoten, das Seil - pure Knoten! Dann führte das Pferd auf die Wiese, schlug den Stecken mit dem Seil daran tief in den Boden, so daß das Pferd fast mit dem Kopf am Boden klebte. Wir wissen nicht, wie es Dario schaffte, den Stecken aus dem Boden zu ziehen und das Seil zu entknoten. Denn wenn man das Pferd am Seil führen wollte, haben sich die Knoten um so fester zugezogen. Und unter diesen Umständen der lange Weg bis nach Llaucán...! Armer Dario“! „Er ist aber auch eine Nervensäge....“! Wir mußten alle lachen. Ob Jesus wohl auch so seine Scherze mit seinen Freunden getrieben hat? Was meint ihr? Leider erzählt uns die Bibel nichts davon“.
Wenn wir uns an die Jahre der Pastoralarbeit in Bambamarca erinnern, läßt uns das heute noch erzittern wegen der Tiefe der gemeinsam gelebten Erfahrungen.
Ich glaube, daß die Mission, die uns das Lebendige Wort aufgetragen hat, sich zu einem Teil erfüllt hat: „Weinen, mit denen, die weinen“, „gehen mit denen, die sich auf den Weg machen“, „sich freuen mit denen, die sich freuen“, kämpfen mit denen, die kämpfen“, „lernen mit denen, die danach dürsten zu lernen“.
Bambamarca ist die Hauptstadt einer Provinz, in der mehrheitlich, weit voneinander entfernt wegen der geographischen Bedingungen, Campesinos leben. Einige Comunidades haben es noch nicht einmal zur Einrichtung einer Grundschule gebracht. Sie haben wenig Kontakt mit der Stadt und auch zu sozialen Einrichtungen. Einige Comunidades sind noch von der Unterdrückung durch den Großgrundbesitz gezeichnet und noch daran gewohnt, ihre Unzufriedenheit in einem ohnmächtigen Schweigen und in Saufgelagen auszudrücken.
Mit der Ankunft der neuen Pastoral hat die Situation der Ausgrenzung eine neue Sinndeutung erhalten: Jesus, Gott selbst, kam auch auf den Feldern von Bambamarca zur Welt. Er wuchs auf mit den Windeln aus Wolle, so wie sie unsere Kinder tragen; er rannte über die schlammigen Wege; er schwitzte, als er in den Mais- und Kartoffelfeldern arbeite; er ging in die Stadt hinunter, um die Leute zu trösten, die im Tausch ihrer Produkte immer betrogen wurden. Der Campesino Jesus sang und tanzte auch in froher Runde auf den Festen und Geburtstagsfeiern mit seinem Volk. Und er wurde traurig, als er von den Problemen hörte, die die Arbeit mit sich brachte. Aber vor allem teilte er die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Campesinos von Bambamarca.
Diese Erfahrungen mit Jesus haben die Leute ausgedrückt in ihren Theaterspielen, in Erzählungen, in den typischen Kleidern ihrer Zone, in Gesängen und Liedern - einige Lieder, die von außerhalb kamen, einige Lieder, die hier geschaffen wurden - und vor allem in den Werken der Solidarität in all seinen verschiedenen Formen. Jesus hat sich so sehr mit seinen Leuten identifiziert, ist eins und Fleisch geworden mit ihnen, daß die Polizisten, als sie ihn gefangen nehmen wollten, ihn nicht von seinen Freunden unterscheiden konnten. Deswegen mußte ihnen der Verräter ein Zeichen geben. Dieses Gefühl der Identifizierung hat alle, die an der Ausbildung dieser neuen Pastoral teilnahmen, überwältigt. Der Campesino war sehr davon überzeugt, daß es vor Gott keinen Unterschied macht, ob jemand Schuhe trägt oder barfuß daher kommt. Ob Anzug oder Poncho, vor Jesus von Nazareth hat das keine Bedeutung.
Das ist der Grund dafür, warum Campesinos und Campesinas ihre alltägliche Arbeit liegen ließen, warum sie die Versammlungen und die Kurse besucht haben, warum sie an den vielen Demonstrationen der Bewußtseinsbildung und der Einforderung ihrer Rechte teilgenommen haben. Und deswegen bereuen sie es auch nicht, diesen Weg begonnen zu haben - trotz der vielen üblen Blicke der Leute aus der Stadt und auch der großen und kleinen Machthaber ihrer Comunidades.
Der neue Christenmensch braucht weder angeheftete Embleme, noch Orden, noch die weiten Umhänge der Bruderschaften. Er trägt statt dessen einen Poncho aus Wolle, Sombrero und Sandalen aus Autoreifen und als Verpflegung für unterwegs hat er in seiner Alforja alle seine Hoffnungen auf eine gerechtere Welt. Der Pfarrer, der die Messen in Latein aufsagt, gehört der Vergangenheit an. Der Gott, der einem solchen Pfarrer und dem Großgrundbesitzer nach dem Munde redet, diesen Gott haben wir hinter uns gelassen. Der neue Christenmensch auf dem Lande hat gelernt, die Bibel zu lesen und zu deuten, sei es mit sich selbst oder sei es mit seinen Kursgenossen und Weggefährten, er hat gelernt zu reflektieren und zu debattieren.
Die vielfältigen Arbeiten, die geleistet wurden, angefangen von Kursen über Schreinerei, Nähen, Vorbereitung von Gesundheitshelfern, Viehwirtschaft bis hin zu den unerfüllt gebliebenen Träumen, daß Campesinos als ständige Diakone in ihrer Gemeinschaft wirken, sind nur einige Beispiele für die vielfältigen Werke, derer wir uns gar nicht mehr alle erinnern können.
Das Reich Gottes blühte auf in den Herzen derer, die ihr Leben der Verkündigung des Wortes Gottes widmeten. Menschen, die bisher eher Hacke und die Härte des Pfluges gekannt haben, haben den Ruf zu Herzen genommen der da lautet: „Geht hinaus in alle Caseríos und macht euch zu euren Jüngern alle, die auf diesen rauhen Hochebenen leben“. Und niemand konnte ihnen diese Überzeugung nehmen. Sie fühlten das Schwingen des Hl. Geistes: „Manchmal werden wir auf schreckliche Weise schwach, aber da drinnen fühle ich eine Stimme: Sei nicht so feige, caramba ... geh weiter, sei nicht so schlapp. Das ist Gott, der zu uns spricht, sicher, das schwöre ich dir“. Dies sagte ein Katechet, der inzwischen alt geworden war ob all der Geschäftigkeit und Plackerei.
Die Vision des Dienstes war in dem bescheidenen Katecheten, der keine Anstrengungen scheute, stets präsent. „Christsein heißt ein Stück Brot zu sein, das sich hingibt“, bestätigte ein Katechet, der bisher während der ganzen Diskussion über die Eucharistie geschwiegen hatte. Und keiner der Anwesenden zweifelte daran, daß gerade dieser Katechet dieses Stück Brot war. Ohne mehr Lohn als das Gefühl der Zufriedenheit, ohne mehr Hoffnung als die, seine Comunidad in der Gemeinschaft mit Gott wachsen zu sehen, verließ er niemals seine Aufgabe.
Die Ernte!
Und wie geht es heute weiter? Seit einigen Jahren wohne ich nicht mehr in Bambamarca und deshalb ist möglicherweise meine Einschätzung nicht mehr auf dem aktuellen Stand des Geschehens in Bambamarca. Was mir sehr geholfen hat, die Früchte dessen zu sehen, was in Bambamarca gepflanzt wurde, war die Zuneigung der Menschen für meinen Vater in der Stunde seines Todes und seiner Beerdigung. Er war einer der Katecheten, der immer das Beste für sein Volk erträumte. Auf seinem langen Weg, immer ermutigt von der Pfarrei, hat er viele Träume gesponnen, einige realisierbare und realisierte, auch einige unrealisierbare. Im Laufe der vielen Jahre seines unermüdlichen Gehens - in einem Auf und Ab zwischen Freuden und Mühsal, zwischen Verständnis und manchmal auch dem Unverständnis seiner Leute und Weggefährten - hatte er die Zuneigung seines Volkes gewonnen.
Sein letzter Wohnort war Monte Redondo, ein abgelegener Weiler, gefürchtet wegen seiner Rauheit und bewundert dafür, weil man dort stets zu vollende pflegte, was man sich vorgenommen hatte. In der Nacht seiner Totenwache hatten sich so viele Menschen versammelt, daß nicht nur im Haus kein Platz mehr war, sondern um das Haus herum die Menschen dicht gedrängt standen. Wir waren besorgt, denn man hatte noch nicht einmal denjenigen gesucht, der sonst den Rosenkranz betete. Schließlich haben sich drei Vorbeter zusammengetan und haben mit der gesamten Bevölkerung die ganze Nacht hindurch gebetet.
Am Tag der Beerdigung sagten mir die Leute: „Don Leonardo, Ihr Vater war ein echter Rondero, mit ihm zusammen haben wir die Ronda geschaffen und das Haus für die Ronda gebaut. Es wäre nur zu gerecht, wenn Don Tomasito noch zum Abschied wenigstens für eine kleine Zeit im Haus der Ronda aufbewahrt werden könnte. Denn es ist sein Haus“! Ich entgegnete: „Aber es regnet, wir können uns nicht mehr so lange aufhalten und zum Friedhof ist es weit“. „Don Leonardo, wissen Sie, wenn es regnet, regnet es auf Ronderos, nicht auf Feiglinge“.
Und sie brachten ihn in das Haus der Ronda. Dort wickelte man ihn ein in die peruanische Fahne, die mit dem Emblem der Ronda geschmückt war, man bedeckte ihn mit Blumen, das Lied der Ronda wurde angestimmt und man dankte Gott. „Denn Don Tomasito hat uns sehr gut organisiert zurückgelassen und jetzt muß die Gruppe in seinem Geist weitermachen, mit unserer Ronda, mit den katechetischen Versammlungen, mit allem. Denn Don Tomasito wird uns von dort aus, wo er jetzt ist, seine Lehrstunden halten, vom Reich Gottes aus“.
Es war mehr als eine traurige Beerdigung, es war die Demonstration eines Volkes, das seinen Glauben und das gemeinschaftliche Leben als Einheit sieht; einer Gruppe, für die Himmel und Erde eine einzige Sache sind. Und die Gruppe von Monte Redondo macht weiter, mit erhobener Stirn. Einmal hatten die anderen Gruppen die Festlichkeiten der Zone von San Antonio etwas nachlässig vorbereitet. Die Gruppe von Monte Redondo hat das aufgeführt, was sie vorbereitet hatten: ihre Tänze, Maskeraden und Theater. „Monte Redondo hat allein das Fest gerettet, sonst hätte es kein Fest gegeben“, wie man später kommentiert hat. Wenn es handfeste Probleme in den anderen Gruppen der Ronda gibt, rufen sie nach Monte Redondo.
Mit dem Laufe der Zeit hat die Pastoralarbeit von Bambamarca viele Früchte getragen, sehr unterschiedliche und in großer Vielfalt. Das neue christliche Denken geht weiter innerhalb der christlichen Organisationen und der gemeinschaftlichen und kommunalen Arbeiten. Arbeit in den Rondas der Campesinos und christliche Praxis ist dasselbe. Viele junge Katecheten haben Erfahrungen erworben als Akteure im Theaterspiel, andere als Musiker und Künstler, wieder andere als Radiomacher und Sprecher. Manche sind in die Politik gegangen.
Einige sind auf ihrem Stück Land geblieben, haben sich die Pastoralarbeit entwickeln sehen und haben sich daran beteiligt; andere zogen an die Küste oder in den Urwald um auch dort die gleiche Mission zu erfüllen: das Wort Gottes zu verkünden; einige mit dem Streben, „Prophet im eigenen Land“ zu sein, andere in der Diaspora. Und zuletzt haben einige andere, wie ich, versucht, das in Bambamarca Gelernte auch in andere Teile der Diözese zu tragen.
Der Campesino, „Hombre de Poncho“, läßt sich nicht mehr an den Rand drängen. Es ist offensichtlich geworden, daß er kein tumber Tor ist und daß er die gleichen Fähigkeiten hat wie die Menschen aus der Stadt. Es liegt nicht in der Natur des Campesinos, daß er wie zurückgeblieben lebte, sondern es sind die historischen Umstände, die dies allein verschuldet haben. Wir, die wir an dieser Arbeit der Kirche von Bambamarca teilgenommen haben, sind uns vollkommen sicher, daß das Herz Gottes vor Freude anschwillt, wenn er sieht, wie seine Campesinos, sein Rest, sein geliebtes Volk, sich auf den verschiedenen Sphären des sozialen Lebens mit der gleichen Leichtigkeit und Geschick bewegt wie auch sein Sohn, von Tiberias angefangen bis nach Jerusalem.
Es gibt noch viel Armut in einigen Caseríos, in vielen Teilen dieses Planeten. Aber das Leben wird sich immer durchsetzen. Und es ist notwendig dazu beizutragen, daß es sich durchsetzen kann. Sowohl die nationalen als auch internationalen Organisationen sind dazu aufgerufen, sich zu solidarisieren auf diesem mühsamen Weg zur Überwindung der Armut - damit das „Bild Gottes“ voller Würde aufleuchten und „herrschen“ möge auf dieser Erde.
Jedes Mal wenn ich nach Bambamarca reise und das Hin und Her der Leute sehe, denke ich, daß viele von denen, die ich vorbeigehen sehe, von dieser Pastoral erreicht und berührt wurden - und wir kennen sie nicht einmal. Welche Hoffnungen mögen im Herzen von jedem von ihnen keimen? Welch neues Sehnen und Trachten wird entstehen angesichts der aktuellen Veränderungen, mit dem Fortschritt der Kommunikationsmittel, mit dem Bau immer neuer Straßen, dem Auftauchen neuer Autoritäten, mit der sich rasend beschleunigenden Modernisierung des Lebens?
Wir, die wir die Wege, die uns der Herr in Bambamarca bereitet hat, zurückgelegt haben, wir können sicher sein, daß dort unser Ägypten liegt und unsere Befreiung. Vor allem aber: dort zeigt sich schemenhaft sichtbar unser Gelobtes Land, die versprochene Erde.
Leonardo Herrera Vásquez Übersetzung: Willi Knecht
Cajamarca, September 1998