Gedanken zur Fastenzeit

Besinnung auf das Wesentliche - Zeit der Umkehr… . Doch was ist das Wesentliche, das was letztlich zählt? An was hängen wir - de facto - unser Herz und wer ist für uns „Gott“, d. h. das Wichtigste in unserem alltäglichen Leben? Und warum und wohin umkehren? Sind wir denn nicht alle schon getauft? Umkehr bedeutet ja nichts anderes als seinen Weg, sein bisheriges Leben, grundlegend zu verändern. „Kehrt um, denn das Reich Gottes steht vor der Tür, es beginnt jetzt.“ Mit diesen Worten beginnt und überschreibt Jesus seine Botschaft. Und als er dies auch bei seinem ersten öffentlichen Auftreten in der seinem Heimatdorf Nazareth sagt, geraten die „Leute der Synagoge“ in Wut und wollen ihn den Abhang hinabstürzen (LK 4, 16-29). Denn sie waren ja schon gottesgläubig, das auserwählte Volk, schon beschnitten und gerettet, besuchten regelmäßig den Tempel – und gingen an den Menschen vorbei, die unter die Räuber gefallen sind.

Und heute? Einst war Würzburg bekannt für seine prächtigen Prozessionen an Fronleichnam, mit allen kirchlichen und weltlichen Würdenträgern an der Spitze. Als eine kleine Gruppe von Theologiestudenten in Frankfurt-St. Georgen (SJ) hatten wir 1973 die Idee, diese Selbstdarstellung kirchlicher Pracht und Macht zu hinterfragen. Wir fuhren nach Würzburg und stellten an der letzten Station Transparente auf mit Sprüchen des Propheten Amos. Sofort wurde die Polizei gerufen und wir wurden für den Rest des Tages festgenommen. Vorwurf: Störung des Religionsfriedens und subversive Propaganda. Das Schlimme: Selbst die Prälaten erkannten nicht, dass es sich ausschließlich um Worte des Propheten handelte. Stattdessen solidarisierten sie sich mit Vertretern der Finanz- und Atomwirtschaft und mit „christlichen“ Politikern, die enge Beziehungen zu blutrünstigen Diktatoren pflegten. 

„Die Armen stehen im Zentrum des Evangeliums“. Das hat Papst Franziskus einmal mehr betont (24. 1. 16). Und er stellte bohrende Fragen an die Kirche: Zur Zeit Jesu hätten „die Ausgeschlossenen und Unterdrückten“ wohl eher nicht „im Mittelpunkt der Glaubensgemeinschaft“ gestanden, bemerkte Franziskus. „Und wir fragen uns: Sind wir heute in unseren Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen dem Programm Jesu treu? Ist die Solidarität mit den Armen (im Sinne von Mt 25,35-36) für uns wirklich die Priorität?“  

In seiner Fastenbotschaft 2016 vom 25.1. mit dem Titel „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“,  schreibt der Papst, jeder könne „die eigene existenzielle Entfremdung“ überwinden, indem er Bedürftigen entgegenkomme. Zugleich kritisierte Franziskus einen „hochmütigen Allmachtswahn“. Die "Vergötterung des Geldes" führe zu "Gleichgültigkeit der reicheren Gesellschaften gegenüber dem Schicksal von Armen, denen sie ihre Türen verschließen und die zu sehen sie sich sogar weigern".

Wenn der Mensch sich zum Maß aller Dinge erklärt und sich selbst und seine Interessen zum absoluten Maßstab macht, sein will wie Gott, führt dies zum Untergang, Und wenn dieser Maßstab zur „Geschäftsgrundlage“ einer global herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wird,  führt ein solcher Götzendienst zur Verwüstung der Seelen und der Schöpfung. Mit „dieser Verblendung gehen ein hochmütiger Allmachtswahn und Machbarkeitswahnwahn einher“, die sich anmaßen, Gott als irrelevant abzutun und den Menschen auf eine zu instrumentalisierende Masse zu reduzieren.“ Der Mensch, das Ebenbild Gottes, als bloßer Gebrauchsartikel oder gar Wegwerfware? 

Diese Verblendung, so der Papst, führe dazu, den „armen Lazarus, der vor unserer Haustür bettelt, nicht einmal sehen“ zu wollen. Lazarus aber sei nichts anderes als „die Möglichkeit zur Umkehr, die Gott uns bietet“, erklärt Franziskus. Denn die Opfer der global herrschenden Wirtschaft- und Finanzordnung werden nun buchstäblich an unseren Strand gespült. Was bisher so effektiv verdrängt werden konnte, wird nun offenbar. Das, was schon längst Alltag in weiten Teilen der Welt ist, wird uns nun vor Augen geführt. Das bietet uns aber auch die Chance zur Umkehr. Ein „weiter so“ wird nicht mehr möglich sein. Ein Apparat dagegen, der vornehmlich um sich selbst kreist und sich zuerst um sein eigenes Überleben als Apparat sorgt – wie Franziskus immer wieder betont – wird nicht zu einem „Zeichen des Heils“ für alle Menschen werden können. Wie glaubwürdig kann denn eine reiche Kirche sein, die ihr Kirchesein und Potenz von stetig steigenden Kirchensteuereinnahmen abhängig macht, während gleichzeitig der Glaube an Jesus den Messias immer mehr zu schwinden scheint?

Dr. theol. Willi Knecht, Eine-Welt-Ausschuss des Diözesanrats und drs.global

Ein Gastbeitrag für das Kath. Kirchenblatt Ulm, veröffentlicht für den 14. Februar 2016