Die Armen evangelisieren uns

Das Evangelium ist in einer Kultur, Umwelt und Gesellschaft entstanden, die unserer „Wohlfahrtsgesellschaft“ noch viel fremder und „weiter“ (Vorderer Orient, Agrargesellschaft etc.) entfernt ist, als die Welt z.B. der Campesinos von Peru und allen Ärmsten dieser Welt. Es stellt sich nicht die Frage der Übertragbarkeit von Glaubenserfahrungen von christlichen Basisgruppen aus unterdrückten Ländern, die ja vergleichbar sind mit den Erfahrungen der Zeitgenossen Jesu und der ersten Christen, sondern es geht um die Frage, ob und wie das Evangelium in dieser Welt (der „Ersten Welt“) und in dieser Zeit noch gehört werden kann.

Bei einer Analyse der Antworten christlicher Partnerschaftsgruppen wurde deutlich, dass die christliche Substanz in den Gemeinden (selbst unter regelmäßigen Kirchgängern) dazu neigt, sich zu verflüchtigen (die Ergebnisse umfangreicher Studien bestätigen dies, teils auf eine noch erheblich drastischere Weise als hier angedeutet). Partnerschaft als Hinführung und Einführung in den Glauben bedeutet (u.a.) demnach, sich die befreienden Erfahrungen der Partner erzählen zu lassen, darauf eingehen und fragen, was sie für uns bedeuteten. Gerade dazu bedarf es aber einer vertieften Spiritualität. Und umgekehrt: in der konkreten Begegnung und Zusammenarbeit mit den „in Elend Gehaltenen dieser Welt“ kann Spiritualität und ein neuer Glaube entstehen.

  • „Die Armen evangelisieren uns“. Weil sie näher „an der Quelle sind“, weil Jesus mit- ten unter ihnen geboren wurde, erfahren Partner in der Begegnung mit den Armen die Nähe Gottes (siehe auch Mt 25).
  • Glaube entsteht und realisiert sich zuerst in Gemeinschaft. („Seht, wie sie sich lieben“). Kennzeichen einer christlichen Gemeinde ist das Brot-teilen.
  • Im Kontakt mit den Partnern kann deutlich werden, was z.B. Taufe und Eucharistie bedeuten. Eine „Taufkatechese“ für Erwachsene wäre dann der erste Schritt.
  • Sich mit der eigenen Umwelt auseinandersetzen (Frage, an was wir unser Herz hängen) und erkennen, dass das „Schicksal“ der Armen mit unserem Reichtum zusammenhängt - Analyse der Ursachen des Reichtums.
  • Erfahrung einer Einheit von Glaube und Alltag, als Sorge um „Leib und Seele“, als
  • Einheit von Spiritualität (als Wurzel und Quelle) und Aktion.
  • Der Kontakt mit den Armen kann die Augen für die Armen und Fremden vor der eigenen Haustür (und im eigenen Haus, der Kirche vor Ort) öffnen.

Vorläufiges Ziel der Katechese wäre die Stärkung der christlichen Substanz von der Quelle her (Bedeutung der Bibel und deren sachgerechter Auslegung) in den Gemeinden. In einer lebendigen Partnerschaft wächst die Hoffnung, dass der Glaube an Jesus Christus zu einer Basis für erneuerte Gemeinschaften und Gemeinden wird, wenn sie bereit und in der Lage sind, die Erfahrungen der Partner ernst zu nehmen. Es ist die Hoffnung auf „eine Neue Erde und einen Neuen Himmel“ wie sie z.B. in den Erfahrungen der Campesinos konkret fassbar und nachvollziehbar wird. Deren Erfahrungen können für deutsche Gemeinden die Brücke bilden, über die sie zu den Quellen des christlichen Glaubens zurückfinden können. Lernt man begreifen, um was es den Campesinos geht, wie sie den biblischen Glauben interpretieren und leben, dann kann das eine erste Annäherung an das Wiederentdecken des Evangeliums in unserer Zeit und Umwelt sein.

Deutsche Partnergruppen können anhand konkreter Fälle und in direktem Kontakt mit ihren Partnern lernen, aus der Perspektive der Anderen (der „Indios“, der Armen etc.) die eigene Situation zu sehen, zu deuten und sich des eigenen Standpunktes bewusst zu werden. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Partnergruppen, die Sichtweise der „Indios“ in unseren Gemeinden, in der Kirche und Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Diese globale Dimension, mit den Augen der Opfer die Welt zu sehen und diese im Lichte des Glaubens zu deuten, gehört zum Wesen von Kirche, wenn sie katholisch sein will. In den Partnergruppen wird diese Dimension verwirklicht und die eigenen Grenzen werden auf die „Fremden“ hin überschritten. Darin besteht die wesentliche „Existenzberechtigung“ und unbedingte Notwendigkeit der Partnerschaftsgruppen. In ihnen realisiert und konkretisiert die Kirche und die einzelne Gemeinde ihre „Katholizität“.

Partnergemeinden stellen diejenigen, die sonst keine Rolle spielen und die „unsichtbar“ sind, in das Zentrum und machen sie zum Maßstab von kirchlichem und gesellschaftlichem Handeln. Deutsche Partnergruppen gewinnen an Glaubwürdigkeit und an Autorität, wenn sie die Partner - deren Ohnmacht und deren befreiende Erfahrungen - in unserem Kontext, in Gemeinde und Gesellschaft, neu zur Sprache bringen.

Partnerschaft steht somit (theologisch gedeutet) auf drei Säulen:

  1. Auf dem Sakrament der Eucharistie in den schon genannten Dimensionen: Tischgemeinschaft, Brotteilen und so in Gemeinschaft die Gegenwart Gottes erfahren.
  2. Auf der Erfahrung einer „Wegegemeinschaft“ mit den Ausgegrenzten (s.u.)
  3. Auf der Aufgabe, die „Indios“ dieser Welt ins Zentrum zu rücken und von ihnen her das Wort Gottes zu verkünden, um so auf diese Weise die weltweite Kirche Jesu Christi zu werden.

Der Wege - Gedanke ist grundlegend für das Selbstverständnis der ersten Christen und den christlichen Basisgruppen in den arm gemachten Ländern. Dem liegt das biblische Bild des Volkes Gottes zu Grunde, das den Ruf Gottes hört und das sich unter seiner Führung auf den Weg aus der Sklaverei in das Gelobte Land macht. Im Neuen Testament ist es u.a. das Bild von den Jüngern von Emmaus, die sich enttäuscht von Jerusalem abwenden und denen auf dem Weg mit einem Fremden, Unbekannten ein Licht aufgeht. Sie erkennen den auferstandenen Christus, als er mit ihnen das Brot bricht. Gemeinsam als Volk Gottes auf dem Weg sein (Umkehr, Aufbruch), miteinander teilen, was der Mensch zum Leben braucht und die österliche Erfahrung der bleibenden Gegenwart Gottes, sind die tragenden Fundamente christlichen Glaubens und von „Kirchesein“. Sie sind auch die Fundamente einer christlich verstandenen Partnerschaft (sowohl einer Partnerschaft zwischen zwei Menschen als auch einer Partnerschaft zwischen christlichen Gemeinschaften).

Das Volk Gottes ist stets als Gemeinschaft unterwegs. Dieses Volk ist in verschiedenen Gruppen organisiert, den Gemeinden weltweit. Die Gemeinde als überschaubare Gemeinschaft von Menschen, die den Ruf Gottes hören, sich (mit anderen Gemeinden) auf den Weg machen, das Brot miteinander brechen und sich so als Tischgemeinschaft erfahren, repräsentiert stets auch die gesamte Kirche, sie ist Kirche im Vollzug, sie ist Kirche. Sie ist diese Kirche um so authentischer, wenn sie in ihrem Vollzug und in ihrer Praxis die anderen Gemeinden in der Welt nicht ausschließt (was sie per definitionem gar nicht kann), sondern wenn sie gerade diejenigen in ihr konkretes Leben mit einschließt, die sonst nach den global herrschenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten dieser Welt ausgeschlossen werden. Dem ausgegrenzten Volk offenbart Gott seinen Namen und als das Volk Gottes auf den Ruf hört und sich auf den Weg macht, erfährt es diesen Gott als Gott der Befreiung, der sein Volk nicht im Stich lässt, sondern der immer da ist.