Das Reich Gottes ist da - Hinführung zu unserem Jahresthema
In den Evangelien beginnt Jesus seinen öffentlichen Auftritt mit dem Satz: „Kehrt um, denn das Reich Gottes steht vor der Tür“. Die Verkündigung der anbrechenden Herrschaft Gottes steht im Zentrum der Botschaft Jesu. Zeichen der jetzt beginnenden Herrschaft Gottes sind Tischgemeinschaften, Brotteilen, Heilungen, Vergebung, etc. Jesu Solidarität mit den Opfern, seine radikale Kritik am Tempelkult, der Ausgrenzung aller „Unreinen“, führt zur Verurteilung und zum Tod Jesu. In der Auferstehung bestätigt Gott Jesus als den Messias. Nachfolge Jesu bedeutet, diesen Weg Jesu konsequent zu gehen.
Zur Zeit Jesu erlebte das jüdische Volk die schlimmste Unterdrückung seit Jahrhunderten. Die römische Besatzungsmacht erstickte jeden Widerspruch mit schrecklicher Gewalt. Kreuzigungen waren an der Tagesordnung. Die Römer quetschten Land und Menschen wie eine Zitrone aus. Die Steuerlast war so hoch wie nie zuvor. Die jüdisch-religiöse Oberschicht kollaborierte mit der Besatzungsmacht. Das Volk, das am Boden lag, wünschte so sehr wie nie zuvor, dass Gott sich erbarme und endlich der verheißene Messias kommen möge. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Doch im Volk gab es die unterschiedlichsten Messiaserwartungen. Die Zeloten (Widerstandskämpfer) erwarteten vom Messias, dass er die Römer mit Gewalt vertreibe; die Pharisäer erhofften sich vom Messias, dass er ihre den Menschen auferlegten Gesetze (Lasten) bestätige und die „Unreinen“ aussondere; die Essener (asketische Mönche, die sich auch „Söhne des Lichts“ nannten) glaubten, im bevorstehenden Endkampf werde der Messias die „Söhne der Finsternis vernichten und einige Auserwählte werden gerettet werden, usw.
Wie verstand Jesus selbst seine Sendung? Jesus begann seine Verkündigung in Galiläa und als er erstmals in seinem Heimatdorf Nazareth auftrat, bat man ihn, aus dem AT zu lesen. Und er las die Worte des Propheten Jesaja: „Er mich gesandt, den Armen eine Frohe Botschaft zu verkünden, den Blinden die Augen zu öffnen, die Misshandelten zu befreien …“ (Lk 4,18,19). Dann setzte er sich und sagte: „Diese Zeit hat jetzt begonnen“. Als seine Landsleute endlich begriffen, was er damit sagen wollte, wollten sie ihn töten und den Abgrund hinab werfen.
Jesus verkündet den Beginn der Herrschaft Gottes, d.h., jetzt, mit ihm und durch ihn, beginnt diese Zeit, eine völlig andere, bessere Zeit. In der Herrschaft Gottes gelten ganz andere Gesetze, nämlich Liebe und Gerechtigkeit. Dies ist mit dem, was in unserer Welt geschieht, völlig unvereinbar. Denn in der „alten Welt“ herrschen die Gier nach Gold und Geld, nach immer mehr Macht und das Bedürfnis, sich selbst zum alleinigen Maßstab (Gott) zu machen. Wen kümmert es da, wenn das einfache Volk bis aufs Blut geschunden wird, wenn es unter die Räuber fällt und selbst die „Frommen des Tempels“ ungerührt an den Opfern dieser politischen und wirtschaftlichen Strukturen vorbeigehen, weil sie nur um ihr eigenes Seelenheil besorgt sind?
In der Zeit, dessen Anbruch Jesus verkündet, ist aber alles anders. Dort stehen nicht die üblichen Honorationen, Prälaten und selbsternannten Eliten im Mittelpunkt, sondern die Ausgestoßenen, die buchstäblich Ausgesetzten, die Opfer gesellschaftlicher Missstände und Ungerechtigkeiten. Herrschaft Gottes heißt: Erniedrigte und Ausgegrenzte und alle Menschen, die daran gehindert werden, in Würde zu leben, erhalten die Zusage, dass Gott auf ihrer Seite steht, dass sie Kinder Gottes sind und dass sie ein Leben in Fülle haben werden - schon jetzt und in diesem Leben. Dies ist daher eine Frohe Botschaft besonders für diese Menschen. In den Armen, die „unter die Räuber“ gefallen sind und in ihrem Elend im Straßengraben vergessen werden, begegnen wir Christus. Ihnen Bruder und Schwester zu werden, selbst Brot des Lebens zu werden für andere - das ist der Kern der christlichen Botschaft.
Dr. theol. Willi Knecht, Einführung in das gleichlautende Jahresthema 2015 der Gemeinde "Zum Guten Hirten", Ulm-Böfingen (im Gemeindeblättle)