Welt:Bürger gefragt – Die entwicklungspolitischen Leitlinien der Landesregierung BW

Warum berichtet drs.global über ein Programm der Landesregierung? Von der Mitarbeit unserer Diözese an den entwicklungspolitischen Leilinien des Landes können alle profitieren. Als katholische Kirche können wir Aspekte, Standpunkte und Kriterien in die öffentliche Diskussion einbringen, die ansonsten zu kurz oder gar nicht vorkämen. So z.B. ausgehend vom Evangelium eine klare Option für die Armen, die deren existentielle Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Zudem verfügt die Kath. Kirche – als ältester und größter „Globalplayer“ – über ein weltweites Netzwerk von Beziehungen bis in die letzten Winkel unserer Erde.

Die Landesregierung unter Federführung des Staatsministeriums begann 2012 mit dem Dialogprozess zum Thema „Entwicklungszusammenarbeit“. In Verbände- und Bürgerkonferenzen von Mannheim bis Ulm wurden die entwicklungspolitischen Akteure der jeweiligen Region eingeladen und befragt. Themen waren u.a.: Nachhaltige Wirtschaft, faire Beschaffung, Fluchtursachen,  globales Lernen u.v.m. Folgende Frage bewegte alle: Wie können Eine-Welt-Themen in der Zivilgesellschaft besser verankert werden? Dies führte zu einem neuen Politikansatz: Das Land unterstützt nicht mehr zuerst eigene Projekte, sondern unterstützt bereits vorhandene und bewährte Projekte im globalen Süden. Denn in den engagierten Eine-Welt-Gruppen, besonders auch der Kirchen, gibt es viel Know-How, das nun besser „abgeschöpft“ werden kann.

Die Ergebnisse der Bürgerbefragung wurden im neuen Rat für Entwicklungszusammenarbeit (REZ) zusammengefasst. In diesem Rat ist auch unsere Diözese vertreten. Die Landesregierung übernahm die Vorlage des REZ ohne Abstriche, die vom Parlament dann als entwicklungspolitische Leitlinien des Landes verabschiedet wurden. Ein konkretes Teilergebnis: Ein Erlass der Landesregierung an die Kommunen zur fairen Beschaffung.  (Dieser könnte durch TTIP wieder infrage gestellt werden, siehe dazu der Artikel in „Der geteilte Mantel“, 2015). Die Arbeit des REZ geht weiter. Im Treffen des REZ am 15. 02. 2016 heißt es z.B.: „Kritisch und mit großer Sorge sieht der REZ deutsche Rüstungsexporte in Entwicklungsländer und öffentliche Bürgschaften für Rüstungsexporte.“

Im engen Zusammenhang mit dem genannten Bürgerprozess steht die Bildung eines Rates der Kirchen. Delegierte der vier Kirchen des Landes (ev. Landeskirchen und kath. Diözesen) treffen sich, um gemeinsame Aktionen in Bezug auf die wesentlichen Zukunfts- und Überlebensfragen der Menschheit besser zu koordinieren und anzustoßen. So fuhr z.B. eine Delegation der vier Kirchen zur Weltklimakonferenz nach Paris. Hauptthemen sind: Klimagerechtigkeit, Bekämpfung von Fluchtursachen, Friedenspolitik (Waffenexporte aus BW). Hintergrund: Wenn die Kirchen zu einer gemeinsamen Position finden, können sie geschlossen auf politische Prozesse einwirken und werden in Politik und Gesellschaft als wichtiger Partner anerkannt. Das wäre dann wirkliche Ökumene. 

Willi Knecht, Beitrag für drs.global 2/16, den Quartals-Newsletter der Diözese Rottenburg-Stuttgart


Entwicklungspolitische Landeskonferenz 2016

Im Rahmen der Messe FAIR HANDELN fand am 2. April die 5. Entwicklungspolitische Landeskonferenz statt. Die Schwerpunkte dieser Landeskonferenzen seit 2012 sind: Dialog mit den Bürgern (siehe „Welt:Bürger gefragt!“) sowie Zusammenarbeit und Koordination mit entwicklungspolitischen Gruppen und Organisationen. Leitimpuls für die Landeskonferenz 2016 sind die Weltnachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Und konkret: Wie können diese Ziele in Baden-Württemberg (Landesregierung, Zivilgesellschaft, Kirchen) umgesetzt werden.

Minister Friedrich zog folgende Bilanz: Es wurde der Rat für Entwicklungszusammenarbeit (REZ) etabliert; die Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit (SEZ) des Landes wurde neu ausgerichtet: Statt reine Wirtschaftsförderung von oben nun Stärkung der schon vorhandenen Projekte in Kirchen, Kommunen und Zivilgesellschaft; auflegen eines Promotorenprogramms: 8 Regional- und 12 Fachpromotor*innen landesweit als Anlaufstelle für entwicklungspolitisch engagierte Gruppen; u.a. gemeinsames Auftreten auf der Messe FAIR HANDELN mit einem Weltmarktsplatz; die Themen Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit konnten in die Bildungspläne integriert werden; neue Beschaffungsverordnung des Landes: Bei der Vergabe sollen soziale und ökologische Kriterien mit berücksichtigt werden.

Insgesamt: Die Entwicklungszusammenarbeit wurde aus der „Mauerblümchen-Ecke“ herausgeholt und als Querschnittsaufgabe über alle Bereiche hinweg erkannt.

Kirchlicherseits konnten wir feststellen, dass diese Zusammenarbeit – bundesweit die erste dieser Art – den Kirchen (die Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart sowie die ev. Landeskirchen Baden und Württemberg) viele neue Möglichkeiten eröffnet hat. Umgekehrt war und ist es möglich, zusätzlich explizit kirchliche Standpunkte und Haltungen einzubringen, so z.B. die Option für die Armen. Auch das Konkurrenzdenken sowohl der Kirchen untereinander als auch zwischen Kirchen, Politik und zivilgesellschaftlichem Engagement konnte zumindest kritisch hinterfragt und als Hindernis auf dem Weg zu den gemeinsamen Aufgaben wie z.B. die Agenda 2030 erkannt werden. In gleicher Weise gilt es, das bisherige „Säulendenken“ zu überwinden. Das bedeutet zu erkennen, dass die Bereiche Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aufs Engste miteinander verknüpft sind. Hunger, Vertreibung, Gewalt, Zerstörung der Lebensgrundlagen – alles hängt zusammen und geschieht – so die christliche Deutung - wenn der Mensch sich und seine Bedürfnisse zum absoluten Maßstab macht.

In sechs Workshops mit verschiedenen Schwerpunkten konnten die genannten Themen diskutiert und vertieft werden. Eine Auswertung steht noch bevor. Folgende Fragen standen im Mittelpunkt, in Stichworten: Ein gutes Leben für alle innerhalb der planetarischen Grenzen; unsere Lebensweise sprengt alle Ressourcen; „Wie im Westen so auf Erden?“; was heißt Entwicklung?; anders wirtschaften und Postwachstumspolitik; nicht nur Transformation von Wirtschaft, sondern auch von Einstellungen und Haltungen. Doch ist Politik und Demokratie überhaupt (noch) möglich, wenn die Rahmenbedingungen als unveränderbar verkündet oder auch nur als solche hingenommen werden? Betreiben wir bei allem guten Willen letztlich nur Kosmetik oder kleine Reparaturen?

Gerade an diesen Fragen zeigt sich, dass das Evangelium nicht nur aktueller ist als je zuvor, sondern dass es ohne neue Einstellungen und Haltungen, wie das Evangelium sie verkündet, keine „neue Erde und neuen Himmel“ geben wird.

Willi Knecht, Beitrag für drs.global 3/16, den Quartals-Newsletter der Diözese Rottenburg-Stuttgart


Welt:Bürger gefragt! – Entwicklungspolitische Landeskonferenz 2017

Unter dem Motto „Welt:Bürger gefragt!“ hat die Landesregierung im Jahr 2012 einen Bürgerbeteiligungsprozess organisiert, in dem neue Entwicklungspolitische Leitlinien für das Land Baden-Württemberg erarbeitet wurden. Die Kirchen sind seit dort Beginn vertreten. Am 22. April fand im Rahmen der FairMesse in Stuttgart die 6. Landeskonferenz statt. Auf der Landeskonferenz und FairMesse trifft sich die Zivilgesellschaft: Gruppen, Vereine, Gemeinden und Organisationen, die sich mit Entwicklungszusammenarbeit (EZ) beschäftigen. Katholischerseits waren auf der Messe mit je einem Stand vertreten: Die Hauptabteilung Weltkirche, Missio (mit dem „Missio-Truck“) und die „aktion hoffnung“.

Staatsekretär Fuchtel vom BMZ und Staatsekretärin Schopper vom Staatsministerium legten zu Beginn der Konferenz ihre Sicht der Dinge dar:

  • Durch Flüchtlinge starker Impuls für die EZ, daher auch finanzielle Aufstockung.
  • EZ ist wesentlich mehr als die Bekämpfung der Fluchtursachen.
  • Der Nachbarkontinent Afrika als Schwerpunkt, er steht heute mehr als je im Blickfeld.
  • Das Partnerland Burundi ist in großen Schwierigkeiten, die Beziehungen liegen auf Eis.
  • Besonders die SDGs (Agenda 2030) werden als  Zielvorgabe herausgehoben.

Schwerpunkte in der nachfolgenden Diskussion:

  • Geplante Studiengebühren für EU-Ausländer werden von den Teilnehmer*innen als schwerere Rückschlag für die EZ gewertet.
  • Duale Ausbildung in Afrika und weltweit ist ofr wichtiger als Uni-Abschlüsse.

Hinweis auf die Unterscheidung zwischen staatlicher und kirchlicher EZ: Nur 15% aller EZ-Mittel sind staatlich; 85% sind privat, von engagierten Gruppen, Initiativen, Kirchen, Weltläden etc. Schon im Ansatz besteht ein riesiger Unterschied zwischen staatlicher und vor allem kirchlicher EZ, oft stehen sich diese sogar diametral gegenüber. Staatliche EZ hat als Partner Regierungen bzw. staatliche Einrichtungen, kirchliche EZ  dagegen hat als Partner oft Basisgruppen, die sich gegen diese Politik „von außen und oben“ wehren (müssen).

In 6 Workshops wurden verschiedene Themen diskutiert. Im Workshop 4, als Beispiel: „Ein gutes Leben für alle – Für Mensch und Natur“. Das Impulsreferat stand unter dem Motto „Suffizienz“ (immun werden gegen die Verlockungen der kapitalistischen Warenwelt). Weitere Stichworte: „Neben uns die Sintflut“, Selbstgenügsamkeit – was ist genug? Unsere Lebensweise wird globalisiert (imperiale Lebensweise).

Diskussion und Fragen: Wir brauchen einen Weltethos, andere Werte, Transformation – aber wie? Wie Konzerne und Finanzströme kontrollieren? Wie Veränderung schaffen in einer demokratischen Gesellschaft, die vor allem von der Durchsetzung eigener, partikularer Interessen geprägt ist und immer mehr in solche zerfällt?

Willi Knecht, Beitrag für drs.global 3/17, den Quartals-Newsletter der Diözese Rottenburg-Stuttgart.