Da alles, was mit „Mission“ und „Dritter Welt“, mit Verarmung und Ungerechtigkeit zu tun hat, selbst von gutwilligen Pfarrern, Gemeinden und hoch angesehenen Theologen eher als irgendein Randbereich angesehen und entsprechend behandelt wird, möchte ich in wenigen Stichpunkten daran erinnern, was theologisch und pastoral auf dem Spiel steht, ja dass unser ganzes Christsein damit steht und fällt.
Theologische Begründung für eine Partnerschaft zwischen einer reichen und einer armen katholischen (!) Gemeinde
I. Theologische Basis
1. Fundamentaltheologisch:
- Gott ist anders als über die Inkarnation bis zur letzten Entäußerung nicht erfahrbar. Gott spricht durch die Armen, sie sind das Bild des gekreuzigten Gottes, sie sind die Offenbarung Gottes. Inkarnation meint hier ganz konkrete Menschwerdung, z.B. in den „Indios dieser Welt“.
- „Ihr Schrei nach Gerechtigkeit und Brot ist das Wort Gottes an uns“ (Johannes Paul II. 1986 in Peru). In den Armen wird die Nähe Gottes erfahrbar, deshalb werden sie selig gepriesen (und alle, die zu ihnen umkehren). Die Armen evangelisieren uns.
2. Christologisch:
- Die Herrschaft Gottes beginnt, wenn alle Armgemachte und Reiche teilhaben an der Schöpfung, an der Fülle des Lebens, am den Verheißungen Gottes. Die Armen zeigen uns den Weg. Mit ihnen realisiert Gott exemplarische sein „Projekt“ der Befreiung.
- Tod und Auferstehung Jesu Christi: Jesus wird gekreuzigt durch die „Sünde der Welt“ (Habgier, wie Gott sein wollen, etc.). Auferstehung ist der Sieg über diese Sünde. Auch hier sind es die Armen, die uns helfen, Tod und Auferstehung geschichtlich erfahrbar zu machen erleben zu dürfen.
3. Ekklesiologisch:
- Die Eucharistiefeier ist das Zentrum der Kirche und jeder Gemeinde. Eucharistie setzt Umkehr und Versöhnung voraus, gerade auch in einer Welt, in der ein Teil der Menschen (und Christen) auf Kosten der anderen lebt. Sie bedeutet Tischgemeinschaft mit allen, besonders mit den von Jesus Privilegierten. Christus ist dort gegenwärtig, wo Menschen das Brot teilen (die Gaben der Schöpfung und all das, was sie zum Leben brauchen).
- Kirche ist die Gemeinschaft aller Gläubigen, die an Jesus den Christus glauben. Sie ist der Leib Christi. Sie ist das Volk Gottes auf dem Weg aus der Sklaverei in das Gelobte Land. (Wer sind heute die Hebräer und wer die Pharaonen?)
II. Theologische (praktische) Konsequenzen
Selbstverständlich gehen die drei folgenden Bereiche (Kirche - Gemeinde - jeder Einzelne) nahtlos in einander über bzw. vermischen sich und sind je für sich nicht lebensfähig.
1. Kirche in Deutschland
- Option für die Armen als die Option Gottes begreifen. Für eine reiche Kirche ist die Umkehr und Hinwendung zu den Armen die einzige Chance zum Heil.
- Kirche als Stimme der Rechtlosen. Sie ist nicht nur eine Kirche der Armen, sondern selbst arm: Verzicht auf Macht, Reichtum und Gleichklang mit einer von materialisti- schen (gottlosen) Werten geprägten Gesellschaft.
2. Gemeinde vor Ort
- Lernen von lebendigen, armen Gemeinden; Offenheit und sich in Frage stellen lassen. Eine prophetische Gemeinde, die die Tod bringenden Ungerechtigkeiten anklagt und die durch ihre Praxis die beginnende Herrschaft der Liebe und Gerechtigkeit verkündet.
- Eine missionarische Gemeinde, die globale (weltkirchliche) Verantwortung überneh- men und Teilen lernt - und so zu einem Licht der Hoffnung in der Dunkelheit wird.
3. Individuell
- Der Einzelne erhält die Chance zur Umkehr in einer Gemeinschaft; Wiederentdeckung des wahren Lebens, Teilhabe an der Fülle des Lebens; Brot des Lebens werden für an- dere (all dies als Konsequenz aus der Begegnung mit dem Armen, bzw. aus der Erfahrung, im Not leidenden Nächsten dem gekreuzigten Christus begegnet zu sein).
- Der Neue Mensch aus dem Geist Gottes: der Sünde der Welt widerstehen, in Gemeinschaft mit anderen, und sie überwinden. Dies ermöglicht ein neues Leben.
Chancen einer Partnerschaft:
Ein Lernprozess („Training“ oder Katechese des Glaubens); eine Chance der Teilhabe am Wirken des Hl. Geistes; eine Möglichkeit, dass Theologie - die Option für die Armen - zu Fleisch und Blut wird. Partnerschaft ermöglicht konkrete Begegnung, konkretes Brot teilen, konkret Kirche sein und werden.
Ulm im Mai 1992 Willi Knecht
(zur Feier der 10 - jährigen Partnerschaft St. Georg - San Pedro, als Statement zur Begrüßung von Bischof Walter Kasper und anschließenden Podiumsdiskussion. Bischof Kasper stellte etwas verwundert fest, dass ich mich wohl haargenau an die Methode der Theologie der Befreiung gehalten hätte - auch sonst konnte er nichts Vernünftiges sagen).