Bischöfe Medellíns
Raúl Silva Henríquez; Enrique Angelelli; Luis Vallejos; José Dammert; Leonidas Proaño; Alberto Luna; Helder Camara; Antonio Fragoso; Pedro Casaldáliga; Adriano Hypolito; Paolo Evaristo Arns; Juan Gerardi; Sergio Méndez Arceo; Samuel Ruíz;
José Dammert Bellido, Cajamarca - “Eine Kirche mit Poncho und Sombrero”
Es sagt einiges über sein “Programm”: Zu seinem Abschied als Bischof von Cajamarca bereiteten am 10. Dezember 1992 die Campesinos José Dammert Bellido ein Fest - und auf dem Altar lagen beim Gottesdienst sein (Stroh-) Hut, seine Schultertasche, sein Stock und sein Poncho. Damit war “Don Pepe”, wie sie ihn gerne nannten, unterwegs im Bistum – wie eben auch Campesinos unterwegs sind. Diese Gegenstände des Campesino - Alltags sind für ihn gleichzeitig von symbolisch-pragmatischer Bedeutung: Eine Kirche mit “Poncho und Sombrero” (statt einer mit Mitra und Stab) ist eine Vorstellung nämlich, in der Bischof Dammert einiges von dem ausdrückt, worum ihm es geht: eine andin inkulturierte Kirche, eine Campesino - Kirche, eine Kirche, die nicht klerikalistisch-triumphalistisch ist, die nicht eine entfremdet “weiße” oder Oberschicht-Kirche ist. Poncho und Sombrero als Symbole der Alltagsnähe und der Option für die Armen, innerkirchlich als Zeichen eines Bischofs auf dem Weg mit dem Volk Gottes.
So soll im folgenden zunächst eher indirekt von der Person Dammerts die Rede sein und direkt von Menschen in seinem Bistum, um die es ihm schließlich ging, und von den Entwicklungen, die er anstieß, inspirierte und förderte. Diese pastoralen Entwicklungen gingen großenteils der berühmten CELAM-Konferenz von Medellín 1968 voraus und waren zum einen sein Erfahrungshintergrund bei den Diskussionen in Medellín, zum anderen wurden sie von dort gestützt und bestätigt. Bischof Dammerts Pastoral hat sich eher intuitiv und ganz praktisch entwickelt, wurde nicht aus irgendeiner “einwandfreien” Theologie abgeleitet, sondern aus der Begegnung mit den Menschen in Cajamarca und der Auseinandersetzung mit ihrer Lebenssituation.
(In: Meier, Johannes (Hrsg.): „Die Armen zuerst! - Zwölf Lebensbilder lateinamerikanischer Bischöfe. Mainz, 1999.
I. Zum Beispiel Barbarita: Ein Campesino - Mädchen wird Katechetin und Gemeindeleiterin
Barbarita war gerade 14 Jahre alt, als sich in ihrer Comunidad (“Weiler”) die Nachricht verbreitete, daß neue Priester nach Bambamarca (in die Stadt) gekommen waren, die ganz anders als die bisherigen waren. Einer der drei neuen Priester ging sogar zu Fuß und in Begleitung einer “Gringita” zu den Comunidades. Dort sprachen die beiden über Jesus, sie hörten sich die Probleme der Leute an und schliefen sogar in deren Hütten. Ob das mit rechten Dingen zuging? Barbarita wurde neugierig.
Ein Jahr später war sie noch mehr überrascht. Sie hörte von zwei jungen verheirateten Männern, die nun anders waren als vorher. Wie viele andere Männer auch, hatten sie gerne getrunken und Coca gekaut, so daß von dem bißchen Geld nichts mehr für die Familie übrig geblieben war. Ihre Frauen hatten die ganze Arbeit zu verrichten, dazu die Erziehung der Kinder; Prügel waren für sie die angemessene Form der Kommunikation mit den Frauen gewesen, echte Männer eben. Nun aber waren die beiden ganz verändert. Sie hatten an Kursen der Pfarrei teilgenommen und jetzt waren sie “neue Personen”. Bald lernte Barbarita selbst einen solchen “neuen Mann” in ihrer eigenen Comunidad kennen. Er erzählte ihr mehr von den Kursen und auch davon, daß nicht mehr alles wie bisher bleiben könne, daß auch Campesinos Menschen seien und daß ihr Glaube mehr bedeute als die Hoffnung, auch in den Himmel der Frommen von der Stadt aufgenommen zu werden.
Barbarita wollte auch solche Kurse besuchen. Und sie hatte Glück, denn ihr Vater war nicht so wie viele andere und ließ sie in die Stadt gehen - allerdings unter einer Bedingung: sie durfte ihre normale Arbeit nicht vernachlässigen und mußte etwas von den Kursen mitbringen. So stand sie um 4 Uhr morgens auf, bereite das Feuer vor, holte Wasser, versorgte die Tiere und wusch die Wäsche, die sie am Abend vorher nicht mehr waschen konnte, weil kein Wasser mehr da war. Für das Frühstück blieb keine Zeit mehr. Eine volle Stunde brauchte sie um in die Stadt zu kommen (etwa 8 km), in das Kurszentrum am Ortsausgang von Bambamarca, das gerade in freiwilliger Mitarbeit von Hunderten Campesinos errichtet wurde. Erst um Mittag und manchmal weinend vor Hunger, aß sie zum ersten Mal. Um 18 Uhr lief sie zurück, und weil es bereits dunkel wurde, rannte sie so schnell sie konnte. Bis tief in die Nacht hinein mußte sie noch ihrer Mutter helfen: Kartoffeln schälen, die Hütte in Ordnung bringen usw. Als Älteste von 12 Geschwistern teilte sie mit der Mutter die gesamte Verantwortung.
Es dauerte nicht lange, und es bildete sich eine Gruppe von meist noch sehr jungen Frauen in ihrer Comunidad, zunächst gegen den Widerstand der meisten Männer. Doch inzwischen hatte auch der Katechet der Comunidad an Einfluß gewonnen und es kam nicht zu einem offenen Konflikt. Neben dem Erlernen von Handarbeiten, Fragen der Hygiene und vielen anderen praktischen Dingen, wurden auch religiöse Lieder gesungen. Doch das wichtigste war, daß sie von einem Jesus hörten, der wie sie in einer Lehmhütte geboren wurde, der von einem liebevollen Vater sprach, der alle seine Kinder gleich behandele und ein besonderes Herz aber für die Ärmsten habe. Und aus der Himmelskönigin Maria wurde das einfache Bauernmädchen, das voller Stolz seinen Gott preist, weil er sie auserwählt hat, der Welt den Befreier zu schenken.
Da Barbarita fleißig in den zentralen Kursen am Stadtrand zugehört hatte, wurde sie bald zur Leiterin der Frauengruppe gewählt und sie ging sogar in die benachbarten Comunidades, wo auch bald danach Frauengruppen entstanden. Oft wurde sie dabei von den deutschen Señoritas begleitet, die inzwischen zu dritt waren. Schließlich wurde sie von ihrer Comunidad ausgewählt, die Intensivkurse zu besuchen um die Beauftragte für Gesundheit (promotora de salud) zu werden. Dies war sie dann über 10 Jahre lang. Parallel zu dieser Tätigkeit als Promotora besuchte sie die Pastoralkurse der Pfarrei und sogar in Cajamarca. Und so war es eine logische Entwicklung, daß sie nach 10 Jahren auch zur Katechetin wurde. Als Katechetin war sie verantwortlich für alle Wortgottesdienste, Tauf- und Firmvorbereitung, Betreuung der Familien (30-40 pro Comunidad) und die Mitbetreuung der gesamten Zone mit 15-20 Gruppen. Kurz darauf wurde sie von Bischof Dammert auch als erste Frau zur Taufbeauftragten ernannt. Sie durfte im Namen des Bischofs und der jeweiligen Comunidad, Kinder taufen, Ehen schließen und das Evangelium verkünden. Ihre Arbeit erstreckte sich nun auf das gesamte Gebiet der Pfarrei. In Begleitung erfahrener Katecheten besuchte sie auch weiter entfernt gelegene Gebiete. Als Katechetin und Taufbeauftragte arbeitete sie am Pastoralplan der Pfarrei mit. Einmal im Jahr kam es zu einem Treffen auf Diözesanebene, um gemeinsam mit anderen Verantwortlichen den Pastoralplan der Diözese auszuarbeiten.
Ihr Hauptziel war: die “Gute Nachricht” verkünden und neue Gruppen bilden. Das, was sie selbst bei sich erfahren hat, wollte sie anderen weitergeben. Inhaltlich standen das Leben Jesu und der Apostel im Mittelpunkt, denn die biblischen Geschichten waren wie aus ihrem eigenen Leben gegriffen. So erfuhren die Menschen nicht nur zum ersten Mal etwas von der Bibel, sondern sie lernten auch die Bedeutung der Taufe und der Sakramente kennen. Auf Zeit war sie u.a. Sprecherin des Gesamtkirchengemeinderates aller Zonen von Bambamarca und Präsidentin aller Frauengruppen (über 100). Dabei kam sie auch immer wieder mit der “Reaktion” der Mächtigen in Konflikt und sie wurde einige Male eingesperrt.
Für sie selbstverständlich, aber es soll dennoch eigens betont werden: für ihre über 30 Jahre hinweg dauernde Tätigkeit bekam sie niemals auch nur das geringste Gehalt. Als ihre wesentlichen Impulse nennt sie (außer dem Evangelium): das 2. Vatikanische Konzil, wo sie erfahren hat, daß alle Menschen gleich sind und frei, daß alle zu dem einen Volk Gottes gehören und daß die Kirche diejenige Gemeinschaft ist, die davon Zeugnis ablegt. Speziell von Medellín hat sie gelernt, daß es eine Einheit zwischen Volk und Bischöfen gibt und daß die Bischöfe auf der Seite des Volkes gegen jede Art von Mißbrauch stehen. All dies haben sie erfahrene Katecheten gelehrt, sowie einige Priester und Ordensschwestern. Voraussetzung für den Erfolg dieser “Lehre” war, daß die, die lehrten, auch mit den Betroffenen lebten, z. B. in der Lehmhütte die Kartoffelbrühe teilten, daß sie zuhörten, lernten. Barbarita: “Worte allein sind hohl, Taten schaffen Vertrauen”. Heute (1997) beklagt sie, daß sie vielleicht zu wenig auf ihre Gesundheit geachtet hat. Sonst ist sie sehr zufrieden, denn ihre Arbeit in der Kirche hat sie nicht wegen materieller Belohnung gemacht, sondern um das Erlernte und am eigenen Leib Erfahrene mit anderen zu teilen. Sie ist zufrieden, weil sie den Willen Gottes erfüllt hat. Und was bedeutet für sie der Wille Gottes? - die “Gute Nachricht” den Menschen bringen, die Nachricht von der Würde als Kind Gottes und der Befreiung der Menschen von allem, was sie daran hindert, Mensch zu sein.
Als ihre größte Stütze (neben ihrem Ehemann, der wie sie zum Katecheten wurde), nennt sie Bischof Dammert, den sie als wahren Freund erlebt hat. Er war es, der die “Gute Nachricht” aufs Land brachte und zu den Armen, der keinerlei Unterschiede zwischen den Menschen machte und der sich vorbehaltlos für die Schwächsten einsetzte.
Als Ende 1991 Bischof Dammert zwei junge Pfarrer von Bambamarca abziehen muß, überträgt er Barbarita zusammen mit drei erfahrenen Taufbeauftragten (Don Neptalí, Don Candelario, Concepción) die Leitung der Gemeinde Bambamarca. Bambamarca erlebt einen erneuten Aufschwung und eine neue Dynamik. Ende 1992 wird Bischof Dammert überraschend abgelöst und es fragt sich, wie es weitergeht.
II. Zur Person Dammerts: vom Juraprofessor zum Campesino-Bischof
Sein Großvater war Bürgermeister in Hamburg und auch in Peru gehörte die Familie Dammert zur erweiterten Oberschicht. In Lima wurde er am 20. August 1917 geboren und hatte als Kind und Jugendlicher alle Chancen, die ihm seine Herkunft boten. Mit 17 Jahren hatte er bereits die Möglichkeit, in Italien zu studieren. In Pavia und Rom studierte er Jura und römisches Kirchenrecht. Nach fünf Jahren in Italien kehrte er 1938 nach Lima zurück, wo er bereits ein Jahr später zum Generalsekretär an der Kath. Universität Lima berufen wurde, gleichzeitig wurde er Professor für Römisches Recht, später auch noch für Kirchenrecht und Kirchengeschichte.
19 Jahre lang lehrte er an der Universität. “Nebenher” begann er 1941 mit dem Theologiestudium und am 21. 12. 1946 wurde er in Lima zum Priester geweiht. Schon damals war ihm wichtig, nicht als Professor über den Studenten zu stehen, sondern solidarisch mit ihnen zu leben. Von 1952 bis 1958 war er Vize-Rektor der Universität und im April 1958 wurde er zum Weihbischof von Lima geweiht, bereits ein Jahr davor war er zum ersten Generalsekretär der peruanischen Bischofskonferenz berufen worden.
Als Universitätsprofessor und Weihbischof war er Präses der Acción Católica und sorgte für einen Aufbruch in den Verbänden “Katholische Studierende Jugend” und “Katholische Arbeiterjugend”. In einer Zeit und Umgebung, in der z. B. ein Student, wenn er mit einem kirchlichen Würdenträger sprach, auf die Knie gehen mußte, nannten ihn seine Studenten schlicht “Don Pepe”. Schon damals “fiel er aus der Rolle”. Als Weihbischof trug er keinerlei Insignien bischöflicher Macht, nur einige Male konnte er es nicht vermeiden, die Mitra aufsetzen zu müssen, das Zeichen der Pharaonen, wie er sie nannte. Er war es auch, der als erster Würdenträger die Elendsviertel außerhalb Limas aufsuchte, um zu lernen, wie die Leute lebten. Daß er dabei “den heiligen Rock”, die Soutane, mit dem Staub und Dreck beschmutzte, in dem die Elenden lebten, konnten viele seiner Mitbrüder nicht verstehen.
Mit seiner Unterstützung fand 1959 in Lima die erste Sozialwoche Perus statt. Zusammen mit Fachleuten machte er sich Gedanken, welche Aufgaben die Kirche angesichts des zunehmenden Elendes des Volkes hat. Schon damals erhob er seine Stimme zugunsten der Armen und Rechtlosen: “Während wir unsere Kräfte damit vergeuden, den äußeren Prunk für den Kult zu vermehren, leiden viele Kinder Gottes um uns herum an Hunger, Krankheiten und Elend. Der Prunk ist nicht vereinbar mit dem gleichzeitigen Elend des Volkes. ... Wir müssen verstehen, daß das Christentum den ganzen Menschen betrifft. Wir können das Leben der Frömmigkeit nicht trennen vom alltäglichen Leben. Jemand ist nicht dann ein guter Christ, wenn er zwar täglich die Sakramente empfängt, aber nicht für soziale Gerechtigkeit eintritt”.
Persönliche Bescheidenheit, ja Demut – Einheit zwischen Pastoral und Sozialarbeit – Einsatz für die Bedrängten verbunden mit dem Kampf für bessere Verhältnisse, das sind die drei Standbeine, auf die er sein Bischofsamt stellt – und ein “Dreifuß” wackelt nicht.
Am 19. März 1962 wird Dammert zum Bischof von Cajamarca ernannt. In Cajamarca, einer der ärmsten Diözesen in Lateinamerika, begegnet er der Armut direkt vor seiner Tür. Er öffnet die Tore seines “Bischöflichen Palais”. Täglich sieht man Dutzende von Campesinos wie selbstverständlich im Innenhof, mitten unter ihnen der Bischof. Aber auch Intellektuelle, Gäste aus Lima und sogar Touristen gehen ein und aus. Oft kommt es vor, daß ihn ein Fremder nach dem Bischof fragt, wo man sich anmelden müsse usw. Wenn er in kühleren Stunden noch einen Poncho über seinen Alpaca-Pullover zieht, der dann auch noch das einfache Holzkreuz verdeckt, ist er erst recht nicht mehr als Bischof zu erkennen. Am frühen Morgen und noch spät in der Nacht ist er in seinem spartanisch eingerichteten Zimmer anzutreffen. Ein Feldbett und ein Schreibtisch, darauf seine “berüchtigte” Schreibmaschine (auf der viele Buchstaben nur mit Mühe zu entziffern sind und die er bis heute benutzt), sind die einzige Einrichtung. Das Bischofshaus wird zum Haus des Volkes, zum Haus der Bedrängten, aber auch zum Haus der Feste und der Begegnung zwischen Stadt und Land. Er braucht kein Auto und ist so den Menschen immer nahe.
Auf dem Konzil nahm er an allen vier Sitzungsperioden (1992 –1965) teil. Von 1963 bis 1969 war er Vorsitzender des “Rates für die Laien” des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM), seit 1964 Mitglied der “Päpstlichen Kommission für die Erneuerung des Kirchenrechts” und Vollmitglied der Römischen Synoden in den Jahren 1967, 1971 und 1980. Als Delegierter der Peruanischen Bischofskonferenz war er 1968 in Medellín und 1992 in Santo Domingo dabei. Vizepräsident der peruanischen Bischofskonferenz war er bereits seit 1974, von 1990 an war er bis zu seiner Ablösung Ende 1992 deren Präsident.
Zu seinem 75. Geburtstag reichte er wie üblich seinen Rücktritt in Rom ein. Dieser wurde überraschend angenommen und im Dezember 1992 feierte er seine letzte Hl. Messe in der Kathedrale von Cajamarca. Seither sind die Tore des Bischofshauses verriegelt.
Bis Dezember 1996 war er noch Delegierter der Bischofskonferenz in den Gremien der Katholischen Universität Lima. Heute wird er noch täglich zum “Instituto Bartolomé de Las Casas” (Leiter: Gustavo Gutiérrez) gebracht, wo man ihm ein kleines Arbeitszimmer einrichtete. Er widmet sich historischen Studien, allein 1997 erschienen zwei weitere Bücher von ihm. Er wirkt gebrechlich, kann kaum noch gehen, ist aber so rege, daß noch weitere Bücher von ihm zu erwarten sind.
III. Bischof in Cajamarca : “Das Wehklagen derer, die leiden, läßt mich nicht ruhen”.
1. Die Diözese Cajamarca (Ausgangslage)
1962 lebten in der Diözese Cajamarca 430.000 Menschen, nahezu alle katholisch. Die Größe der Diözese entspricht etwa der Größe Nordrhein-Westfalens. Viele Orte sind nicht einmal mit dem Jeep und auch nicht telephonisch erreichbar. Dazu kommt ein stark zerklüftetes Gelände zwischen 500 und 4.000 m Höhe. In den größeren Orten (Bambamarca, Cajabamba, Celendín u.a.) gab es zwar Pfarrer, doch ohne jeden Kontakt untereinander, jeder auf sich selbst gestellt. Einzige Stadt ist die Bischofsstadt und Departementshauptstadt Cajamarca mit 35.000 E., einer Universität, einem Gefängnis und einem Krankenhaus. Größtes Unternehmen in Cajamarca ist zu der Zeit Nestlé, ein Molkereibetrieb mit acht Beschäftigten.
Bischof Dammert schreibt 1963 an Adveniat: “95% der Katholiken sind Campesinos. Die Missionierung dieser Campesinos bestand nur in einem Umwandeln der kultisch-indianischen Gebräuche in christliche. Eine eigentliche Evangelisierung oder Katechetisierung erfolgte nicht. Völlige religiöse Unwissenheit, Aberglaube, heidnische Gebräuche sind die Folge, auch wenn, oberflächlich betrachtet, die Bevölkerung christianisiert zu sein scheint”. Ihre Religiosität bestand vornehmlich darin, ihren jeweiligen Dorfheiligen zu verehren, ihm Opfer zu bringen und den Seelen (Geistern) der Toten die Ehre zu erweisen, damit diese kein Unheil anrichten.
Es gab beim Amtsantritt Dammerts 23 einheimische Weltpriester, keinen ausländischen Priester und 7 Ordenspriester (1998 sind die Zahlen nahezu identisch). Doch zu etwa 95% der Katholiken hatten diese Priester keinen Kontakt (außer Massentaufen), von einem kirchlichen Gemeindeleben auf dem Lande konnte man erst recht nicht reden.
Am Beispiel der Pfarrei Bambamarca läßt sich zeigen, wie Anfang der 60-er Jahre die Ausgangslage war und wie es dann zu den folgenden Erneuerungen kam. In der Pfarrei Bambamarca lebten damals 50 - 60.000 Menschen, davon etwa 5.000 in Bambamarca selbst (der “Stadt” aus der Sicht der Campesinos). Bambamarca liegt 117 km nördlich von Cajamarca, auch heute noch nur auf einer sehr schlechten Schotterpiste erreichbar. Die Stadt war und ist Handelszentrum, Geschäfts- und Verwaltungszentrum. Ihre Einwohner gelten als “Städter”, will heißen, sie sind keine Campesinos - und darauf legen sie auch großen Wert, ebenso darauf, irgendwelche europäischen Vorfahren zu haben. Im dazugehörenden Hinterland gab es zwei große Haziendas, Chala und Llaucán, an den unwegsameren und unfruchtbareren Randlagen gab es auch Minifundien. Etwa die Hälfte der Campesinos lebte in einer der beiden Haziendas, die andere Hälfte auf winzigen Grundstücken inmitten steinigen Ackerlandes. Bis 1962 war es üblich, daß z.B. der Eigentümer der Hazienda Chala, wenn er seine Hazienda besuchte (er lebte natürlich normalerweise in Lima), von “seinen” Campesinos in einer Sänfte von der Stadt nach Chala getragen werden mußte. Der damalige Pfarrer von Bambamarca, Pfr. Zárate, war der Onkel des Großgrundbesitzers.
Die Campesinos, auch die “unabhängigen”, waren vollkommen vom Großgrundbesitzer bzw. von den Märkten der Stadt abhängig. Für ihre Produkte bekamen sie einen lächerlichen Preis und um in die Stadt kommen zu dürfen, mußten sie eine Extra-Steuer bezahlen (polizeiliche Kontrolle am Stadteingang), ebenso für das Recht, auf dem Markt verkaufen zu dürfen. Davon abgesehen sie hatten keinerlei Rechte. Polizisten, Richter und Geschäftsleute verachteten sie und selbst Lehrer weigerten sich, “Indios” zu unterrichten.
Entsprechend war auch die Situation in der Pfarrei. Pfarrer Zárate war eine Autorität in der Stadt. Er hielt auch viele Messen, deren Preis von der bestellten Länge und davon abhängig war, ob mit viel Blumen oder Kerzen, mit oder ohne Chor und Musik zelebriert wurde. Zwei Hauptereignisse prägten das Kirchenjahr: Corpus Christi (Fronleichnam) im Juni mit einer äußerst prächtigen Prozession und das Patronatsfest (Virgen del Carmen) am 17. Juli, auf das sich die ganze Stadt monatelang vorbereite und das dann über 18 Tage lang (Novene vor und nach dem Fest) prunkvoll gefeiert wurde. Angesichts dieser Aufgaben in der Stadt hatte der Pfarrer keine Zeit, auf das Land zu gehen. Und da die Campesinos wiederum von den Messen und Festen in der Stadt ausgeschlossen waren, bestand deren einziger Kontakt mit der offiziellen Kirche darin, daß sie die neugeborenen Kinder so schnell als möglich zur Taufe in die Stadt bringen mußten. Selten kam es einmal vor, daß Pfr. Zárate aufs Land ging (nach Chala) und wenn, dann nur gegen hohes Wegegeld.
Dessenungeachtet waren die Campesinos von einer tiefen Religiosität. Gott war selbstverständlicher Teil ihres Lebens und ihres Alltags. Doch es war ein strenger Gott, ein Gott der strafte, wenn man ihm nicht genug Opfer brachte oder wenn man den Autoritäten nicht gehorchte. Man betete zu Gott, den Heiligen oder der Jungfrau Maria, um einen Gefallen zu erbitten oder einer Strafe zu entgehen. Auch Patronatsfeste wurden gefeiert, aber eher als Abklatsch der städtischen Feste, mit viel Alkohol, Feuerwerk und allerlei Händel.
2. Dammerts Ankunft in Cajamarca
1962 mußte Pfr. Zárate altersbedingt sein Amt aufgeben. Im gleichen Jahr (15. 6.) kam Bischof Dammert nach Cajamarca. Er wurde zum Bischof einer unbedeutenden Diözese in den Anden Perus ernannt. “Der Vatikan sorgte sich, weil das Konzil bevorstand, um die vakanten Bischofssitze. Und weil es zu lange gedauert hätte, neue Bischöfe zu weihen, nahm man die Weihbischöfe, um sie auf die leeren Stühle zu setzen. So wurde ich zum Bischof von Cajamarca ernannt, das ich damals gar nicht kannte”. Freunde von ihm nennen noch einen anderen Grund für seine Ernennung: Er wurde weggelobt und man hoffte, daß er in einer abgelegen Andendiözese, fern von seinen Studenten und allerlei neumodischen Ideen, vielleicht zur Besinnung käme und doch noch ein “richtiger” Bischof würde. Man verstand nicht, daß ein so gebildeter Mensch, zudem aus vornehmer Familie, wenn er schon Priester werden wollte, nicht wenigstens in einen renommierten Orden eintrat. Denn als einfacher Diözesanpriester würde er ein ewiger “Hungerleider” sein. Und nun akzeptierte er nicht nur seine “Versetzung” in eine der ärmsten Regionen des Landes, sondern er begrüßte dies auch noch ausdrücklich, weil er dort vielleicht wenigstens gebraucht wurde und er etwas tun konnte.
Auch in Cajamarca stieß er bald auch auf Unverständnis. Er entsprach eben nicht dem Bild eines Bischofs. Er wollte sich noch nicht einmal in die erste Reihe neben all die anderen Würdenträger setzen. Viele Geschichten über seine Einfachheit und Bescheidenheit werden auch heute noch erzählt. Hier seien nur zwei herausgegriffen: Den reichen und frommen Bürgern der Bischofsstadt war es ein großes Anliegen, endlich eine “richtige” Kathedrale zu haben, d. h. eine Kathedrale mit zwei fertigen Türmen. Also spendeten sie dem neuen Bischof eine große Summe Geld zur Fertigstellung der Kathedrale. Unter den Spendern war ein bedeutender Senator der Republik, gleichzeitig einer der größten Landbesitzer der nördlichen Anden. In einem Brief an diesen bedankte sich Bischof Dammert, wies aber auf die Dringlichkeit anderer Aufgaben hin: auf die Zustände im Gefängnis, das einem Schweinestall gleiche, auf das verschmutzte Trinkwasser, das die Gesundheit der ganzen Stadt gefährde, auf das neu zu errichtende Hospital und auf das Abwasser und den Müll in den Straßen selbst in der Nähe der Kathedrale, so daß es einen schäme, durch die Straßen zu gehen. Diese Zustände zu verbessern sei dringlicher als noch “mehr Zierat für den Tempel”. Außerdem seien – nach dem Hl. Paulus – wir Menschen der wahre Tempel Gottes und angesichts der inhumanen Zustände, in denen die Mehrzahl der Menschen in Cajamarca lebe, könne man nicht im geringsten zweifeln, wo die Prioritäten liegen. Am Schluß des Briefes taucht zum ersten Mal der Satz auf, der – im Nachhinein – zu seinem Motto wurde: “ Die Wehklagen derer die leiden, lassen mich nicht ruhen.”
Auch die zweite Geschichte zeigt, wie Bischof Dammert seine Berufung als Bischof verstand. Im ersten Jahr in Cajamarca trug er noch hin und wieder seinen alten Bischofsmantel. Doch bald war dieser so löchrig, daß er nicht mehr zu gebrauchen war. Statt sich einen neuen zu kaufen, verzichtete er in Zukunft auf den Mantel - und auch auf jedes äußere Zeichen “bischöflicher Würde” – und zog bei Bedarf einen Poncho über. Bischof ist man schließlich nicht dadurch, daß man sich mit den entsprechenden Insignien ausstattet, sondern indem man in der Nachfolge der Apostel und Propheten den Armen die Frohe Botschaft und den Gefangenen die Freiheit verkündet, die Blinden sehend macht, die Unterdrückten in die Freiheit führt und eine Zeit der Gnade (Versöhnung) einleitet.
Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß der Senator und mit ihm alle ehrenwerten Honorationen der Stadt von einem solchen Bischof nicht sehr begeistert waren. Am liebsten hätten sie ihn aus der Stadt gejagt .....
3. Der “Pastoralplan” Dammerts - Die Anfänge in Bambamarca
Die schon am Beispiel Bambamarcas beschriebene pastorale Situation in der Diözese Cajamarca bis 1962 führte zu der Notwendigkeit, nach neuen Wegen zu suchen. Dammerts Analyse der Situation fiel zuweilen sehr drastisch aus, ebenso seine Vorschläge über die einzuschlagenden Wege. Dabei fällt auf, daß es ihm nie um die Kirche “an sich” ging, schon gar nicht um deren äußere, geschichtlich bedingte Strukturen und Formen (siehe “Bischofsmantel”).Diese Strukturen haben für ihn nur dann ihre Berechtigung, wenn sie dem Menschen dienen und die Verkündigung der befreienden Botschaft von Jesus dem Christus fördern. In einem Brief an den römischen Nuntius in Lima schrieb er 1970: “Die starke Personalhilfe an Priestern für die lateinamerikanischen Diözesen erkrankte an einem schweren Mangel: Man ging von der Voraussetzung aus, daß in diesem Kontinent ein von spanischen Missionaren begründetes Christentum bestehe, das nun jedoch wegen des Priestermangels in eine schwere Krise geraten ist...Man glaubte, es wäre ausreichend, die Förderung geistlicher Berufe zu intensivieren. Die Wirklichkeit ist anders: Es gibt weder Priester noch Ordensleute, da es keine Christen gibt... Was tun? Man soll alles Traditionelle erhalten, was wirklich der Evangelisation dient und fallen lassen, was ihr nicht dient. Es ist nötig, neue Formen des Apostolats und der Evangelisation zu suchen. Es müssen neue Wege gefunden werden, Laien für diakonale Funktionen auszubilden... Ich halte nicht mehr viel von den bestehenden kirchlichen Strukturen. Sie verschwinden, eine nach der anderen. Wir verlieren viel zu viel Zeit damit, sie erhalten zu wollen. Was mich zur Zeit am meisten bedrückt ist, daß viele Christen, Laien und Kleriker, das Licht suchen, das sie zu Christus führt, und daß wir Männer der Kirche unfähig sind, sie zu orientieren”. Mit den jeweiligen päpstlichen Nuntien in Lima hatte er in der Folge seine Probleme, zumal er auch noch als Kirchenrechtler und -historiker die Existenzberechtigung der Nuntiaturen als überflüssiges Zwischenglied zwischen Rom und der Ortskirche ansah und sie generell in Frage stellte. Bei seiner Ablöse 1992 spielte der Nuntius natürlich eine entscheidende Rolle.
Bemerkenswert ist, daß Dammert die Laien nie als “Ersatz” oder “Notlösung” für die immer seltener werdenden Priester gesehen hat. Die Mitwirkung der Laien an der Verkündigung sieht er in Anlehnung an Papst Johannes XXIII. nicht deswegen für notwendig an, weil Priester fehlen, sondern als selbstverständlich, weil sie Christen sind. Er kennt und versteht auch die Angst vieler seiner Priester: “Einige Priester meinen, daß das Anwachsen der Zahl der Pastoralagenten ihre Arbeit beeinträchtigen könnte. Doch die Erfahrung zeigt, daß der Priester seinen Aktionsradius vergrößert, weil die Katecheten ihn dazu zwingen, sich neuen Aufgaben zuzuwenden. Insbesondere regt er sie zu einer tieferen geistlichen Orientierung an, zur besseren Kenntnis der Hl. Schrift und der Theologie, um diese in den Fragen, mit denen sie täglich konfrontiert werden, anwenden zu können”.
Wenn hier von einem “Pastoralplan” Dammerts die Rede ist, dann nicht von einem minutiös und theoretisch ausgefeilten Plan berühmter Theologen, sondern man muß vielmehr die Praxis ansehen, wie sie sich seit 1963 vor allem in Bambamarca entwickelt hat. Die Grundlagen dafür waren: Analyse der Situation, Zuhören - Verkünden der befreienden Botschaft Jesu - Ausbildung von Laien - Priorität für die Menschen, die bisher abseits standen - Einheit von Pastoral und Sozialarbeit. Bischof Dammert hat diese neue Pastoral auch nur verwirklichen können, weil er Mitarbeiter fand, die vom “Feuer der konziliaren Erneuerung” ergriffen waren. Seine wichtigsten (priesterlichen) Stützen waren gerade in den Anfangsjahren: Pfr. Pedro Bartolini, Pfr. Alfonso Castañeda (beide aus der Region Cajamarca) und Pfr. Alois Eichenlaub, Diözese Speyer.
Im folgenden geht es bewußt um die Anfänge in Bambamarca. Bambamarca war das Pilotprojekt und wurde zu einem über die Grenzen Perus hinaus bekannten Modell. Padre Bartolini im Jahre 1997: “Die Katecheten Bambamarcas waren die ersten Campesino-Katecheten Perus und vielleicht die ersten in der Welt, die mit Erlaubnis Roms die Taufe spendeten und praktisch als Gemeindeleiter in ihrer Comunidad tätig waren”. Es ist auch zu beachten, daß all das, was in Bambamarca geschah, bis 1968 logischerweise nicht von Medellín inspiriert war, sondern zu Medellín führte und von Medellín bestätigt wurde. Besonders auch die Erfahrungen in Riobamba (Ecuador) und die enge Freundschaft und Zusammenarbeit mit Bischof Proaño trugen dazu bei, daß Medellín zu einem Meilenstein wurde.
Während des Konzils in Rom traf sich seit dessen Beginn eine Gruppe von Bischöfen aus 19 Ländern, die sich dem Beispiel Charles de Foucauld verpflichtet fühlten. In ihrer Hingabe an die Armen, sichtbar auch in ihrem eigenen Lebensstil, wollten sie zeigen, worauf es letztlich ankommt. Bischof Dammert gehörte zu dieser Gruppe. Auch seine Herkunft aus der Acción Católica spielte eine Rolle. Bereits seine Mutter war die Gründerin der weiblichen Sektion der Acción Católica in Peru. Dazu kam noch der Einfluß französischer Theologen, die von einer “Pastoral de Conjunto” sprachen, d. h. von kleinen Priestergemeinschaften oder gemischten Teams, die in abgelegenen Zonen Zentren bilden, von denen aus die Landbevölkerung neu evangelisiert werden sollte. Zufällig traf Bischof Dammert auf dem Konzil einen peruanischen Priester wieder, Bartolini, der seit Anfang 1961 in Rom studierte und vorher für kurze Zeit auch als Pfarrer in Cajamarca tätig war. Bartolini wiederum hatte Dammert in den Sozialwochen 1959 – 61 in Lima kennengelernt Er hatte dann an Kursen in Löwen (Belgien) teilgenommen, Arbeiterpriester in Deutschland und Frankreich kennengelernt, ebenso landwirtschaftliche Genossenschaften in Spanien und Ansätze einer Landreform in Süditalien. Bischof Dammert lud ihn ein, als Priester mit ihm nach Cajamarca zu kommen und Bartolini war von Dammert, den er schon als Weihbischof in Lima bewundert hatte, so überzeugt, daß er sofort zusagte.
Im Januar 1963 fand in Cajamarca eine von dem französischen Soziologen und Kanonikus Abbé Boulard geleitete erste Pastoralwoche statt, an der neben einigen jüngeren Priestern auch Seminaristen, Ordensleute und Laien teilnahmen. Dieser Kurs wurde sehr gut aufgenommen und zeigte klar die Notwendigkeit eines gemeinsamen seelsorgerlichen Vorgehens. Padre Bartolini ging danach sofort mit zwei anderen peruanischen Priestern (Mundaca und Fernández) nach Bambamarca, wo sie gleich damit anfingen, eine erste Pastoralwoche vorzubereiten. Diese fand dann in der Karwoche auf der Hazienda Chala statt, eine Gehstunde von Bambamarca entfernt. Der Besitzer der Hazienda begrüßte den Kurs, weil er dachte, daß dadurch die Campesinos noch gelehriger und fügsamer würden. Eine zweite neugebildete Priestergruppe, die sich inzwischen in Baños del Inca niedergelassen hatte (Alois Eichenlaub, der sich übrigens auch in Löwen auf seine Arbeit in Peru vorbereitete und Alfonso Castañeda), nahm daran ebenso teil wie einige junge MitarbeiterInnen aus Cajamarca. Zum ersten Mal aber waren auch Campesinos dabei. Den drei Priestern in Bambamarca war es gelungen, innerhalb weniger Wochen über 20 Comunidades auf dem Land zu besuchen und das Vertrauen von Campesinos zu gewinnen. Unter den Campesinos waren auch Don Neptalí und Don Candelario.
Die Hazienda Chala stellte nicht nur Unterkunft und Versammlungsräume, sondern auch die Verpflegung, u.a. zwei Rinder und etliche Schafe, so daß einige Campesinos zum ersten Mal im Leben Rindfleisch bzw. Hammelfleisch zu essen bekamen. Sie durften auch zum ersten Mal in ihrem Leben eine Bibel in ihre Hand nehmen und erfuhren zum ersten Mal etwas vom Leben und Sterben Jesu. In der Karwoche stand das Leiden Jesu im Mittelpunkt. Dieses Leiden Jesu wurde nachgespielt und mit dem Leben der Campesinos verglichen. Sehr schnell entdeckten diese, daß ihr eigenes Leiden und Elend etwas mit den von Menschen so geschaffenen Verhältnissen zu tun hat. Doch auf Anregung von Alois Eichenlaub endete der Kurs (und die Geschichte) nicht mit dem Tod Jesu. Weil Gott (und der Mensch) gekreuzigt wird, wenn der Mensch sich dem Menschen als Unmensch erweist, muß es entweder zu einer Versöhnung kommen oder das Elend geht weiter. So kam es auf dem Kurs zu einer großen Versöhnungsfeier, die bald umschlug in das Fest der Auferstehung - Auferstehung in Chala! Zum ersten Mal erlebten die Campesinos, daß die Hoffnung die Trauer überwindet, daß das Elend überwunden werden kann und daß Gott selbst Garant dieser Hoffnung ist. Als äußeres Zeichen dieser Hoffnung wurde ein überdimensionales Kreuz gezimmert und auf dem höchsten Berg in Chala aufgerichtet. Das Zeichen der Erlösung steht seither weit sichtbar bis heute über Bambamarca.
In einer weiteren Pastoralwoche im Herbst 1963, an der noch mehr Campesinos teilnahmen, wurde auch erstmals die Geburt Jesu nachgespielt und die Campesinos verstanden, daß dieser Jesus wie sie selbst in einer Lehmhütte auf die Welt kam, daß es Hirten waren, denen ein Licht aufging und die zuerst den Weg zu Jesus fanden. 1963 Jahre nach Christi Geburt, 430 Jahre nach der Ermordung Atahualpas durch die spanischen Conquistadoren in Cajamarca und nach Beginn der Missionierung, wurde Jesus Christus nun inmitten der Campesinos geboren. Es herrschte bei Campesinos, den Priestern und Mitarbeitern eine große Aufbruchstimmung. Alle schienen von dem Beginn einer neuen Zeit zutiefst überzeugt. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft war mit Händen zu greifen.
Weitere Kurse in den nächsten Jahren konnten nicht mehr auf der Hazienda Chala stattfinden, denn dessen Besitzer wußte nicht wie die Hirten auf dem Felde den Stern am Himmel zu deuten und deshalb fand er nicht den Weg zur Krippe im Stall, sondern empfand die Verkündigung der Geburt und der Auferstehung Jesu Christi als Bedrohung.
4. “Kirche mit Poncho und Sombrero”
In einem Brief an Misereor im Oktober 1965 schreibt Bischof Dammert: “Die großzügige Hilfe der deutschen Katholiken erlaubte es mir, ein Pilotprogramm in Bambamarca zu starten. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieses Programm ein erstmaliger Versuch ist innerhalb Perús, das sich fast ausschließlich auf die Erziehung des Campesinos, d.h. des Landbewohners richtet”. An der Entwicklung der beispielhaften Sozialpastoral in der Diözese Cajamarca und speziell in Bambamarca gibt es deutsche Anteile. Bereits 1963 stellte Bischof Dammert einen Antrag an Adveniat. Er bat um Unterstützung für seinen Pastoralplan, Priestergruppen in abgelegene Zonen zu schicken und gleichzeitig Laienkatecheten auszubilden.
In einer Antwort an “Sr. Exzellenz, den hochwürdigsten Herrn José Dammert Bellido, Bischof von Cajamarca”, schreibt Bischof Hengsbach, verantwortlich für Adveniat, weitsichtig: “Ich halte das Pastoralprogramm für den Einsatz von Priestergruppen und die Ausbildung von Laienkatecheten für sehr wichtig”. Aus den Spendengeldern der deutschen Katholiken aus der Adveniat-Kollekte 1962 wurden 100.000 DM für den Neuanfang in Bambamarca zur Verfügung gestellt. Das war der Beginn einer langen Beziehung....
Neben der materiellen Unterstützung war der Einsatz deutscher Fachkräfte von großer Bedeutung. Bischof Dammert beklagte immer wieder, daß es sehr schwer war, einheimische Fachkräfte für die Arbeit mit den Campesinos zu gewinnen. Als Gründe nannte er besonders, daß peruanische Fachkräfte aufgrund ihrer Erziehung, Herkunft und langer Traditionen oft nicht bereit oder fähig waren, den tiefen Graben zwischen ihnen und den “Indios” zu überbrücken. Einen weiteren Grund für die Notwendigkeit ausländischer Mitarbeiter sieht Dammert in der bisher traditionellen Haltung der einheimischen Kirche, “der wenig an einer Mitarbeit von Laien und auch wenig an der Bildung des einfachen Volkes gelegen war”.
So stand Bischof Dammert vor dem Dilemma, daß er einerseits unbedingt eine einheimische Kirche, in der Diözese Cajamarca eine andine Kirche aufbauen wollte, andererseits für die Verwirklichung auf Hilfe von außen angewiesen war. Doch auch dieser Zwiespalt ist letztlich gar keiner, denn es gehört zur urchristlichen, ja urreligiösen Erfahrung, daß wesentliche Erneuerungen und Impulse “von außen” kommen - eine entsprechend innere Disposition vorausgesetzt.
Bereits 1963 kam die erste deutsche Fachfrau, eine Fürsorgerin, nach Bambamarca. Zwei Jahre später waren es bereits vier Frauen aus Deutschland, drei Fürsorgerinnen und eine Krankenschwester. Auch sie waren nicht nur bereit aufs Land zu gehen, sondern sahen darin ihren Auftrag. Verstanden sie sich noch anfangs als “Sozialarbeiterinnen” im üblichen Sinne, so wurden sie von den Campesinas bald “bekehrt”: nach spätesten einigen Wochen war allen Neuangekommenen klar, daß sie ihre Arbeit nur dann sinnvollerweise leisten konnten, wenn sie die gewohnte Trennung zwischen Sozialökonomischem und Katechese überwanden. Die Frauengruppen z. B. sahen es als selbstverständlich an, daß jede soziale Arbeit eng mit ihrem Glauben zusammenhing und umgekehrt es keinen Glauben ohne soziale Tätigkeit in der Gemeinschaft geben kann. Das Argument der “Señoritas”, sie hätten keine pastorale Ausbildung, löste nur ungläubiges Staunen aus. Doch bald entdeckten die “Señoritas”, daß man auch ohne wissenschaftliche Studien Zeugnis seines Glaubens ablegen kann.
Im Jahre1964 besuchte Bischof Dammert erstmals Bambamarca. Einige angehende Katecheten, darunter auch Don Neptalí, hatten den Bischof zuvor auf Diözesankursen in Cajamarca kennengelernt. Nun lag es an ihnen, den Bischof zu empfangen und ihn in ihre Comunidades zu führen. Lange hatten sie sich auf diesen Besuch vorbereitet. Sie führten ihn durch reich geschmückte Torbögen aus Pappe, auf dem offenen Versammlungsplatz hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Noch nie hatte ein Bischof den Weg zu ihnen gefunden. Reihenweise warfen sich die Frauen vor ihm nieder, um ihm die Füße zu küssen. Doch er sagte nur: “Nein, nein, ich bin ein Mensch wie jeder von euch auch, ich möchte nicht, daß ihr meine Füße anbetet. Was ich will ist, daß ich mit euch reden möchte, eure Sorgen kennenlernen möchte”. Seine Botschaft war ganz einfach, nämlich, daß die Ehemänner gut ihre Frauen behandeln und für ihre Kinder Verantwortung übernehmen sollten, daß schließlich alle in gleicher Weise Menschen seien und an den gleichen Gott glauben würden.
Nun war Don Neptalí endgültig entschlossen, sein Leben ganz in den Dienst der Sache Gottes zu stellen. Als junger Mann war er voller Laster, wie er selbst sagt, doch seit er von den Priestern eingeladen wurde, zu den Kursen zu kommen und merkte, daß sie ihn ernst nahmen, veränderte sich sein Leben. Er begann ein neues Leben. Das wichtigste im Leben war nun für ihn: den Ruf Gottes zu hören, ja zu sagen und die Botschaft vom Christus dem Befreier zu verkünden. Als seine größten Erfolge nennt er, daß doch auch viele andere den Ruf Gottes gehört und sich in seinen Dienst gestellt haben. Dies zeigt sich darin, daß es weniger Streit gibt, der Mann respektiert die Frau, es gibt mehr Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber, es gibt eine Ausbildung und auch die wirtschaftliche Lage hat sich verbessert.
Die Pastoralarbeit war die Basis für alle weiteren Fortschritte und Entwicklungen in der Gemeinde Bambamarca. Die riesige Pfarrei Bambamarca, mit einem Durchmesser von über 100 km und (heute) etwa 90.000 Campesinos, wurde in 9 Zonen aufgeteilt mit je etwa 12 - 20 Comunidades. In jeder einzelnen Comunidad sollte es mindestens einen Katecheten (oder zunehmend auch Katechetin) geben, dazu eventuell noch einen Gesundheitshelfer und ein Pastoralkomité sollte verantwortlich für alle Belange der Comunidad sein. Bischof Dammert: “Wir versuchen immer mehr, in den einzelnen Comunidades Pastoralkomités zu bilden, die aus 8-10 Personen bestehen, wenn möglich beiderlei Geschlechts, denn die männliche Vorherrschaft ist sehr stark. Frauen sind oft vollständig abhängig infolge der traditionellen Unterwerfung unter den Vater oder den Ehegatten und der sehr geringen Schulbildung, die sie besitzen; denn die Schulen sind für die Buben, während die Mädchen im Hause oder auf der Weide helfen. Um so bemerkenswerter ist die Anstrengung einiger Mädchen, diese Abhängigkeiten zu überwinden und an Bildungskursen teilzunehmen; oft wurden sie dabei von den Müttern unterstützt, während die Väter mit dem Argument dagegen waren, dies würde nur die Faulheit fördern”. Die Katecheten waren in der Regel auch die “natürlichen Führer” in allen Fragen der Comunidad, zumal sie von der Comunidad selbst beauftragt waren, auf Kurse geschickt wurden usw.
Der schnelle Erfolg der Evangelisierung darf nicht darüber hinweg täuschen, daß es selbst auf dem Land noch erheblichen Widerstand gegen die “neue Religion” gab, nicht nur seitens massiv vorhandener Sekten (deren Mitgliederzahl sich aber bald drastisch verringerte), sondern auch seitens traditioneller Heiler und alter “Quasipriester”, die Totengesänge vorsangen und denen oft noch magische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Auch die Ehefrau von Don Neptalí stand dem neuen Engagement ihres Mannes lange Zeit völlig verständnislos gegenüber, sie hatte auch Angst, daß ihn die Autoritäten töten würden. Daß auch die städtische, alteingesessene Bevölkerung nicht nur in Cajamarca, sondern auch von Bambamarca, gegen den Bischof eingestellt war, war verständlich. Zu sehr hatten sie sich daran gewöhnt, daß die Religion Herrschaft und Unterdrückung rechtfertigt. Sie konnten in den Neuerungen nur eine Bedrohung sehen. Daß ein Campesino nun gar taufen durfte, stand ihrem bisherigen Welt- und Gottesbild, ihrer Kultur und Erziehung so diametral entgegen, daß einige von ihnen sogar mit konkreten Aggressionen reagierten und es immer wieder zu Auseinandersetzungen kam. Natürlich standen Polizei, Verwaltung und Justiz auf der Seite der Mächtigen. Bischof Dammert wurde von Bambamarca über Cajamarca bis nach Lima als “Kommunist” denunziert Es war Bischof Dammert immer ein großes Anliegen, die Kluft zwischen Stadt und Land zu überbrücken.
In der Verbreitung der “Guten Nachricht” spielte die Bibel bzw. die Tatsache, daß die Campesinos die Bibel selbst lesen konnten, eine entscheidende Rolle. Eigentlich eine banale Erkenntnis. Doch in Bambamarca (und natürlich nicht nur dort) war diese Erkenntnis revolutionär, sie hat das Leben der Menschen verändert. Zwei Aspekte spielten in der Pastoralarbeit eine entscheidende Rolle: der Enthusiasmus der ersten “Missionare” und die Solidarität Bischof Dammerts (Impuls “von außen”) einerseits und andererseits die schon vorhandene religiöse Sehnsucht, der Hunger nach dem Wort Gottes seitens der Campesinos. Es galt “nur” Zugang zu diesen Menschen zu finden und ihre Bedürfnisse kennenzulernen (Impuls “von innen”). Voraussetzung für diesen Zugang zu den Menschen war, daß sowohl Bischof wie auch Priester und Laienmitarbeiter bereit waren, das Leben mit den Menschen zu teilen - eine praktizierte und nicht nur ritualisierte Kommunion.
Daß das Kennenlernen der Botschaft Jesu, die vielen Kurse auf dem Land, zu vielen Veränderungen auch im Kleinen, im Alltag führten, zeigte sich auch darin, daß man immer häufiger beobachten konnte, daß die Frau auf dem Maultier saß und der Mann nebenher lief. Wenn vorher beide zusammen z. B. auf den Markt gingen, war es die Regel, daß der Mann ritt und im Abstand von fünf Metern die Frau, vollbepackt mit Lasten, hinterher lief. Ebenso konnte man beobachten, daß der Mann bisher oft in seiner beidseitigen Schultertasche in der einen Tasche z. B. Brot, Salz usw. hatte, in der anderen Tasche aber seine Coca, selbst wenn er die Kurse besuchte. Nun aber hatte er statt der Coca die Bibel in der Tasche.
Bereits 1963 konnten mit der Hilfe Adveniats 1.000 Bibeln angeschafft werden, die nach und nach an die Kursteilnehmer “verkauft” wurden. Ebenfalls von Adveniat finanziert wurden batteriebetriebene Diaprojektoren und allerlei didaktisches Material. Diese Diaprojektoren und die eigene Erarbeitung entsprechender Diaserien war übrigens der Grundstein für die spätere Medienstelle der Diözese, die von Alois Eichenlaub aufgebaut und zum Vorbild in ganz Peru wurde. Neben den schon genannten Faktoren, die eine schnelle Verbreitung des Evangeliums mit ihren umwälzenden Folgen begünstigte, ist noch die Fähigkeit der Campesinos zu nennen, auf spielerische Art und Weise sich das Evangelium anzueignen. Bischof Dammert: “Die schöpferische Phantasie, um biblische Szenen im Gewand der Andensituation darzustellen und sie in ihrer eigenen sprachlichen Form auszudrücken, ist eine hervorragende Qualität der Zone. Ebenfalls erwähnenswert ist die große Fähigkeit, religiöse Lieder zu schaffen. Dies alles ist das Ergebnis des Kontaktes mit der Bibel, der den Campesinos in sehr vielen Bibelstellen die Beschreibung ihrer eigenen Wirklichkeit aufzeigte. Dies hat eine religiöse Lebendigkeit erweckt, wie sie von den kalten Lehrtexten des christlichen Katechismus her nicht möglich war”. Don Neptalí berichtet, daß die Kurse auch deswegen so attraktiv und erfolgreich waren, weil sich alle aktiv einbringen konnten (in der “Dinamica” – einer Form von Rollenspiel) und weil auch viel gesungen, getanzt und gespielt wurde.
Auch die Priester und sonstige “Hauptamtliche” haben die Kurse als eine große Bereicherung ihres Glaubens, ihres Engagements und ihrer Spiritualität erfahren. Sie entdeckten, daß sie vom Glauben des Volkes sehr viel lernen konnten. Im ständigen Austausch und Dialog mit diesen Menschen entdeckten sie die Bibel neu bzw. sie lasen sie mit anderen Augen. Dies führte auch zu einer Relativierung bisher festgefügter Grundsätze, Anschauungen und Gewohnheiten. Nicht alle Priester und “Hauptamtliche” waren dieser Herausforderung gewachsen.
5. Kooperative, Campesino-Zeitung, “Rondas”: Drei Projekte mit hohem Einsatz.
Bischof Dammert: “Die verantwortlichen Campesino – Katecheten wurden dann immer mehr akzeptiert, zuerst in den weiter entfernt gelegenen Comunidades. Eines der Ergebnisse dieser neuen Katechese war ein Erwachen im Bezug auf ein religiöses und soziales Bewußtsein des Campesinos, was dann natürlich zur Folge hatte, daß er den früheren Zustand der Unterdrückung ablehnte. In dem Maße wie der Campesino seine Gotteskindschaft und die Brüderlichkeit mit den anderen entdeckte, kommen ihm dann Fragen bezüglich der bestehenden Ungleichheiten zwischen Klassen und Rassen, die sicher von Gott nicht gewollt sind. Er spürt, daß er eine Person mit gleicher Würde wie andere Personen ist, eine Tatsache, die es ihm ermöglichte, sich gegen die früheren Haltungen der Verachtung und der Ausbeutung zu stellen”.
Zwischen dem, was Gott will und dem Streben der Menschen nach immer mehr Macht und Besitz (und den daraus resultierenden wirtschaftlichen und politischen Strukturen), besteht ein nicht vereinbarer Gegensatz. Die Entscheidung, sich in den Dienst der “Sache Gottes” zu stellen, führt zum Konflikt mit den “Fürsten dieser Welt”. Trotz aller Aufbrüche blieb ja der bisherige politisch - wirtschaftliche Rahmen (vorerst) bestehen. Auf der Hazienda Chala mußten Tagelöhner für die “Pacht” eines winzigen Stückchens Land als Gegenleistung 19 Tage im Monat kostenlos das Land der Hazienda bearbeiten, 12-16 Stunden am Tag. Kinder ab acht Jahren mußten ebenso mitarbeiten (Ställe ausmisten, Korn auslesen, Wasser tragen usw.), ebenso die Frauen. Mangelnder Arbeitseifer wurde mit brutaler Gewalt bestraft. Selbst “freie” Campesinos mußten z. B. als “Pächter” 100 Tage im Jahr kostenlos für die Hazienda arbeiten, einen Teil der Ernte abliefern und der Luxus, ein Ochsengespann zum Pflügen auszuleihen, kostete noch einmal extra zehn Tage Arbeit auf der Hazienda.
Doch wie kann man den Menschen von einem liebevollen Vater erzählen, wenn gleichzeitig seine Kinder mißbraucht werden? Wie von einem Gott der Liebe reden, von Brüderlichkeit, Gemeinschaft und Erlösung - ohne gleichzeitig alle Verhältnisse anzuprangern, die den Menschen daran hindern, in Würde als Kind Gottes zu leben? Ist nicht Jesus gekommen, damit die Menschen das Leben in all seiner Fülle erfahren? Gerade darin erfuhren die Campesinos das Befreiende der Botschaft Jesu, daß es eben nicht der Wille Gottes ist, daß ihre Kinder nichts zu essen haben, damit andere im Überfluß leben können. Concepción, einer der von Bischof Dammert ernannten Gemeindeleiter, drückt das so aus: “Es reicht nicht aus zu sagen: im Namen des Vaters...., das wäre reine Rhetorik. Wichtig ist vielmehr, den Glauben mit Taten und Werken zu verkünden, indem man z. B. mitarbeitet, einen Wasserkanal für die Comunidad zu bauen, damit es sauberes Wasser für alle gibt”.
Im folgenden sollen in aller Kürze die drei “Werke” der Campesinos vorgestellt werden, die sie selbst als die wichtigsten ansehen und die (naturgemäß!) den meisten Konfliktstoff in sich tragen. Bei allen Treffen und gemeinsamen Arbeiten war es für die Campesinos selbstverständlich, daß z.B. die Versammlung der Kooperative mit einem Gebet und Gesang eröffnet wurde und auch ein Bibellektüre mit Auslegung gehörte immer dazu. Sie wußten, daß sie nur deswegen zusammengefunden haben, weil sie die gleiche Botschaft vernommen haben und daß ohne die Gegenwart Jesu und den Beistand des Hl. Geistes all ihr Mühen nicht von Erfolg gekrönt wäre.
Die Kooperative: Bereits 1964 entstand die erste Kooperative der Campesinos mit dem Namen “El Salvador”. Don Neptalí war der erste Präsident, später wurde diese Kooperative auf die ganze Pfarrei ausgedehnt und ausschließlich von Campesinos verwaltet und geleitet. Der Hauptzweck der Kooperative bestand darin, im Einkauf und Verkauf den Zwischenhandel in Bambamarca zu umgehen. Als die Kooperative von “Brot für die Welt” auch noch einen LKW bekam, war der Erfolg sofort sichtbar. Als sie nun ihre eigenen Produkte mit dem Lkw an die Küste auf den Markt bringen konnten, erzielten sie dort einen 10 bis 20 mal höheren Preis als vorher in Bambamarca. Gleichzeitig kauften sie dort entsprechend billiger die Produkte ein, die sie für den Alltag benötigten (Öl, Salz, Zucker, Düngemittel und Pflanzenschutz, Geräte und Werkzeuge). Es läßt sich leicht ausrechnen, wie groß vorher die Ausbeutung war und was diese Kooperative sowohl für die Campesinos als auch für die Leute in der Stadt Bambamarca bedeutete. Innerhalb eines weiteren Jahres gab es bereits 40 “Tambos comunales” auf dem Land als “Umschlagplatz”, Sammel- und Verkaufsstelle der zu handelnden Produkte. Jede Campesinofamilie konnte Mitglied werden. Als Beitrag wurde verlangt, daß sich jeder zu freiwilliger Mitarbeit verpflichtet. Die Tambos wurden auch oft zu allgemeinen Zentren der jeweiligen Comunidad.
Viermal wurde ein Anschlag auf den LKW verübt. Mitglieder der Genossenschaft wurden öfter verhaftet, die Kooperative erst in den 80-er Jahren gesetzlich anerkannt.
“Despertar” (Erwachen): 1972 traf sich eine Gruppe junger Campesinos, alle waren Katecheten, um zu überlegen, wie man die Kommunikation unter den Campesinogemeinschaften noch effektiver gestalten konnte. Man einigte sich auf eine Campesino-Zeitung, die zuerst alle zwei Wochen erscheinen sollte, ohne Gewinnstreben, ohne kommerzielle Anzeigen, politisch neutral, aber eindeutig in ihrer Option. Sie gaben sich selbst zehn Gebote, darunter folgende: “Despertar versteht sich als die Stimme für die, die keine Stimme haben. Wir möchten feststellen, daß wir eine Linie verfolgen, die christlich, revolutionär, menschlich ist und für die Befreiung eintritt. Despertar erklärt seine kompromißlose Opposition gegen jede Ausbeutung des Menschen durch Menschen. Wir halten uns an die Weisungen der peruanischen Bischofssynode und verpflichten uns, auf der Suche nach einer gerechteren Gesellschaft mitzuwirken”. Bald gab es ein dichtes Netz von Korrespondenten, die über Mißstände berichteten, Hinweise auf Veranstaltungen und Versammlungen, Informationen über Gesetze und politisch-wirtschaftliche Entwicklungen, praktische Hinweise über Landwirtschaft, Ernährung u.v.m. In jeder Ausgabe war eine der acht Seiten im DIN A 5 - Format der biblischen Reflexion gewidmet, immer mit einer Bibelstelle, die dann sehr konkret auf eine alltägliche und allen verständliche Situation hin ausgelegt wurde. Einer der Leiter von Despertar: “Wir machen den Despertar, weil die armen Leute (das sind wir selbst auch) so einen Weg haben, um die Mißstände und die Ungerechtigkeit der Mächtigen anzuklagen und andererseits die Frohe Botschaft für die Armen zu verkünden: ihnen zu sagen, daß, wenn wir dem Weg Christi folgen, Mißbrauch und Ungerechtigkeit ein Ende nehmen werden; daß es möglich ist, daß wir selbst die Mißstände beseitigen, wenn wir zusammenhalten. Wir arbeiten nach dem Kriterium: Anklagen und Verkünden”. Despertar wurde in der Tat zu einer sehr wichtigen Diskussions- und Informationsplattform für alle Comunidades, das dann immer wöchentlich erschien und zu einem symbolischen Preis verkauft wurde.
Die Reaktion der Mächtigen war mindestens genauso heftig wie auf die Kooperative. Immer wieder wurde die “Druckerei” beschlagnahmt, mehrere Mitglieder der Redaktion waren öfter, einmal bis zu sechs Monate, im Gefängnis.
Die Rondas: Ende der 70-er Jahre entstanden in Bambamarca und im benachbarten Chota die Rondas, unzulänglich mit Bauernwehren übersetzt. Auslöser waren die zunehmenden Viehdiebstähle, zudem meist verbunden mit Zerstörung der Hütten und Vergewaltigung der Frauen. Wird einer Campesinofamilie die einzige Kuh gestohlen, bedeutet dies oft der Verlust des einzigen Besitzes, bedeutet noch mehr Elend und Hunger. Nachdem es den Campesinos gelang, einige Viehdiebe zu stellen, übergaben sie diese der Polizei. Bald aber merkten sie, daß die Polizei selbst mit den Dieben gemeinsame Sache machte. Es handelte sich um weitverzweigte Diebesbanden mit Verbindungen zu Großabnehmern an der Küste. So beschlossen die Campesinos, Nachtstreifen aufzustellen. Bald gab es in nahezu allen Comunidades die Rondas. Gefaßte Diebe wurden bestraft und danach freigelassen. Die Diebstähle gingen schlagartig zurück. Über die ursprüngliche Absicht hinaus, sich vor Diebesbanden zu schützen, etablierten sich die Rondas als demokratisches Forum, das alle internen Angelegenheiten der Comunidad regelte, Streitigkeiten schlichtete, Schwache beschützte und Recht sprach. Auch bei den Rondas waren Katecheten die Impulsgeber. Don Neptalí auf die Frage, warum er bei den Rondas mitmachte: “Gott hat mir die Ohren lang gezogen und hat mir gesagt: Hör mal, warum sitzt du hier untätig herum und hörst nicht diese arme Frau, wie sie schreit, weil man ihre einzige Kuh, ihr einziges Schaf wegnimmt! Also machte ich mich auf und organisierte mit anderen die Ronda, um die Armen und Schwächsten zu verteidigen. Die Ronda ist ein Geschenk Gottes”.
Diese Rondas von Bambamarca sind übrigens nicht zu verwechseln mit den Rondas in anderen Teilen Perus, die später von der Regierung aufgestellt und mit Waffen ausgerüstet wurden, um sich so gegen die Terroristen des “Leuchtenden Pfades” zu schützen. Im Gegenteil: die Bauernwehren Bambamarcas wurden von den staatlichen Stellen bekämpft und selbst des Terrorismus angeklagt. Dem Schutz Bischof Dammerts war es zu verdanken, daß viele Ronderos bald wieder aus den Gefängnissen kamen.
Neben diesen drei Einrichtungen - Kooperative, Despertar, Rondas - wäre noch von vielen anderen Aktivitäten zu berichten. Festzuhalten bleibt, daß es Bischof Dammert war, der mit seinen Visionen und seinem Vertrauen in das “einfache” Volk, Kräfte freisetzte, die vorher niemand vermutet hätte und zeigte, daß Glaube tatsächlich Berge versetzen kann. Don Candelario, der als erster 1969 die Erlaubnis zum Taufen erhielt, faßt seine Erfahrungenstellvertretend für alle so zusammen: ”Die Kirche hat mich in der Person Bischof Dammerts gelehrt, daß wir Personen sind, Kinder Gottes, Peruaner und daß wir alle unsere Rechte haben als Kinder Gottes”.
Der Pfarrei und vor allem Bischof Dammert wurde immer wieder der Vorwurf gemacht, Unfrieden zu stiften oder gar zur Gewalt aufzurufen – von denjenigen, die von den bestehenden Verhältnissen profitierten und nun befürchteten, etwas von ihren Privilegien abgeben zu müssen; sind oft die gleichen, die die Religion auf die Sakristei beschränken möchten. In Wirklichkeit wurde durch die Evangelisierung in Bambamarca die bestehende Gewalt erheblich vermindert. Gewalt wird überwunden, wenn Kinder nicht mehr durch verschmutztes Wasser tödlich erkranken, wenn sie bessere Ernährung und eine Chance auf Ausbildung haben und sie mit ihren Eltern zusammen nun sicherer leben, weniger Übergriffe befürchten müssen und sich selbst organisieren können. Unzählige Menschen hatten zum ersten Mal eine konkrete Hoffnung für sich und ihre Kinder. Ganz zu schweigen von dem nicht meßbaren Bewußtsein, endlich als Mensch respektiert zu werden. Dies alles den Kindern Gottes und der Erde vorzuenthalten, ist die am weitesten verbreitete und tödlichste Form der Gewalt.
In den Zeiten des bewaffneten Terrors in Peru (vor allem “Sendero Luminoso” – der Leuchtende Pfad, von 1980 bis zum Höhepunkt 1992) hatten die Terrorbewegungen in Bambamarca und fast allen Teilen der Diözese Cajamarca keine Chance, Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen. Den politischen Terror gab es vor allem dort, wo nicht organisierte und in Abhängigkeit gehaltene Campesinos mit dumpfen Parolen leicht zum Spielball beider Seiten, der Terroristen und der Militärs, werden konnten und schließlich zwischen den Fronten zerrieben wurden.
Die Entstehung der “Campesinokirche” in Bambamarca bedeutete für die Menschen, daß sie auch zum ersten Mal erfuhren, was echte Demokratie bedeutet und wie sie funktionieren könnte. Bischof Dammert war immer überzeugt, daß die Demokratie nur eine Chance hat, wenn sie “von unten” wachsen kann, wenn sie von den Bedürftigsten ausgeht und wenn diese selbst die Chance haben, nicht nur gehört zu werden, sondern auch ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Dies gilt auch für die Kirche, für das Volk Gottes, in das hinein Christus geboren wurde und das ihm deswegen am nächsten steht. Im 19. März 1997 allerdings wurden zwei junge Priester als Pfarrer nach Bambamarca geschickt, die im Opus-Dei-nahen Priesterseminar von Chiclayo ausgebildet wurden....
IV. Medellín - Kirchenpolitische Aspekte
Für Medellín von Bedeutung war die enge Zusammenarbeit mit der Diözese Riobamba. Die Bischöfe Dammert und Proaño aus Riobamba hatten bereits während des Vat.II ein sehr enges Verhältnis und über die Konferenzen des CELAM und die freundschaftlichen Kontakte hinaus kam es zu einem regen Austausch von praktischen pastoralen Erfahrungen. Bischof Proaño schließlich lud Dammert ein, in der Pastoralabteilung von CELAM mitzuarbeiten. In der Folge oblag es beiden Bischöfen, die vorbereitenden Versammlungen zur zweiten Bischofsversammlung von Medellín zu koordinieren und auch inhaltlich zu gestalten. Die im engsten Kontakt mit den Campesinos gemachten pastoralen Erfahrungen fanden so unmittelbaren Eingang in die Dokumente von Medellín. Bischof Proaño blieb bis zu seinem Tod ein enger Freund und Weggefährte Dammerts.
Die Dokumente von Medellín spielten natürlich auch in Bambamarca eine große Rolle. Für die bisherigen Katecheten war es eine Bestätigung und für die neuen Katecheten eine wichtige Grundlage für die Ausbildung. Concepción, 1968 in einer Jugendgruppe aktiv, sagt 1997: “Ich bewahre heute noch das Dokument von Medellín auf, es ist schon zerfleddert vom häufigen Gebrauch. Ich erinnere mich, daß wir damals begeistert waren, es kennenzulernen. Zuerst lernte ich es auf einem zweiwöchigen Diözesankurs in Cajamarca kennen. In Medellín hat sich die Mehrzahl der Bischöfe für eine Option für die Armen ausgesprochen. Das sind Worte, die sich uns einprägten. Aber heute scheint es, daß man nichts mehr davon wissen will, bestenfalls: man muß den Armen helfen - so wie auch die Regierung sagt, daß sie etwas gegen die Armut tue. Medellín bestätigte, daß die Campesinos nicht nur erkennen sollten, daß sie Teil der Kirche seien, sondern daß sie Kirche sind. Kirche ist nicht nur die Hierarchie, die Kirche sind wir alle. Niemals gab es das vorher, daß ein Campesino die Sakramente spenden konnte, dies konnten nur geweihte Leute”. Nach Dammert scheint das Rad sich wieder zurückzudrehen. Concepción, ebenso wie Barbarita, Don Neptalí und den anderen Taufbeauftragten wurde inzwischen (u.a.) die Tauferlaubnis entzogen. Nur Priester dürfen taufen – Medellín ist wohl Vergangenheit.
Ebenfalls freundschaftlich verbunden war Bischof Dammert mit Papst Paul VI.. Im Jahre 1969 hat Paul VI.dem Bischof von Cajamarca persönlich die Vollmacht verliehen, die Katecheten zu bevollmächtigen (sie wurden dafür speziell vom Bischof in Übereinstimmung mit der Comunidad ausgesucht), das Sakrament der Taufe zu spenden. Zuvor sollten sie die Eltern und die Paten richtig auf die Taufe vorbereiten. Diese Genehmigung wurde dann erneuert und schließlich auf ganz Peru in einem Reskript der Sakramentenkongregation ausgeweitet. Schließlich wurde die Katecheten auch beauftragt, in geeigneter Form die Spendung des Ehesakramentes kirchlich zu bezeugen. Ebenfalls bereiteten sie auf die Firmung vor.
Ein besonderes Anliegen war Bischof Dammert der Priesternachwuchs. Wenn er auch den Laien eine große Bedeutung zuwies, so war es doch selbstverständlich, daß er sich viele Priester wünschte, die zusammen mit dem Volk Gottes den Weg aus der Gefangenschaft in das Gelobte Land mitgehen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, brauchte er auch Priester, die selbst auf dem Land aufgewachsen sind, die Bedürfnisse ihrer Leute kennen, die mit ihnen leben, weinen und feiern. Entsprechend sollte auch die Ausbildung sein. Wenn auch jetzt noch die Assistenz ausländischer Priester notwendig war, so war das Ziel doch stets, eine eigenständige Kirche aufzubauen – ohne die Ausländer allerdings auszuschließen, zumal es in einer katholischen Kirche eigentlich keine Ausländer gibt.
1976 wurde in einem Anbau des Bischofshauses das diözesane Priesterseminar eröffnet. Nach strengen Kriterien ausgewählt, wurden die Kandidaten erst zwei Jahre lang auf das Theologiestudium vorbereitet, um dann in das Priesterseminar aufgenommen zu werden. Der Bischof selbst war oberster Lehrer. Großer Wert wurde darauf gelegt, daß die Priesteramtskandidaten neben den üblichen theologischen Inhalten auch die Realität und ihre Herkunft nicht vergessen. Häufiger Aufenthalt (Praktikum) auf dem Land oder sonstigen sozialen Brennpunkten war Pflicht. Einmal kam es zum Konflikt mit dem Nuntius und der Kurie. Anlaß waren die Dozenten des Priesterseminars: unter ihnen war auch ein laisierter Priester, vom Bischof selbst kirchlich verheiratet, und nicht alle hatten die nötigen akademischen Titel vorzuweisen. Immerhin: 1981 konnte der erste in Cajamarca ausgebildete Priester geweiht werden, der Sohn eines Campesinos. - Allerdings wurde einige Zeit nach Dammert das Priesterseminar wieder geschlossen.
Nicht wegen seiner deutschen Vorfahren, sondern seit seinen ersten Jahren als Bischof in Cajamarca spielten seine nur zufällig entstandenen Kontakte zur deutschen Kirche eine große Rolle. Über Padre Bartolini bekam er zuerst Kontakt zur Gemeinde St. Martin in Dortmund. Viele Deutsche Fachkräfte halfen ihm vom ersten bis zum letzten Jahr bei seiner Arbeit.
1975 kam er auf zwei Krücken nach Deutschland. Er hatte sich im Bischofshaus bei einem Sturz das Kniegelenk gebrochen und bei einer Untersuchung in Castrop Rauxel stellte sich heraus, daß eine sofortige Operation notwendig war, um sein Bein zu retten. So blieb er über drei Monate in Deutschland, 1977 mußte er noch einmal zu einer Nachoperation kommen. Seither war seine Beziehung zu Deutschland eine andere. Er lernte deutsch und er gewann viele Freunde.
Durch eine Übersetzung wurde 1983 auch in Deutschland “Vamos Caminando” breiter bekannt, ein Glaubensbuch aus den Anden (erstmals gedruckt 1977, seither viele Auflagen in Peru). Es ist in steter Rückkopplung des Redaktorenteams (Rudi Eichenlaub, Miguel Garnett, Manolo Sevillano) mit den Campesinos in Bambamarca erarbeitet worden. Es ist so ein authentisches Glaubenszeugnis und ein befreiungstheologischer Primärtext entstanden. Ganz konkret dient “Vamos Caminando” bei Versammlungen der Campesinos, bei Bibelgesprächen etc. mit seiner einfachen, aber praktisch hilfreichen didaktischen Grundstruktur: eine Alltagsbegebenheit, eine biblische Parallele, ein Bild, ein Lied – gerade gut und rund für ein Treffen. Und es übersetzt so seine theologischen Perspektiven in das Geschehen der jeweiligen Gruppe: Biblische Geschichte(n) verknüpft mit dem eigenen Leben...In diesen Texten von “Vamos Caminando” wird deutlich, wie sehr sich die Campesinos den einst fremden Glauben zu eigen gemacht und erkannt haben, daß es hier um ihre (Heils-) Geschichte geht..... Befreiungstheologie konkret.
Deswegen kam es 1979 aus einem Mißverständnis zu einem Konflikt zwischen dem damaligen Erzbischof von München, Kardinal Ratzinger und Bischof Dammert. Ratzinger hat in seiner Osterpredigt davon gesprochen, daß die Theologie der Befreiung zu Haß und Klassenkampf aufrufe. Als Beweis zitierte er die in “Vamos Caminando” geschilderte Szene in der Osternacht (in Bambamarca theologisch wohl korrekter die Nacht von Freitag auf Samstag), in der nach stundenlangem Wehklagen die Trauer in eine unbändige Freude umschlägt und als Zeichen dafür nun das schwarze, verhüllende Tuch vom Kreuze genommen und statt dessen ein rotes Tuch als Zeichen des neuen Lebens dem nun auferstandenen Christus umgelegt wird (siehe auch die erste Osterfeier in Chala).
In Bambamarca war nie von dem Begriff “Theologie der Befreiung” die Rede, erst recht nicht vom Streit darum. “Für unser lateinamerikanisches Volk sind dies akademische Diskussionen, Dinge für Intellektuelle und Kleriker. Sie, die Menschen aber leben die Theologie der Befreiung”. Dammert selbst versteht sich auch nicht explizit als Theologe der Befreiung. Die Streitigkeiten und Mißdeutungen der Theologie der Befreiung sind für ihn neben akademischen Sandkastenspielen oft auch bewußte und von handfesten Interesse geleitete Ränkespiele. Meist beruhen sie aber aus schlichter Unkenntnis und dem Unvermögen, sich wirklich in die Situation der im Elend gehaltenen Menschen hineinzuversetzen. Er setzt sich aber vehement für die Theologie der Befreiung ein, schon allein deswegen, weil sie zusammen mit den Beschlüssen von Medellín die erste explizite Formulierung authentischen Christentums in Lateinamerika ist. Doch auch dafür kam der Anstoß direkt aus der Bibel: für ihn war die fruchtbarste Erneuerung des II. Vatikanischen Konzils, daß man dem Volk endlich die Bibel in die Hand gegeben hatte. “Und an dem Tag, an dem die Campesinos erkennen , daß sie Kinder Gottes sind - und alle Menschen Brüder und Schwestern – ändert dies ihr Bewußtsein”. Bischof Dammert war es, der zusammen mit Kardinal Landázuri, Lima, den “Vater” der Theologie der Befreiung, Gustavo Gutiérrez, bei Vorwürfen aus Rom gegen dessen Theologie beistand. Er ist bis heute ein Freund von Gustavo Gutiérrez.
Nach 1978 schwand der Einfluß Dammerts beim Papst und auch im CELAM war er immer weniger anzutreffen. Um so mehr wurde er in Peru gebraucht. In den schlimmsten Zeiten des politischen Terrors war er es, der als Präsident der Bischofskonferenz jedweden Terror, auch den staatlichen, verurteilte und zur Überwindung der Gewalt aufrief, die ihre Wurzeln in der sozialen Ungerechtigkeit hat.
Am 10. Dezember 1992 verabschiedete sich Bischof Dammert von seiner Diözese. Tausende Campesinos, Delegationen aus allen Teilen der Diözese, seine Mitarbeiter und auch einige Städter versammelten sich vor der Kathedrale. Durch ihre Anwesenheit und auf Hunderten von Spruchbändern sagten ihm die Campesinos Dank für 30 Jahre unermüdlichem Einsatz für eine Kirche der Armen. Auf einigen Spruchbändern war zu lesen: “Freund Pepe, was du gesät hast, wirst du ernten”. “Auch wenn man dich in der Stadt verachtete, so war dein Haus doch immer auch unser Haus”. “Für deine Liebe zu den Armen hast du Unverständnis geerntet. Wir aber lieben dich”. “Danke, Monseñor, für Ihren Einsatz um Gerechtigkeit für die Armen”. Während der Hl. Messe in der Kathedrale wurden ihm auf den Altar sein Poncho und Sombrero als Opfergaben gelegt: “Der Hut, der ihn vor Sonne und Regen schützte, wenn er auf dem Pfade des Volkes wanderte; der Poncho, der ihn vor der Kälte schützte, wenn er zu den Kranken, Angsterfüllten und Verlassenen ging, ebenso wie zu den Comunidades in den Bergen”.
Don Neptalí berichtete an gleicher Stelle von seiner Erfahrung, wie er zu Gott fand und für sein Reich zu arbeiten begann, kurz nachdem Don Pepe angekommen war. Er schloß mit den Worten: “Bischof Dammert hat 30 Jahre lang die Gute Nachricht ausgesät. Seither ist ein Strauch daraus gewachsen, dessen Äste reiche Früchte tragen. Diese Pflanze werden wir liebevoll hegen und pflegen – ob in guter oder schlechter Erde”. Stellvertretend für die ganze Gemeinde, das Volk Gottes, umarmte Don Neptalí seinen Hirten und Freund.
Stellvertretend für alle MitarbeiterInnen Bischof Dammerts soll zum Schluß Alfonso Castañeda zu Wort kommen, einer seiner Mitarbeiter aus den Anfangsjahren: “Er war der Hirte und Prophet, der die Zeichen der Zeit zu deuten verstand und für die Ortskirche Cajamarca einen Weg der Befreiung, der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität ebnete. Ich habe viel von seiner Erfahrung gelernt und, vor allem, von seiner Art zu sein und zu leben. Ich teile mit ihm sein Leiden, seinen Glauben und seine Hoffnung. Ich bin sicher, daß seine pastorale und menschliche Arbeit für lange Zeit seine Spuren hinterlassen wird, besonders bei den Campesinos und seinen engsten Mitarbeitern - so wie ein Saatkorn, das nur auf den Regen und die Sonne wartet, um wieder neu Gestalt anzunehmen um dann die Früchte zu bringen, die der Sämann so sehr erhofft”.
Willi Knecht, 1999
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- unter Verwendung noch nicht veröffentlichter Befragungen, die das Instituto “Bartolomé de Las Casas” im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie 1997 in Cajamarca durchführte. Arbeitstitel der Studie: a) Die Pastoralarbeit Bischof Dammerts (1962 - 1992) und b) Die Auswirkungen dieser Arbeit auf die deutsche Kirche (und umgekehrt) unter besonderer Berücksichtigung entstandener Gemeindepartnerschaften.
Die Studie wird in Zusammenarbeit des Instituto Bartolomé in Lima und den Professoren Klinger (Fundamentaltheologie, Würzburg) und Fuchs (Pastoraltheologie, Bamberg/Tübingen) durchgeführt; wissenschaftlicher Mitarbeiter: Willi Knecht, als Laientheologe von 1976 –1980 in Bambamarca.