Religion und Entwicklung - Thema der Jahreskonferenz 2017
Mit Blick auf das weltkirchliche Engagement von Hilfswerken, Orden etc. besteht zwischen Religion und Entwicklung eine enge Verbindung. Gibt es auch Bereiche, wo Religion und Entwicklung sich ausschließen bzw. ein Widerspruch sind? Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von Misereor: „Die religiöse Verankerung spielt eine zentrale Rolle für das Engagement der Werke der Entwicklungszusammenarbeit, diözesanen Partnerschaften, Hilfswerke, Orden, Eine-Welt-Kreise in den Pfarreien – so auch für Misereor. Auch andere Kirchen und Religionsgemeinschaften werden von ihren Glaubensgrundlagen her zum Einsatz für Entwicklung motiviert.“ Kann aber Religion nicht einer Entwicklung auch - mitunter sogar fundamental - im Wege stehen?
Die deutsche Entwicklungspolitik will nun enger mit Religionsgemeinschaften kooperieren. Auch das Auswärtige Amt hat mit seiner Konferenz „Friedensverantwortung der Religionen“ vor kurzem gezeigt: Religion gerät zunehmend ins Blickfeld der internationalen Politik. Erzbischof Schick sprach gar von einer Kehrtwende, bei der Religionen nicht mehr als Ursachen von Gewalt und Konflikten denn vielmehr als Friedensbotschafter gelten.
Zuerst ein Hinweis auf die Unterscheidung zwischen staatlicher und kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit (EZ): Nur 15% aller EZ-Mittel sind staatlich; 85% sind privat, von engagierten Gruppen, Initiativen, Kirchen, Weltläden etc. Schon im Ansatz besteht ein großer Unterschied zwischen staatlicher und vor allem kirchlicher EZ, oft stehen sich diese sogar diametral gegenüber. Staatliche EZ hat als Partner Regierungen bzw. staatliche Einrichtungen, kirchliche EZ dagegen hat als Partner oft Basisgruppen, die sich gegen diese Politik „von außen und oben“ wehren (müssen).
1. Die Weltsicht andiner Völker (siehe „Cosmovisión andina und Buen vivir“)
„Buen Vivir“ wird zunehmend als mögliche Alternative für das von Europa ausgehende Wirtschaftsmodell diskutiert. Leider werden in der aktuellen Diskussion um „buen vivir“ die tieferen Zusammenhänge (kulturell, phil.- theol.) kaum verstanden oder willkürlich benutzt. Doch die spirituellen Grundlagen der andinen Weltsicht (wie auch anderer Jahrtausende alter Kulturen) können Auswege aus der Sackgasse aufzeigen, in die uns die "Kosmovision"(Philosophie, Theologie, Wirtschaft) des christlichen Abendlands weltweit geführt hat. Auf der 3. Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla, 1979, wird Kultur folgendermaßen definiert: „Mit Kultur wird die Art und Weise bezeichnet, wie die Menschen eines Volkes ihre Beziehung untereinander, mit der Natur und mit Gott pflegen, um ein wahrhaft menschenwürdiges Leben führen zu können“.
Die andine Kultur, einige Schlüsselsätze: Die herausragende Aufgabe für jeden Menschen ist es, seinen je eigenen Platz im Rahmen einer größeren Ordnung und einer größeren Gemeinschaft zu finden und zu erkennen. Je mehr ihm das gelingt, umso weiser ist er. Weisheit und Wissen bedeutet nicht, durch intellektuelle Bemühungen sich abstraktes Wissen anzueignen, sondern im Strom der über Jahrhunderte angesammelten kollektiven Weisheit und Erfahrungen wie ein Fisch im Wasser zu schwimmen. Vielleicht der wichtigste Aspekt in der andinen Kosmovision ist die Erfahrung und Gewissheit, dass alles Existierende miteinander in einer Beziehung steht. Es handelt sich um das Prinzip der Relationalität. Die Beziehung ist die Basis für alles und das Gegenteil für die Beziehung ist das Nichts und nicht etwa das „Absolute“, das aus sich selbst heraus existieren könnte. Eine solche Weltsicht hat konkrete Folgen für die Auffassung von der Natur, vom Menschen und von Gott. Denn der gesamte Kosmos ist nichts anderes als Beziehung.
Im Menschen berühren und kreuzen sich verschiedene Bereiche der Wirklichkeit und er hat die Fähigkeit, mit allen Bereichen der Wirklichkeit Kontakt aufzunehmen. Jeder Mensch hat seinen ganz bestimmten Ort im kosmischen Geflecht und seine größte Aufgabe ist, diesen Ort so gut auszufüllen, dass er zu einer beständigen Brücke für andere und zu anderen wird. Gelingt ihm dies, gilt er als ein weiser Mensch und er hat Autorität. Aus dieser Verflechtung oder Beziehung zu allem Seienden ergibt sich, dass ihm das Seiende in allen seinen Erscheinungsformen nicht als etwas Fremdes gegenübertritt. Die Natur ist ihm nicht wesensfremd und er unterscheidet sich von ihr nicht wesensmäßig.
Die Natur als Ganzes ist ein lebendiger Organismus und der Mensch hat die Aufgabe, diesen Organismus nicht nur am Leben zu erhalten, sondern er ist auch für die Harmonie zwischen allen Bereichen verantwortlich. Leidet Pachamama, leidet der Mensch und leidet der Mensch oder die Beziehung der Menschen untereinander, dann leidet der ganze Kosmos. Bringt der Mensch die Harmonie durcheinander, dann können große Katastrophen die Folge sein. Was bedeutet es demnach, wenn die Natur zur Ware wird, zum Spekulationsobjekt, und man inzwischen auch das Erbgut der Mutter Erde patentieren kann und damit vollends zu deren „Eigentümer“ wird? Dies ist die logische Konsequenz einer Weltanschauung, die die Natur als ein feindliches Gegenüber versteht, das es zu besiegen und zu beherrschen gilt, analog zur Herrschaft des Menschen über die „Un-Menschen“.
Der Mensch findet seine Begründung nicht aus sich selbst heraus, sondern in der Beziehung zur Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit dem gesamten Kosmos. Ein Mensch ohne Beziehung ist tot. Wer sich aus dieser Einheit ausklingt, schadet der Gemeinschaft und setzt gar deren Überleben aufs Spiel. Es gibt keine Insolvenz. Weil jeder lebendiger Bestandteil eines kreativen Netzwerkes ist, kann auch jeder - auch die alte Witwe und das Waisenkind - etwas beitragen und einbringen. Unter einem Totalausfall (z.B. Hungerstod) würde die gesamte Gemeinschaft, ja sogar der ganze Kosmos leiden. Schon allein deswegen war es undenkbar, ein Mitglied der Gemeinschaft dem Elend oder gar Hungerstod zu überlassen.
2. Deuten der Situation im Lichte des Glaubens- Kapitalismus als Religion
Freie Fahrt den Tüchtigen, dem Kapital und den Konzernen! Wer arm ist, ist selbst schuld, denn jeder hat die gleichen Chancen! Der Markt hat immer Recht, er ist wertneutral und alternativlos Das sind die nicht hinterfragbaren Dogmen dieser Religion. Die Hohen Priester dieser global herrschenden Religion wollen ihre „Frohe Botschaft“ tief in die Hirne und Herzen der Menschen verpflanzen - und es scheint ihnen zu gelingen! Ihr Gott ist das Geld, und die Gier nach immer mehr Besitz und Macht ist das Erste Gebot. Nachdem man sich über Jahrtausende hinweg bemüht hat, diese Gier und den blanken Egoismus zu zähmen, wird nun der nackte Egoismus zum Prinzip erhoben und zum Motor jeder menschlichen Entwicklung gemacht. Die falschen Propheten des Unheils gilt es als solche zu entlarven, denn sie führen die Welt in den Abgrund. „Der Tanz um das Goldene Kalb wird zum Totentanz für Mensch und Natur“. (Aufruf des deutschen kath. Missionsrats, 2011). Papst Franziskus benutzt dafür in seinen Ansprachen oft einen zentralen biblischen Begriff, der in unseren Ortskirchen aber kaum zu hören ist: Götzendienst! Die Geschichte des christlichen Abendlandes mit seiner weltweiten Dominanz bis hin zu in die letzten Winkeln der Erde vorgedrungenen Ideals des „american way of life“ ist an seine Grenzen gestoßen und ist nicht mehr tragbar, weder für die Menschen, noch für die Erde.
In „Laudato si“ (u.a.) weist Papst Franziskus auf die Zusammenhänge und Ursachen hin und erinnert an die ganzheitliche, biblische Perspektive: Angefangen von der Ursünde wie Gott sein zu wollen, dem Tanz um das Goldene Kalb, dem Turmbau zu Babel und der Botschaft der Propheten: Die in jedem Menschen innewohnende Versuchung, mehr sein und haben zu wollen als der andere, sich selbst und seine eigenen Interessen zum obersten Maßstab zu machen und selbstgeschaffene Götter anzubeten, führt zum Bruch der Menschen untereinander, mit der Schöpfung und mit Gott. Die satanische Versuchung, wie Gott sein zu wollen, ist in der bestehenden Weltordnung nun erstmals global installiert, sie ist „Fleisch geworden“. Strukturen, die von Menschen gezielt so eingerichtet wurden, dass einige Wenige sich hemmungslos auf Kosten anderer bereichern können, werden als nicht hinterfragbares Dogma verkündet. Die Anbetung der neuen Götter und Götzen verspricht uns alle Reichtümer dieser Welt, eine unbegrenzte Macht über Menschen und eine totale Verfügbarkeit über die Güter dieser Erde – eine gefährliche, schreckliche Versuchung!
Dieser (Aber-) Glaube jedoch führt in den Abgrund. „Erkennen wir, dass dieses System die Logik des Gewinns um jeden Preis durchgesetzt hat, ohne an die soziale Ausschließung oder die Zerstörung der Natur zu denken? Wenn es so ist, sagen wir es unerschrocken: Wir wollen eine Veränderung, eine wirkliche Veränderung, eine Veränderung der Strukturen. Dieses System ist nicht mehr hinzunehmen; die Campesinos ertragen es nicht, die Arbeiter ertragen es nicht, die Gemeinschaften ertragen es nicht, die Völker ertragen es nicht … Und ebenso wenig erträgt es »unsere Schwester, Mutter Erde«, wie der heilige Franziskus sagte.“ (Papst Franziskus, Ansprache beim 2. Welttreffen der Volksbewegungen in Bolivien, 9. Juli 2015)
3. Beispiel einer asiatischen Weltsicht (hier als Anfragen formuliert
„Der Einsatz für die Belange der Natur ist ein gemeinsames Anliegen der Religionen. Aufgrund ihrer jeweiligen Traditionen, Schriften, Lehren und Moralvorstellungen haben diese je besondere Perspektiven und Motivationen“. (Aus der Ankündigung "Religions to green" in der Kath. Akademie Stuttgart-Hohenheim, mit der Stiftung Weltethos und dem Diözesanausschuss „Nachhaltige Entwicklung“.)
Der Vorsitzende des Rats der Religionen, Khushwant Singh, stellte folgende Anfragen. Davor hatte er die Grundlagen seines Glaubens, der Sikh-Religion, vorgestellt.
- Es herrscht eine maßlose Überheblichkeit der Wissenschaft, des Intellekts (z.B. Machbarkeitswahn!).
- Wieso ist die Welt so schlecht, wenn über 80% der Weltbevölkerung sich religiös nennen?
- Wieso reden wir hierzulande so oft von Menschenrechten (oft identifiziert mit „westlichen Werten“) und treten sie de facto ständig mit Füßen - und sagen auch noch, wir sind religiös?
- Wieso akzeptieren wir den Kapitalismus und berufen uns dabei gleichzeitig auf Jesus Christus, bzw. den Gott der Bibel?
- Verdrängen wir nicht auch, dass der Kapitalismus, die Religion des Mammons und der Gier nach immer mehr, aus dem Christentum heraus entstanden ist?
- Alles, was gesagt werden muss, z.B. zu „Gutes Leben“, ist schon gesagt! Wir wissen (fast) alles …
- Warum brauchen wir so viele Regeln, um religiös zu sein? Immer neue Statistiken, Bilanzen – statt über Haltungen, Grundeinstellungen und Werte uns auszutauschen?
- Es gibt in der Welt und in anderen Religionen Weisheiten, von denen der Westen nichts weiß!
Auch Lateinamerika spricht man bereits - wie Singh das andeutete - vom Ende des Zeitalters des „christlichen Abendlandes" und von dem Ende einer unipolaren Welt. Gleichzeitig befürchtet man, dass im Angesicht der bevorstehenden „Machtablösung“ und der zu Ende gehenden Ressourcen die Mächtigen dieser Erde alles unternehmen werden, um noch so viel wie möglich für sich herauszuholen…
Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben alle Völker Kriterien oder gar Standards entwickelt, welche Werte in ihrer jeweiligen Gesellschaft gefördert werden sollen. Besonders Christen sind Kriterien vorgegeben, die der Grundlage menschlichen Zusammenlebens dienen: Das Leben in Gemeinschaft und meine Rolle in dieser Gemeinschaft; Solidarität, vorrangig mit den Schwächeren; Gerechtigkeit für alle, Gleichheit aller Menschen, weil alle in gleicher Weise Kinder Gottes sind, daher auch die unantastbare und einzigartige Würde jedes Menschen; das Recht, nicht nur auf Befriedigung der materiellen Bedürfnisse, sondern auf ein „Leben in Fülle“ - schon vor dem Tod. Manche dieser Werte gibt es auch in vor- und nicht-christlichen Kulturen und Religionen, meist sogar wesentlich ausgeprägter als wir das wahrhaben. Diese Werte gilt es neu zu entdecken.
4. Die G20 – Initiative: Die neue (?) Partnerschaft der Regierungen mit privaten Investoren
Die Staatschefs der wirtschaftsstärksten Länder werden sich zum G20-Gipfel am 07.- 08. Juli 2017 in Hamburg treffen, um darüber zu beraten, wie sich die herrschende Wirtschafts- und Weltordnung widerstandsfähig machen kann, um trotz der sich verschärfenden Krisenerscheinungen weiter bestehen zu können. Im Zentrum steht dabei die Frage danach, wie wirtschaftliches Wachstum in der Welt befördert werden kann. Schon diese Fragestellung macht klar, dass alle, die sich einer solchen wirtschaftlichen Ordnung widersetzen, in der die einen auf Kosten der anderen immer mehr Kapital anhäufen, weder eingeladen noch repräsentiert sind. Umso wichtiger ist es, mit möglichst vielen die grundsätzliche Kritik an der Form dieser dem System immanenten Wachstumswahn deutlich zu machen.
In einem gemeinsamen Appell von „Brot Für die Welt“, Heinrich-Böll-Stiftung, MISEREOR und medico international an die Staats- und Regierungschefs des G20 Gipfel in Hamburg (Auszüge) heißt es:„Deutschland muss auch die Mitglieder der G20 kritisch befragen, die sich mit den G20 zur Hungerbekämpfung und Afrika-Compacts aus dem Fenster lehnen wollen, aber der Zivilgesellschaft im eigenen Land keine Chance lassen, die für nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz erforderliche Rolle zu spielen… . Immer häufiger wird die Kritik an bestehenden Machtverhältnissen als staatsgefährdend und mitunter gar als Terrorismus diffamiert. Statt die dramatisch wachsende soziale Ungleichheit, die im Hintergrund gesellschaftlicher Polarisierungen auszumachen ist, anzugehen, setzen Machthaber und Regierungen mehr und mehr auf die Einengung demokratischer Rechte und sicherheitspolitisch begründete Repressalien - nicht zuletzt von Menschenrechtsaktivisten. Alleine 2016 haben 185 Umweltaktivist*innen ihr Engagement mit dem Leben bezahlt. Laut CIVICUS steht die Zivilgesellschaft, die sich für Menschenrechte und ihre demokratischen Rechte einsetzt, in 80% der Länder unter Druck, darunter auch G20 – Länder. In nur 26 von 195 Ländern kann sie noch frei agieren. Das sind gerade einmal 3% der Weltbevölkerung.
Staatliche Entwicklungsprogramme mit Hilfe privater Investoren
In den letzten Jahren engagieren sich verstärkt Banken und Konzerne in der Entwicklungshilfe – mit Unterstützung der Politik. Bei der UN-Vollversammlung im September 2015 einigten sich die Mitglieder auf folgendes Ziel: Extreme Armut und Hunger sollen bis 2030 weltweit beseitigt werden – und das mit Hilfe der Privatwirtschaft. Die staatlichen Einrichtungen DEG, GIZ und KFW aus Deutschland unterstützen unternehmerische Initiativen in Ländern südlich der Sahara. „Wir wollen versuchen, privaten Unternehmen leichter zu ermöglichen, in der Landwirtschaft in Afrika zu investieren, um damit Geld verdienen zu können“. Und zusätzlich kann man dann auch noch den Anlegern und Shareholdern sagen, dass man etwas Gutes für die Kleinbauern in Afrika getan hat - dies sagte z.B. die Vertreterin der Deutschen Bank. Und ein Vertreter von Bayer meint, wenn Entwicklungsziele mit einem Deal verknüpft werden, werden „wir“ alle gewinnen. Kann aber wirklich dieses Modell funktionieren, oder profitieren doch nur die Konzerne und Banken davon? Seien es Kartoffelanbau in Kenia, neue Palmölplantagen in Sambia – mit aus Europa stammenden Methoden und Saatgut und Maschinen aus Europa sollen Hunger und Armut in Afrika bekämpft werden. Weltbank-Präsident Jim Yong Kim (3. Juli): „Deshalb freue ich mich über die `Hamburger Prinzipien´, die wir wohl auf diesem G20 verabschieden werden. Ganz knapp: Die offizielle Entwicklungshilfe kann das Problem nicht lösen, dafür fehlt einfach das Geld. Privatkapital muss her. Der Schlüssel ist ein funktionierendes Finanzsystem“.
In der ARTE-Doku vom 9. Mai 2017: „Konzerne als Retter?- Das Geschäft mit der Entwicklungshilfe“ wird gezeigt, wohin das führt. Die Dokumentation analysiert die politischen Hintergründe öffentlich-privater Partnerschaften in der Entwicklungshilfe. Sie beleuchtet sieben unterschiedliche Modelle der Zusammenarbeit im Ernährungs- und Landwirtschaftssektor in Kenia, Sambia und Tansania: Vom Versuch deutscher Unternehmen, die Produktivität kenianischer Kartoffelbauern zu steigern, bis hin zum Investmentfonds, der Entwicklungsgelder nutzt, um mit gigantischen Soja- und Maisplantagen Rendite für Anleger in Deutschland zu erzielen. Der aufwendig recherchierte Film zeigt den Missbrauch staatlicher Entwicklungsgelder durch die Industrie auf und macht den Grundkonflikt zwischen industrieller und kleinbäuerlicher Landwirtschaft deutlich.
Das neue (und ewig alte) Dogma der Entwicklungspolitik lautet: Arme Länder und arme (besser: zuvor arm gemachte) Menschen in den Weltmarkt zu integrieren, der von wenigen Globalplayern beherrscht wird und denen die Staaten auf dem Weg zu noch größerem Reichtum die Wege bereiten (müssen). „Wir helfen euch, eure archaischen Strukturen und Methoden zu überwinden, reichen euch die Hand und helfen euch den Anschluss an die Moderne, an stets höhere Produktion, an die Zivilisation und an alle Möglichkeiten, die der Weltmarkt bietet (beliebiger Konsum, u.a.), zu bekommen. Es ist eine typische Win-Win-Situation – alle gewinnen dabei“. So das stets gleichlautende Credo – und manche glauben dies wirklich!
5. Papst Franziskus zu „Entwicklung“
Papst Franziskus wird am 16. Oktober FAO (Welternährungsorganisation der UN) in New York besuchen. In seiner Ankündigung am 3. Juli 2017 schreibt er an die Vollversammlung der FAO (in Auszügen): „Nur eine authentische Solidarität wird in der Lage sein, den Hunger zu besiegen. Es geht nicht um einen simplen Fortschritt oder um `objektive´ Entwicklungstheorien, sondern um eine tatsächliche Ausrottung des Hungers und der Mangelernährung. Die Grundrechte aller Menschen auf ausreichende Ernährung müssen anerkannt werden. Jede Person hat das Recht auf Befreiung von Armut und Hunger. Was fehlt, ist eine `Kultur der Solidarität´. Gott der Schöpfer hat die Güter dieser Erde allen Menschen anvertraut. Diese Solidarität muss das Kriterium jeglicher internationaler Zusammenarbeit werden. Wir können nicht nur immer besorgt tun oder gar resignieren. Vielmehr werden wir uns bewusst, dass der Hunger nicht nur das Ergebnis natürlicher Phänomene ist, sondern er wird verursacht durch die Trägheit Vieler und durch den Egoismus von einigen Wenigen. Krieg, Terror und Vertreibungen sind nicht schicksalshaft, sondern Folge konkreter Entscheidungen, von Menschen gemacht. Es handelt sich um komplexe Mechanismen, denen die Schwächsten zum Opfer fallen. Die Freiheit jedes Einzelnen ist untergeordnet der Solidarität mit allen.“
Der Papst weist immer wieder darauf hin, dass die anstehenden Herausforderungen nicht zuerst - aber auch - technokratisch zu verstehen sind (Machbarkeitswahn). Erstrecht sind nicht eine stets steigende Produktion und noch mehr Konsum erforderlich (Wachstumswahn), wie dies immer noch fast alle unsere Politiker gebetsmühlenartig herunterleiern – im Gegenteil. Vielmehr ist ein grundlegender Wandel unserer Einstellungen, Werte und Grundhaltungen gefordert. Ist dies aber nicht auch die grundlegende Botschaft von Jesus dem Christus? Und wenn nicht wir als Kirche, wer denn so sonst könnte dies aufgrund unseres „Basisprogramms“ glaubhafter verkünden als die Kirche Jesu Christi – wenn sie denn auch nur ein wenig glaubwürdiger wäre? Doch es gibt gute Ansätze: Nicht nur „von oben“ (Papst), sondern auch „von unten“: Kirchliche Hilfswerke, die Diözesen mit ihren weltkirchlichen und caritativen Diensten, Kirchengemeinden, die sich nicht nur um die Instandsetzung ihres Kirchturms kümmern und jeder einzelne engagierte Christ können dazu beitragen, die Welt menschlicher und lebenswerter zu machen. Das wäre dann echte Entwicklung. Wir haben eine „Gute Nachricht“ für diese Welt - und wir dürfen daran glauben!
Zuletzt auch ein gutes Beispiel staatlicher Entwicklungshilfe (Meldung vom 3. Juli)
Auf Initiative von Norwegen haben religiöse Würdenträger und Vertreter indigener Völker aus aller Welt gemeinsam eine Erklärung zum Schutz der Regenwälder verabschiedet. Es ist das erste Mal, dass christliche, muslimische, jüdische, hinduistische, buddhistische und daoistische Geistliche sich auf die Seite der indigenen Waldvölker schlagen. Dass sich beispielsweise die Pygmäen im Kongo darauf eingelassen haben, ist auch nicht selbstverständlich. Denn in der Vergangenheit hatten Missionare vieler religiöser Strömungen den Waldmenschen ihr Existenzrecht abgesprochen.
Norwegen hat vor mehr als zehn Jahren entschieden, dass ein bedeutender Bestandteil seiner Klimapolitik der Schutz der Regenwälder der Welt sein sollte. Darauf wies Umweltminister Vidar Helgesen in Oslo hin. Rund drei Milliarden Dollar hat das Land seither in den Schutz der Regenwälder investiert. Gemeinsam schlössen sie sich einer Bewegung an, die sich zum Ziel gesetzt habe, die Entwaldung bis 2030 zu beenden, berichtet Achim Steiner an seinem ersten Tag als neuer Chef des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP. Die religiösen Würdenträger bezogen sich mit ihrer Unterstützung ausdrücklich auf die Umweltenzyklika des Papstes, um die „gesamte globale Familie zusammenzubringen und unser gemeinsames Haus“ zu schützen.
Willi Knecht
Beitrag zum Thema der Jahrestagung "Weltkirche und Mission" der DBK, in gekürzter Form veröffentlicht mit dem Titel "Westliche Entwicklungspolitik - Ende eines Zeitalters?" auf www.weltkirche.katholisch.de (5. Juli 2017)