TTIP – Beirat der Landesregierung (wohl der einzige in der EU) - Sitzung am 19.04.2016
Ziel des Beirats: mehr Transparenz und öffentliche Diskussion (siehe auch „Welt:Bürger gefragt“)
Zum Schluss meines Beitrags als Vertreter der kath. Kirche in BW, an Minister Friedrich gewandt:
- Einige Ergebnisse aus den gemeinsam entwickelten e.-pol. Leitlinien würden durch TTIP in Frage gestellt werden.
- Die Ziele der Weltklimagipfels in Paris werden durch TTIP noch unrealistischer als sie jetzt schon sind (so auch die Aussagen vieler Teilnehmer, u.a. von Misereor, etc. (Ich war als Mitglied der Delegation der Kirchen in BW in Paris).
- Dasselbe gilt für die 17 Ziele der SDG´s.: Je mehr Wachstum, desto schnelleres Ende der Ressourcen, desto mehr Verwüstung, desto mehr Spaltung ….. usw.
a) Prof. Dr. Kohler, Institut für angewandte Wirtschaftsforschung der Uni Tübingen, wiss. Berater des Beirats
Der von dem Staatsministerium eingeladene Wirtschaftsprofessor versuchte anhand meist mathematischer Modelle nachzuweisen, dass durch TTIP ein Gewinn für Deutschland von 0,5 – 3,0% zu erwarten sei. Anhand verschiedener Modelle und experimentieren an verschiedenen Stellschrauben käme man zu unterschiedlichen und dann auch zu gewünschten Ergebnissen, wenn man nur die entsprechenden Annahmen zugrunde liegen würde. Welche Faktoren man mehr oder weniger gewichte, hinge letztlich auch von der jeweiligen Interessenlage ab bzw. dem Standpunkt, von dem man aus die Untersuchungen durchführe.
Bei allen Modellen ergäben sich aber durchgehend vor allem drei Ergebnisse:
- TTIP würde Verzerrungen beseitigen helfen, die durch die zu hohen Produktionskosten in den Drittländern (des Südens) entstanden sind. Deren Produktionskosten und Waren seien zu teuer und könnten durch international kooperierende Unternehmen gesenkt werden, auf Deutsch: Die armen Länder bekämen für ihre Produkte noch weniger als bisher.
- Deutschland würde durch die Verringerung der Handelskosten zu 26% profitieren: Durch Verringerung der Zölle würden wir als Exportweltmeister mehr und kostengünstiger exportieren können.
- Durch Beseitigung unterschiedlicher Normen und Standards würden zusätzliche Kostenvorteile für die deutsche Wirtschaft entstehen.
Fazit: Die Exporte von Drittländern in die EU-USA werden erschwert und Exporte aus EU und USA besonders in die armen Länder werden erleichtert. Auch durch die Vereinheitlichung der Standards innerhalb EU – USA entstehe ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Drittländern.
Prof. Kohler sieht TTIP daher (!) positiv, denn es würde dazu beitragen, unseren Wohlstand zu bewahren oder gar zu vermehren. Dies sei umso notwendiger im Hinblick auf die immer stärker werdende Konkurrenz mit den Schwellenländern und insbesondere China.
b) Sven Hilbig, Brot für die Welt (Berlin)
Grundsätzlich: Der Handel an sich ist gut. Um aber fair und nachhaltig zu produzieren und zu handeln, bedarf es eines ordnungspolitischen Rahmens. Er stellte drei Forderungen auf:
- Entwicklungspolitische Kohärenz: Die Handelsregeln müssen den von der EU aufgestellten eigenen Standards für die Entwicklungshilfe entsprechen. Diese Richtlinien für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit stehen aber nicht auf der Agenda der Verhandlungen.
- Studien prognostizieren einem Rückgang der Produktion von 5 – 7% in den Entwicklungsländern – statt einem Wachstum, wie laut EU-Richtlinien gewünscht.
- Die EU tritt – laut eigenem Selbstverständnis – weltweit für die Einhaltung der Menschenrechte ein. Dieser Punkt steht aber bei den Verhandlungen nicht auf der Tagesordnung. Die USA lehnt dies strikt ab. Vor den Schiedsgerichten können Menschenrechte nicht eingeklagt bzw. Verstöße angeklagt werden, wohl aber Verstöße gegen den Freihandel.
- Handelsregeln müssen stets „auf Augenhöhe“ ausgehandelt werden. Zudem wird durch TTIP versucht, globale Standards zu setzen. Einem bilateralen Abkommen wie TTIP steht dies aber in keiner Weise zu.
c) In Kurzreferaten nahmen der Präsident des Handwerkstags, der Präsident der Industrie- und Handelskammer und ein Vorstand des Bundesverbands der Grünen Wirtschaft Stellung. Die ersten beiden wunderten sich über die Kritik an TTIP, wo doch der freie Handel Grundlage unseres Wohlstands sei. Zudem komme der Widerstand wohl eher aus antiamerikanischen Reflexen. Ansonsten referierte man ausführlich, wie sinnvoll es sei, z.B. gleiche Stecker auf beiden Seiten des Atlantiks zu haben, usw. Dies alles bringe doch nur Vorteile für alle und habe nichts mit Sozialabbau etc. zu tun. Der Vorstand der „grünen Wirtschaft“ (ein Vertreter der Brauereien) lehnt einige Bereiche von TTIP ab, z.B. sei das deutsche Reinheitsgebot für Bier in Gefahr, wie aber allgemein auch die hohen deutschen Standards für Lebensmittelkontrollen (Wasser, Wein und genetisch veränderte Produkte).
Vorläufiges Fazit der Exponenten: TTIP ist viel zu überladen, das erschwert eine Einigung und provoziert verstärkt Widerstand; reine Handelskonferenzen zur Vereinheitlichung technischer Standards wären sinnvoller.
In der folgenden Diskussionsrunde (eigentlich war eher eine Fragerunde geplant) kamen erfreulicherweise alle, die sich gemeldet hatten ausführlich zu Wort. Während es bei manchen Wortmeldungen in der Tat eher um Nachfragen, meist auch technischer, statistischer oder rechtlicher Natur handelte, stellten u.a. Sarah Händel vom Verein „Mehr Demokratie e.V.“ und Brigitte Dahlbender, Vorsitzende „Bund für Umwelt und Naturschutz“ nicht nur TTIP zur Disposition, sondern generell alle Freihandelsabkommen zwischen reichen und armen Ländern – zumindest in der Form, wie bisher geschehen.
Am Beispiel von NAFTA zeigte Sarah Händel auf, welche gravierend negativen Folgen das für Mexiko hatte und noch hat. Prof. Dr. Kohler stritt dies dagegen rundweg ab. Denn alle seriösen Studien zeigten, so Kohler, dass dieses Abkommen zu größerem Wachstum geführt und daher nur positive Effekte für alle Beteiligten gezeitigt habe. In der Tat: Die Zahl der Superreichen in Mexiko nahm seit dem Abkommen um 600% zu. Der Export aus der Produktion industrieller Landwirtschaft aus den USA nach Mexiko wurde um das Vierfache gesteigert und selbst die US-amerikanische Autoindustrie konnte sich mit Hilfe des Abkommen sanieren, weil sie nun wesentlich kostensparender in Mexiko produzieren kann…. u.v.m.! (siehe Anhang).
Brigitte Dahlbender (hier mit meinen Worten drastischer formuliert) stellte die Frage nach den Menschenrechten in den Mittelpunkt. Diese seien durch die geplanten Abkommen gefährdet, weil z.B. kommunale Selbstversorgung und staatlich geregelte Daseinsfürsorge in Gefahr gerieten bzw. zum Spielball und Spekulationsobjekt privater Konzerne werden könnten. Letztlich beträfe dies auch unser demokratisches Selbstverständnis. Demokratie würde ausgehebelt, wenn die betroffenen Menschen nicht mehr über Grundsätze des menschlichen Zusammenlebens mitentscheiden könnten (Gesundheitswesen, öffentliche Versorgung, Verkehr, Kulturgüter, Patente, usw.)
Ich selbst meldete mich dezidiert als Vertreter der kath. Kirche zu Wort, d. h. als Vertreter der Weltkirche – einer Kirche der Armen und als Stimme derer, die unter die Räuber gefallen sind. Aus deren Perspektive gilt es, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu analysieren, zu deuten und Widerstand zu leisten. An dieser Stelle nannte ich nur 3 Punkte, die auch von Basisorganisationen, NGO´s und wiss. Instituten aus dem Süden als Kritikpunkte genannt werden:
- Die armgemachten Länder des Südens haben bereits sehr bittere Erfahrungen mit Freihandelsabkommen – seit Ende der 70er Jahre Strukturanpassungsmaßnahmen genannt – gemacht. Beispiel: Die brasilianische Bischofskonferenz erklärte 1982 – von wiss. Gutachten untermauert - dass die erzwungene Annahme dieser Maßnahmen jährlich 500.000 Kindern das Leben kosten würde. (Welche Maßnahmen - siehe unten).
- TTIP als Stärkung der Wirtschaft und des Handels EU-USA. Ist möglich, aber wenn ein System, das schon jetzt wachsende Ungleichheit produziert (alle Statistiken belegen dies), sowohl global als auch innerhalb der einzelnen Länder in Nord und Süd, optimiert werden soll, werden auch die Ungleichheiten optimiert. Die Kluft zwischen arm und reich, lokal wie global, wird noch größer als bisher. TTIP kann für die Wirtschaft und Finanzinvestoren in den USA und der EU zum Segen werden.Für die Menschen in der globalen und lokalen Peripherie wird es zum Fluch.
- TTIP will mehr Wachstum generieren (was auch durchaus möglich ist). Denn eine vorrangig am Profit und Vermehrung des Kapitals orientierte Wirtschaft (und Gesellschaft und deren „Kosmovision“, Denkweise) ist per se auf mehr Wachstum angewiesen. Der daraus resultierende Wachstumswahn ist systembedingt und kann und soll durch TTIP noch gesteigert – zumindest erhalten – werden. Doch dieses Wirtschaftsmodell und dessen geistiges Fundament ist an sein Ende gekommen. Es ist gescheitert. Die damit verbundene Geisteshaltung und das daraus resultierende Menschenbild widersprechen fundamental dem christlichen Menschenbild und der biblisch eindeutigen Option für die arm Gemachten. (Für Nicht-Christen: Es widerspricht auch fundamental den Errungenschaften der Aufklärung „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“).
Vor allem der Präsident der IHK, Dr. Kulitz, übrigens ein bekennender Christ, konnte nicht verstehen, dass ausgerechnet von der kath. Kirche diese Einwände kommen, ist die kath. Kirche doch selbst Teil dieses Systems und stark in Unternehmen und Banken investiert. Da hat er leider nicht ganz Unrecht und dies wird sich radikal ändern müssen! Auch stellte er die grundlegende Frage: Woher sollen sonst die Erträge kommen, um unseren Wohlstand zu sichern? Wir seien nur dank unserer Wirtschaftsweise so wettbewerbsfähig und erfolgreich. Wenn wir gegen diese Wirtschaft sind, gefährden wir unsere Zukunft und die unserer Kinder. Zu dieser Wirtschaftsform gäbe es keine Alternative. Und stellte abschließend fest: Es geht um entgegengesetzte Weltanschauungen.
Richtig: Doch was ist wichtiger? Die stete Vermehrung des eigenen Wohlstands, auch auf Kosten anderer, oder die Grundbedürfnisse und das Recht aller Menschen auf ein Leben in Würde, auf all das, was der Mensch zu einem Leben in Würde braucht. Dies kann erreicht werden wenn andere Prioritäten gesetzt werden: Ernährungssouveränität durch kleinbäuerliche Landwirtschaft, usw. usw.
Zum Schluss meines Beitrags, an Minister Friedrich gewandt:
- Einige Ergebnisse aus den gemeinsam entwickelten e.-pol. Leitlinien würden durch TTIP in Frage gestellt werden.
- Die Ziele der Weltklimagipfels in Paris werden durch TTIP noch unrealistischer als sie jetzt schon sind (so auch die Aussagen vieler Teilnehmer, u.a. von Misereor, etc. (Ich war als Mitglied der Delegation der Kirchen in BW in Paris).
- Dasselbe gilt für die 17 Ziele der SDG´s.: Je mehr Wachstum, desto schnelleres Ende der Ressourcen, desto mehr Verwüstung, desto mehr Spaltung in arm und reich, desto mehr Gewalt ….. usw.
Anhang: (Auszug aus „Freihandelsabkommen als das Betriebssystem des Neoliberalismus“)
Am Freihandelsabkommen der USA mit Mexiko (NAFTA, 1994) kann man sehen, welche Auswirkungen dieses Abkommen für Mexiko bisher hatte. Die 2.226 Artikel des Abkommens wurden unterzeichnet und traten sofort in Kraft, ohne dass die Abgeordneten in Mexiko und USA dies vorher einsehen konnten. Präsident Clinton versprach u.a. 200.000 neue Arbeitsplätze jährlich in den USA. Stattdessen wurden Arbeitsplätze abgebaut, z.B. bei den Autobauern und der Textilindustrie. Sie wanderten nach Mexiko ab, wo nun für die gleichen Arbeiten ein mexikanischer Arbeiter 4-6 Dollar am Tag erhält (12-Stunden-Tag, ohne rechtliche Absicherungen). Den Mexikanern wurde versprochen, dass ihnen nun der nordamerikanische Markt für ihre Agrarprodukte offen stünde. Stattdessen haben nordamerikanische Agrarkonzerne mit ihren vom Staat hoch subventionierten Produkten die mexikanischen Märkte überflutet und - wie in den USA selbst - die kleinbäuerliche Landwirtschaft ruiniert.
In ausgewählten Stichworten die Auswirkungen:
Verlust der Ernährungssouveränität (Grundnahrungsmittel müssen nun eingeführt werden, davon 80% aus den USA); Zusammenbruch der nationalen Fischerei; 60% der Mexikaner leben heute unter der Armutsgrenze; erzwungene Aufgabe der Sozialsysteme und Versicherungen; mehrheitlich nur noch informelle Beschäftigungen; eine extreme Zunahme von Gewalt und Gesetzlosigkeit; Anstieg der Anzahl der Superreichen um 600%; „Übernahme“ der Erdölförderung und des Finanzsektors durch US-Konzerne und US-Banken; Privatisierung kommunaler Einrichtungen (Wasser, Verkehr usw.); Entmachtung der Gewerkschaften, drastisches Schwinden der biologischen Vielfalt und flächendeckend industrielle Produktion genetisch veränderter Pflanzen (z.B. als Viehfutter für Europa).
Am Beispiel von NAFTA lassen sich einige grundlegenden Mechanismen des Freihandels aufzeigen: Die EU und noch mehr die USA schotten ihre eigenen Märkte ab, subventionieren ihre eigenen Produkte und zwingen die armen Länder, ihrerseits ihre Märkte zu öffnen – und zerstören damit deren einheimische Märkte.
Die Spielregeln werden von den Reichen diktiert, in Auswahl: Abbau von Schutzzöllen für die einheimische Wirtschaft; freier Zugang von Auslandsinvestitionen; eine durch Monokulturen gekennzeichnete und am Export orientierte Landwirtschaft; aggressiver Extraktivismus; drastischer Abbau staatlicher Leistungen u.a. im Bildungs- und Gesundheitswesen; aggressive Privatisierung von Staatsbetrieben; Aufhebung staatlicher Vorschriften zum Arbeits- und Umweltschutz, u.a. (diese Regeln, diktiert von IWF und Weltbank, gelten schon seit 40 Jahren, nur hat sich dafür bei uns niemand interessiert). Die Rechte und Freiheiten von („eigenen“) Konzernen und Finanzinvestoren werden geschützt. Sie stehen über dem Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Staaten. Die armen Länder werden auf ihre Rolle als „Vorratslager der Welt“ reduziert (Rohstoffe, Landflächen, Viehfutter usw.), auf das beliebig und in „voller Freiheit“ zugegriffen werden kann.
In Mexiko sprechen Bauernverbände und indigene Organisationen bereits von einer Zweiten Conquista: Den indigenen Völkern wird nun auch noch der letzte Wert geraubt: Das Recht auf eigene Ernährung, d.h. das Recht auf ihre heimischen Pflanzen. Mais ist nicht nur ein Grundnahrungsmittel, sondern hat einen sehr hohen kulturellen-religiösen Wert und ist Teil ihrer Identität. Ihre Angst: Wenige Konzerne werden das weltweite Monopol auf Nutzpflanzen und Tiere besitzen und können so die ganze Weltbevölkerung kontrollieren. Mexiko kann als Versuchslabor verstanden werden, wie durch Freihandelsabkommen die Vormachtstellung „des Westens“ und seiner Werte stabilisiert werden kann. Konkreter: Der Staat hat lediglich die Funktion, „die Freiheit der Märkte“ zu garantieren und die Interessen der Investoren zu schützen. Die Interessen des Kapitals haben absoluten Vorrang. Zu dieser Wirtschaft und Politik gibt es keine Alternative („TINA“), sie ist absolut – so das Credo der „Hohen Priester des Kapitals“.