Kirchenkampf in Peru – und weltweit?
Am 28. Juli 2021 feierte Peru den 200. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Mit der Unabhängigkeit änderte sich aber wie im gesamten Kontinent Amerika wenig bis nichts für die bereits stark dezimierte Urbevölkerung. Nach einem beispiellos schmutzigen und von Hass erfüllten Wahlkampf wurde nun zum ersten Mal in der Geschichte Perus ein Vertreter der ursprünglichen andinen Kultur zum Präsidenten gewählt. Die bisher ununterbrochen herrschende weiße Elite, die Nachfahren der Kolonialherren, sehen sich zum ersten Mal ernsthaft herausgefordert. Sie fürchten ihre wirtschaftliche und gesellschaftlich-politische Macht zu verlieren. Dieses System wurde bis in das 20. Jahrhundert von einer überwiegend kolonialen Kirche unterstützt.
Doch seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts begann die kath. Kirche die „Seite zu wechseln“ und zu einer „Kirche der Armen“ zu werden (vor allem von 1962 – 1990). Unterbrochen wurde dieser Prozess durch aggressive Interventionen des Vatikans, u.a. durch das de facto-Verbot von Basisgemeinden, Ernennung vorkonziliar geprägter Bischöfe u.v.m. „Symbolfigur“ dieses Rückfalls in die Vergangenheit war J.L. Cipriani vom Opus Dei, seit 1988 Bischof und von 1990 - 2019 Kardinal und Erzbischof von Lima. Er war eng mit der Diktatur von A. Fujimori (1990 – 2000) verbunden, der aufgrund schwerer Verletzungen der Menschenrechte und organisierter Kriminalität im Gefängnis sitzt. Dessen Tochter, ebenfalls wegen schwerer Korruption vor Gericht und trotzdem zur Wahl zugelassen, will die „Politik“ ihres Vaters fortführen und wird darin – für manche als das „kleinere Übel“ – von der bisherigen Elite unterstützt.
Theologie und Praxis der kolonialen Kirche (belegte Aussagen von verschiedenen Bischöfen Perus)
„Die bisherigen Katecheten haben sich nur um soziale Probleme gekümmert und sich in die Politik eingemischt. Das religiöse Leben ist völlig zum Erliegen gekommen. Nach 30 Jahren Irrweg müssen wir nun neu beginnen“. "Insbesondere Frauen können ohne Anleitung durch die Priester die Bibel nicht verstehen. Die rechte Interpretation des Wortes ist eine exklusive Gabe Gottes, die durch die Weihe dem Priester geschenkt wird. Die Lehre der Kirche ist das in verständliche Form gebrachte Wort Gottes und steht nicht zur Diskussion“. „Oberstes Gebot für jeden Christen ist die Erfüllung der Sonntagspflicht und der monatlichen Beichte. Daneben sind das tägliche Gebet und die Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes Zeichen eines echten Christen. Um sich um soziale Probleme zu kümmern, braucht man kein Christ zu sein, das können auch Gottlose“. „Durch tägliche Bußübungen bereiten wir uns auf das Ende der Welt vor. Nur wer ohne Sünde ist, wird gerettet werden. Deshalb müssen wir ständig bereit sein. Es kommt allein auf die Rettung der Seelen an“.
Auch in deutschen sich traditionell kirchlich verstehenden Kreisen finden sich ähnliche Grundhaltungen. Doch in Peru (und ganz Amerika) sind solche Bewegungen sehr verbreitet. Vor allem finden sie Beachtung in Wirtschaft und Politik. Das ist logisch, denn eine derartige Kirche dient als ideale Rechtfertigung für die Macht der bisherigen Eliten. Daher hier zwei typische Aussagen von Bischöfen und einflussreichen Bewegungen vor und nach dem Wahlkampf.
„Bischöfe und Priester sind dazu berufen, Gottes Gebote zu verkünden. Sie sind daher gezwungen, zu gehorchen und öffentlich allen Gläubigen zu lehren, dass die Abstimmung für die kommunistische Kandidatur von Pedro Castillo eine TODSÜNDE ist und ein Grund für eine Exkommunikation ist“.
„Nein zu Castillo! Weil er den Peruanern die Freiheit nehmen und uns Kuba, Bolivien und Venezuela unterwerfen wird. Unsere Heimat ist in großer Gefahr, ihre Identität zu verlieren, vor allem die religiöse. Bitten wir den Herrn der Wunder und die allerheiligste Muttergottes, uns vom Kommunismus zu befreien“.
Wie so oft haben diese Ankläger keine Ahnung, weder von Kommunismus noch von Marx und Engels. Aber darauf kommt es am wenigsten an. Sie wenden sich schlicht und einfach gegen die Schaffung von einer sozial gerechteren Wirtschaft und Gesellschaft, die die Marktkapazitäten des Staates stärken und ein Minimum an universellen und kostenlosen öffentlichen Dienstleistungen (Gesundheitsversorgung, soziale Sicherheit, Bildung, Wohnungswesen, u.a.) gewährleisten sollte. Weitere Punkte wären ein effektives Steuersystem (auch für ausländische Unternehmen) und private Interessen den nationalen Interessen unterstellen – Gemeinwohl als Grundsatz. Für die Eliten ist das schon "Kommunismus". Ähnliche Punkte sind schon im „Ahlener Programm“ der CDU von 1947 zu finden, ebenso wie z.B. auch im Programm des (gezielt verhinderten) Präsidentschaftskandidaten Sanders in den USA.
Pedro Castillo und seine Familie sind sehr engagierte Mitglieder der Glaubensgemeinschaft „Jesus der Nazarener“ und entschiedene Gegner atheistischer Weltanschauungen. Castillo stammt aus der Region Cajamarca, ist Campesino (Kleinbauer) und ausgebildeter Grundschullehrer, der die Merkmale der indigenen Bevölkerung in sich vereint. Diese Bevölkerung war bisher sozial, politisch und wirtschaftlich immer ausgegrenzt. Die Bewohner der Anden aber sind die eigentlichen Träger der Jahrtausende alten andinen Kultur. Sie widersetzen sich seit über 500 Jahren der Diskriminierung, der Verleugnung, der Ausgrenzung und der Vergessenheit der Hauptstadt Lima, dem Zentrum der weißen Oberschicht.
Mit Papst Franziskus (seit 2013) erfährt die „Kirche der Armen“ wieder starken Aufwind. Deren wichtigste Vertreter in Peru sind Kardinal Barreto („… und seine Vergangenheit als kommunistischer Aktivist sind allgemein bekannt, ebenso wie seine Nähe zu dem perversen Priester Gutiérrez, dem Autor der Befreiungstheologie“) und Carlos Castillo, der neue Erzbischof von Lima. Ihnen und selbst Papst Franziskus gilt nun der erbitterte Widerstand der bereits genannten Kreise. Unter dem Titel “Unterwanderung der Kath. Kirche durch die Kommunisten“ werden Hetzschriften in ganz Peru verteilt und von den wichtigsten Medien des Landes verbreitet.
Selbst Papst Franziskus wird zum Götzenanbeter und zum „Satan auf dem Stuhl Petri“, weil er so oft von der „Mutter Erde“ spricht. Das Konzil wird als Ursprung und Ursache für alle nachfolgenden Irrtümer und Irrwege genannt. Deren Grundlage seinen u.a. die Häresien der „Theologie nouvelle“ von Congar, Chenu, de Lubac, Teilhard de Chardin!
Dr. theol. Willi Knecht, veröffentlicht am 01.07.2020 in „Der Geteilte Mantel“, dem weltkirchlichen Magazin der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Jährliche Erscheinungsweise, wird verschickt an die Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen,Verbände etc.Siehe in „Der geteilte Mantel“ (2020) verschiedene Artikel zum „Aufbruch der Kirche“ in Peru.