Liebe Kollegen und Kolleginnen,                                                                     

wie bekannt, wurde die im Vorfeld mit hohen Erwartungen verbundene Veranstaltung „Let´s think about sex“ vom Bischof abgesagt. Dies ist u.a. deswegen bedauerlich, weil diese Veranstaltung von der Akademie Hohenheim als wichtige Etappe im Rahmen des Dialog- und Erneuerungsprozess der Diözese angekündigt worden war. Es gab daraufhin eine Vielzahl von Stellungnahmen, Protesten und Erklärungen in denen die Einschätzung überwog, dass die abrupte Absage dem Anliegen einer Erneuerung durch Dialog und der Kirche insgesamt sehr schadet.

Ich habe in den letzten Wochen in vielen Gesprächen erfahren, dass es ein großes Bedürfnis gibt (auch bei Pfarrern und Verantwortlichen der Diözese), diese Veranstaltung dennoch durchzuführen. Die Akademie kann dies begreiflicherweise (?) nicht, die Uni Tübingen lehnt dies aus mir nicht begreiflichen Gründen ab, die Kath. Erwachsenbildungsstätten sehen sich dazu nicht in der Lage und sonstige Gruppen oder die Gemeinden meinen, dies nicht stemmen zu können. Öfter hörte ich auch: „Warum nicht die Verbände? Wenn, dann sind am ehesten die Verbände in der Lage, dies zu tun.“
 
Nun möchte ich an den Diözesanrat (in Stellvertretung aller Gemeinden, Organisationen, der Diözesanleitung und Einrichtungen der Diözese) appellieren, alles Mögliche zu tun, um eine solche zentrale Veranstaltung in unserer Diözese dennoch zu organisieren. Wenn der Bischof von wem auch immer unter Druck geraten ist, dann müssen wir (als Getaufte und daher als Kirche) einspringen und Verantwortung übernehmen. Das sind wir uns selbst und unserem gemeinsamen Anliegen schuldig – denn auch wir alle sind die Diözese. Dabei geht es nicht nur um besagte Veranstaltung, sondern es geht um die Substanz: um die Glaubwürdigkeit der Diözese und damit – ob wir wollen oder nicht – auch um uns als Kirche.
 
Inzwischen ist entschieden, dass die abgesagte Veranstaltung in den Räumen der „Frankfurter Rundschau“ und finanziert von der DFG stattfinden wird, zum ursprünglichen Termin und mit nahezu allen für die Akademie vorgesehen Referenten/innen. Treibende Kraft ist Fr. Prof. Amnicht-Quinn, der es laut eigenen Aussagen egal ist, wo diese Veranstaltung stattfindet, Hauptsache sie findet statt. Natürlich kann die Veranstaltung in Frankfurt stattfinden und viele von uns geben sich nun damit zufrieden. Ich aber nicht! Denn es ist eine Veranstaltung ursprünglich von und für die Diözese. Und dass die hier geplante Veranstaltung nun „im Exil“ stattfinden muss, (so wird das „verkauft“ werden) ist eine Schande für die Diözese, das heißt auch für uns alle. Die vielen Reaktionen auf die Absage zeigen ja, dass dies viele berührt hat – aber nicht nur protestieren, sondern nun bitte den 2. Schritt wagen! (der sicher schwerer ist). Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und das Notwendige zu tun. Den Menschen in unserer Diözese sind wir das schuldig. Dabei ist es bestenfalls sekundär, wer die Initiative ergreift…. Nur: die Veranstaltung sollte auf möglichst breiten Schultern stehen. Jetzt alles auf sich beruhen lassen, würde vielleicht ein vergiftetes Klima hinterlassen, zumindest den weiteren Verlauf des Dialogprozesses erheblich erschweren.
 
Wenn wir es aufs Neue versuchen, dann unter folgenden Maßgaben (als Anregung):
  1. Eine neu konzipierte und organisierte Veranstaltung im nächsten Jahr, vielleicht schon im Frühjahr 2012, muss nicht notwendigerweise als Folgeveranstaltung von Frankfurt verstanden werden. Vielmehr sollte auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse das Thema „Kirche und Sexualität“ konkret für unsere Diözese heruntergebrochen werden.
  2. Bei der Trägerschaft, Vorbereitung und Durchführung der Tagung muss gelten: Transparenz, Transparenz, Transparenz! Nur dies schafft Vertrauen und Vertrauen ist die Grundlage jeder Erneuerung, Glaubwürdigkeit und geschwisterlicher Zusammenarbeit.
  3. Es geht nicht um eine „Gegenveranstaltung zu Frankfurt“, sondern darum, unseren Bischof „aus der Schusslinie“ zu nehmen. Er darf auch wissen, nicht immer alles allein schultern zu müssen. Ein Bischof darf auch Fehler machen, er darf auch lernen und Mensch sein. Und: Ein erneuter Versuch wäre kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und würde dem Dialogprozess einen kräftigen Schub geben. (Lernfähigkeit!)
  4. Wir zeigen damit, dass unsere Diözese (die Kirche insgesamt) viele Facetten und Potenziale hat, dass sie nah bei den Menschen ist und ihre Sorgen und Hoffnungen ernst nimmt. Und wir zeigen nach außen und innen: wir lassen uns nicht von unserem Weg abbringen (der übrigens nicht unsere eigene „Erfindung“ ist, sondern es ist der Weg, auf dem uns Jesus und der Kirche insgesamt vorangeht).
  5. Kirchenpolitisch sehr wichtig: Wenn wir diese Veranstaltung nicht machen oder alles auf sich beruhen lassen, werden. die Veranstalter von Frankfurt (u.a.) dies bewusst ausschlachten und bundesweit und mediengerecht die Diözese vorführen. Dies wird dann dem Bischof und unserer Diözese erstrecht schaden. Wir würden Gefahr laufen, nicht mehr ernst genommen zu werden. (Motto: Wenn „so etwas“ noch nicht einmal in Rottenburg möglich - wo denn sonst?
Allgemein:
 
Wir alle sind mehr oder weniger in verschiedenen Gemeinden, Gruppierungen, Verbänden Gremien, usw. tätig. Haben wir da nicht eh schon (zu) viel zu tun? Wir könnten dies aber alles viel leichter und glaubwürdiger tun, wenn uns die Gestalt der Kirche hilfreich zur Seite stehen würde. Am Beispiel der Verbände aufgezeigt: Unsere Ziele können wir umso besser erreichen, wenn die Gestalt der Kirche nicht im Wege steht. Beides – Inhalt und Form – sind untrennbar miteinander verbunden – sagen auch alle kirchlichen Dokumente. Daher gehört es zu unseren Aufgaben, an der Gestalt der Kirche (u.a. Strukturen) mitzuwirken, genauer: nach innen für menschenfreundlichere Strukturen (Umgang miteinander) zu kämpfen um dann umso glaubwürdiger die Frohe Botschaft nach außen und aller Welt verkünden zu können.
Im Übrigen: zuerst sind wir immer Teil einer Gemeinschaft der Glaubenden, dann erst Mitglied in einem spezifischem Verband, Verein etc. Daher hat sich die ako (d.h. alle Verbände) mit Recht zum Ziel gesetzt, an dem Erneuerungsprozess der Kirche mitzuwirken und Kirche aktiv mit zu gestalten. Warum sonst sollten sich z.B. die katholischen Landfrauen am Erneuerungsprozess mitwirken? Genau darum, weil wir alle zuerst Kirche sind!
 
Dr. theol. Willi Knecht
 
Als Vorgriff auf die Studientagung des DR am 15. Oktober zu „Gaudium et Spes“, hier eine der zentralen Aussagen des Dokuments und des gesamten Konzils:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“.