Aufgabe und Praxis der Kirche: Anklage und Verkündigung
Im Folgenden werden die zwei Organe vorgestellt, in denen die Campesinos selbst zu Wort kamen: „El Despertar“ und „Vamos Caminando“ (siehe eigenen Artikel). In der Stimme der Armen und Vergessenen Yahwes, der „Indios in den Anden und aller Indios dieser Welt“, kommt laut biblischer Tradition und im Selbstverständnis der Campesinos Gott selbst zu Wort. Dieses Wort zu hören ist eine zentrale Aufgabe derjenigen christlichen Kirchen, die aufgrund geschichtlicher und wirtschaftlicher Gegebenheiten nicht in dieser biblischen Unmittelbarkeit leben (können) und die aufgrund ihrer eigenen kulturellen Tradition und Herkunft eher dazu neigen, ihre eigenen indigenen europäischen Maßstäbe und Begriffe zu universal gültigen Maßstäben zu erklären. Die authentische Stimme der Campesinos zu hören ist umso wichtiger in Zeiten, in denen wieder, von den reichen Kirchen ausgehend, die Stimme der Campesinos zum Schweigen gebracht werden soll.
Die Stimme der Campesinos: El Despertar und Vamos caminando
Es war der 16. November 1999, der Jahrestag der Gefangennahme von Atahualpa und der ersten Begegnung der Menschen von Cajamarca mit der christlichen Botschaft. Etwa 100 Männer und Frauen aus den Landzonen der Diözese Cajamarca saßen im Kreis auf dem Lehmboden. Die Delegierten der Landbibliotheken (Bibliotecas rurales) waren nach Cajamarca gekommen, um zusammen mit Padre Juan Medcalf die Eucharistie zu feiern. Es herrschte tiefe Dunkelheit. In der Mitte des Kreises war ein großes Tuch ausgebreitet. Außerhalb des Tuches lag wie weggeworfen eine alte Bibel im Staub, sie war kaum zu erkennen. Die Feier begann mit einer Gabe an die Mutter Erde, an die Kinder der Erde und deren Ahnen.
Zwei Katecheten baten Mutter Erde um Verzeihung für die an ihr begangenen Sünden und für das Versagen der Kinder dieser Erde untereinander. Die Gaben, Früchte der Erde und Cocablätter, wurden auf die vier Ecken (als Zeichen des gesamten Kosmos) des Tuches in der Mitte des Kreises verteilt. Nachdem auf diese Weise der sakrale Bereich (wieder) hergestellt war, wurde von einem Katecheten die Bibel vom Staub aufgehoben, wo sie über Jahrhunderte unbeachtet lag. Dann legte er die Bibel in die Mitte des Tuches und er zündete ein Licht an.
Die Bibel wurde damit als Quelle des Lebens in die Mitte des sakralen Bereiches aufgenommen. Ein anderer Katechet trat nun barfüßig in die Mitte des sakralen Raumes, schlug die Bibel auf und las die Worte Jesu: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen die Gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Freiheit verkünde und die Blinden sehend mache; damit ich die Zertretenen aufrichte und eine Zeit der Gnade ausrufe“ (Lk 4, 18,19). Nach jedem der vier Sätze wurde ein neues Licht an je einer Ecke des Tuches - des sakralen Raumes - angezündet. Nach der Proklamation der Botschaft Jesu wurde das Licht an alle verteilt und sie begannen zu sprechen:
„Dank an Padre Juan, der Sämann war, der aussäte und dessen Saat auf fruchtbaren Boden viel, wo sie Wurzeln fasste, heranwuchs und dann reife Früchte trug. Padre Juan ging über das Land, war unermüdlich zu Fuß unterwegs; er fand Begleiter und daraus entstand eine starke Bewegung“. „Die Ahnen sind die Wurzeln und der Stamm, ohne die wir wie welke Blätter wären. Dank der Bibliotecas rurales beginnen aus dem trockenen Holz neue Keime zu sprossen, die uns helfen, die Weisheit unserer Ahnen nicht zu vergessen“. „Wir haben gelernt zu respektieren, was unsere Ahnen respektiert haben: den Respekt vor unserer Mutter Erde und vor allen Söhnen und Töchtern dieser Erde!“ „Wir erarbeiten nichts Neues, wir bestätigen nur was war: den Respekt vor der Natur und den Mitmenschen. Diese Haltung ist für die Mächtigen ein Stein des Anstoßes“.
„Die Bibel hilft, uns selbst zu entdecken, wer wir sind und wohin wir gehen“. „Lesen zu lernen, seine Geschichte und seine Herkunft zu entdecken, bedeutet, endgültig den Kolonialismus zu überwinden, d.h. nicht mehr sein zu wollen wie der weiße Eroberer, sondern stolz zu sein auf die eigene Identität“. „Wer am meisten lesen will, sind die Armen und nicht, wie man oft meint, die Arrivierten. Denn die Armen haben das größte Bedürfnis, ihre Situation zu überwinden“. „Das Buch war nach Meinung von uns selbst nicht für das Land, sondern nur für die Stadt. Wir glaubten sogar, dass wir nicht das Recht hätten, mit unseren unreinen und schmutzigen Händen das Buch mit dem weißen und reinen Papier anfassen zu dürfen. Es herrschte geradezu eine Angst vor dem Lesen, das sei nichts für uns, als ob es etwas absolut Verbotenes wäre“. „Gott hat uns ausgesandt, mit den Bedürftigsten zu arbeiten, das ist unsere Mission“. „Das Beispiel von Jesu in Nazareth verpflichtet uns, seine Botschaft zu verkünden - auch wenn die selbst ernannten Frommen vor Wut außer sich geraten und uns in den Abgrund stürzen wollen“ (1).
Über Jahrhunderte hinweg, seit dem 16. November 1532, als in Cajamarca Vincente de Valverde in der Begleitung von Francisco Pizarro dem letzten Inka Atahualpa die Bibel mit den Worten überreichte, dass sich die Indios von nun an den neuen Herren und ihrem Gott zu unterwerfen hätten und die Europäer dies dann auch mit Gewalt durchsetzten, war die Stimme der Indios zum Schweigen gebracht worden. Ihre Kultur und Religion, ihre Traditionen und Lebensformen wurden zerstört. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde auch physisch ausgerottet (2). Nach verschiedenen Volkszählungen aus dem 17. Jh. überlebten nur zwischen 1/6 bis 1/10 der ursprünglichen Bevölkerung in den Anden die ersten 150 Jahre der Eroberung.
Den Überlebenden wurde das Recht, ein Volk und eigenständige Menschen zu sein, verwehrt. Auch im Zeitalter der Demokratie wird der Mehrheit der Bevölkerung systematisch und systembedingt ein ausreichender Zugang zu Bildung, Krankenversorgung und gesunder Ernährung verwehrt. Und in den letzten Jahren geht die Tendenz dahin, dass die Campesinos noch nicht einmal als potenzielle Konsumenten gebraucht werden. In der neuen Welt des entfesselten Marktes sind sie entweder schlicht überflüssig oder werden als bloßer Störfaktor wahrgenommen. Einige postmoderne Intellektuelle sprechen ihnen aber immerhin noch folkloristisches oder genetisches Potenzial zu, das es zu hegen und zu pflegen gilt.
Im Selbstverständnis der überlebenden Nachfahren der ursprünglichen Bevölkerung ist es von fundamentaler Bedeutung, eine Stimme zu haben und die Stimme erheben zu können. Dies ist ein Zeichen ihrer Existenz als Volk und als Menschen. Ihre Stimme erheben heißt in ihrem Sprachgebrauch, sich nicht mit dem Unrecht und der Gewalt abfinden, sondern ihre Rechte als Menschen einfordern. Es bedeutet für sie ein Stück Menschwerdung. Den höchsten Ausdruck, den die Campesinos dafür gebrauchen ist: „Somos gente“ (Wir sind Leute, Menschen, wir sind wer). Sie verbinden damit implizit Begriffe wie Menschenwürde, Gleichheit und Grundrechte für alle Menschen. Ihre Stimme erheben bedeutet, ihre Wurzeln als andine Menschen neu zu entdecken und ihre Zukunft selbst gestalten zu wollen. Die Campesinos von Bambamarca haben ihre Stimme erhoben. Seit 1962, als Bischof Dammert und seine Mitarbeiter sich mit den Campesinos auf den Weg gemacht haben, haben die Campesinos ihre Sprache wieder gefunden und sich selbst als Menschen und Volk neu entdeckt.
Im Folgenden werden die zwei Organe vorgestellt, in denen die Campesinos selbst zu Wort kamen: „El Despertar“ und „Vamos Caminando“. In der Stimme der Armen und Vergessenen Yahwes, der „Indios in den Anden und aller Indios dieser Welt“, kommt laut biblischer Tradition und im Selbstverständnis der Campesinos Gott selbst zu Wort. Dieses Wort zu hören ist eine zentrale Aufgabe derjenigen christlichen Kirchen, die aufgrund geschichtlicher und wirtschaftlicher Gegebenheiten nicht in dieser biblischen Unmittelbarkeit leben (können) und die aufgrund ihrer eigenen kulturellen Tradition und Herkunft eher dazu neigen, ihre eigenen indigenen europäischen Maßstäbe und Begriffe zu universal gültigen Maßstäben zu erklären.
Die authentische Stimme der Campesinos zu hören ist umso wichtiger in Zeiten, in denen wieder, von den reichen Kirchen ausgehend, die Stimme der Campesinos zum Schweigen gebracht werden soll. Von Spanien ausgehende Bewegungen wie das Opus Dei benutzen die Campesinos als Objekte von Missionsideologien, die in ihrem Kern den Vorstellungen des Padre Valverde im 16. Jahrhundert näher stehen als den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils und der nachfolgenden Dokumente der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen.
„El Despertar de los Campesinos”
„Das Erwachen der Campesinos“ - so lautet der Titel einer Zeitung, die im Namen der Pfarrgemeinde San Carlos de Bambamarca in den Jahren von 1972 bis 1989 herausgegeben wurde (3). Sie bestand aus zwei gefalteten DIN A 4-Blättern. Diese acht Seiten wurden manch- mal durch eine Beilage („suplemento“) ergänzt. Verkauft wurde die Zeitung auf dem Sonntagsmarkt von Bambamarca und im Pfarrbüro, das sich jeweils am Sonntag zum Treffpunkt vieler Verantwortlicher der Comunidades verwandelte. Der Preis von etwa zehn Pfennig reichte bei einer Auflage von über 1.000 Exemplaren nicht aus, die Kosten zu decken.
Der Despertar wurde mit Spendengeldern aus Deutschland (St. Martin, Dortmund) unterstützt. Die Auflagenzahl sagt wenig über die wirkliche Verbreitung aus, da der Despertar von den Katecheten und anderen Verantwortlichen der Comunidades, Leiterinnen der Frauenklubs und Mitarbeitern der Pfarrei in die mehr als 200 Comunidades mitgenommen wurde, um ihn dort weiterzugeben. Auf Kursen, Wortgottesdiensten und sonstigen Versammlungen auf dem Land wurden die Inhalte des Despertar dann in den Gruppen besprochen und weiter verbreitet.
Da es die Campesinos selbst waren, die den Despertar machten, kamen auch deren Bedürfnisse, Probleme und Anliegen authentisch zur Sprache. Inhalte und Themen des Despertar waren so ein getreues Abbild der Wirklichkeit. Ein elementarer Bestandteil dieser Wirklichkeit ist die Beziehung der Menschen zu Gott und Welt (siehe Gaudium et spes), das Eingebundensein in eine größere und tragende Einheit. Es war seit Beginn der Neuevangelisierung in Bambamarca ein vorrangiges Anliegen der Pastoralarbeit, den Wert der Gemeinschaft neu zu entdecken und ein Netz von solchen Gemeinschaften zu schaffen, die sich dann immer mehr als Mitglieder und Teil einer starken und selbstbewussten Einheit, der Pfarrei (Kirche) von Bambamarca, fühlten.
Von dem Gedanken dieser Einheit geleitet, traf sich Anfang 1972 eine Gruppe junger Campesinos, um zu überlegen, wie man die Kommunikation unter den Campesinogemeinschaften effektiver gestalten könnte. Man einigte sich auf eine Campesino-Zeitung, die zuerst alle zwei Wochen erscheinen sollte, ohne Gewinnstreben, ohne kommerzielle Anzeigen, parteipolitisch neutral, aber eindeutig in ihrer Option. Sie gaben sich selbst zehn Gebote, darunter folgende: „Despertar versteht sich als die Stimme derer, die keine Stimme haben. Wir verfolgen eine Linie, die christlich, revolutionär, menschlich ist und für die Befreiung eintritt. Despertar erklärt seine kompromisslose Opposition gegen jede Ausbeutung des Menschen durch Menschen. Wir halten uns an die Weisungen der peruanischen Bischofssynode und verpflichten uns, auf der Suche nach einer gerechteren Gesellschaft mitzuwirken“. (4)
Bis zuletzt arbeiteten alle Mitarbeiter ehrenamtlich, ohne je eine materielle Entlohnung für ihre Arbeit zu bekommen. Bald gab es ein dichtes Netz von Korrespondenten, die über Missstände berichteten. Aus allen Zonen der Pfarrei wurden gute und schlechte Nachrichten zusammengetragen und dann meist kommentiert bzw. im Lichte der Bibel gedeutet. Eine eigene biblische Reflexion war Bestandteil jeder Ausgabe. Neben seiner inhaltlichen Bedeutung für die Campesinos war Despertar auch eine sehr wertvolle praktische Hilfe dafür, dass das Lesen und Schreiben mit großer Motivation von vielen Campesinos erlernt bzw. dass das wenig Gelernte, mangels sonstiger Möglichkeiten zu lesen, nicht vergessen wurde.
Das Bestreben des Despertar lag darin, nicht nur eine authentische Stimme der Campesinos zu sein, sondern auch einen Beitrag zu leisten, um eine authentische, einheimische Kirche zu bilden. Dieses Anliegen stand im Einklang mit dem Ziel Bischof Dammerts, eine authentische andine Kirche mit Poncho und Sombrero zu schaffen. So wie Bambamarca seit Beginn der Pastoralarbeit das Pilotprojekt Bischof Dammerts war, so war Despertar in den siebziger Jahren das Herzstück der Pastoralarbeit von Bambamarca. Im Despertar wird deutlich, um was es den Campesinos und Bischof Dammert ging. Für Bischof Dammert war der Despertar - und damit immer auch eingeschlossen die Texte von Vamos Caminando, der aus dem Despertar hervorging - die Stimme eines Prozesses, den er selbst eingeleitet hatte. Despertar war so nicht nur die Stimme der Campesinos, sondern er war auch die Stimme der Diözese Cajamarca und ihres Bischofs.
Durch diese Stimme wurden die Erfahrungen der Diözese Cajamarca über die Diözese hinaus bekannt. Durch den Kontakt mit anderen Pfarreien und engagierten Gruppen in Peru und dem gegenseitigen Austausch und Abdruck von Artikeln, wurde Despertar ein wichtiger Faktor in der Entwicklung einer Kirche mit Poncho und Sombrero in ganz Peru und darüber hinaus. Er wurde auch zum Vorbild für die Entwicklung einer unabhängigen und volksnahen Kleinpresse in Peru (5).
Die Entwicklung des Despertar lässt sich in zwei Etappen aufteilen. Die erste Etappe geht von den Anfängen bis 1978, die zweite Etappe von 1979 bis 1989. Im Folgenden steht die erste Etappe im Mittelpunkt, weil hier die Anliegen, Inhalte und Zielvorstellungen des Despertar sichtbar werden. Es war auch die Zeit der heftigsten Konflikte und die Zeit, in der die Pastoralarbeit von Bambamarca zu einem weit über die Grenzen der Diözese hinausgehenden Begriff wurde. In der zweiten Etappe kamen keine wesentlichen Erneuerungen hinzu.
Die Anfänge: Anliegen und Inhalte von Despertar
Neun Jahre waren vergangen, seit über Bambamarca das Kreuz als Zeichen der Auferstehung aufgerichtet wurde. In diesen neun Jahren waren auch viele Frauengruppen entstanden. Für diese Gruppen war Maria zu ihrer Schutzherrin und gleichzeitig zu einer Frau ihresgleichen geworden. Und die Männer lernten noch zusätzlich, dass es eine Frau war, die der Welt die Befreiung schenkte. Es sind die Frauen, die Ungerechtigkeit und Erniedrigung am meisten erleiden und deswegen haben sie eine größere Kraft und Entschlossenheit, dagegen anzukämpfen. „Doch das wichtigste war, dass sie von einem Jesus hörten, der wie sie in einer Lehmhütte geboren wurde, der von einem liebevollen Vater sprach, der alle seine Kinder gleich behandele und ein besonderes Herz aber für die Ärmsten habe. Und aus der Himmels- königin Maria wurde das einfache Bauernmädchen, das voller Stolz seinen Gott preist, weil er sie auserwählt hat, der Welt den Befreier zu schenken“ (6).
So erscheint die erste Ausgabe von Despertar am 12. Februar 1972 mit einem Bild von Maria („Die unbefleckte Jungfrau Maria, Jungfrau von Lourdes“ - Imaculada Virgen Maria, Virgen de Lourdes) auf der Titelseite. Der Text dazu: „Wir wenden uns zu Dir mit unseren Gebeten. Du leidest mit den verlassenen Frauen und mit den Kranken, denen niemand beisteht, weil un- sere Krankenstation noch nicht fertig gestellt wurde. Allergütigste Jungfrau Maria, schenke uns die Gnadengaben der Erlösung - einer Erlösung, die wir mit deiner Hilfe erreichen werden. Sei du unsere Herrin“! (7). Schon auf der Titelseite der ersten Ausgabe sind die Punkte angesprochen, die in der Folge zu vielen Missdeutungen und Konflikten führen sollten und die auch bei deutschen Lesern gelegentlich zu Missverständnissen führten:
- Volksfrömmigkeit: Bei einem Besuch in Bambamarca im Jahre 1978 sagte eine deutsche Theologiestudentin enttäuscht: „Ich bin gekommen, um die Theologie der Befreiung zu erleben, doch statt dessen sehe ich Frauen, die vor einer Marienstatue auf den Knien rutschen um deren Füße zu küssen“. Umgekehrt war es vielen einflussreichen Familien der Stadt unheimlich, dass Campesinos in Übereinstimmung mit dem Bischof und den Pfarrern der Marien- und Heiligenverehrung eine neue Bedeutung gaben und z.B. Maria als eine Frau aus ihrer Mitte verehrten. Für traditionelle Katholiken kam dies einem Ausverkauf der wahren Religion oder gar einer Gotteslästerung gleich.
- Kampf: „Ich möchte sagen, dass diese Campesinos religiöse Menschen und religiöse Kämpfer sind, beides zusammen, so wie Moses oder Elias. Wenn wir dagegen von Moses oder Elias lesen oder hören, denken wir nicht so konkret wie die Campesinos an sie als Mystiker und zugleich als Kämpfer. Das leben die Campesinos auch“.(8) Glaube bedeutet für die Campesinos, sich für Gerechtigkeit einsetzen, so wie es Moses getan hat, der den Ruf Gottes gehört hat und sich aufmachte, sein Volk zu befreien und es ins Gelobte Land zu führen. Der „Kampf für mehr Gerechtigkeit“ mag missverständlich sein, verbindet man in Deutschland doch damit sehr schnell Gewalt. In Lateinamerika bedeutet dieses Wort („lucha“): sich engagieren und einsetzen, um gerade dadurch die Gewalt zu überwinden. Dies wiederum ist nur möglich auf der Basis einer tiefen Spiritualität.
- Erlösung und Befreiung: Für die Campesinos ist es selbstverständlich, dass Gott in ihrem Leben eine konkrete Rolle spielt. Sie fragen aber, welche Rolle er spielt und auf wessen Seite er ist. Wenn sie nun aus der Bibel erfahren, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, dann ist für sie Kampf für mehr Würde und Gerechtigkeit nicht nur praktizierter Glaube, sondern auch eine unbedingte Konsequenz des Glaubens. Für die Campesinos sind, wie es Leonardo Herrera ausdrückt, „Himmel und Erde eine einzige Sache“.(9) So ist es selbstverständlich, dass z.B. der Kampf für die Einrichtung einer Krankenstation ein unverzichtbarer Bestandteil des Glaubens und Zeichen der Erlösung ist. Gleichzeitig ist den Campesinos sehr wohl bewusst, dass es das Reich Gottes in seiner Fülle auf dieser Erde nicht geben kann, schon gar nicht durch ihre eigenen Anstrengungen.
In der ersten Ausgabe wenden sich die Redakteure, eine Gruppe junger Campesinos, an die Leser: „In diesen Blättern wollen wir einige Ideen und Ideale zusammentragen, die wir auf eigene Initiative hin entdeckt haben. Wir behandeln einige religiöse und soziale Probleme, Probleme von Uneinigkeit und von Ungerechtigkeiten, aber auch einige gute Beispiele, die uns zu denken geben. Wir danken sehr für die vielen guten Beiträge, die uns erreicht haben. Es waren so viele, dass wir gar nicht alle veröffentlichen konnten, aber in den folgenden Nummern werden wir dies nachholen. Dieses Blatt wird in Zukunft im Untertitel ‚Die Stimme der Campesinos‘ heißen und das mit umso mehr Recht, je mehr alle mit ihren Ideen und Idealen mit uns zusammenarbeiten werden. Nur gemeinschaftlich werden wir erreichen, alle Campesinos aus ihrem Schlaf aufzuwecken“ (10)
Von Anfang an waren die prophetischen Elemente von Anklage und Verkündigung konstitutiv für den Despertar. Ein Mitarbeiter: „Wir machen den Despertar, weil die armen Leute (das sind wir auch selbst) so eine Möglichkeit haben, um die Missstände und die Ungerechtigkeit der Mächtigen anzuklagen und andererseits die Frohe Botschaft für die Armen zu verkünden: Ihnen zu sagen, dass Missbrauch und Ungerechtigkeit ein Ende nehmen werden, wenn wir dem Weg Christi folgen; dass es möglich ist, dass wir selbst die Missstände beseitigen, wenn wir zusammenhalten. Wir arbeiten nach dem Kriterium: Anklagen und Verkünden“(11). Diese Kriterien waren den Mitarbeitern des Despertar und vielen anderen Campesinos auch theoretisch bekannt, sie hatten inzwischen (u.a.) die Dokumente von Medellín studiert.
Doch sie verstanden diese und andere Aussagen deshalb in einem tieferen Sinne („wie mit einem Meißel ins Herz eingraviert“, wie es ein Campesino ausdrückt), weil sie mit ihren eigenen Erfahrungen übereinstimmten: sie haben Gott als einen Gott des Lebens erfahren, der in radikalem Widerspruch steht zu den Tod und Elend bringenden Mächten und zu den herrschenden Götzen. Deswegen geht es darum, diese Götzen von ihrem Thron zu stoßen, die mit der Herrschaft der Götzen verbundene Praxis als Menschen verachtend zu denunzieren und den Beginn einer neuen Zeit zu verkünden, die mit Jesus begonnen hat und die mit den herrschenden Zuständen absolut nicht vereinbar ist.
Aus den genannten Kriterien ergaben sich die folgenden drei Bereiche, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Diese drei Säulen waren derart aufeinander verwiesen, dass sie letztlich als lediglich verschiedene Aspekte der einen und um- fassenden Wirklichkeit verstanden werden konnten. Sie ergaben so eine Ausgewogenheit, die dem Verständnis der Verfasser und Adressaten entsprechend war.
- Anklage, Aufdecken von Missständen.
- Informationen, Hinweise, Schulungen, praktische Tipps etc.
- Bibel, Kirche (Verkünden - und dieser Punkt war auch gleichzeitig der Ausgangspunkt).
1. Anklage und Aufdecken von Missständen:
Es gab hinreichend Missstände, die angeklagt und aufgedeckt werden mussten: Missstände innerhalb der eigenen Comunidad wie z.B. Streit um Ackergrenzen, Verleumdungen, sowie Machtstreben und der Missbrauch derer, die etwas mehr Einfluss oder Besitz haben als ihre Nachbarn. Ein häufiger Grund zur Kritik war, dass zwar nach langen Bemühungen ein Lehrer sich bereit erklärte, in einer Comunidad zu unterrichten, er dann aber meist nicht anwesend war oder bald wieder aufgab. Auch die gewählten Vertreter der Comunidad wurden nicht immer ihrer Verantwortung gerecht. Selbst eine Gemeinschaft als Ganzes konnte sich in der Form der Selbstbezichtigung öffentlich anklagen, wenn es ihr z.B. nicht gelungen war, das in die Praxis umzusetzen, was sie sich vorgenommen hatte. Diese öffentliche Selbstbezichtigung geschah, um anderen Gemeinschaften zu helfen, bestimmte Fehler nicht zu machen. Als 1978 die Rondas gegründet worden waren, wurde auch das gelegentliche Fehlverhalten der Ronderos aufgedeckt und zusammen mit den Kritisierten nach Wegen gesucht, die Ronda effizienter und christlicher zu gestalten.
Häufigste Anklagepunkte waren aber die Missstände, die sich aus der Problematik zwischen Stadt und Land ergaben. Neben der immer wiederkehrenden Klage über die Missachtung der Campesinos anhand konkreter Beispiele, waren es vor allem die Klagen über den Betrug bei den Preisen, über den Amtsmissbrauch der Polizisten, der Richter und der städtischen Behörden. So wurden z.B. die Namen der Händler veröffentlicht, die am meisten betrogen. Auch die nationale Politik, gesellschaftliche sowie internationale Zusammenhänge wie Wirt- schaftspolitik und Finanzpolitik (Abwertungen, Inflation, Auslandsschulden) wurden als Themen über mehrere Ausgaben hinweg, dann meist in einer Beilage, zusammenhängend behandelt. Ein näher liegendes Problem war die Verschmutzung und Vergiftung des Trinkwassers durch die Minengesellschaften, die Chemikalien ungehindert in den Wasserkreislauf ableiteten.
Die Missstände wurden als Ausdruck persönlicher Schuld und als Ausdruck von sündhaften Strukturen gedeutet. Diese Missstände, die im buchstäblichen Sinne auch den Tod bringen können - so die Interpretation der Campesinos - sind das Ergebnis einer Abkehr von Gott und der Hinwendung zu Götzen bzw. der Erschaffung eigener Götter. Dies führt zum Bruch der menschlichen Gemeinschaft und ist unvereinbar mit dem Kommen des Reiches Gottes. Daher ist das Aufdecken der Missstände und eine entsprechende Praxis, die diese Missstände zu überwinden versucht, praktizierter Glaube an den Gott, an den auch Jesus glaubte.
2. Informationen, Hinweise, Schulungen, praktische Tipps etc.:
Neben dem Aufdecken und Benennen von Missständen bildeten Informationen, Erziehung und Weiterbildung einen zweiten Schwerpunkt. Es gab Hinweise auf Veranstaltungen und Versammlungen, Informationen über Gesetze und politisch-wirtschaftliche Entwicklungen, Preisvergleiche, Hinweise auf die Rechte jedes Menschen usw. Aber auch Nachrichten über Fußballturniere auf dem Lande waren von großem Interesse. Auf verschiedene Ausgaben verteilt entstanden ganze Serien über Gesundheit, Hygiene und richtige Ernährung, verbunden mit praktischen Hinweisen für den Anbau landestypischer Produkte. Dabei wurden besonders die in der unmittelbaren Umgebung vorkommenden Kräuter und einheimische Produkte herausgehoben. Zusammen mit der gleichzeitigen Ausbildung von Gesundheitshelfern in der Pfarrei, nahmen Hinweise auf natürliche Heilmethoden einen immer größeren Raum im Despertar ein. Vorgestellt und diskutiert wurden neue Anbaumethoden, die Vorteile natürlicher Düngung und Kompostierung u.v.m. Selbst neue Energieformen wie die Solarenergie wurden nicht nur vorgestellt, sondern dann auch in Kursen behandelt, entsprechende Installationen besorgt, vornehmlich über die Partnergemeinde in Dortmund, und deren Installation und Instandhaltung geübt.
Der Despertar war sowohl ein Spiegelbild dessen, was in den einzelnen Comunidades an Kursen und praktischem Lernen geschah, als auch ein Medium, um die dabei gemachten Erfahrungen zu vertiefen, anderen Gemeinschaften zugänglich zu machen und neue Ideen und Anregungen einzubringen, die dann wiederum von den Comunidades aufgegriffen wurden. Die aktuelle Aufnahme und Behandlung der praktischen Themen im Despertar ergab sich so meist aus der aktuellen Kurstätigkeit in der Großpfarrei und die wiederum ergab sich aus dem Interesse und den Bedürfnissen der Landbevölkerung. Es wurde im praktischen Teil der Zeitung über nichts geschrieben, was auch nicht gerade oder danach irgendwo in einer Zone oder zentral in der Pfarrei in Kursen gelehrt und geübt wurde. Allerdings musste auch öfters über Misserfolge berichtet werden. Manche Aktivitäten, Kurse und neue Technologien wurden kritisch hinterfragt bzw. es wurde der Grund des Scheiterns selbstkritisch diskutiert.
Vor allem die Versuche mit der Solarenergie, die Einführung der Bienenzucht und des Gemüse- und Salatanbaus für jede einzelne Familie waren sehr anfällig für Misserfolge. Obwohl im Redaktionsteam des Despertar überwiegend Männer tätig waren (als „Korrespondentinnen“ gab es viele Frauen), standen Themen über die Rolle und Würde der Frau an herausragender Stelle. Um die Würde der Frau zu begründen wurde zuerst biblisch argumentiert (neben den Hinweisen auf die Bedeutung der Frauen in der alltäglichen Arbeit, im sozialen Zusammenleben und in der Familie), angefangen von der Schöpfungsgeschichte, über Maria bis zu aktuellen Glaubenszeugnissen von Frauen.
Diese Bildungsprogramme waren immer auch gleichzeitig Katechese, weil ja die Bibel immer mit im Spiel bzw. weil die Bibel Ausgangspunkt und Grundlage aller Programme war. Bildung diente dem Einüben und des sich Vergewissern des eigenen Glaubens und hatte keinen Selbstzweck. Es ging darum, wie innerhalb des Gegensatzes zwischen dem Gott des Lebens und den Götzen des Todes eine Option für den Gott des Lebens im Alltag, im persönlichen Leben und in der Gemeinschaft praktisch zu gestalten sei.
3) Bibel und Kirche, Verkündigung:
In jeder Ausgabe war eine Seite der biblischen Reflexion gewidmet, meist anhand einer Bibelstelle, die dann sehr konkret auf eine alltägliche und allen verständliche Situation hin ausgelegt wurde. Seltener wurden statt einer Bibelstelle ein Lied oder ein selbst geschriebenes Gedicht, manchmal auch ein Text oder das Gedicht eines peruanischen Dichters gebracht. Unabhängig davon wurden kirchliche Themen oft zum Hauptthema einer Ausgabe, wie zum Beispiel eine Reihe über die wichtigsten Aussagen Medellíns. Auch Dokumente der peruanischen Bischofskonferenz, vor allem aber die Stellungnahmen und Briefe Bischof Dammerts wurden veröffentlicht und kommentiert.
In der ersten Ausgabe erscheinen neben der bereits erwähnten Titelseite mit Maria noch folgende Berichte, Reflexionen und Hinweise: Die Agrargenossenschaft „El Salvador“ stellt sich vor und lädt zur Hauptversammlung ein. „Die Kooperative ist eine Gruppe von Menschen, die das Gemeinwohl aller Menschen sucht, um so aus dem Elend herauszukommen, in dem wir leben. In der Kooperative dürfen alle am gemeinsamen Vorankommen mitarbeiten, denn alle Dinge der Kooperative gehören allen Mitgliedern“ (12).
In einer Vorschau auf die nächsten Taufen wird darauf hingewiesen, dass die Eltern unbedingt vorher an der Taufvorbereitung für Eltern teilnehmen müssen. Zwei Katecheten, Neptalí Vásquez und Tomás Herrera berichten von einem Besuch in einer Comunidad. In einer Reflexion über die Auferstehung er- klärte Don Tomás der fast vollständig erschienenen Comunidad: „Der Mensch erlebt von der Zeit bereits vor der Geburt bis zum Altwerden verschiedene Veränderungen (transformaciones) seines Körpers und Geistes. Aber er ist und bleibt immer dieselbe Person. So werden wir auch die Auferstehung erleben. Wir werden ganz anders sein nach dem Tod und sind doch noch die gleiche Person, aber nun näher bei Gott“ (13). Die nächsten Ausgaben von Despertar konnten nicht wie ursprünglich geplant alle zwei Wochen erscheinen. Im Jahr 1972 erschienen insgesamt elf Ausgaben mit einer Auflage von je 200 Exemplaren, die aber in den folgenden Jahren auf über 1.000 Exemplare steigen sollte. Ab Nummer 15 ist Despertar regelmäßig jede Woche erschienen, bis zu einer Unterbrechung von sechs Monaten im Jahr 1978.
Das Jahr 1972 stellt unabhängig von dem ersten Erscheinen von Despertar eine Zäsur in der pastoralen Entwicklung Bambamarcas dar. Die Zeit ausländischer, meist deutscher, Entwicklungshelferinnen (von 1963-1971) war vorbei. Ebenso wurde das IER aufgelöst, d.h. auch peruanische Fachkräfte waren nicht mehr in Bambamarca tätig (14). Die Campesinos nahmen die Zügel in ihre eigenen Hände. 1969 hatte der erste einheimische Katechet die Erlaubnis von Bischof Dammert erhalten, zu taufen und das Pfarrbüro zu leiten. Das Bedürfnis, selbst Verantwortung zu übernehmen, war sehr stark. Diesem Bedürfnis kamen ausgerechnet zwei deutsche Priester entgegen, die von 1969-1971 (Hans Hillenbrand) und von 1972-1978 (Rudi Eichenlaub) in Bambamarca als Pfarrer eingesetzt waren.
Konflikte
Despertar wurde zum Motor der pastoralen Entwicklung in Bambamarca und hatte Einfluss in der gesamten Diözese. Im zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext hier nicht näher darzulegender Ereignisse (wachsendes Selbstbewusstsein der Campesinos, Landreform und „sozialistische Militärdiktatur“, Entwicklungen in Kirche und Theologie - z.B. das Dokument der Bischofskonferenz „Gerechtigkeit in der Welt“, auf das sich die Grundsatzerklärung des Despertar beruft) werden die Konflikte mit einflussreichen Kreisen der Stadtbevölkerung immer härter. Auch die Auseinandersetzungen mit staatlichen Stellen nahmen an Schärfe zu. Die von den revolutionären Militärs geschaffene Organisation „SINAMOS“, eine staatliche Superbehörde, um die „Errungenschaften der Revolution bis in die letzten Winkel des Landes zu tragen“, nahm den Despertar ins Visier. Despertar - und damit die gesamte Arbeit der Pfarrei - untergrabe die Autorität des Staates, so die Anklage.
Ermuntert durch die staatlichen Behörden, begann sich erstmals eine geschlossene Front, eine Heilige Allianz, gegen die Pfarrei zu bilden: Die Händler und einflussreichen Familien, die traditionellen Bruderschaften und Verfechter einer Religion des alten Kultes, politische Parteien, vor allem die APRA, sowie Vertreter der Regierung und der Stadtverwaltung (15). Da zu gleicher Zeit neben Rudi Eichenlaub auch noch die zwei englischen Priester Juan Medcalf und Miguel Garnett von 1972 - 1974 in Bambamarca lebten, war der immer wiederkehrende Vorwurf gegen die Pfarrei und deren Organisationen, dass sie von ausländischen Agenten gesteuert würden.
Gemäß dem Weltbild der Heiligen Allianz waren die Campesinos per se unfähig, sich zu organisieren, ihre Bedürfnisse zu äußern und diese gar einzufordern - und z.B. den Despertar zu schreiben. Also konnten es nur die Ausländer sein, die für die zunehmende Unordnung verantwortlich waren und die für ihre „gottlosen Pläne“ (vielleicht gar die Vorbereitung einer kommunistischen Revolution oder zumindest eines bewaffneten Aufstands) die unwissenden Campesinos als „nützliche Idioten“ missbrauchten und sie gegen die bestehende Ordnung aufhetzten.
Bald nach Erscheinen des Despertar eskalierte der Konflikt. Auslöser war die Organisation des Patronatsfestes. Es wird an dieser Stelle näher darauf eingegangen, weil dabei der eigentliche Konflikt und der Wandel sichtbar wird, wie er sich in Bambamarca auf eine exemplarische Weise vollzog: Aus einer Religion zur Begründung und Rechtfertigung von Herrschaft und rücksichtsloser Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen wird eine religiöse Praxis, die genau dies aufdeckt und anprangert und die sich für eine entsprechende Veränderung einsetzt. Despertar war die prophetische Stimme dieses Wandels, der zwangsweise nicht ohne große Probleme erfolgen konnte. Bereits in der sechsten Ausgabe von Despertar (16. Juli 1972) erschien auf der Titelseite eine bittere Satire über die Art und Weise, wie das Patronatsfest der Virgen del Carmen (17. 7.) in der Stadt gefeiert wurde.
„Welch schönes Fest! - Es wird durchtanzte Nächte geben und an neun Tagen Stierkämpfe, Feuerwerke, drei Musikkapellen... welch schönes Fest! - Es gibt kein elektrisches Licht, die Zustände im Gefängnis sind unmenschlich, Schulen werden nicht gebaut. Aber, welch schönes Fest! Es werden Hahnenkämpfe organisiert, die Händler machen riesige Umsätze, es gibt Glücksspiele, Jahrmarktsrummel und ein großes Besäufnis. Welch schönes Fest! Und in den Hütten auf dem Land haben wir noch nicht einmal Geld, um Salz kaufen zu können. Aber das Fest, wie schön ist es doch! Virgen del Carmen, Patronin des Volkes: Sie sagen, dass sie zu deiner Ehre das Geld aus dem Fenster werfen. Du, der du arm bist und eine Sklavin, du preist den Herrn, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Erniedrigten aufrichtet‘ (Lk, 1,52 - das Evangelium des Festes), dulde nicht weiter, dass sie dir einen Mantel aus Hohn umhängen und dass sie dich vor sich her tragen wie eine Fahne, um damit ihre Ungerechtigkeiten zuzudecken“ (16).
In einem langen Leitartikel kommentiert ein Mitarbeiter von Despertar, Luis Vásquez, das Fest, zeigt Alternativen auf und schließt: „Es geht darum, die Art und Weise zu ändern, wie wir das Fest feiern. Es ist naiv zu glauben, dass wir von Gott bestraft werden, falls wir nicht das Fest so feiern wie immer, mit Stierkämpfen, Feuerwerk usw., und dass er uns Höllenqualen androht und uns die biblischen Plagen schicken wird“ (17). In weiteren Folgen des Despertar wurden konkrete Vorschläge gemacht, wie man die Heiligenfeste gebührend feiern kann.
Wenn auch der Konflikt aufgrund eines scheinbar rein religiösen Anlasses eskalierte, so war das eigentliche Motiv ein wirtschaftliches (18). Denn neben den Familienangehörigen der ehemaligen Großgrundbesitzer sahen vor allem die bisher uneingeschränkt den Markt und die Wirtschaft kontrollierenden Händler und Geschäftsleute ihre Pfründe zu Recht gefährdet. Neben dem Despertar und dessen Aufdecken von Wucher, war vor allem die Kooperative der Pfarrei, in der die Campesinos zu gerechten Preisen einkaufen konnten, ein Stein des Anstoßes. Die Kooperative war neben dem Despertar folgerichtig immer wieder die hauptsächliche Zielscheibe der Angriffe. Auch skrupellose Notare und Rechtsanwälte konnten nicht mehr wie bisher für jede notwendige Unterschrift utopische Preise verlangen. Viele der aufgrund einer korrupten Bürokratie notwendigen zahllosen Unterschriften und Beglaubigungen bekamen die Campesinos auf dem Pfarrbüro nun unentgeltlich. Auch Ärzte, Lehrer und Lokalpolitiker, meist ebenfalls aus den einflussreichen Familien stammend, mussten damit rechnen, bei jedem Missbrauch ertappt und im Despertar öffentlich angeprangert zu werden.
Völlig unverständlich erschien es diesen Kreisen, dass sich die Macher des Despertar nicht kaufen ließen und noch nicht einmal Anzeigen und Werbung, für die man gerne viel bezahlt hätte, in ihrem Blatt annahmen. Ausgehend von ihren eigenen Denkweisen und Praktiken, war dies für die Städter ein Beweis dafür, dass die Campesinos von den Ausländern mit viel Geld gekauft sein mussten. Für die Städter und gute Katholiken war es gemäß dieser Logik ebenso klar, dass ausländische Mitarbeiter der Pfarrei nur deshalb so mühsame Wege aufs Land unternahmen, weil sie z.B. einen Drogenhandel aufbauen oder die Campesinos mit Waffen versorgen wollten. „Denn welcher normale und halbwegs zivilisierte Mensch, gar aus Europa, läuft schon freiwillig auf dem Land herum?“ - so die häufig geäußerte Vermutung.
Unmittelbar nach dem Patronatsfest bildete sich am 23. Juli 1973 in Bambamarca ein Komitee Pro-Templo mit dem Ziel, die bisherige Form des Festes zu verteidigen. In der Ausgabe vom 12. August nimmt der Despertar dazu Stellung: „Ihr einziges Ziel ist es, alles Neue von der Kirche fernzuhalten. In diesem Komitee ist weder ein Vertreter des Bischofs, noch der Pfarrei (Priester, Schwestern, Katecheten). Alle Mitglieder des Komitees müssen wissen: sie haben keinerlei Recht im Namen der Kirche zu handeln, denn wenn sie gegen den Bischof protestieren, sind sie nichts anderes als eine protestantische Sekte, losgetrennt von der apostolischen und hierarchischen Kirche. Außerdem: Ein Tempel aus toten Steinen hat keine allzu große Bedeutung. Stattdessen laden wir alle praktizierenden Katholiken ein, ein Pastoralkomitee Pro-hombre zu bilden, das sich um die Menschen kümmert. Wir sollen lebendige Steine der Kirche Jesu Christi sein“ (19).
In der folgenden Nummer erschien eine Gegendarstellung des Komitees Pro-Templo und dessen Bereitschaftserklärung, mit dem vom Bischof ernannten Pfarrer zusammenzuarbeiten. Vertreter der Pfarrei und Mitglieder des Komitees hatten sich vorher zu einer Aussprache getroffen und ein völliger Bruch konnte noch verhindert werden. Doch der Friede hielt nicht lange. Am 30. September besetzte eine Gruppe frommer Frauen die Pfarrkirche, wechselte erstmals die Schlösser der Pfarrkirche aus (es sollte noch zwei weitere Male geschehen) und verweigerte allen, auch den Priestern, den Zutritt. Das Taufbecken in der Nähe des Einganges wurde zertrümmert, umso mehr Platz für die Sänfte der „Virgen del Carmen“ zu schaffen bzw. „damit die Virgen bei ihrer Prozession ungehindert durch den Eingang schreiten könne“, wie es begründet wurde (20).
Bischof Dammert schreibt darauf hin an die Pfarrei Bambamarca: „Eine kleine Gruppe von Personen repräsentiert nicht das Volk Gottes. Das Volk Gottes in Bambamarca wird repräsentiert von allen Campesinos und Gläubigen, die innerhalb der Pfarrei Bambamarca wohnen und nicht nur von einem kleinen Komitee von Individuen, die in der Stadt wohnen. Bei diesen Vorkommnissen handelt es sich nicht nur um äußerliche Streitigkeiten oder eventuelle Missverständnisse aufgrund mangelnder Kommunikation, sondern sie entstehen aus einer völlig falschen Interpretation der christlichen Lehre. Es ist traurig, dass sich diejenigen als sehr katholisch bezeichnen, die nur daran denken und ihre ganze Kraft darauf verschwenden, die Wände und Türme der Kirche herauszuputzen, während sie gleichzeitig ihre Brüder und Schwestern verachten und ausbeuten. Die Worte Jesu gelten schließlich auch noch heute“ (21).
Höhepunkt des Konflikts war der tätliche Angriff auf Rudi Eichenlaub, diesmal zitiert aus den „Informationen aus Cajamarca“: „Am Sonntag, dem 19. Mai 1974, ist die Kirche von Bambamarca mit einem Vorhängeschloss versperrt. Als Rudi Eichenlaub dieses Schloss entfernen will, um in der Kirche die Sonntagsmesse zu feiern, kommt Francisco Vásquez, 40 Jahre alt und Händler in Bambamarca, begleitet von zwei Angehörigen seiner Familie und dringt mit einer Machete auf Rudi Eichenlaub ein. Der Angriff kann jedoch von einigen Leuten, die sich zur Messe eingefunden haben, abgewehrt werden.
Nach diesem Zwischenfall wird die Messe im nahe liegenden Schwesternhaus gefeiert. Während dieser Zeit bringt die Familie Vásquez ein weiteres Vorhängeschloss an der Tür des Pfarrbüros an und schließt den sich dort befindlichen Padre Juan Medcalf ein. Kurz darauf überfällt die Familie Vásquez den verantwortlichen Redakteur des Despertar, Arturo Rojas und Augustín Salao, einen Pfarrhelfer. Der Bürgermeister erklärt sich nicht für zuständig, etwas zu unternehmen. Die Polizei schaut ohne einzugreifen zu; sie ist jedoch bereit, geheimen Anzeigen nachzugehen, um die Priester als Spione zu entlarven. Da die Priester weitere Auseinandersetzungen vermeiden wollen, verlassen sie vorläufig die Pfarrei und fahren zum Bischof nach Cajamarca. Vorher werden aber noch 4.000 Exemplare des Despertar verteilt, in dem über die Ereignisse berichtet wird“ (22).
Am 6. Juni konnten die Priester wieder zurückkehren, die Campesinos bereiteten ihnen einen überwältigenden Empfang. Durch den persönlichen Einsatz von Bischof Dammert in Lima musste der Militärpräfekt von Cajamarca den Befehl ausgeben, dass ab sofort den vom Bi-schof eingesetzten Pfarrern von Bambamarca die ungehinderte Ausübung ihres Auftrags garantiert werden musste. Wer sie daran hindert, kann mit Arrest bestraft werden. Dieser Erlass wurde unter der Überschrift „Triumph der Gerechtigkeit“ auf der Titelseite von Despertar ver- öffentlicht.23 Dies war das letzte Mal, dass im Despertar eine Maßnahme der Militärregierung als Triumph der Gerechtigkeit verkündet werden konnte.
Gefangennahme und Exil
1978 erlebten die Mitarbeiter von Despertar ihre größte Bewährungsprobe. In der so genannten zweiten Phase der Militärdiktatur nahmen die Unruhen, Streiks und Demonstrationen im ganzen Land zu. Nach der ersten Phase der Militärdiktatur von 1968 - 1974, die gekennzeichnet war von einer versuchten Landreform, einer Revolution von oben und nationalen und antiimperialistischen Parolen, übernahmen 1975 solche Militärs die Macht, die gegenüber den Interessen des Weltmarktes, der Kreditgeber und den Idealen der Freien Welt aufgeschlossener waren.
Die Folge war eine drastische Reduzierung der Staatsausgaben im nicht produktiven Sektor wie Sozialhaushalt, Bildung, Verbot von Gewerkschaften, Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel und für Benzin. In Peru kam es zu den größten Demonstrationen seit Jahren und schließlich wurde im ganzen Land der Generalstreik ausgerufen. In Bambamarca wurde am Sonntag, dem 14. Mai 1978 (am Muttertag) bekannt, dass sich die Preise von einem Tag auf den anderen für einige Basisprodukte verdreifacht hatten. Da ich die folgenden Ereig- nisse selbst erlebt habe, werde ich sie in einem persönlich gehaltenen Bericht schildern:
Zusammen mit Segundo Leíva, dem damaligen Leiter des Despertar, einem weiteren engen Mitarbeiter des Despertar, Valentín Mejía, sowie Hans Hillenbrand und seiner Frau Segunda Torres, die aus Romero, einer Comunidad bei Bambamarca stammt, war ich vom 10.- 20. Mai in Cortegana unterwegs, einer großen Landzone, etwa achtzig Kilometer von Bambamarca entfernt, nur zu Fuß zu erreichen und ohne die Möglichkeit, Nachrichten zu empfangen. Nach unserer Rückkehr nach Bambamarca versammelten sich die Verantwortlichen der Pfarrei, viele anwesende Katecheten und Mitarbeiter des Despertar, um über die Situation zu sprechen und darüber, wie man im Despertar zu den Preiserhöhungen und der aufgewühlten Situation im ganzen Land Stellung nehmen sollte.
Der damalige Pfarrer Rudi Eichenlaub war zu diesem Zeitpunkt für längere Zeit ebenso in Europa (und sollte nie wieder nach Bambamarca zurückkehren) wie Manolo Sevillano. Eine Woche vorher war bereits im Rahmen des Ausnahmezustandes und des Generalstreiks der Despertar verboten worden. Um nicht völlig ohne Stimme zu bleiben und aus Gründen der Solidarität mit den Protestierenden und Opfern im ganzen Land, suchten die Gruppen der Pfarrei nach Wegen, wie sie den angesammelten Unmut über die als verheerend empfundenen Wirtschaftsmaßnahmen öffentlich machen konnten. Eine Demonstration wurde geplant. Hans Hillenbrand war inzwischen nach Cajamarca zurückgekehrt, um nicht fälschlicherweise als Drahtzieher verdächtigt werden zu können. Seine Frau Segunda blieb in Bambamarca. Ich selbst sollte noch auf Anraten der Campesinos in der Nacht vor der Demonstration Bambamarca verlassen, was im letzten Moment gerade noch klappte.
Bereits einen Tag später kamen bei Bischof Dammert die Nachrichten über die Ereignisse in Bambamarca an, zuerst übertrieben dramatisiert mit Berichten über viele Tote. Nach einer Beratung mit dem Bischof schickte er mich sofort nach Lima. Hans Hillenbrand sollte auch untertauchen, doch zog er es vor, angesichts der bereits erfolgten Verhaftung seiner Frau in Bambamarca bei seinen Kindern in Cajamarca zu bleiben, wo er prompt einen Tag später ebenfalls verhaftet und danach in das schon überfüllte Hochsicherheitsgefängnis „El Sexto“ in Lima gebracht wurde.
Ich selbst konnte nicht in der Armenpfarrei „Jesus Obrero“, seit den sechziger Jahren Anlaufstelle der Mitarbeiter Bischof Dammerts und geleitet von zwei befreundeten belgischen Priestern, in Lima unterkommen, da diese sehr sozial engagierte Pfarrei unter strenger Beobachtung der Sicherheitskräfte stand. Stattdessen hatte mir der Bischof die Adresse eines mit ihm befreundeten deutschen Lehrerehepaares der deutschen Schule in Lima gegeben, wo ich dann auch gerne aufgenommen wurde. Für drei Wochen lebte ich in einem der reichsten Stadtviertel in Lima, gut beschützt von Polizei und den Militärs, die während des Ausnahmezustandes in der Nacht schwere Panzer durch dieses Viertel schickten, um die Bevölkerung dieses Viertels vor der Wut des Volkes zu schützen.
Nach drei Wochen Aufenthalt in Lima kam der Anruf, dass ich nun ohne Gefahr nach Ca- jamarca und anschließend nach Bambamarca zurückkehren konnte. Von Bischof Dammert bekam ich den Auftrag, in Bambamarca zeichenhaft präsent zu sein und den Despertar, wenn auch in veränderter Form, weiterzuführen - ansonsten aber nicht viel zu tun, sondern einfach da zu sein. Die Hauptverantwortlichen der Pfarrei und von Despertar waren im Gefängnis und ihnen drohte noch ein Prozess. Der Despertar blieb verboten. Es ging nun darum, ein Blatt als Stimme der Pfarrei herauszugeben, das einerseits Rücksicht auf die Inhaftierten nehmen musste und sie durch unbedachte Äußerungen nicht gefährden durfte (d.h., dass z.B. das Vorgehen der Militärs in Bambamarca - und landesweit - nicht in deutlicher Form kritisiert werden konnte), andererseits aber sollte Flagge gezeigt werden.
Niemand sollte sich Illusionen machen dürfen, die Stimme der Campesinos und der Pfarrei zum Schweigen gebracht zu haben. Am wichtigsten war aber, den doch etwas eingeschüchterten Campesinos Mut zu machen und zu zeigen, dass sie vom Bischof und seinen Mitarbeitern niemals im Stich gelassen werden. Wir rieten den nicht verhafteten Mitarbeitern des Despertar, vorläufig nicht in der Stadt zu erscheinen.
Als einziger Mitarbeiter kam dennoch über mehrere Wochen Leonardo Herrera, damals siebzehn Jahre (siehe seinen Bericht auf diesen Seiten). Nicht zu vergessen sind allerdings die Schwestern die „Hl. Herzens Jesu“, die seit Jahren eine verlässliche und durch nichts zu erschütternde Stütze der Kirche von Bambamarca waren. Ich selbst war in relativer Sicherheit, weil ich vor meiner Ausreise nach Peru von der peruanischen Botschaft in Bonn aus Versehen ein Visum mit Diplomatenstatus bekommen hatte, was die Behörden und die Militärs in Bambamarca völlig verunsicherte. Außerdem war ich noch nicht so lange in Bambamarca, hatte keine führende Rolle und galt daher bei den Militärs nicht als einer der Anführer des Aufruhrs.
Der Titel des neuen Blattes hieß lapidar „Boletín parroquial“ (Pfarrblatt). Eine weitere Auflage von Bischof Dammert war, in dem Blatt auch Stimmen aus der Stadt Bambamarca zu Wort kommen zu lassen. Dies erwies sich als eine große Herausforderung, waren es doch die Frommen der Stadt, die den Militärs die Wege zu den Hütten der verantwortlichen Katecheten gezeigt hatten, um diese zu verhaften. Sie waren es auch, die am darauf folgenden Patronatsfest am 17. Juli - die Verantwortlichen der Pfarrei waren noch gefangen - die Ehre hatten, die prachtvoll geschmückte Marienstatue auf ihren Schultern aus der Kirche und dann durch die Stadt zu tragen.
Das Patronatsfest wurde organisiert von Ordensschwestern (nicht zu verwechseln mit den Schwestern vom„Hl. Herzens Jesu“). Die Dominikanerinnen leiteten eine Mädchenschule, die von Kindern der Campesinos nicht besucht werden konnte. Diese Schwestern erkannten auch die von Katecheten gespendete Taufe nicht an, d.h. die getauften Kinder der Campesinos waren in ihren Augen „Heiden“. Sie waren die religiöse Stütze der Frommen in der Stadt und sind es noch bis heute. Bischof Dammert bestand darauf, auch mit den Dominikanerinnen wenigstens eine minimale Zusammenarbeit zu suchen. Dies wurde vorher zwar schon ohne Erfolg versucht, doch nun gab es erste Annäherungen.
Aber erst mit dem 1979 nach Bambamarca gekommenen Pfarrer Jorge López kam es dann zu einer reibungslosen Zusammenarbeit mit den Dominikanerinnen (eine Rolle, die der neue Pfarrer liebend gerne übernahm). Als die in Europa weilenden Rudi Eichenlaub und Manolo Sevillano die erste Ausgabe dieses neuen Pfarrblattes mit einem Beitrag der Dominikanerinnen in die Hand bekamen, waren sie sehr enttäuscht und dachten, die „Sache der Campesinos“ sei verraten worden. In Kenntnis der näheren Umstände revidierten sie später ihre Meinung. Sie gaben einen „Despertar im Exil“ heraus. Daraus ein gekürzter Bericht von Valentín Mejía, der mich nach Cortegana begleitet hatte und dem es gelungen war, einen Brief nach Dortmund zu schicken.
„Einige von uns waren noch zu einem Kurs in Cortegana, als die Regierung die neuen Wirtschaftsmaßnahmen bekannt gab und in ganz Peru sich der Widerstand regte. Nur in Bambamarca war scheinbare Ruhe... Am Samstag vorher war der Gouverneur gekommen und teilte mit, dass Despertar nach dem neuen Gesetz verboten sei. Wir durften noch nicht einmal eine letzte Nummer mit Erläuterung der Gründe herausgeben. Am Sonntag haben wir uns entschlossen, zusammen mit mehreren Comunidades für kommenden Freitag eine große Demonstration zu veranstalten. Am Dienstag sind wir durch die Comunidades gegangen und am Donnerstag war eine letzte Versammlung der Verantwortlichen. So schnell ging das.
Die Leute waren sofort bereit mitzumachen. Wir haben niemand überreden müssen. Noch in der Nacht vor der Demonstration kamen drei Lastwagen voller Soldaten an. Es war am Freitag, den 26. Mai. Wir zogen von unseren Comunidades hinunter nach Bambamarca. Ein Major des Heeres kam, um mit uns zu reden. Er sagte, dass die Preise schon wieder gefallen seien und wir nach Hause gehen sollten. Wir aber riefen: ‚Lasst die anderen Gruppen durch, wir wollen nur eine friedliche Demonstration‘. Nach soviel Protest mussten sie uns durchlassen. Auf dem Marktplatz sprachen dann zwei Campesinos und zwei von der Stadt. Es war sehr gut. Am Schluss machte ein Extremist (ein Student, der aus Cajamarca gekommen war - Red.) die Sache kaputt. Er sagte: ‚Wir wollen kämpfen, es soll Blut fließen‘.
Sofort fing das Militär an, in die Menge zu schießen. Es hagelte Gewehrkugeln und es flogen auch eine ganze Menge Tränengasbomben. Wir zerstreuten uns alle. Am Stadtrand formierten wir uns wieder zu Gruppen. Die Soldaten wurden zurückgerufen und sie wagten es nicht, uns zu folgen. Wir hörten, dass es drei Tote, fünf Verwundete und zehn Gefangene gegeben hätte. Es stimmt nicht. Wir betrauern einen Toten, drei Verwundete und zwei Gefangene: In der Nacht nahmen sie Segunda fest. Hans Hillenbrand war zu diesem Zeitpunkt in Cajamarca. Dann wurden elf von uns gesucht.
Wir standen auf der schwarzen Liste, weil die Spitzel unsere Namen angegeben hatten. Trotz allem hat uns die Übermacht des Militärs nicht entmutigt. Es nahmen ungefähr 3.000 Menschen an der Demonstration teil. Dazu kommen noch alle diejenigen (ein vielfaches), die nicht durchgelassen worden waren oder die aus Furcht vor den vielen Soldaten wieder umgekehrt waren. Nur die Entschlossenen und Mutigen haben es gewagt, nach Bambamarca hineinzugehen“ (24).
Weiterführender Bericht in den „Informationen aus Cajamarca“: „Hans Hillenbrand wurde am 27. Mai in Cajamarca festgenommen und anschließend nach Lima gebracht. Er wurde im Gefängnis von Bischof Metzinger besucht. Er ist seit dem 17. Juni wieder zu Hause, zusammen mit seiner Frau Segunda. Die anderen ausländischen Mitarbeiter sind nicht im Gefängnis. Aber es wird jeder Schritt überwacht. Candelario Cruzado und Segundo Leíva, die gewählten und vom Bischof bestätigten Leiter der Pfarrei Bambamarca, sind bis heute inhaftiert und dürfen nicht besucht werden. Uns wurde vielfach mitgeteilt, dass immer häufiger die Mitarbeiter der Kirche für die Drahtzieher der Aktionen des Volkes gehalten werden.
Auch in der Presse tauchen immer häufiger Nachrichten auf, in denen kirch- liche Gruppierungen ganz offiziell als marxistisch bezeichnet werden“ (25). Dazu der Kommentar der Herausgebers des „Despertar im Exil“: „Seit dem 14. Mai, nach 282 ununterbrochenen Folgen, darf Despertar nicht mehr gedruckt werden. Die Campesinos sollen nicht mehr erfahren, was wirklich vorgeht im Land. Aber wir können nicht verschweigen, was wir sehen und erleben. Wir werden Mittel und Wege finden, die Leute weiterhin zu informieren“ (26).
Nach fast zwei Monaten im Gefängnis, wurden Candelario Cruzado und Segundo Leíva am 22. Juli freigelassen. Es war eine bedingte Freiheit. Sie mussten sich regelmäßig bei der Polizei melden, ein Gerichtsverfahren stand noch aus. „Am Samstag den 22. Juli erfuhren wir mit großer Freude, dass Candelario und Segundo frei gelassen wurden. Wir haben die Gelassenheit von Candelario bewundert, er strahlt Friede aus. Er erzählte, wie sie ihn aus seinem Haus abgeholt und verhaftet haben, so wie sie auch Jesus gefangen nahmen im Garten von Gethse-mani. Ein Polizeioffizier sagte, wie außergewöhnlich die Haltung der Campesinos war, dass sie niemanden denunziert und dass sie immer die Wahrheit gesagt haben“ (27). Nach sechs Monaten durfte Despertar wieder uneingeschränkt seine Arbeit aufnehmen, die Zwischenzeit wurde von dem „Boletín parroquial“ notdürftig überbrückt. Rudi Eichenlaub kehrte danach nicht mehr als Pfarrer nach Bambamarca zurück, Manolo Sevillano konnte zurückkehren und blieb mit seiner Familie bis 1981 in Bambamarca.
Das Ende
Ende 1988 wurde der Despertar nach insgesamt 700 Ausgaben endgültig eingestellt. In den letzten Jahren konnte das wöchentliche Erscheinen nicht mehr aufrechterhalten werden. Eine der Gründe für die Einstellung des Despertar war das Aufkommen kleinerer Radiosender auf dem Land. Zeitweise gab es mehr als dreißig Radiosender mit Reichweite in Bambamarca. Einige Mitarbeiter des Despertar sahen darin eine Möglichkeit, direkter und aktueller zu informieren. Das Radio erschien als das Medium der Zukunft. Hauptsächlicher Grund für das Ende von Despertar war aber die sich langsam verflüchtigende Bereitschaft der peruanischen Pfarrer der Pfarrei, Despertar zu unterstützen. In der Partnergemeinde in Dortmund wurde das Ende von Despertar eher am Rande wahrgenommen.
Selbst Bischof Dammert und seine Mitarbeiter in Cajamarca unternahmen keine allzu auffälligen Anstrengungen, um Despertar aus der Krise zu helfen. Im November 1989 erschien in den „Informationen aus Cajamarca“ eine Meldung von fünf Zeilen: „Die Pfarrzeitung von Bambamarca, El Despertar, hat ihr Erscheinen eingestellt, weil die Herstellungskosten zu hoch und der Vertrieb zu aufwendig waren. Die Information der Campesinos kann aber täglich durch kleine örtliche Sender erfolgen. Unsere Redaktion bedauert, dass ihr für die „Informationen aus Cajamarca“ die kleinen, oft so aufschlussreichen Mitteilungen über das Alltagsgeschehen der Campesinos fehlen“ (28). In einem Brief schrieben darauf hin die Verantwortlichen des Despertar am 31. 1. 1986 nach Dortmund (an Pfr. Alfons Wiegel, unterschrieben u.a. auch von Candelario Cruzado) und baten - wie immer sehr indirekt - um finanzielle Unterstützung. Doch dieser Brief und ähnliche Hinweise konnten in Dortmund nicht richtig gedeutet werden - es fehlte eine entsprechende „Übersetzung“ (Orientierung).
So wie das Jahr 1972 eine Zäsur in der pastoralen Entwicklung in der Pfarrei Bambamarca darstellte, so auch das Jahr 1988. Denn als Ende 1988 drei junge Pfarrer von Bischof Dammert nach Bambamarca geschickt wurden, begannen die internen Auseinandersetzungen in der Pfarrleitung. Nur einer der drei neuen Pfarrer gewann das Vertrauen der Campesinos und setzte sich für sie ein. In Bambamarca selbst wurde das Archiv des Despertar als Altlast beseitigt. Die ehemaligen Mitarbeiter der Pfarrei haben es versäumt (besser: man konnte sich nicht vorstellen, dass dies notwendig sein sollte), die Materialien und noch vorhandene Ausgaben des Despertar in Sicherheit zu bringen. Das Pfarrhaus ist den ehemaligen Machern des Despertar und den „alten“ Katecheten heute nicht mehr zugänglich. Selbst die Schwestern des „Hl. Herzen Jesu“ hatten keinen Zutritt in den Teil des Pfarrhauses, in dem die Pfarrer wohnen und wo einst auch die Räume des Despertar und andere Versammlungsräume waren (29).
Der kirchliche Rahmen, in dem Despertar entstand und sich bewegte, war eine Kirche mit einer eindeutigen Option. Fundamente dieser Kirche waren die Bibel, das Zeugnis der ersten Christen und die kirchlichen Dokumente wie das Zweite Vatikanische Konzil, Medellín und die Dokumente der peruanischen Bischofskonferenzen aus den siebziger Jahren. Dieser Rahmen hat heute in der Diözese Cajamarca keine Gültigkeit mehr. Was für so viele Menschen der Grund ihrer Hoffnung war, wird heute von Bischof Simón und den Pfarrern von Bambamarca je nach Belieben als pure Sozialromantik, als Ablenkung vom eigentlichen Ziel, als Klassenkampf oder als Kampf gegen die Kirche diffamiert.
Die Option der gegenwärtigen Kirche von Cajamarca und Bambamarca ist eine Option für die Stadt in ihrer spanisch und vorkonziliar geprägten Tradition. Es ist eine Option für die Besitzer der Goldminen von Cajamarca, eine Option gegen die Mehrheit des Volkes, gegen die Armen Jahwes und gegen die „Hirten auf dem Felde“. Sie knüpft an die Tradition an, wie sie von 1532 bis 1962 geherrscht hat. Die Beseitigung des Archivs des Despertar ist ein Symbol dafür: Die Stimme der Campesinos wird nicht nur zum Schweigen gebracht, sie selbst werden ausgesperrt und „entsorgt“.
Die Kirche mit Poncho und Sombrero in Bambamarca hat dagegen die biblische Botschaft von der Gerechtigkeit und von der Befreiung als Maßstab ihres Handelns genommen und damit gezeigt, dass die konkrete Utopie des Reiches Gottes in dieser Welt - ansatzweise - Fleisch und Blut werden kann. Es ist möglich, den herrschenden Mächten Freiräume abzugewinnen, in denen geschichtlich und konkret für die Armen erfahrbar wird, dass Gott tatsächlich Mensch geworden ist, dass er mit ihnen leidet, sie begleitet und ihnen den Weg in das Gelobte Land weist. Die Stimme der Campesinos ist nicht verstummt, man muss nur lernen, sie anders und auf anderen Wegen zu hören. Die Campesinos in Bambamarca haben erfahren, dass trotz einer Unterdrückung und Leidensgeschichte von über 400 Jahren das Kreuz als Zeichen der Auferstehung über Bambamarca errichtet wurde - und dort steht es noch heute.
Anmerkungen
(1) Eigene Mitschrift, 1999. Juan Medcalf war der Gründer der Bibliotecas rurales (vgl. im Sammelband „Die globale Verantwortung“ den Artikel „Bibliotecas rurales, S. 67 - 76). Er arbeitete mehr als zehn Jahre in der Di-özese Cajamarca, von 1972 - 1974 war er in Bambamarca. Dort hatten die Landbibliotheken ihren Ursprung und von dort aus verbreiteten sie sich über die gesamte Diözese. Diese Bewegung ist bis heute neben der Ronda diejenige Errungenschaft einer befreienden Pastoral, die nahezu unbeschadet und in voller Stärke ihre ursprüngliche Linie fortsetzen kann. Juan Medcalf besuchte 1999 Cajamarca und anlässlich des Besuches (und als Dank und Ehrung) wurde eine Versammlung der Delegierten einberufen. Ich wurde zu diesem Treffen und dem abschließenden Gottesdienst eigens eingeladen, es waren auch mir gut bekannte Katecheten aus Bambamarca gekommen. Juan Medcalf wollte Bischof Simón einen Höflichkeitsbesuch abstatten, doch der Bischof hat ihn nicht empfangen.
(2) Die bisher umfangreichsten Studien zur ursprünglichen Bevölkerungszahl in Peru werden von G. Gutiérrez in „Gott oder das Gold“ zitiert (S. 10). Danach lebten in Peru vor der Eroberung etwa neun Millionen Menschen. 1570 war die Bevölkerung auf eine Million geschrumpft. Noch gravierender war das Ausmaß dieser Katastrophe in Mexiko, wo die Bevölkerung von 25 Millionen auf eine Million (1605) dezimiert wurde (Todorov: Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt 1985, S. 161). Gutiérrez nennt die hauptsächlichen Gründe: „Man weiß um die drei Gründe für den Rückgang der Bevölkerung: Krankheiten, gegen welche die In- dianer nicht immunisiert waren (wie z.B. Pocken, Masern und Typhus), Kriege und Zwangsarbeit. Doch handelt es sich dabei nicht um voneinander unabhängige, sondern um sich wechselseitig verstärkende Faktoren“. Gutiérrez, Gustavo: Gott oder das Gold - Der befreiende Weg des Bartolomé de las Casas. Freiburg i. Br. : Herder, 1990. S. 10, 11. Ich möchte noch einen Grund hinzufügen: die Zerstörung der Landwirtschaft, der Lebensgrundlage.
(3) Eine meiner Aufgaben in Bambamarca war die Mitarbeit im Despertar und die Betreuung der Redakteure.
(4) „Informationen aus Cajamarca“, Nr. 3; Februar 1974. Archiv St. Martin, Dortmund. Eine komplette Sammlung aller Nummern des Despertar wurde im März 2002 im Archiv des Bischofshauses von Cajamarca entdeckt. In Bambamarca selbst wurden alle Exemplare im Pfarrhaus vernichtet. Miguel Garnett bestätigte mir im Dezember 2003, dass die Liste der Exemplare noch komplett sei. Auch in der Bibliothek des IBC ist eine Sammlung der Ausgaben des Despertar erhalten und zugänglich (letzte Bestätigung im Dezember 2003), auch wenn die Schriften der Bibliothek nicht zentral registriert sind. Ich konnte zudem über verschiedene Quellen bis auf wenige Ausnahmen alle Nummern des Despertar in meinen Besitz bringen. In den „Informationen aus Cajamarca“ der Gemeinde St. Martin, Dortmund, wurden stets wichtige Nachrichten und Artikel des Despertar übersetzt und veröffentlicht (gesammelt im Archiv St. Martin, Dortmund).
(5) Deutschen Lesern mag es verwunderlich erscheinen, dass ein „Pfarrblatt“ eine so große Bedeutung erlangen konnte. Mehr noch: aus einem Pfarrblatt entwickelte sich ein Glaubensbuch aus dem Herzen des Volkes heraus.
(6) Knecht, W.: „Die Wehklagen derer, die leiden, lassen mich nicht ruhen“. In: Meier, Johannes (Hrsg.): „Die Armen zuerst! - Zwölf Lebensbilder lateinamerikanischer Bischöfe“. Mainz, 1999. S. 101.
(7) 12. Februar 1972, Despertar Nr. 1. (Erste Ausgabe des Despertar).
(8) Manolo Sevillano. Interview von Peter Wingert mit R. Eichenlaub und M. Sevillano, vom 7. 2. 1983. Archiv St. Martin, Dortmund.
(9) Siehe dazu den Beitrag „Wach auf, Campesino!“, von Leonardo Herrera im Sammelband: „Die globale Verantwortung“, S. 77 - 86. Darin schreibt Leonardo, Sohn von Tomás Herrera, über seine Mitarbeit im Despertar.
(10) Despertar Nr. 1
(11) Informationen aus Cajamarca, Nr. 24, Juli 1981. Archiv St. Martin, Dortmund.
(12) Despertar Nr. 1. Bereits 1964 entstand die erste Kooperative der Campesinos mit dem Namen „El Salvador“. Sie war über 25 Jahre ein wichtiger Faktor in der sozialpastoralen Arbeit der Pfarrei Bambamarca. Neptalí Vásquez war der erste Präsident, später wurde diese Kooperative auf die ganze Pfarrei ausgedehnt und ausschließlich von Campesinos verwaltet und geleitet. Der Hauptzweck der Kooperative bestand darin, im Einkauf und Verkauf den Zwischenhandel in Bambamarca zu umgehen. Als die Kooperative vom Evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“ auch noch einen LKW bekam, war der Erfolg sofort sichtbar. Nun konnten die Campesinos ihre eigenen Produkte mit dem Lkw an die Küste auf den Markt bringen und erzielten dort einen 10- bis 15-mal höheren Preis als vorher in Bambamarca. Gleichzeitig kauften sie entsprechend billiger die Produkte ein, die sie für den Alltag benötigten - Öl, Salz, Zucker, Düngemittel und Pflanzenschutz, Geräte und Werkzeuge.
Es lässt sich leicht ausrechnen, wie groß vorher die Ausbeutung war und was diese Kooperative sowohl für die Campesinos als auch für die Händler in der Stadt Bambamarca bedeutete. Innerhalb eines weiteren Jahres gab es bereits 40 „Tambos comunales“ auf dem Land als Umschlagplatz, Sammel- und Verkaufsstelle der zu handelnden Produkte. Jede Campesinofamilie konnte Mitglied werden. Als Beitrag wurde verlangt, dass sich jeder zu freiwilliger Mitarbeit verpflichtet. Die Tambos wurden oft zu allgemeinen Zentren der jeweiligen Comunidad. Viermal wurde ein Anschlag auf den LKW verübt. Mitglieder der Genossenschaft wurden öfter verhaftet, die Kooperative erst in den achtziger Jahren gesetzlich anerkannt. Mitte der achtziger Jahre kam es zum Zusammenbruch der Kooperative. Gründe: Staatliche Schikanen (Steuergesetze etc.) und Verhaftungen; Pfarrer und andere Hauptamtliche standen nicht mehr voll hinter der Kooperative; persönliches Versagen (Bereicherung) einiger weniger Mitglieder der Kooperative.
(13) Despertar Nr. 1.
(14) Das IER (Institut zur ländlichen Erziehung) spielte eine wichtige Rolle von 1963 - 1972. Die Zentren des IER waren in Baños del Inca und San Luis. Es hatte die Aufgabe, den Campesinos eine ganzheitliche Bildung zu ermöglichen, ausgehend von einer Verbesserung der Landwirtschaft und Gesundheit. Der erste Leiter des IER war Alfonso Castañeda. Finanziert wurde es mit Mitteln des BMZ, in Zusammenarbeit mit Misereor.
(15) Diese Heilige Allianz erlebt in diesen Tagen eine Neuauflage in einer anderer und viel bedrohlicheren Besetzung: Ein Weltkonzern und der Bischof von Cajamarca stellen sich zusammen mit den üblichen Protagonisten mit aller Macht gegen die Campesinos. Auch hier geht es unter dem Deckmantel der Rechtgläubigkeit um handfeste wirtschaftliche Interessen, u.a. um die Wasserrechte für die Campesinos bzw. für die Mine.
(16) Despertar Nr. 6, 16. 7. 1972.
(17) Ebd. Direkt unter diesem Artikel ist eine Meldung über die Nachbardiözese Chiclayo platziert, die besagt, dass der dortige Bischof, Monseñor Obregoso, damals oberste Autorität des Opus Dei in Peru, alle Messen in seiner Diözese verbietet, die von Laien mit vorbereitet wurden. Das gleiche Verbot gilt seit 1997 auch in der Pfarrei Bambamarca, die von zwei Priestern geleitet wird, die aus dem Seminar des Opus in Chiclayo kommen und gerade deswegen nach Bambamarca beordert wurden.
(18) Das Muster, wirtschaftliche Interessen und damit verbundene Ungerechtigkeiten hinter religiösen Motiven zu verstecken, ist auch ein Muster, das für die Rechtfertigung der globalen Wirtschaftsordnung gilt (besonders für die „Nord-Süd-Beziehungen“). Die gegenwärtige Bush-Administration hat zumindest den Vorteil, diese Muster leichter erkennen zu lassen und ist daher ehrlicher. Jede Kritik oder Ablehnung dieses Musters und seiner entsprechenden Dogmen gilt als Abfall vom wahren Glauben. Gleichzeitig wird an diesem Beispiel deutlich, dass auf dem globalen Marktplatz nur die Regeln gelten sollen, die von den Mächtigen aufgestellt wurden. Schließen sich die Opfer zusammen und fordern gleiche Rechte, werden sie bekämpft.
(19) Despertar Nr. 33. 12. 8. 1973.
(20) Diese Handlung ist von einer - unfreiwillig - tiefen Symbolik: Wenn Menschen ihre Taufe auf den Namen Jesus Christus ernst nehmen, zumal bisher ausgegrenzte Menschen, dann müssen sie im Namen der herrschenden Religion aus dem Weg geräumt werden, um Platz zu schaffen für die Garanten (Heiligen) der herrschenden Religion. Die Campesinos verstanden die Zerstörung des Taufbeckens so, auch deshalb, weil an diesem Taufbecken seit 1969 ein Campesino, vom Bischof beauftragt, die Taufe spendete. Analoge Vorgehensweisen sind bei Bischof Simón zu beobachten, der sogar einen von seinem Vorgänger geweihten Altar aus einer Kirche (Baños del Inca) entfernen und auf eine Schutthalde werfen ließ, weil er von Campesinos gestiftet und bearbeitet worden - also unwürdig - war. (Übrigens auch ein klarer Verstoß gegen das Kirchenrecht, aber bei Bedarf steht ein Bischof über dem ansonsten absoluten Kirchenrecht).
(21) Despertar Nr. 57. 13. 1. 1974.
(22) „Informationen aus Cajamarca“, Nr. 5, Juni 1974. Archiv St. Martin, Dortmund. Diese Informationen waren zusammengestellt aus dem Despertar Nr. 73 und Nr. 74 und aus Briefen der betroffenen Priester.
(23) Despertar Nr. 75. 9. Juni 1974.
(24) Despertar im Exil, in: „Informationen aus Cajamarca“ Nr. 18, Juni 1978. Archiv St. Martin, Dortmund. Der Bericht stammt von Valentín Mejía: „Indio, tiefgläubiger aktiver Christ in einer der Basisgemeinschaften der Diözese: Gewählter Sprecher der christlichen Landarbeitergewerkschaft; Mitarbeiter an einer Zeitschrift sowie dem Rundfunksender der Gemeinschaft. Häufig bedroht, unter Vorwänden verhaftet, misshandelt. Einmal, kurz vor Ostern 1983, ohne jeden Vorwand. Protestierende Augenzeugen seiner brutalen Verschleppung wurden beschossen. Später kreuzigten die Polizisten ihn. Er wurde nicht angenagelt. Aber an Händen und Füßen an ein Kreuz gefesselt, das sie danach aufrichteten. Valentín Mejía: ‚...sie fesselten mich mit Stricken und schleiften mich so bis zum Kommissariat. Dann kreuzigten sie mich an einem Fahnenmast, und sie verhöhnten mich, und schlugen und sagten: ‚So sterben Terroristen!’ Und sie legten ihre Gewehre auf mich an... Und sie sagten: ‚Wo sind denn die Priester? Sollen sie dich doch verteidigen! Terrorist!’.“ Auszug aus: Radio Bremen. Sendung von Rosemarie Bollinger am 23. 3. 1985: „Vom Mut, eine Theologie der Befreiung zu leben“ - Der Bischof von Cajamarca/Peru im Gespräch.
(25) Despertar im Exil. Archiv St. Martin, Dortmund.
(26) Ebd.
(27) Brief Dammerts vom 3. 8. 1978 an die Partnergemeinde in Dortmund. Archiv St. Martin, Dortmund.
(28) „Informationen aus Cajamarca“ Nr. 48, November 1989. Archiv St. Martin, Dortmund. Die genannten Gründe sind banal. Im Vergleich zu den monatlichen Aufwendungen von Dortmund für Bambamarca handelt es sich um verschwindend kleine Beträge, die ohne Mühe hätten aufgebracht werden können. Die wahren Gründe liegen auf einer anderen Ebene (s.u.). Die fünfzeilige Meldung weist auch daraufhin hin, welchen Stellenwert der Despertar in der Partnerschaft für die Partnergemeinde in Dortmund hatte. Notwendige Kurse für die Weiterbildung der meist jungen Redakteure wurden nicht mehr organisiert, weil angeblich kein Geld da war. Vor allem wurde nicht die theologische Dimension gesehen, die noch nicht einmal erwähnt wird. Ein direkter Dialog mit den Redakteuren und Herausgebern lag außerhalb der Vorstellungsmöglichkeiten von Dortmund. Vor allem jüngere Campesinos kamen kaum zu Wort bzw. sie wurden nicht gefragt.
(29) Auf Anordnung von Bischof Simón wurde die Verbindungstür zugemauert, weil laut Kirchenrecht die Priester „nicht in Versuchungen geführt werden dürfen“ (so die Begründung des Bischofs). Seit 1999 ist die Verbindung zwischen den inzwischen ausgewechselten Schwestern wieder bestens, die eingewechselten Schwestern arbeiten nun mit den Pfarrern zusammen. Und die Verbindungstür ist wieder offen - trotz demselben Kirchenrecht, das wenige Jahre zuvor noch gültig war. Ich selbst lebte von 1977 bis Anfang 1979 bei den Schwestern, selbstverständlich getrennt durch die offene Tür. Danach wohnte ich in der "Asistencia", dem zentralen Kurszentrum der Pfarrei am Rande der Stadt Bambamarca. Der neue Pfarrer Jorge Lopez zog ins Pfarrhaus ein und wollte und konnte so "ungestört " seinen Geschäften nachgehen.