Theologie und Globalisierung  - die Herausforderung einer Option für die Armen

Einleitung für die Studie über die Aufbrüche der Kirche in Peru in der Folge des Konzils und die "Verwicklung" deutscher Partnergemeinden in diese Prozesse.

Auf der einen Seite steht der Glaube an die Unfehlbarkeit des von allen Fesseln befreiten Marktes mit seinen Tod bringenden Folgen für die Mehrheit der Menschen und für die Erde als Schöpfung Gottes. Auf der anderen Seite steht der biblische Glaube an den Gott Abrahams und Jesu, der sein Volk gerade aus dieser Sklaverei herausführen will. Die Frage nach Gott ist daher die zentrale Herausforderung an die Kirche bzw. der Kirche an die Welt.  Die Campesinos von Bambamarca, bedroht von der größten Goldgesellschaft der Welt, die ihnen das Wasser abgraben will und sie von ihrem Land vertreibt, protestierten gegen die Minengesellschaft vor dem Bischofspalast (und gegen den Bischof) u.a. mit folgendem Spruchband: „Herr Bischof, entscheide dich: verehrst du den wahren Gott oder das Gold der Mine?“ Auch die Kirche insgesamt steht wie der Bischof von Cajamarca und wie jeder einzelne Christ vor der entscheidenden Frage, an wen sie letztlich (in ihrer Praxis) ihr Herz hängt - an den Gott des Lebens oder an Mammon, den Gott, der zum Tode führt.

1. Entstehungsgeschichte der Studie

Die Studie ist zuerst eine Reaktion auf die Not deutscher Partnergemeinden aufgrund des Bischofwechsels in der Diözese Cajamarca Ende 1992. Deutsche Partnergemeinden, die sowohl mit Bischof Dammert als auch mit peruanischen Pfarrgemeinden und christlichen Gruppen bis 1992 vertrauensvolle Beziehungen aufbauen konnten, sahen ihre Zusammenarbeit mit den Partnern in Peru durch den Bischofswechsel empfindlich gestört und in Gefahr. Dies bedeutete nicht nur für die deutschen Partnergemeinden einen herben Rückschlag. Vor allem die Partnergruppen in der Diözese Cajamarca, in der Regel Campesinos und andere Gruppen „am Rande“, erlebten den Bischofswechsel als einen radikalen Wandel - von einer Option mit den Armen hin zu einem (erneuten) Ausschluss der Armen.

Die Partnergruppen in Deutschland einigten sich darauf, angesichts dieser Herausforderung enger als bisher zusammenarbeiten. Eine Studie sollte helfen, die Hintergründe und Konsequenzen dieser Geschehnisse besser zu verstehen und sie sollte beitragen, angemessen auf die neue Situation reagieren zu können. Im Grunde geht es um das Selbstverständnis der Kirche als Volk Gottes angesichts zunehmender Verelendung und einer immer aggressiver sich auswirkenden Globalisierung (aus finanzpolitisch-wirtschaftlicher Perspektive auf der Basis eines „totalen“ Marktes). Die vorliegende Arbeit versteht sich daher als einen Beitrag zu Ekklesiologie (z.B. die Katholizität der Kirche Jesu) aus der Perspektive der Armen, den Opfer dieser Art und Weise von Globalisierung.

Sie geht über die anfängliche Intention hinaus bzw. stellt diese in einen notwendigen Kontext. Es geht in dieser Studie nicht darum, einen einzelnen Bischof (sei es Dammert oder Simón) als Person herauszugreifen. Es gab schon immer mehr oder wenige „Gute Hirten“ und dies wird auch in Zukunft so sein. Deutsche und peruanische Partnergruppen haben die nun einmal so oder so gegebenen Verhältnissen als Realität ernst zu nehmen. Vielmehr soll gerade gezeigt werden, dass es nicht zuerst um einzelne Bischöfe (oder Pfarrer) geht, sondern um das Volk Gottes auf seinem Weg aus der Sklaverei in das verheißene Land. Es wird sich zeigen müssen, ob die gegenwärtigen kirchlichen Strukturen, die hervorgegangen sind aus indigenen europäischen Traditionen und Normen, und dann als universell gültiger Maßstab „ex catedra“ festgelegt wurden und werden, dem Volk Gottes auf seinem Weg behilflich oder eher hinderlich sind.

Bischof Dammert, seit dem 19. März 1962 Bischof von Cajamarca, musste am 10. 12. 1992 in Cajamarca das Bischofsamt seinem Nachfolger übergeben. In den ersten Tagen des Monats Januar 1993 erhielten einige deutsche Gemeinden, die schon vor vielen Jahren eine Gemeindepartnerschaft mit einer Gemeinde in der Diözese Cajamarca geschlossen hatten, einen Brief von Angel Francisco Simón Piorno, dem neu ernannten Apostolischen Administrator von Cajamarca und Bischof von Chachapoyas, einen Brief. In dem Brief stellte er sich nicht näher vor, er ging auch nicht auf die Partnerschaftsbeziehungen ein, sondern er teilte mit, dass die deutschen Gemeinden ab sofort alle Spenden für ihre Partnergemeinden an ein zentrales Konto in Deutschland überweisen sollten, das er auf seinen Namen bei Adveniat eingerichtet hatte (1). 

Dieser Brief rief Verwunderung hervor. Die betreffenden Gemeinden hatten bisher die Spendengelder entweder direkt an ihre Partnergemeinden oder über Vertrauensleute an die Partnergruppen überwiesen. Keine deutsche Gemeinde war zunächst bereit, dem Wunsch des Bischofs zu folgen. Bischof Simón hatte eine (unvollständige) Liste der Partnerschaften von seinem Vorgänger erhalten. Auch ein Schreiben von Bischof Dammert, in dem er kommentarlos die Kontonummer des neu eingerichteten Kontos (bei Adveniat in Essen) weitergab, vermochte die Skepsis der deutschen Gemeinden nicht zu mildern.

In den folgenden Monaten mehrten sich die Hinweise, dass mit der Ablösung Bischof Dammerts und der Berufung des Bischofs der Nachbardiözese Chachapoyas zum Administrator der Diözese Cajamarca ein drastischer Richtungswechsel verbunden war, dessen Folgen zuerst die verantwortlichen Laien der Diözese und vor allem die Campesinos von Bambamarca erleiden mussten. Zwar hatte Bischof Simón wiederholt und öffentlich versichert, dass er die Diözese im Sinne Bischof Dammerts weiterführen würde, aber alle getroffenen Maßnahmen deuteten auf das Gegenteil hin.

Auch in Gesprächen und im Briefwechsel über das Verständnis von Partnerschaft zeigten sich immer deutlicher gravierende Unterschiede zwischen dem, wie die deutschen Gemeinden Partnerschaft verstanden und dem, was Bischof Simón darunter verstand. Die Verunsicherung deutscher Gemeinden wurde noch gesteigert durch das veränderte Verhalten der Pfarrer in den meisten Partnergemeinden, die nun mehrheitlich von der in den letzten dreißig Jahren geleisteten pastoralen und  sozialen Arbeit in der Diözese Cajamarca abrückten und ihre Hoffnung auf den neuen Bischof setzten.

Im Mai1993 besuchte Bischof Simón Deutschland. Als seine größte Sorge stellte er heraus, dass er seine Priester nicht ausreichend bezahlen konnte. Einige deutsche Gemeinden hatten die weitere Unterstützung einiger Priester in Frage gestellt, weil dies gegenüber den Spendern nicht mehr zu verantworten gewesen wäre (2). Während des Besuches kam es zu zwei Treffen mit deutschen Gemeinden in der Erzdiözese Freiburg bzw. bei Adveniat in Essen. Bischof Simón rückte von seiner Forderung ab, alle Gelder auf sein Konto zu überweisen. Alle deutschen Gruppen erklärten ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Bischof, verbunden mit der Hoffnung, dass nach einigen Anlaufschwierigkeiten die bisher geleistete Arbeit weitergeführt werden könnte und das gegenseitige Verständnis von Partnerschaft sich vertiefen möge.

Im Laufe des Sommers kam es zu einigen Besuchen deutscher Partnergruppen in Cajamarca und auch zu neuen Gesprächen mit dem Bischof. Alle Gespräche verliefen enttäuschend. Waren die erwähnten Treffen in Deutschland in Anwesenheit von Verantwortlichen von Adveniat und der Erzdiözese Freiburg noch von Hoffnung geprägt, so erfuhren nun die Besucher, dass sowohl der Bischof selbst als auch die betroffenen Partnerschaftsgruppen vor Ort von einer veränderten Pastoral mit völlig neuen Schwerpunkten sprachen und dass es zu ersten Entlassungen verantwortlicher Laien (alle bewährte Mitarbeiter Bischof Dammerts und auch Vertraute der Partnerschaftsgruppen) und zu Schließungen wichtiger Kurszentren, speziell für die Landpastoral, gekommen war. In einem vom Bischof veranlassten Pastoralplan für die kommenden fünf Jahre (1993-98) wird der radikale Kurswechsel dokumentiert (3).

Dieser Wechsel zeigt sich vor allem darin, dass die meisten bisherigen Katecheten „entmachtet“ werden, dass die Bibel keine Rolle mehr spielt, dass statt dessen der neue weltweite römische Katechismus als alleinige Quelle der Pastoralarbeit (bzw. der Indoktrination - Auswendiglernen - der kirchlichen Lehre) eingeführt wird und dass die bisher in der Diözese gemachten Erfahrungen einer befreienden Pastoral (vor allem auf dem Land) nicht nur keine Rolle mehr spielen sollen, sondern als „nicht kirchlich“ (weil „nur sozial“) zu gelten haben.

Am 27.8.1995 kam es vor allem auf Initiative der Partnergemeinden Herzogenaurach, Dortmund und Tettnang zu einem ersten Cajamarcatreffen in Ulm, St. Georg. Acht Partnergemeinden nahmen daran teil. Allgemein wurde festgestellt, dass die Verhältnisse in Cajamarca sich immer mehr zuspitzten und dass dies natürlich auch enorme Auswirkungen auf die eigene Partnerschaft hat. Die acht Partnergemeinden berichten aus authentischen Quellen von den Veränderungen in den Partnergemeinden zu Ungunsten der Armen und der bisherigen vertrauten Ansprechpartnern.

Als Vorhaben, wie man auf die neue Situation reagieren könnte wurden genannt (laut Protokoll): „Gruppen und Einzelpersonen schreiben an Adveniat und andere Schlüsselstellen (Erzdiözese Freiburg, eigene Diözese ...) um auf die derzeitige Situation in Cajamarca aufmerksam zu machen und um ihre Sorge über den Abbruch der lange gewachsenen Sozialpastoral auszudrücken. Neben dem Schließen des Priesterseminar, dem Ende der Laienausbildung (insbesondere für Landkatecheten) und dem Entfernen von Laien aus verantwortlichen Posten, sollten auch Beziehungssorgen der jeweiligen Gruppen aus ihrer konkreten Partnerarbeit genannt werden“.

Auf einzelne Briefe an Adveniat erhielten die Gruppen bzw. Einzelpersonen in der Folge entweder keine Antwort oder den Rat, doch mehr Vertauen in die Arbeit des neuen Bischofs zu haben. Mit einer solchen Auskunft wollten sich die Gruppen nicht zufrieden geben. Es wurde angedacht, eine Studie in Auftrag zu geben, die „30 Jahre Pastoralarbeit in Cajamarca und ihre Folgen“ wissenschaftlich untersuchen sollte. Vorerst war die Gruppe von Herzogenaurach dafür als Ansprechpartner beauftragt.  

1996 kam es zu dem zweiten geplanten Treffen an dem nun zehn Partnergemeinden teilnahmen. Als Hauptproblem in den Partnergemeinden stellt sich heraus, an wen die Partnerschaftsgelder geschickt werden sollen (z. B. auch direkt an die Gruppen?).  Zur wissenschaftlichen Studie (laut Protokoll): „Prof. Klinger (Würzburg) und Prof. Fuchs (Bamberg) wären zur Mitarbeit bereit. Die Studie wird von den Teilnehmern des Cajamarcatreffens als exemplarische Darstellung der Aufbrüche nach dem II. Vatikanum für dringend und wichtig angesehen“. Einzelne Teilnehmer berichteten von ihren negativen Erfahrungen mit kirchlichen Institutionen, als sie diese auf die Problematik in Cajamarca angesprochen und um Vermittlung gebeten hatten.

Am 27.9.1997 fand das dritte Cajamarcatreffen mit nun zwölf  Gruppen statt. Zum ersten Mal stand neben den aktuellen Berichten aus allen Gruppen die zukünftige Studie im Mittelpunkt des Treffens (s.u.). Inhaltlich gab es über die Entwicklung in der Diözese Cajamarca neben den schon erwähnten Tendenzen und bereits geschaffenen Fakten wenig neues zu berichten. Zwei Schlaglichter aus Briefen der Partner (Protokoll): „In einem Brief schreibt Pfarrer Victorino (Tembladera), dass Bischof Simón auf dem Frühjahrstreffen des Diözesanklerus bekannt gegeben hat, dass alle Pfarreien sich von nun ab selbst finanzieren müssen, auch was den Haushalt und das Gehalt des Priesters angeht. Allerdings erhalten Pfarreien, die sich gut mit Bischof Simón stellen, großzügige finanzielle Unterstützung“.

Die Gemeinde St. Georg, Ulm, legt einen Entwurf für einen gemeinsamen Brief an Adveniat vor, in dem die Lage in Cajamarca dargestellt und Adveniat um einen Gesprächstermin gebeten wird. Der Brief wird im Plenum diskutiert, inhaltlich korrigiert und mit der Zustimmung aller Anwesenden verabschiedet. Die anwesenden Gruppen unterstützen den Brief, die nicht anwesenden Gemeinden werden nachträglich informiert und ebenfalls um Zustimmung gebeten, was auch geschieht. In dem Brief an Adveniat im Namen aller 15 deutschen Partnergemeinden geht es vor allem um folgende Fragen:

Wie verhält sich Adveniat angesichts der Zweckentfremdung mehrerer von Adveniat finanzierter diözesaner Einrichtungen, wie ist das den Spendern zu vermitteln, wie stellt sich Adveniat zur „Entmachtung“ bzw. Absetzung bewährter Katecheten, wo doch Adveniat gerade die Förderung von Katecheten und einer einheimischen Kirche in ihren Spendenaufrufen hervorhebt und wie verhält sich Adveniat zur Weigerung des Bischofs, für seine Priester zu sorgen, obwohl der Bischof laut Kirchenrecht dazu verpflichtet ist?

Zwischen dem 2. und 3. Cajamarcatreffen (1996 - 1997) gab es in Herzogenaurach mehrere informative Treffen einer Arbeitsgruppe um die Möglichkeiten und Inhalte einer Studie zu diskutieren. Dabei zeigte sich bald, dass eine solche Studie nur dann die Chance einer Verwirklichung hat, wenn sie von einem hauptamtlichen Mitarbeiter professionell konzipiert und koordiniert wird. Als wesentliches Hindernis zeigte sich die Frage der Finanzierung. Das Instituto Bartolomé de Las Casas und Bischof Dammert hatten bereits an Gemeinden, Institutionen und Diözesen in Deutschland mit der Bitte um Finanzierung ihres peruanischen Anteils geschrieben.

Denn inzwischen hatte auch das Instituto Bartolomé de Las Casas (damaliger Leiter Gustavo Gutiérrez) in Lima großes Interesse an der Studie gezeigt und (u.a.) die Erzdiözese Freiburg stellte 5.000 DM für die Arbeit Lima bereit. Für die Finanzierung der deutschen Koordinationsstelle aber sah es zuerst sehr schlecht aus. Durch die Initiative des Pfarrers von Herzogenaurach kam es zu einem Gespräch der Arbeitsgruppe in Herzogenaurach (u.a. mit Prof. Klinger) mit der Diözese Bamberg, die sich daraufhin bereit erklärte, ein Drittel der Finanzierung der Personalstelle für zwei Jahre zu übernehmen und bei der Suche nach weiteren Finanzgebern mitzuhelfen. Die Diözesen Eichstätt und Würzburg erklärten sich dann auch zur Mitarbeit bereit. Die Diözese Rottenburg - Stuttgart konnte sich aus formalen Gründen nicht zu einer Unterstützung entschließen (kein Etat für „universitäre Studien“ etc.).

Auf dem 3. Cajamarcatreffen 1997 konnte dann schon die Studie angekündigt und im Entwurf vorgestellt werden. Auf dem Treffen waren als Gäste auch Prof. Klinger, Prof. Fuchs und Pater Schmidpeter (Geschäftsführer des Referates Weltkirche der  Diözese Eichstätt) anwesend. Da in den folgenden Protokollaussagen die Anliegen der Studie skizzenhaft umrissen werden, können sie hier ausführlich übernommen werden:
„Prof. Klinger aus Würzburg und Prof. Fuchs aus Bamberg stellen das Anliegen der geplanten Studie vor. Es geht um eine Evaluation der Partnerschaften, nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Partner in Cajamarca. Es geht auch darum, das, was in Cajamarca geschieht, zu dokumentieren.

Es besteht dort immer noch ein Stadt-Land-Konflikt; Fragen der Frauenarbeit, der Rondas, zur Rechtslage, zu den bestehenden Landkatecheten usw., können eine Herausforderung für die Gruppen in Deutschland sein. Die Gruppen hier haben sich durch ihre Partnerschaften in die Verhältnisse in Cajamarca eingemischt und können sich jetzt nicht herausziehen. Der Arbeitstitel der Studie, die von den Diözesen Bamberg, Eichstätt und Würzburg mit insgesamt 200.000 DM finanziert wird, lautet ‚30 Jahre Pastoralarbeit in Cajamarca’. Es handelt sich hierbei um eine vergleichende Studie im Hinblick auf die Partnerschaftsverbindungen Deutschland - Cajamarca. Es soll die Lage bei den Partnern hier und in Cajamarca dargestellt werden, es geht um die Art der Verbindungen, die bestehen und um mögliche Perspektiven für die Zukunft. Der Wechsel im Amt des Bischofs (Bischof Simón als Nachfolger Dammerts) ist nur ein äußerer Anlass.

Der Bruch zwischen der Ära Dammert und seinem Nachfolger hat auch einen gesamtkirchlichen Hintergrund (Kurswechsel in Rom: Verrechtlichung, Klerikalisierung). Dies hat Konsequenzen für die Arbeit der Partnerschaftsgruppen in Deutschland. Die Initiative hier (diese Studie) wird als pastorale Aktivität eingestuft, da sie die Kirche und ihr Selbstverständnis betrifft; sie betrifft den Konflikt zwischen der alten und der neuen Linie der Kirche. Der Bruch hat darüber hinaus einen weltpolitischen Hintergrund, da die westliche Dominanz nach dem Wegfall des Kommunismus einhergeht mit wirtschaftlicher Ausbeutung und neoliberalen Wirtschaftssystemen in den Ländern Südamerikas. Die Globalisierung hat ebenfalls Einfluss auf die Wirtschaft der betroffenen Länder.

Für die Durchführung der Studie wurde Willi Knecht für zwei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der theologischen Fakultät der Universität Würzburg freigestellt. Das Instituto Bartolomé de Las Casas in Lima hat bereits eine Befragung durchgeführt. Es wurden 60 Einzelpersonen, die in Cajamarca arbeiten, befragt. Die Studie ist ein Pilotprojekt, das die Partnerschaftsarbeit hinterfragen und neu gestalten soll. Dazu ist die Mitarbeit der Gruppen in Deutschland gefragt. Die Studie hat zum Ziel, Richtlinien für die Partnerschaftsarbeit zu erstellen, mehr Zielgenauigkeit für die weitere Arbeit zu erreichen, die Partnerschaftsarbeit besser zu koordinieren und durchführen zu helfen. Die Studie will die Erfahrungen aus den Partnerschaftsgruppen sammeln, diese auswerten, die Ergebnisse gesamtkirchlich einordnen und die Ergebnisse veröffentlichen“.

Es geht ferner um eine Dokumentation der Ära Dammert und um die Dokumentation ihrer Auswirkungen. Die Studie ist als eine Art Scheinwerfer zu verstehen, die Vorgänge in Cajamarca werden unter einem bestimmten Aspekt beleuchtet. Die Studie kann Lernfeld sein für die Kontakte zwischen Innen und Außen, zwischen den Partnerschaftsgruppen hier und den Partnern in Peru. Es geht um die Lernfähigkeit auf beiden Seiten, um eine „natürliche Diakoniefähigkeit“. Prof. Klinger: „Das Spezifische an der Studie ist der Basisbezug, da die Beteiligten selbst zu ihrer Partnerschaftsarbeit befragt werden.

Für die Studie ist die Person Bischof Dammerts unverzichtbar, weil er die nötigen Kontakte herstellen konnte und eine zentrale Person im Instituto Bartolomé de Las Casas ist. Das Konzept des 2. Vatikanischen Konzils steht im Mittelpunkt, dieses Konzept ist natürlich an bestimmte Personen gebunden. In der Studie geht es jedoch nicht vorrangig um die Person Dammert. Die Studie soll für beide Länder, Deutschland und Peru, Modellcharakter haben. So hatte z.B. der frühere Ansatz der Partnerschaftsarbeit bestimmte Arbeitsschwerpunkte, welche Arbeitsschwerpunkte weist der jetzige Ansatz auf? Es soll eine Bewertung beider Ansätze stattfinden. Die Geschehnisse in Cajamarca (auch wirtschaftlicher Art z. B. durch die Goldminen) führen zu politischen, wirtschaftlichen und pastoralen Umwälzungen. Die Personen Dammert und Simón stehen jeweils für eine bestimmte Richtung. Wie ist die Einstellung der deutschen Kirche zu den Vorgängen in Cajamarca (exemplarisch zu Vorgängen ähnlicher Art weltweit)“?
Im weiteren Verlauf des Treffens wird ein Entwurf des Fragebogens an die Gruppen verteilt und von den Gruppen korrigiert bzw. ergänzt. Alle Gruppen erklären sich zur Mitarbeit und Zusammenarbeit bereit. Der Koordinator der Studie wird mit der Arbeit beauftragt, die Arbeit kann beginnen.

2. Das Anliegen der Studie

Auf den Cajamarcatreffen kristallisierte sich heraus, dass sich die deutschen Partnergruppen auf ein gemeinsames Anliegen verständigen konnten, auch deshalb, weil der Ausgangspunkt eine konkrete „Notsituation“ und die Zielsetzung - erhalten oder gar Vertiefung der Partnerschaft - damit ebenfalls vorgezeichnet war. Als gemeinsames Fundament der Partnergruppen kann der folgende Text gelten, der allen Partnergruppen im Herbst 1997 von mir vorgelegt wurde und dem alle inhaltlich zustimmten (dies war auch die Voraussetzung dafür, dass alle an der Befragung teilnahmen). Der Text stellt in der Form einer gemeinsamen Erklärung eine Zusammenfassung der bisher angestellten Überlegungen dar:

Bereits während und besonders nach dem 2. Vat. Konzil kam es sowohl in Deutschland als auch vor allem in Lateinamerika zu einem großen Schub an Erneuerung, der gerade den Armen neue Perspektiven und Hoffnungen eröffnete. In den entsprechenden Bischofsdokumenten wurde gar von einem Neuanfang gesprochen, von einer Bekehrung der Kirche hin zum Volk Gottes. In der Tat führte dies dazu, dass Millionen von Menschen sich erstmals als Kinder Gottes fühlen durften, ausgestattet mit einer unvergleichlichen Würde, mit elementaren Grundrechten usw. Und sie erlebten oft erstmals eine Kirche, die voll auf ihrer Seite stand. Schließlich erfuhren sie sich selbst als Kirche, als Gemeinschaft von Geschwistern und eng verbunden mit ihren Hirten und Jesus Christus selbst.

Diese Entwicklung ist nicht denkbar ohne die Impulse visionärer Bischöfe, vieler Priester und Ordensleute, die sich mit dem Volk Gottes auf den Weg machten. Es ist wohl ein besonderes Geschenk, dass auch die deutsche Kirche daran Anteil haben durfte - nicht nur durch die Bereitstellung finanzieller Mittel. Viele deutsche Gemeinden suchten und fanden Kontakt und ließen sich „anstecken“, was sich in der Folge nicht nur an der erhöhten Spendenfreudigkeit ablesen ließ.

Im Kontakt mit vielen Gemeinden hier und in Peru erleben wir nun aber Verunsicherung und gar Angst vor der Zukunft. Dies mag verschiedene Ursachen haben: wenig „Nachwuchs“ in unseren Gemeinden und engagierten Gruppen; das Gefühl, allein gelassen zu werden (mangelnde Orientierung vor Ort) ...u.v.m. Auch in den peruanischen Gemeinden ist vielerorts die Begeisterung der Aufbruchszeit vorbei, was natürlich auch verschiedene Gründe hat, die es wahrzunehmen und zu respektieren gilt.

Angesichts dieser Situation (die zumindest von der Basis so gesehen wird), wollen wir nun mit unserer Studie zu einer Dokumentation des Aufbruchs (Ursprünge, Motive, damalige Zielsetzungen, Wege, Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge) beitragen. Wir wollen an sehr konkreten Beispielen festhalten, was, wie, warum, für wen und mit wem etwas geschah. Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern es geht darum, die vielen positiven Erfahrungen in die Zukunft hinüber zu retten. Im Kontakt mit vielen Campesinos haben wir erfahren, dass sie es vor allem sind, die nicht vergessen (werden) wollen und die immer noch die Hoffnung haben, dass sie als Kirche auf dem richtigen Weg waren und diesen Weg zusammen mit den Bischöfen und ihren Pfarrern weitergehen wollen.

Deutsche Gemeinden, die das Glück haben, mit solchen Menschen im Austausch zu stehen, können dadurch selbst viel Kraft und Hoffnung schöpfen, erfahren sie doch hautnah, dass ihre Partner trotz objektiv viel größerer Probleme, durch ihren Glauben bestärkt, optimistischer in die Zukunft sehen. Ein wesentliches Anliegen der Studie ist es daher auch, Gemeinden in ihrem Bestreben zu unterstützen, über das rein Finanzielle hinaus, wahrhafte Partner und so lebendige, missionarische Gemeinde hier bei uns zu werden.
Am Beispiel der Entwicklung in der Diözese Cajamarca sollen sowohl die Aufbrüche, Erfolge und Schwierigkeiten, als auch die Beziehungen mit der deutschen Kirche exemplarisch untersucht werden. Cajamarca ist dafür bestens geeignet (s.u.).

Die Studie hat folgende Zielsetzungen:

  • Ausgehend vom 2. Vatikanischen Konzil sollen die Aufbrüche der Kirche am Beispiel der Diözese Cajamarca dokumentiert werden (exemplarisch im Kontext der peruanischen Kirche und der Weltkirche).
  • Das „Verwickeltsein“ der deutschen Kirche in diese Aufbrüche, wechselseitige Impulse, Rolle der Hilfswerke, Entstehen von Partnerschaften, deren Herausforderungen usw.
  • Die meist partnerschaftlichen Beziehungen bilden das Fundament einer wahrhaft universellen Kirche. Die Studie soll das begründen und dokumentieren.

Den organisatorischen und institutionellen Rahmen für die Studie bilden die Lehrstühle für Kath. Theologie in Würzburg (Prof. Dr. Elmar Klinger, Fundamentaltheologie), in Bamberg (Prof. Dr. Ottmar Fuchs, Pastoraltheologie) sowie das „Instituto Bartolomé de Las Casas“, Lima in Zusammenarbeit mit der Kath. Universität Lima. Der Mitarbeit der fünfzehn Pfarrgemeinden in Deutschland und ihren jeweiligen Partnergemeinden in Cajamarca ist konstitutiv. Die Studie ist daher nicht zuerst „universitär“. Hier wie dort werden Gemeinden befragt, begleitet, motiviert. Dazu werden Archive ausgewertet (Briefwechsel etc.), ebenso die entsprechenden Dokumente der Kirche. Erfolge und Misserfolge der Partnerarbeit sollen analysiert werden und nicht zuletzt soll am Ende auch eine Art Orientierungs- und Handlungsrahmen für Partnerschaften entstehen.

Alle befragten Partnergemeinden (vertreten durch ihre Partnerschaftsgruppen bzw. die Ausschüsse MEF) betonen, dass sie vor allem drei Ziele verfolgen:

  1. Sie wollen zuerst den am meisten Bedürftigen in ihren jeweiligen Partnergemeinden helfen und sie wünschen sich möglichst direkte Kontakte mit diesen Partnern.
  2. Sie wollen sich dafür einsetzen, dass es zu einem echten Dialog und Austausch kommt, weil man hofft (und konkrete Erfahrungen wurden schon gemacht), dass der lebendige Glaube der Armen auch unseren Gemeinden hilft, das Evangelium immer wieder neu zu entdecken und aus dem Glauben heraus unser Leben als Gemeinde zu gestalten.
  3. Diese Gemeinden wünschen sich übereinstimmend eine Kirche, in der Laien mehr Verantwortung übernehmen, die sich den Problemen dieser Zeit zuwendet und versucht, im Lichte des Evangeliums den Menschen in ihren Problemen eine Orientierung zu bieten. In diesen drei Zielen fühlen sie sich unterstützt und getragen von den entsprechenden Beschlüssen vieler Diözesansynoden, den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils und vor allem von dem Glaubenszeugnis ihrer Partner, die trotz allem Elends sich nicht „unterkriegen“ lassen und aus dem Glauben heraus die Kraft finden, sich für eine bessere und gerechtere Welt einzusetzen. Wichtige Fragen für die Zukunft: die Rolle der Laien, wer und was ist Kirche? ... etc. kommen zur Sprache.

Gemeinsame Aussage der deutschen Gemeinden: ‚Im Kontakt mit vielen Campesinos haben wir erfahren, dass sie es vor allem sind, die nicht vergessen (werden) wollen und die überzeugt sind, dass sie als Kirche auf dem richtigen Weg sind und die diesen Weg zusammen mit den Bischöfen und ihren Pfarrern weitergehen wollen’. Doch was tun, wenn manche Hirten diesen Weg nicht mitgehen wollen? Die Erfahrung zeigt, dass dies so eintreten kann. Die Betroffenen in Cajamarca haben immer wieder den Bischof eingeladen, sie möchten nicht von ihren Hirten verlassen werden - doch ohne Erfolg. Wie verhalten sich angesichts einer solchen Situation die deutschen Partnergemeinden? In langen Diskussionen, in Gesprächen mit dem Bischof, Priestern und den Gruppen in den Partnergemeinden kamen sie zu folgendem Ergebnis:

Wir dürfen in Gottes Namen unsere Partner, d.h. die vielen Gruppen in den Partnergemeinden, die das Fundament der jeweiligen Gemeinde sind, nicht auch noch im Stich lassen. Sie sind unsere Partner, sie sind Gemeinde, sie sind die Kirche vor Ort, weil sie im Geiste Jesu das Evangelium verkünden, indem sie wie ‚Brüder und Schwestern’ zusammenleben und ihr tägliches Brot (ihre Sorgen, Ängste und Hoffnungen) mit einander teilen. Sie sind es, die Jesus der Christus vorrangig - nicht ausschließlich - zum gemeinsamen Mahl des Lebens einlädt. Im Kontakt mit solchen Gemeinden (im Brot-Teilen) sind und werden wir wahrhaft katholische Kirche (4).

3. Schwerpunkte der Studie

Die Studie hat drei demzufolge Schwerpunkte (5):

  1. Die Diözese Cajamarca (und Bambamarca als deren Pilotprojekt) Titel des bereits fertigen ersten Teils: „Das Evangelium von Bambamarca“
  2. Auf dem Weg zu einer weltweiten Gemeinschaft: Die Rolle und der Anteil der Deutschen (von den ersten Entwicklungshelfern bis hin zu Partnerschaften)  Titel des zweiten Teils: „Gemeinsam auf dem Weg“  (in Arbeit)
  3. Der globale Kontext (die Götzen des Todes und der Gott des Lebens) als Herausforderung an die Kirche und die Gemeinden als jeweilige Kirche vor Ort.  

a) Die Diözese Cajamarca

Während bisherige Forschungsarbeiten zu diesem Thema eher „in die Breite“ gingen, wird hier an einem ausgewählten Punkt möglichst tief gebohrt. Dabei werden in einem solchen Längsschnitt viele Schichten sichtbar. Die Partnerschaftsarbeit (und Projektunterstützung, Entwicklungshilfe) der deutschen Kirche mit einer ausgewählten Region der „Dritten Welt“ und deren Folgen für die Empfänger und die Geber wird am Beispiel der Diözese Cajamarca aufgezeigt. Cajamarca eignet sich für diese Untersuchung in besonderer Weise. Wie in einem Brennglas zeigen sich an diesem einem Ort Probleme und Chancen der „Einen Welt“. Die Region Cajamarca ist nicht nur eine der ärmsten Zonen Lateinamerikas, sondern sie war auch Schauplatz der ersten Konfrontation zwischen Europa und Südamerika, zwischen Christentum und andiner Kultur. Deren Auswirkungen lassen sich bis heute konkretisieren.

So sehen sich heute deutsche Partnergruppen in ihrer Partnerschaftsarbeit direkt damit konfrontiert (u.a. Rolle der Goldminen - In Cajamarca werden heute die ertragreichsten Goldminen der Welt, im Besitz von Ausländern, ausgebeutet). Zudem besitzt die Diözese Cajamarca internationales Ansehen, verkörpert durch Bischof Dammert, von 1962 - 1992 Bischof von Cajamarca. In seiner Diözese begann er bereits 1962 mit einer wegweisenden Sozialpastoral. Diese Arbeit wurde auch in Deutschland bekannt. Die Sozialpastoral und Kirche in Cajamarca gilt zusammen mit der in Recife (Helder Camara) und Riobamba (Leonidas Proaño) als Modell einer einheimischen (inkulturierten) Kirche auf der Seite der Armen. Werke aus Cajamarca wurden auch in Deutschland übersetzt (z.B. Vamos Caminando, Bambamarca). J. Klaiber bezeichnet die sozialpastorale Arbeit in der Diözese Cajamarca als das beste Beispiel in Peru für die Umsetzung der Beschlüsse und vor allem des Geistes des Zweiten Vatikanischen Konzils.6 Als charakteristisches Merkmal der Erneuerungen des Konzils gilt die Umgestaltung der Kirche in das Volk Gottes, das sich im Kontext von Geschichte und Gegenwart  auf dem Weg zu einer umfassenden (integralen) Erlösung und Befreiung befindet.

Nach der Vorstellung der Diözese Cajamarca und deren Menschen wird die Sozialpastoral von Bischof Dammert herausgearbeitet. Die gesellschaftliche und pastorale Ausgangsposition und deren Deutung im Lichte des Evangeliums stehen dabei im Mittelpunkt. Aufgrund einer solchen Analyse und Deutung ergeben sich konkrete Konsequenzen und bestimmte Handlungsweisen. Diese Merkmale lassen sich am besten am Beispiel der Gemeinde Bambamarca aufzeigen, dem Pilotprojekt von Bischof Dammert. Auf dem Hintergrund der ersten Evangelisierung (16. Jahrhundert) und der zweiten Evangelisierung (seit 1962) wird der Weg der Campesinos auf dem „Weg aus der Gefangenschaft in die Befreiung“ (in Anlehnung an den Titel der deutschen Übersetzung von „Vamos Caminando“) nachgezeichnet.

Die Evangelisierung und die damit verbundenen Aufbrüche in Bambamarca führten zu einem neuen Verständnis von Gott und Kirche, der Welt und von sich selbst. Die sozialen und politischen Auswirkungen dieses neuen Selbstverständnisses zeigen sich in dem Entstehen von Genossenschaften, in demokratischer Selbstverwaltung der Gemeinden (Comunidades), in Basisbewegungen, Frauengruppen, Informationswesen (u.a. eigene Zeitung und Schulen), etc.  Diese Entwicklung, deren Ursachen, Motive, Schwierigkeiten und Erfolge ist Gegenstand der Untersuchung und einer (andeutungsweise) vergleichenden Würdigung.

Auch die Campesinobewegungen und Frauengruppen von Cajamarca (speziell Bambamarca), haben für diese Untersuchung ihre Mitarbeit zugesagt, weil es - wie sie selbst bezeugen - auch in ihrem Interesse liegt, ihre eigene Geschichte zu kennen, sie sich anzueignen und sie weiterzuerzählen. Durch individuelle Befragungen, Fragebogen und Zusammentragen von eigenen Materialien kommen hier die „Betroffenen“ (sonst trotz bester Absichten von Theologen meist Objekte) authentisch zu Wort. Den Abschluss zu diesem ersten Teil der Studie bildet der „Kreuzweg von Bambamarca“, in der Interpretation eines Campesinos, des Katecheten José Espíritu. In diesem Kreuzweg wird der „Geist einer erneuerten Kirche Jesu“ spürbar. Er zeigt exemplarisch in 14 Stationen den Weg des Volkes Gottes nach.

b) Die Rolle der Deutschen

In diesem Prozess der Befreiung in Cajamarca spielen Deutsche, deren Gelder, Kontakte und Mitarbeit eine wesentliche Rolle. Diese Mitarbeit wird analysiert, ebenso die eventuellen Rückwirkungen dieser Kontakte nach Deutschland. Die Anfänge sowohl deutscher Kontakte mit der peruanischen Kirche (die Kontakte nach Cajamarca sind diesbezüglich die ersten direkten deutschen Kontakte) als auch die sozialen und kirchlichen Aufbrüche seit 1962 werden untersucht.

Die Rolle der Deutschen kann anhand einiger konkreter Beispiele aufgezeigt werden. Die Mitarbeit der meisten (18 von 21) ehemaligen deutschen Entwicklungshelfer und Priester in Cajamarca seit 1962 konnte dafür gewonnen werden. Ebenso haben die drei größten Hilfswerke der deutschen katholischen Kirche (Misereor, Adveniat, Caritas) ihre Mitarbeit und Hilfestellung angeboten bzw. ihre Archive dafür geöffnet. Es können und sollen Rückschlüsse auf die Motive der Deutschen, auf ihre Zielvorstellungen, deren (Nicht-) Realisierung, auf die Schwierigkeiten, Kommunikationsprobleme, Möglichkeiten und Grad der Inkulturation, ihre Akzeptanz bei den „Einheimischen“ usw. gezogen werden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen ihre Anteile an den in den vorhergehenden Abschnitten aufgezeigten Prozessen.

Nicht nur wegen der Bandbreite (zwischen drei und dreißig Jahren) einer Mitarbeit in Cajamarca kann die Frage einer möglichen Inkulturation und eines gegenseitigen Verstehens (Grenzen und Chancen) exemplarisch gezeigt werden. Auch die Zeit nach ihrer Rückkehr nach Deutschland, ihre Mitarbeit in Partnergruppen etc. gehört dazu. Die Motive, die Bischof Dammert (und andere Peruaner) bewog, deutsche Hilfe und Mitarbeiter anzufordern, bilden einen weiteren Abschnitt dieses Kapitels. Welche Vision hatte er und warum (und wozu) brauchte er dafür eine Hilfe von „außen“? Die ersten Kontakte Bischof Dammerts nach Deutschland bis heute werden analysiert. Wie schon angedeutet, war die Mitarbeit deutscher Hilfswerke von großer Bedeutung.

In dieser Arbeit soll nicht nur die finanzielle Unterstützung der Hilfswerke genannt werden, wichtiger ist die Frage nach dem entsprechenden und sich im Laufe der Jahre veränderten ideologischen Bezugsrahmen (z.B. Lernprozesse in den Hilfswerken). Daraus ergibt sich eine Darstellung der daraus resultierenden Missverständnisse und Konflikte mit einer zusammenfassenden Wertung.  

Schließlich geht es um die bestehenden Gemeindepartnerschaften zwischen Pfarreien in Deutschland und Peru, genauer: um die Bedingung der Möglichkeit und um die Notwendigkeit solcher Partnerschaften - nicht nur aus „praktischen“, sondern aus ekklesiologischen Gründen. Alle deutschen Partnergemeinden zeigten ein Interesse an einer Untersuchung ihrer Partnerschaftsbeziehung. Aus der Kenntnis der Gruppen hier, ihrer Motive etc. und der entsprechenden (wirklichen) Situation in den peruanischen Partnergemeinden lassen sich Rückschlüsse ziehen, die als idealtypisch für jede Partnerschaftsarbeit gelten können. Exemplarisch lassen sich durch ein Verknüpfen verschiedener Hinweise (Motive, Interessen, Art der Projekte, Handlungsstränge, Besuche, Art der Kommunikation, kirchliche und gesellschaftliche Verankerung und Engagement etc.) Schwierigkeiten, Chancen, Perspektiven, Erfolge und Misserfolge einer Partnerschaft ableiten.  

Zum Abschluss dieses Schwerpunktes steht eine theologische Begründung von Partnerschaft als „Sakrament der katholischen (universalen) Kirche“. Aber auch das Problem der Einmischung und das Problem einer gemeinsamen Basis und Option, wird diskutiert. Am Beispiel von drei Gemeinden wird im Kontext real existierender Kirchlichkeit in Deutschland das Verhalten und die Reaktion auf die veränderten Bedingungen gezeigt. Dabei werden die entsprechenden Schwierigkeiten, Defizite aber auch Chancen und Perspektiven deutlich. Zugleich lassen sich in diesem Prozess grundlegende strukturelle Hindernisse und Fehlentwicklungen aufzeigen (kirchlich - pastoral, theologisch, gesellschaftlich) und neue Perspektiven andeuten. Das Verhalten der Gemeinden wird mit der Reaktion der „offiziellen“ deutschen Kirche und auch deutscher Hilfswerke in Bezug gesetzt.

Auf der Grundlage bisheriger und aktueller Erfahrungen der Armen in Cajamarca wird die gegenwärtige Situation in der Kirche von Cajamarca und deren Auswirkungen auf die Partnerschaften analysiert. Auch hier ist zu beachten, dass diese Erfahrungen nicht isoliert oder lediglich lokaler Natur sind. Die Veränderung in der Haltung der Amtskirche in Cajamarca (und vielerorts) hat sehr konkrete Auswirkungen (unvergleichlich stärker als in Deutschland) auf das alltägliche Leben der Armen (des Volkes) und für deren eigenes Selbstverständnis - und ist somit hoch politisch. Diese Veränderungen wirken sich auch massiv auf die Partnerschaftsbeziehungen aus. Wie werden deutsche Gemeinden damit konfrontiert, wie gehen sie damit um, wie nehmen sie überhaupt war etc..? Sind die Gemeinden und Gruppen auf diese Herausforderungen vorbereitet?

c) Der globale Kontext

Die Entwicklung in Cajamarca (vergleichbar mit ähnlichen Entwicklungen in ganz Amerika) „provozierte“ entsprechende Reaktionen. Dies erst recht, wenn man die Geschichte und Entwicklung in Cajamarca nicht als lokales Phänomen begreift, sondern als Teil weltweiter Entwicklungen. Sieg des Kapitalismus, Ende der Geschichte, Scheitern alternativer Möglichkeiten und jeder Utopie, Tod der Theologie der Befreiung etc. sind Schlagworte von heute. In welchem Kontext spielte sich der damalige Prozess ab (II. Vatikanisches Konzil, Bischofsversammlung in Medellín, die Revolution in Kuba, Militärdiktaturen, Entwicklungsoptimismus etc.) bzw. in welchem Verhältnis steht der damalige Prozess zu den oben genannten Schlagworten?

Hat der damalige Kontext (weltwirtschaftlich, weltpolitisch, ideologisch, kirchlich) sich so verändert, dass die damalige Entwicklung für heute (Globalisierung, Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus) keine Bedeutung hat und in welchen Zusammenhang steht dies wiederum mit einer zu beobachtenden Zentralisierung (von einigen als Globalisierung missdeutet) der römisch - katholischen Kirche? Durch die Zusammenarbeit mit einigen Partnergruppen, die sich unversehens in weltwirtschaftliche Zusammenhänge verwickelt sehen, können diese Zusammenhänge und deren Auswirkungen an konkreten Beispielen gezeigt werden. Umgekehrt sagen Campesinos (bzw. deren Aussagen werden „übersetzt“), wie ihr Leben konkret z.B. von Währungsspekulationen oder Änderungen der Kreditbedingungen und der Auslandsverschuldung abhängt.

Am Beispiel Cajamarcas lassen sich wiederum die entsprechenden Reaktionen auf eine Praxis der Befreiung (von welcher Seite, mit welchem Interesse) sowohl vor Ort, als auch national und international, ebenso die Reaktion Roms (im Zusammenwirken mit dem „Freien Westen“) aufzeigen. So gerieten nicht nur Bischof Dammert und einige seiner Mitarbeiter ins Blickfeld der römischen Kurie, sondern auch Publikationen der Campesinos, in denen sie ihren Glauben bezeugen, wurden als Beleg für Marxismus und Gewalt gedeutet (so von Kardinal Ratzinger 1979).

Es lässt sich auch exemplarisch zeigen, wie z.B. die Auseinandersetzung (akademisch und politisch) über die Theologie der Befreiung sowohl zum Vorwand theoretischer Diskussionen in Europa wurde als auch zum Vorwand (u.a. auch lokaler und nationaler Machthaber) um alle sozialen Bewegungen als Terrorismus zu diffamieren - mit den entsprechenden Konsequenzen für die Armen und ohne diese authentisch zu Wort kommen zu lassen oder sie zu hören (hören zu können).

Neben dem weltkirchlichen Kontext (und um den besser verstehen zu können) werden noch einmal einige zentrale Anliegen von Bischof Dammert aufgeführt, die bisher nicht explizit behandelt wurden. Dazu gehören die Themenkreise: Kirche (Glaube) und Politik, kirchliche Strukturen (z.B. seine Kontakte zu Rom), Priesterbild.

Im letzten Punkt der gesamten Arbeit geht es um eine Art Zusammenfassung. Diese Zusammenfassung auf der Basis konkreter Ergebnisse sollte zum Ausgangspunkt weitergehender Überlegungen werden, zum Anstoßpunkt, um sowohl theologisch als auch gesellschaftlich über bestehende Blockaden hinweg zu denken und gar Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dabei geht es um Fragen wie: Wer, was und wie ist Kirche heute und in Zukunft? Welche Rolle und Chance hat sie in der Gesellschaft? Römische - oder (evangelische und) katholische Kirche? Option der Kirche innerhalb einer immer globaler werdenden Welt (Solidarität mit den Ausgegrenzten der Globalisierung); Fragen nach der bestehenden Kirchenstruktur, z.B. einer dringend notwendigen institutionellen Verankerung einer „Option für die Armen“.

Die Fragen werden im Spannungsfeld von „reich und arm“ behandelt. Es ist eine Deutung der gegenwärtigen Welt (Wirtschaft und Politik) mit den Augen derer, die (systembedingt) unter die Räuber gefallen sind. Dabei stehen sich das „Evangelium des freien Marktes“ und das „Evangelium von Bambamarca“ als nicht mit einander zu vereinbarende Pole gegenüber. Es ist die Frage nach Gott, nach welchem Gott: Gott oder das Gold - Ausgangspunkt und Endpunkt treffen hier zusammen und führen nach Cajamarca zurück: Wer ist dein Gott?

4. Vergleichbare Arbeiten zum Thema

Die methodische Besonderheit der Studie ist einerseits die Feldforschung in Peru, sowie Befragungen aller Mitglieder der deutschen Partnergruppen. Das gesamte Archiv von Bischof Dammert steht im Instituto Bartolomé de Las Casas zur Verfügung, ebenso vertrauliche Dokumente in seinem Privatbesitz (in seiner Wohnung). Es wurden Fragebögen zur Tätigkeit der Gruppen erarbeitet und Interviews zum Pastoralplan von Bischof Dammert geführt. Ein erstes Ergebnis wurde 2001 in dem Sammelband „Die globale Verantwortung - Partnerschaft zwischen Pfarreien in Deutschland und in Peru“ vorgestellt. Wesentliche Artikel des Sammelbandes wurden aus dem zweiten Teil „Auf dem Weg zu einer weltweiten Gemeinschaft“ herausgenommen, bearbeitet und bereits vorveröffentlicht (7).

Die bisherige Forschung in Deutschland geht über allgemeine Feststellungen zum Thema nicht hinaus. Sie hat ein Augenmerk auf internationales Lernen und betont die Kontextualität der Entwicklungszusammenarbeit. Die bisherigen Arbeiten basieren nicht auf einer internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Einzelne Studien sind:

Gabriel, Karl u.a. 1998: Handeln in der Weltgesellschaft. Christliche Dritte-Welt-Gruppen. Hg. von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für Weltkirchliche Aufgaben der Dt.  Bischofskonferenz. Bonn : Zentralstelle Weltkirche der Dt. Bischofskonferenz
Piepel,  Klaus 1993: Lerngemeinschaft Weltkirche. Lernprozesse in Partnerschaften zwischen Christen der Ersten und der Dritten Welt. Aachen: Misereor (Misereor - Dialog 9)
Zwingmann, Wolfgang 1992: Partnerschaft mit Peru.Pastorale Chancen und Aufbruch zum Zeugnis.  Zwingmann, Wolfgang 1992:Partnerschaftlicher Dialog mit Peru.Freiburg: Erzbischöfliches Ordinariat Zwingmann, Wolfgang 1992: Brief an unsere Partnergemeinden in Peru.Freiburg: Erzbischöfliches Ordinariat (Freiburger Texte) Sayer, Josef 1996: Mit den Augen der anderen sehen. Freiburg: Erzbischöfliches Ordinariat (Freiburger Texte Nr. 24)

In Peru selbst gibt es eine Magisterarbeit in Anthropologie (eingereicht im Oktober 1998 an der Päpstlichen Katholischen Universität Peru) über die Pastoralarbeit in Bambamarca. Alberto Osorio, Pfarrer in Bambamarca von 1981 - 1989, schrieb eine Synthesis der sozialpastoralen Arbeit in Bambamarca: „Dreißig Jahre pastorale Veränderungen in Bambamarca: 1963 - 1993“ (Lima 1998, nicht veröffentlicht). Eine Thesis von John Gitlitz (auf englisch, spanische Übersetzung als Zusammenfassung auf 20 Seiten) behandelt aus der Sicht der Pfarrer die ersten zwanzig Jahre der Pastoralarbeit in Bambamarca: „Zwanzig Jahre pastorale Erfahrungen - eine Option für die Armen in Bambamarca“. (Verlag Martínez Compañón, Cajamarca 1996). Von Miguel Garnett, einem englischer Priester im Dienst der Diözese Cajamarca, stammt eine kleine Schrift über Bischof Dammert, geschrieben aus Anlass zu dessen Abschied: „Don Pepe“ (Verlag Martínez Compañón, Cajamarca 1993). Zum „Silbernen Bischofsjubiläum“ von Bischof Dammert im Jahre 1983 erschien eine Festschrift mit dem Titel: „25 Jahre im Dienst der Kirche“, eine Auswahl von Texten von und über Bischof Dammert (Verlag CEP, Lima 1983).

Mit dem Untertitel „Die Wehklagen derer, die leiden, lassen mich nicht ruhen“ erschien zum Abschied von Bischof Dammert eine Würdigung der Arbeit und der Person von Bischof Dammert: „Homenaje - Zeugnisse und Reflexionen“, zusammengestellt unter der Federführung von Alois Eichenlaub und Mónica Buse und herausgegeben im von Alois Eichenlaub gegründeten Verlag Martínez Compañón. Der Untertitel dieser Würdigung diente dann auch als Thema und Titel eines Artikels über Bischof Dammert im Sammelband „Die Armen zuerst! - 12 Lebensbilder lateinamerikanischer Bischöfe“, von Willi Knecht und herausgegeben von Joh. Meier im Matthias-Grünewald-Verlag, 1999 (in Erinnerung und zum Gedenken an 30 Jahre Medellín).  Über einen Teilaspekt der Situation in Cajamarca schrieb Rolando Estela, Pfarrer in Bambamarca von 1981 - 1988, seine Diplomarbeit in Pastoral und Katechese: „Die Verehrung der Heiligen in Cajamarca“, (Lumen vitae, Brüssel 1966, nicht veröffentlicht). Von Rolando Estela stammt auch eine Schrift über die Rondas von Bambamarca: “Reconózcase a las rondas campesinas…”. Experiencia de Rondas en Bambamarca. SER, Lima 1987.

Die Hauptarbeit über Arbeit und Wirken von Bischof Dammert in Cajamarca entstand im Rahmen und als Ergebnis dieser Studie. Luís Mujica, Koordinator der Studie in Peru und Mitarbeiter des Instituto Bartolomé de Las Casas legte im Juli 2000 seine Arbeit mit dem programmatischen Titel „Poncho y Sombrero, Alforja y Bastón”8 vor. Bischof Dammert selbst suchte Luís Mujica für diese Arbeit aus und verschaffte ihm Zugang zu allen vorhandenen Quellen (die gleichen Quellen stehen auch mir zur Verfügung, Überschneidungen ergeben sich von daher zwangsläufig).

Ähnliche Arbeiten über einzelne Pfarreien und Diözesen sind in Peru äußerst selten oder gar unbekannt. Stephen Judd untersucht in einer Studie (Diplomarbeit) das pastorale Modell im Hochland Südperus. (The emergent Andean Chuch: inculturation and liberation in Southern Peru, 1968-1986. Berkeley, California 1987). Die Pastoral in der Kirche des Surandino ist noch am ehesten mit der Pastoral in Cajamarca vergleichbar (bis 1992). Ebenfalls mit der Pastoral im Surandino, diesmal in einer einzelnen Diözese, Sicuani, befasst sich die Arbeit von Franz Reider, (Hg.). „Una Iglesia en marcha con el pueblo. Prelatura de Sicuani: 40 años, 1959-1999, Prelatura de Sicuani”, CEP, Lima 1999. Nicht aufgeführt werden Arbeiten und Veröffentlichungen über einzelne Bischöfe und über Volksreligiosität im allgemeinen.

5. Zur Methode und Problematik dieser Studie

a) Eigene Verwicklung:

Ich lebte über vier Jahre, von 1977 - 1980, als „agente pastoral“ in der Pfarrei San Carlos de Bambamarca (9). Bereits Anfang 1972 wurde an der Hochschule der Jesuiten in Frankfurt - St. Georgen ein Arbeitskreis gebildet, der sich mit dem Thema „Theologie der Befreiung“ beschäftigte - noch vor der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung der gleichnamigen Arbeit von Gustavo Gutiérrez. In diesem Arbeitskreis, in dem ich von Anfang an mitwirkte, waren spanische und lateinamerikanische Jesuiten, die sich in St. Georgen zu  weiterführenden Studien aufhielten, die Wortführer. (Die Professoren Semmelroth und Grillmeier waren häufige Gäste in diesem Arbeitskreis und forderten zu gründlicheren Überlegungen heraus).

Die Entwicklung in der Diözese Cajamarca lernte ich über die Brüder Eichenlaub kennen, die aus dem gleichen Dorf wie ich stammen (Herxheim in der Pfalz). Damals waren beide als Priester in Cajamarca bzw. Bambamarca tätig. Vor allem die Entstehung von „Vamos Caminando“ und die Bemühungen um eine deutsche Übersetzung (1976) konnte ich aus der Nähe mitverfolgen. Bischof Dammert hatte ich auf seinen Besuchen in Deutschland bereits kennen gelernt. Als ich ihn fragte, ob ich nicht auch in Cajamarca mitarbeiten könnte, war er einverstanden und so konnte ich im Auftrag der Diözese Speyer nach Peru ausreisen. Meine Heimatdiözese Speyer hatte sehr entgegenkommend und unkonventionell auf meinen Wunsch reagiert (insbesondere Weihbischof  Ernst Gutting).

Nach meiner Rückkehr 1980 nach Deutschland (Ulm) verstand ich meine ehrenamtliche Arbeit (hauptberuflich war dies nicht möglich) als eine direkte Weiterführung der bisherigen Arbeiten, nur diesmal auf der anderen Seite des Globus, aber im Rahmen derselben weltwirtschaftlichen und kirchlichen Bedingungen. Aus diesem Engagement ist die Partnerschaft der Gemeinde St. Georg, Ulm mit der Gemeinde San Pedro in Cajamarca hervorgegangen. Die Entwicklung dieser Partnerschaft wird im 2. Teil der Studie exemplarisch beschrieben (siehe auch im bereits vorgelegten Sammelband). Aufgrund dieser Partnerschaft (und wegen meiner Ehe seit 1980 mit einer „Cajamarquina“, einer damaligen Mitarbeiterin von Bischof Dammert), war ich in den achtziger Jahren jedes Jahr für mehrere Wochen in Cajamarca und konnte die weitere Entwicklung der Diözese sehr gut beobachten - sowohl als Außenstehender als auch als „Insider“.

Selbstverständlich bin ich kein „andiner Mensch“ und die andine Religiosität und Kultur ist nicht die meine. Ich lebte aber aus der Sicht der Campesinos als „Anderer“ mitten unter ihnen und habe Kriterien und Standorte übernommen (nicht durch theoretische Aneignung, sondern durch praktisches Erleben), die es mir erlauben, bisherige europäische Formen des Lebens und Denkens nun seinerseits „von außen“ zu betrachten und zu relativieren. Auf beide Lebensformen habe ich zumindest einen gewissen Blick sowohl von außen als auch von innen. Meine Rolle sehe ich daher als die Rolle eines Übersetzers. Mit Beginn der Studie 1997 gewann die Beobachtung der Diözese Cajamarca und das „Mitgehen“ mit den Menschen von Cajamarca eine neue Qualität.

Nicht nur wegen dieser persönlichen „Vorgeschichte“, sondern auch aufgrund prinzipieller Überlegungen, hat die Studie ihre spezifischen Eigenheiten, die möglicherweise nicht in die  Raster wissenschaftlicher Theologie in Deutschland passen.

b) In den Texten soll die Glaubenserfahrung der Betroffenen durchscheinen, gewissermaßen deren Innenwelt nach außen gekehrt oder auch ins „Deutsche“ übersetzt werden. Dabei sehe ich mich durchaus selbst als ein Betroffener. Die angemessene Reaktion darauf kann kein „dogmatisches“ Besserwissen sein, sondern ein aufmerksames Wahrnehmen. Die Berichte sind ein Kommunikationsangebot, dem man nur gerecht werden kann, wenn nicht nur die eigenen Fragen eingebracht werden, d.h. nicht nur die eigene Person und Theorie im Mittelpunkt steht, sondern man auch zu hören versucht, was der andere sagen will.

Es ist eine Frage der Wahrnehmung des Anderen und des Respekts. Erst dies ermöglicht es, etwas zu erfahren, was neu ist, möglicherweise auch existentiell neu. Denn dieser „Andere“ ist nicht eine beliebige oder verfügbare Größe, sondern es sind die „Armen Jahwes“. Es geht darum, wie man von ihnen aus und auf dem Weg mit ihnen die Botschaft Jesu hört und lebt. Daraus ergibt sich eine bestimmte Deutung und eine bestimmte Praxis. Demgegenüber haben alle anderen Kriterien zurückzustehen.

Daher wird auch gemäß der biblischen Tradition eher auf Begriffe wie „Barmherzigkeit“, „Sünde“, „Solidarität“ und „Gerechtigkeit“ zurückgegriffen und weniger auf die übliche theologische Fachsprache. Zitate von (vorwiegend europäischen) Theologen spielen praktisch keine Rolle. Eine beliebige und endlose Aufzählung von Theologen mit ihren je eigenen Theorien führt bestenfalls zu einer mittelbaren Sicht (aus zweiter Hand) und Vermittlung. Vielmehr soll der Lebens- und Glaubensrealität des Volkes Gottes unmittelbar Gehör verschafft  bzw. diese sollen „ins deutsche“ übersetzt werden.

c) Wissenschaftlichkeit (im Rahmen der real existierenden Wissenschaftsbetriebe): Die skizzierte Prämisse führt notwendigerweise zum Konflikt mit einem auch in der Theologie scheinbar festzementierten Wissenschaftsbegriff, dessen Wurzeln bis über die griechische Klassik hinausreichen.10 Charakteristische Merkmale dieser griechischen Auffassung von Mensch, Welt und Gott sind (u.a.) Logik und Rationalität, die Betonung des Individuums, eine strenge Methodenlehre und die Überwindung des Mythos (als „vorwissenschaftlich“).

Als noch folgenschwerer erweist sich die daraus resultierende Klassifizierung „allen Seienden“, das man auf diese Weise glaubt, in den Griff bekommen zu haben und damit beherrschen zu können. Diese Klassifizierung drückt sich meist in Gegensatzpaaren aus: Innen- und Außenwelt, Geist und Materie, Theorie und Praxis, Gott und Welt, Gut und Böse usw. Von einem jenseits dieser Gegensatzpaare angesiedelten scheinbar „neutralen“ Standpunkt aus, meint man, die Welt entsprechend einteilen zu können. Dieser Standpunkt wird dann notwendigerweise zu einem absoluten Standpunkt, d.h. zu einem allgemein und universell gültigen Standpunkt und damit zu einem totalitären, imperialistischen Standpunkt, der gar nicht anders kann, als andere Lebensweisen als minderwertig zu klassifizieren.

Die Begründung und Rechtfertigung der Vernichtung anderer Kulturen und des Anderen (der „Barbaren“) und dann auch deren tatsächliche physische Ausrottung ist die logische Folge (auch gerade im Sinne dieser Art von Logik). In der abendländischen Geschichte erwies sich auch z.B. die Trennung von Leib und Seele, Geist und Materie, in seiner Wirkungsgeschichte als verheerend. Dies zeigt sich nicht nur bis heute in der Trennung von Pastoral (für die unverheiratete „Geistliche“ zuständig sind) und Sozial (für die - „weltliche“ und verheiratete - Laien zuständig sind) und von Diesseits und Jenseits etc., sondern auch vor allem in der Abwertung des „irdischen“ Menschen mit allen seinen konkreten Bedürfnissen wie z.B. Sexualität, Hunger und Unterdrückung, mit seinem Leiden und seinen Hoffnungen. Theologisch betrachtet kann innerhalb der abendländischen Philosophie Gott nicht wirklich Mensch werden (oder nur vermittels höchst abstrakter und komplizierter Gedankenkonstruktionen, die wiederum nur für Experten gedacht sind) und „Himmel und Erde“ werden nicht eins. So war es auch nicht möglich, dass Jesus inmitten der Campesinos von Cajamarca geboren werden konnte und daher gab es für sie auch keine Auferstehung, vielmehr unsägliches Leid und Verachtung.

Aus dem Selbstverständnis der peruanischen Basisgruppen erwächst Theologie aus der Mitte des Glaubens und einer befreienden Praxis heraus. Die Campesinos reden z.B. nicht von einer Theologie der Befreiung oder sonst einer Theologie. Sie erzählen von ihrem Glauben, von ihrem Leben und wie der Glaube ihr Leben und ihr Umfeld verändert. Die Theologie in reichen Ländern, betrieben als wissenschaftliche Disziplin, hat sich dagegen längst zu einem von den Gemeinden unabhängigen Wissenschaftsbetrieb mit eigenen Spielregeln und Marktmechanismen entwickelt, der mit dem konkreten Gemeindeleben wenig zu tun hat und der deshalb auch keine gesellschaftliche Bedeutung hat.

Theologen, deren eigenes Leben eher weniger von Umkehr (sie sind ja schon „Experten im Glauben“) und einer befreiende Praxis auf der Seite der Armen geprägt ist, erlauben sich gleichwohl, die Glaubenspraxis der Armen zu zensieren, darüber zu diskutieren, einzusortieren, Probleme aufzuwerfen und diese dann unter Ihresgleichen zu diskutieren, Fragen und Antworten hin und her zu schieben um dann nach langem Bemühen und mit möglichst vielem Zitieren aller gängigen Modetheologen, das man dann für wissenschaftlich hält, z.B. zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Eucharistie vielleicht eine soziale Verantwortung impliziert (oder auch nicht). Worauf sich dann ein Kollege berufen fühlt, dagegen oder dafür (was eigentlich egal ist) seine Bedenken zu erheben, Korrekturen anzubringen, worauf ein anderer .... Man bewegt sich permanent im Uneigentlichen und hält dies schließlich für die ganze Welt (Gott eingeschlossen).

Eine solche Theologie kreist um sich selbst und reflektiert bestenfalls von ihr selbst erfundene oder geschaffene Probleme und sie hat daher nicht die Kraft, auf die wahren Überlebensfragen der Menschheit eine angemessene Antwort zu geben bzw. sich den entsprechenden Herausforderungen zu stellen. Die Glaubenserfahrungen des Volkes Gottes werden bestenfalls zum Objekt, zu einem „Ding“ (ein System von Begriffen und Kategorien), das in das bestehende System (auch politisch?) integriert werden muss oder auch nicht. Derart beschäftigt hat man dann auch nie Zeit und hält sich entsprechend  - gestärkt durch überkommene (Macht-) Strukturen in den wissenschaftlichen Produktionsstätten - für unabkömmlich oder gar als letzte Instanz, um über die selbst aufgeworfenen Fragen oder gar über Probleme andere Menschen zu richten.

Der wissenschaftlichen Theologie ist die eigentliche Theologie, nämlich der Glaube des Volkes, der Glaube in der Gemeinde und deren Praxis, weitgehend unbekannt bzw. er ist noch nicht einmal von Interesse - höchstens als soziologisches Datenmaterial. Wie soll aber eine von der Basis abgehobene Theologie die Stimme der Armen hören können, auf die sie - eigentlich - existentiell angewiesen wäre, wollte sie christliche Theologie sein?
Unmittelbare Folge einer solchen Theologie ist wohl, dass sie in der Öffentlichkeit und selbst in den Kirchengemeinden kaum wahrgenommen wird.

In einem drastischen Bild ausgedrückt: Würden von heute auf morgen alle theologischen Fakultäten schließen müssen, kein Mensch würde es bemerken. Es scheint ihr auch eher darum zu gehen, möglichst wenig Angriffsflächen und „offene Flanken“ zu bieten, sondern sich stets nach allen Seiten abzusichern. Und es hat den Anschein, dass die meisten Theologen, quasi als Hoftheologen des Pharao, nichts anderes zu tun haben, als Überlebensnischen in diesem globalen und totalen Marktsystem zu suchen und bei den Mächtigen darum betteln, doch bitte nicht ganz vergessen zu werden bzw. sich doch der bisher erfolgreich geleisteten Dienste zu erinnern (und daher werden sie auch belohnt und z.B. in den nationalen Ethikrat berufen und sie glauben sich deswegen tatsachlich noch für unabkömmlich, obwohl sie bestenfalls noch als Hofnarren wahrgenommen werden).

d)  Auch das wissenschaftliche Prinzip einer möglichst großen Neutralität wird in dieser Arbeit in Frage gestellt. Ein überzeugter Marxist wird wie auch ein überzeugter Christ (oder Moslem etc.) jeweils das Eigene für wahr und für gut halten, als „zwingend“ überzeugend. Das ist legitim, denn sonst könnte er ja redlicherweise nicht davon und dafür leben. Wenn christliche Theologen dagegen so tun, als ob sie nicht getauft wären (und damit keine Option hätten), dann ist dies gerade - auch im Sinne des Selbstverständnisses der Campesinos - unwissenschaftlich, weil unredlich. Dies führt zu der aufgezeigten Wirkungslosigkeit, weil sie an der Wirklichkeit vorbeigeht bzw. weil sie nicht teilbare Lebens- und Existenzweisen in einzelne Sektoren zerlegt. Angesichts z.B. des tausendfachen Todes unschuldiger Kinder als direkte Auswirkung wirtschaftspolitischer Konzepte und Maßnahmen einer kleinen „Elite“ erscheint das Bestreben nach Ausgewogenheit als Perversion (11).

Bereits im Vorfeld der Studie wurde von interessierter Seite der Wert und die Ernsthaftigkeit der Studie mit dem Argument in Frage gestellt, dass ein direkt Betroffener notgedrungen parteiisch sei und daher nur einseitige Ergebnisse abliefern könne. Zwei Beispiele mögen zeigen, wie unter dem Vorwand scheinbarer Neutralität (ein objektiver Standpunkt gegenüber zwei unterschiedlichen oder entgegengesetzten Standpunkten) Tatsachen verdreht werden um die eigene Verblendung zu kaschieren. Sowohl mir selbst als auch den deutschen Partnergruppen wird von „neutralen“ deutschen Beobachtern vorgeworfen, von vorne herein eine völlig ablehnende Haltung gegenüber Bischof Simón eingenommen zu haben. Das genaue Gegenteil ist wahr.

An anderer Stelle wurde schon festgestellt (siehe u.a. im Sammelband zur Studie), dass alle Partnergruppen wie ich auch, von Anfang an den Dialog mit Bischof Simón gesucht haben, erst recht die peruanischen Partnergruppen. Doch alle Versuche mussten scheitern, weil der Bischof mit vorgefassten und ihm vorgegeben Auffassungen nach Cajamarca gekommen war, die einen Dialog unmöglich machten. Alle Partnergruppen wurden z.B. von ihm von vorneherein und ohne sie anzuhören und sich überhaupt mit dem Kontext zu befassen, als „kirchenfeindlich“ gebrandmarkt (nähere Einzelheiten im Verlauf dieser Studie und im erwähnten Sammelband). Einige deutsche Prälaten übernehmen ungeprüft diese Vorwürfe und ergreifen blind Partei für den Bischof, wohl aus dem einzigen Grund (denn sachliche Argumente spielen keine Rolle), weil der Bischof ein Bischof ist. Diese extreme Einseitigkeit wird verabsolutiert und alle anderen Positionen werden nicht nur verurteilt, sondern gar nicht mehr als dialogfähig betrachtet. Auf diese Weise versuchen sie zudem, den Konflikt zu personalisieren und damit von der notwendigen Sachdiskussion abzulenken.

Das zweite Beispiel ist mindestens genauso entlarvend. Aufgrund eines Hinweises auf die Rolle von Adveniat in der Diözese Cajamarca (im erwähnten Sammelband, Seite 207) und eines Artikels, erschienen in „imprimatur“, Heft 5&6, 2001, sah sich Adveniat genötigt, Partei für den Bischof von Cajamarca zu ergreifen, obwohl alle bekannten Tatsachen gegen Adveniat sprechen.

Eine der vielen Tatsachen: Die Auflösung des Priesterseminar war schon Ende 1992 fest beschlossen (Aussagen u.a. des Nuntius in Lima und des Apostolischen Visitators, ein Erzbischof aus Chile). Man hat aber bewusst mit der Schließung solange gewartet, bis das letzte Bauteil eingeweiht war, denn sonst hätte Adveniat möglicherweise nicht mehr weiterfinanziert. Kaum war der Bau abgeschlossen, wurde das Seminar offiziell aufgelöst (April 1995). Auch die vier Karmeliterinnen, die seither im Seminargebäude wohnen, wurden bereits vor der Schließung angeworben und ihnen wurde bereits 1993 das Gebäude zugesagt - während Adveniat (und den Seminaristen und anderen) gesagt wurde, das Seminar würde nun gestärkt und gut ausgestattet in eine neue Periode eintreten - und viele schöne Worte mehr (die Briefe liegen vor).

Selbst dieser offensichtliche Betrug kann von Adveniat nicht als solcher erkannt werden. Stattdessen attackiert man denjenigen, der aus einem tiefen Interesse an der Kirche und an Adveniat heraus, Adveniat auf diesen Betrug aufmerksam macht (Dialogangebote wurden von Adveniat im Vorfeld nicht einmal beantwortet) (12). Dieser „neutrale“ oder bestenfalls vermitteln wollende Standpunkt von Adveniat erweist sich als eine blinde Einseitigkeit unter Ausblendung der konkreten Wirklichkeit, die notfalls im Rückgriff auf „göttliche“ Wahrheiten gerechtfertigt wird. Konkret wird daraus eine Rechtfertigung von Unrecht. Damit liegt dieses Beispiel auf der skizzierten Linie einer abendländischen Logik, die unter Ausblendung des konkreten Menschen und der konkreten Wirklichkeit an abstrakten Grundprinzipien (hier: der Bischof als Nachfolger der Apostel und Vertreter des Lehramtes) festhält und den konkreten Menschen auf dem Altar dieser „göttlichen Wahrheiten“ opfert.

Diese Studie ergreift in der Tat Partei und ist daher parteiisch. Ihr liegt die biblische Option für die Armen zugrunde. Und nur wer mit den Armen an einem Tisch saß, von ihnen eingeladen wurde und mit ihnen das Brot aß (konkret: die tägliche Wassersuppe), wer in ihrer Hütte auf dem Lehmboden geschlafen hat und wer mit ihnen gefeiert und getrauert hat, kann die Armen „verstehen“. Dies ist die Voraussetzung dafür, um diese Studie unter den genannten Voraussetzungen überhaupt schreiben zu können.

e) Die Besonderheit der Studie hat ihren Grund in einem weiteren Umstand, den es zu berücksichtigen gilt. Mitarbeiter des „Instituto Bartolomé de Las Casas“ in Lima und weitere Theologen in Lima und Cajamarca haben mich ausdrücklich darum gebeten, „Dinge“ zu sagen und öffentlich zu machen, die sie selbst als Peruaner wegen der kirchenpolitischen Situation in Peru nicht sagen können oder meinen, dies nicht zu dürfen (siehe auch die Entlassung von Mitarbeitern).

Während in Deutschland jeder Theologe sagen darf (und erst recht tun), was ihm beliebt, solange er nicht den Primat des Papstes (und Lehramtes) und dessen Sexuallehre in Frage stellt, werden in Peru Theologen und kirchliche Mitarbeiter entlassen und theologische Zeitschriften verboten, weil sie sich auf die Bibel und die Dokumente der Bischöfe aus dem Zeitraum von 1962 - 1992 berufen (13).  Ein „neutraler“ Standpunkt verbietet sich allein schon von daher, denn er würde de facto eine Rechtfertigung für die Machtpolitik eines Kardinals liefern (Kardinal Cipriani, Lima),  der mit einem der größten Verbrecher in der Geschichte Perus auf engste verbunden war (wie auch Bischof Simón).

Mindestens genau so wichtig ist, dass die Campesinos von Cajamarca in diese Studie große Hoffnungen setzen und sie dies auch als „ihre“ Studie ansehen. Beim Schreiben der Texte steht immer gleichzeitig eine mögliche und dringend notwendige Übersetzung ins Spanische im Hintergrund. D.h. die Campesinos sind die vorrangigen Adressaten der Texte. Dies hat notwendigerweise einen Einfluss auf die Art und Weise des Vorgehens und der Sprache. Nicht zuletzt gilt dies auch für die deutschen Partnergruppen, in deren Auftrag ich stehe und die Ergebnisse erwarten, die sie lesen und mit denen sie sich auseinandersetzen können.

f) Der theologische und jeweils gesellschaftspolitische Standpunkt: Die „Indios“ von Cajamarca möchten mit den ihnen bekannten Partnergruppen in Deutschland ihren Glauben teilen und umgekehrt. Doch die Partner leben in getrennten Welten, besser gesagt: in völlig entgegengesetzten Wirklichkeiten innerhalb der zur einem einzigen Marktplatz gewordenen Einen Welt. Die deutschen Christen, die einzelnen Gemeindemitglieder wie die Kirche als Ganzes mit ihren Organisationen etc., sind mehr oder weniger gut funktionierende Bestandteile dieser Gesellschaft.

Die beiden Konfessionen sind als Kirchen auf regionaler und nationaler Ebene eng mit Staat und Gesellschaft verflochten. Dies zeigt sich nicht nur in der Kirchensteuer (die bekanntlich um so höher ausfällt, je höhere Gewinne die Wirtschaft erzielt), sondern auch in der Zustimmung zu den herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Gemeinde und Kirche sind nicht nur Stützen dieser Gesellschaft, sie sind diese Gesellschaft. Als Gemeinde und Teil dieser Gesellschaft sind sie Teil des dazugehörenden Wirtschaftssystems und sie haben ein existentielles Interesse an dem Erhalt und der Funktionstüchtigkeit dieses Systems, das auch ein globales System ist. Aus diesem Interesse heraus entsteht de facto eine entsprechende Option. Die Campesinos gehören hingegen nur insofern zu diesem System, als dass sie sich als vom System Ausgegrenzte erfahren. Mit anderen Worten: sie sind die Opfer eines Systems, das die Mehrheit der Christen in den reichen Ländern als alternativlos betrachtet und mit dem man sich eben arrangieren oder das man gar unterstützen muss.

In der gegenwärtigen Epoche der Globalisierung stellen sich die Verhältnisse so dar, dass die unterschiedlichen Rollen in dem Einen System so verteilt sind, dass eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit lebt. Der Kontext, in dem die überwiegende Mehrheit der Menschen in Peru und anderswo lebt, ist geprägt von zunehmender Gewalt und Verelendung. Diese Menschen begreifen aber immer mehr, dass zwischen der Situation in der sie leben und dem, was sie an Überfluss und Luxus in den Medien und der Werbung sehen, ein innerer Zusammenhang besteht. Die Regeln auf dem Marktplatz werden von einer winzigen Minderheit bestimmt und zur allein seligmachenden Lehre erklärt.

Diese als Marktmechanismen bezeichneten Regeln beanspruchen universale Geltung und Zustimmung. Sie bilden die alles bestimmende Wirklichkeit, die den gesamten Menschen in Anspruch nimmt. Wer sich diesem Anspruch entzieht wird als „Ungläubiger“ bestraft und ihm wird die Existenzberechtigung entzogen, seien es einzelne Menschen oder ganze Völker (14). 

Nun wird aber in der Theologie (auch unterschiedlicher Religionen) Gott selbst als die „alles bestimmende Wirklichkeit“ bezeichnet, als ein Gott, der diese Wirklichkeit und Welt „lenkt und leitet“. Christliche Theologen scheinen sich aber weder mit dieser Thematik noch mit dem Wesen dieser herrschenden Religion zu befassen. Mit anderen Worten: eine Beschäftigung mit den Regeln des „weltweiten Marktplatzes“ ist Theologie und sie ist notwendig. Um das Schicksal (Leben und Tod) der Menschen besonders in den armen Ländern besser verstehen zu können, ist ein Blick in die immer häufiger erscheinenden Finanzzeitschriften und den immer umfangreicher werdenden Wirtschaftsteil überregionaler Zeitungen hilfreicher, als die Lektüre frommer (weltloser) Traktate.  

Die totale Beanspruchung des Menschen durch eine als alternativlos oder als Naturgesetz sich gebende Macht scheint aber für die Theologen kein Thema zu sein.15 Die mangelnde Beachtung des wirtschaftlichen Sektors (bei gleichzeitiger Sorge um die eigene wirtschaftliche Absicherung und um wirtschaftliche Privilegien) kann als eine Folge der erwähnten Klassifizierungen (praktischer Dualismus) bezeichnet werden. In Wirklichkeit ist sie eine Verachtung gegenüber den Menschen, die weltweit ums Überleben kämpfen und deren Situation (wenn auch nicht ausschließlich) von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und konkreten einzelnen Wirtschaftsfaktoten existenziell geprägt ist.

Wenn nun die „Indios“ von Cajamarca ihren neuen Glauben mit ihren „Brüdern und Schwestern“ in Deutschland teilen wollen, entsteht ein neues Problem. Die Christen und Kirchen des Abendlandes gehen selbstverständlich davon aus, dass sie als „Kinder Abrahams“ schon immer den richtigen Glauben haben. Dieser Glaube ist ihnen gewissermaßen bereits als Säugling eingeimpft worden und nun geht es ihnen zuerst darum, diesen Glauben durch das Einhalten von Gesetzen, Riten und Kult zu bewahren.

Sie kommen daher nicht so leicht in „Versuchung“, die Worte der Propheten und vor allem von Jesus gegen die jeweils herrschende Religion auf sich selbst zu beziehen, denn sie sind ja schon „befreit“, sie brauchen nichts mehr und sie wissen schon alles und sie verwalten möglichst effektiv und im Rahmen ihrer Gesetze ihre „Talente“. Wozu umkehren, wenn man schon auf dem richtigen Weg ist? Dies gilt selbstverständlich auch (oder erst recht) für die „Hohen Priester und Schriftgelehrten“, die qua Amt sich schon im Besitz der Wahrheit glauben und die daher die radikale und grundsätzliche Kritik Jesu auf einzelne Vertreter des jüdischen Volkes abzulenken versuchen (und damit dem Antisemitismus Argumentationshilfe liefern).

Ein Glaube ohne Umkehr wird schnell zu einem Glauben ohne Verpflichtung und damit auch beliebig. Die Campesinos, von denen die Rede sein wird, haben diese Umkehr erfahren. Ihr Leben hat sich verändert, weil sie Jesus und seine Botschaft vom Reich Gottes kennen gelernt haben. Sie teilen mit Jesus seinen Glauben an das beginnende Reich Gottes, an ein Leben in Fülle und an eine gerechtere Welt, in der andere „Gesetze“ gelten. Sie haben diesen Glauben als etwas völlig Neues erfahren. Doch ihr Wort wird nicht gehört, mehr noch: im Namen des Gesetzes werden sie zu immer mehr Elend verurteilt. Eine Besonderheit der Studie besteht darin, aus der Sicht der Campesinos und von ihrem Glauben her einen Dialog mit den Christen „auf der anderen Seite des Abgrundes“ zu ermöglichen.

Willi Knecht

PS 1: Diese Studie (1997 - 2003) wurde im 1. Teil von den drei bayrischen Diözesen Bamberg, Würzburg und Eichstätt finanziert. Im 2. Teil wurde daraus ein DFG - Projekt.

PS 2: Aus dieser Studie heraus entstand meine Dissertation: Die Kirche von Cajamarca - die Herausforderung einer Option für die Armen (2004, als Buch 2005).

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Anmerkungen

(1) Der Geschäftsführer von Adveniat, Msgr. Spelthahn, antwortete darauf am 27. Februar 2002 auf dem Treffen der Fidei - Donum - Priester in Lima, dass Adveniat grundsätzlich solche „Privatkonten“ nicht führt oder verwaltet und dies auch nie tun wird.

(2) Im März 1993 hatte Bischof Simón alle Priester der Diözese Cajamarca zu einer Klausur in Chiclayo versammelt. In einem vornehmen Ambiente sagte er den Priestern, dass sich nun vieles ändern wird. Vor allem würde er dafür sorgen, dass Priester wieder respektiert würden. Sie sollten u.a. gut bezahlt werden, alle verantwortlichen Funktionen in der Diözese müssten allein von Priestern ausgeübt werden (d.h. alle Laien in leitenden Funktionen, z.B. in der Schulseelsorge wurden daraufhin entlassen) und die Priester seien auch allein für ihre Pfarrei verantwortlich (keine Mitsprache von Gruppen). Als theologische Begründung nannte er (u.a.), dass der Priester eine Mittlerrolle zwischen Gott und Menschen einnehmen würde, dorthin sei er von Gott direkt berufen worden.     

(3) Dieser Pastoralplan wurde von H. Heidenreich analysiert: „Befreiungspastoral - quo vadis? - Ortstermin Cajamarca/Peru: fast ein pastoraltheologisches Feature“; in Katechetische Blätter, 1997.

(4) Dieser Text wurde gemeinsam mit den Fragebögen im Oktober 1997 an die Gemeinden verschickt. Der gleiche Text wurde auch den deutschen Fidei - Donum - Priestern im Februar 2001 auf ihrem kontinentalen Treffen in Uruguay vorgelegt. Die deutschen Priester entschieden sich daraufhin, für ihr nächstes Treffen in Lima im Februar/März 2002 das Thema „Partnerschaft“ in den Mittelpunkt zu stellen. Dieses Thema war bisher nicht behandelt worden, obwohl praktisch alle deutschen Priester in Lateinamerika in der Praxis damit konfrontiert werden.

(5) Die vorliegende Arbeit bildet den ersten Teil der Studie mit dem Titel: „Das Evangelium von Bambamarca“ (hier unter a) Cajamarca). Im Laufe des Jahres 2002 wird der zweite Teil der Studie vorliegen: „Auf dem Weg zu einer weltweiten Gemeinschaft“. Die Realisierung des dritten Teils der Studie wird von den äußeren Gegebenheiten abhängen und hat folgenden (vorläufigen) Titel: „Der globale Kontext ... als Herausforderung an die Kirche“ (... bzw. und die Antwort des biblischen Glaubens).

(6) KLAIBER, Jeffrey. 1988 La Iglesia en el Perú, Seite 356;  PUC, Lima.

(7) Elmar Klinger, Willi Knecht, Ottmar Fuchs (Hg): „Die globale Verantwortung - Partnerschaften zwischen Pfarreien in Deutschland und in Peru“. Echter - Verlag, Würzburg 2001

(8) „Poncho und Strohhut, Satteltasche und Stock“. Diese vier Gegenstände wurden Bischof Dammert bei seiner Abschiedsmesse in Cajamarca als Abschiedsgeschenk der Campesinos auf den Altar gelegt (siehe auch den erwähnten Artikel in „Die Armen zuerst!“ Poncho und Strohhut sind die typischen Kleidungsstücke der Campesinos; die Satteltasche (meist über der Schulter gehängt) ist der ständige Begleiter der Campesinos unterwegs, ebenso ein langer Stock zur Stütze und als Schutz gegen die zahlreichen Hunde. In Lima gibt es Bemühungen, die Arbeit von Luís Mujica zu veröffentlichen, bis Ende 2001 konnte aber noch keine Finanzierung für die Drucklegung gefunden werden (Kosten etwa 7.000 Dollar). Luís Mujica verlor zum Jahresende 2001 seine Arbeit am Instituto Bartolomé de Las Casas.

(9) Zu einzelnen Aufgaben und Arbeitsschwerpunkten siehe unter Bambamarca. Meine Arbeit und die eines  „Agente pastoral“ kann man am ehesten mit der Arbeit eines Pastoralreferenten vergleichen.

(10) Selbstverständlich lässt sich diese Thematik nicht in wenigen Sätzen abhandeln - das ist auch nicht das Thema dieser Arbeit. Wichtig ist vielmehr der Hinweis darauf, dass im Kontext der andinen Kosmovision - die hier als gleichwertig vorausgesetzt wird - das europäische Verständnis von Ratio und Wissenschaftlichkeit zumindest zu relativieren ist (im übrigen gilt dies auch für  das europäische Verständnis von Demokratie und Menschenrechten - von Platon bis heute im Kontext weltwirtschaftlicher Strukturen der Macht und der Herrschaft). Die folgenden Ausführungen stellen eine Überspitzung bis hin zur Karikatur dar, die dazu dient, auf das Problem hinzuweisen. Es geht um die Darstellungen von Positionen, die Gehör beanspruchen und zum Dialog einladen bzw. die einen Dialog provozieren wollen. Diese Ausführungen lassen sich analog auch auf die (deutsche) Kirche als Institution im Rahmen und als Produkt der abendländischen Christenheit anwenden.

(11) Eine mögliche Promotion wird hier als die Gabe verstanden, die Zeichen der Zeit zu erkennen - sie zu analysieren und zu deuten. Es geht um das Erkennen des eigenen Standpunktes und Standortes. Konkret am Beispiel Cajamarca bedeutet dies, mit den „Indios“ auf dem Weg zu sein und von ihnen als solcher anerkannt und beauftragt zu sein. Promotion bedeutet im ursprünglichen Sinn, sich durch Aneignung im Dialog seinen Horizont zu erweitern und offener für den Anderen zu werden.

(12)  Der betreffende Artikel in „imprimatur“, Heft 5&6, 2001, hat den Titel: „Was man von den Christen in Peru lernen kann (II)“. Die beiden Teile des Artikels sowie den Briefwechsel mit Adveniat können auch unter der Webadresse www.cajamarca.de nachgesehen werden. Dort ist auch die öffentliche Reaktion von Adveniat und meine Antwort darauf nachzulesen (veröffentlicht in „imprimatur“, Heft 8, 2001). Auf dem Treffen der Fidei - Donum - Priester vom 27. Februar - 5.  März 2002 bei Lima, bestätigte  Msgr. Spelthahn seine Haltung und sprach der Studie jede Bedeutung ab. Zugleich sagte er, dass er sich und stellvertretend für Bischof Simón (!) bei dem Gespräch mit der Delegation aller Partnergruppen im März 1998 in Essen (es ging um die Zweckentfremdung von Spendengeldern) einer geballten Übermacht ausgesetzt sah und er schon aus diesem Grund Bischof Simón verteidigen musste, den er völlig auf sich allein gestellt den Angriffen aller deutschen Partnergruppen ausgesetzt glaubte.

(13) Das  Instituto Bartolomé de Las Casas „verlor” innerhalb der letzten zwei Jahre mehr als Hälfte seiner Mitarbeiter. Von ursprünglich 72 sind heute noch 14 Mitarbeiter im Institut tätig. Theologische Forschungen sind aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich. Es ließen sich noch viele weitere Beispiele dieser Art nennen. Diese Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit dem Amtsantritt von Kardinal Cipriani als Erzbischof von Lima bzw. zu dessen Ernennung zum Kardinal im Januar 2001.

(14) Die Auseinandersetzung mit dieser als totalitäre Religion zu bezeichnenden Lehre geschieht im 3. Teil der Studie. Die Globalisierung wird als eine bisher beispiellose Entfesselung des Kapitalismus verstanden, („zynischer bzw. nihilistischer Kapitalismus“) mit tödlichen Folgen für immer mehr Menschen und die gesamte Natur. Die gegenwärtige Globalisierung unter wirtschaftlichen und kulturellen Vorzeichen wird als direkte Folge bzw. Weiterführung der im 15. Jahrhundert begonnenen Eroberung der Welt durch das christliche Abendland verstanden. Charakteristisches (und tödliches) Merkmal dieser „Conquista“ ist die Leugnung des Anderen als Anderer und die damit einhergehende „Berechtigung“ zu dessen Ausrottung oder zu dessen Unterwerfung. Ein weitere Frage wird sein, wie oder ob aus dem Christentum eine „Religion des (jeweiligen) Imperiums“ geworden ist und wie und ob das eigentlich Christliche wiederentdeckt werden kann.

(15) Ökonomische Grundkenntnisse sind für Theologen, denen das Schicksal der Menschen etwas bedeutet, unabdingbar. Das Schicksal der Mehrheit der Menschheit wird von der Ökonomie bestimmt; sie stellt für viele Menschen eine Frage auf Leben und Tod dar. Es ist daher die Aufgabe von Theologen, sich als unfehlbar gebende Wirtschaftsmodelle und deren Verkünder als Götzen zu entlarven. Sind aber praktisch alle Theologen systembedingt „Diener eines Staates“, der durchaus in Übereinstimmung mit einer satten Mehrheit die bestehende Ordnung garantiert, dann ist zumindest die Gefahr groß, dass auch Theologie und Kirche entsprechende Mechanismen entwickeln, um ihre Position innerhalb des Systems zu rechtfertigen. Vielleicht ist gerade dies sogar die Hauptbeschäftigung dieser Art von Theologie und Kirche.

Demgegenüber steht die Aufforderung, formuliert von der afrikanischen Theologin Bernadette Mbuy Beya, Ordensfrau im Kongo und Generalsekretärin des Kreises Afrikanischer Theologinnen: „Afrika ist das Opfer eurer Globalisierung. Afrika ist abgehängt. Afrika leidet Gewalt, hungert, stirbt. Tut endlich etwas dagegen!“ (In Publik-Forum vom 25. Januar 2002 auf die Frage, was sie von westeuropäischen Christen und Theologen erwartet würde).