Zusätzliches Wachstum durch TTIP -  für wen?                                                            

Das Transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen den USA und der EU erhitzt die Gemüter. Selten gingen wegen eines Handelsabkommen so viele Bürger auf die Straße, denn sie ahnen: Hier geht es um mehr als ein bloßes Handelsabkommen. Es geht um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Es ist eine Frage nach den Werten, die uns leiten. Es geht um unser Verhältnis zu Natur und Umwelt, zur Art und Weise unseres Wirtschaftens und unseres Zusammenlebens in Gesellschaft und Staat. 

siehe auch: Leitantrag der Bundesversammlung vom 26.- 28. 2. 16 von "Wir sind Kirche" zu TTIP

Dazu ein „winziges“ Beispiel: Am 1. April 2015 trat in Baden-Württemberg - fast unbeachtet - eine Verordnung für nachhaltige Beschaffung in Kraft. Land und Kommunen dürfen und sollen bei öffentlichen Ausschreibungen Sozial- und Umweltstandards berücksichtigen, z.B. keine Produkte aus Kinderarbeit. Dies ist ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft, deren Vorschläge für neue „Entwicklungspolitische Leitlinien des Landes Baden-Württemberg“ nahezu identisch vom Landtag übernommen wurden. Die beiden großen Kirchen leisteten einen großen Beitrag. Aber ein solches Engagement widerspricht dem „Geist von TTIP“ und könnte in Zukunft ins Leere laufen. 

Auch in Kommunen und Landkreisen formiert sich daher der Widerstand gegen TIPP. Denn die USA und europäische Konzerne wollen ungehinderten Zugang zur öffentlichen und kommunalen Wasser-, Energie- und Verkehrswirtschaft in Europa. Das liegt in der Konsequenz einer Ideologie, die wie ein Mantra heruntergebetet wird: Immer mehr Privatisierung und immer weniger Staat. Wenn aber die öffentliche Daseinsfürsorge und öffentliche Güter, die dem Gemeinwohl aller dienen, vorrangig der Profitmaximierung privater Konzerne unterworfen sind, werden sie zum Spielball von Spekulationen und den Interessen von einigen Wenigen. Das, was eine Gemeinschaft im Grunde zusammenhält, gerät in Gefahr zu verschwinden bzw. zerstört zu werden. Die Gesellschaft wird noch mehr gespalten. 

Im geplanten Handelsabkommen bestimmen allein die Konzerne, wie, wo und unter welchen Kriterien sie investieren. Die Mitsprache der Bürger in ihren ureigenen Angelegenheiten wäre in Gefahr. Die „Freiheit der Märkte“ und die Interessen der Konzerne (Wirtschaft) sind sakrosankt, denn nur sie garantieren – so die herrschende Lehre – Wachstum, Wohlstand und Sicherheit. Inzwischen gibt es zahlreiche Stellungnahmen zum geplanten Handelsabkommen. Bürgerinitiativen, Kirchen, Verbände und Kommunen äußeren darin ihre Überlegungen, Bedenken und Kritikpunkte. Daher hier die zehn am meisten genannten Kritikpunkte, vornehmlich aus kirchlichen Kreisen (Basisgruppen): 

  • Schiedsgerichte: Konzerne könnten Staaten auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagen, wenn ihre Gewinnpläne von demokratischen Entscheidungen durchkreuzt werden.
  • Verbraucherschützer befürchten einen Wettlauf zum Abbau der Anforderungen an Sicherheitstests von Gebrauchsgütern und Lebensmitteln. 
  • Abbau von sinnvollen Regelungen und Subventionen, die dem Ziel einer Wirtschaft im Dienste des Menschen und einer Lebensweise im Einklang mit Natur und Mitmensch dienen. 
  • Zunehmende Privatisierung von lebenswichtigen Leistungen wie Wasserversorgung, Energie, Abfall, Verkehr, Gesundheitsversorgung und Bildung.
  • Ausbau der industriellen Landwirtschaft zu Lasten der kleinbäuerlichen (Bio-) Landwirtschaft. 
  • Einseitige Bevorzugung von Gentechnologie und Extraktivismus (u.a. Fracking). 
  • Weitere Deregulierung von Finanzdienstleistungen (u.a. Gefahr für Genossenschaftsbanken) und Abbau sozialer Standards für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. 
  • Patentierung (Eigentumsrechte) von genmanipulierten Pflanzen und Medikamenten.
  • Einschränkungen demokratischer Grundrechte und demokratischer Selbstbestimmung.
  • Auswirkungen auf arme Länder und deren Ernährungssouveränität (Landraub, Bergbau etc.).
  • Agrarkonzerne der USA und EU werden ihre globale Vormachtstellung ausbauen können.

Grundsätzlich wird befürchtet, dass die demokratische Willensbildung der „Freiheit der Konzerne“ untergeordnet wird. Kultur (Literatur, Musik), Bildung und Datenschutz werden rein ökonomischen Kriterien („muss Gewinn bringen“) unterworfen. Bio- und andere Labels gelten als Behinderung des freien Wettbewerbs. Einem aus Lobbyisten gebildeten Regulierungsrat wird das letztgültige Entscheidungsrecht übertragen. Unternehmen werden quasi zu „Gesetzgebern“. Widerstand dagegen wird als Rückfall in eine unfreie Gesellschaft diffamiert. Auffallend ist, dass die Auswirkungen auf die arm gemachten Länder fast nicht thematisiert werden, am ehesten aber noch in kirchlichen Stellungnahmen. 

„Dies alles geschieht, wenn im Zentrum der Wirtschaft nicht der Mensch steht, sondern Mammon, das Geld als Gott. Im Zentrum der gesamten Gesellschaft muss aber die menschliche Person stehen, das Ebenbild Gottes - geschaffen, um dem Universum einen Sinn zu geben. Wenn der Mensch zur Seite gedrängt und Mammon an seine Stelle gesetzt wird, dann kommt es zur Umkehr aller Werte.“ 

Die staatstragenden Parteien befürworten das Handelsabkommen, wenn auch mit Einschränkungen und dem Vorbehalt von Korrekturen. Sie befürchten den Abstieg Europas im Wettbewerb mit den Schwellenländern. Sie fürchten um Wachstum und Wohlstand. Es geht ihnen zudem um die „Verteidigung unserer Werteordnung“, die seit 500 Jahren darin besteht, andere Völker „in aller Freiheit“ ausbeuten zu dürfen. 

Auch die deutschen Kirchen (-leitungen) setzen immer noch auf Wachstum. Für Kardinal Marx ist ein allerdings erheblich verbessertes TTIP notwendig, um besser und nachhaltiger wachsen zu können und um die europäische Wirtschaft in Partnerschaft mit den USA konkurrenzfähig zu halten. 

Sind wir als deutsche Kirche vielleicht doch noch zu sehr von wirtschaftlichem Wachstum abhängig? Es ist höchste Zeit (ein Zeichen der Zeit), wieder den Anschluss zu finden, anschlussfähig nicht zum herrschenden Mainstream der herrschenden Weltordnung, sondern anschlussfähig an eine „Kirche der Armen“, an Papst Franziskus und an alle Bewegungen, die im Widerstand gegen die „Götzen dieser Welt“ aufstehen. Eine Kirche, die ihr Vertrauen – de facto – vorrangig in ihren Besitz und irdische Güter und Werte setzt, kann nicht die Kirche Jesu Christi sein.

Auf der Zweiten Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín (1968) wurde der Geist des Konzils konkret auf die Lebenswirklichkeit der Menschen angewandt. Die Bischöfe kamen zu dem Schluss: So wie die Menschen in Lateinamerika leben, als arm Gemachte, das ist nicht der Wille Gottes. Das ist eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit. Gott will nicht, dass Kinder verhungern, obwohl es Nahrungsmittel im Überfluss gibt. Diese theologische und gesellschaftspolitische Analyse wurde so in Europa und speziell in Deutschland nicht durchgeführt. Wäre dem so gewesen, hätte man sich vielleicht als eine Kirche entdeckt, die selbst in ein ausbeuterisches System eingebunden ist und von den herrschenden Verhältnissen mit profitiert. Das wäre eine sehr bittere Selbsterkenntnis gewesen. Aber gerade diese Einsicht ist notwendig, sonst kann es keine Umkehr geben. Als Christen sind wir nicht von dieser Welt, aber mitten in diese Welt gesandt, um sie im Geist Jesu Christi zu verwandeln. 

„Einige von euch haben es so ausgedrückt: Dieses System kann man nicht mehr ertragen. Wir müssen es ändern. Wir müssen die Würde des Menschen wieder ins Zentrum rücken und dann auf diesem Pfeiler die alternativen gesellschaftlichen Strukturen errichten, die wir brauchen. Hartnäckig sein, aber ohne Fanatismus. Leidenschaftlich, aber ohne Gewalt. Wir brauchen dazu viel Mut, aber auch Intelligenz. Wir Christen haben etwas sehr Schönes, eine ´Gebrauchsanweisung´, ein revolutionäres Programm gewissermaßen. Ich rate euch sehr, es zu lesen….!“ (Beide Zitate aus der Ansprache des Papstes auf dem „Welttreffen der Volksbewegungen“, 28. 10. 14, eig. Übersetzung).  

Dr. theol. Willi Knecht

Der II. Teil wurde veröffentlicht in „Der Geteilte Mantel“, dem weltkirchlichen Magazin der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Jährliche Erscheinungsweise, wird verschickt an Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen, Verbände etc. Der Artikel ist als Antwort der Kath. Ortskirche auf die Position der Landesregierung von BW zu werten, die in derselben Ausgabe ebenfalls veröffentlicht wird, als "Pro" von Minister Friedrich. 

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Die Öffnung der Kirchenvolksbewegung für weltkirchliche Themen

Zentrales Thema der Bundesversammlung der Kirchenvolksbewegung vom 26.-28 Februar 2016 in Osnabrück war "Laudato si", die Enzyklika von Papst Franziskus. Das Hauptreferat dazu hielt Prof. Dr. Andreas Lienkamp, Osnabrück. In Arbeitsgruppen wurde diskutiert, ob und bis zu welchem Maß sich die Kirchenvolksbewegung mit Themen wie Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung beschäftigen soll - nur "innerkirchliches Rotieren um sich selbst" oder Öffnung auf die zentralen Themen menschlichen Überlebens hin.

Fazit: Kein entweder oder, sondern beides. Denn: Die Kirche kann ihre zentralen Inhalte wie weltweite Gerechtigkeit, Option für die Armen etc. (nur) glaubwürdig verkünden, wenn sie selbst in ihren Strukturen und ihrer Verfasstheit das widerspiegelt, was zu verkünden ihr Auftrag ist. Daher wurden neben zwei "innerkirchlichen" Leitanträgen zur Forderung nach einer synodalen Struktur und zur Aufarbeitung sexueller Gewalt in der Kirche ein Leitantrag zu TTIP vorgelegt, der dann auch mit großer Mehrheit (bei 2 Gegenstimmen) verabschiedet wurde. Ich wurde gebeten, diesen Leitantrag und Pressemitteilung mit zu formulieren.

Willi Knecht

Leitantrag der Bundesversammlung vom 26.- 28. 2. 2016 von "Wir sind Kirche" zu TTIP :

„Die Bundesversammlung der Kirchenvolkbewegung "Wir sind Kirche" spricht sich dafür aus, dass die Kirchen auf allen Ebenen eindeutig gegen TTIP und andere Freihandelsabkommen Stellung beziehen, weil:

  • eine umfassende demokratische Kontrolle nicht gewährleistet ist
  • unsere Rechtsordnung durch private Schiedsgerichte umgangen werden kann
  • Kommunen und Landkreisen u.a. die Selbstbestimmung über Energie, Wasser und Kulturgüter entrissen werden kann
  • Arbeitnehmerrechte, soziale und ökologische Standards ausgehebelt werden können
  • durch Freihandelsabkommen ohne demokratische Kontrolle die Ärmsten weltweit in der Regel noch ärmer werden

Diese Punkte verstoßen fundamental gegen die Option für die Armen, wie sie zuletzt auch Papst Franziskus in der Enzyklika "Laudato si" formuliert hat.“