Freihandelsabkommen – aus der Perspektive einer Kirche der Armen 

Mit der zu Beginn der Neuzeit um 1500 beginnenden Eroberung der Welt durch die Europäer wurde auch deren Kosmovision zum Leitbild für alle anderen Völker und Kulturen erklärt. Der abendländischen Christenheit, ausgehend von griechischer Philosophie und römischem Recht auf unbeschränktes Privateigentum fiel es daher nicht schwer, die Eroberung fremder Völker und jahrhundertelange Sklaverei zu rechtfertigen. Auch die daraus entstandene Wirtschaftsordnung mit dem absoluten Vorrang des Kapitals - das Geld als Gott, wie Papst Franziskus dies nennt - wurde nun globalisiert. Nachdem spätestens seit den 80-er Jahren und verstärkt seit 1990 das Kapital und der freie Handel von den letzten Fesseln sozialer Verantwortung befreit wurden, nehmen die Verwüstung der Erde und die Vertreibung der Menschen exponentiell zu. (Siehe auch: TTIP - Kampf um die letzten Ressourcen)

Selbstverständlich ist es längst überfällig, dass zwei weltweit bestimmende Handelsblöcke viele Hindernisse untereinander aus dem Weg räumen, damit Handel und Wandel besser funktionieren. Zu viele nationale Eigenheiten, Vorschriften, Einschränkungen und staatliche Eingriffe bremsen die Dynamik des freien Handels und die Wachstumskräfte, die notwendig sind, um auch in Zukunft im Wettbewerb mit aufstrebenden Mächten bestehen zu können. Zudem sind bessere Bedingungen für den freien Handel deshalb notwendig, um das stetige Wachstum generieren zu können, ohne das diese Art des Wirtschaftens nicht funktionieren kann. Und solange die Mehrheit unserer Bevölkerung noch Spargel, Mangos und Bananen zu jeder Jahreszeit und möglichst billig auf dem täglich schon überreich gedeckten Tisch haben will, wird diese Spirale sich weiterdrehen können. Und die Flüchtlingsströme werden noch weiter zunehmen, weil ihre Lebensgrundlagen zerstört werden.

Mit der zu Beginn der Neuzeit um 1500 beginnenden Eroberung der Welt durch die Europäer wurde auch deren Kosmovision zum Leitbild für alle anderen Völker und Kulturen erklärt. Der abendländischen Christenheit, ausgehend von griechischer Philosophie und römischem Recht auf unbeschränktes Privateigentum fiel es daher nicht schwer, die Eroberung fremder Völker und jahrhundertelange Sklaverei zu rechtfertigen. Auch die daraus entstandene Wirtschaftsordnung mit dem absoluten Vorrang des Kapitals - das Geld als Gott, wie Papst Franziskus dies nennt - wurde nun globalisiert. Nachdem spätestens seit den 80-er Jahren und verstärkt seit 1990 das Kapital und der freie Handel von den letzten Fesseln sozialer Verantwortung befreit wurden, nehmen die Verwüstung der Erde und die Vertreibung der Menschen exponentiell zu. 

Die EU hat bereits Freihandelsabkommen mit Mexiko, Chile, Kolumbien, Peru sowie Zentralamerika geschlossen. Den „Entwicklungsländern“ wird angeboten, im Welthandel mitspielen zu dürfen. Die Spielregeln aber bestimmen die reichen Länder. An bereits bestehenden Freihandelsabkommen wie zum Beispiel zwischen den USA und Mexiko (NAFTA, 1994) lassen sich grundlegende Mechanismen des Freihandels aufzeigen:

1. Die EU und noch mehr die USA schotten ihre eigenen Märkte ab, subventionieren ihre eigenen Produkte und zwingen die armen Länder, ihrerseits ihre Märkte zu öffnen. Sie zerstören damit die einheimischen Märkte und die Ernährungssouveränität der armen Länder. 

2. Vorläufer und Vorbild sind die Strukturanpassungsmaßnahmen seit Ende der 70er Jahre, die von  IWF und Weltbank den arm gemachten Ländern aufgezwungen wurden: Abbau von Schutzzöllen; freier Zugang von Auslandsinvestitionen; eine rein am Export orientierte Landwirtschaft; drastischer Abbau staatlicher Leistungen u.a. im Bildungs- und Gesundheitswesen; Privatisierung von Staatsbetrieben; Aufhebung staatlicher Vorschriften zum Arbeits- und Umweltschutz, u.v.m.

3. Die Rechte und Freiheiten von Konzernen und Finanzinvestoren werden geschützt. Sie stehen über dem Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Staaten. Die armen Länder werden auf ihre Rolle als „Vorratslager der Welt“ reduziert (Rohstoffe, Landflächen, Viehfutter usw.), auf das beliebig und in „voller Freiheit“ zugegriffen werden kann.  

In Mexiko sprechen Bauernverbände und Indigena - Organisationen bereits von einer Zweiten Conquista: Den indigenen Völkern wird nun auch noch der letzte Wert geraubt: Das Recht auf eigene Ernährung, d.h. das Recht auf ihre heimischen Pflanzen. Mais ist nicht nur ein Grundnahrungsmittel, sondern hat einen sehr hohen kulturellen-religiösen Wert und ist Teil ihrer Identität. Ihre Angst: Wenige Konzerne werden das weltweite Monopol auf Nutzpflanzen und Tiere besitzen und können so die ganze Weltbevölkerung kontrollieren. Mexiko kann als Versuchslabor bzw. Modell verstanden werden, wie durch Freihandelsabkommen die Vormachtstellung „des Westens“ und seiner Werte stabilisiert  werden kann. Konkreter: Der Staat hat lediglich die Funktion, „die Freiheit der Märkte“ zu garantieren und die Interessen der Investoren zu schützen. Die Interessen des Kapitals haben absoluten Vorrang. Zu dieser Wirtschaft und Politik gibt es keine Alternative, sie ist absolut. 

Diese Maßnahmen und Verhaltensweisen sind das Ergebnis und die logische Folge der etablierten Weltordnung. Das Fundament ist eine ganz bestimmte Weltsicht (Ideologie, Glaube), die als absolut verstanden wird. „Freiheit“ ist einer ihrer Schlüsselbegriffe. Es gibt aber keine Freiheit „an sich“, wie es auch den Menschen „an sich“ nicht gibt. Ein Sklave versteht unter Freiheit etwas anderes als sein Besitzer, der für sich in Anspruch nimmt, frei über seinen Besitz verfügen zu können.

Im Rahmen der bestehenden Welt- und Werteordnung haben einige wenige Menschen Startvorteile, die andere nicht werden aufholen können. Im so genannten „Freien Wettbewerb“ werden sie keine Chance haben. Das Reden von einer Chancengleichheit - sowohl für Einzelne als auch für ganze Völker - dient dazu, all denen, die es zu "nichts bringen", als Versager abzustempeln und ihnen auch noch einzuimpfen, selbst schuld an ihrem Schicksal zu sein. Dieser Glaube (Religion) ist der am weitest verbreitete Glaube unserer Zeit. Er ist inzwischen bis in die letzten Winkel unserer Erde und unserer Seelen vorgedrungen und vergiftet zunehmend das menschliche Zusammenleben. 

Der vom Evangelium ausgehende Widerstand gegen eine solche Weltordnung und Geisteshaltung kann ebenfalls als Ideologie oder Glaube bezeichnet werden. Christen aber, wenn sie Christen sind, bekennen sich zu diesem Glauben. Die Option für die Armen – für die Opfer und nicht für die Sieger – ist nicht beliebig. Sie bildet den Kern der Worte und Taten Jesu, dem Christus.

Von dieser christlichen Perspektive aus ist das geplante Freihandelsabkommen zwischen USA und EU zu deuten. Katholische Basisgruppen in Lateinamerika bezeichnen daher Freihandelsabkommen als„das Betriebssystem und das Instrument der neoliberalen Weltordnung“. Von deren Standpunkt aus bedeutet das nun geplante Freihandelsabkommen USA – EU eine weitere Verschlechterung für die Menschen in Lateinamerika (und Afrika, Asien). Es bedeutet noch mehr Extraktivismus, noch mehr industrielle und rein exportorientierte Landwirtschaft und damit noch mehr Vertreibung, noch mehr Zerstören der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, noch mehr prekäre Arbeitsverhältnisse, noch mehr Sozialabbau und mehr Ausplünderung der natürlichen Lebensgrundlagen von Mensch und Natur. 

Was bisher schon USA und EU jeder für sich praktiziert haben, soll nun u.a. durch die Einführung einheitlicher Standards besser abgestimmt und somit noch effektiver werden. Wenn aber ein System, das schon jetzt wachsende Ungleichheit produziert, sowohl global als auch innerhalb der einzelnen Länder in Nord und Süd, optimiert werden soll, werden auch die Ungleichheiten optimiert. Die Kluft zwischen arm und reich, lokal wie global, wird noch größer als bisher.

TTIP kann für die Wirtschaft und Finanzinvestoren in den USA und der EU zum Segen werden. Für die Menschen in der globalen und lokalen Peripherie wird sie zum Fluch. Sie suchen Zuflucht, aber wir verriegeln unsere Türen und Herzen.  

Diese authentisch christlich-biblische Perspektive ist ansatzweise schon im Konzil, dann aber vor allem von der lateinamerikanischen Kirche wiederentdeckt worden. Das bedeutet, aus der Perspektive derer, die unter die Räuber gefallen und ausgeschlossen sind, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu analysieren und im Lichte der Botschaft und der Praxis Jesu Christi neu zu deuten.  

„Wir befinden uns mitten im Dritten Weltkrieg, aber auf Raten. Es gibt Wirtschaftssysteme, die Krieg führen müssen um überleben zu können. Damit sanieren sie die Bilanzen einer Wirtschaftsweise, die Menschenopfer darbringt, um ihren Götzen zu huldigen. … Sie denken nicht an die hungernden Kinder, sie denken nicht an die zwangsweise Umgesiedelten, nicht an die zerstörten Wohnungen und nicht an so viele Menschen, denen ein würdiges Leben verweigert wird.“  (Papst Franziskus, Ansprache an die Volksbewegungen am 28. 10. 2014, eigene Übersetzung). 

Dr. theol. Willi Knecht

Der Artikel ist ein Grundsatzartikel aus der „Perspektive der Peripherie“ und somit Ausdruck einer authentisch-christlichen Option. Er wurde veröffentlicht als Kommentar in „drs.global" (3/15), dem Quartalsnewsletter der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hauptabteilung Weltkirche).